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o Henusgcgcbea von Dr. LUDWIG SIKZHEIMER »
3 Bind 1 C
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c volkswirtschaftliche
Bedeutung def technischen
Entwicklung der deutschen
:: Zuckerindustrie ::
Von Dr. TH, SCHUCHART. Diplom'lAccnUtw
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Tedinisdi-volkswirtsdiaftlidie Monographien
Herausgegeben von Dr. Ludwig Sinzheimer
• Erster Band ===========
Die volkswirtsdiaftlidie Bedeutung
der technischen Entwicklung
der deutschen Zuckerindustrie
Von
Theodor Sdiudiart
• >
Diplom-Ingenieur
Doktor der Staatswirtsdiaft
Mit drei lithographisdien Tafeln
Leipzig 1908 ♦ Verlag van
Dr. AVerner Klinkhardt
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Alle Rechte vorbehalten.
Graphisches Institut Julius Klbikhardt, Leipzig.
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Meinen lieben Eltern
194203
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Vorwort
£s hat fiberrasdiend lange gedauert, bis die nationalöko-
nomisdie und die teduiisdie Forschung sidi der innigen Verwandt-*
sdiaft ihrer Interessen bewuBt wurden. Nachdem sich neuerdings
beiderseits das Bedürfnis angebahnt hat, sidi gegenseitig zu durdi-'
dringen, will sich dies Buch an den Nationalökonomen und an
den Techniker wenden.
Dabei wird es dem routinierten Zuckerfachmann verständlidi
erscheinen, daß die Tedmik lediglich ihren Grundzfigen nach ver-
folgt werden konnte und daß manche tedmisch wertvolle Einzel"
heit zurücktreten mußte.
Eine Industrie, welche wie die Zuckerindustrie eine soldi
komplizierte Tedmik besitzt, die andrerseits Betriebe der ver-*
schiedensten Erscheinungsformen in sidi vereinigt und durch die
Natur ihres Rohstoffs in engster Verbindung mit dem Boden als
Produktionsmittel steht, trifft über die Wahl ihrer technischen und
wirtschaftiidien Hilfsmittel nur in beschränktem Maße allgemein
gültige Entscheidungen. Diese müssen vielmehr regelmäßig durch
genaueste Prüfung des Einzelfalles herbeigeführt werden. Aus
diesem Grunde möge es erklärt werden, wenn etwa die nach-
folgenden Blätter Lüdken oder Fehler in bezug auf Einzelheiten
enthalten sollten.
Jedenfalls war es mein eifriges Bestreben, nicht nur durch
literarische Studien, sondern auch durch Studium der Betriebe an
Ort und SteUe mich zu informieren. So dankbar idi für die
gütige Aufnahme bin, welche mir vielerorts zuteil wurde, so
beklagenswert empfand ich die auf unberechtigtem Vorurteil be-
ruhenden Erschwerungen, welche bisweilen eine eingehende
Orientierung hinderten. Im Interesse einer Klärung der zum TeU
recht verwidkelten Verhältnisse ersdieint mir deshalb eine sach-
lidie und Iddensdiaftslose Kritik seitens der Praktiker für beide
Teile besonders begrüßenswert
Der Komplikation der Materie habe ich dadurch Redmung
zu tragen versucht, daß ich viel von dem Beiwerk phantastischer
Zahlen, welche anderswo bezüglich der gesamten Industrie be-
sonders häufig in der nationalökonomischen Literatur auftreten,
in den nadifolgenden Betrachtungen nicht aufgenommen habe.
An dieser Stelle drängt es mich, meinem hochverehrten
Lehrer Herrn Dr. L. Sinzheimer meinen ganz besonderen Dank
für seine liebenswürdige tafkräftige Unterstützung und Förderung
abzustatten. Dieser Dank geht weit über den Rahmen dessen
hinaus, welchen ein Autor für die übrig zu haben pflegt, welche
entscheidenden Einfluß auf seine Arbeit gewannen. Des weiteren
gedenke ich dankbar der vielfachen Anregungen, welche mir
durch Herrn Qeheimrat Prof. Dr. L. Brentano und Herrn Prof. Dr.
W. Lotz zuteil wurden. Was speziell die technische Seite meiner
Arbeit angeht, so schulde ich Herrn Prof. Dr. Lintner an der
technischen Hochschule hier für seine fruchtbringende Kritik und
die Durchsicht der Druckbogen hervorragenden Dank. Schließlich
sei bestens gedankt dem Deutschen Museum von Meisterwerken
der Naturwissenschaft und Technik, dem Institut der deutschen
Zudkerindustrie, den zahlreichen Korporationen, Behörden, Gelehr-
ten, Fabrikanten, Landwirten und Kaufleuten, welche meinen Plan
durch Empfehlungen, Informationen, Bibliothekbenutzung und
Besichtigungen fördern halfen.
München, Juli 1907. TH. SCHUCHART.
Inhaltsübersidit
Seite
Zur Vorgeschichte der deutschen Zudkerindustrie . . i
1. Absdinitt
Die technische Entwiddung und ihr Einfluß auf die
deutsche Zudkerindustrie 11—173
L Die vorkapitalistisdie Periode.
Kapitel 1. Die alte und die neue Zuckerindustrie ... 11
Kapitel 2. Die Zeit von 1802-1840 20
Kapitel 3. Die Zeit von 1841—1861 38
II. Die entwickelt kapitalistische Periode.
Kapitel 1. Die deutsdie Rflb^nzuckerindustrie 1861—1887 54
Kapitel 2. Die deutsdie Rfibenzudcerindustrie 1887—1907 68
Kapitel 3. Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung 84
III. Die Organisation.
Kapitel 1. Die Entwicklung zum fabrikmfiBigen GroB^
betrieb 88
Kapitel 2. Die Weiterbildung des fabrikmfiBigen GroB-
betricbs 115
Kapitel 3. Die Arbeiterverhfiltnisse 142
2. Abschnitt
Die zuckerindustrielle Entwidklung und die deutsche
Landwirtschaft 744—244
Kapitel 1. Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb . 174
Kapitel 2. Die Arbeiterverhfiltnisse 230
3. Absdinitt
Die zudkerindustrielle Entwiddung und der deutsche
Handel 245
Anhang
Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volks-
wirtschaft 258
CßD.
Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie.
Gegen Ende des Zeitalters der vom Absolutismus inaugu-
rierten merkantilistischen Handelspolitik nahmen die trans-
ozeanischen Kolonialgüter auf den kontinentalen Märkten den
^sten Platz ein. Der in den Plantagenwirtschaften Westindiens
durch Sklaven im Stile des Großbetriebs aus dem Zuckerrohr
gewonnene Zucker war neben dem Kaffee auf den Handels-
plätzen der alten Welt der begehrteste Spekulationsartikel. In
den handelspolitischen Grundsätzen der europäischen Kultur-
staaten sowohl, die auf eine virtuose Begünstigung der binnen-
ländischen industriellen Tätigkeit hinausliefen, wie andrerseits in
dem traditionellen Kolonialsystem der Ausbeutung war es be-
gründet, daß die Veredelung des in primitivster Technik ge-
wonnenen Rohzuckers zu Konsumware dem kolonialen Unter-
nehmertum lange Zeit unmöglich gemacht war und als mono-
polistisch betriebener Erwerbszweig von den Mutterländern be-
ansprucht wurde. Erst 1717 hatte sich Frankreich dazu ver-
standen, dem Zucker aus seinen Kolonien alle nicht französischen
europäischen Märkte freizugeben und eine Zollermäßigung bei
der Einfuhr ins Mutterland zuzugestehen. Von dieser Maßregel
datiert der Aufschwung und die Blüte des französischen West-
indien und die außerordentliche Zunahme seiner Konsumtion und
Produktion.^) Die wirksame Stütze, die unter dem Ministerium
des Kardinals I^eury (1726 — 43) der französische Handel in den
überseeischen Besitzungen gewann, zwang England 1739 zu
ähnlichen Entschließungen. Die unerhörte Blüte des westindischen
Plantagenbaues, der sich inzwischen auf Kaffee und andere
Kolonialgüter ausgedehnt hatte, macht es begreiflich, daß trotz
der schweren Verluste, welche für Frankreich die Einbuße des
>) H. Scherer, Allg. Geschichte des Welthandels, Bd. 2, S. 548.
Schtichart» Zutkerindustrie. 1
2 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie.
Handels mit Ostindien und der afrikanischen Westküste mit sich
brachte, es dem aufstrebenden England einen harten Kampf
kostete, den Rivalen aus seiner Vormachtstellung zur See zu
drängen.!)
Um eine Vorstellung von der prävalierenden Stellung des
französischen Handels in Kolonialwaren zu geben, führen wir
einige Werte an aus den letzten Jahren vor Ausbruch der
Revolution, in denen der westindische Handel auf dem Höhe-
punkt stand. Während aus sämtlichen amerikanischen Kolonien
zu Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. nach Frankreich Waren
eingeführt wurden im Werte von 16700000 Frs., unter denen
mit 11000000 Frs. Zucker und Kaffee, mit 4081000 Frs. Indigo
und Droguerien, mit 775000 Frs. Baumwolle figurierte, wurde
die Gesamteinfuhr^) kurz vor Ausbruch der Revolution auf
185 Mill. Frs. bewertet; davon entfielen 134 Mill. Frs. auf Zucker
und Kaffee, 26 Mill. auf Baumwolle, 11,6 Mill. auf Indigo und
Droguerien. Ins Ausland führte 1788 Frankreich aus seinen
Häfen aus:*)
Rohzucker 448546 Ztr. im Werte von 17 540000 Frs.
Raffinierten Zucker 17 408 „ „ „ „ 1733000 „
Zuckerhüte 864445 „ „ „ ^ 44 361000 ^
Sa. 63634000 Frs.
In der Tat war der Zucker neben dem Kaffee vor dem
Verlust der kolonialen Besitzungen in Westindien die Qrund-
säule des französischen Außenhandels.
Für Deutschland war Hamburg nach dem Niedergang des
holländischen und französischen Handels der erste Platz im
Handel mit Rohrzucker. Hamburg, in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts noch ein Distributionszentrum zweiter Ordnung,
insofern es nicht unmittelbar am transozeanischen Handel be-
teiligt war, immerhin aber schon zur wichtigsten Handelsempore
*) Der Zucker in den verschiedenen Phasen des Kolonialsystems,
vergl. W. Kaufmann, Weltzuckerindustrie (fiskalische Vorzugsbehandlung),
Kartelle, internationales und koloniales Recht. 1904. S. 5 ff.
•) 1786 lieferte Frz. Domingo für 131481000 Livres Kolonialwaren.
Martinique „ 23958000 .
Guadeloupe „ 14360000 „
Cayenne ^ 919000 „
Sa. 170718000 Livres.
*) Hildt, Handel- und Oewerbskunde, Weimar 1803—5. Bd. 2.
->
Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 3
des nördlichen und mittleren Europa erbläht, geriet durch die
politischen Verwickelungen der Westmächte in eine außer-
ordentlich gunstige Position. Durch den Sieg der nordamerika-
nischen Freiheitskämpfer insbesondere wurde ihm die Bahn frei
für seinen Eintritt in den Überseehandel, der ihm bisher ver-
schlossen war. Das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts be-
deutet für Hamburg eine Epoche lebhaftesten Aufschwungs: sie
ist auf Kosten der direkten Verbindungen mit den vielumworbenen
tropischen Produktionsgebieten vorwiegend zu setzen^. An
diesem für die Versorgung Mittel- und Nordeuropas mit Kolonial-
waren hervorragend günstig gelegenen Platz blühten, seitdem
der Zucker ein allgemeineres Oenußmittel geworden war, jene
Betriebe in großer Zahl, welche die Raffination des Rohzuckers
besorgten, die sog. Zuckersiedereien. Während ihre Zahl für
die Zeit um 1790, als noch vielfach über französische Häfen be-
zogene Rohrzuckermengen verarbeitet wurden, auf 298 an-
gegeben wird, stieg sie im Jahre 1805 auf 405, um von da
ab wieder zu fallen. Dem Hamburger Erzeugnis ging der Ruf
hervorragender Güte voraus, ein Umstand, der mit Hilfe der
vorzüglichen Handelsverbindungen bewirkte, daß Hamburger
Ware in Deutschland, Rußland und den nordischen Reichen im
Konkurrenzkampf über die holländische, in den süddeutschen
Staaten und in Österreich über die österreichische zu triumphieren
vermochte*). Für den Osten bildeten Danzig und Stettin die
Nach A. Soetbeer, Über Hamburgs Handel 1840-43, Bd. 1, be-
trug die Einfuhr:
Angekommene
Zucker
Kaffee
Hlute
Baumwolle
Schiffe
tOOOPM.
MUl. Pfd.
1000 Stack
Ballen
1791
1504
52958
21 Vf
70
3685
1792
1700
48336
21
53
3086
1793
1455
35289
26
43
2452
1794
1820
664T7
38
152
7987
1795
2107
86810
42
215
10143
1796
1919
78255
39»/,
180
7657
1797
1869
75083
39'/
270
11017
1798
1901
79849
45*5
81
7667
1799
1960
104963
45»8
243
5132
1800
1895
70955
39'
123
12668
1801
21T7
104116
28
256
9397
1802
2108
84841
24
226
6793
*) Steph. V. Kees, Darstellung des Fabrik-
4.Bd^ Wien 1824, I. S. 247 ff.
und Qewerbewesens»
4 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie.
natürlichen Eingangspforten für die überseeische Rohware, bis
es auch hier Hamburg gelang, mit seinen Raffinerieprodukten
den Rohzuckerimport zu verdrängen, womit eine gewaltige
Steigerung des Absatzes in jenen Häfen Hand in Hand ging.
Für die Vernichtung des überaus lebhaften französischen
Kolonialhandels, den die kriegerischen Verwicklungen mit Eng-
land, besonders aber der Verlust von St Domingo nahezu voll-
ständig lahm gelegt hatten, suchte sich Napoleon I. durch die
in ihren wirtschaftlichen Wirkungen kaum zu überschätzende
Kontinentalsperre (21. Nov. 1806) zu entschädigen. Seine Politik^)
war darauf gerichtet, der hervorragenden französischen Export-
industrie damit eine Monopolstellung in den gewerblich unent-
wickelten Staaten des Kontinents durch künstlichen, systematischen
Ausschluß der einzigen als Konkurrentin auftretenden Macht zu
erobern und so anstelle eines zerfetzten, durch ein weit-
maschiges^ Netz von Handelsbeziehungen umstrickten Absatz-
gebietes eine einzige zentral gelegene, einen kompakten Begriff
darstellende Handelssphäre zu setzen, welche infolge ihrer Kultur-
stufe Gewähr für eine höhere Konsumkraft und damit für eine
erhöhte Intensität des Handelsbetriebs bot.
Konsequent führte das System der wirtschaftlichen Isolierung
der Kontinentalstaaten zu einer gewaltigen Preissteigerung in
den kolonialen Produkten, welche seit Jahrzehnten in steigen-
dem Maße der täglichen Bedürfnisbefriedigung weitester Kreise
dienten. Der Doppelzentner raffinierten Zuckers kostete in den
Jahren 1807—15 durchschnittlich 360 Fr., in Ausnahmefällen bis
600 Fr. im Großhandel.^) Angesichts dessen begannen wissen-
schaftlich gebildete Köpfe und Laien in der Suche nach Surro-
gaten zu wetteifern. Eine ganze Literatur besteht aus diesen
Jahren über eine Fülle der eigenartigsten Versuche, den Zucker
vor allem, jenes zum unerschwinglichen Luxusartikel gewordene
Qenußmittel, zu ersetzen.
Um 1808 wandte sich die in technischen, besonders in chemi-
schen Dingen der deutschen weit vorausgeschrittene französische
Wissenschaft den Studien des preußischen Gelehrten Franz Karl
Achard zu, des vormaligen Direktors der Kgl. preußischen Akademie
1) Vgl. P. Darmstätter, Studien zur napoleonischen Wirtschafts-
politik, Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1904.
') H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt, S. 26.
^^:
Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 5
der Wissenschaften. Dieser hatte mit Unterstützung aus der
Icöniglichen PrivatschatuUe sich seit 1786 auf seinem Oute Cauls«
dorf bei Berlin mit Versuchen über den Anbau von Runkel-
rüben zwecks Qewinnung von Zucker befaßt, anknüpfend an
die Studien seines Lehrers Joh. Sigismund Marggraf, der schon
1749 die Existenz eines dem Zucker identischen Stoffes in einer An-
zahl Kulturpflanzen, unter denen auch die Runkehübe war, dargetan
hatte. Die damals relativ niederen Preise für Rohrzucker, andrer-
seits aber die geringen im Saft der Rübe und in anderen Pflanzen
nachgewiesenen Mengen hatten die Schuld daran getragen, daß
man das Problem vorerst nicht weiter verfolgt hatte. Überdies
befand man sich zu jener Zeit noch durchaus in den Anfängen
einer exakt wissenschaftlichen Forschung, selbst in Frankreich,
wo man eben daran ging, allem voran auf dem Gebiete der
Chemie den Grund für die neuartige objektive Forschungsmethode
anstelle der überkommenen subjektiv-empirischen zu legen. Es
ist das unvergängliche Verdienst Achards, jene fast verschollenen
Versuche wieder aufgegriffen und durch mühevolle, zähe Arbeit
eines reichen Menschenalters der Reife entgegengeführt zu haben.
Trotz unausgesetzter finanzieller Nöte und Enttäuschungen der
mannigfachsten Art hatte er nach umfangreichen Vorversuchen
im Jahre 1799—1800 auf dem Oute Cunern bei Steinau in
Schlesien die Zuckerfabrikation im Frühjahr 1802 aus der von
ihm gezüchteten Rübe als erster fabrikmäßig installieren können.
Die Erfolge seines Unternehmens wirkten insbesondere bei dem
gewaltigen Emporschnellen der Zuckerpreise 1806 auf eine An-
zahl deutscher Landwirte ermunternd ein. Unter diesen Um-
ständen machte sich die kleinste Betriebsgröße, die primitivste
Technik und geringste Ausbeute — man erzielte 2— 3 o/o — be-
zahlt. Da aber traf die im Entstehen begriffene neue Industrie
ein vernichtender Schlag: Infolge der politischen Notlage blieb
die königliche Unterstützung aus, und auch nach dem Friedens-
schluß sahen sich Regierung und Krone in Anbetracht der äußerst
mißlichen Finanz- und Wirtschaftslage außerstande, irgend eine
materielle Unterstützung zu gewähren. Ohne jeden Zollschutz
aber vermochte sich der junge Industriezweig bei den rapide
sinkenden Preisen nicht zu halten. Die Betriebe verkümmerten,
und 1828 stellte die letzte Fabrik diesseits des Rheins den Be-
trieb endgültig ein.
Ein besseres Schicksal erblühte der Rübenzuckerindustrie in
6 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie.
Frankreich. Der napoleonischen Politik der Verbannung aller
überseeischen Produkte vom festländischen Markt kam Achards
Projekt sehr gelegen. Nach sorgsamer wissenschaftlicher und
praktisch-wirtschaftlicher Prüfung seiner Arbeiten durch Mit-
glieder der Acad^mie schuf Napoleon I. die erste auf lebens-
fähiger Grundlage aufgebaute Rübenzuckerindustrie. Den be-
achtenswerten Kenntnissen französischer Gelehrter auf dem Ge-
biete der Chemie und Mechanik im Verein mit einer Regierungs-
politik^), die den technischen Fortschritt auf jede Weise zu fördern
bereit war, insbesondere der von ihr mit äußerster Rücksichts-
losigkeit gehandhabten Zollpolitik ist es zu verdanken, daß die
neu gegründete Industrie sich nach dem Zusammenbruch des
napoleonischen Regimentes zu halten vermochte und in der Lage
war, die sinkenden Zuckerpreise der Zeit der Restauration durch
technische Verbesserungen wenigstens zum Teil zu paralysieren.
Im Betriebs jähre 1827/8 produzierte Frankreich schon 2600 t
Rübenzucker.
Immerhin dauerte es noch einige Zeit, bis die schnelle Ent-
wickelung und der Riesengewinn der französischen Rübenzucker-
industrie auf die benachbarten Staaten Eindruck machten. Seit
1830 datieren in Deutschland wieder eine Anzahl Versuche.
Den unmittelbaren Anstoß dazu gaben äußere Erscheinungen
des Wirtschaftslebens. Der enorme Rückgang der Oetreidepreise
drohte den Landbau mit einem Schlage gänzlich unrentabel zu
machen. Es kostete die Tonne durchschnittlich in Preußen in
den Jahren
1816—20 Weizen 203,6 Mk., Roggen 151,9 Mk.
1820—30 , 119,9 „ „ 86,7 ,
Die 20er Jahre brachten eine Wandlung im landwirtschaft-
lichen Wirtschaftssystem durch die Einführung des Hackfrucht-
baues, zumal des Kartoffelbaues im großen Stile, ein Verdienst
Albrecht Thaers, auf den auch die Begründung einer rationellen
Viehzucht, besonders der Schafzucht, zurückzuführen ist, welche
manche Gutswirtschaft in jenen Jahren allein vor dem Unter-
gang zu retten vermochte'). Der Bruch mit dem überkommenen
^) Der Baron Chaptal, Minister Napoleons, war selbst ein hervor-
ragender Chemiker und Ingenieur und betrieb mit großem Erfolg eine
der bedeutendsten Rfibenzuckerfabriken. Sein Werk: De Tindustrie
Fran^alse, Paris 1819.
*) A. Orth, Die Landwirtschaft zur Zeit Thaers, Festrede, 1906.
"ü
Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 7
System der Dreifelderwirtschaft^ der sich nun vorbereitete, fährte
zu einer Krise, wie sie in der Landwirtschaftsgeschichte vielleicht
einzig dasteht Die immer schwierigere Lage des Qrofigrund-
besitzes drängte unter dem anschwellenden Zustrom anlage-
suchender Kapitalien — die Erscheinung einer steigenden Aktivi-
tät der Handelsbilanz — • zu einem lebhaften Obergang der Güter
in die Hand des kapitalkräftigen, an Initiativen starken Bärger-
tums. Daraus erklärt es sich zum Teil schon, dafi sich nun
vorzugsweise kaufmännische Kreise fttr die Rübenzuckerindustrie
zu interessieren begannen. Diese Tatsache erscheint um so ver-
ständlicher, als schwere materielle Verluste, zum Teil noch aus
den Kriegsjahren, der deutschen Landwirtschaft eine Sammlung
ihrer Kräfte empfahlen. Bei dem allgemeinen Mißtrauen, mit
der man ihr nun begegnete, fehlte ihr vielfach der Kredit zur
Begründung eines Betriebszweiges, der nicht die Sicherheit un-
bedingter Rentabilität in sich barg, der vielen tU>er den Rahmen
eines landwirtschaftiichen Betriebs hinausging und die Gefahr
einer Zersplitterung der Kräfte in sich zu schließen schien.
I^e preußische Regierung war wie die österreichische ein-
sichtsvoll genug, wie einst Frankreich Sachverständige in Achards
Fabrik entsandt hatte, solche jetzt in die französischen Rüben-
gegenden zum Studium des Anbaues und der Fabrikation zu
entsenden. Das fabrikative Moment stand dabei durchaus im
Vordergrund, kein Wunder in einer Zeit, in welcher der Fabrik-
betrieb in allerlei Gewerben auch im industriearmen Preußen
seinen Eintritt vorbereitete und die ersten Eisenbahnen das Land
durchschnitten. Wir werden sehen, daß sich daraus das Kolorit
ergibt für die erste Entwickelungsepoche der deutschen Rüben-
zuckerindustrie. Mit Hilfe einer marktschreierischen Reklame, die
damals allgemeines Aufsehen erregte, gelang es, die deutsche
Zuckerindustrie neu zu begründen. 1834/5 waren in Preußen
schon 17, im ganzen Zollverein 21 Fabriken in Betrieb und 44
bezw. 66 weitere in Aussicht genommen. 1836/7 gewannen die
122 Betriebe des Zollvereins nach einer nichtamtlichen Berechnung
aus 253462 dz Rüben 14080 dz Rohzucker, entsprechend einer
Ausbeute von etwa 5,55 o/o. Aus diesen höchst bescheidenen
Anfängen ging in fast ununterbrochenem Wachstum die im
heutigen nationalen Wirtschaftsleben so bedeutsame deutsche
Rübenzuckerindustrie hervor.
Wenn heute in den kontinentalen Ländern Europas von der
8 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie.
Zuckerindttstrie die Rede ist^ so handelt es sich dabei, abgesehen
von den ganz geringen Mengen Zuckerrohr, die in den süd-
lichen Teilen Spaniens zur Zuckergewinnung gebaut werden^),
und abgesehen von den Betrieben, welche nur Rohrzucker raffi-
nieren, -— ihre Zahl ist auf dem Kontinent äußerst gering, in
Deutschland gibt es, soweit bekannt, überhaupt kein derartiges
Unternehmen — um die fabrikmäßige Darstellung und Ver-
arbeitung vom Zucker der Zuckerrübe. Infolgedessen stehen wir
nicht an, die Rübenzuckerindustrie in Deutschland schlankweg
als die Zuckerindustrie zu bezeichnen.
Die Zuckerindustrie rechnet man, soweit sie sich mit der
Darstellung des Rohzuckers befaßt, in der Regel auch zu den
landwirtschaftlichen Nebengewerben. Diese sind dadurch ge-
kennzeichnet, daß sie die aus dem Boden als Produktionsmittel
erzeugten Produkte im Anschluß an einen landwirtschaftlichen
Betrieb einem Veredelungsprozeß unterwerfen. Der wirtschaft-
liche Vorteil dessen ist darin zu erkennen, daß der Landwirt den
Gewinn der Urproduktion den der gewerblichen Produktion hin-
zufügt, und daß das Auftreten zweier Faktoren, welche zusammen
den Gewinn darstellen, ihm größere Beweglichkeit in der Aus-
gestaltung seines Produktionsplans gibt, größere Kapitalsanlage
begünstigt und Kapital und persönlicher Qualifikation ein weiteres
Feld der Entfaltung erschließt, als es bei einem einstufigen Pro-
duktionsprozeß meist der Fall ist. Die volkswirtschaftlich-theo-
retische Motivierung dieser Kombination von Betriebswirtschaften
besteht indes darin, daß die Urproduktion als solche unter dem
Gesetz des abnehmenden Bodenertrages steht, die industrielle
hingegen von dem Gesetz des zunehmenden Ertrages bei
Kapitalsmehraufwand beherrscht wird, woraus die Möglichkeit
folgt, die beiderseits vorhandenen ertragsfeindlichen, aber akkom-
modationsfähigen Faktoren in die jeweils günstigsten Wechsel-
beziehungen zu setzen und wenigstens zum Teil gegenseitig aus-
zugleichen.
Als landwirtschaftliche Nebengewerbe treten in unserer
heutigen nationalen .Wirtschaftsverfassung vornehmlich auf die
Zuckerindustrie, soweit sie Rüben verarbeitet, das Brennerei-,
^) Spanien produziert etwa 30000 t Rohzucker iährlich.
Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 9
Bierbrauerei- uikI in begrenztem Maßstab noch das MfiUerei-
gewerbe. Während die Rüben veraibeitende Zuckerindustrie
wegen ihres einheitlichen Rohstoffes und seiner spezifischen Be-
schaffenheit sich von der landwirtschaftlichen Basis nicht los-
zulösen in der Lage war, womit übrigens nicht gesagt ist, daß
der Zuckerfalmkant notwendigerweise auch Rubenbauer sein muB,
hat die Brennerei diesen TrennungsprozeS bis zu gewissem Orade
durchgemacht: 1831 lagen 31,9 o/o, 1851 51,3 o/o, 1865 54,9 o/o aller
Betriebe in den Städten. In augenfälligster Weise ist diese Los-
lösung beim Brauerei- und MtUlereigewerbe erfolgt^). Der Grund
für diese allgemein beobachtete Erscheinung ist hier in der
kapitalistischen Produktionsweise zu suchen, die bei der Müllerei
durch Besteuerung überhaupt keine künstUdie Beschränkung, bei
der Brauerei') erst eine solche in jüngster Zeit in Deutschland
erfuhr, wie sie in viel entwickelterem Maße längst bei der
Brennerei üblich ist. Der natürliche Entwickelungsgang gipfelte
bei der Müllerei und Brauerei im Zeitalter kapitalistischer Wirt-
schaftsordnung fast ungehindert im Qroßbetrieb dergestalt, daß
er anstelle der im allgemeinen unerheblich genutzten motorischen
Kraft von Wind und Wasser die künstlich im Dampfmaschinen«
Zylinder erzeugte setzte, und damit vermöge der so gewonnenen
höheren Regulierfähigkeit und der Möglichkeit reichlicherer Kom-
. bination innerhalb der ganzen Wirtschaftsgruppe das ökonomische
Prinzip in höchster Entfaltung zum Durchbruch brachte. Diese
Evolution ist aber an eine verkehrsgünstige Lage der Produktions-
stätte geknüpft, die nach Aufgabe des ehedem nahezu mono-
polistisch beherrschten lokalen Marktes bei der Mannigfaltigkeit
der Zusammensetzung, Gewichts- und Wertverteilung der Pro-
duktions- (Roh-, Hilfs-) und Fertigstoffe diese Industriezweige
in das Weichbild der Stadt drängt.
Während das kapitalistische Wirtschaftsprinzip bei der land-
wirtschaftlichen Brennerei zumal durch steuergesetzliche Maß-
^) Statistischer Ausweis bei A. Meitzen, Der Boden und die land-
wirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staats, Bd. 4.
■) Das Reichsbrausteuergesetz von 1906 staffelte die Malzvermah-
lungssteuer von 4 Mk. pro Doppelzentner Brechmalz bei Verbrauch bis
zu 250 dz, bis zu 10 Mk. pro Doppelzentner bei 7000 dz und mehr Ver-
brauch. In Bayern zahlen seit 1889 die Brauereien, die unter 6000 hl
Malz verarbeiten, 5Mk. für die ersten 5000 hl, Brauereien von 10000 bis
40000 hl Malzverbrauch zahlen 5,25 Mk., solche von mehr als 40000 hl
6,50 Mk.
10 Zur Vorgeschichte der deutschen Zfickerindustrie.
nahmen systematisch dm-chbrochen wird, bei Brauerei und MfiUerei
wesentlich ungetrübter zum Ausdruck gelangt ist und wegen
der Verschiedenartigkeit der Produktions- und Absatzbedurfnisse
ein ,,Zug zur Stadt'' im allgemeinen begünstigt wird, tritt bei
der Zuckerindustrie, soweit sie sich mit der Rübenverarbeitung
befaßt, die Erscheinung kapitalistischer Wirtschaftsweise in Ver-
bindung mit einer natürlichen Oebundenheit an den Boden als
Produktionsmittel auf. Wir beobachten hier die durch Wechsel-
wirkungen mancherlei Art ausgezeichnete Verbindung einer hoch
entwickelten Form landwirtschaftlicher Urproduktion mit einer
heute sehr weit vorgeschrittenen Stufe gewerblicher Produktion.
Es soll die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung sein, die
deutsche Zuckerindustrie hinsichtlich ihres spezifisch technischen
Werdegangs und ihrer davon berührten Oestaltung im Rahmen
der deutschen Volkswirtschaft zu untersuchen.
■«:- - ^^^m
l Abschnitt
Die technische Entwicklung und ihr Einfluß auf die deutsche
Zuckerindustrie.
I. Die vorkapitalistische Periode.
1. Kapitel.
Die alte and die neue Zuckerindnstrie.
Die deutsche Zuckerindustrie^) in ihrer heutigen Gestaltung
umfaßt folgende als typisch zu bezeichnende Betriebsformen:
1. Die Rohzuckerfabrik. Sie befaßt sich mit der fabrikmäßigen
Darstellung des Rohzuckers aus der Rübe. Ihr obliegt
also immer die Rübenverarbeitung.
2. Die Zuckerraffinerie. Ihr fällt die fabrikmäßige Veredlung
des zum menschlichen Genuß noch unbrauchbaren Roh-
zuckers zu Konsumware und die Überführung derselben in
die vom Konsum bevorzugten Formen zu. Zu dem Zweck
bringt sie den Rohzucker nochmals zur Auflösung. Für
das Hauptprodukt des Raffinationsprozesses, die Raffinade,
ist dieser Lösungsprozeß das Kriterium.
3. Die Weißzuckerfabrik. Ihr Ziel ist die Darstellung eines
Konsumszuckers aus der Rübe ohne vorherige Rohzucker-
gewinnung. Das so gewonnene Erzeugnis ist meist minder-
wertiger als das im Auflösungsprozeß der Raffinerie ge-
wonnene.
^) Für die folgenden Betrachtungen dienten als Grundlage haupt-
sächlich: Die Zeitschrift des Vereins der deutschen Rübenzuckerindustrie,
1850—1907; Dr. Edmund v. Lippmann, Festschrift anläßlich des 50 jährigen
Bestehens des Vereins der deutschen Zuckerindustrie, 1900; Dr. A. Rümp-
1er, Handbuch der Zuckeriabrikation, 1906. Soweit es der Zusammen-
hang erforderte, ist auf Spezialwerke verwiesen.
12 Die alte und die neue Zuckerindustrie.
Als komplementäre Form tritt zu diesen Typen
4. Die Melassenentzuckerungsanstalt Ihre Aufgabe ist es, aus
dem Abfallprodukt der vorgenannten Betriebsformen, der
Melasse, auf chemischem Wege einen Teil des in ihr vor-
handenen, durch Kristallisation nicht mehr mit Vorteil aus-
bringbaren Zuckers zu gewinnen. — Übrigens sei hier gleich
erwähnt, daß der Begriff Melasse keineswegs ein stationärer
ist. Die Melasse ist als die letzte Mutterlauge von der Kristal-
lisation des Zuckers in ihrer Zusammensetzung in hohem
Maße abhängig von dem Nichtzucker-, insbesondere dem
Salzgehalt der zur Kristallisation gelangenden Lösung und
deshalb von der Beschaffenheit der Rüben stark beeinflußt^).
Nun bestehen jene Betriebstypen verhältnismäßig selten ganz
rein nebeneinander. Es tritt eine ganze FfiUe einfach und mehr-
fach zusammengesetzter Betriebsformen im Entwicklungsgang der
deutschen Zuckerindustrie auf, deren praktische Bedeutung zu
den verschiedenen Zeiten eine recht wechselvolle war. Wir werden
uns mit ihnen noch eingehend zu befassen haben.
Seit dem Jahre 1841 bestehen über die Rübenzuckerproduktion
des deutschen Zollvereins bezw. des deutschen Reiches inkl.
Luxemburg amtliche Aufschreibungen, für die Zeit von 1 836-— 40
liegen solche von ernsthaften Statistikern vor, die sicherlich ge-
wisse Abweichungen vom jeweiligen Tatbestande enthalten, wegen
der großen Bedeutung jenes Zeitabschnittes für die Oesamtent-
wicklung aber wohl nicht übergangen werden dürften. Die Ober-
sicht Seite 13 und 14 umfaßt alle Rüben verarbeitenden Fabriken;
wegen der bestehenden Betriebskombinationen aber erschien es not-
wendig, die produzierte Zuckermenge mit Einschluß, die Ausbeute-
ziffer hingegen mit Ausschluß der wenigen Melasseentzuckerungs-
^) Um einen Maßstab für ihre Bewertung zu gewinnen, hat man
den sog. Reinheitsquotienten eingeführt, einen Begriff, den man auf alle
auftretenden Zuckerlösungen übertragen hat. Unter diesem Quotienten
wird die Zahl verstanden, welche den Prozentgehalt der Trockensub-
stanz eines Saftes oder einer andern zuckerhaltigen Substanz an Zucker
angibt. Stellt R den Reinheitsquotienten dar, T den Trocken- und Z
den Zuckergehalt, so ist R = ^^^. Der Quotient der im Handel
vorkommenden Malassen bewegt sich heute meist zwischen 57 und 65.
Sie enthalten noch vielfach eine Zuckermenge, die bei geeigneter Be-
handlung durch Kristallisation zu gewinnen wäre, doch ist sie zu gering,
um die Kosten des Ausbringens zu lohnen. — Vergl. Dr. A. Rfimpler,
Handbuch der Zuckerfabrikätion, Braunschweig 1906, S. 95, 150, 437 ff.
Die alte und die neue Zuckerindustrie.
13
Betrieb und Ausbeute der deutschen Zuckerfabriken
von 1836 bis 1906.
In den Be-
Pro Fabrik
Pro Fabrik
worden
dnrcli-
Zur Dar-
ZabI
An grOnen
triebMu-
worden
stellung von
Betriebs-
der
ROben wur-
stalten wor-
durch-
sclinittlich
1 leg Roh-
zocker
titigen
den ver-
den gewon-
sclinituicli
an Zocker
Jahr
Be-
arbeitet
nen in Roh-
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gewonnen
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triebe
Mill. dz
zuclcerwert
1000 dz«)
verarbeitet
1000 dz
in Roh-
zockerwert
1000 dz
ben erfor-
derlich
kg»)
1836/37
122
0,25
14
2,1
0,12
18,00
1837/38
156
1,38
77
8,9
0,49
18,00
1838/39
159
1,45
82
9,1
0,51
17,80
1839/40
152
2,20
127
14,5
0,83
17,40
1840/41
145
2,41
142
16,6
0,98
17,00
1841/42
135
2,57
157
19,0
1,66
16.30
1842/43
98
1,24
77
12,6
0,79
16,00
1843/44
105
2,17
143
20,7
1,36
15,20
1844/45
98
1,95
130
19,8
1,32
15,00
1845/46
96
2,23
152
23,2
1,58
14,70
1846/47
107
2,82
201
26,3
1,88
14,00
1847/48
127
3,84
268
30,2
2,11
14,30
1848/49
125
4,95
359
34,1
2,47
13,80
1849/50
148
5,76
424
38,9
2,86
13,60
1850/51
184
7,36
533
40,0
2,90
13,80
1851/52
234
9,18
631
39,1
2,70
14,50
1852/53
238
10,86
848
45,6
3,59
12,80
1853/54
227
9,23
710
40,7
3,13
13,00
1854/55
222
9,59
786
43,2
3,54
12,20
1855/56
216
10,92
874
50,5
4,04
12,50
1856/57
233
13,78
1036
59,1
4,45
13,30
1857/58
249
14,46
1204
58,1
4,88
12,00
1858/59
257
18,33
1444
71,3
5,67
12,70
1859/60
256
17,20
1458
67,2
5,69
11,80
1860/61
247
14,68
1265
59,4
5,12
11,60
1861/62
247
15,85
1258
64,2
5,09
12,60
1862/63
247
18,36
1380
74,3
5,59
13,30
1863/64
253
19,96
1512
78,9
5,98
13,20
1864/65
270
20,82
1707
77,1
6,32
12,20
1865/66
295
21,73
1807
73,6
6,29
11,70
1866/67
296
25,36
2012
85,7
6,80
12,60
1867/68
293
20,30
1650
69,3
5,63
12,30
1868/69
2%
24,98
2061
84,7
7,06
12,00
1869/70
296
25,85-
2172
87,3
7,34
11,90
^) Auschließlich Meiasseentzuckerungsanstaiten.
') EinschiielSlich Meiasseentzuckerungsanstaiten.
*) Ausschliefiiicli der Gewinnung in Zuckerfabriken oline Rfibenver-
art>eitung.
14
Die alte und die neue Zuclcerindustrie.
Zahl
der
Ao grfinen
ROben wur-
In deoBe-
triebMü-
sUlten wur-
Pro Fabrik
worden
durch-
Pro Fabrik
wnrden
dnrch-
schnittlicb
Zur Dar>
Stellung Ton
1 kg Roh-
BeMebs-
atigen
den Terar-
den (ewon-
schnittlich
an Zucker
zacker
waren RO-
]«lir
Be-
beitet
nen In Rob-
an ROben
gewonnen
triebe«)
MiU. dz
zttckerwert
1000 dx*)
verarbeitet
1000 dz
in Roh-
zuckerwert
1000 dz
ben erfor-
dertich
kg«)
1870/71
304
30,51
2630
100,4
8,65
11,60
1871/72
311
22,51
1864
74,9
5,99
11.90
1872/73
324
31,82
2626
98,2
8,10
12,30
1873/74
331
35,29
2910
106,7
8,79
12,22
1874/75
333
27,57
2564
82,8
7,70
10,99
1875/76
332
41,61
3580
122,3
11,09
11,62
1876/77
328
35,50
2909
108,2
8,82
12,27
1877/78
329
40,91
3805
124,3
11,49
10,82
1878/79
324
46,29
4302
142,9
13,15
ia86
1879/80
328
48,05
4154
146,2
12,48
11,74
1880/81
333
63,22
5730
190,7
16,69
11,37
1881/82
343
62,72
6223
190,0
17,48
10,46
1882/83
358
87,47
8489
2443
26,03
10,51
1883/84
376
89,18
9606
237,2
25,00
9,49
1884/85
408
104,03
11467
255,0
27,53
9,26
1885/86
399
70,70
8381
177,2
20,15
8,75
1886/87
401
83,07
10183
207,1
24,58
8,43
1887/88
391
69,64
9589
178,1
23,29
7,65
1888/89
396
78,96
9909
196,9
23,85
8,36
1889/90
401
98,23
12614
244,9
30,27
8,09
1890/91
406
106,23
13362
261,7
31,64
8,27
1891/92
403
94,88
11980
235,4
28,40
8,29
1892/93
401
98,12
12308
244,7
29,22
8,37
1893/94
405
106,44
13660
262,8
32,51
8,10
1894/95
405
145,21
18280
358,5
43,62
8,23
1895/96
397
116,73
16371
294,0
38,73
7,63
1896/97
399
137,21
18212
343,9
43,58
7,90
1897/98
402
136,96
18444
340,7
43,66
7,80
1898/99
402
121,51
17224
302,3
40,47
7,43
1899/1900
399
124,39
17955
311,8
42,38
7,37
1900/01
395
132,54
19791
335,5
47,46
7,07
1901/02
395
160,13
23022
405,4
55,25
7,34
1902/03*)
393
112,71
17891
286,8
41,87
6,85
1903/04
384
126,77
19211
330,1
47,46
6,96
1904/05
374
100,71
16054
269,3
40,19
. 6,70
1905/06
376
157,26
24008
418,3
61,56
6,80
1906/07
369
141,72»)
22000»)
^^ Ausschließlich Melasseentzuckerungsanstalten.
■) Einschliefilich Melasseentzuckerungsanstalten.
*) Ausschließlich der Gewinnung in Zuckerfabriken ohne Rüben-
verarbeitung.
^) Betriebsjahr 1902/03 umfaßt 13 Monate. — ^) Näherungsweise.
Die alte und die neue Zuclcerindttstrie. 15
anstalten anzugeben. Denn das Ausbeuteverhältnis dieser letzteren
ist ein vollständig andres als das der Rüben verarbeitenden Be-
triebe. Es würde daher das Ergebnis dieser entstellen.
Außerdem mufi hier noch auf einen Punkt hingewiesen
werden. Jene Zahlenreihen, welche mit der Zuckergewinnung
in Verbindung stehen, haben schon deshalb keinen Anspruch
auf absolute Genauigkeit, weil, wie im S.Abschnitt gezeigt werden
wird, der Begriff Rohzucker ähnlich wie der der Melasse keines-
wegs ein zu irgend einer Zeit fest umschriebener war und andrer-
seits das Reduktionsverhältnis für die Umrechnung z. B. der
Raffinade auf Rohzucker nur auf Qrund roher Schätzung von den
Statistikern ermittelt wurde. — Trotz dieser grundsätzlichen Un-
zulänglichkeiten beansprucht die tabellarische Oberschau Interesse
wegen der einzigen Möglichkeit, die Entwicklung der deutschen
Zuckerindustrie im Zusammenhang zahlenmäßig vor Augen zu
führen. Charakterisiert ist sie durch dreierlei. Man erkennt
1. Ein enormes Anschwellen des jährlich verarbeiteten Roh-
materials. Den 2,2 Mill. dz für 1839/40 stehen für 1905/0
157,3 Mill. dz Rüben gegenüber. Die allgemeine Hebung der
Wirtschaftsverhältnisse durch intensiveren Betrieb kenn-
zeichnet diese Erscheinung.
2. Ein Anwachsen der Betriebsgröße; bis 1898 erfolgt dies
vorwiegend auf Kosten der verarbeiteten Mengen, seitdem
auf Kosten der Zahl der Betriebe:
1839/40 verarbeite v. 152 Fabrik, jede im Durchsch. 14 493 dz
1871/72 „ „311 „ „ „ „ 74852 „
1905/06 „ „ 376 „ „ „ „ 418256 „
Noch stärker kommt diese Bewegung zum Ausdruck
in den täglich verarbeiteten Rohmaterialmengen. Achards
Idealfabrik war für eine Tagesleistung von 35 dz berechnet
Als Durchschnitt aus allen deutschen Rüben verarbeitenden
Fabriken ergeben sich für den 24stündigen Betrieb folgende
Ziffern:
1870/1 700 dz 1890/1 2680dz 1905/6 5220 dz
1880/1 1540 dz 1900/1 4500 dz
Hieraus erkennen wir das Auftreten einer ausgesprochen
groBbetrieblichen Entwicklung.
3. Eine Besserung der Ausbeuteziffer. Zur Darstellung von
1 dz Rohzucker wurden im Durchschnitt benötigt an Rüben
(ohne Melasseentzuckerung) :
i6 Die alte und die neue Zuckerindustrie.
1839/40 17,40 dz 1890/1 8,27 dz
1870/1 11,60 dz 1905/6 6,80 dz
In diesen Zahlen spiegelt sich die Frucht des technischen
Fortschritts, welcher auf dem Gebiete der Urproduktion und
dem der fabrikmäßigen Verarbeitung lerzielt wurde.
Im Folgenden werden wir darzulegen haben, aus welchen
Umständen heraus sich diese Tatsachen entwidceln konnten,
später aber wird von den Wirkungen die Rede sein, welche
sich daraus für die mit ihnen in Zusammenhang stehenden be-
sonderen Wirtschaftssphären ergaben.
Die tabellarische Obersicht über die äußere Erscheinung der
groBbetrieblichen Entfaltung umfaßt lediglich die Rüben ver-
arbeitenden Betriebe. Das erklärt sich aus der Eigenart des
Zusammenhangs zwischen Rohzuckergewinnungs- und Raffi-
nationsindustrie und aus der zeitlichen und räumlichen Verschieden-
heit ihrer Entstehung. Tatsächlich wird die deutsche Zuckerindustrie
mit dem Hinzutreten der Rohzuckerproduktion zu dem überkom-
menen Rohrzuckerveredelungsprozeß in der Siederei bezw. Raf-
finerie auf eine vollständig neue Grundlage gestellt. Die Roh-
zuckerproduktion steht von der Zeit an unbestritten im Vorder-
grund. Das wird für vorliegende Darstellung maßgebend sein.
Die Zuckerraffinerie neueren Stils ist ein Vermächtnis aus
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts^). Wenige Jahre nach
Einführung der Kultur des Zuckerrohrs auf den westindischen
Inseln entstanden in den von der Natur prädestinierten Seehandels-
plätzen der den Oberseehandel beherrschenden Nationen der alten
Welt Raffineriebetriebe, die sich mit zunehmender Verbreitung
des Zuckers als Genußmittel sehr bald in die durch Zufahrt von
See bevorzugten erstklassigen Distributionszentren verpflanzten.
Seit Ende des 17. Jahrhunderts überboten sich die Länder des
europäischen Kulturkreises geradezu, durch ausgedehnte zoll-
politische Maßregeln ihre Etablierung im Binnenlande in die Wege
zu leiten. Das meerbeherrschende Holland hatte seit Ende des
^) Es wird dabei abgesehen von dem auf das Zeitalter der Kreuz-
züge zurückgehenden Raffineriegewerbe in Venedig, welches indischen
Rohzucker vorzugsweise verarbeitete, und dessen Reste um 1800 erst
verschwanden. Nach dem Verfall des orientalischen Handels blieben
Venedigs Raffinerien noch lange intakt. Sie kauften schon 1515 den
Rohzucker, indischen und amerikanischen, in Lissabon. — Vergl. Lipp-
mann, Geschichte des Zuckers; Rümpler, a. a. O., S. 2 ff.
Die alte und die neue Zuckerindustrie. 17
16. Jahrhunderts mit seinen großen Raffinerien in Amsterdam die
erste Stelle auf dem europäischen Zuckermarkt inne^). Seit dem
Zusammenbruch des holländischen Seehandels und der Erwerbung
überseeischer tropischer Besitzungen durch Frankreich und Eng-
land erwuchs nach und nach in allen Einzelstaaten diesem Oe-
werbszweig durch die merkantilistische Politik des absolutistischen
Regiments starke Unterstützung. Allenthalben wurde die Raffinerie
zum privilegierten Qewerbe, und frühzeitig setzte sich bei der
herrschenden Staatsdoktrin der Qedanke fest, durch Rückvergütung
des Eingangszolls bei der Ausfuhr und andere Vergünstigungen
die Produktion zu steigern. Am weitesten brachte es in dieser
Hinsicht zweifellos Frankreich, dem es gelang, den holländischen
Raffinerien den Rang abzulaufen, wobei ihm sein aufblühender
Handel sehr zu statten kam. Jenen war es zwar möglich, sich
einen großen Teil des östlich und nördlich gelegenen Absatz-
gebietes zu erhalten, aber immer mehr gerieten sie hinsichtlich
ihrer Rohzuckerzufuhr in die Abhängigkeit von dem französischen
Großhandel, als dessen bevorzugte Abnehmerin nunmehr die Stadt
Hamburg auftrat, die einen respektablen Anteil am nord- und
mitteleuropäischen Zuckerhandel schon in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts an sich zu reißen vermochte^) und im Gegen-
satz zu den meisten oberdeutschen Städten verhältnismäßig wenig
von den Stürmen des 30 jährigen Krieges mitgenommen war.
Die Wirtschaftsverfassung des neuzeitlichen Raffinerie*
gewerbes war nahezu allgemein die der Gewinnung des trans-
ozeanischen Rohmaterials: der Großbetrieb. Am häufigsten, be-
sonders im Binnenlande, bildete er die Folgeerscheinung des
Systems der persönlichen Monopole, so in Preußen nach Ver-
leihung eines Privilegs zur Errichtung von Siedereien an die
Familie Splittgerber, die 1749 zustande kam. Dazu leistete die
einfache Technik der Verarbeitung der großbetrieblichen Ent-
wicklung Vorschub. Die Bewältigung größerer Mengen beruhte
hier lediglich auf der Verwendung größerer bezw. zahlreicherer
^) Ehe Amsterdam eine Zuckerindustrie hatte, erblühte sie glänzend,
doch nur für kurze Zeit in Antwerpen. Antwerpener Kaufherren erhan-
delten auf dem Lissaboner Markt neben den Venetianern und den Ver-
tretern der oberdeutschen Kaufmannschaft ihren Bedarf an Rohware,
die sie zu Raffinade umarbeiteten und in ganz Nord- und Mitteleuropa
absetzten.
*) 1750 bestanden in Hamburg schon 365 Zuckersiedereien. Vgl.
auch 8.3.
Schttchart, Zuckerindustrie. 2
18 Die alte und die neue Zuckerindustrie.
Kochapparate und entsprechender Nebeneinrichtungen. Bei der
Einfachheit der Betriebsmittel begegnete ihr kaum eine physio-
logisch, d. h. in der Mehrverarbeitung begründete Schwierigkeit
Andrerseits begleitete die erhöhte Kapitalsinvestitur keinen höheren
Grad technischer Vollendung. Der allgemeine Stand der tech-
nischen Wissenschaft, wenn man von ihr überhaupt schon reden
konnte, war ja noch recht kümmerlich, dann aber ließ der Mono-
polcharakter der Industrie dem Unternehmer einen anständigen
Gewinn, ohne daß er auf Betriebsverbesserungen Wert zu legen
brauchte. Trotz ihres großbetrieblichen Charakters trägt die Wirt-
schaftsverfassung der Raffinerie bis in die 30 er Jahre des
19. Jahrhunderts kein annähernd kapitalistisches Gepräge. Die
„leiblich-individuelle Persönlichkeit des Wirtschaftssubjekts" be-
herrschte noch in althergebrachter Weise die Wesenheit des Wirt-
schaftsbetriebs, und von einer „Loslösung der Zwecke der Wirt-
schaftsform" von ihr, wie W. Sombart es ausdrückt, war nichts
zu erkennen. Bezeichnend für den Stil des Großbetriebs, wie
er bis zur Neubelebung der Rübenzuckerindustrie in Deutschland
in den Raffinerien vorwiegend bestand, ist, daß ihr die Homo-
genität mit der kleinbetrieblichen, handwerksmäßigen Form durch-
aus wesenseigen war.
Das Auftreten des Kleinbetriebs können wir nur in einem
generellen Falle feststellen. Dieser betrifft die Zuckersiedereien
in Hamburg. Die von merkantilistischen Tendenzen unberührte
Politik dieser Handelsmetropole hatte hier das Raffinationsgewerbe
zur Hausindustrie werden lassen. Die bedeutungslosen Fort-
schritte in der technischen Ausgestaltung ließen diese Bildung
wirtschaftlich vollkommen berechtigt erscheinen, zumal die ver-
kehrsgünstige Lage vor dem Hinterlande einen bedeutenden
Frachtvorsprung garantierte, soweit für den Absatz die See- und
Flußschiffahrt in Betracht kam, und eine Anzahl andrer, dem
Handelsverkehr und dem gewerblichen Betrieb der Siedereien
besonders förderlicher Umstände hier vorlagen 0. Die unter
einer freiheitlichen, nicht protektionistischen Handelspolitik empor-
gekommenen Hamburger Siedereien gewannen mit dem Eintritt
Hamburgs in den überseeischen Frachtverkehr nicht nur volle
Konkurrenzfähigkeit mit dem Großbetrieb, sondern sie eroberten
*) Vcrgl. Joh. Georg Bfisch, Schriften über die Handlung. — C. W.
Soldau, Die hamburgischen Zuckersiedereien in Hinsicht auf ihre Kon-
kurrenz, 182a — Röscher, Ansichten, 1878, 2. Bd., S. 39 ff.
Die alte und die neue Zuckerindustrie. 19
sich den Markt zumal gegen die Produkte holländischer Herkunft
durch die Superio^tät ihrer Ware.
In den so gekennzeichneten typischen Wirtschaftsformen trat
die Zuckerraffinerie, die alte Zuckerindustrie Europas, in das
19. Jahrhundert. Sie erhielten sich solange nebeneinander, bis
der auf der heimischen Scholle gebaute Rübenzucker den Markt
betrat und endlich in der Raffinationstechnik jener große Um-
schwung einsetzte, welcher die Anwendung des Dampfes zu
motorischen und Kochzwecken brachte. Dieser Zeitpunkt liegt
um das Jahr 1840.^
In der internationalen Wirtschaftsgeschichte gibt es wenige
Artikel, welche seit ihrem Auftreten in so ausgedehntem Maße
das Interesse der staatlichen Intervention an sich gefesselt haben
als der Zucker. Von den Maßnahmen, die Colbert 1681 zur
Begünstigung der französischen Raffinadeausfuhr traf, bis zum
letzten großen Akt in der aligemeinen protektionistischen Be-
handlung der Ausfuhr, der internationalen Brüsseler Konvention
1902 reiht sich Glied an Glied in der Kette handelspolitischer
Eingriffe in den Rohzucker gewinnenden und verarbeitenden Groß-
staaten Europas. Besondere Lebhaftigkeit entwickelte die Legis-
lative seit dem Auftreten des Rübenzuckers auf dem heimischen
Markt vor allem im deutschen Zollgebiet. Indem wir es unter-
nehmen, den Einfluß der technischen Entwicklung für die volks-
wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Zuckerindustrie festzu-
stellen, dient als natürliche Ausgangspunkt die jeweilige Stellung
der Staatsautorität ihr gegenüber. Denn es gehört zum Wesen
der auf Arbeitsteilung und Tausch beruhenden neuzeitlichen Wirt-
schaftsordnung, daß der technische Fortschritt immer dem öko-
nomischen Prinzip untergeordnet ist und daß dadurch eine Be-
schränkung desselben auf den Wirtschaftsbereich geschaffen wird,
welchen die Staatsintervention durch Zoll- bezw. Steuerabgaben
und -Vergünstigungen scharf umgrenzen. Unter diesem Gesichts-
punkt gliedern wir die Entwicklung der modernen deutschen
Zuckerindustrie in drei Hauptepochen, welche man kurzweg als
die liberale, merkantilistische und entwickelt kapitalistische be-
zeichnet hat*)
C. F. W. Dieterici, Statistische Obersicht, 1842, S. 92.
•) Vergl. P. Leusch, Die Wandlungen in der Verfassung der Zucker-
indttstrie. Diss., 1900.
20 Die Zeit von 1802 bis 1840.
2. Kapitel.
Die Zelt von 1802 bis 1840.
Um die handelspolitischen MaBnahmen der preuBischen Re-
gierung würdigen zu können, die sich gleichzeitig mit Osterreich
für die Begründung einer Rübenzuckerindustrie lebhaft inter-
essiert hatte, erscheint es geboten, sich ihre wirtschaftspolitische
Situation in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu
vergegenwärtigen.
Es ist ein unbestrittenes Verdienst der klassischen Schule
der Nationalökonomie gewesen, den auf dem Boden des Feu-
dalismus erstandenen morschen Bau des Merkantilsystems in den
europäischen Nationalstaaten mit wuchtigen Schlägen zertrümmert
zu haben. In den Wirbelstürmen, welche die französische Re-
volution in den führenden Köpfen hervorgebracht hatte, wurde
ein neuer Geist geboren, der nicht mehr in die überkommenen,
zum Schema erstarrten Formen paßte und sich gegen sie energisch
zur Wehr setzte. Der Traum Adam Smiths von der Entfesselung
aller Produktivkräfte unter dem Schutze der allein seligmachenden
Freiheit der Konkurrenz verdichtete sich am frühesten zur Wirk-
lichkeit in dem wirtschaftlich schon hochentwickelten britischen
Inselreiche. Aus den schweren kriegerischen Verwicklungen des
18. Jahrhunderts war es ohne nachhaltige wirtsdiafÜiche Schädi-
gung, von mancherlei Schlacken gereinigt, hervorgegangen. Unter
dem Grundsatz des laisser-faire wob sein Handel ein immer
dichteres Netz über die alte und über die neue Welt, indem der
Verlust der nordamerikanischen Besitzungen eher" einer Förderung
als einer Schädigung der nach dort führenden Handelsbeziehungen
gleichkam, ein scheinbares Paradoxon. Überraschend kraftvoll ent-
faltete sich im engsten Anschluß an den Oberseehandel die
Industrie im Stile des Fabriksystems: England, die Werkstätte
der Weltj überflutete mit seinen Waren in unerhörter Weise den
kontinentalen, speziell den deutschen Markt.
In Deutschland standen gerade die Friedensjahre nach den
napoleonischen Kriegen im Zeichen tiefer wirtschaftlicher De-
pression; die deutsche Landwirtschaft erlebte im dritten Jahr-
zehnt Jahre einer überaus schweren Krise, welche wohl haupt-
sächlich dazu beitrug, daß die bureaukratisch-freihändlerisdie
preußische Politik sich dafür entschied, die mit großen Opfern in
der merkantilistischen Ära emporgezüchteten Industrien schütz^
Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 21
los der ausländischen Konkurrenz zu überantworten. Während
diese ungehindert über die Grenzen hereinflutete, behinderten
zahllose ZoUinien im Innern auf Schritt und Tritt Handel und
Verkehr.
Der unter dem Eindruck militärischer und politischer Macht-
losigkeit unternommene Versuch der preußischen Staatsregierung,
die größtmögliche Steigerung aller Produktionsfaktoren dadurch
zu erzielen, daß sie dem einzelnen die wirtschaftliche Möglich-
keit zu geben suchte, zu seinem individuellen Vorteil zu arbeiten
— der Oedankeninhalt der 1809 und 1811 erschienenen Gesetze
betr. die Befreiung der Person, die Beseitigung der Beschrän-
kungen, Verleihung des Eigentums und privaten Besitz — wurde
schon 1816 gegenüber dem Widerstände der Grundherren auf-
gegeben. Erst von er. 1830 ab stellten sich in E)eutsch!and all-
gemein wieder stabilere Verhältnisse ein. Preußen war es zuerst,
welches seine Politik um ein bestimmtes Ziel zu konsolidieren
vermochte. E)er erste Schritt dazu war die Zollordnung des Jahres
1818. Sie fand in der Begründung des deutschen Zollvereins 1834
ihren vorläufigen Abschluß. Das so geschaffene einheitliche Wirt-
schaftsgebiet gab in Zusammenhang mit der lebhaften Bevölke-
rungszunahme jenen Boden ab, auf dem die Saat des nun er-
wachenden kapitalistischen Geistes einst reifen konnte, wenn auch
jene Generation von dem Hauche kapitalistischen Wesens so
gut wie unberührt noch blieb.
Um sich der steigenden Abhängigkeit von den gewerblichen
Produkten Englands zu erwehren und als ein Präventivmittel
gegenüber der in manchen Landesteilen beängstigend auftretenden
Auswanderung nach den Vereinigten Staaten, erschien der in
Deutschland herrschenden Staatsdoktrin des 3. und 4. Jahrzehnts
die Neubelebung des heimischen Gewerbefleißes äußerst not-
wendig, i) Dem nun gemäßigt freihändlerischen Charakter der
preußischen Staatspolitik widersprach jetzt der Zollschutz indu-
strieller Produkte im pädagogischen Sinne der durch Friedrich
List vertretenen Richtung immer weniger. Von dieser Grund-
stimmung ist die Politik der preußischen Regierung getragen,
die sie gegenüber der seit 1830 neu begründeten Rübenzucker-
industrie einschlug.
») Ludwig Wilkens, Die Erweiterung und Vervollkommnung des
deutschen Gewerbebetriebs, 1847.
22 Die Zeit von 18Q2 bis 1840.
Aus ihren merkantilistischen Tendenzen gegenüber den durch
persönliche Monopolien begünstigten Rafßnerien leitete sich
folgende zollpolitische Situation her. Um den Raffinations-
produkten einen über Weltmarktspreis gelegenen Orundpreis zu
garantieren, lagen auf dem Zentner eingeführten Rohrzuckers nur
4 Tlr. Zoll, falls er in Raffinerien zur Weiterverarbeitung ging,
auf dem Zentner Raffinade hingegen 10 Tlr., die indes bei der
Ausfuhr voll zurückerstattet wurden. ^ Im Augenblick, in dem
der inländische Rübenzucker aber an den Markt trat, genoß dieser
nicht nur den vollen Zollschutz des Halbfabrikats, sondern durch
seine Verarbeitung im eignen Betrieb und die Ausschaltung des
Zwischenhandels war die Begünstigung in der Tat eine den
Raffinerien nachteilige. Die auf das Hochhalten der Preise ge-
richtete Preispolitik der letzteren leistete der Konkurrenz der
Rübenzuckerfabriken nur Vorschub, und der Oesamteffekt war,
daß, ohne daß je eine amtliche Aufliebung des Privilegs erfolgte,
dasselbe praktisch immer wertloser wurde.') Der Zolltarif von
1831 brachte die schutzzöUnerische Richtung der preußischen
Regierung endgültig zur Entwicklung: der Einfuhrzoll auf dem
für Raffinerien bestimmten Rohzucker wurde auf 5 Tlr., der auf
Raffinade auf 11 Tlr. festgesetzt unter gleichzeitiger Reduktion
des Zolls auf Haibraffinade, dem sog. Lumpenzucker'), von 10
auf 5 Tlr. Durch die nun einsetzende Steigerung des Imports
in letzterem Artikel, der wegen seiner Wohlfeilheit mehr und
mehr ohne weiteres in den Konsum wanderte, wurde die im
Status nascendi begriffene inländische Rübenzuckerindustrie
energisch zur Verbilligung ihrer Produkte angespornt, viel leb-
hafter als die Raffinerie, welche in Preußen eben den ersten Ver-
such machte, sich aus ihrem traditionellen Schlendrian aufzuraffen,
um nicht durch ihre rückständige Technik gänzlich ins Hinter-
treffen zu geraten.
^) Ganz anologe Bestimmungen bestanden in Frankreich aus der
Regierungszeit Colberts (1662—83), die den Sinn einer versteckten Aus-
fuhrprämie hatten; von 1786 bis 1806 trat dazu noch eine offene Aus-
fuhrprämie im Betrage von 4 Frs. auf den Zentner Raffinade.
•) P. Leusch, a. a. O. S. 42.
*) Lumpenzucker (von engl, lump = Masse, Klumpen) stellt eine
ganz grobe, nur oberflächlich raffinierte Ware dar, welche durch Ein-
kochen von Rohzucker und Ablaufenlassen des Sirups erhalten wurde.
Sie kam in losen Stücken in den Handel.
Die Zeit von 1802 bis 1840. 23
Der Streit, den der Zoll auf Lumpenzucker holländischer Her-
kunft unter den Bundesstaaten entfesselte, stellte den soeben
gegründeten Zollverein auf eine harte Probe. Die 1837 erfolgte
Fixierung jenes Zolls auf 11 Tlr. brachte der Rübenzuckerindustrie
einen fabelhaften Aufschwung; ihm ist es zuzuschreiben, daB die
endgültige trotz äußersten Widerstandes 1839 durchgesetzte Her-
absetzung auf 5Vs Tlr. sie nicht mehr nachhaltig zu schädigen
vermochte. Durch das Wachstum der inländischen Produktion
war indessen der Zollkasse ein bedeutender Ausfall entstanden,
betrug doch im Königreich Preußen der Zuckerzoll 1829—31
25,2 o/o der gesamten Zolleinnahmen. Die Notwendigkeit, zur
E>eckung des I>efizits andere Hilfsquellen zu erschließen, wurde
immer dringender. Das Ergebnis längerer Verhandlungen war eine
von den Einzelstaaten überwachte „Kontrollabgabe" von 6 Pfg,
pro Doppelzentner Rüben, die 1840 in Kraft trat, und mit der
man die Absicht verband, für eine einträgliche Besteuerung der
Rübenzuckerindustrie die notwendigen Unterlagen hinsichtlich der
Wahl des Besteuerungsmodus sich zu verschaffen.
Wie äußerten sich nun die von liberalem Geist getragenen
staatlichen Maßnahmen auf die Zuckerindustrie im allgemeinen?
Ehe wir dieser Frage näher treten, werfen wir auf Achards Betrieb
in Cunern einen Blick. Obgleich es erwiesen ist, daß schon
Jahrzehnte vorher besonders bäuerliche Kreise die Gewinnung
von Sirup aus Möhren- oder Runkelrübensaft für ihren Haus-
bedarf betrieben 1), ist Achard der erste, der sich von der herr-
schenden Ansicht emanzipierte, daß die inländische Zucker-
darstellung im Rahmen des Hausfleißes vor allem erstrebenswert
sei. Schon seit 1796 beschäftigte er sich mit dem Bau einer
größeren Anlage, und als er 1802 die erste regelrechte Kampagne
eröffnete, geschah dies in der deutlichen Absicht einer zum min-
desten systematischen Darstellung. Nach den Beschreibungen
hat man es hier mit einem Fabrikbetrieb zu tun, falls man als die .
integrierenden Bestandteile die motorische Kraft und die Arbeits-
teilung ansieht, welch erstere in der Verwendung eines Oöpel-
werkes auftrat.^) Von dem ökonomischen Zug in der ganzen
1) Karl Aug. Nöldechen, Ober den Anbau der sog. Runkelrüben, 1799.
E. Kraus, Acker- und Pflanzenbau vor 100 Jahren, Festgabe der tech-
nischen Hochschule Manchen, 1906.
>) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1900, Bd. 3, S. 771.
Danach stellt die Fabrik eine Vereinigung einer größeren Zahl von
24
Die Zeit von 1802 bis 1840.
Wirtschaftsführung geben ausfuhrliche Ausbeute- und Kosten-
berechnungen Zeugnis. In Achard, der seine volle Arbeitskraft
der Leitung seines Unternehmens zuwandte, beobachten wir in
der Qeburtsstunde der Rübenzuckerindustrie einen zweifellos mit
kapitalistischen Eigenschaften ausgerüsteten Unternehmer. Der
Rübenzucker war als Konkurrent des alimächtigen Rohrzuckers
vom Augenblick seines Auftretens an unzertrennbar von einer
organisatorisch-rationalistischen Tendenz der Betriebsgestaltung.
Für die Existenz der neuen Branche war ja immer der Rohr-
zuckerpreis entscheidend^), ein Umstand, der unablässig zur Auf-
Arbeitern zu Produktionszweck^n in einem Gebäude dar, die unter vor-
zugsweiser Anwendung von Maschinen und Motoren sich gegenseitig in
die Hände arbeiten, so dass alle an der Herstellung eines und des-
selben Gegenstandes mit bestimmten Leistungen beteiligt sind. Die
Anordnung der Arbeiten, sowie die Lieferung der Rohstoffe, Werkzeuge
und Maschinen übernimmt der Inhaber der Fabrik, dem auch die Sorge
für den Absatz der angefertigten Erzeugnisse obliegt. Ib. S. 770 wird
behauptet, daß 1796 die erste Rübenzuckerfabrik in Cunern bei Steinau
eröffnet wurde. Das ist zweifellos inkorrekt, da erst nach und nach
die Anlage erweitert wurde und 1802 tatsächlich erst eine kontinuier-
liche Fabrikation möglich war. — Brentano definiert: Die Fabrik ist ein
Großbetrieb mit systematischer Nutzbarmachung von Naturkräften an
Stelle von Menschenkräften.
1) Durchschnittspreise des Zuckers in Hamburg, nach C. W. Knoop,
Die Variationen der Zuckerpreise an der hamburgischen Börse, er-
schienen Dezember 1845, mitgeteilt bei F. G. Schulze, Die deutsche
Zuckerfrage, 1850.
Preis von 1 hamb. Pfd. in Groot. Vläm. Hamburg. Banko mit Rabatt.
Brauner Brasil-
lOelberHohana-
Brauner Brasll-
Gelber Habana-
Rohzucker
. Rohzucker
Rohzucker
Rohzucker
1814
14^
19,0
1830
4,1
6,7
1815
14^
18,25
1831
3,7
6,3
1816
11,6
15,3
1832
4,5
6,75
1817
10,0
13,1
1833
4,5
6,5
1818
10,25
13,0
1834
5ß
6,7
1819
8,6
10,8
1835
6,1
8,0
1820
14,25
9,7
1836
5,7
8,75
1821
5,75
8,6
1837
4,5
7,1
1822
4,8
7,5
1838
4,5
7,6
1823
6,5
9,1
1839
4,8
7,1
1824
5,6
7,8
1840
4,4
6,0
1825
6,6
8,6
1841
4,0
5.6
1826
6,7
8,8
1842
3,6
5,0
1827
7,3
9,6
1843
4,2
5,6
1828
6,8
9,1
1844
4,0
5.3
1829
5,25
8,1
1845
5,1
6,3
. ■> >
Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 25
nähme jeder dauernd Kosten vermindernden Technik drängte,
soweit Kapital für ihre Einfuhrung verfügbar war, und der ein
sehr kräftiges erzieherisches Moment von vornherein involvierte.
Das unentwickelte Verständnis für technische Vorgänge und
die noch unüberwindliche Skepsis des anlagesuchenden Kapitals
gegenüber industriellen Unternehmungen hinderte in Zusammen-
hang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage und dem un-
genügenden Zollschutz das Aufkommen der Zuckerindustrie in
Deutschland unmittelbar nach Wiederkehr friedlicher Zeiten. Als
das Resultat der systematischen Behinderung des Binnenhandels
ist der gänzliche Mangel jeglicher Oewandheit und frischen
Unternehmungsgeistes anzusehen, der den deutschen Kaufmann
beherrschte. In jener Zeit hochgradiger politischer Zerfahrenheit,
in welcher der Partikularismus triumphierte, war ihm jener gesunde
Sinn für praktische Wirklichkeit zum großen Teil abhanden ge-
kommen, der dem Handelsstand einer vorwärtsschreitenden Volks-
wirtschaft die charakteristische Folie gibt. Das allgemeine Fehlen
von Bildung und Verständnis in volkswirtschaftiichen Dingen
und mangelnde Anteilnahme am öffentiichen Leben erscheinen
als die besten Kennzeichen seines Krämerstandpunkts, welclien
der behördlich protektionierte Formalismus der öffentiichen Ver-
waltung noch begünstigte, in den erst Friedrich List in dornen-
voller Lebensarbeit Bresche legen mußte.
Es entsprach dem damaligen Charakter des deutschen Wirt-
schaftslebens, das eben im Begriffe stand, sich die Fundamente
technischer Arbeit zu schaffen, daß die Erkenntnis vom Wesen
kapitalistischer Wertbildung langsam und mit hohen Opfern ge-
wonnen wurde. Bis in die Mitte der 50er Jahre dauert es, bis
sie weiteren Kreisen zugänglich gemacht ist — Es ist gesagt
worden, daß gegen die Neubegründung der Rübenzuckerindustrie
vor allem die Landwirtschaft sich sehr zurückhaltend verhielt
Erst als bei ihr sich als Ergebnis der großen Agrarkrise kauf-
männische Oesichtspunkte durchgerungen hatten, ist ein all-
gemeiner Fortschritt zu bemerken. Da das industriegewaltige
England durch Oleichstellung des Rübenzuckers mit dem Rohr-
zucker in der fiskalischen Behandlung sich der Möglichkeit einer
inländischen Rohzuckerproduktion begeben hatte, wandten sich
aller Blicke nach Frankreich, dem Lande, welches in der Behand-
lung des technischen Verfahrens sich sAs erstes von dem über-
kommenen empirischen loszuringen versuchte und die neuzeit-
26 Die Zeit von 18Q2 bis 1840.
liehe Technik als Wissenschaft begründet hat. Die französische
Rübenzuckerindustrie wurde den deutschen Gründern das un-
antastbare Vorbild, als unter dem Eindruck der günstigen Preise,
welche die Zollgesetzgebung garantierte, die Rückverpflanzung
dieser Branche erfolgte. Die für 1836—41 beobachtete außer-
ordentlich starke Zunahme der Zuckerproduktion --im Zoll-
verein verzehnfachte sich die dargestellte Rohzuckermenge in
dieser Zeit — ist der unbestrittene Erfolg dessen und der schutz-
zöUnerischen Regierungspolitik zumal gegenüber dem hollän-
dischen Lumpenzucker. In dieser technisch-historisch hoch-
interessanten Zeit, in welcher der Bau der ersten Eisenbahnen
auf dem Kontinent das Interesse der Angehörigen der industriell
wenig entwickelten Staaten gewaltig entfachte, entrollt Deutsch-
land dem Beobachter ein bisher nie geahntes Bild. Im Mittel-
punkt der aligemeinen Aufmerksamkeit standen, so wird be-
richtet i), „der deutsche Zollverband, Eisenbahnen und Dampf-
schiffahrt, die Rübenzuckerfabrikation und die Douanengesetze
verschiedener Länder zur Annäherung an eine größere, auf Gegen-
seitigkeit begründete Handelsfreiheit Ja „fast noch mehr als
die Eisenbahnen fährt die Fabrikation des Runkelrübenzuckers
unausgesetzt in allen Beziehungen fort, der Gegenstand des Tages-
gespräches zu sein." 2) statt einer solide fortschreitenden Ent-
wicklung riß bald alle Welt eine bisher unbekannte industrielle
Begeisterung in eine blind wütende Spekulation, die zum guten
Teil auch in der Rübenzuckerindustrie Platz griff. „Es war die
wilde Flammenlohe einer unbesonnenen Spekulation, welche ohne
die geringste Sachkenntnis in einer Zuckerfabrik unmittelbar der-
gestalt eine Goldfabrik sah. Bei einer großen Zukunft der ein-
heimischen Zuckerindustrie vergaß man in blinder Habgier ihre
noch bestehende Kindheit und opferte der Geheimniskrämerei
des gewinnsüchtigen Charlatanismus, der diese leidenschaftliche
Stimmung zu benutzen wußte, mit Freuden das verlangte Lehr-
geld, von dem man Hunderte von Prozenten zu ziehen dachte^)."
Für die Entfaltung der Rübenzuckerindustrie in Frankreich
war neben dem Schutzzoll und anderweitiger Förderung durch
die Regierung der hohe Stand der chemischen Wissenschaft ent-
^) Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe des In- und Aus-
landes, Herausgeber C. C. Becher, Köln 1836, S. 5.
*) Frankfurter Oberpostamtszeitung vom 1. März 1836.
«) Krebs, Die Zuckerindustrie in ökonomischer Bedeutung, 1848.
Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 27
scheidend gewesen. Indem man diesseits des Rheins die fran-
zösischen Einrichtungen naturgetreu zu kopieren sich bemühte,
kam man ihrem tieferen Inhalt nur mittelbar nahe. Um selb-
ständig weiterzubauen und sich auf Grund der spezifisch deutschen
Verhältnisse ein eigenes Wirtschaftsideal zu schaffen, war ein
tiefes Erfassen des neuen technischen Geistes, dessen beleben-
der Hauch in Frankreich zu verspüren war, die unerläßliche
Voraussetzung. Dazu mußten aber erst langsam in E)eutschland
geeignete Köpfe herangezogen werden.
Wie drückt sich nun die Wirkung der staatUchen Maßnahmen
im Rahmen jenes Stadiums wirtschaftlicher Entwicklung in der
technischen Arbelt der Zuckerfabrikation dieser Zeit aus?
Um die technischen Einzelheiten in ihrer Wesenheit gegen-
einander abwägen und erfassen zu können, dürfte sich eine all-
gemeine Überschau über den Gang des Fabrikationsprozesses
zunächst empfehlen. Die Rübe wird vom Blattkopf befreit, von
Schmutzteilen gereinigt und einem Zerkleinerungsapparat zu-
geführt, von dem sie zur Saftgewinnungsstation wandert. Der
hier gewonnene Rohsaft wird dann einem Reinigungsprozeß
unterworfen, in welchem mechanische und chemische Fremd-
körper ausgeschieden werden (Scheidung). Achard erstrebte einen
ähnlichen Zweck mit seiner „Läuterung". Der geklärte Rohsaft
wird nun unter der Bezeichnung „Dünnsaft" einer Konzentration
mittels Verdampfung unterzogen, die den Dicksaft liefert, weicher
nach einer nochmaligen Reinigung zur sog. Fülhnasse eingekocht
wird. Diese stellt eine durch große Zähflüssigkeit ausgezeichnete
gelbliche Masse dar, welche das im Entstehen begriffene oder
fertig gebildete Kristallkorn in Sirupumhüllung enthält. Die Korn-
bildung wird in hohem Grade von einer großen Anzahl bei
der Verkochung auftretender Faktoren, sowie durch die Be-
schaffenheit des Saftes beeinflußt. Auf sie konzentrierte sich
ehedem in erster Linie die Tätigkeit der Siedemeister, welche
die iabrikmäßige Zuckerdarstellung wie in der Raffinerie so auch
in der Rohzuckerfabrik lange Zeit ausschließlich beherrschten.
Zweck der Weiterverarbeitung ist die ungestörte Entwicklung
des Kristalls und die Entfernung des anhaftenden Sirups. Letzteres
erreicht man von alters her durch Verdrängen mit Wasser, und
zwar ursprünglich in der Weise, daß man die in eine irdene
Kegelform mit verschließbarer Spitze gebrachte Füllmasse er-
starren ließ, den Verschluß an der Spitze entfernte und das
28 Die Zeit von 18Q2 bis 1840.
Ablaufen des Sirups abwartete, wobei man durch Aufbringen
einer Schicht feuchten Tons auf die Füllmasse nachhalf, indem
die Aufnahme des Wassers seitens des Zuckers den Vorgang
beschleunigte und eine wesentlich bessere Wirkung erzielen ließ.
Durch häufigere Erneuerung der Tondecke ließ sich bei einiger
Sorgfalt schon ein fast farbloses Produkt erzielen. Obgleich dieses
einfache Verfahren schon früh von der Zuckertechnik verlassen
wurde, wie wir sehen werden, hat sich für die auf das Ver-
drängen des Sirups gerichtete Operation die Bezeichnung
„Decken" erhalten. Der in den Formen verbleibende Zucker
ist der Rohzucker. Aufgabe der Raffinerie ist lediglich, ihn durch
wiederholtes Auflösen, Konzentrieren und Decken zu Raffinade
zu veredeln. Die bei der Rohzucker- und Raffinadegewinnung
auftretenden Sirupe werden in ganz ähnlicher Weise gereinigt
auf Füllmasse eingekocht und gedeckt, Iris der Ablauf, die Mutter-
lauge, keinen mit Vorteil gewinnbaren kristallisierten Zucker mehr
enthält. Das ist im allgemeinen ein Sirup von 47— 50 o/o Zucker-
gehalt, die sogenannte Melasse.
In Achards Fabrik^) spielte sich der Herstellungsprozeß etwa
in folgender Weise ab: Die geköpften Rüben ließ er in einem
Wasserbad mit einem Besen bearbeiten und von einer Art
Kartoffelschneidemaschine in Scheiben zerlegen. Bald aber ver-
wandte er statt der letzteren eine Reibemaschine. „Sie bestand
aus zwei gußeisernen, mit sägeartig gezähnten Messern besetzten
Platten, welche die vorgeworfenen Rüben faßten und vermöge
großer Peripheriegeschwindigkeit zerrissen*).'* Die obere Platte
wurde durch ein Ochsentriebwerk in Bewegung gesetzt. Da
diese Maschine nur 2 dz pro Stunde zu verarbeiten vermochte,
hatte Achard mehrere derselben nötig, was angesichts der kost-
spieligen Betriebskraft diese Operation sehr teuer machte. Die
so gewonnene Masse wurde nun zwischen Tücher gepackt, auf
einer genügend widerstandsfähigen ebenen Unterlage ausgebreitet
und der Saft durch Hin- und Herrollen einer 4000 kg schweren
Walze ausgepreßt. Wegen der umständlichen Handhabung dieser
Einrichtung ersetzte er sie später durch hölzerne Keil-, Winden-
und Schraubenpressen, die große Ähnlichkeit mit den herkömm-
^) Ober die Anfänge der deutschen Rübenzuckerindustrie, vergl.
A. Rümpler, Die Zuckerindustrie Schlesiens vor 100 Jahren, 1901.
*) Ch. H. Schmidt, Handbuch der Zuckeriabrikation, Weimar 1850,
Seite 25.
— ^
Die Zeit von 1802 bis 1840. 29
. liehen Obstpressen aufwiesen, und deren stark beanspruchte
Organe erst nach und nach durch Ausführungen in Metall er-
setzt wurden. Der Läuterung des Rohsafts mit Schwefelsäure
schloB sich die Neutralisation mit Kalk oder Kreide an, worauf
der Saft mit Ochsenblut und Kohle behandelt wurde, wobei
sich der gebildete schwefelsaure Kalk mit dem geronnenen
Ochsenblut und mancherlei Unreinigkeiten auf dem Filter ab-
schieden. Häufiges und sorgsames Absetzenlassen („Sedimen-
tieren'O ^^^ Seihen war ein Haupterfordernis guten Oelingens.
Die Verdampfung vollzog er ursprtinglich über freiem Feuer,
später in flachen, mit Dampf geheizten Holzpfannen unter riesigem
Aufwand an Brennstoff. Die mit Füllmasse beschickten Formen
standen in stark geheizten Räumen an zwei Monate über Oe-
fäßen, in welche der Sirup abfloß. Zum Decken diente mög-
lichst reiner Ton. Über die Abfallstoffe macht Achard besondere
Angaben^), von ihrer Verarbeitung versprach er sich offenbar
einen bedeutsamen, die Zuckergewinnungskosten mindernden
Einfluß. EMe Rübenblätter wollte er zu Tabak, die Preßrück-
stände zu einem Kaffeesurrogat verwerten, den Sirup wollte er
in Gärung versetzen und zu Branntwein brennen, während er
die Treber, das Waschwasser der Rüben und den bei der
Läuterung abgeschöpften Schaum zur Essiggewinnung zu be-
nutzen gedachte. — Die mannigfachen Änderungen, die Achard im
Laufe der Jahre in den Fabrikationsprozeß einführte, waren nicht
durchgreifender Art und verschieben nicht wesentlich das Bild
seiner Arbeitsmethode. Im engen Anschluß an seine Publika-
tionen richtete man in Nord- und Süddeutschland eine Anzahl
Fabriken ein, ohne daß man aber zu irgend einer bedeutsamen
Neuerung dabei gekommen wäre.
Die glückliche Vereinigung zwischen theoretisch begründeter
und praktisch angewandter Technik unter den Auspizien einer
jedem technischen Fortschritt günstig gestimmten Regierung schuf
in einem Dezennium in Frankreich auf Achards Ergebnissen
weiterbauend wirklich Erstaunliches. Da die französische Technik
für Deutschland später vorbildlich wurde, sind wir genötigt, sie
ihren Qrundzügen nach darzulegen.
Zunächst erzielte Frankreich hinsichtlich der Methode der
^) C. F. Achard, Anleitung zum Anbau der zur Zuckerfabrikation
anwendbaren Runkelrüben und zur vorteilhaften Gewinnung des Zuckers
aus denselben, 1803.
30 Die Zeit von 1802 bis 1840.
Verarbeitung Fortschritte. Der bedeutsamste ist ohne Zweifel
die Einführung der Knochenkohle, deren durch Zufall entdeckte
stark entfärbende Kraft durch Derosne 1812 für die Zucker-
industrie dienstbar gemacht und 1815 durch ein an Mertineau
erteiltes Patent geschützt wurde. Daß die Wirkung dieses eigen-
artigen Körpers neben der mechanischen in hohem Maße eine
chemische war, beruhend auf der Absorption der die Ver'
arbeitung erschwerenden Nichtzuckerstoffe, blieb allerdings noch
fast ein halbes Jahrhundert unbekannt. Die Bedeutung dieses
methodischen Fortschritts vermag man daraus zu ermessen, daß
trotz zahlloser Versuche, diesen Körper wegen seiner Kost-
spieligkeit aus dem Fabrikationsprozeß zu eliminieren, ihn die
Zuckertechnik bis auf den heutigen Tag bei Herstellung erst-
klassiger Produkte nicht zu entbehren in der Lage ist Indem
die französischen Fabrikanten so in den Stand versetzt waren,
ein hochwertiges Produkt mit erheblich kürzerem Zeitaufwande
herzustellen, fiel doch das zeitraubende Sedimentieren und Seihen
zum guten Teil weg, lernten sie auf Grund praktischer Erfahrung
die Knochenkohle durch umfangreiche Wiederbelebungsverfahren
rationell zu verwerten und in einer Weise auszunützen, welche
ihrer technologischen Eigentümlichkeit immer näher kam. Während
man sie wohl wegen ihrer Kostbarkeit zuerst in sehr fein ver-
teiltem Zustande beim Eindampfen dem Dünnsaft zusetzte, und
später nach der Behandlung des Saftes mit Rindsblut mit den
ausgeschiedenen Bestandteilen durch einen Beutelfilter entfernte,
sie auch in Teilprozessen zur Anwendung brachte — alles Ver-
fahren, bei denen die benutzte Knochenkohle jedesmal vollständig
verloren ging — , führte Dumont 1828 ihre Benutzung in grob-
körnigem Zustand^ ein in dem nach ihm benannten Filter: Ein
prismatischer Holzkasten hatte einen aus einer Siebfläche ge«
bildeten Einsatzboden, über dem die gekörnte, vom Saft be-
rieselte Kohle lag. Der Hohlraum zwischen den beiden Böden
gestattete ein bequemes Ablassen des Saftes; der Prozeß ging
rasch und regelmäßig vor sich, und dazu ermöglichte die Wieder-
belebung der erschöpften Kohle insbesondere, sie in größerer
JVlenge in Anwendung zu bringen, womit eine qualitative Hebung
des Produktes unter gleichzeitiger Ermäßigung der für Knochen-
kohle aufzuwendenden Kosten gewährleistet wurde. Alles dies läßt
die Behauptung Stammers^) gerechtfertigt erscheinen, der zufolge
») K. Stammer, Lehrbuch der Zuckerfabrikation, 1874, S. 483.
Die Zeit von 1802 bis 1840. 31
,,erst von der Zeit ab^ wo man die gebrauchte Kohle auf ein-
fache und zweckmäßige Weise wiederzubeleben lernte, die fabrik-
mäßige Gewinnung des Zuckers aus Rüben für immer ge-
sichert war."
Eine weitere Verbesserung der Methode brachte die frucht-
bare Ausgestaltung eines auf Achard zurückgehenden Gedankens,
dessen gewaltige Tragweite er nur ahnen konnte. Es war die
Einführung des Dampfes in den Betrieb der Zuckerfabrik, zu-
nächst zu Heizzwecken. Seitdem es überhaupt eine Zucker-
industrie gab, hatte sie mit der Schwierigkeit zu kämpfen, welche
das Verkochen des Saftes über freiem Feuer bereitete. Um das
verlustbringende Anbrennen zu verhüten, war man genötigt, Vor-
sorge für das Löschen des Herdfeuers im kritischen Moment
zu treffen, was ohne riesigen Brennstoffverbrauch nicht möglich
war. Um dem einigermaßen abzuhelfen, andererseits zum Zweck
einer gleichmäßigeren Erwärmung der Saftmengen hatte Achard
die Einrichtung getroffen, daß er aus einem winzigen Dampf-
kessel, der bequem in und außer Betrieb zu setzen war, eine
Dampfleitung in einen aus Holzplanken gefügten Raum unter
der Sudpfanne führte. Die ganze Beschränktheit seiner Vor-
richtung wird dadurch illustriert, daß er beim Unterbrechen des
Siedeprozesses diese Leitung auseinanderschrauben mußte. Der
Fortschritt der französischen Unternehmer bestand in der In-
stallation einer kontinuierlichen Dampferzeugung in der Zucker-
industrie und in der Anwendung von Pfannen, die mit zweck-
mäßigen Dampfheizvorrichtungen ausgerüstet waren. 1828 kon-
struierte Halette seine mit kupfernen Dampfschlangen versehene
Verdampfpfanne, durch die ein promptes Abstellen der Wärme-
zufuhr und eine gute Regulierfähigkeit derselben neben einer
gleichmäßigeren Wärmeverteilung möglich wurde. Ihre An-
wendung brachte nicht nur einen geringeren Brennstoffverbrauch
bei dauerndem Betrieb und eine höhere Leistungsfähigkeit, in-
sofern man mit ihr größere Saftmengen in einer Operation be-
wältigen konnte, sondern sie gewährleistete auch eine höhere
Sicherheit der Ausbeute.
Zu dieser hochwichtigen Erfindung gesellte sich in Frank-
reich eine andere, die 1812 in England gemacht war und deren
Zweckgedanken der Dampftechnik der ganzen modernen Zucker-
industrie zugrunde liegt. Es ist die Erfindung des sog. Vakuums
durch Howard. Diese Vorrichtung stellt einen luftdicht ver-
32 Die Zeit von 1802 bis 1840.
schiossenen Kochapparat dar, in dem mit Hilfe von Luftver-
diinnung die Flüssigkeit bei niederer Temperatur zum Sieden
gebracht wird. Damit wird nicht nur erreicht, daß mit einer
geringeren Wärme-, also auch Brennstoffmenge eine Verdampfung
zustande kommt, son4ern die zuckerzerstörende Einwirkung hoher
Temperaturen, die Achard schon beobachtet hatte, läßt sich so
nahezu vermeiden. Das Vakuum, das zu Anfang der 20er Jahre
in den englischen Raffinerien schon allgemein verbreitet war,
verpflanzte sich unter Vermittelung einer Anzahl Dtuchgangs-
stufen am ersten in die französische Rübenzuckerindustrie. Es
hat indessen den Anschein, als ob es in der dem Erfinder paten-
tierten Ausführung, welche die Luftleere durch Verwendung einer
Luftpumpe zustande brachte, erst auch hier von dem Moment
an weitere Verbreitung gewonnen hat, in dem die Dampfmaschine
ihren Einzug in die Industrie hielt, d. h. mit der Einrichtung
einer kontinuierlichen Kraftquelle. Das Oöpelwerk betrieb aber
auch hier lange Zeit lediglich die Reibmaschine, bei der die
Oleichmäßigkeit des Ganges und der Triebkraft nicht sonderlich
ins Gewicht fiel, während das Verdampfen im Vakuum in hohem
Maße von der gleichmäßigen Leistung der Pumpe abhängig ist
Immerhin war Ende der 30er Jahre die Verdampfung im luft-
verdünnten Raum, ganz gleich, ob dieser durch eine Luftpumpe
oder durch Kondensation geschaffen wurde^), in Frankreich in
den meisten besser eingerichteten Zuckerfabriken ganz ähnlich
wie die Dampfmaschine verbreitet^).
Mit diesen methodischen Fortschritten ging naturgemäß eine
Verbesserung der Produktionsmittel Hand in Hand. Die wert-
vollste technische Neuerung war hier die Konstruktion der mit
auswechselbaren Sägeblättern versehenen Thierryschen Trommel-
reibe, welche mit den bisher allgemein verbreiteten Quetsch-,
Schneid- und Reibwerken, soweit diese angegossene Zähne hatten,
sehr bald aufräumte. Die französischen Fabrikanten hatten sich
mit der Achardschen Reibmaschine nie befreunden können, ein
Zeichen für ihr technisches Verständnis; war doch ein möglichst
feines und gleichmäßiges Reibsei, dessen Herstellung die in
ktuzer Zeit abgenutzten, nicht auswechselbaren Zähne aus Guß
^) Zunächst versuchte man, ohne Luftpumpe fertig zu werden und
betrieb die Kondensation mit Wasser (Roth) öder Dünnsaft (Degrand).
*) 1836 waren bei Cockerill-Seraing 29 Dampfmaschinen für Rüben-
zuckerfabriken im Bau.
^* >
Die Zeit von 1802 bis 1840. 33
oder anderem Metall sehr erschwerten, die Vorbedingung einer
guten Entsaftung unter der Presse. Der Erfolg ihrer 20jährigen
Erfahrungen war eine Maschine, die bei etwa 4mal so großer
Leistung pro Zeiteinheit und gleichem Kraftaufwande einen weit-
gehenden Ansprächen genügende^ Rübenbrei lieferte.
Der so gesteigerten Verarbeiiungsfähigkeit war man bemüht,
die Leistungsfähigkeit der PreBorgane anzupassen. Den Saft
durdi Druckwirkung zu gewinnen, war bei der notwendig be-
schleunigten Verarbeitung des Rübenbreies das Nächstliegende.
Denn das Aufbewahren von Rohsaft und Brei führt schon nach
wenigen Stunden zu wichtigen Veränderungen chemischer Natur,
welche die Verarbeitung erschweren und die Ausbeute verkürzen.
Nach allerlei aussichtslos verlaufenen Versuchen, mit Hilfe der
einfachen Maschinenelemente Schraube, Keil und Rolle erheb-
liche Drücke ohne einen bedeutenden Energieaufwand für Eigen-
reibung zu erzielen, fand der französische Fabrikant Crespel 1820
in der hydraulischen Presse das geeignete Organ, welches an
60 Jahre lang die europäische Rübensaftgewinnung beherrschen
sollte. Durch die Wahl geeigneter Querschnitte zwischen Druck-
und Preßkolben — die Drücke derselben verhalten sich wie
die Quadrate ihrer Durchmesser, während die zurückgelegten
Kolbenwege im umgekehrten Verhältnis stehen — gelingt es
hier^ eine hohe Druckwirkung, die auf einem kurzen Arbeits-
weg wirkt, auf Kosten eines geringen, auf einem langen Arbeits-
weg wirksamen Kraftaufwandes zu erzielen.
Im übrigen beschränkte sich die Verbesserung des technischen
Prozesses durch vervollkommnete Produktionsmethoden und
-Mittel keineswegs nur auf die bezeichneten Einzelheiten, viel-
mehr machte sich in fast allen wesentlichen Punkten wie in
der Saftreinigung, in der Ausgestaltung der Antriebsvorrichtungen
und den Geräten ein technischer Fortschritt wahrnehmbar. Aus
de^ damit gegebenen höheren Kapitalsinvestitur resultierte ein
Streben nach einem höheren Grade von Betriebskontinuität,
welches in der kontinuierlichen Dampferzeugung zu thermischen
und motorischen Zwecken seinen Ausdruck fand, welche ihrer-
seits auf eine allgemeine Betriebserweiterung drängte. Der Ent-
wickelungsgang der französischen Rübenzuckerindustrie bis 1840
ist das typische Bild eines durch die protektionistische Haltung
der Staatsregierung großgewordenen Betriebszweiges, in dem die
reichen wirtschaftlichen Kräfte des Landes unter einem in den
Schuchart, Zuckerindustrie. 3
34
Die Zeit von 1802 bis 1840.
technischen Wissenschaften mit Eifer vorwärtsstrebenden, aber
noch nicht für große technische Aufgaben durchgebildeten Volke
mit Hilfe rühriger Staatsintervention zur Entfaltung reifen.
Vom äußeren Bestände der Industrie geben folgende Zahlen
ein Bild:
Rohzucker-
JktiTMhi A^r
Aui den Betrieb
Betriebsjahr
produktion
ADZttUI UCI
Betriebe
entfallen durch-
»
tchnittUch t
1825/26
500
100
5,0
1827/28
2685
103
26,1
1829/30
6000
—
1832/33
19000
—
-^
1834/35
1835/36
38000
49U0Ü
ca. 350
ca. 109
1836/37
48969
585
M,7
1837/38
^226
585
84,0
1838/39
39199
555
70,6
1839/40
22693
422
53,8
Ihren Kulminationspunkt erreicht die Produktionsziffer in den
Jahren 1835 bis 1837. Erst 1846 wird sie zum erstenmal wieder
überschritten. Das hat seinen Grund in dem Widerstreit der
Interessen des aus den eigenen Kolonien einströmenden Rohr-
zuckers und dem Rübenzucker.
Dies Bild bot also die französische Rübenzuckerindustrie,
als ihre glänzenden Wirtschaftsergebnisse die Blicke der östlichen
Nachbarn auf sie richten ließen. Wir sahen, wie unter dem Ein-
druck der nach 1830 lebhaft aufsteigenden Konjunktur deutsche
Unternehmer, angelockt durch die vorteilhafte zollpolitische Lage
des Artikels gemäß der Zollverordnung von 1837, vielfach mit
dilettantenhafter Urteilslosigkeit sklavisch französische Muster zu
kopieren trachteten. Nur ein großer Unterschied läßt sich äußer-
lich beim Vergleich mit diesen feststellen: Man hoffte dllgemein,
mit relativ geringeren Anlagekosten den gleichen hohen Gewinn
zu erzielen. Das wirft ein Schlaglicht auf das noch sehr geringe
Verständnis technisch-wirtschaftlichen Dingen gegenüber und gibt
einen Maßstab für die in den ersten Anfängen stehende Entfaltung
eines entwickelt kapitalistischen Wirtschaftsgeistes. Zwar sind
es keine routinierten Fabrikanten, die sich für den neuen Ge-
werbszweig interessieren. An ihnen war ja in den an Fabriken
so armen Staatsgebieten noch längere Zeit großer Mangel. Aber
die mit dem neuen Industriezweig sich befassenden kaufmänni-
schen Elemente hatten durchweg noch keinen Blick für sein
Die Zeit von 1802 bis 1840.
35
fiir eine groBbeiriebliche Entfaltung geradezu prädestiniertes Wesen
und leisteten deshalb zumeist auf die Einführung des Dampfes
Verzicht, wozu allerdings die noch gänzlich mangelhafte Ver-
trautheit mit jeglichen Dampfapparaten und ihr hoher Preis das
ihrige taten. Schwebt doch noch bis in die 50er Jahre manchem
deutschen Fabrikanten das Ideal einer Rübenzuckerfabrik in der
Form des landwirtschaftlichen Kleingewerbes vor^), obgleich die
Steuergesetzgebung, wie wir sehen werden, nicht die mindeste
Unterstützung in dieser Richtung bot Der mächtige Impuls des
Jahres 1837, das den hohen Zoll auf Lumpenzucker brachte,
und die hohe Rente der Kleinbetriebe während der Zeit seines
Bestandes wurde als eine greifbare Bestätigung für jene An-
schauung gedeutet. Daß es unter diesen Umständen bald nicht
an Enttäuschungen fehlte, lehrt die Statistik.
1837/38
1838/39
1839/40
Zu- bezw. Abnahme
der Zahl der titigeii
Fabriken gegen das
Vorjahr in 7o
12^
0^
-0,5
Steigerung der pro
Fabrik durchschnlttUch
gewonnenen Roh-
ziickermenge gegen
das Voijahr in %
425,0
4,0
16,3
Danach liegt zweifellos Berechtigung vor für die Annahme,
daß von 1836 bis 1840 fortgesetzt Neugründungen von Betrieben
vorgenommen wurden, die zum guten Teil sehr bald wieder
verschwanden, weil ihre Betriebsgröße nach kurzer Zeit nicht
mehr rentabel war, um dann sogleich wieder durch Etablierung
leistungsfähigerer Betriebe ersetzt zu werden.
Um das Bild der Zuckerindustrie um 1840 zu vervoll-
ständigen, werfen wir noch einen Blick auf die Raffinerie. Während
die österreichische Regierung zu Anfang des 19. Jahrhunderts
die Praxis übte, die Lizenzerteilung für Neuanlagen von dem
Nachweis eines gewissen Fonds abhängig zu machen, um die
Entstehung von Kleinbetrieben hintanzuhalten ^), wuchs die Zahl
der Raffinerien in Preußen von 54 im Jahre 1831 auf 74 im
Jahre 1835. 1837 gab es sogar 78, doch sank diese Zahl bis
*) jac. E. V. Rieder, Die verbesserte Kultur der Zuckerrunkeln und
das Ganze der Fabrikation, 1840. — Die Rübenzuckerfabrikation, ihr volks-
wirtschaftlicher Nutzen und ihre Besteuerung, Halle 1852, S. 7.
*) Steph. V. Kees, Darstellung des Fabrik- und Gewerbewesens,
Wien 1824, 2. Teil, S. 282.
36 Die Zeit von 18Q2 bis 1840.
1844 wieder auf 52. Ganz ahnlich war es in den fibrigen
Zollvereinsstaaten. Diese Erscheinung geht auf die allgemeine
Konsumsteigerung zurück^i welche bis 1847 eine steigende Ein-
fuhr an Rohrzucker ermöglichte. Die durchschnitdich pro Betrieb
verarbeitete Rohrzuckermenge stieg im Zollverein von 10 125 Ztr.
im Jahre 1835 auf 20450 Ztr. 1845.
Man darf behaupten, daß zu dieser gewaltigen Aiis-
reckung der Betriebsgröße, mit der eine Verbesserung der Be-
triebseinrichtung meist Hand in Hand ging, auch ganz wesentlich
die scharfe Konkurrenz beitrug, welche den Raffinerien diuch
die nur 1837—39 unterbundene Lumpenzuckereinfuhr von Holland
her erwuchs^). Dazu gesellte sich indes noch der Preiadnick,
den die aufstrebenden Rübenzuckerfabriken mit ihrer viel-
fach konsumfähigen Ware auf ihre Produkte ausübten. Trotz
alledem gingen die deutschen Raffinadeure bei ihrer Betriebft-
erweiterung nur sehr zögernd dazu über, sich die technischen
Verbesserungen anzueignen, welche in den französischen und
englischen Werken längst in Anwendung waren, wozu insbesondere
die Verdampfung im Vakuum zu rechnen ist In blindem Ver-
trauen auf das ihnen nie gekündigte Privileg und auf die In-
feriorität des Rübenzuckers bauend, bemühten sie sich vorzugs-
weise, durch Boykottierung ihrer Ware ihren erklärten Feinden
das Wasser abzugraben, ein Umstand, der nur zum Teil in
der geringeren Qualität des Rübenrohzuckers Berechtigung ge-
habt haben kann. Dieses Verhalten veranlaßte die Rfibenzucfcer-
fabriken, trotzdem alle Sachverständigen sich gegen diese An-
ordnung erklärten 3), ihren Rohzucker oft in eigener Regie auf Raffi-
nade umzuarbeiten, oder aber den Produktionsprozeß gleidi so
*) Das nach Preußen eingeführte Siedematerial betrug
1822 118813 Ztr. 1835 764468 Ztr.
1825 265036 „ 1837 724889 ,^
1830 429380 „ 1840 822553 ,,
1831 764149 „ 1844 1169834 ,,
Unter Siedematerial versteht man den zum ,, Versieden'' eingeührten
Rohzucker.
*) C. F. W. Dieterici, Statistische Obersicht der wichtigsten Gegen-
stände des Verkehrs und Verbrauchs, 1838, S. 168.
») So z. B. St. V. Kees, a. a. O. 11. S. 297. — N. v. Qrauvogl, Ober
Zuckerfabrikation in Bayern, 1810, S. 11. — W. A. Lampadius, Ober
Runkelrübenzucker, 1800, S. 72. — F. L. Blei, Die Zuckerbereitung aus
Runkelrüben in ihrer Beziehung zur deutschen Landwirtschaft, 1836,
S. 47. — Vereinszeitschrift 1851, S. 249.
Die Zeit von 1802 bis 1840. 37
ZU gestalten» daß sofort aus dem Rohsaft ein konsumfähiges
Produkt gewonnen wurde» d. h. also, daß sie zur WeiBzucker-
arbeit^) übergingen..
Den Stand der deutschen Rübenzuckerindustrie kennzeichnet
am besten die Ausbeuteziffer^)» die 1840/1 immerhin schon 5,87
betrug» während Achards Ausbeute höchstens 4 o/o ausmachte.
Jedenfalls stand die französische Industrie noch an führender Stelle.
Als Ergebnis der ersten Periode stellt sich folgendes dar:
Während in Deutschland die Rübenzuckerindustrie seit den ersten
Versuchen fabrikmäßiger Herstellung keine grundlegenden Ver-
besserungen oder nur Andeutungen dazu infolge mangelnden
ZoUsdiutzes» allgemein-technischer Unkenntnis und bedeutungs-
losen Unternehmungsgeistes erlebt, blüht sie in Frankreich unter
dem starken Schutz einer ihr günstigen Staatspolitik dank des
guten Verständnisses für technische Vorgänge und reger Kapitals«
beteOigung auf. Der Dumont-Filter» die Thierrysche Reibmaschine»
die hydraulische Presse und die ausgiebige Dampfverwendung
werden hier zum Fundament ihres Fortbestandes. Die seit 1830
etwa in Deutschland unternommenen Versuche zur Wieder-
begrfindung der Industrie lehnen sich stark an die französische
Technik an» allgemein schreckt man indes vor erheblicher Kapitals-
anlage zurück. Die zollpolitische Lage gibt 1837—9 in Deutsch-
land Anlaß zur massenhaften Gründung von Rübenzuckerfabriken
unter starker Beteiligung kaufmännischer Elemente» die häufiger
von rein spekulativen als technisch-wirtschaftlichen Momenten ge-
leitet werden. Der reduzierte Zollschutz der Jahre 1839—40
zwingt zu einer energischen Betriebsgrößenentwickelung» die
weniger in technischen Verbesserungen» als in einer homogenen
Vergrößerung der Produktionsmittel ihren Ausdruck findet. Gleich-
wohl ist die Frage» ob die Rübenzuckerfabrikation in der Form
des landwirtschaftlichen Kleingewerbes lebensfähig ist» noch nicht
entschieden. — Die Raffinerien, welche bis zum Anfang der 30er
Jahre ihren Betrieb in der traditionellen Weise aufrecht erhalten
haben» raffen sich unter dem Eindruck der Konkurrenz und des
erhöhten Zuckerkonsums zu entschiedener Betriebsvergrößerung
auf und gelangen damit zu einer verbesserten Technik.
Vergl. S. 11.
■) Unter der Ausbeuteziffer verstehen wir die Zahl, welche angibt,
wie viel kg Rohzucker aus 100 kg Rüben gewonnen werden.
38 Die Zeit von 1841 bis 1861.
3. Kapitel.
Die Zelt von 1841 bis 1861.
Wenn man versuclit war, in der ersten Entwicklungsphase
der neuen deutschen Zuckerindustrie den liberalen Orundzug her-
vortreten zu lassen, so hat das in der Hinsicht Berechtigung,
daß allen übrigen deutschen Zollvereinsstaaten voran die preußi-
sche Regierung die alten, den Gedanken des persönlichen Mono-
pols umfassenden Orundsätze zu durchkreuzen sich anschickte,
insofern sie die Rübenzuckerindustrie zunächst vollkommen un-
behelligt ließ^), und, als diese dabei nicht ihr Fortkommen fand,
sich schließlich für einen Schutzzoll entschied, mit dem sie eine
erzieherische Absicht verknüpfte. Die einseitige Bevorzugung
der alten Raffinationsindustrie wurde damit radikal durch eine
auf liberalen Grundsätzen fußende Politik abgelöst.
Der eine zweite Entwickelungsstufe bedeutende Zeitabschnitt
umfaßt die Periode von Einführung einer Besteuerung des Ar-
tikels Zucker«), die in Preußen 1841 in Kraft trat, bis zur Zu-
billigung einer Rückvergütung der Steuer bei Ausfuhr 1861. Sie
ist der fiskalischen Behandlung nach dadurch gekennzeichnet,
daß die preußische Staatsregierung, vom 1. Sept. 1844 der Zoll-
verein, eine Materialsteuer auf die zur Verarbeitung gelangenden
Zuckerrüben legt und zwar in bewußter Aufrechterhaltung des
Zwecks, der inländischen Produktion einen Schutz vor der Kon-
kurrenz des Rohrzuckers zu gewähren, ohne jedoch diese da-
mit auszuschließen. Das gibt sich in der Annahme der festen
Ausbeutezahl 5 deutlich zu erkennen, welche der Steuerbemessung
diese 20 Jahre hindurch zugrunde gelegt wurde, obgleich nach
den amtlichen Ausweisen die Durchschnittsausbeutezahl aller
Fabriken des Zollvereins betrug
1849/50 7,35, 1854/55 8,20, 1859/60 8,56.
Indem die Regierungen ohne alle Einschränkungen an diesem
Besteuerungsmodus festhielten, schufen sie für die Rübenzucker-
^) Doch bestand noch allgemeine, strenge Konzessionspflicht für
gewerbliche Unternehmungen.
•) Für alle die Zuckerbesteuerung betreffenden Fragen vergl.
W. Katzenstein, Die deutsche Zuckerindustrie und Besteuerung in ihrer
geschichtlichen Entwickelung, 1897.
Die Zeit voa 1841 bis 1861. 39
Industrie einen gewaltigen Anreiz dazu, die größtmögliche Zucker-
menge aus der nach dem jeweiligen Stande der Technik wirt-
schaftlichen Minimalmenge Rüben zu fabrizieren. Der vorzügliche
Erfolg dieser Maßnahme, welche eine Prämie auf hochstehende
Technik bedeutet, drückt sich darin aus, daß der Zollverein in
der Lage war, ohne eine nachhaltige Beeinträchtigung der steigen-
den Verarbeitungsziffern der Gesamt- und der Einzelbetriebs-
produktion die Steuersätze von der Gewichtseinheit Rohmaterial
ununterbrochen hinaufzuschrauben, um damit den Ausfall an den
Zolleinnahmen zu decken, der aus der verminderten Rohrzucker-
einfuhr resultierte. Es wurden erhoben für den Doppelzentner
Rüben 1840 in Preußen 6 Pfg., entsprechend einer fiktiven Be-
lastung des Doppelzentner Rohzucker von Vs Tlr. (Kontroll-
abgabe) i). Beim Zollverein stellte gleichzeitig Preußen den An-
trag auf Erhebung einer Fabrikatsteuer von 2 Tlr. vom Doppel-
zentner Rohzucker, während es selbst ab 1. Sept. 1841 eine
Materialsteuer von 12 Pfg. vom Doppelzentner Rüben ent-
sprechend Vs Tlr. vom Doppelzentner Rohzucker zur Einführung
brachte. Ab 1. Sept. 1844 wurden die Abgaben im ganzen Zoll-
verein einheitlich geregelt, das Prinzip der Rübengewichts-
besteuerung drang durch und zwar erhob man die Steuer ebenso
wie die Ein-, Aus- und Durchfuhrzölle auf gemeinsame Rechnung
des Zollvereins. Die Belastung gestaltete sich wie folgt:
Ab:
1. IX. 1844
1. K. 1851
I.IX. 1855
1. DC. 1859
Belastung pro dz Rüben
3Sgr.
6 Sgr.
12 Sgr.
15 Sgr.
entsprechende fiktive Be-
lastung des dz Rohzucker
2 Tlr.
4 Tlr.
8 Tlr.
10 Tlr.
Für die von merkantilistischen Tendenzen geleitete Politik
der Zollvereinsstaaten ist das Niveau der allgemeinen wirtschaft-
lichen Entwicklung des 4. und 5. Jahrzehntes überaus be-
zeichnend. Die scharfe Spekulation in Boden werten der 30 er
Jahre, eine Folgeerscheinung der großen Edelmetallakkumulation
und der steigenden Bevölkerungsdichte, sprang unter dem Ein-
druck der lebhaften Haussebewegung, die mit dem Siege der
Reaktion 1848 einsetzte, auf das Gebiet industrieller Produktion
über und setzte hier vermöge des präzisen Zusammentreffens
einer ganzen Anzahl belebend wirkender Momente — die Mobili-
^\ Die „Kontrollabgabe" hatte hauptsächlich informatorischen Cha-
rakter. Sie brachte nur 26832 Tlr. Vgl. S. 23.
40 Die Zeit von 1841 bis 1861.
sierung der ländlichen Bevölkerang im Anschluß an die Ge-
setze betr. die Ablösung der Reallasten und die Regulierung
der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse (2. März 1850),
und die Erschließung neuer riesenhafter Edelmetallquellen mögen
hier nur genannt werden — gleich mit einer verblüffenden Energie
ein, wie sie in der neueren deutschen Wirtschaftsgeschichte bis-
her unbekannt war. In dieser Epoche allgemeiner Wertsteigerung
tritt Deutschland unter Preußens Führung in eine Frühperiode
kapitalistischer Wirtschaftsführung ein, die ihr gewaltiges Aus-
drucksmittel in der lebhaften Gründung von Aktiengesellschaften
findet, dem vollendetsten Typ des modernen industriellen Ge-
winhstrebens, der von jetzt ab in fast alle Sparten der gewerb-
lichen Produktion seinen Einzug hält. Es ist die Zeit, in der
Neudeutschland wirtschaftlich geboren wird und deutscher Geist
und deutsche Wissenschaft sich anschicken, bisher unbenutzt da-
liegende oder latente Produktionsmittel aufzuspüren, zu durch-
dringen und zu gebrauchen, es ist die Zeit, in der ein kunst-
volles Netz zur Massengutförderung geeigneter Transportstraßen
über die deutsche Landkarte gesponnen wird, von denen aus
der wirtschaftliche Fortschritt mit revolutionärer Gewalt bis in
die entlegensten Winkel vorzudringen beginnt. Der oben gekenn-
zeichneten handelspolitischen Haltung des Zollvereins wohnt
offenbar eine gewisse Beweiskraft dafür inne, daß er im ganzen
genommen dem Suchen der Zeit mit Verständnis gegenüberstand;
sie erscheint als der symptomatische Ausdruck für die moralische
Wirkung der Ereignisse von 1848, welche den zur Zeit des tiefsten
wirtschaftlichen und politischen Tiefstandes auf die freie Be-
tätigung des Individuums gezogenen Wechsel zur Einlösung
brachten. Die mit der endgültigen Freigabe aller Produktivkräfte
eingeleitete kapitalistische Frühperiode drängte zu einer Ver-
selbständigung des deutschen Gewerbefleißes gegenüber dem Aus-
land, andererseits gab sie für die Fortdauer der landwirtschaft-
lichen Hochkonjunktur den soliden Untergrund, welchen der Bauer
bei fortschreitender Intensivierung beanspruchen mußte. Es war
die Zeit, wie später gezeigt werden wird, in der dem norddeutschen
Bauer zumal der indirekte Vorteil des Rübenbaus in steigendem
Maße zu Bewußtsein kam.
Die Entwicklung der deutschen Zuckertechnik in der Zeit
1841—61 bewegt sich vorzugsweise in methodischen Änderungen
des Produktionsprozesses. Da die Interessierung größerer Kapi-
tL-^^^
Die Zeit von 1841 bis 1861. 41
talien entsprechend dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung mit
ständig abnehmenden Schwierigkeiten zu tun hatte, die Steuer-
gesetzgebung durch stufenweise Erhöhung des Steuersatzes den
Gewinn des Unternehmers mehr und mehr zu kürzen drohte,
blieb immer wieder als einziger Ausweg, den Steuerdruck weniger
drückend zu empfinden, die Betriebsvergrößerung. Sie brachte
nicht nur eine bedeutende Minderung der Qeneralunkosten pro
Gewichtseinheit Fertigfabrikat, sondern sie entwickelte aus sich
heraus unablässig Verbesserungen der Produktionstechnik, schon
deshalb, weil im Gegensatz zu den Raffineriebetrieben, solange
sie ohne Dampf arbeiteten, bei der Rübenzuckerindustrie gewisse
physiologische Hemmnisse aus der Massenverarbeitung sich er-
gaben, deren Oberwindung mit Hilfe besonderer technischer
Leistungen nur möglich war; dann aber, weil hier die Ersparnis
an Material und an Steuer viel mehr ins Gewicht fiel und viel
aussichtsreicher war als beim Kleinbetrieb.
Indem wir uns anschicken, die Entwicklungsmomente der
deutschen Zuckertechnik in der merkantilistischen Ära in bezug
auf ihre wirtschaftliche Tragweite festzustellen, erscheint es ge-
boten, die engen Beziehungen ins Licht zu rücken, die zwischen
den Fortschritten des allgemeinen Maschinenbaues und denen der
Zuckerindustrie bestehen und welche besonders stark hervortreten
hinsichtlich der Methode technischen Arbeitens überhaupt. Vom
Standpunkt des Technikers ist man gehalten, die 40 er und 50 er
Jahre des 19. Jahrhunderts in bezug auf Deutschland die Epoche
spezifisch methodischer Arbeit zu nennen. Die vorher nur spora-
disch auf induktivem Wege arbeitende Forschung gewinnt nun-
mehr die Oberhand über das überkommene deduktive Verfahren.
Im Verein mit der fortschreitenden naturwissenschaftlichen Er-
kenntnis, unterstützt von der erheblichen Kreditfähigkeit aller
industrieller Unternehmungen in den 50 er Jahren und unter dem
Eindruck der Konkurrenz vom Auslande tritt die Zuckerindustrie
zum ersten Mal in ein Stadium wissenschaftlich-methodischer
Arbeit. In allen industriell entwicklungsfähigen Produktions-
zweigen treten in jener Zeit grundstürzende Neuerungen auf,
in ihrem praktischen Erfolg oft jäh wechselnd. Die vornehmste
Aufgabe des Zuckertechnikers bestand dabei nun immer darin,
die naturwissenschaftlichen und maschinentechnischen Ergebnisse
derselben in rentable Beziehung zu der oft durchaus originalen
Betriebsorganisation der Zuckerindustrie zu setzen. Eine Paral-
42 Die Zelt von 1841 bis 1861.
lelität zwischen dem Fortschritt auf dem Gebiete der Technik
überhaupt und dem der Zuckerindustrie ist das Resultat dieser
Entwicklung, die ein Schulbeispiel darstellt für das von Emanuel
Herrman ausgesprochene Prinzip der Proportionalität des tech-
nischen Fortschritts. 1)
Am prägnantesten läßt sich diese Feststellung für den uns
vorliegenden Zeitabschnitt machen hinsichtlich der modernen
Dampftechnik. Mit dem durch die fortschreitende Größenent-
wicklung einmal erzwungenen Eintritt der Dampfmaschine in die
Zuckerfabrik — ein Prozeß, der sich bis Mitte der 50 er Jahre
hinzieht 2) — , wird eine Loslösung der Einzelmanipulationen und
damit eine Verselbständigung derselben erreicht, zudem aber
beeinflußt die Arbeitsmaschinerie sich gegenseitig in ihrer Ent-
wicklung. Diese Beeinflussung greift gelegentlich auf die Methode
der Arbeit über. Meist schwerer aber wiegen die Schwierigkeiten,
die aus der immer mehr erstrebten Massenverarbeitung physio-
logisch hervorgehen: Eine Verdampfstation für eine Beschickung
mit 500 kg Saft stellt z. B. ganz andre Ansprüche an die technische
Ausführung, Betriebssicherheit, Wärmeausnutzung und dergl. als
eine solche für 5000 kg.
Um aber einen Maßstab für die wirtschaftliche Konsequenz
des technischen Fortschritts zu erhalten, ist es erforderlich, die
wichtigsten Entwicklungsreihen kurz zu charakterisieren.
Beginnend bei der Untersuchung der in der Zuckerfabrik
auftretenden Körper, treffen wir gleich auf einen Punkt, welcher
den prinzipiellen Unterschied technischer Arbeit 1840 und 1860
illustriert. Während man sich bisher nahezu ausschließlich um
die Feststellung des Zuckergehalts der Rüben bemühte, bis 1852
noch ganz in der Art, wie Marggraf und Achard vorgegangen
waren, verschob sich zunächst das Ziel. Angeregt von den Fort-
schritten französischer Forscher ging man an die chemische Unter-
*) Herrmann, Technische Fragen und Probleme, 1891, S. 455.
*) Während in den deutschen Raffinerien die Dampfmaschine seit
den dreißiger Jahren steigende Aufnahme fand, bürgerte sie sich in den
Rübenzuckerfabriken erst in den vierziger Jahren ein, nachdem man
allgemeiner zur Verwendung des Dampfes zu Heizzwecken übergegangen
war. Es arbeiteten im Betriebsjahr 1845/46 in der Provinz Sachsen die
37 Fabriken mit 60 Reiben und 178 hydraulischen Pressen. In 23 Fabriken
waren 30 Dampfmaschinen mit 341 PS. Nutzleistung in Betrieb, während
eine Fabrik mit Wasserkraft, die übrigen 13 mit Qöpelwerken betrieben
wurden, die mit 59 Zugtieren bespannt waren.
Die Zeit von 1841 bis 1861. 43
suchung aller im Fabrikationsgang auftretenden zuckerhaltigen
Substanzen. Erforderte doch die wachsende Betriebsgröße eine
Kontrolle der auftretenden Säfte. Mit der Zeit erkannte man
in ihr die unersetzliche Vorbedingung zu methodischer Entwick-
lung der Zuckertechnik nach ökonomischen Gesichtspunkten, und
erstrebte damit das, was den schablonenhaft dirigierten Klein-
betrieben nachgerade die Existenz ruinierte, die Sicherheit der
technischen Operation, d. h. Besserung der Ausbeuteziffer. Sich
anlehnend an französische Forscher, tritt mit Schatten 1844 der
erste selbständig arbeitende Chemiker in der deutschen Zucker-
industrie auf. Wenn auch die fiir wissenschaftliche Spezialisation
günstige Disposition des Deutschen und damit seine spezifische
Begabung für die chemische Forschung erst nach 1860 zur Ent-
faltung gelangt, so wird jetzt schon in dem richtigen Instinkt für
die grundsätzliche Notwendigkeit chemischer Studien das wissen-
schaftliche Rüstzeug des Zuckerchemikers geschaffen, der in
seiner typischen Erscheinung selbst einer späteren Epoche angehört.
Als ein Rüstzeug im eigentiichen Sinne kann man das Polari-
sationsinstrument bezeichnen, nach v. Lippmann der Träger der
zuckerchemischen Forschung und Kontrolle. Hierbei handelt es
sich um einen Apparat, der auf der Eigenschaft des Zuckers beruht,
den polarisierten Lichtstrahl nach rechts zu drehen, und der
für die Untersuchung von nicht reinen Zuckerlösungen weitaus
sicherere Anzeigen liefert als das nur zur Untersuchung chemisch
reiner Zuckerlösungen geeignete Aräometer. Dieses Instrument,
das infolge der Rezeption der wissenschaftiichen Leistung fran-
zösischer Chemiker 1843 seiner Grundidee nach in preußischen
Raffinerien bekannt war, wurde 1847 in einer für alle Zwecke
der Praxis verbesserten Ausführung von Mitscherlich der all-
gemeineren Ven^endung übergeben und von Deutschen in Theorie
und Einrichtung unablässig vervollkommnet, ohne daß es indes
bis 1860 zur ausschließlichen Anwendung sich hätte durchringen
können, woran wohl sein hoher Preis vornehmlich die Schuld trug.
Noch kämpften um den Vorrang eine ganze Reihe der Zucker-
bestimmung dienende Methoden, insbesondere aber sträubte man
sich da gegen diesen Apparat wo die Empirie der Technik
noch in voller Blüte stand, wo der Unternehmer im Vertrauen
auf die in geheimnisvolles Dunkel gehiillte Kunst des Siedemeisters
lediglich durch Vervollkommnung der Arbeitsmaschinerie existenz-
fähig zu bleiben suchte.
44
Die Zeit von 1841 bis 1861.
Eintretend in den eigentlichen FabrikationsprozeB treffen wir
tun 1860 in den deutschen Fabriicen die schon frühzeitig von
Frankreich flbemommene Waschmaschine von Champonnois an.
Ein aus einem Holzlattenverschlag bestehender wagerecht ge-
lagerter Zylinder, der zum Teil in einem Wasserbade rotiert, ist
mit einer Vorrichtung versehen, welche kontinuierliche Arbeit
ermöglicht Daneben finden wir wieder die Thierry'sche Reib-
maschine und die Presse mit jetzt durchgehends hydraulischer
Bewegung. Welcher Wandel hat hier Platz gegriffen?
Eine deutsche Maschinenindustrie konnte erst erstehen, als
deutsche Hochöfen wohlfeil Roheisen produzierten. Dazu aber
geschah mit dem Ersatz der Holzkohle durch die Steinkohle
der entscheidende Schritt. 1847 wurde der erste Hochofen mit
Koksbeschickung im Ruhrrevier in Betrieb gesetzt Also aus dem
inneren Zusammenhang der Erscheinungen erklärt es sich, daß
die Dampfmaschine erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
allgemein die Kraftspenderin der Fabrikbetriebe wird.^) Das
hindert nicht, daß manche Industriezweige, bei denen eine kon-
Entwicklung der Dampfunternehmungen.
Nach E. Engel, Das Zeitalter des Dampfes, 1880:
Staat
Jahr
der
Zäh-
Dkrapffflaschinen für
gewerbliche und wirt-
schaftliche Zwecke
Lokomotiven und
Dampfschiffe
Zusammen
lung
Zahl
Zahl
ZaU
derMasch.
der PS.
derMasch. |
der PS.
derMasch.
der PS.
1837
419
7355
4
158
423
7513
1840
615
11712
19
566
634
12278
8
1843
862
16496
228
10744
1090
27240
CO
1846
1139
21716
352
19413
1491
41129
S
1849
1445
29482
519
37666
1964
67148
du
1852
2124
43049
709
49426
2833
92475
law
3049
61945
1036
99829
4065
161774
1875
28783
632067
6901
1887446
35685
2519513
r^
1839
2450
33308
1 ,
_
«
1840
2591
34350
405
25622
1845
4141
50187
756
49050
J2
1850
5322
66642
1474
119325
S
1855
8879
112278
2503
226432
1^
tu
1875
33060
407220
7237
—
*) In den amtlichen Angaben herrschen vielfach Differenzen.
Die Zeit von 1841 bis 1861. 45
tinuierlich wirksame Kraftquelle ganz besondere Vorteile flir das
wirtschaftiiche Ergebnis des Betriebs brachte^), sich schon eher
vom Auslande her zumeist Dampfmaschinen verschrieben. Indem
die Rübenzuckerindustrie infolge der gewaltig steigenden Steuer-
last ihre Leistungsfähigkeit hinaufzuschrauben trachtete, mußte
sie immer höhere Kapitalswerte investieren und kam so in steigen^
dem Maße zur Einrichtung einer durch Dampf gespeisten Kräfte
quelle. Noch waren die gängigen Modelle klein, wenig leistungs-
fähig und teuer im Preise. Das war entscheidend fiir den Ver-
wendungsbereich der Maschine. Die Waschmaschine überließ man
vorerst meist noch den Armen kräftiger Arbeiter; sie leistete
ja ohnehin spielend das zur Verarbeitung notwendige Quantum.
Man wandte viehnehr den wirtschafüichen Vorteil maschinellen
Antriebs zunächst mit Vorliebe der Station zu, die bis 1830 das
erklärte Schmerzenskind der französischen Fabrikanten gewesen
war, und in der neben der Verkochung noch lange Zeit später
der schwächste Punkt im Produktionsgang lag: der Saftgewin-
nung. Hier war es die Reibe, deren Welle eine Tourenzahl von
6->800 in der Minute zur Erzielung eines guten Breis machen
mußte. Solche Zahlen ließen sich bei dem üblichen Oöpel-
antrieb mit Hilfe der vielstufigen, dem Stand der Technik ent-
sprechend unvollkommen ausgeführten Vorgelege nur mit sehr
bescheidenem Wirkungsgrad erkaufen, Stöße und chronische Über-
lastungen waren unausbleiblich, Umstände, welche bei den Lagern
der Reibtrommel zu höchst verdrießlichen Störungen Anlaß gaben.
Lernte man doch erst viel später ähnlichen Verhältnissen ent-
sprechende Lager richtig zu konstruieren. Durch den Antrieb
der Trommelwelle von einer kontinuierlich wirksamen, regulierten
Kraftquelle wurde die volle Leistungsfähigkeit dieser Reib-
maschine eigentiich erst erreicht, insofern er mittelbar zur Veri
anlassung wurde, alle Teile zur Erhöhung ihres mechanischen
Wirkungsgrades und der Sicherheit in Metall auszuführen.
Der Punkt, auf den der verständige Rübenzuckerfabrikant
eigentlich von dem Augenblick an, in dem die Industrie Deutsch-
land wiedergewonnen war, die meiste Aufmerksamkeit, von
Arbeit und Kapital unterstützt, verwandte, war die Entsaftung
des Breis. Die ursprüngliche Ausführung der nach französischem
Muster hydraulisch betriebenen Pressen gab bei den fortgesetzt
Das war z. B. bei den Raffinerien der Fall.
46 Die Zeit von 1841 bis 1861.
sinkenden Zuckernettopreisen ^) zu allerlei Anständen Anlaß, die
eigentlich während der Dauer der Herrschaft der Saftpresse nie
recht beseitigt wurden, obgleich mit viel Scharfsinn zahlreiche,
aber immer relativ unbedeutende Einzelverbesserungen ausfindig
gemacht wurden. Das mag auch dazu beigetragen haben, daß
die Frage der Betriebsweise der Pumpen, ob Antrieb von einer
anunalischen oder maschinellen Kraftquelle aus, eigentiich nie
in den Vordergrund getreten ist. Man verkürzte die Zeit des
Ein- und Ausräumens des in Säcke gefüllten Rübenbreis durch
zweckentsprechende Aufstellung, Dreh- und Schiebetische usw.,
besserte die durch einmalige Preßwirkung unzureichend er-
zielte Entsaftung durch mehrmaliges Pressen, unterbrochen eventi.
durch Behandeln des Preßguts mit Wasser oder Dampf oder durch
einfaches Auflockern, die Zeit des Preßvorgangs und die Druck-
steigerung regelte man durch sinnreiche Kombinationen ver-
schiedener Pumpenkolbenquerschnitte. Durch alles das kam man
zu einer gewissen Kompliziertheit des ganzen Apparates, die im
besten Fall durch Summation der Einzelverbesserungen in einer
gewissen Verbiltigung des Betriebs ihren Ausdruck fand, weit-
aus häufiger aber in der Verwendung größerer Abmessungen
erzielt wurde. So bietet denn die Saftpresse ein instruktives
Beispiel dafür, daß alle Versuche zu bessern sehr wenig Aussicht
auf Erfolg haben bei einem Verfahren, das in seinem Prinzip
die Begrenztheit seiner Verwendbarkeit trägt.
Trotzdem tritt der methodische Zug der für die technische
Arbeit Deutschlands so überaus interessanten Zeit 1840—60 in
seiner vollen Schärfe auch bei dem Entsaftungsproblem auf. Selb-
ständigere Köpfe, bezeichnender Weise immer reine Praktiker,
suchen seit den 30 er Jahren in Deutschland nach einer voll-
kommeneren Saftgewinnungstechnik; in größerem oder kleinerem
Maßstabe gelangen mehrere ihrem Wesen nach neue Verfahren
bisweilen zur Anwendung, öfters sind es ganz bestimmte Eigen-
tümlichkeiten der lokalen Verhältnisse, aus denen sie hervor-
gehen. Um 1860 ist indes im Kampf der Meinungen noch keine
Klärung eingetreten: die verbesserte hydraulische Presse be-
hauptet siegreich das Feld.
In weitaus prägnanteren Umrissen tritt jener charakteristische
Zug auf der Station hervor, die sich mit der Vorbereitung des
*) Ein Sinken der Zuckerverkaufspreise macht sich erst nach 1860
bemerkbar.
Die Zeit von 1841 bis 1861. 47
Rohsaftes zur Verdampfung befaßt. Daß der wirtschaftliche Erfolg
der Weiterverarbeitung von der sorgsamen Ausführung der Saft-
reinigung, welche die bestmögliche Abscheidung aller Nichtzucker-
stoffe bezweckt, ganz wesentlich abhängt, ihn unter Umständen
völlig in Frage stellt, war eine sehr frühzeitig gewonnene Er-
kenntnis. Die Anwendung des Kalkes als Scheidungsmittel, die
man dem Verfahren der Rohrzuckergewinnung nachgebildet hatte,
dringt nunmehr in Deutschland mit Entschiedenheit durch, aber
an Stelle der gefährlichen Schwefelsäure, die um 1840 wieder
vorherrschend geworden war, tritt zur Ausfällung des über-
schüssigen Kalks jetzt die Saturation mit Kohlensäure und damit
ein bequem zu verwendender Körper, der sich für eine angehende
Massenverarbeitung vortrefflich eignet Der Gedanke der Kalk-
scheidung mit nachfolgender Kohlensäuresaturation, der schon
1811 von dem französischen Chemiker Barruel ausgesprochen
wurde, aber gänzlich unbeachtet blieb, ist in seiner Ausbildung
eigentlich die erste positive wissenschaftliche Leistung der in
der deutschen Zuckerindustrie nun allmählich aufkommenden
spezifisch chemisch-wissenschaftlichen Forschung. Für die wissen-
schaftliche Bildung der leitenden Elemente der Zuckerbranche in
den 40 er Jahren ist es überaus bezeichnend, daß der Patentträger
des neuen Verfahrens, Michaelis, seines Zeichens ein Mediziner
war. Daß noch fast ein Jahrzehnt darüber verging, bis man seine
höchst fruchtbaren Vorschläge, die aber einige Bekanntschaft mit
der Chemie voraussetzten, in die Praxis allgemein übernahm,
beleuchtet den Standpunkt der noch in einer vorkapitalistischen
Entwicklungssphäre sich bewegenden Industrie, andrerseits aber
auch das noch unentwickelte Verständnis der Wirtschaftsleiter
für einen relativ einfachen chemischen Vorgang und den in den
Anfängen stehenden Maschinen- und Apparatebau. So erfolgte
denn aus Frankreich, das technisch damals schon auf der Höhe
stand, die Einführung der jenes Patent verwirklichenden 'sogen.
Kleeberger'schen Pfannen und etwas später aus Österreich der
ersten Kohlensäuregewinnungsanlage, wie sie dem lebhaften
Betriebsgrößenwachstum und der Wirtschaftlichkeit entsprach. Es
war dies ein richtig konstruierter Kalkofen, der bis heute in
ähnlicher Ausführung ein integrierender Bestandteil der Rüben-
zuckerfabrik geblieben ist.
Doch mit dieser Entwicklung erschöpft sich noch nicht die
20 jährige Arbeit auf dieser Station. Nebenher treten Versuche
48 Die Zeit von 1841 bis 1861.
mit mechanischen Filtrationsanlagen mit und ohne Anlehnung
an französische Muster auf. Man verwandte als Filter Säge-
späne, KieSy Häcksel, Leinenlumpen und dergleichen, auch
operierte man mit chemischen Saftreinigungsmitteln, vor allem
mit der schwefeligen Säure. Man probierte, änderte, verwarf und
kombinierte in einem fort, ohne daß die allgewaltige praktische
Erfahrung schon ein entscheidendes Wort hätte sprechen können.
Noch einen Körper aber gilt es hier zu erwähnen, die
Knochenkohle, deren fundamentale Bedeutung fiir die Zucker-
industrie schon dargetan wurde. Mit dem 4. Jahrzehnt geht
man in Deutschland ernstlich daran, ihre Wiederbelebung syste-
matisch zu organisieren. Das in ihr aufgespeicherte enorme Be-
triebskapital treibt zur Einschränkung der verwendeten Mengen
auf Kosten der billigeren Saftreinigungsmethoden, sowie zur best-
möglichen Oewinnungs- und Wiederbelebungsmethode. Zu letz-
terem Zweck ging man seit 1850 zur Verwendung maschineller
Vorrichtungen über und konstruierte Glühofen, die sich der Eigen-
art des Körpers und der auftretenden technologischen Vorgänge
immer mehr anpaßten.
Hinsichtlich der Anwendung des Dampfes steht die Technik
der Rüben verarbeitenden Fabriken im 5. und 6. Jahrzehnt ganz
unter dem Eindruck der allgemeinen technischen Entwicklung.
Da die Erfahrungen vorläufig fehlten, die Materialien oft den
Anforderungen nicht entsprachen, waren Dampfkesselexplosionen
nichts seltenes. Die Zuckerindustrie ging deshalb mit äußerster
21aghaftigkeit zu Werke und begnügte sich um 1850 durchweg
mit einem Dampfdruck bis zu 3 kg pro Quadratzentimeter, im
Gegensatz zu Frankreich, wo 5 kg pro Quadratzentimet^ all«
gemein waren. ^) Die Zeit 1840—60 bildet die Einleitung einer
großen Epoche, welche die jetzt erst allgemein aufgenommene
Verwendung des Dampfes entsprechend den Spezialzwecken der
Zuckerindustrie methodisch entwickelt. Daß diese letzteren mit
denen anderer Industrien nur auf einem eng begrenzten Komplex
kongruieren, folgt aus der von vornherein hier ganz gewaltig
*) Ein Bericht Kindlers über die Zuckerindustrie Frankreichs (Ver-
einszeitschrift 1850, S. 424) ist sehr charakteristisch. Die hohen Dampf-
spannungen in den französischen Zuckerfabriken erregen das Staunen
des Beschauers. Indessen konstatiert er: j,Im allgemeinen aufgefaßt
sind die französischen Zuckerfabriken viel einfacher eingerichtet als die
deutschen.« Die Vorliebe für den Kleinbetrieb prägt sich hier aus.
Die Zeit von 1841 bis 1861. 49
überwiegenden Verwendung des Dampfes zum Heizen gegenüber
der zu motorischen Zwecken. Die Koch- und Verdampfstation
stellt recht eigenflich das Gebiet dar, auf dem in wirtschaftiichem
Sinne im vorliegenden Zeitabschnitte die günstigste Wirkung er-
reicht wurde, d. h. ein großer, wenn nicht der größte Teil der
Produktionskostenverminderung.
Auch diesmal waren nicht Deutsche die Pfadpfinder. Der
Anstoß zu der hier im Vordergründe stehenden Neuerung, deren
grundstürzende Bedeutung erst nach Jahren eingesehen wurde,
kam aus den Rohrzuckerplantagen der Vereinigten Staaten; in
Louisiana war es, wo Rillieux, auf dem Qedanken des Howard-
schen Vakuums fußend, die fruchtbare Idee zur Ausführung
brachte, unter Anwendung des luftverdünnten Raumes eine Dampf-
menge zum Kochen mehrfach zu benützen. Den Zweck erreichte
er durch folgende Anordnung. Drei liegende geschlossene
Zylinder, in deren unterer Hälfte eine große Anzahl Siederohre
(Dampf-, Heizrohre) in den Stirnflächen dampfdicht eingesetzt
waren, wurden in der Weise durch Leitungen miteinander ver-
bunden, daß der erste Verdampfungskörper unmittelbar mit
Frisch- oder Maschinen-(Ab-)dampf, der zweite dagegen durch den
auf diese Weise im ersten Körper, der dritte mit dem ebenso im
zweiten Körper erzeugten Saftdampf geheizt wurde (Triple effet).
Um dies zu ermöglichen, wurde der Siedepunkt im zweiten und
dritten Körper durch Minderung des Luftdrucks stufenweise er-
mäßigt. Dieses Verfahren gestattet trotz des Kraftaufwandes für
den Betrieb der Luftpumpen und des sehr erheblich gesteigerten
Anlagekapitals bei richtiger Dimensionierung und Dauerbetrieb
eine ganz beträchtliche Brennstoff ersparnis. Nachdem 1849 diese
Erfindung nach Deutschland gekommen war, fanden 1852 die
ersten Apparate mit einigen Änderungen Aufstellung. Die eine
dieser Einrichtungen war für die wegen ihrer Größe berühmten
Zuckerfabrik Seelowitz in Mähren bestimmt und wurde — ein
Zufall wollte es, daß eine Kiste mit wichtigen Verbinduagsteilen
verloren ging — von ihrem vortrefflichen Leiter J. Robert nach
eignem Outdünken montiert unter Anfertigung der für notwendig
erachteten Konstruktionstetle ; und zwar in der Weise verfuhr
Robert, daß er die Verdampfkörper stehend anordnete und
zweitens der Heizdampf nicht durch die Röhren geleitet wurde,
sondern diese umspülte. Darin lagen für die praktische Brauch-
barkeit ganz hervorragende Verbesserungen, über die wir uns
Schuchart, Zuckerindustrie. 4
50 Die Zeit von 1841 bis 1861.
hier nicht zu verbreiten brauchen, und damit war ffir die Zucker-
industrie eine Verdampfstation von ganz vorzüglicher Wärme-
ausnutzung geschaffen. Insbesondere die unter äußerstem Wider-
stände der Zuckerindustriellen durchgesetzte Erhöhung des Steuer-
satzes im Jahre 1858 war es, welche die mehrfache Verdampfung
nach Robert zur Einführung in allen den Betrieben brachte, in
denen die Nurpraktiker gegenüber dem kaufmännischen und dem
sich ganz allmählich konsolidierenden chemisch-wissenschaftlichen
Element im Weichen begriffen waren. In der Tat war nun mit
einem Schlage die deutsche Zuckerindustrie an den Beginn einer
ganz neuen Entwicklungsepoche gestellt.
Der Fortschritt der Verdampfstation kam der Verkochung
natürlich besonders zu statten, der Station, die den mit Knochen-
kohle behandelten Dicksaft unter der Bezeichnung Kochkläre zur
Füllmasse verarbeitet, also nur die Fortsetzung der vorherigen
Operation bildet. Wenn auch Rillieuxs Apparat zweifellos an den
Gedanken Howards anknüpft, so leitete diesen die Absicht, der
karamelierenden, zuckerzerstörenden Wirkung des Verkochens bei
hohen Temperaturen aus dem Wege zu gehen, während ersterer
offenbar in erster Linie eine Reduktion der Brennstoffmenge
bezweckte. Wir beobachten hier also die Wahl eines ganz ähn-
lichen Mittels, das aus zwei verschiedenen Absichten heraus an-
gewandt wird. Die große Verwandtschaft beider Erfindungen
in Ausführung und Betrieb beschleunigte wesentlich ihre Ein-
führung. Mit einer ausgiebigen und rationellen Dampfverwendung
in den Rohzuckerfabriken für Heizzwecke ist für die Raffinerien
der Moment gekommen, den vollständigen Bruch mit den bis-
her noch etwa im Betrieb befindlichen offenen Verdampfungs-
apparaten zu vollziehen. Die Raffinerie, die ja ohnehin durch
die sinkende Spannung zwischen Rohzucker und Raffinade in
einem viel heftigeren Tempo der Massenverarbeitung in die Arme
getrieben wird, als es bei der Rohzuckerindustrie der Fall ist,
erkannte die Bedeutung des Vakuums und damit indirekt der
Dampferzeugung und -Ausnutzung für die Massenverarbeitung
deshalb früher im ganzen als diese.
Unmittelbar gab die Arbeit mit dem Vakuum aber auch
den Anstoß zu einer Beobachtung besonderer Tragweite. Beim
Verkochen in offener Pfanne blieb das Klärsei klar und blank.
Man spricht deshalb hier vom Blankkochen. Zur Kristallisation
brachte man die Füllmasse in stark erwärmte Räume, Infolge
Die Zeit von ISAl bis 1861. 51
der mäßigen Temperatur bei der Verdampfung im Vakuum ist
aber die Möglichkeit gegeben, die Kristallbildung schon im Koch-
apparat selbst beginnen zu lassen. Man kocht auf Korn, sagt
man, tiberläßt die Füllmasse in Kästen dem weiteren Kristalli-
sierungsprozefi und erzielt dabei unter Verkürzung des Fabri-
kationsprozesses eine Verbesserung der Ausbeute an Erstprodukt.
Es ist nicht sehr erstaunlich bei dem damals in der Zucker-
industrie noch weit verbreitetem Geist, daß die „alten Prak-
tiker'', die jeder Maschinerie, auch dem Vakuum, von vorn-
herein abhold waren, gegen diese Erkenntnis sich zunächst voll-
ständig ablehnend verhielten, so daß es an 15 Jahre währte, bis
diese allgemein durchdrang.
Was die Trennung von Zuckerkorn und Sirup angeht, so
kam man auch hier zu durchgreifenden Neuerungen. Mit der
steigenden Betriebsgröße wurde man gezwungen, für die sehr
verschiedenartigen Produkte, die sich der Reihe nach ergaben,
die den Eigenschaften eines jeden Rechnung tragenden Vor-
kehrungen mühsam auszuprobieren. 1850 traten anstelle der üb-
lichen großen Lomps- oder Basterformen die sog. Schützenbach-
schen Kasten, leichter zu handhabende Kristallisationsgefäße mit
einem falschen Boden aus Drahtgeflecht, welche den Sirup gut
ablaufen ließen und mit denen man dadurch, daß man sie auf
Gestellen übereinander aufbauen konnte, den Trockenraum besser
ausnützen konnte. Immerhin lieferte aber das Ablaufenlassen
der Füllmasse, wenn man vom Decken absah, eine unvollständige
Trennung, mochte sie auch durch günstige Temperatur des Raumes
und durch TrocJcenheit der Füllmasse (Kornkochen) stark be-
günstigt werden können. Allerlei Mangelhaftigkeiten, zumal die
großen Ansprüche an den Raum^ und Zeitaufwand, beseitigte
die Trennung des Sirups vom Korn auf maschinellem Wege
durch die Zentrifugalkraft. Dieser äußerst fruchtbare Weg wurde
1843 einem Kaufmann in Liverpool patentiert und fand zunächst
in den technisch immer vorzüglich ausgestatteten Großbetrieben
der englischen Rafßnationsindustrie Anwendung. Diesmal dringt
schon 1844 diese neue Methode in die deutsche Zuckerindustrie.
Wenn auch die Schwierigkeiten, welche die Bewältigung der
hohen Tourenzahl brachte, — man verlangte etwa 1200 — noch
lange nicht überwunden waren und die Klagen über die Mangel-
haftigkeit der bei dieser Maschine hoch beanspruchten Baustoffe
nicht verstummen wollten, so beginnt doch um 1850 mit dem
52 Die Zeit von 1841 bis 1861.
Massenauftreten der Dampfmaschine in der Zuckerfabrik auch
ihre allgemeine Einführung, zunächst natfirlich in den Raffinerien
aus ganz ähnlichen Qränden wie bei der Installation des Vakuums.
In den Zuckerfabriken kam die Verwendung der Zentrifuge, mit
der man bequem eine Decke aus Sirup, Dampf usw. geben
kann, zunächst den Nachprodukten zu statten, dann aber auch
dem Erstprodukte. Ihre technisch-wirtschaftlichen Vorzüge liegen
vornehmlich in der auBerordentiich gekürzten Arbeitszeit — in
wenigen Minuten erzielt man die Wirkung, die nach dem alten
Verfahren Wochen und Monate kostete — , in dem Verschwinden
der Füllmassenabfälle bei dem stets unvollständigen Ablaufen
in Formen und Kasten, im Wegfall der großen Ablaufräume
und in der sofortigen Gewinnung des ganzen Sirups, den man
getrennt nach seiner Qualität zu Anfang und zu Ende des
Scfileuderprozesses bald aufzufangen lernte, ein Umstand, der
zu seiner rentablen Ausnutzung wesentlich beitrug. Andrerseits
ist bei der Zentrifugenarbeit nur auf ein günstiges Ergebnis
zu rechnen, wenn die Maschine sorgfältig bedient wird. Sie
stellt an den Konstrukteur hohe Anforderungen, der seine Auf-
gabe niu- bei der Verwendung besten Materials und sorgfältigster
Ausführung befriedigend zu lösen vermag. Ihre Anwendung zwingt
aber vor allem zu sehr sorgsamer Kocharbeit, da Fehler der
Füllmassen Schwierigkeiten beim Schleudern bereiten, die zum
Teil auch nicht durch umständliche Sonderbchandlung wieder
gut gemacht werden können. So dringt also die Zentrifugen-
arbeit mittelbar wieder auf eine Verbesserung der Verdampf-
station.
Soweit die Rohzuckerfabrik. Die Raffinerien standen unter
ähnlichen fortschrittlichen Tendenzen, wenngleich sich hier alle
Verbesserungen entsprechend den wenigen Einzeloperationen fast
ausschlieBlich um die Verwendung des Dampfes und der Zentri-
fuge gruppieren. Allmählich willigten sie in einen Frieden mit
den Rübenzuckerfabriken. 1850 wird die erste Raffinerie dem
Betrieb übergeben, welche sich ausschließlich mit der Verarbeitung
des Rübenzuckers befaßt. Besonders unter den kleineren Be-
trieben herrscht indes die Veredlung überseeischer Zucker vor.
Mit besonderer Ziyhigkeit halten an ihnen die rheinischen fest,
denen die günstigen Handelsbeziehungen zu dem holländischen
Zuckermarkt sehr zugute kommen und die, auf die Superiorität
und Unersetzbarkeit ihrer Ware vertrauend, einen besonders zähen
Die Zeit von 1841 bis 1861. 53
Kampf gegen den Rübenzucker kämpfen^). Wenn auch der ge-
wöhnliche Konsument den letzteren wegen seiner Wohlfeilheit
vorzieht, so steht doch der indische um 1860 wie auch später
noch bei Destillateuren und Konditoren im Rufe größerer Qüte
und ZuckerreichtumsO-
Die statistische Lage des Artikels zeigt den bedeutsamen
technischen Fortschritt in der Steigerung der Totalproduktion
von 142050 dz im Jahre 1840/1 auf 423740 dz 1849/50 und
1457600 dz 1859/60, andererseits aber in der BeiriebsgröBen-
zunahme der Fabriken, von denen jede in den gleichen Jahren
durchschnittlich 980, 2863 und 5694 dz produzierte, alles auf
Rohzucker berechnet. Die gleichzeitigen Ausbeuteziffern 5,87,
7,35 und 8,47 geben kein ganz einwandfreies Maß für den tech-
nischen Fortschritt der Fabriken, insofern die Frucht der land-
wirtsdiaftlichen Arbeit, die sich in höherem Zuckergehalt des
Rohmaterials geltend macht, wegen der Unmöglichkeit, sie für
sich statistisch zu erfassen, in ihnen enthalten ist. Immerhin
ist es ein voller Erfolg der merkantilistischen Politik des Zoll-
vereins, welche ihren beredten Ausdruck in der während dieser
ganzen Periode von ihr behaupteten Ausbeuteziffer 5 findet, die
die Basis für die Steuerberechnung war, und die im Effekt eiper
versteckten Prämie auf beste und rationellste Technik ganz und
gar gleichkam.
Die Betrachtung der Entwicklungsperiode 1841—61 und ihrer
Technik fassen wir zu folgendem Ergebnis zusammen: Die Be-
steuerung der deutschen Rübenzuckerindustrie, die als Material-
steuer unter Zugrundelegung einer unveränderten Ausbeutezahl
zu steigenden Sätzen erfolgt und zwar in bewußt protektionisti-
scher, ausländische Konkurrenz nicht ausschließender Absicht, hat
für ihre technische Entwicklung mit günstigem Einfluß gewirkt.
Da sie den Fabrikanten nötigt, seine Bestrebungen auf die Ge-
winnung der größtmöglichen Zuckermenge aus der Qewichts-
einheit Rohstoff zu richten, wird mittelbar die Steuer der Ur-
produktion zum Anreiz einer möglichst zuckerhaltigen Rübe, welche
bezüglich der Menge ihren eigenen ökonomischen Bedingungen
dauernd genügt. Unter dem Einfluß des allgemeinen Wirtschaft«
^) Dieser zog sich bis gegen Ende der fünfziger Jahre hin.
*) A. Bienengräber» Statistik des Verkehrs und Verbrauchs im Zoll-
verein, 1842-64, S. 29.
54 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861—87.
liehen Aufschwungs, der um 1850 einsetzt und der industriellen
Entwicklung in besonderem Maße zugute kommt, macht die
Fabrikation wichtige Fortschritte. Sie liegen vorzugsweise auf
dem Gebiete methodischer Behandlung und stehen unter starkem
Einfluß des Auslandes, wenn auch die Ausgestaltung übernomme-
ner Anregungen vielfach und mit Erfolg selbstschöpferisch be-
trieben wird. Mit der Verbesserung der Saftreinigung, dem ratio-
nelleren Gebrauch der Knochenkohle, besonders aber mit der
allgemeinen Einführung des Dampfes zum Heizen, zumal unter
vermindertem Luftdruck, sowie zu motorischen Zwecken werden
die technisch-wirtschaftlichen Vorbedingungen für eine Massen-
verarbeitung geschaffen. Die steigende wirtschaftliche Bedeutung
des Einzelbetriebs und der einzelnen technischen Operationen
des Betriebs drängt auf eine wissenschaftliche Behandlung der
Einzelvorgänge hin, doch sind dafür die geeigneten Kräfte durch-
weg noch nicht vorhanden. Die aufkommende Untersuchung
von zuckerhaltigen Lösungen mittels des Polarimeters weckt die
Erkenntnis für die wirtschaftliche Bedeutung wissenschaftlich
exakter Forschungsmethoden. Die Leitung der meisten Betriebe
liegt noch in den Händen der „Nurpraktiker", welche vielfach
jeder technisch-komplizierenden Ausgestaltung der Produktions-
mittel, wie ausgiebige Maschinen- und Dampfverwendung sie
involvieren, von vornherein mißtrauisch, wenn nicht gänzlich ab-
lehnend gegenüber stehen und ihre geheimnisvolle Kunst des
Kochens in den Vordergrund zu stellen geneigt sind. Immerhin
hat sich die Erkenntnis durchgerungen, daß die Zuckerfabrikation
im Stile der kleingewerblichen landwirtschaftlichen Unternehmung
bei der alle Betriebsgrößen mit gleichen Steuersätzen behandeln-
den Staatspolitik vor der Hand aussichtslos ist.
IL Die entwickelt kapitalistische Periode.
1. Kapitel.
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861— 87.
Mit dem Jahre 1861 tritt die steuergesetzliche Regelung der
Zuckerfrage in ein ganz neues Stadium. Es war das unmittel-
bare Ergebnis des erbitterten Kampfes, der gelegentlich der Er-
höhung der Materialsteuer 1858 ausgetragen wurde und mit be-
sonderer Heftigkeit im preußischen Landtag sich abspielte, daß
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861—87. 55
die ZoUvereinsstaafen dem Drängen der Industriellen nachgaben
und die Rückvergütung der Materialsteuer bei der Ausfuhr von
Rohzucker beschlossen, einer Einrichtung, wie sie bezüglich des
Einfuhrzolls bei der Ausfuhr von Raffinerieprodukten schon längst
bestanden hatte^). Mit dem Jahre 1861 betritt der deutsche Roh-
zucker den Weltmarkt. Jener Bestimmung lag die Absicht zu-
grunde, der Zuckerindustrie die Ausnützung der damals für Roh-
zucker günstigen Weltmarktskonjunktur zu ermöglichen und
andererseits eine gleichmäßige Belastung der inländischen Zuckers
mit dem importierten anzubahnen.
Daß die Steuergesetzgebung irgend welche protektionistischen
Tendenzen verkörperte, ist aus dem Charakter der Maßnahmen
in keiner Weise zu sdiließen. Das am 1. Sept 1861 zur Ein-
führung gelangende Gesetz brach mit der eine gratifikatorische
Wirkung ausübenden fiktiven konstanten Ausbeutezahl und legte
der Steuerrückvergütung bei Ausfuhr eine den tatsächlichen Ver-
hältnissen entsprechende Zahl, die zwischen 9,1 und 8,4 lag,
zugrunde. Die folgenden Sätze wurden als Exportbonifikation
festgelegt, und zwar zunächst auf die Dauer von 5 Jahren:
Für Rohzucker 5 Tlr. 15 Sgr. 1 ^^
Für Raffinerieprodukte 6 „ — „ J *^
Die Rückvergütung ging also den Sätzen der 1858 neu ge-
regelten Materialsteuer parallel. Daraus entsprang unmittelbar
für den Fabrikanten die Verlockung, einmal nur eine möglichst
zuckerreiche Rübe zu verarbeiten, dann aber durch Verbesserungen
im Beiriebe die effektive Ausbeutezahl hinaufzurücken, um dann
die Exportbonifikation, die nach eben jener für 5 Jahre fest-
gelegten Ausbeuteziffer sich berechnete, zu erheben. Es kamen
also für die Steigerung des Unternehmergewinnes jetzt zwei
Faktoren in Betracht
1. Indem der Fabrikant es nun darauf anlegte, mit seiner
Ausbeuteziffer die staatlich fixierte zu überschreiten, er-
zielte er eine Ersparnis an Materialsteuer.
^) Die Ausfuhrvergütung für Raffinerieprodukte aus Kolonialzucker
enthielt noch eine Prämie. Es betrug pro dz:
Der Einfuhrzoll Die Rückvergütung
für Siedematerial: bei Raffinerieprodukten:
1842 10 Tlr. 1842 12 Tlr.
1861 9 , 1858 11 . 20 Sgr.
Vgl. Katzenstein, a. a. O., S. 12.
56 Die deutsche RfibenzuckeriiHiustrie 1851—87.
2. Dann aber fiel ihm im Falle, daß er exportierte, eine
Prämie zu, die sich rechnungsmäßig als die Differenz
zwischen der staatiich gewährten Exportbonifikation und
der gezahlten Materialsteuer ergab.
Anders ausgedrückt: Eine Verbesserung der Technik machte
sich jetzt eigentlich doppelt bezahlt. Es muß allerdings betont
werden, daß bis Mitte der 60er Jahre die Möglichkeit, die fest-
gelegte Ausbeuteziffer zu überschreiten, nur durch wenige, hin-
sichtlich der Qualität des Rohstoffes begünstigte Fabriken aus«
genutzt werden konnte, ein Beweis dafür, daß die Wirkung
jener Maßregel vorerst sich ganz im Sinne des Regierungsprojektes
einstellte. Man neigte eben im Zollverein immer mehr der An-
sicht zu, die deutsche Zuckerindustrie sei stark genug, ohne
Schaden einer rein freihändlerischen Politik unterstellt zu werden.
Doch schon 1865, in dem Moment, in welchem die Produktion
den Totalbedarf' des Inlandes zum ersten Male deckte, tauchte
in scharfen Umrissen jenes Problem auf, das in der modernen
Politik von Staaten und Kartellen eine so gewaltige Rolle sfMelt:
Soll man zu einer Belastung des Inlandskonsums auf Kosten
künstlich geförderter Ausfuhr schreiten? Die Industrie drang
in diesem Widerstreit der Meinungen durch. Am 1. Sept. 1866
trat eine Erhöhung der Rohzuckerausfuhrprämie auf 11 Tlr.
14 Sgr. pro Doppelzentner ein, während die Materialsteuer auf
15 Sgr. stehen blieb, und damit gelangt das gratifikatorische
Prinzip zum Siege, unter dem von nun an die Weiterentwicklung
steht. Zwar machte die Regierung im Jahre 186Q dagegen einen
Vorstoß, indem sie die Materialsteuer auf 16 Sgr. pro Doppel-
zentner setzte unter Erhöhung der Exportbonifikation auf 12 Tlr.
16 Sgr., ein Satz, dem bei einem Ausbeute Verhältnis von 8 für
Rohzucker von Q3,75o/o Polarisation eine für denselben gezahlte
Steuer von 6 Tlr. 20 Sgr. entsprach^). Bei diesem Satz blieb
man bis 1883 stehen.
Es war der ursprünglich ungewollte gratifikatorische Charakter
dieses Gesetzes, der den riesenhaften Aufsch^^ng der deutschen
Zuckerindustrie einleitete, welcher sie im Jahre 1880 an die
Spitze aller Rübenzuckerindustrien der Welt führte. Diese un-
gewollte Prämiierung der jeweils leistungsfähigsten, technisch
fortgeschrittensten Betriebe wuchs von Jahr zu Jahr zu immer
Katzenstein, a. a. O., S. 26.
Die deutsche Rabenzackerindtistrle 1861-87. 57
höheren Beträgen, insofern die Regierung den Fortechritten des
•Rübenbaues und der Technik überlange zusah, ohne sie ent-
sprechend ihrer Leistungsfähigkeit für den Steuerzweck nutzbar
zu machen. Erst als die natürliche Konsequenz dieses Systems,
der Rückgang des Abgabennettoertrags, zu einer Neuordnung
der Verhältnisse gebieterisch trieb, — die Ausfuhrprämie war
von 3,6 Mill. Mk. im Jahre 1873/4 auf 56,1 Mill. Mk. 1880/1
gestiegen bei einer Minderung des Nettoertrags von 60,6 Mill. Mk.
auf 46,1 Mill. Mk. — entschloß sich die Regierung zu einer
geringfügigen Reduktion der Ausfuhrvergütung im Jahre 1883.
Ihr folgte eine weitere drei Jahre später. Die Materialsteuer
stieg auf 1,70 Mk. pro Doppelzentner, die Bonifikation wurde
von 18 Mk. auf 17,25 Mk. gesetzt, ein Satz, der nach dem
Durchschnittsausbeuteergebnis der Industrie zweifellos noch eine
Begünstigung enthielt.
Um die Wirkung der Regierungspolitik für den vorliegenden
Zeitabschnitt auf die Zuckertndustrie zu ermessen, sei ein Blick
auf den damaligen Zustand der gewerblichen Tätigkeit geworfen.
Wir sahen vordem, wie eine neue Art von Wirtschaftssubjekten
groß wurde und jene Kräfte zur Auslösung brachte, welche
schlummernd und ungenutzt bisher dagelegen hatten. Es waren
die Anfänge eines kapitalistischen Unternehmertums, das in der
Zeit 1840 bis 1860 in den meisten deutschen Wirtschaftsgebieten
Nahrung und fruchtbaren Boden fand, und hier war es gerade
die Landwirtschaft, die nach einer Zeit des Ringens nach zeit-
gemäßen Wirtschaftsgrundsätzen, deren Ergebnis auf die Preis-
gabe der Brachwirtschaft hinauslief, am ehesten kapitalistische
Befruchtung empfing. Diese trieb Blüten in der landwirtschaft-
lichen Brennerei und in der Zuckerindustrie vor allem. Der
Saat folgt die Entfaltung: Von 1860 an gewahren wir, wie
der Kapitalismus sidi aus dem Bereich der Urproduktion in
entfernter liegende Komplexe industrieller Tätigkeit vorschiebt
und sich in sie eingräbt, immer kräftiger in seiner wirtschaft-
lichen Stoßkraft und immer konsequenter in seiner Arbeit und
kühner in seinen Zielen. Das Fortschreiten der Eisen- und
Montanindustrie, der Angelpunkt so vieler anderer Industrien,
in Technik und ökonomischer Energie, das Vordringen des moder-
nen Maschinenprinzips und damit der Massenverarbeitung als
der wirksamsten Stütze kapitalistischen Wirtschaftens, Tatsachen^
welche das siebente Jahrzehnt erst eigentlich in dem gewerb-
58 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1861--87.
tätigen Deutschland zu einer alltäglichen Erscheinung stempelt,
ermöglichten der Industrie, die mit der Mitte des Jahrhunderts
einsetzende Aufwärtsbewegung ohne starke Schwankungen fort-
zusetzen, tun in den 70er Jahren in den Taumel einer riesen-
haften Hausse zu verfallen, aus deren Zusammenbruch sie sich
trotz starker Verluste die Kraft zu einer segensreichen Arbeit
der Sammlung und Konsolidierung rettete.
Wenn auch die deutsche Zuckerindustrie nicht Perioden des
Auf- und Abflutens analog der Industrie als Qesamterscheinung
zeigt, so steht doch ihre Entwicklung in den Jahren 1861—70
stark unter den aUgemein gültigen Erfolgbestimmungsgründen.
Erst mit der großen Industriekrise in den 70er Jahren tritt bei
ihr ein entschiedenes Abwenden von der allgemeinen industriellen
Lage ein. Die Zuckerproduktion setzt gerade um 1870 mit einer
scharfen Aufwärtsbewegung ein.
Es soll uns an der Betrachtung der entwicklungstechnischen
Momente dieser Zeit klar werden, welche Mittel ihr dazu ver-
halfen.
Erst in den 50er Jahren, als man alle anderen Saftgewinnungs-
verfahren aufgegeben hatte, kam den Fabrikanten die Mangel-
haftigkeit des Preßverfahrens zu Bewußtsein, die sich darin aus-
drückti), daß
1. die Presse niemals sämtiichen Zucker zu entziehen vermag,
2. in den Saft fremdartige, der Verarbeitung hinderliche Be-
standteile gelangen.
Auf einen Teil des Zuckers in der Rübe von vornherein zu
verzichten, war aber nicht ökonomisch, weil die Steuer drückte
und die Bonifikation lockte, weil zudem bei niedriger Ausbeute-
ziffer der Anteil der Rohmaterialkosten an den Produktionskosten
ein großer war und die Zuckerpreise erst langsam seit 1860
abnahmen. So hält denn die schon erwähnte Neigung, die Saft-
menge durch viele Einzelverbesserungen zu erstreben, in der
Folgezeit an, aber auch jene Versuche blieben im Qange, die
auf die Auffindung einer anderen Qewinnungsmethode hinaus-
liefen, welche auf die Tendenz zur Massenverarbeitung abgestimmt
gewesen wäre. Der wissenschaftliche Zug, der hier und da bei
den Zuckerfabrikanten Geltung gewann, kam diesen Versuchen
in etwa entgegen. Dazu tat die 1850 erfolgte Gründung des
*) Chr. H. Schmidt, Die neuesten Fortschritte in der Saftgewinnung
aus Runkelrüben, Weimar 1856.
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861—87. 59
Vereins der deutschen Zuckerindusirie mancherlei durch seine
regelmäßig erscheinenden Publikationen gediegenen, zu selb-
ständiger Forschung anregenden Inhalts^). Dieser Einfluß sowie
der der Organisation ist keineswegs zu unterschätzen.
Aus diesem Geiste heraus kam das neue Verfahren der Saft-
gewinnung zustande, mit dem um 1865 Robert in Seelowitz
in die Offentiichkeit trat. Es war das Ergebnis eines fast 20jährigen
Studiums aller in Betracht kommenden Arbeitsmethoden. Der
Entwicklungsgang, aus dem das Diffusionsverfahren hervor-
gewachsen ist, ist ein „eigenartiger und originaler"*), obgleich
die Idee schon Jahrzehnte vorher gelegentiich aufgetaucht ist»).
Man beobachtet hier wie so oft in der Geschichte der Erfindungen
das Phänomen, daß das Verdienst am technischen Fortschritt
nicht so sehr dem Entdecker eines wissenschaftlich und praktisch
wertvollen Faktums zufällt als demjenigen, dem es gelingt, für
die praktische Nutzanwendung desselben die richtigen Formen
zu finden. Roberts Verfahren ist dadurch charakterisiert, daß
die grünen Rüben in Schnitten möglichst geringer Dicke (Schnitzel)
zerlegt und der Wirkung der Diffusion (Erschöpfung durch Aus-
tausch von Säften verschiedener spezifischer Dichte) in mehreren
Perioden in der Weise unterworfen werden, daß der Saft nach
jedem einzelnen Zeitabschnitt durch anderen von immer ge-
ringerer Dichte als der in den Zellen der Schnitzel verbliebene
bis zu der wirtschaftiich größtmöglichen Erschöpfung ersetzt wird.
Der ganze Vorgang, der sich in einer Anzahl großer Einzel-
gefäße, der sog. Diffusionsbatterie, abspielt, wird durch in Richtung
der Saftkonzentration fallende Temperaturen unterstützt, welche
ohne ungünstige Beeinflussung der Saftbeschaffenheit den Saft-
austritt aus den Zellen beschleunigen^). Es ist von Wichtigkeit
*) Ober die Vereinszeitschrift konnte 1867 Scheibler die stolzen
Worte schreiben: «Kein Volk, keine Sprache besitzt ein ähnliches Werk
voll von so umfassenden und gründlichen Arbeiten wie die Vereinszeit-
schrift; ... sie wird ein Monument der Bestrebungen und Versuche
der Vereinsmitglieder, der Intelligenz des deutschen Vaterlandes und
der stufenweisen Ausbildung der Zuckerfabrikation aus Rüben bleiben.''
*) E. v. Lippmann, Festschrift des Vereins der deutschen Rüben-
zuckerindustrie, 1900.
') Große Ähnlichkeit mit dem Difhisionsverfahren hat ein von
M. de Dombasle im Jahre 1821 angegebenes Verfahren.
*) Schon Achard war die nachteilige Einwirkung der mittleren
Temperaturen auf den Saft bekannt.
60 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861--87.
dabei, daß die Wärmeübertragung auf den Saft außerhalb der
Diffusionsgefäße in den ursprünglidi offenen Wärmpfannen vor-
genommen wird.
Die prinzipiellen Vorzüge dieses Verfahrens, bei dem es
in hohem Grade auf Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ankommt,
und dessen grundlegende Bedeutung bald nach seinem Auf-
treten von vielen Seiten erkannt wurde, treten im einzelnen hervor
zunächst in einer besseren Saftausbeute, indem ein reinerer, faser-
freier Rohsaft bei einer nahezu vollständigen Entzuckerung er-
zielbar wurde, Vorteile, die sich in einer etwa einprozentigen
Steigerung der Füllmassen zeigten. Da sich dieser Erfolg bei
größeren Anlagen mit geringerem Kostenaufwand durchweg er-
reichen ließ, das Verfahren sich durch Einfachheit auszeichnete
und für die Praxis keine innere Begrenzung seiner Verwend-
barkeit zu erkennen war^), war es für Massenverarbeitung ge-
radezu prädestiniert. Dem stand eigentlich nur der große Wasser-
verbrauch entgegen, der als Hindernis empfunden wurde. Doch
wie man ihn durch Anwendung von Preßluft zu beschränken
lernte, so gelang es auch im lebhaften Wettbewerb aller Theo-
retiker und Praktiker, der tausendfachen methodischen und kon-
struktiven Schwierigkeiten bald Herr zu werden : Von der offenen
Wärmepfanne kam man zum geschlossenen Röhrenvorwärmer,
dem sog. Kalorisator, in dem der Saft mit Rückdampf erwärmt
wurde, anstelle des Kalorisators als Einzelapparat für die ganze
Batterie trat 1876 derselbe Apparat für jedes Diffusionsgefäß,
wodurch eine bequeme Regelung der Temperaturverhältnisse und
infolgedessen ein sicheres und schnelles Arbeiten erzielt wurde.
In gleicher Richtung wirkte das Studium, welches man den durch
Temperatureinflüsse hervorgebrachten Veränderungen des Saftes
zuwandte, so daß schon 1875 Bartz berichten konnte, „daß das
Diffusionsverfahren jetzt aufgehört habe. Feinde zu finden, dürfe
als ein neuer Erfolg registriert werden"*). In der Tat bedeutet
das Jahr 1875 die Wendung zu einer überaus lebhaften Steigerung
der deutschen Zuckerproduktion.
Amtliche Notierungen haben die Betriebsergebnisse der mit
dem Diftusionsverfahren im Gegensatz zu anderen Saftgewinnungs-
verfahren arbeitenden Fabriken festgestellt, und es ist hier wie
^) Man baut heute Difussionsbatterien von 10000 dz und >ehr
Rübenverarbeitung in 24 Stunden.
•) Vereinszeitschrift, 1875, S. 694.
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861-^.
61
selten einmal Gelegenheit gegeben, den Einfluß eines tiefein-
schneidenden technischen Fortschritts zahlenmäBig wiederzugeben.
Da sich die statistischen Ausweise auf die Fabriken des deutschen
Zollgebietes in ihrer Qesamtheit erstrecken und kein Orund da-
für ersichtlich ist, daß die mit Diffusion arbeitenden Betriebe
durch ihre sonstige Einrichtung besonders günstig gestellt sind,
so dürfte kein Einwand gegen ihre allgemeine Verwendbarkeit
zu erheben sein. Aus den Obersichten (S. 61 u. 62) geht hervor, daß
die allgemeine Einführung des neuen Saftgewinnungsverfahrens
um 1875 stattfindet, womit der ursächliche Zusammenhang mit
dem gewaltigen Aufblühen der deutschen Zuckerindustrie schon
recht nahe gerückt ist.
Sattcewinnuiigsverfaliren und Leistongsühigkeit.
In einer 12 ständigen
Betrieb mit
Arbeitsschicht wurden
BetTieb«-
Zahl der
t Rüben verarbeitet
Jabr
Fabriken
DiSu-
sonstigen Verfahren
in den
Dlffu*
sions-
bydraul.
andere
Zn-
sions-
in andern
verfabren
Pressen
Veriahren
Mimnen
fabrilcen
Fabriken
311
52
216
43
259
1871/71
33^
1872/73
324
63
220
41
261
48,1
33,9
1873/74
337
80
214
43
257
51,3
35.4
1874/75
333
113
181
§b
220
51,4
33,5
1875/76
332
157
137
38
175
57,3
35,9
1«I61TI
328
197
98
33
131
60,7
37,0
\8nfI8
329
224
81
24
105
63,0
38,5
1878/79
324
258
50
16
66
67,5
38,8
1879/80
328
291
28
9
37
71,4
41,0
1880/81
333
309
20
4
24
79,8
43,2
1881/82
343
324
16
3
19
84,7
39,6
1882/83
358
343
12
3
15
94,6
37,7
1883/84
376
368
6
2
8
100,6
353
Der frische Zug, der in die ganze Branche gekommen war
durch die unablässig wachsende versteckte Ausfuhrprämie, auf
deren weitgehende Ausnutzung man eigentlich erst Ende der
60er Jahre verfiel, übertrug sich auch auf alle anderen Stationen
des Fabrikbetriebs. Weiterschreitend im Produktionsprozeß treffen
wir auf die sog. doppelte Saturation. Indem man an Beobachter
der 50er Jahre anknüpfte, die dem Rohsaft während oder nach
62
Die deutsche Rfibensuckerindiutrie 1861—87.
^f
11
11,90
12,04
13,68
12,29
11,57
12,89
12,57
11,58
11,73
12^
12,52
13,65
Aut
in Diffu-
sions-
fabriken
kg
.68
11,61
11,54
13,10
11,82
11,11
11,74
11,73
10,94
10,80
11,40
11,24
12,71
1 100 kg vei
lasse
in sonsti-
gen
Fabriken
kg
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fabriken
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Fabriken
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kg
- JO M tO KJ JO JO KJ W .W KJ JO
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Fabriken
kg
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Rohzuch
Prod
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sions-
fabriken
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g Füllmasse
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in sonsti-
gen
Fabriken
kg
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sions-
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Fabriken
kg
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Die Darste
1 kgRo
benötigte
in Dithi-
sions-
fabriken
kg
12,18
12,30
11,01
11,86
12,53
11,55
11,40
12,32
12,19
11,13
11,77
10,32
Hang von
hzucker
n Rüben
in sonsti-
gen
Fabriken
kg
i
i
g
I
3
§
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861--87. 63
der Saturation nochmals Kalk zuzusetzen empfahlen, ,,da mit
der Menge des niedergeschlagenen Calcitunkarbonats die Dichte
des Schlammes, zugleich aber auch die Reinheit des Saftes
wachse^'Ov h^^ ^^^ ^^ Verfahren der doppelten Saturation
ausgebildet, als dessen Weiterbildung die Jellineksche Scheide-
saturation angesehen werden kann. Die überlegene Wirksamkeit
dieser Verfahren machte sich in einer den weiteren Produktions-
prozeß sehr erleichternden Reinigung des Rohsaftes von färben-
den und löslichen Beimischungen geltend. Der praktische Effekt
war die Reduktion desKnochenkohlenverbrauchsauf5—10o/o neben
gleichzeitiger Steigerung der Fällmassenausbeute ^).
Durch die großen Schlammassen, welche diese Methoden
brachten, wurde aber auch die Frage ihrer rationellen Auf-
arbeitung akut Die alte Schlammfiltration mit Beuteln, die man
ursprünglich abtropfen ließ, dann preßte und schließlich einem
systematischen Auslaugeprozeß unterwarf, stellte den wirtschaft-
lichen Erfolg der technisch vollkommneren Verfahren der Saft-
reinigung bei größeren Betrieben in Frage, so daß der Verein
der deutschen Rübenzuckerindustrie 1861 einen Preis für eine
befriedigende Lösung ausschrieb, ohne daß man das erwünschte
Resultat erhielt. Nach allerlei Versuchen brachte schließlich wieder
die bekannte Musterfcibrik in Seelowitz eine Erfindung heraus,
welche das Problem löste anknüpfend an sinngemäße in engli-
schen Raffinerien seit 1834 bestehende Vorrichtungen^). Der
Schlamm mit allem Saft wurde durch eine große Anzahl unter
einander in Verbindung stehender Filirierzellen mit hohem Druck
gepreßt, in denen die Schlammabscheidung durch Filtriertücher
bewirkt wurde, die über geriefte Metallplatten gespannt waren.
So gewann man den Schlamm in Form fester ziegelähnlicher
Kuchen und ventilierte dabei die Möglichkeit, durch Anwendung
von Druckwasser nach dem Abscheiden des Schlammes diesem
den Rest des Zuckergehaltes zu entziehen. So vorzüglich die
Erfahrungen mit der Filterpresse als Entsaftungsvorrichtung
1) E. v. Lippmann, Festschrift, S. 113.
^) Dumont hatte 25% Knochenkohle gebraucht.
*) Entwickiungsgeschichtlich ist es interessant, daß den in eng-
lischen Raffinerien gebräuchlichen Vorrichtungen als Ausgangspunkt eine
viele Jahre vorher in der Porzelianfabrikation eingeführte Maschinerie
diente, welche die Trennung des geschlemmten Kaolins vom Wasser
bezweckte.
64 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1861--87.
waren, so miBlich gestalteten sich die Versuche, sie zu einer
anschließenden Entzuckerung zu verwenden. Erst 1878 gelang
es Dehne, eine Filterpresse zu bauen, welche dies Problem be-
friedigend löste und deren Verwendung sich mit einer Verbesserung
der Fütlmassenausbeute von 0,25 o/o bezahlt machte. Damit trat
die Zuckerindustrie erst ift den vollen Oenuß aller an die Fitter-
presse geknüpften Vorteile.
Unter diesen war wohl der wichtigste die erhebliche Be-
schränkung des Knochenkohlenverbrauchs. Mochte man diesen
kostbaren Stoff zur Filtration des Dicksaftes oder des Dünnsaftes
oder beider Säfte benutzen, immerhin wirkte der nun erreichte
hohe Grad der Saftreinigung anreizend zu fortgesetzten Be-
mühungen, ihn wenigstens aus dem Rohzuckerproduktionsprozeß
mehr und mehr herauszudrängen. Wenn auch die Vorstellimg
von der absoluten Unersetzbarkeit der Knochenkohle eine tief-
eingewurzelte war, so legte doch die Praxis im Anschluß an
G. Meyers Versuche^), ihre nichtchemische Einwirkung durch die
Kiesfiitration zu ersetzen, in jenen Glaubenssatz Bresche. 1880
erzielte man durch jenes Mittel die ersten allgemeines Aufsehen
erregenden Ergebnisse, nachdem man die Schwierigkeiten der
Saftverarbeitung mit schwefliger Säure überwunden hatte*). Nach
einigen Jahren der heftigsten wissenschaftlichen Fehde trat wirk-
lich das nie geahnte Ereignis ein; nachdem man gelernt hatte,
die Qualität des Dick-, Dünn- und Rohsaftes durch sorgsame
Ausbildung der mechanischen Filtration zu heben, verschwand
die Knochenkohle langsam aus den Rohzuckerfabriken.
Was war inzwischen auf der Verdampf Station geschehen?
Rillieuxs Dreikörperapparat mit den wichtigen Änderungen Roberts
hatte hier zunächst eine Art Rückbildung zum Zweikörperapparat
erlitten, offenbar fürchtete man bei den hohen Kosten der An-
lage, zumal die steigende Dampfverwendung überhaupt schon
hohe Kapitalsinvestierung benötigte, nicht die in Aussicht ge-
stellte Wirtschaftlichkeit mit dem Dreikörperapparat zu erreichen.
Auch übersah man die von Rillieux angegebene Beheizung des
Vakuums mit Saftdampf, welche eine weitere bedeutende Er-
sparnis an Brennmaterial hätte bringen müssen. Zunächst ver-
gingen noch Jahre, bis man lernte, die Heizflächen richtig zu
*) O. Meyer, Zur Geschichte der Zuckerfabrikation (25 Jahre ohne
Knochenkohle), 1905.
«) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 145.
Die deutsche Rftbenzuckerindiistrie 1861 --87. 65
bemessen und die mannigfaltigen konstruktiven Schwierigkeiten
ai lösen, welche diese Anlage brachte. Erst 1879 wurde die
ganze Tedinik der Verdampfung neu belebt, als RUlieux nach
Europa zurückkehrte. Seine Arbeiten bahnten eine systematische
Verwendung aller im Behieb der Zuckerfabrik freiwerdenden
Wärmemengen an. Ihm und seinem Mitarbeiter Lexa gebührt
„unbedingt das Verdienst, durch alleinige Beheizung des ersten
Körpers mit Rückdampf und systematische Benützung der Saft-
dämpfe zum Kochen im Vakuum und zum Anwärmen der Säfte
auf allen Stationen der Fabrik (Diffusion, Saturation, Filtration
u. s. f.) eine völlige Umwälzung der Dampfverwendung in der
2Uickerfabrikation angebahnt zu haben^).'' Der Erfolg war eine
Ersparnis am Kohlenkonto, die für 1884 auf 30 o/o und mehr
angegeben wird.
Was die Rcrfizuckerarbeit anbetrifft, so wurdoi erst Ende
der 60er Jahre die Vorzüge des Kornkochens allgemein aner-
kannt Solange dauerte es, Us die auf wissenschaftiich-technischer
Forschung beruhende forteehrittliche Praxis mit der überlieferten
Kunst des Zuckersiedens nach den geheimnisvollen Methoden
der Siedemeister aufturäumen begann. Mittlerweile gelang es,
die Zentrifuge konstruktiv wesentlich zu vervollkommnen, so daß
sie nun sich überall einbürgerte. — Bei der Steigerung der
Leistungsfähigkeit aller Apparate wurde bald die langwierige Ver-
arbeitung der Nachprodukte als recht lästig empfunden. Die
Bestrebungen,, ihnen ganz aus dem Wege zu gehen, führten
ebensowenig zu dauerndem Erfolg wie Versuche, welche eine
Begünstigung der Kristallisation durch bestimmte Temperatur-
verhältnisse bezweckten.
Dagegen kam man der technischen Verwertung der Melasse
ein erhebliches Stück näher. Es entsprach dem Stand der Zucker-
chemie in Deutschland, daß 1860 die Kenntnis von ihrer Zu-
sdffiimensetzung noch recht mangelhaft war. Während sich die
Melassebrennereien von nun an mehren, kam die Qewinnung
und Verarbeitung der Schlempekohle, die in Frankreich den Aus-
gangspunkt einer ausgedehnten dhiemischen Industrie tnldete»
eigentlich hier nie zur Entwicklung. Hingeben lernte man bei der
steigenden Verlockung, aus der Gewichtseinheit Rüben eine mög-
lichst große Oewichtsmenge Zucker herauszuziehen, in Anlehnung
1) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 157.
Schuchart, Zuckerindustrie.
66 Die deutsche Rfibenzuckerindastrie 1861—87.
an die Arbeiten französischer Forscher^) die Entzuckerung der
Melasse mit wirtschaftlichem Erfolge zu entwickeln. Eine ganze
Reihe Verfahren gelangten Ende der 70 er Jahre zur Einfuhrung,
mit denen man dahin kam^ den Melassezucker bis auf etwa 10 o/o
zu gewinnen und so die gesamte Zuckerausbeute beträchtlich
zu heben.
Weit weniger als die Rübenzuckerfabrik wurde die Raffinerie
von einschneidenden Veränderungen technischer Natur betroffen.
Bei ihr handelte es sich im wesentlichen darum, die vorher ge-
machten technischen Verbesserungen grundlegender Natur ihren
besonderen Verhältnissen entsprechend und in Anlehnung an
Neuerungen in der Produktionstechnik der Rohzuckerfabriken zu
entwickeln. Vor allem kamen der Raffinerie die Filterpressen
zugute, welche den Verbrauch an Knochenkohle zu beschränken,
wenn auch nicht zu beseitigen vermochten. Das Komkochen,
die Zentrifugenarbeit, das Decken mit sorgsam geklihltem Klärsei
usw. ermöglichten femer, in beträchtlich kürzerer Zeit Fertigware
zu liefern, wodurch eine bessere Ausnutzung des Anlagekapitals
gegeben war. Das war ihnen im Zeichen der besonders in den
70 er und 80 er Jahren eintretenden Preisrückgänge doppelt er-
wünscht
Nahezu alle die berührten wirtschaftlich bedeutsamen Ver-
änderungen in der Produktionstechnik der deutschen Zucker-
industrie während der Jahre 1860—87 hatten, wenn auch oft
nicht zu ihrer Erfindung, so doch zu ihrer Ausbildung und Ober-
wachung, einen gemeinsamen Faktor zur unmittelbaren Voraus-
setzung: Die Ausbildung chemisch-wissenschaftiicher Forschung.
In der Hinsicht zeigt dieser Zeitabschnitt die reiche Entfaltung
dessen, was im vorhergegangenen in weniger markanten Linien
angedeutet war: den endgültigen Sieg des induktiven Verfahrens
über das deduktive. Nicht aus dem weiten Kreise der Praktiker
sollte die große Erweckung der deutschen Zuckerindustrie zur
.Weltindustrie erfolgen, sondern der Bahnbrecher war der un-
ermüdliche Chemiker, in dessen Reagensglas und Kalorimeter
die letzten Entscheidungen fielen. OewiB trägt auch diese Ent-
wicklungsära einen methodischen Zug — welche prinzipiellen
Neuerungen brachten nicht schon die Diffusion und die Ver-
^) Das erste technisch brauchbare Melasseentzuckerungsverfahren
gab 1849 Dubrunfaut an. Es war das Barytverfahren.
Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1861—87. 67
dampfstation nach Rillieuxs Entwürfen — -, aber seine Obersetzung
in die Praxis wird in ganz anderer .Weise eingeleitet als ehedem.
Neben den einst aQgewaltigen Siedemeister, von dessen sub-
jektiver „KuDsif^ das .Wirtschaftsergebnis abhing, tritt der auf ob-
jektiver Wissenschaft fußende Chemiker, der sich nicht mit der
Feststellung der Erscheinung begnügt, sondern ihres inneren
Wesens Kern auf den Qrund zu kommen sucht, künstlich vor-
geschobene Hindernisse, die dem Lauf der EMnge en^egen-
stehen, aus dem Wege räumt und andre aufrichtet, die ihren
Lauf in die gewünschten Bahnen zwingen. Die Biffusionsarbeit,
deren Erfolg mit einer vorher unbekannten peinlichen Ober-
wachung der Säfte auf jedem Punkt der Batterie steht und fällt,
und die nur mit großer Schwierigkeit bewältigt werden konnte,
wurde der Chemie der Zuckertechnik zum ersten Prüfstein. Aber
auch die jetzt erst systematisch ausgebildeten Saftreinigungsver-
fahren chemischer und mechanischer Natur, die ausgedehnten
Melasseentzuckerungsverfahren machten eine fortgesetzte sorg-
same chemische Kontrolle zur Bedingung, wenn der Erfolg der
Arbeit ein vollständiger sein sollte. Die Wandlungen des Be-
triebes trieben den Wirtschaftsleiter dazu, mehr und mehr seine
Kenntnisse von den inneren Vorgängen auf den einzelnen Stationen
zu vertiefen oder sich einen Hilfsbeistand in einem Chemiker zu
suchen, welcher die Zuckerchemie als SpezialWissenschaft betrieb.
Gerade die deutsche Zuckerindustrie kann für sich das Verdienst
in Anspruch nehmen, dadurch daß sie sich vom Auslande immer
unabhängiger zu machen suchte, eine Reihe erstklassiger Forscher
in jener Zeit hervorgebracht zu haben, deren vielfach grundlegende
Arbeiten von den Industrien anderer Nationen anerkannt wurden.
Der glänzende Erfolg der planvollen wissenschaftlichen Arbeit
auf allen Gebieten des weitverzweigten Produktionsganges be-
rechtigt, die Entwicklungsperiode 1860—87 als die spezifisch
chemisch-wissenschaftlichen Charakters anzusprechen.
Das war also der unmittelbare technisch-ökonomische Erfolg
jenes ursprünglich unbewußt ausgeübten Stimulativs der Aus-
fuhrbonifikationspolitik: £ine gewaltige Belebung aller Einzel-
elemente in ein und demselben Sinne, nämlich der höchstmög-
lichen Ausnutzung eines möglichst hochwertigen Rübenquantums.
Während die Zahl der Rübenzuckerfabriken von 247 im Jahre
1860/1 auf 304 1870/1, 333 1880/1 und 401 1886/7 stieg, sprang
die Totalproduktion in den gleichen Jahren von 1265260 dz auf
68 Die deutsche Rfibenzuckeriadustrie IWl^-ST.
2629867, 5730214 und 10182816 dz, auf Robzucker reduziert
Die dUrch^hnittUche Produktionszahl des Einzelbetriebs stieg von
5122 dz im Jahr 1860/1 auf 24579 dz 1886/7, wahrend sich die
Ausbeuteziffer von 8,62 auf 11,86 hob.
Das Ergebnis der Entwicklungsperiode 1861— BT ist etwa das
folgende: Während von 1861—70 etwa die Rückerstattung der
j^ezahlfen Matenalsteuer bei Ausfuhr keine Prämie oder nur dn^
Solche für besonders günstig arbeitende Betriebe enthält, wird
von da ab dieselbe zur Regel. Die Technik arbeitet mit allei*
Kraft darauf hin, aus der Gewichtseinheit der Rfibenmenge mög-
lichst viel Zucker herauszuholen und dementsprechend nur ihög-
Uchst zuckerreiche, leicht verarbeitungsfähige Rohware zu ver-
arbeiten. Während technisch wertvolle Ideen des Auslands imthei*
noch übernommen werden, arbeitet die deutsche Zuckertechnik
mit vorzüglichem Erfolge im allgemeinen an ihrer Anwendung
und Ausgestaltung nach ihren ureigenen Betriebs- und Wirt-
schaflsbedingun^en. Nahezu alle Neuerungen großeh Stils, voii
der Diffusion bis zur Rohzuckerarbeit, laufen auf eine neue, eigen-
artige Technik der Massenverarbeitüng hinaus, die unmittelbar«
Folge des Abgabensystems, welches den Oroßbetrieb prämiierte.
Demgegenüber wird die letzte Hoffnung, die Zuckerindustrie zu
einem Unternehmen des kleinen Mannes zu gestalten, endgültig
aufgegeben. Der Oroßbetrieb basiert auf reichlicher Dampfver-
wendung und auf^einem ebensosehr auf Erfahrung als auf wissen-
schaftlicher Kenntnis der Vorgänge beruhenden Wissen. Beidiä
Momente bedingen das Vorhandensein besonderer Fachkennt-
nisse der Betriebsleitung. Da die chemisch-wissehschaftiiche Ridl-
timg der Zuckertechnik an der vorliegenden Entwicklungsperiod«
besonderen Anteil hat und ihr ein charakteristisches Oepräge
gibt, stehen wir nicht an, sie als die chemisch-wissenschaWiche
Ära zu bezeichnen.
2. Kapitel.
Die deutsche Rübenzuckerlndustrle 1887— 1907,
Wie TU erwarten war, hielt sich das finanzielle Ergebnis der
Zttckersteuierrögulierung von 1886 nidit auf einer das Staats-
interesse befriedigenden Höhe. Im Jahre 1885 standen dem
Die deutsche Rfibenzuekerindustrie 1887—1907. 69
Ertrage der Materialsteuer von 166,4 Mill. Mark, 128.4 Mill. Mark
Ausfuhrvergutungen gegenfiber, so daß einschlieBlich der Ein*
fuhrzöDe der Nettoertrag 39,4 Mill. Mark betrug. Diese Summe
fiel 1888 auf 14,7 Mill. Mark, während 1884 67,3 Mill. Mark
erzielt waren.
Aber auch im Kreise der Industrie fehlte es nicht an Stimmen,
welche die Ungerechtigkeit der Besteuerung energisch bekämpften,
die auf eine Begfinstigung der unter den vorteilhaftesten land-
wirtschaftlichen und technischen Voraussetzungen arbeitenden
Betriebe hinauslief. Bei der Untersuchung der organisatorischen
.Wandhtngen werden wir gelegentlich der örtlichen Verbreitung
der Industrie auf diesen Punkt einzugehen haben. Doch schon
hier sei gesagt, daß jene Konsequenz den Fabriken auf dem
klassischen Räbenboden, in der Provinz Sachsen, Anhalt und
Braunschweig fast ausschließlich zugute kam und diesen eine
Art Monopolstellung einräumte. Man war sich darüber einig, daß
den beiderseitigen Wünschen nur eine Besteuerungsform genügen
konnte, welche das Steuerobjekt nicht im Rohstoff, sondern in
der Marktware erfaßte. Andrerseits war mit dem Projekt einer
Pabrikatsteuer die Frage aufgeworfen, ob die Industrie technisch
bereits soweit konsolidiert sei, daß sie ohne Schaden diese ent-
scheidende Wendung überwinden könnte. Wir beschränken uns
auf die Tatsache, daß sich der Reichstag einem zwischen beiden
Steuersystemen vermittelnden Entwurf anschloß. 1887 fixierte er
die Materialsteuer auf 0,80 Mark pro Doppelzentner unter Auf-
lage einer Fabrikatsteuer im Betrage von 12 Mark, gleichzeitig
erhöhte er den Rohzuckereinfuhrzoll von 24 Mark auf 30 Mark bei
einer Steuervergütung im Falle der Ausfuhr von mindestens 500 dz
von 8,50 Mark. Wie diese Sätze nach Berechnungen Sachver-
ständiger eine Begünstigung von über 2,50 Mark in sich schließen,
so trugen auch die für veredelte Ware (Kandis, Raffinade usw.)
gratifikatorischen Charakter. In diesem Sinne sprachen sich auch
die Motive zu einem ähnlich formulierten Gesetzentwurf der
Regierung aus. Ganz offen tritt er aber zu Tage in dem Gesetz
von 1891. Mit ihm gelang das Prinzip der Fabrikatsteuer zu un-
eingeschränktem Durchbruch. Unter Beseitigung der Material-
steuer wird die Fabrtkatsteuer auf 18 Mark festgesetzt und eine
offene Ausfuhrprämie von 1,25 Mark pro Doppelzentner Roh-
zucker bewilligt; für die hochwertigeren Produkte waren ent-
sprechende Sätze vorgesehen. Diese Maßnahmen waren vor allem
70 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907.
gegen die französische Regierung gerichtet, wekhe das Heil ihrer
Zuckerindustrie in einem durch außerordentliche Unterstützungen
forcierten Export suchte. So unterblieb denn auch eine in Aus-
sicht genommene Herabsetzung der Ausfuhrprämie angesichts
des ausgebrochenen internationalen Kampfes um den Weltmarkt
Statt dessen erhöhte ein Gesetz von 1896 den Ausfuhrzoll auf
2,50 Mark pro Doppelzentner Rohzucker unter gleichzeitiger Fest-
setzung der Fabrikatsteuer auf 20 Mark und der Einführung einer
Maximalausfuhrmenge, welche eine Kontigentierung der Total-
produktion zur Folge hatte. Eine besondere Betriebsabgabe,
welche den Großbetrieb treffen sollte, vermochte wegen ihrer
niedrigen Bemessung keine entscheidende Wirkung auszuüben«
Der Anreiz zur Herabdrückung der Produktionskosten auf dem
Wege der Betriebsgrößensteigerung zwecks Ausnützung des Aus-
fuhrzolls blieb in gleicher Macht bestehen.
Mit dem geschilderten komplizierten Besteuerungssystem
räumte das letzte Gesetz 1903 auf durch Einführung einer ein-
heitlichen Verbrauchsabgabe von 14 Mark pro Doppelzentner
Rohzucker, eines Einfuhrzolls von 18,80 Mark auf alle Zucker
und Aufhebung der Ausfuhrvergütung. Dem Gesetz diente als
Unterlage die Brüsseler Konvention, eine internationale Ver-
ständigung bezüglich der Ausfuhrprämienfrage in den wichtig-
sten Zucker produzierenden europäischen Staaten mit Ausnahme
von Rußland und mit Einschluß Englands und Perus. Damit ge-
langte ein seit 40 Jahren gepflegter Gedanke ^ zur Verwirk-
lichung: der Wegfall aller offenen und versteckten Ausfuhr-
prämien. Mit der ersten auf staatliche Intervention zurückzu-
führenden Produktionsregulierung internationalen Charakters
eines so hochbedeutenden Konsumartikels, wie ihn der Zucker
darstellt, hat dieser den Beweis für die politische Möglichkeit
ähnlicher Abmachungen geliefert und die Staaten ein Stück der
internationalen Wirtschaftspolitik im Sinne einer geordneten Welt-
wirtschaft näher gebracht; andererseits aber stellt die Konvention
das Schlußglied der vielgliedrigen Kette wulschaftspolitischer Maß-
nahmen dar, welche der Zollverein bezw. das Deutsche Reich
dem Zucker gegenüber vertreten hat
Es erhob sich nunmehr die Frage: Wodurch erwuchs der
deutschen Zuckerindustrie nach dem Fall der Materialsteuer und
^) W. Kaufmann, a. a. O.
Deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907. 71
der Ausfuhrprämie der Anreiz^ ihre Technik weiter mit demselben
Eifer zu verbessern? Denn das tat sie, wie die weitere Entwick-
lung zeigen wird. Es liegt hier das Phänomen einer planmäßigen
Verschiebung in der Konstitution des Absatzes, der Bedfirfnis-
frage, vor; in Rikksicht auf die Preis bestimmenden Momente
ausgedruckt: die Ausweitung der Qrenzen anderweitiger Be-
schaffungsmöglichkeit Einer Zeit der durch ZöQe zurück-
gedrängten und durch Ausfuhrprämien künstlich ausgeweiteten
Begrenzung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt folgt
die der Befreiung wenigstens von allen versteckten und offenen
Mittehi der letzteren Oruppe und die Reduktion der ersteren
in allen Vertragsländern auf einem Einheitssatz, das heißt: die
ehedem künstlich forcierte und andererseits gehemmte Produktion
wird zu einer Produktion, die im Konkurrenzkampf auf sich
selbst gestellt ist und auf die bestmögliche Nutzbarmachung der
natürlichen Produktionsmittel nach Maßgabe ihres technischen
Vermögens beschränkt ist Daß man dabei die Industrie in
Deutschland für stark genug hält, eine Verbrauchsabgabe von
14 Mark zu tragen, steht theoretisch damit erst mittelbar in
Zusammenhang. Die kritische Zeit des Obergangs von einem
System zum andern, der ihr durch die Zwischenschaltung eines
gemischten Steuersystems geschickt erleichtert wurde, hat die
deutsche Rübenzuckerindustrie ohne eigentlichen Schaden über-
wunden. Das spricht einmal für den hohen Orad der technischen
Vollendung ihres Betriebs, der es ihr erlaubte, den immer heftiger
entbrennenden Kampf mit dem Rohrzucker erfolgreich aufzu-
nehmen. Nicht so sehr der Konkurrenzkampf der Rübenzucker
bauenden Länder Europas untereinander ist es, der im Vorder-
grunde des Interesses sich bewegt,^) als vielmehr der Kampf des
Rübenzuckers mit dem Rohrzucker um freie Absatzgebiete. An-
dererseits aber erwuchs aus dem Bestreben, den Weltmarkts-
preis zu drücken, ein gewaltiger Stachel der nunmehr auf sich
selbst gestellten Industrie, ihre Technik unausgesetzt mit allen
Mitteln des Fortschritts umzugestalten.
Und tatsächlich blieb die Industrie keinen Augenblick in
der überlieferten Technik stehen, so daß sie die durch die Aus-
^) Vor allem kommt hier der russische Zucker in Betracht, der
durch Auflösung der Brüsseler Konvention ganz hervorragend an Aus-
fuhrfähigkeit gewinnen würde.
72 Die deutsche Rflbenzuckerindustrie 1887—1907.
fuhrprämien vordem beschriebenen Preisgrenzen mit einem wenn
auch mäßigen Verdienst vielfach zu unterschreiten und den Export
fast vollständig ohne ktinstliche Mittel aufrecht zu erhalten ver-
mochte.
Wichtiger technisch-ökonomischer Fortschritte bedurfte es, um
die sinkenden Preise auszugleichen und die Industrie ihrem Be*
stände nach zu erhalten. Der Zuckerchemiker wurde nun endlich
die typische Erscheinung des Betriebs und drang auf dem Wege
der Einzelforschung mit steigendem Eifer, mittlerweile mit voll-
kommeneren Instrumenten, Methoden und allgemeinem chemischen
Wissen und Können ausgerüstet, in das unerschöpflich erschei-
nende Gebiet der Zuckerchemie. In neuester Zeit kann man
eine wichtige Differenzierung unter den sich mit chemischen Ar-^
beiten befassenden Beamten der Zuckerfabriken allgemein wahr-
nehmen, welche sehr charakteristisch ftir die Rolle ist, welche
die Betriebsüberwachung durch den Chemiker heute spielt. Neben
der Kategorie von Aufsichtsbeamten, welche über ein allgemeines
chemisch-technisches Wissen verfugt und welche sich mit Unter-
suchungen chemischer Natur befaßt, soweit sie mittel- oder un-
mittelbar mit der Produktionstechnik zu tun haben, besteht eine
Gruppe von Beamten, welche ohne tiefere Kenntnisse der Chemie
nur mit den im Betrieb regelmäßig auftretenden Feststellungen
vertraut ist und diese unter Oberleitung der Vertreter jener ersten
Gruppe, meist durchaus sehematisch, vorzunehmen hat. Die Arbeit
des allseitig gebildeten Chemikers wird also im modernen Riesen-
betrieb zum Teil an eine Kategorie auf besondere Art angelernter
Arbeiter übertragen, während ersterem der organisatorisch-schöp-
ferische Teil chemischen Schaffens lediglich verbleibt.
Bei der unausgesetzt steigenden Massenverarbeitung in den
Einzelbetrieben und den sinkenden Zuckerpreisen verschob sich
die Größe der die Produktionskosten bildenden Einzelsummanden ;
ehedem unwichtig erscheinende, kostenverbilligende Momente
fielen bei dem geänderten Kräfteverhältnis der Einzelkomponenten
mehr als sonst vielfach ins Gewicht und erforderten nicht nur ein
sorgsames Studium allgemeiner Natur, sondern auch eine ana-
lytische Behandlung, um aus der Materie heraus die Mittel ftir
ihre bestmögliche Nutzung und Entfaltung zu entwickeln. Fiel
dabei dem durchgebildeten Chemiker, soweit der Innenbetrieb
des Unternehmens in Frage kam, manche dankbare Aufgabe
zu, so wurde ein großer Teil seiner Arbeitskraft nun immer mehr
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907. 73
von der Aussonderung und Überwachung der Roh- und Hilfs-
stoffe absorbiert, welche heute für die Ehirchschnittebetriebs-
große sogar gewaltige Wertmengen repräsentieren. Immer wird
es auch Sache dieses Verwaltungsorgans heute sein, sich ül>er
den jeweiligen Stand der Dinge auf allen Einzelstationen auf
Orund der von den unteren Organen festgestellten Ergebnisse
auf dem Laufenden zu erhalten, um Fehlerquellen in der Ver-
arbeitung aufs schnellste ausfindig zu machen, auszuschalten und
ihre etwa schon eingetretenen Folgen bestens zu beseitigen. In
einem andern Zusammenhang wird zu sagen sein, weshalb gerade
dieser Punkt dem modernen Riesenbetrieb besondere Aufgaben
stellt.
Die Verschiebungen, welche in der Konstitution der Roh-
zuckerfabrik in der vorliegenden Epoche stattfanden, haben den
Chemiker die Stellung, die er in der vorhergehenden sich errungen
hatte, zum großen Teil wenigstens behaupten lassen. Als den
wertvollsten Einzelfortschritt technischer Natur dieser Zeit, an
dem gerade der Chemiker hervorragend beteiligt ist, können wir
die sogen. „Kristallisation in Bewegung" bezeichnen. Sie wurde
1884 von Wulf angegeben und war ursprünglich lediglich für
Nachprodukte gedacht; 1887 hielt sie ihren Einzug in die Praxis.
Es handelt sich hier um die Erzeugung des Zuckerkristalls unter
Einhaltung gewisser Konzentrations-, Mischungs-, Zeit- und
Wärmeverhältnisse unter Anwendung einer gleichmäßig regulier-
ten Bewegung. Seine praktische Ausgestaltung erlebte dies ül>er-
aus peinliche Sorgfalt und Kontrolle beanspruchende Verfahren
in der Kombination mit der Sudmaische, einer aus amerikanischen
Raffinerien stammenden Einrichtung, die einen unterhalb des
Vakuums und oberhalb der Zentrifugen angebrachten offenen
Trog mit Mischvorrichtung darstellt, welche von Haus aus nur
auf die Ersparnis an Handarbeit, Schnelligkeit und Sauberkeit
der Arbeit abadelte. Als Resultat der langjährigen Versuche mit
der „Kristallisation in Bewegung" in Raffinerien und Rohzucker-
fabriken ergaben sich nicht nur diese Vorteile, sondern — und
das war das Wesentliche — eine erhebliche Mehrausbeute an
Erstprodukt, die eine sehr viel günstigere Verarbeitung der Nach-
produkte involvierte. Dieser sehr ersehnte Oewinn konnte aller-
dings nur wieder durch hohe Anforderungen an die Überwachung
zunächst und eine sehr sorgsame Behandlung der Säfte zumal bei
der Scheidung und Saturation erkauft werden.
74 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907.
Indes trotz der außerordentlich entwickelten Funktionen des
Zuckerchemikers lag auf chemischen Gebiet nur ein Teil der pro-
duktionsverbilligenden Faktoren, welche die Zuckerindustrie sich
erschloß. Wie die Ausgestaltung in die Praxis übersetzter
chemischer Prozesse bei dem Fortschreiten des allgemeinen
Maschinen- und Apparatebaues schon früher den Fachleuten jenes
Gebietes zufiel, so genügten nunmehr angesichts der mit Macht
zunehmenden Mechanisierung und dem Fortschreiten der
Maschinentheorie in allen Teilgebieten nicht mehr immer die nur
selten auf allgemein technisch-wissenschaftlicher Grundlage be-
ruhenden Kenntnisse des leitenden Chemikers zur Ausbildung
der einzelnen Maschinenapparate und ihrer rationellen Bewirt-
schaftung. Ihm kam der Maschineningenieur zu Hilfe, zunächst
um ihm die seinen Intentionen entsprechenden Vorrichtungen
in die Hand zu geben, dann aber auch, um die ganze Maschinen-
einrichtung einer Revision auf Grund neuzeitlicher Grundsätze
zu unterwerfen und um schließlich selbständig Aufgaben im
maschinellen und apparatetechnischen Teil der Zuckerindustrie
zu entdecken und zu bearbeiten; mochten sie nun spezifisch
maschinentheoretischer, thermodynamischer oder praktischer Art
sein, immer lagen sie auf wirtschaftlich-technischem Gebiete.
Es ist eine allgemeine Erscheinung, daß in den Zeiten leb-
haften Aufschwungs, in der sich der Käufer notgezwi^ngen oder
im Taumel des eigenen glänzenden Geschäftsgangs einen Preis
gefallen läßt, welcher dem Fabrikanten einen reichlicheren Profit
als sonst zuschiebt, die Industrie im ganzen wenig Neigung
hat, verbesserte Produktionsverfahren an Stelle nicht mehr zeit-
gemäßer zu setzen. Erst in Zeiten der Depression wird die alte
Technik revidiert, dann erst wird exakt gerechnet, actio und
reactio peinlich abgewogen und organisiert Das bestätigt die
deutsche Rübenzuckerindustrie hinsichtiich der Maschinentechnik.
Es muß außerordentlich befremden, daß 1890 einer ihrer aller-
besten Kenner, Professor E. v. Lippmann, sich äußerte, „daß
bis vor Kurzem keine Industrie von der Größe und Bedeutung
der Zuckerindustrie mit so geringem Maschinenmaterial arbeitete
wie diese"!), und daß 1895 die Dampfmaschinen der Zucker-
fabriken als immer noch von meist kläglicher Beschaffenheit
bezeichnet werden konnten. Demnach mag die Behauptung
1) Vereinszeitschrift 1890, S. 611.
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907.
75
paradox klingen^ da6 der ältere deutsche Maschinenbau der
deutschen Zuckerindustrie außerordentlich viel zu verdanken hat,
eine Tatsache, auf die nachdrücklich hingewiesen zu werden
verdient
Da in der Eigenart des Betriebes der Zuckerfabrikation eine
sehr starke Dampfverwendung begrfindet ist, so ist es einleuchtend,
daß sie in der Zeit, als der deutsche Maschinenbau in den ersten
Beachtung heischenden Anfängen stand, seine Leistungsfähigkeit
im Bau von Dampferzeugern zumal in hohem Maße in Anspruch
nahm und dadurch unmittelbar an seinem Aufschwung sich be-
teiligte, um so mehr, als sie unter allen größeren Industrien
prozentual die größten Heizflächen benötigte.^)
Es liegt in der Natur der Dinge, daß die Beteiligung des
Maschineningenieurs am Ausbau der Zuckerfabrikation auf die
rationelle Erzeugung und Verwendung des Dampfes von vorn-
herein gerichtet sein mußte. Die Herabsetzung des Kohlenkontos,
das von jeher einen großen Teil der Produktionskosten ver-
schlingt, unter Aufwendung aller sich hier als wirtschaftlich er-
weisenden Mittel der modernen Technik mußte das unmittelbare
Ziel seiner Aufgabe sein, und indem ihm hier die Sicherung ganz
beträchtlicher Ersparnisse verhältnismäßig leicht und mit ein-
^) Auf Grund der 1877/78 vorgenommenen Dampfkesselaufnahme
macht E. Engel folgende Angaben fiber die sieben der Oesamtheiz-
fiäche nach größten Gruppen:
Von 100
Kessel mit einer
Kesseln
Heizfläche
Qesinit-
Durch-
entfallen
über
von 25 bis
heizflSche
schnitts-
auf die
60 qm in
•/oderOe-
60 qm in
% derOe-
in qm
heizfläche
Gruppe
samtzahl
samtzahl
1. Eisenerzbergbau und
Verhüttung ....
17,03
28,15
49,64
193504
47,18
2. Steinkohlenbergbau
und Koksöfen . . .
11,46
53,60
36,11
210125
60,66
3. Textilindustrie . . .
11,54
28,82
40,75
153260
44,72
4. Branntweinbrennerei.
8,13
8,24
40,55
109201
30,62
5. Zuckerfabriken . . .
5,20
56,46
40,00
101834
63,85
6. Industrie der Werk-
zeuge, Maschinen und
Apparate
5,50
8,73
31,49
40995
28,00
7. Metallverarbeitung .
4,85
11,97
Tsipn
38514
30,23
76 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907.
fachen Mitteln gelang, wurde seine Position im Rahmen der
Zuckerindustrie anerkannt Erst Anfang der 90 er Jahre fing man
unter seinem Einfluß an, auf Orund der Untersuchungen von
Kessel- und Maschinenanlagen, wissenschaftlicher Hilfsmittel,
deren sich die neuere Dampftechnik anderswo längst bedient hatte,
der weit verbreiteten sinnlosen Dampf- und Brennstoffverschwen-
dung entgegenzuarbeiten und war erstaunt, Fehlerquellen zu
finden, die, wie z. B. die falsche Einstellung von Steuerungs-
organen am Dampfzylinder, in der Betriebsperiode sich zu einem
völlig nutzlosen Mehraufwand summierten, der bis in die Tausende
ging.^) Es waren das vielfach kostspielige Remiszenzen aus der
Zeit, in der der kunstbeflissene Siedemeister alten Stils die un-
fehlbare Autorität in allen Dingen war.
Die Eigenart der bei der Dampfverwendung der Rübenzucker-
fabriken auftretenden Probleme, welche die bei der Dampfwirt-
schaft in den meisten sonstigen gewerblichen Betrieben heraus-
gebildeten konstruktiven und ökonomischen Normen vielfach über
den Haufen wirft, fließt aus der Verschiedenheit der Zweck-
setzung. Während sonst zumeist der Dampf ausschließlich moto-
rischen Zwecken dient, mithin die wirtschaftlich-günstigste Qe-
winnung der größtmöglichen, an der Schwungradwelle abnehme
baren Energiemenge aus einer gegebenen Kohlenmenge erstrebt
wird, mit anderen Worten, die größtmögliche Brennstoffaus-
nützung in der Kesselanlage und größtmögliche Dampfausnützung
im Dampfzylinder unter Einhaltung der Wirtschaftiichkeit, ver-
langt die Rübenzuckerfabrik, welche die weitaus überwiegende
freigewordene Wärmemenge zu Kochzwecken verwendet, eine
nach der jeweiligen ganz individuellen Betriebsformation gün-
stigste Ausnützung des Brennstoffs zu Koch- und Kraftzwecken.
Es kann nicht im Bereich unserer Aufgabe liegen, die viel-
seitigen, praktisch-wirtschaftlichen Konsequenzen dieses prin-
zipiellen Unterschieds in den Erscheinungsformen des Betriebs
zu verfolgen und ihrem Wesen nach zu begründen. Der Hinweis
auf zwei Punkte, die zunächst liegen und die Ausgangspunkte
zweier Entwicklungsreihen darstellen, möge hier genügen.
^) Die Verluste waren natürlich wesentlich erträglicher, wenn für
eine sorgfältige Ausnutzung der im Abdampf der Kraftmaschinen auf-
gespeicherten Wärmemengen durch Verwendung dieses Dampfes zu
Heizzwecken Sorge getragen wurde.
Die deutsche Rfibenzuckeriadustrie 1887—1907. 77
Qleichviel ob der Dampf zum Heizen oder zur Krafterzeugung
dienen soll, ob seine Spannung hoch oder niedrig sein soll, in
beiden Fällen ist zu rationeller Wirtschaft ein technisch voll-
kommener Dampferzeugungsapparat nötige das ist ein solcher,
der mit einem hohen Wirkungsgrad den Brennstoff zur Dampf-
iMlbugüng ausnützt unter Berücksichtiguhg der Anforderungen an
ttte WirtsdiäfÖichkeit, Wartuhg, Reparaturföhigkeit usw.*). Mit-
Wh muBte der Maschineningenieur als Ausgangspunkt einer ver-
nunftgemäßeh I>ampftechhik seine Aufgabe darin erkennen, die
fCesselahlageh der Rüb^nzuckerfabrik nach zeitgemäßen Grund-
sätzen umzugestalten unter sorgfältiger Beobachtung aller aus
den besonderen Bedürfnissen der Zuckerfabrikation und der In-
dividualität des Betriebs skrh herleitenden Ansprüche hinsichtlich
Leistungsfähigkeit und Betriebsintensität, Gruppierung der Aggre-
gate, Roh- und Hilfsstoffen usf. Als Zubehörstück dazu ist die
in wenigen Frabrikationszweigen so sehr ins Gewicht fallende
Forderung zu betrachten, die gewaltigen Wärmeverluste in dem
überaus w6it Verzweigten Dampfleitungsnetz ieines modernen Groß-
betriebes durch besondere Sorgfalt in Anlage, Konstruktion und
Überwachung zti reduiferen. Die repressive Behandlung des
Daifhpfes durdi die moderne Technik wird aber ergänzt durch
Ötie präventive, nicht minder wirksame: Die zweite Entwick-
hmgsreihe geht aus vbn der Erkenntilis, daß jede freiwerdende
Wätthemenge durch Wirtschaftliche, aber möglichst vollkommene
Mittel, eventuell unter Anwendung des lüftverdünnten Rauihes
ttir Gewinnung der in ihr aufgespeicherten Energie nutzbar zu
lüadien ist.
Mit welchem Erfolge es so gelang, den Kohlenverbrauch
herabzudrücken zeigt die folgende Zusammenstellung. Es wurden
benötigt an guter Steinkohle zur Verarbeitung von 100 kg Rübeii
zu Rohzucker:
^) Zunächst lagen die Dinge noch so, daß die vollkommeiisten
Maschinen usw. für den Betrieb der Rohzuckeriabrikation vielfach un-
rentabel waren, da z. B. die Verwendung des Abdampfes zu Heiz-
zweeken einen Teil der Nachteile, welche seine unwirtschaftliche Aus-
nutzung im bampfzylinder mit sich brachte, wieder wettmachte. (VergU
Vereinszeitschrift 1891, S. 374 und 1894, II. S. 80.) Durch das Wachs-
tum der Betriebsgrößen haben sich seither aber die Verhältnisse gänz-
lich verschoben, so dass die Rentabilitätsgrenze wesentlich eher er-
reichbar ist als ehedem.
78 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907.
1861
33-40 kg»)
1877
ca. 24 , •)
1890
- 10 ,«)
1900
6-7 ,*)
Vergleichsweise seien hier die Betriebsresultate eines in Süd-
deutschland gelegenen kombinierten Betriebes mitgeteilt, welcher
im Jahre 1899 seine Dampfstation durch Einführung des
quadrouple-effet an Stelle des douUe-effet verbesserte.
Der Steinkohlenverbrauch für 100 dz Rüben betrug in Geld-
wert (Mark):
1896/97
20,50
1901/02
19,68
1897/98
21,26
1902/03
16,58
1898/99
25,86
1903/04
16,34
1899/00
19,02
1904/05
16,84
1900/01
19,76
Dabei ging die Fabrik in steigendem Maße zur Herstellung
hochwertiger Produkte über.
Trotz der kolossalen Eins|iarungen am Kohlenkonto, welche,
wie ausdrücklich hervorgehoben werden muß, in einer Zeit stei-
gender Mechanisierung auf aUen Stationen erzielt werden konnte»
erschöpft sich indes die Entfaltung der Zuckertechnik in Rich-
tung der Maschinentechnik mit der Einführung einer modernen,
den speziellen Bedürfnissen der Zuckerfabrikation angepaßten
Dampftechnik keineswegs. Wie die Zuckerindustrie lange immer
mit einer großen Reserve allgemeinen betriebstechnischen Neu-
heiten gegenübergestanden hatte, so ermutigten sie die Erfolge
der letzten 15 Jahre zu verdoppeltem Eifer, zumal die Zucker-
preise immer mehr wichen. Die tausendfältigen, oft belanglos
erscheinenden Verbesserungen des modernen, sehr verfeinerten
Maschinenbetriebs stellte sie jetzt ebenso erfolgreich in ihren
Dienst, wie die modernen Methoden der Lastenbewegung im
') Die Zuckerfabrikation im Zollverein 1861, S. 38.
«) Vereinszeitschrift 1877, S. 471.
>) Vereinszeitschrift 1890, S. 47 ff. und 602 ff. Vergl. auch 1886,
S. 154 und 1889, S. 240.
^) Ffir eine Musteriabrik rechnet Dr. Ciaassen, Die Zuckeriabrika-
tfon, 1904, S. 360, bei achtfacher Verdampfung in den Dampfkesseln
auf 100 kg Rüben 7,5 kg, bei neunfacher Verdampfung weniger als
7 kg Steinkohle.
fenzuckerindustrie 1887—1907. 79
Sinne des Massentransportes; der für manche Stationen, wie
z. B. die Zentrifugen so geeignete elektromotorische Einzelantrieb
wurde ihr bald. ebenso geläufig wie die elektrische Beleuchtungs-
technik. Mitten in dieser Periode stehen wir heute noch.
Was vom Maschinenbau gesagt ist, soweit er mit der Dampf-
technik zu tun hat, gilt vielfach von Arbeitsmaschinen- und
Apparatebau. Bei den Fortschritten der technologischen Forschung
vereinigte sich die genaue Kenntnis des Zweckgedankens immer
seltner mit der Fähigkeit, technisch richtig zu entwerfen, so daß
dem Maschineningenieur die Aufgabe jetzt meist zufiel, unter
Angabe einer Zwecksetzung seitens des Chemikers in ihrer tech-
nischen Wirksamkeit verbesserte, nach technologisch einwands-
freien Grundsätzen dimensionierte Hilfsvorrichtungen zu kon-
struieren.
Trotz der großen Erfolge durch kostenverbilligende Pro-
duktionstechnik hat es heute den Anschein, als ob die Durch-
dringung der Zuckerchemie durch die Maschinentechnik und die
selbständige Entfaltung dieser im Bereich der Zuckerdarstellung
noch nicht auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit angelangt
sei. Abgesehen davon, daß verhältnismäßig wenige Betriebe mit
einer technisch ganz befriedigenden Einrichtung ausgerastet sind,
ist es insbesondere das weite Gebiet der Elektrotechnik ein-
schließlich der Elektrochemie, welches bisher nahezu erfolglos
die Zuckertechnik zu ihren Zwecken zu gewinnen versucht hat.
Der späte Eintritt der Maschinentechnik und ihrer Fortschritte
in die Betriebsgestaltung der Zuckerindustrie ist fibrigens durch-
aus begreiflich. Die Maschinenindustrie, welche alle möglichen
Industrien und Gewerbe mit ihren Produkten auszurüsten hatte
und dabei den Spezialzwecken möglichst weit entgegenzukommen
suchen mußte, bedurfte erst einer gewissen Konsolidierung, ehe
sie daran gehen konnte, sich auf den Bau von Einrichtungen be-
stimmter Einzelindustrien speziell einzurichten. In Deutschland,
wo die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts besonders schnell und heftig einsetzte und die An-
forderungen so unendlich vielseitig waren, die an den Maschinen-
bau gestellt wurden, hat sich die Spezialisierung zum Bau von
Einrichtungen für Zuckerfabriken bis heute in bescheidenen
Grenzen erst vollzogen. Dazu trug ganz wesentlich bei, daß die
Ansprüche jener Industrie außerordentlich häufig wechseln und,
soweit das Inland in Frage kommt, vollständige Neueinrichtungen
80 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907.
sehr selten geworden sind, da es sich hier durchweg um Repara-
turen und Verbesserungen bezw. Neubauten einzelner Stationen
handelt. 1) Eine Spezialisation der Maschinenindustrie in jenem
Sinne hätte zur Voraussetzung, daß sich keine größere Zahl von
Werken mit Oelegenheitsaufträgen aus der Zuckerindustrie be-
fassen würde. Das Gegenteil ist bisher aber noch in Deutsch-
land der Fall. Wir können es nicht unteriassen, auf die wesent-
lich günstigeren Verhältnisse in Österreich-Ungarn hinzuweisen.
Da hier die Ansprüche an die Maschinenindustrie im ganzen
wohl viel weniger vielseitig sind und sie in der nationalen Volks-
wirtschaft eine geringere Rolle spielt, ist der Bau von Einrichtungen
für Zuckerfabriken in den Händen von etwa 5 QroBunternehmungen,
deren Spezialität er neben anderen ausmacht Es ist einleuchtend,
daß hier erst der Maschineningenieur ganz in der Aufgabe auf-
gehen kann. Damit hängt es auch zusammen, daß nach dem
Urteil von Fachleuten die österreichische Maschinentechnik auf
diesem Gebiete der deutschen heute schon den Rang abgelaufen
hat Zu dieser Entwicklung trug wesentlich auch der Umstand
bei, daß die österreichische Technik mit einer weniger leicht
verarbeitungsfähigen Rübe stets rechnete, während norddeutsche
Werke mit VorHebe von den in der Provinz Sachsen herrschen-
den, besonders günstigen Verhältnissen auszugehen gewohnt sind.
Bezeichnend für die Wertschätzung, die man in neuester Zeit
dem österreichischen Bau von Zuckerfabrikationseinrichtungen
entgegenbringt, ist die Tatsache, daß es sich jüngst eine deutsche
Zuckerfabrik fast 20000 Mk. Zoll kosten ließ, um ihre Ein-
richtung von österreichischen Firmen umbauen zu lassen. In
Richtung einer Hebung der Produktionstechnik durch die Tätig-
keit des Maschineningenieurs wird in der deutschen Zuckerindustrie
noch manches zu tun sein^).
Der Drang zur Massenverarbeitung beherrschte in neuerer
Zeit ganz besonders den Stil der Betriebstechnik. Aus der Reihe
^) Es ist hier also zu unterscheiden zwischen Neu- bezw. Um-
bauten einzelner Stationen und dem Neubau vollständiger Etablisse-
ments. Naturgemäß ist im letzteren Falle die Bewegungsfreiheit für
den Konstrukteur sehr viel weiter begrenzt als im ersteren. Seine
volle Leistungsfähigkeit kann er hier erst entwickeln.
*) Bei den in der neuesten Zeit in Oberitalien eingerichteten Zucker-
fabriken soll sich die Superiorität der österreichischen Firmen gegen-
über den deutschen glänzend erwiesen haben.
Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 81
dahin zielender Verbesserungen sei nur eine herausgegriffen, die
Rübenschwemme. Während Achard die Rüben in Körben zur
Zerkleinerungsvorrichtung schaffen ließ, auf einer höheren Stufe
der Vervollkommnung mechanisch betriebene Fördereinrichtungen
mit Gurten und Bändern das Heranschaffen besorgten, kam in
den 80er Jahren der hydraulische Zubringer in Aufnahme : Schmale,
sorgfältig gefiihrte, ausgemauerte Gräben werden von einem
starken Wasserstrom durchflössen. Rechts und links von ihnen
steigt der glatt gemauerte Fußboden unter einem Winkel an,
so daß die hier lagernden Rüben bequem in den Wasserstrom
gleiten können. Da der Graben mit starken Platten von oben
abgedeckt werden kann, ist es möglich, ihn durch ein Rüben-
iager hindurchzuführen und durch Wegnehmen der einzelnen
Platten und Schaufeln ein außerordentlich schnelles und gleich-
mäßiges Fördern zu erreichen. Diese höchst einfache Einrichtung
hat das sonst so mühevolle Heranschaffen des Rohmaterials außer-
ordentlich verbilligt da bei der Geringwertigkeit der Gewichts-
einheit und bei der kolossalen Menge, welche die modernen
Riesenbetriebe benötigen, die Transportkosten in den öesamt-
kosten der Produktion eiiie nicht zu unterschätzende Rolle spielen.
Die droBenentwicklung der Betriebe in den letzten 25 Jahren
ist in hohem Maße auf Rechnung der Rüberischwemme zu setzen,
welche die Massenverärbeitung so überaus begünstigte.
Eines eigenartigen neueren Verfahrens aber ist schließlich
noch Erwähnung zu tun, das im Fall, daß es sich dauernd be-
wahrt, die Kalkulation der modernen Zuckerfabrik auf eine ganz
neue Basis stellen dürfte und dessen Einfluß auf die Zucker-
industrie heute lioch nicht abzusehen ist. Seit einigen Jahren
i>e$chäftigt man sich mit der Prüfung eines neuen Saftgewinnungs-
verfahrens, welches in einer ganzen Anzahl Fabriken bisher schon
befriedigend gearbeitet hat. Es ist das sog. Brühverfahren, welches
dadurch gekennzeichnet ist, daß der Zuckergehalt aus den Schnitzeln
nur zu »/s bis »/* in einer sehr kurz bemessenen Zeit gewonnen
wird und zwar in wesentlich reineren Säften als bei der Diffusion.
Das technisch Entscheidende liegt darin, daß bei den angewandten
hohen Temperaturen die Schnitzel sich mit guter Saftausbeute
leicht abpressen lassen, das wirtschaftiich Ausschlaggebende darin,
daß der Verzicht auf einen so erheblichen Teil des in der Rübe
vorhandenen Zuckers aufgewogen wird durch die größere Rein-
heit des Saftes, seinen hohen Konzentrationsgrad, geringere Arbeits-
Schuchart, Zackerindustrie. ^
82 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907.
dauer und durch den Mehrwert des Rückstandes. Tatsächlich
steht und fällt das Verfahren mit dem letzten Punkt, über den
unter den Leuten vom Fach die Meinungen noch nicht geklärt
sind, abgesehen davon, daß seine Rentabilität von den Zucker-
preisen, von Größe und Qualität der Rübenernte stark in Mit-
leidenschaft gezogen wird. Die Mannigfaltigkeit und Wandel-
barkeit der beeinflussenden Faktoren und ihrer möglichen Größen-
kombinationen dürfte wohl auch eine der Schwierigkeiten dar-
stellen, die sich einer allgemeineren Einführung dieses Verfahrens
bisher entgegenstellten. Immerhin gilt seine Brauchbarkeit unter
bestimmten, wenn auch heute noch nicht als konstant zu be-
trachtenden Voraussetzungen für erwiesen, und es besteht die
Aussicht, es durch technische Fortschritte aus dem Machtbereich
der starker Veränderlichkeit unterworfenen Faktoren in den kon-
stanterer Wirksamkeit zu überführen.
Vom Standpunkt der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung
ist noch zu erwähnen, daß die Melasseentzuckerung im Neben-
betrieb durch Einrichtung der Fabrikatsteuer immer mehr in den
Hintergrund trat und sich auf besondere Unternehmungen zurück-
zog, welche von mehreren Melasselieferanten gegründet, sich aus-
schließlich mit diesem Produktionszweig beschäftigten. Dagegen
machte die Verarbeitung der Rübenrückstände beachtenswerte
Fortschritte. Da der hohe Wassergehalt der Schnitzel, wie sie
die Diffusion liefert, den Landwirten ihre Abnahme verleidete,
das Einmieten derselben aber, wie Maercker zeigte, große Ver-
luste herbeiführte, kam man dem alten Gedanken, sie zu trocknen,
wieder nahe. Nachdem eine leistungsfähige und wirtschaftlich
arbeitende Anlage einmal geschaffen war, wozu ein Preisaus-
schreiben des Vereins der deutschen Zuckerindustrie die Ver-
anlassung gegeben hatte, fand die Schnitzeltrocknung allgemeine
Verbreitung. Auf diese Weise wurde erst eine gute Ausnutzung
des in ihnen aufgespeicherten Nährwertes erzielbar. Sie ist in-
zwischen der Landwirtschaft von hohem Nutzen geworden. In
neuester Zeit beschäftigt man sich sehr mit dem Problem der
wirtschaftlichen Verwertung von Rübenköpfen und -Blättern. Durch
Trocknen derselben hofft man auch hier zu dauernd günstigen
Ergebnissen zu kommen^).
1) Man erwartet so einen Mehrertrag pro ha von 80—120 Mk., im
Höchstfälle 180 Mk., und hofft dadurch, die Landwirte zur Ausdehnung
des Rübenbaus zu bewegen (Vereinszeitschrift 1904, II. S. 630).
Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 83
Der Fortschritt der Industrie unter dem Obergangs-Steuer-
system und der Fabrikatsteuer läßt sich in den folgenden Zahlen
erkennen. Angaben in Rohzuckerwert
In den Betriebsanstalten
Pro Fabrik wurden
Ausbeute
wurden gewonnen
durchschn. gewonnen
zaid
1888/9
9908909 dz
23851 dz
11,96
1890/1
13362214 „
31637 „
12,09
1895/6
16370573 „
38728 „
13,11
1900/1
19791186 „
47461 „
14,14
1905/6
24007711 „
61563 „
14,71
Das Ergebnis unserer Betrachtung können wir in folgende
Sätze fassen: Der Rückgang des Nettoabgabenertrages veran-
laßt einen Bruch mit dem Materialsteuerprinzip, unter Zwischen-
schaltung einer kombinierten Steuerform geht die Regierung zur
Verbrauchsabgabe über, welcher als Fortsetzung der vorher ge-
währten versteckten Ausfuhrprämien eine offene Prämie in staffei-
förmig abnehmenden Sätzen parallel läuft. Mit dem Abschluß
der Brüsseler Konvention fällt sie weg. Den Obergang vom
einen Steuersystem zum anderen besteht die Industrie ohne nach-
haltige Schädigung, so daß ihr auch bei Wegfall der Prämie
aus der Weltmarktskonkurrenz eine starke Lockung zur unab-
lässigen Vervollkommnung der Technik verbleibt. Mittel dazu
sind vornehmlich die „Kristallisation in Bewegung", die Durch-
führung einer wissenschaftlich-rationellen Dampfwirtschaft und
eine weitgetrieben« Mechanisierung der einzelnen Arbeitsprozesse.
In allen Einrichtungen des Betriebes sucht man nun mit äußerster
Entschiedenheit der Massenverarbeitung Rechnung zu tragen.
.Während die Zuckerchemie nach wie vor in der EHirchforschung
einzelner Probleme aufgeht und mit der Ausweitung der Be-
triebe ins Riesenhafte ihre Aufgabe hinsichtlich der Betriebs-
fiberwachung wächst, tritt das maschinentechnische Element in
steigendem Maße in den Vordergrund. Die Industrie erkennt
seine Berechtigung in ihrem Wirlschaftskreise nunmehr an, und
sie beginnt endgültig darauf Wert zu legen, allgemeine maschinen-
technische Neuerungen möglichst schnell sich dienstbar zu machen.
In Anbetracht der revolutionären Wirkung des Eingreifens der
Maschinentechnik in die Sphäre der Zuckerfabrikation glauben
wir, die vorliegende Entwicklungsperiode als die allgemein tech-
nisch-wissenschaftliche bezeichnen zu können.
84 Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung.
3. Kapitel.
Die Rafflnatlonsiodustrle« — Zusammenfassung,
Bisher lag die Absicht vor, in großen Zügen die technische
Entwicklung anzudeuten, welche die Rübenzuckerindustrie in
Deutschland bis in die neueste Zeit durchlaufen hat. Wenn
auch die Rübenzuckerfabrik längst die prävalierende Bedeutung
im Rahmen der Zuckerindustrie mit sich verknüpft, so drängen
die demnächst zu behandelnden organisatorisch wichtigen Wand-
lungen dazu, einen Blick auf die technische Arbeit des Raffinerie-
betriebs zu werfen.
Der Steuerdruck, der auf den Rohzuckerfabriken lastete, griff,
wie schon vorher angedeutet wurde, mittelbar auf die Verhältnisse
der Raffinerien über, zumal die zollpolitische Behandlung ihrer
Produkte regelmäßig in einigem Zusammenhang mit der des
Rohzuckers stand. Dabei tritt die offensichtliche Tendenz auf,
mit dem Steigen der Rohzuckerausfuhr eine Steigerung der in
veredelter Ware durch entsprechend günstigere Prämiensätze in
die Wege zu leiten, eine Politik, die im ganzen auch den ge-
wünschten Erfolg gehabt hat.
Der technische Fortschritt im Raffinationsbetrieb ist wirt-
schaftlich vor allem unter einem spezifischen Gesichtspunkt zu
betrachten. Es ist gesagt worden, daß die Raffinerie eine im
wesentlichen sehr einfache Arbeit mit dem Zucker vorzunehmen
hat, nur wenige Operationen sind es, deren Kosten mit der
Wertung des jeweils vorliegenden Roh- bezw. Fertigprodukts
in Einklang zu bringen sind. Da sie pro Gewichtseinheit relativ
gering s|ind, ist der Raffinadeur bezL der Preisbewegung seiner
Ware an enge Grenzen gebunden, falls nicht spekulative Momente
in Betracht kommen. Die geringe Spannung zwischen Roh- und
Fertigware dringt natürlich auf ihre sehr sorgfältige Ausnutzung.
Da es. also gilt, die Fabrikationskosten und Generalkosten pro
Gewichtseinheit nach Möglichkeit herunterzudrücken, auch nur
unbedeutende der Massenverarbeitung physiologisch entgegen-
stehende. Momente technische Schwierigkeiten machen, so gipfelt
der Raffinationsbetrieb sehr früh in einer großbetrieblichen Wirt-
schaftsgestaltung mit kapitalistischem Charakter, wie die historische
Entwicklung übrigens überall da bestätigt, wo die Staatsintervention
in die Entwicklung nicht eingriff. Der für die Charakterisierung
des Raffineriebetriebs wichtigste Punkt aber kann so kenntlich
Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung. 85
gemacht werden: Da der im Laufe der Entwicklung der all-
gemeinen und speziellen Handelsverhältnisse überaus verfeinerte
Mechanismus des Zuckermarktes in weitem Maße der Speku-
lation Raum gibt, können Preisschwankungen herbeigeführt
werden, welche über die durch die technische Verarbeitung vor-
geschriebenen Grenzen hinwegfluten, so daß z. B. bei steigenden
Rohzuckerpreisen der Preis für ein Raffinationsprodükt in einem
ganz anderen Steigungsverhältnis sich bewegt oder gar gelegent-
lich nachgibt*) und so die Spannung unter den Mindestsatz ge-
drückt wird, welcher durch die Anwendung der vollkommensten
Technik gegeben ist. Damit ist gesagt, daß der wirtschaftUche
Erfolg der Raffination vorzugsweise in dem des Kaufmanns be-
ruht, während in der Rohzuckerfabrik zumeist der technische
Erfolg ausschlaggebend ist.
Dementsprechend bedarf die Formulierung der technischen
Fortschritte hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Wertschätzung in
der Raffinerie längst nicht den breiten Raum. Die Marksteine
in der Entwicklung der Raffinationstechnik sind schon bezeichnet
worden. Wir wollen hier nur noch die Verschiedenheit des
Tempos, in welcher der technische Fortschritt vorrückte, ins rechte
Licht setzen, EHe Technik der Rohzuckerfabrikation hat in vielen
Einzelheiten die der Raffination auf$ tiefste beeinflußt, aber auch
umgekehrt. Mit demselben Mittel eignete sich jeder Industrie-»
zweig eine der spezifischen Eigenart seines Betriebs angepaßte
Dampftechnik an. Nur griff in der Raffination die Dampf-
verwendung, z. B. das Vakuum, eher als dort Platz, wo so
viele kostenverbilligende Faktoren vorlagen, zu beachten und zu
bessern waren. Ganz analog treten in der Raffinerie moderne
Transporteinrichtungen auf, die elektrische Kraftübertragung, das
Prangen nach Abkürzung der Nachproduktenarbeit und nach
mögUchst ausgiebigen Mengen an Erstprodukt; der chemische
Überwachungsdienst fahndet nur noch peinlicher nach auftreten-
<Jen Verlust- und Fehlerquellen. Hier steht wegen der heiß-
umstrittenen Spannung und der Hochwertigkeit des Materials
relativ viel mehr auf dem Spiel wie dort. Und doch ist das
Tempo des technischen Fortschritts bis auf die Einführung des
Dampfes und seiner Technik hier wie dort fast ganz dasselbe.
^) Von einem Entgegenlaufen der Entwicklungstendenzen des Preises
einzelner Marken ist im allgemeinen selten die Rede.
86 Die Raffinationsindustrie. — > Zusammenfassung.
Bei der Rohzuckerindustrie war es eben der Gewinn der ver-
steckten Prämie, der gewaltig lockte, und den Fortschritt be-
flügelte. Dort wuchs die Verbesserung der alten Technik hervor
unter dem Drucke der sinkenden Nettopreise.
Nur gelegentlich der Oberführung des veredelten Produktes
in die marktgängigen Formen des Konsums, ein Prozeß, der
durch immer reichlichere Maschinenanwendung rationell betrieben
wird, ist die Raffinerie gehalten, selbständige Verbesserungen auf-
zusuchen. Indem wir darauf verzichten, die technisch-wirtschaft-
lichen Analogien mit dem Rohzuckerbetrieb im einzelnen zu
verfolgen, markieren wir die Zielpunkte des modernen Raffina-
tionsbetriebs etwa so: Abkürzung der Verarbeitungsdauer unter
wirtschaftlich und technisch bestmöglicher Ausnutzung aller in
den Produktionsgang eingeführten Werte. Das letztere gilt zu-
mal vom Brennstoff und der menschlichen Tätigkeit.
Mit der Entwicklung der Raffinationsindustrie werden wir
uns nun nicht weiter zu befassen brauchen, als es der Zusammen-
hang mit der Rüben verarbeitenden Ziickerindustrie erfordert
Nachdem so die technisch- wirtschaftliche Genesis der deutschen
Zuckerindustrie ihren Grundzügen nach fes^estellt wurde, er-
gibt sich die Notwendigkeit einer vorläufigen Zusammenfassung;
nicht als ob wir schon jetzt in der Lage wären, die volkswirt-
schaftliche Bedeutung der Zuckerindustrie auf Grund der die
Produktionstechnik betreffenden Entwicklungsgänge der Zucker-
darstellung zu erfassen, sondern um den imposanten Aufbau
der Zuckertechnik in den einheitiichen großen Rahmen der äußeren
Vorstellung zu bringen und die Gesamtwirkung des Bildes auf
den einen oder anderen technisch-wirtschaftlichen Zug zu prüfen.
Dieses vorläufige Bild wird in den späteren Abschnitten seine
Vertiefung und Retouchierung finden müssen.
Die Produktionsentwicklung der deutschen Industrie im Ver-
gleich mit den wichtigeren, Rübenzucker produzierenden Ländern
versmnlicht die graphische Darstellung (Tafel 1). Während Frank-
reich bis 1875 etwa an erster Stelle steht, prägt sich seit Be-
ginn der 80er Jahre eine Sonderung in drei Ghrößenklassen scharf
aus: Mit dem Jahre 1880/1 übernimmt Deutschland die Führung,
welche es seither behalten hat, die zweite Gruppe umfaßt Öster-
reich, Frankreich und Rußland mit im ganzen nicht sehr ver-
schiedenen Produktionsziffern.
Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung. 87
Interessant ist der Vergleich zwischen Frankreich und Deutsch-
land. Während in Frankreich 1868 eine außerordentliche Produk-
tionssteigerung einsetzt^ die 1875/6 0,45 Mill. t überschreitet und
sich etwa 15 Jahre hindurch mit Schwankungen auf 0,4 Mill. t
hält, folgt 1871/2 beginnend Deutschland mit einem Aufschwung
ganz ähnlicher Intensität bis 1879/80 etwa, der aber weiter bis
1884/5 seine Fortsetzung in einem unvergleichlich kühnen Sprung
auf die 3fache Produktionshöhe findet. 1884/5 werden über
1,1 Mill. t produziert, während die Länder der zweiten Gruppe
bis 1888 0,5 Mill. t wenig übersteigen. Wir wissen, bis 1879
kam man in Deutschland zu den Verbesserungen der Saftbehand-
lung und der Verdampfung unter weitgehender Verwendung des
Abdampfs und der Luftleere, mit den 80er Jahren aber drängen
Rübenschwemmen, Diffusion, Knochenkohleersparnis und weitere
Besserung der Saftbehandlung mit aller Energie auf Massen-
verarbeitung.
Das an dieser Stelle besonders auffallende Zurückbleiben
der französischen Produktion wollen wir durch einige Hinweise
zu erklären versuchen. Zunächst ist dafür die sehr hohe Be-
lastung des Zuckers mit einer Fabrikatsteuer verantwortlich zu
machen, die erst 1887 der Materialsteuer nach deutschem Muster
Platz machte. Es fehlt bis dahin das äußerst wirksame Mittel,
die Industrie zur bestmöglichen Technik und zur Verarbeitung
eines hochwertigen Rohmaterials zu verlocken. Es war der
Widerstand der Diffusion gegenüber zum guten Teile, welcher
die Franzosen durch die Einführung der Walzenpresse, einer
spezifisch französischen Schöpfung, aus dem Wege zu gehen
hofften und die dem bei ihnen besonders beliebten Gedanken,
die Zuckerindustrie zum landwirtschaftlichen Nebengewerbe kleinen
Stils zu gestalten, besonders entgegen kam. Während 1881/2
in Deutschland 94,5 o/o aller Betriebe das Diffusionsverfahren ein-
geführt hatten, fand es sich gleichzeitig in Frankreich nur in
22,7 Q/o aller Betriebe. Wie meist, so verbargen sich auch hier
unter der Verschiedenheit der technischen Auffassung wirtschaft-
liche Kontroversen.
Das nur nebenher. — Die Diagrammentwicklung Deutsch-
lands läßt zu Anfang der 90er Jahre eine neue Entwicklungs-
etappe erkennen, die in fast verhältnisgleicher Schärfe sich bei
den Ländern der zweiten Gruppe findet. Nur durch die Jahre
1895/6—1898/9 und 1902/3 und 1903/4 unterbrochen, hält die all-
88 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Oroßbetrieb.
gemeine, sehr lebhafte Aufwärtsbewegung an. Es ist bekannt,
daß die Technik um diese Zeit außerordentliche Fortschritte
machte, an die moderne Dampftechnik und die Verkürzung der
Nachproduktenarbeit sei nur erinnert.
Da die Diskussion der Produktionskurve ihre volkswirtschaft-
liche Bedeutung nur ganz allgemein zu erfassen gestattet, muß
die weitere Untersuchung zum Ziel haben, eine Analyse ihres
Wesensinhalts anzubahnen. Demgemäß ergibt sich unsere nächste
Aufgabe: Auf Grund der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung
sind die Entwicklungsetappen in der Organisation der Zucker-
industrie zu untersuchen und daraus ist ihr volkswirtschaftlicher
Wert für die in Betracht kommenden Faktoren zu ermitteln.
III. Die Organisation.
1. Kapitel.
Die Bntwickliing xum fabrlkmlfllgeii Grollbetrieb,
In unsrer modernen auf Arbeitsteilung und Tausch beruhenden
Wirtschaftsordnung ist der technische Fortschritt dem ökono-
mischen Prinzip untergeordnet. Mit Bezug auf die deutsche Zucker-
industrie, speziell die Rüben verarbeitende Gruppe derselben,
kann gesagt werden, daß die staatliche Intervention immer der
Faktor war, der die obere Begrenzung für die im Stadium der
Verfeinerung fortgesetzt begriffene Produktionstechnik festlegte,
wobei von den Schwankungen des Marktes abgesehen wird. Sie
schob in der Tat jene Schranke stufenweise an das hypothetische
Minimum der Produktionskosten vor, welches dem jeweiligen
Stand der unter den vorteilhaftesten Bedingungen arbeitenden
Technik entsprach. Den verbleibenden Spielraum möglichst groß
zu halten, ohne der zukünftigen Entwicklung Konzessionen zti
machen, war der Sinn des Gewinnstrebens beim Unternehmer.
Dazu standen ihm zwei Arten von Hilfsmitteln zu Gebote, von
denen er keine durch die andere zu ersetzen vermochte. Zunächst
die Verbesserung der Produktionstechnik, wie im vorigen Ab-
schnitt entwickelt wurde, d. h. durch Wahl der technisch wirk-
samsten und dabei relativ wohlfeilsten Elemente, jenen den Pro-
duktionskosten verbleibenden Spielraum dem Minimum zu nähern.
Die zweite Gruppe von Mitteln umfaßte aber organisatorische Maß-
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 89
nahmen. Es war der Geist, der jene technisch-wirtschaftlich be-
deutsamen Einzelelemente zwar nicht schuf, aber aufbaute und
einordnete; ins spezifisch Wirtschaftliche übersetzt: die vollinhalt-
liche Belebung der Einzelglieder nach großen wirtschaftlichen
Gesichtspunkten in der Zusammenfassung zur Totalität.
Organisatorische Wandlungen keimen immer nur auf dem
Boden der Wirtschaft, mag sich nun in den Wirtschaften äußerer
Berührungskreise eine Änderung vollziehen oder mag die Tech-
nik des eigenen Wirtschaftsbereichs neue Bedingungen postu-
lieren. Für beide Möglichkeiten bietet Belege die so überreich
ins große deutsche Wirtschaftsleben verflochtene Zuckerindustrie,
deren technischer Fortschritt aus einem ununterbrochenen Auf-
und Abfluten von Neuerungen heraus geboren wurde. Die Kom-
pliziertheit und die Vielheit der hier wirksamen Faktoren zeich-
neten der organisatorischen Entwicklung in der in steigendem
Maße von kapitalistischer Wirtschaftsweise beherrschten Zeit den
Weg scharf vor, um so mehr, als die staatlichen Maßregeln syste-
matisch den technischen Fortschritt prämiierten, dieser aber, wie
sich gar bald herausstellte, nur im Großbetrieb sein Fortkommen
auf die Dauer finden konnte. Damit sind wir der Frage nach den
die Struktur der 'Zuckerindustrie betreffenden Wandlungen nahe«
getreten. I>en Kernpunkt bildet hier die rapide Entwicklung zum
Großbetrieb.
Als Grundlage aller organisatorischer Fragen sind die der
Industrie im besonderen wesenseigentümlichen Wirtschaftsgesetze
zu erachten, welche sie aus dem großen Rahmen allgemein indu-
strieller Betätigung als einen selbständigen Wirtschaftskomplex
loslösen. In Anwendung auf die Rübenzuckerindustrie verdichten
sie sich zu folgenden Kriterien.
Die Rübenzuckerindustrie trägt
1. den Charakter des landwirtschaftlichen Nebengewerbes,
2. den Charakter des Saisongewerbes.
Einleitend wurde das Problem des landwirtschaftlichen Neben-
gewerbes nach seiner theoretischen Seite schon gestreift, so daß
hier nur eine Behandlung nach der praktisch-wirtschaftlichen Seite
hin notwendig ist.
Mit dem Fortschritt der Produktionstechnik ging Hand in
Hand eine Lockerung der Bindung der Industrie an den Boden.
Den stets rübenhungrigen Fabriken, deren erstes Streben darauf
gerichtet war, durch große Mengen Rohmaterial für ihre Ein-
90 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
richtung eine möglichst hohe Verzinsung herauszuschlagen, ge-
nügten bald nicht mehr die schlech^epflegten Feldwege, auf
denen Bauernfuhrwerke mühsam die Rüben, Kohlen usw. heran-
schleppten; sie machten sich daran, wohlbefestigte Landstraßen
zu bauen, um vor allem die Rübentransporte schnell und sicher im
gewünschten Augenblick zur Stelle schaffen zu können. Doch
auch dies Mittel reichte nicht mehr aus. Wo es angängig war,
zogen die Werke nun die Eisenbahnen zur Bewältigung ihres Nah-
verkehrs heran, in anderen Fällen gingen sie dazu über, durch
Feldbahnen ihren Anlieferungskreis auf eigene Faust auszuweiten.
Ein Blick in den Fabrikhof einer unserer im Osten gelegenen
Riesenfabriken genügt, um eine Vorstellung zu erhalten von der
vielseitigen Art der Massengutförderung, wie sie der Großbetrieb
ausgebildet hat^) Es herrscht da ein Gewimmel von Bauernfuhr-
werken, Eisenbahn- und Feldbahnwagen, Lokomotiven und
Menschen, denen es obliegt, den Magen jenes sinnverwirrenden
Maschinenungeheuers zu füllen, der in 24 Stunden bis zu 25 000 dz
verschlingt. Aber „mögen die Verarbeitungskosten der Fabrik
noch so gering sein, mag sie hierdurch in den Stand gesetzt sein,
viel höhere Rübenfrachten zu tragen, mögen Feld- und Klein-
bahnen, Wasserstraßen, den Radius des Fabrikreichs außerordent-
lich verlängert haben, es gibt schließlich eine Grenze des Gebiets,
aus der sie ihr Material zu beziehen vermag, einen Punkt, wo die
Summe der Verarbeitungskosten und Rübenfrachten so groß ist,
daß der Bezug der Rüben darüber hinaus unlohnend werden
muß." 2) Bei dem großen Anteil der Transportkosten an den Pro-
duktionskosten und bei der Geringwertigkeit der Gewichtseinheit
Rohmaterial muß eine Erweiterung des Anlieferungskreises ins
Kolossale ausgeschlossen bleiben trotz aller Verbesserungen in der
.Transporttechnik und der Besitzverfassung, s) Aber die letzteren
gerade waren tiefgreifend genug, um den Charakter der Industrie
als landwirtschaftliches Nebengewerbe entscheidend zu beein-
flussen.
Nach der endgültigen Regulierung der bäuerlichen Verhält-
nisse im politischen Sinne begann man in Norddeutschland dem
^) Vgl. Max Schippel, Zuckerproduktion und Zuckerprämien, 8. 97.
*) Vereinszeitschrift 1905, 8. 245.
<) Rein technisch ist wohl auch heute noch nicht die größtmög-
liche Fabrik gebaut.
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 91
Bauer auch wirtschaftlich zu Hilfe zu kommen durch Zusammen-
legung des äußerst dezentralisiert oft gelegenen Grundbesitzes
des einzelnen. Welche bedeutsamen Vorteile für den Landwirt-
schaftsbetrieb hieraus erwuchsen, werden wir da erkennen, wo
sie ihm bis heute in unzureichendem Maße zugewandt worden
sind. Für uns steht hier vielmehr die Besitzverfassung der Rüben
bauenden und verarbeitenden Betriebe im Mittelpunkt des Inter-
esses, soweit sie strukturbildend für die Zuckerindustrie gewirkt hat.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es die allgemeine Er-
scheinung, daß die Zuckerfabrik im Besitze eines Unternehmers
war, der sich lediglich mit der Rübenverarbeitung befaßte. Nun
erst mehren sich die Anlagen auf größeren Grundbesitzungen,
namentlich auf den Domänen so rasch, daß die reinen Fabrik-
anlagen immer mehr in die Minderzahl kommen. „Meist fanden
auch die älteren Fabriken Gelegenheit, in Besitz eines großen
Grundeigentums zu gelangen oder größere Flächen auf eine län-
gere Reihe von Jahren zu pachten." i) Bis in die 60 er Jahre hinein
liegen die Dinge meist so, daß die Zuckerfabriken im Besitze eines
oder weniger Großgrundbesitzer sind, welche das Hauptkontingent
an Rüben stellen. Die Zuckerdarstellung ist ein Anhängsel an
die landwirtschaftliche Urproduktion des individuellen Wirt-
schafters vorwiegend, also eine von demselben Wirtschaftsführer
neben der Landwirtschaft unter Verwertung ihrer Produkte be-
triebene Industrie, ganz noch in dem alten Stil, der mit ihrer Be-
gründung in die Industrie hineingetragen war, nur daß mit ihrem
Größerwerden die Kategorie des Großgrundbesitzes durch die
des großbäuerlichen Besitzes in der Funktion des Wirtschafters
zum Teil ersetzt wurde. Nachdem man sich in der Hoffnung ge-
täuscht sah, die Zuckerfabrikation ähnlich der Brennerei im klein-
gewerblichen Stile zu betreiben, eine Erwartung, welche die Fran-
zosen immer wieder hegten, gab man den Gedanken ihrer selb-
ständigen Angliederung an den mittel- und großbäuerlichen Besitz
noch nicht auf. Indem aber bald der Großgrundbesitz vornehm-
lich sich auf den Rübenbau warf und auch seine Mittel anfingen,
den Ansprüchen der modernen Fabrikationsweise nicht mehr zu
genügen, war die Notwendigkeit immer zwingender, die Wirtschaft
zu einem Unternehmen auf kollektivistischer Grundlage umzu-
gestalten: Die Aktiengesellschaft, deren Aktien die vertragsmäßig
1) Kari Siemens, Ober die Fortschritte der Rübenzuckerfabrika-
tion, 1852.
92 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
gebundenen Rübenlieferanten übernahmen, wurde die typische
Unternehmungsform der Zuckerfabrik, i) Bei dieser Entwicklung,
die in den 50 er Jahren hier und da schon ihren Anfang nimmt,
mag der starke Einschlag kaufmännischer Elemente sehr förder-
lich gewesen sein.
Für den Aufschwung der Industrie ist die Wahl dieses Systems
überaus segensreich geworden. Unter einem einheitlichen wirt-
schaftlichen Erfolgstreben standen von nun an Rübenproduktion
und -Verarbeitung. Man kam so zu einer Art Erwerbsgenossen-
schaft. Sorgfältig wurden in dieser Interessengemeinschaft alle
Hinderungen, welche die Technik der Produktion hier wie dort
beanstandete, aus dem Wege geräumt und jeder Versuch der
Abgrenzung einer partikularen Interessensphäre von Grund aus
bekämpft. Der Ansporn des Gesetzgebers zu Vollendung des
Fabrikationsprozesses übertrug sich durch dies Gegenseitigkeits-
verhältnis unmittelbar auf die Landwirtschaft. In welcher Weise
ihr die innige Ai\teilnahme an der industriellen Unternehmung
zustatten kam, wird später zu erörtern sein. Unzweifelhaft ist,
daß die Aktiengesellschaft als Großunternehmungsform dadurch,
daß sie den Fabrikationsprozeß verselbständigte und die tech-
nische Entwicklung in ein schnelleres Tempo brachte, ohne in
Gegensatz zu den landwirtschaftlichen Interessen zu geraten, die
deutsche Zuckerindustrie wesentlich zu dem Konkurrenzkampf
auf dem Weltmarkt befähigt hat, der sie zu ihrer überlegenen
Stellung zu andern nationalen Zuckerindustrien führte.
In der Tat handelt es sich hier um einen Verselbständigungs-
prozeß, insofern eine Konzentration des Gesamtbetriebs in zwei
Produktionszentren sich nun herausbildete, welche einer und der-
selben Wirtschaftsmaxime unterstehen, die aber andrerseits ihre
individuelle Bewegungsfreiheit sich sorgsam zu erhalten suchen
und ihrer Geschäftsgebahrung ein kaufmännisches Gepräge zu
verleihen bemüht sind. Daß hierbei großes Geschick dazu gehört,
folgenschwere Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen der
Interessen zu vermeiden, liegt klar zu Tage*). Immerhin ist dieser
eigenartige Emanzipationsprozeß nur das erste Glied in einer
^) Dem Wesen nach große Ähnlichkeit mit der Aktiengesellschaft
hat die Genossenschaft. Von ihr braucht deshalb nicht besonders die
Rede zu sein.
>) Es ist eine bekannte Tatsache, daß viele Aktienzuckeriabriken
der Art häufig mit Schwierigkeiten in der Hinsicht zu tun haben.
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
93
JEntwickiungsreihe, welche eine weitere Entfernung von dem Be-
griff des landwirtschaftlichen Nebengewerbes im Sinne eines zu-
sätzlichen Wirtschaftskomplexes zum Ziel hat Von einem ge-
wissen Zeitpunkt hört der Rübenbau auf, das Reservat des länd-
liciien Großbetriebes zu sein. Denn auf seinen Wesensinhalt ist
die Aktienübernahme unter Verpflichtung zur Bebauung einer
der. Größe des Aktienbesitzes entsprechenden Ackerfläche mit
i^uckerrüben für die Fabrik ursprünglich zugeschnitten, wenn-
gleich auch hier der neuzeitliche Geist Wandel schuf und die
groß- und mittelbäuerlichen Besitzer als Aktionäre heranzog. Das
zeigt der Prozentanteil der selbstgewonnen (Aktien- und Eigen-)
Rüben an der im ganzen zur Verarbeitung gebrachten Menge i).
, Es betrug der Prozentanteil der selbstgewonnenen*) Rüben-
menge an der Totalrübenmenge im Betriebsjahr
mii72
1872/73
1873/74
1874/75
1875/76
1Ö76/77
1877/78
1878/79
1879/60
1880/81
1881/82
1882/83
60,8
66,0
6%6
69,2
68,2
70,1
70,2
67,3
59,3
61,2
54,7
50,9
1883/84
1884/85
1885/86
1886/87
1887/88
188Ö/89
1889/90
1890/91
1891/92
1892/93
1893/94
1894/95
47,2
47,5
59,4
53,4
54,5
53,3
51,8
48,2
48,9
49,1
45,6
41,6
1895/96
1896/97
1897/98
imj^
1899/00
19Q0/Q1
19dl/02
1902/03
1903/04
1904/05
1905/06
43,9
42,1
43,3
46,7
46i,8
44,9
41,3
47,5
47,7
47,2
44,4
Also gerade die Epoche des überaus lebhaften technischen Auf-
schwungs in den 70 er und zu Anfang der 80 er Jahre, die Zeit, in
der die Produktionssteigerung in beschleunigtes Tempo gerät,
') Unter Aktien- oder Pfiichtrflben werden die von den Aktionären
vertragsmäßig gebauten, unter Eigenrfiben die im Landwirtschaftsbetrieb
der Zuckerfabriken gebauten Rüben verstanden, während als Kaufrfiben
die durch freien Zukauf erworbenen Rflben bezeichnet werden. Unter
diesen letzteren nehmen die Oberrflben eine besondere Stellung ein.
Sie werden von den Aktionären von der vertragsmäßig nicht gebun-
denen Fläche geliefert Meist lautet die Abmachung so, daß alle Rüben,
^SQ auch die Oberrüben, in den Besitz der Fabrik, welcher die Aktien-
rüben geliefert werden, fibergehen, eventuell unter einer besonderen
Preisberechnung.
*) Unter den selbstgewonnenen Rüben verstehen wir die Aktien-
und Eigenrüben.
94 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Orofibetrieb.
ist gekennzeichnet durch eine weitere Verselbständigung der In-
dustrie durch Lockrung der Bindung an den landwirtschaftlichen
Großbetrieb. Di^ Steigerung des Kaufrübenkontingentes zeigt
mittelbar die wachsende Beteiligung des bäuerlichen Betriebs am
Rübenbau an^ obgleich er sich damit lediglich den Vorteil der
Urproduktion anzueignen vermag.
Aber erst die weitere Ausgliederung der Gruppe der selbst-
gewonnenen Rüben in Eigen- und Aktienrüben kann zeigen^ in
welcher Richtung sich der Verselbständigungsprozeß bewegt.
Leider genügen die statistischen Aufzeichnungen nichts um diese
für einen großen Zeitraum vornehmen zu können. Erst vom Be-
triebsjahr 1892/3 an liegen die notwendigen Daten vor. Es zeigt
sich in nachfolgender Zusammenstellung^ daß das Kontingent
der Eigenrüben seither sehr stark zurückgegangen ist, dagegen
hat sich das der Aktienrüben gleichzeitig fast ununterbrochen ge-
hoben. Der Effekt war ein von der Konjunktur offenbar stark
beeinflußtes Schwanken des Kaufrübenanteils.
In Prozenten der im ganzen verarbeiteten Rübenmenge be-
trug die Menge der
Eigenrüben
AktienrQben
Kaufrfiben
1892/93
15,41
33,66
50,93
1893/94
12,11
33,47
54,42
1894/95
12,60
29,04
58,36
1895/96
12,76
31,18
56,06
1896/97
12,74
29,40
57,86
1897/98
11,39
31,95
56,66
1898/99
11,66
35,07
53,27
1899/00
10,62
36,18
53,20
1900/01
9,83
35,05
55,12
1901/02
8,80
32,50
58,70
1902/03
9,78
37,71
52,51
1903/04
8,93
38,72
52,35
1904/05
7,78
39,46
52,76
1905/06
7,25
37,12
55,63
Die Emanzipation der Industrie von der Rüben bauenden
Landwirtschaft schreitet offensichtlich in der Richtung vorwärts,
daß die Fabrik immer mehr auf die Bewirtschaftung eigner Güter
verzichtet, sie statt dessen die Lieferung von Aktien- und Kaufrüben
>) Vgl. R. V. Kaufmann, Die Zuckerindustrie 1878. S. 43 ff.
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. d5
bevorzugt. Die Tabellen S. 96—99 sollen ein Bild davon geben,
wie diese Entwicklung in den einzelnen Landesteilen vor sich
gegangen ist. Wir werden auf sie gelegentlich zurückkommen.
Mit einer gewissen Notwendigkeit prägt sich der Verselb-
ständigungsprozeß der Rübenzuckerfabrik äußerlich in der Wahl
der Unternehmungsformen aus. Ein Vergleich der verschiedenen
Rübenkontingente in den Einzelteilen des deutschen Reiches lehrt,
daß heute vielfach an Stelle des dem landwirtschaftlichen Betrieb
ehedem wenn auch nicht unmittelbar aggregierten Nebengewerbes
eine von ihm gänzlich losgelöste Wirtschaftseinheit in Form der
ausgesprochen kapitalistisch betriebenen Aktiengesellschaft getreten
ist, welche sich der reinen Oeldaktiengesellschaft sehr nähert. Ob
diese nun die handelsrechtiiche Form einer solchen oder aber
einer anderen aus Anteilen gebildeten oder genossenschaftlichen
Unternehmung hat, ist hier zunächst ganz gleichgültig. Damit
ist das letzte Stadium der Verselbständigung erreicht Die Zucker-
industrie ist zur hochindustriellen Unternehmung aufgestiegen,
die ihre Interessensphäre scharf gegen die Landwirtschaft ab-
zugrenzen bemüht ist, ein Bestreben, das sich in der vertrags-
mäßigen Verpflichtung der Rübenproduzenten auf gewisse
Qualitäts- und Anbaubedingungen, in der Anerkennung von
Schaukommissionen und besonderen Arten der Preisberechnung
ausdrückt. Ob dieser äußerste Schritt zur Verselbständigung im In-
teresse der landwirtschaftlichen und der industriellen Unternehmer-
gruppe liegt, erscheint bisher allerdings einigermaßen fraglich.^)
Viel aussichtsreicher ist die Emanzipation der Fabrik vom Rüben-
bau in dem Sinne, daß der Fabrikant sich ganz ausschließlich
mit der industriellen Produktion, der Landwirt mit der Urpro-
duktion befaßt, daß beide aber als Qlieder einer Wirtschafts-
einheit ihr Oewinnstreben in einer und derselben Richtung ver-
einigen. — In neuerer Zeit legt man vor allem Wert darauf, die
Wirtschaftsform der Rübenzuckerfabrik mit besonderer Sorgfalt
in der Weise auszubilden, wie sie sich den Verhältnissen der
Landwirtschaft und der Industrie unter der bestehenden Gesetz-
Im Betriebsjahr 1907/08 drohte manchen rheinischen Fabriken,
welche sehr unbedeutende Mengen von Aktien- und Eigenrüben haben,
ein Beschluß der organisierten Rübenbauer gefährlich zu werden, der
dahin lautete, daß, wenn die Fabriken nicht zu einem bestimmten Preise
abschließen, die Landwirte angehalten werden, ihre Ländereien mit
lohnenderen Bodenfrfichten zu bestellen.
96
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Orofibetrieb.
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Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
gebung am zwanglosesten einfügt. Die Doppelbesteuerung des
Erträgnisses bei Aktiengesellschaften und die Publizität ihrer Ge-
schäftsführung mögen wesentlich bestimmend dafür sein, daß die
juristische Unternehmungsform der Aktiengesellschaft auf Kosten
der Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Rückgang begriffen
ist. Daß die als offene Handelsgesellschaft oder als Einzelfirmen
betriebenen Unternehmen stark in der Abnahme begriffen sind,
ist ein Symptom für das Fortschreiten jenes Verselbständigungs-
prozesses, der dem Vergrößerungsprozeß parallel geht.
Von deutschen Rübenzuckerfabriken gehörten:*)
1899
1900
1901
1902
1903
1904
1905
1906
Aktiengesellschaften
Gesellschaften m. b. H
Kommanditgesellschaften
Eingetragene Genossenschaften .
Offnen Handelsgesellschaften und
Einzelürmen
179
83
6
3
128
179
85
5
2
124
181
94
5
2
115
181
94
5
2
115
179
93
5
2
106
174
99
4
2
100
172
101
5
2
96
173
101
6
2
90
Zusammen
399
395
397
397
385
379
376
372
Der zweite Ausgangspunkt organisatorischer Wandlungen ist
der Charakter der Rübenzuckerindustrie als Saisongewerbe. Die
Natur des Rohstoffs macht eine Verarbeitung desselben über die
Dauer des ganzen Jahres unmöglich. Da es bisher nicht gelungen
ist, die Rübe ohne Verluste bis weit ins Frühjahr hinein zu kon-
servieren, wenngleich man durch bessere Methoden ihre Höhe
herunterzudrücken gelernt hat, dazu aber die Kosten für das
Einmieten 3), bei dem wenig oder gar keine Maschinenarbeit in
Frage kommen kann, ziemlich erheblich sind und bei der relativen
Oeringwertigkeit des Materials unter den Fabrikationskosten, zu-
mal beim Rückgang des Zuckergehalts einen merklichen Raum
einnehmen, war die Tendenz seit dem Auftreten eines organi-
satorisch-kalkulierenden Zuges in der Industrie angesichts der
kolossalen Rübenmengen, die in Frage kamen, immer mehr darauf
Vereinszeitschrift 1891, S. 492; 1893, II, S. 332.
2) Nach Zabel's Jahrbüchern.
®) Es werden die Rüben in sog. Mieten aufbewahrt. Es sind dies
langgestreckte auf dem Erdboden angelegte Rtibenhaufen von dreieckigem
Querschnitt, welche gegen die Einwirkung des Frostes mit einer Erd-
schicht bedeckt werden.
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
101
gerichtet, das einzumietende Quantum auf ein Minimum zu be-
schränken, d. h. das Rohmaterial möglichst sogleich vom Felde weg
zu verarbeiten und den Fabrikationsprozeß zu beschleunigen. Was
man also erstrebte, war eine Verdichtung der Produktion, und
dazu hatte man größere Einrichtungen nötig, sieht man von der
Hebung der Leistungsfähigkeit ab, welche durch bessere Technik
erzielbar ist. Übrigens kam jenem Streben die wissenschaftliche
Beobachtung zu Hilfe, welche in neuerer Zeit die Verluste durch
Einmieten und Lagern in gedeckten Räumen mit einiger Sicherheit
zu berechnen lehrte.
Während Achard und seine Zeitgenossen die Betriebszeit auf
150—180 Tage bemaßen und man um 1850 noch mit 150 Arbeits-
tagen rechnete 1), bewegt sich die Dauer der Saison seit 1871
in folgenden Zahlen:
1871/72
106,8
1883/84
119,4
1895/96
75,0
1872/73
134,3
1884/85
119,3
1896/97
86,0
1873/74
136,5
1885/86
82,3
1897/98
73,0
1874/75
106,2
1886/87
90,5
1898/99
70,4
1875/76
136,0
1887/88
76,6
1899/00
70,6
1876/77
108,0
1888/89
84,3
1900/01
74,0
1877/78
114,9
1889/90
95,3
1901/02
82,7
1878/79
116,8
1890/91
97,5
1902/03
61,8
1879/80
108,0
1891/92
81,2
1903/04
64,1
1880/81
123,9
1892/93
77,7
1904/05
53,1
1881/82
111,2
1893/94
78,0
1905/06
80,0
1882/83
132,4
1894/95
99,0
Die Betrachtung dieser Tabelle legt die Frage nahe : Welchen
Umständen ist die sprunghafte Abnahme der Betriebsdauer in den
80 er Jahren zuzuschreiben, stellt sich doch die Zahl der Arbeits-
tage im Durchschnitt in den Jahren
1871/72 bis 1874/75 auf 120,95
1875/76 „ 1879/80 „ 116,74
1880/01 „ 1884/85 „ 121,24
1885/86 „ 1889/90 „ 85,80
F. G. Schulze, Die deutsche Zuckerfrage, Jena 1850. — N. v. Qrau-
vogl, Ober Zuckerfabrikation in Bayern, 1810, S. 7, Schlug eine sieben-
monatliche Arbeitsdauer vor.
1Q2 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
1890/91 bis 1894/95 auf 86,68
1895/96 „ 1899/00 „ 75,00
1900/01 „ 1904/05 „ 67,14
Wir müssen uns hier auf allgemeine Andeutungen beschrän-
ken, wiewohl eine detaillierte Untersuchung auf Grund sorgsam
ausgewählten Materials eine sehr dankenswerte Aufgabe wäre.
Zweifellos müßte eine analytische Behandlung dieser Frage von
der jeweils vorliegenden Kapitalsverteilung in einer Anzahl als
Typen herausgegriffener Betriebe ausgehen, die ihrerseits von
den individuellen Verhältnissen stark mitbestimmt wird. Die Auf-
stellung der Typen läßt an sich schon die Schwierigkeit dieses
Problems erkennen.
Bei näherem Zusehen stellt sich heraus, daß die Schärfe des
Gegensatzes in der Betriebsdauer der ersten und zweiten Hälfte
der 80 er Jahre auf verschiedene Sonderumstände zurückgeht. Den
hervorragend günstigen Ernten der Jahre 1879/80—1884/5 folgten
mehrere Jahre lang weniger günstige, vom Jahre 1879/80 bis
zum Jahre 1884/5 trat eine Steigerung des verarbeiteten Roh-
materials um 116,5 o/o ein: man war in eine gewaltige Oberproduk-
tion geraten, deren Folgen man nur durch Beschränkung des
Rübenanbaus abwenden konnte. Trotzdem entstanden fortgesetzt
neue Fabriken, ihre Durchschnittszahl im ersten Jahrfünft belief
sich auf 344, im letzten hingegen auf 398, alle Betriebe dehnten
ihre Betriebseinrichtungen gewaltig aus, verbesserten sie, ohne
daß die durchschnittliche Produktionsziffer des Einzelbetriebs stieg.
Sie fiel vielmehr von 221 432 dz als Durchschnitt der Jahre 1880/1
bis 1884/5 auf 200856 dz in den nächstfolgenden fünf Betriebs-
jahren. Es erklärt sich somit die auffallende Kürzung der Arbeits-
dauer als Konsequenz der seit Ende der 70 er Jahre mit Macht
der Massenverarbeitung zustrebenden Umwandlung alter Fabrik-
einrichtungen und der Errichtung neuer Werke. Sie ist also auf
das plötzlich gewaltig vermehrte Anlagekapital zurückzuführen,
übrigens liegt in der ganzen Erscheinung auch eine Art Bestäti-
gung für den Erfahrungssatz, daß industrielle Unternehmungen
erst in den Jahren der Baisse ihre Betriebsorganisation zu re-
vidieren und zu bessern geneigt sind.
Zur Beantwortung der Frage, auf welche Einflüsse der kon-
stante Rückgang der durchschnittlichen Arbeitsdauer zurückzu-
führen ist, ist neben dem Anwachsen des Anlagekapitals und
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Groibetrieb. 103
dem des außer Verhältnis mit diesem wachsenden Betriebskapital
noch ein anderer innig damit in Zusammenhang stehender Ge-
sichtspunkte von Bedeutung, der uns auf den Kernpunkt des
saisongewerblichen Wirtschaftscharakters führt. Das Problem der
rentablen Beschäftigung der Rübenzuckerfabrik während des weit-
aus größten Teils des Jahres ist seiner Lösung bis heute noch
nicht näher gebracht^), trotz der eminenten Bedeutung, die ihm
inne wohnt. Mithin ergibt sich die Notwendigkeit, in der kurz-
fristigen Betriebsdauer Zins- und Amortisationsrate des Anlage-
kapitals ganz, des Betriebskapitals zum größten Teile für das
ganze Jahr aufzubringen. Praktisch heißt das, daß bei Annahme
einer öOtägigen Betriebsdauer eine fünfmal so hohe Zins- und
Amortisationsquote pro Tag herauszuwirtschaften ist, als bei der
regelmäßigen in nicht intermittierenden Betrieben üblichen etwa
SOOtägigen Betriebsdauer. Es verfünffacht sich also der Einfluß
einer Betriebsstörung einerseits und einer Betriebsverbesserung
anderseits gegenüber dem nicht periodischen Betrieb.
Daraus ergeben sich die obersten Sätze für die Leitung und
Organisation der modernen Rohzuckerfabrik. Es muß gefordert
werden
1. unbedingte Betriebssicherheit,
2. Ausbildung der vollkommensten, dabei dauernd rationellsten
Technik.
Was letzteren Punkt anbetrifft, so wird der unendliche Trieb
nach Vollendung glänzend illustriert durch das gewaltige Spiel,
das Jahr um Jahr auf dem weiten Gebiete der Zuckertechnik
sich einstellt. Die vielfältigen Erfahrungen der Betriebszeit, in
der alles mit äußerster Anstrengung arbeitet, können erst in
der stillen Zeit überblickt, verarbeitet und wissenschaftlich ver-
tieft werden. Wogt auch dann oft jahrelang um theoretische
Fragen der Federkrieg, so fallen doch prinzipielle Entscheidungen,
auf denen sich erst neue Methoden aufbauen können, vielfach
ohne jeden literarischen Lärm. Denn das entscheidende Wort
sprechen hier immer und immer nur die Betriebsergebnisse, und
unierbittiich sondert Jahr um Jahr die Praxis Spreu vom Weizen.*)
^) Von den Vorschlägen verdient allein der von Prof. Backhaus-
Göttingen herrührende Beachtung. Er will die Zuckeriabrikeh in der
bisher betriebsfreien Zeit mit Aufschließen von Stroh beschäftigen.
Vgl. Vereinszeitschrift 1904, II, S. 254.
>) Vgl. Zentralanzeiger der Zuckerindustrie 1892 Nr. 1.
104 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
Die Verstärkung des Saisoncharakters, wie wir sie beobachteten,
hat unmittelbar die Erscheinung gezeitigt, daß sie das Tempo
des technischen Fortschritts sichtbar beschleunigte.
Die wirtschaftliche Notwendigkeit, auf ein Höchstmaß von
Betriebssicherheit die ganze Betriebsorganisation zuzuschneiden,
hat den Gesamtaufbau aller Betriebseinrichtungen sowohl im ein-
zelnen als in der Totalität aufs tiefste beeinflußt Aber auch
der Leitung und Überwachung des Produktionsprozesses prägte
sich ein eigener Zug auf. Wie die Anforderungen an die Qualität
aller sachlichen Produktionsmittel damit stiegen, so wurden auch
die an ihre Leiter entsprechend heraufgeschraubt Der ungeheueren
Verfeinerung der Produktionstechnik ging die höhere Qualifi-
zierung des für den Erfolg verantwortlichen Organs der wirtschaft-
lichen Unternehmung zur Seite, wie schon oben entwickelt wurde :
Anstelle des Siedemeisters der alten Zeit tritt ein kompliziertes
Leitungsorgan, in dem die spezialisierten Funktionen des Kauf-
manns, des Chemikers und Maschineningenieurs ihren Platz ein-
nehmen. Gerade in der Schwierigkeit, die Persönlichkeit aus-
findig zu machen, welche sich den individuellen Verhältnissen
bestmöglich anzupassen und sie auszunützen vermag, und die,
wenn auch nicht die Kenntnisse des Spezialisten, so doch neben
einer geordneten Kenntnis in allen mit der Zuckerindustrie in
Beziehung stehenden Fragen einen feinen Instinkt in der Be-
urteilung wirtschaftlicher Verhältnisse besitzt und Kaufmann,
Chemiker und Maschineningenieur in der eigenen oder mehreren
Personen zu ihrem Recht kommen läßt, liegt im modernen Rüben-
zuckerbetrieb häufig die wahre Ursache für ein ungünstiges Wirt-
schaftsergebnis begründet Dabei lassen wir ganz die Komplika-
tionen beiseite, die sich oft aus der ungeschickten oder ungenügen-
den Abgrenzung gegen die Sphäre des landwirtschaftlichen Wirt-
schaftsleiters für den Fabrikbetrieb ergeben, bei denen die Eifer-
sucht eine große Rolle zu spielen pflegt. Es ist nicht zu be-
zweifeln, daß die Lösung der überaus schwierigen Organisations-
frage mit der steigenden Kapitalsinvestitur einerseits und der
schärferen Betonung des Saisoncharakters anderseits wenn auch
nicht ausschließlich, so doch zum guten Teil merklich erschwert
worden ist
Der Orundzug neuzeitlicher Betriebsgestaltung, die sich auf
dem Prinzip höchster Betriebssicherheit aufbaut, dokumentiert sich
nach der praktisch wirtschaftlichen Seite hin in dem Streben
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 105
der Leitung, durch Aufrechterhaltung höchster Intensität auf
Kürzung der Betriebsdauer zu dringen. Der Werdegang der
technischen Arbeit hat einen Begriff davon gegeben, wie und
mit welchen Mitteln seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre diese
Tendenz immer markanter zum Ausdruck gebracht wurde. Es
ist der Zeitpunkt, um den die Zuckerindustrie in den Stil des
in der Wahl der Technik völlig ausgesprochenen Großbetriebs
gerät. Unter diesen Umständen und angesichts der steigenden
Betonung des Saisoncharakters mögen sich auf dem Gebiete der
Kapitalsverteilung eigenartige Vorgänge abgespielt haben. Während
von vornherein zu erwarten ist, daß das Betriebskapital mit
steigendem Anlagekapital fiel, scheint es nicht ausgeschlossen,
daß diese Ersparnis anderseits durch den Mehraufwand, zumal
für die Rohmaterialien, aufgezehrt wurde. Zudem konzentrierte
sich der Bedarf an Betriebskapital auf eine sehr viel kürzere
Zeit als ehedem, und damit wird die eminente Wichtigkeit der
Benutzung moderner Zahlungsmethoden und des Terminhandels
für die neuzeitliche Betriebsorganisation erkannt.^) Die Reduktion
der Betriebskosten wird heute als ihr erstes Ziel bezeichnet,
und demnach legt man es darauf an, daß ein höherer Wirt-
schaftlichkeitsgrad der Produktionstechnik, mag dieser nun auf
eine Beschleunigung des Arbeitsprozesses, Hebung der Leistungs-
fähigkeit oder auf eine qualitative Verbesserung des Produktes
hinauslaufen, durch möglichst rationelle Verwendung des Be-
triebskapitals zustande kommt, das ist aber gleichbedeutend meist
mit einer möglichst kurzfristigen Wirksamkeit desselben. Dabei
^) Daß die Regierung den Bedürfnissen der Industrie entgegen-
zukommen sucht, beweist der Umstand, daß die Steuerbeträge regel-
mäßig längere Zeit gestundet werden. — H. Paasche, Die Zucker-
produktion der Welt, 1906, S. 19 macht auf den bedeutenden finanziellen
Vorteil aufmerksam, den die Rohzuckerfabrikanten Deutschlands im
Gegensatz zu den Raffinadeuren bis zur Einführung der Verbrauchs-
abgabe genossen. Ersteren wurde die Materialsteuer in der Regel auf
6 Monate gestundet, hingegen waren die Raffinerien gezwungen, den
Lieferanten die Rohware inkl. Steuer, d. h. da eine bestimmte Rück-
vergütung bei der Ausfuhr von Rohzucker gezahlt wurde, den Welt-
marktpreis plus Ausfuhrvergütung sofort zu bezahlen. Der Raffinerie-
besitzer mußte deswegen etwa das doppelte Betriebskapital anlegen,
als seinem englischem Kollegen zur Führung seines Geschäftes erforder-
lich war, da jener zoll- und steuerfreien Zucker erhielt. Hierin lag für
die Exportfähigkeit der deutschen Raffinerieprodukte ein beträchtliches
Hemmnis.
106 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
kann es durchaus der Wirtschaftlichkeit entsprechen, gelegent-
lich für bestimmte Zeit und in bestimmtem Maßstabe ein oder
mehrere Einzelorgane vollständig unökonomisch zu bewirtschaften,
so z. B. um eine Verlangsamung des ganzen Arbeitsganges aus-
zugleichen, wie ihn schlechte Materialien, Fehler in der Ver-
arbeitung usw. hervorrufen können, nur um den Betrieb mit
voller Belastung aufrecht zu erhalten. Eine immerhin merkliche
Mehrbelastung z. B. des Kohlekontos spielt eben da gegenüber
dem Zeitverlust und Betriebskostenaufwand durch Betriebsstörung
auf einen oder mehreren Punkten oder gar durch Stilliegen
keine Rolle.
Mit diesen Betrachtungen ist dargetan, daß die Wandlung
des landwirtschaftiich-nebengewerblichen Charakters einerseits und
des saisongewerblichen Charakters anderseits die Wurzeln für
die großbetriebliche Entwicklung der deutschen Rübenzucker-
industrie in sich begreifen. Damit sind wir der Frage nach den
Strukturveränderungen der Industrie, die aus der technisch-wirt-
schaftlichen Entfaltung hervorgewachsen sind, in ihrem eigent-
lichen Kerne nahegerückt, der Evolution zum Großbetrieb. Auf
Grund der amtlichen Statistik läßt sich dieselbe verfolgen.
Auf Tafel 2 sind die dabei in Betracht kommenden Größen
graphisch dargestellt. Es läßt sich daraus entnehmen, daß erst
gegen Ende der 70er Jahre eine energische Aufwärtsbewegung
der Durchschnittsbetriebsgröße stattfindet. Während die pro Be-
trieb verarbeitete Rübenmenge entsprechend dem verschiedenen
Ausfall der Ernten größeren Schwankungen unterworfen ist, ver-
läuft der Linienzug der in einer 12stündigen Arbeitszeit durch-
schnittlich verarbeiteten Rohmaterialmenge wesentlich ruhiger.
Ihm paßt sich bis 1895 etwa sehr gut die Kurve der jeweils
pro Betrieb im Durchschnitt ermittelten Anzahl Pferdekräfte an,
deren große Kontinuität auffallend ist. Der prozentuale Zuwachs
an Betriebskraft stellt sich für die Zeit von 1875/6— 1889/90 auf
127 0/0, für 1890/1—1904/5 auf 128 o/o, dagegen weist der Zu-
wachs in den Unterabschnitten größere Verschiedenheiten auf.
Obgleich mit steigender Größe der Betriebskraft nach dem Ge-
setz vom zunehmenden Ertrag der gewerblichen Produktion eine
Ertragsmehrung ununterbrochen und über Verhältnis der Betriebs-
größensteigerung theoretisch zu erwarten wäre, — wobei im
vorliegenden Falle die Annahme gemacht ist, daß die verarbeitete
Rübenmenge durch ein Proportionalitätsverhältnis mit dem Er-
^ Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 107
trage zu verbinden möglich sei, daB andererseits die GröBe der
effektiven Maschinenleistung ein Maß für Betriebsgröße allgemein
sei — zeigt die Entwicklung jener -Zahlenreihen bis 1895 etwa
das Zutreffen jener hypothetischen Erwartung. Von da ab tritt
eine deutliche Wendung ein. Während die Kurve der Betriebs-
kraft ganz im bisherigen Ansteigeverhältnis ihre Aufwärtsbewegung
fortsetzt, nimmt die in 12stündiger Arbeitsschicht bewältigte Rüben-
menge nun weit langsamer zu. Was ab 1895 in der graphischen
Darstellung deutiich in die Erscheinung tritt, der steigende Er-
satz der Handarbeit durch die Maschinenarbeit, verbirgt sich
zweifellos unter dem letzten Teil des Linienzuges vor 1895. Unter
Aufrechterhaltung der oben gemachten Annahmen ist der Schluß
gerechtfertigt, daß das Ertragsgesetz der gewerblichen Produktion
weit schärfer und eher zum Ausdruck käme, wenn es nicht
durch Hinübergreifen der Maschinenarbeit auf das Gebiet der
Handarbeit teilweise ausgeglichen worden wäre.
Das Gesamtbild der Größenentwicklung, wie es durch die
Kurve der Betriebskraft, der in 12ständiger Schicht verarbeiteten
Rübenmenge und der im Betriebsjahr pro Betrieb bewältigten
Rübenmenge wiedergegeben wird, gibt übrigens auch einen guten
Einblick in die eigenartige Lagerung der Verhältnisse in der
ersten und zweiten Hälfte des neunten Jahrzehntes. Es findet
sich hier eine Bestätigung dessen, was vorher gelegentiich der
auffallenden Betriebsdauerveränderung um 1885 gesagt wurde.
Weiter gibt das Gesamtbild Anlaß zu einer Feststellung be-
sonderer Bedeutung. Der Ausfall der Rübenernte, mochte er
sehr günstig oder ungünstig sein, hat in keinem Falle einen
direkten Einfluß auf die Betriebsgrößenentwicklung zu nehmen
vermocht, sogar die Krisen, an denen es in der deutschen Zucker-
industrie wahrlich nicht gefehlt hat, haben eigentiich in dieser
Hinsicht gar keine Spuren hinterlassen, wenn man von jenem
großen Ritardando in der zweiten Hälfte der 80er Jahre absieht.
Indessen ist mit der Betriebsgrößenzunahme die Unsicherheit
des Wirtschaftsergebnisses beträchtlich gewachsen, wie ins-
besondere die Verhältnisse der Jahre 1900—1905 lehren. Das
starke, persönliche Moment, welches aus der Schwierigkeit der
Lösung der verwickelten Organisationsfrage resultiert, dazu die
schwankenden Verhältnisse der Qualität und Quantität der Ernte,
der Preisgestaltung u. s. f. sind, seitdem die deutsche Rüben-
zuckerindustrie sich mit äußerster Entschiedenheit in den Bahnen
106 Die Entwicklung zum fabrikmäfiigen Großbetrieb.
eines hochentfalteten Kapitalismus bewegt, die Hauptgründe für
die starke Veränderlichkeit, der ihre Rentabilität unterliegt. Natür-
lich drückt sich diese auch in den Kursbewegungen der Aktien
aus. Beispielsweise waren die Ultimokurse und Dividende der
Körbisdorfer Zuckerfabrik, welche mit 2,70 Mill. Mk. Aktien-
kapital und 0,6 Mill. Mk. Prioritäts-Obligationen, ausgegeben
1873 und 1874, ausgestattet ist, in den Jahren 1880—1904 die
folgenden :
Ult. Kurs
Divid. o/o
Ult Kurs
Divid. •/,
1880
82,75
9
1893
100,00
7
1881
167,00
12
1894
93,10
1
1882
160,00
9V.
1895
107,75
9V.
1883
140,00
11
1896
111,75
4
1884
93,00
1897
117,10
6
1885
102,25
3
1898
118,50
8
1886
101,25
1899
117,60
6V,
1887
99,25
5
1900
123,75
9Vs
1888
105,00
5
1901
107,90
4
1889
104,00
5
1902
110,25
8
1890
100,00
8
1903
114,00
8
1891
114,75
12
1904
129,75
9V,
1892
113,00
2V,
Es ist zu erwarten, daß die überaus große Unsicherheit,
wie sie hier die Kursentwicklung darstellt, durch die rapide Be-
triebsgrößenentwicklung des letzten Jahrzehnts noch um etliches
gesteigert worden ist und daß der Kapitalist mit einer ent-
sprechend erhöhten Risikoprämie zu kalkulieren Grund hat. Offen
Ausdruck findet diese Erkenntnis wohl zum Teil in der Ver-
stärkung der Reserven, die nach Wagon*) seit 1888 schon ziemlich
regelmäßig zu beobachten ist; ob diese allerdings wirkHch relativ
merklich gewachsen sind, bleibt eine offene Frage. Nach den
Erfahrungen der Industrie zumal in den letzten sechs Jahren,
wäre das zu erwarten besonders in den Fällen, wo die Rüben-
lieferanten stark finanziell beteiligt sind.
Den Zusammenhang der Industrie als ganzes und der Kon-
junktur verdeutlicht zusammenfassend der Vergleich zwischen den
Merkmalen der großbetrieblichen Entfaltung und der Zahl der
*) E. Wagon, Die finanzielle Entwicklung der deutschen Aktien-
Gesellschaften von 1870—1900, Jena 1903, S. 103.
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 109
Betriebe, die jeweils arbeiteten. Es wird so möglich, die Wirkung
des staatlichen Eingreifens zu analysieren zwecks Feststellung
der Richtung, nach der die Weiterentwicklung der Industrie aus-
gegriffen hat. Es sei besonders betont, daß es sich hier nur
um Rüben verarbeitende Zuckerfabriken handeln kann. Em
starkes Anschwellen der Betriebszahl, ohne daß die Betriebsgröße
wesentliche Änderungen erleidet, eröffnet die 50er Jahre. Daran
ändert auch die Erhöhung der Materialsteuer 1853 wenig, wenn
auch da sowohl wie bei der Erhöhung 1858 eine Anzahl Werke
zum Erliegen kommen. 1855—8 und 1863—5 nimmt die Zahl
der Betriebe fast sprungweise zu. Die Provinz Sachsen ist an
den Neugrtindungen, welche die Verarbeitungsziffer langsam in
die Höhe treiben, hervorragend beteiligt. Doch der Steigerung
der Zahl der Betriebe zu Anfang der 70er Jahre vermag sie
nicht mehr zu folgen. Der Einfluß des die Exportbonifikation
betreffenden Gesetzes von 1861 läßt sich deutlich erkennen in
der Zunahme der Betriebe um 1863, derselbe Anreiz lockt auch
die Nachblüte zu Anfang des 8. Jahrzehnts hervor. Aber da erst
setzt eine energische Betriebsgrößensteigerung ein, ist doch nun
erst die Möglichkeit für die meisten Betriebe gekommen, von
der Exportbonifikation zu profitieren. Um 1880 kommt unter
dem deutlichen Einfluß sehr günstiger Ernten jene gewaltige
Erhöhung der Betriebszahl und der Leistungsfähigkeit zustande,
es ist die Zeit, in der die fruchtbaren Hilfsmittel der Massen-
verarbeitung ausgebildet und organisiert werden. Aber auch im
selben Aufschwung erobert die Rübe sich neue Kulturstätten.
In rapidem Anstieg kulminiert die Zahl der Betriebe 1884/5 mit
406, pendelt dann 15 Jahre um 400, bis von 1900 an eine deut-
liche Abnahme stattfindet. Aus den Großbetrieben sind zum
Teil Riesenbetriebe geworden, die ihre Leistungsfähigkeit auf
Kosten der Zahl der Betriebe zu steigern suchen. Am deutlichsten
ist das Bild in Sachsen, wo die Zahl der Betriebsstätten lang-
sam seit 1873 heruntergleitet. Die Betriebsgrößenentwicklung
zu Anfang der 80er Jahre gerät 1885—9 etwas ins Stocken.
Es sind Jahre der inneren Konsolidierung, denen seit 1890 wieder
eine scharfe Aufwärtsbewegung folgt; sie mildert aber von 1897
etwa an ihr Tempo, und stark beeinflußt von mißlichen Ernte-
ausfällen, verfällt die Betriebsgröße in ein langsameres Wachstum.
Die Etappen der Entwicklung zum Großbetrieb kamen da-
nach zustande unter denselben Ruhepunkten, denselben Perioden
HO Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
des Aufschwungs und der Depression, welche die Genesis der
Produktionstechnik uns schon vorher markiert hatte. Und wie
dieser die Merkmale der staatlichen Intervention überall aufgeprägt
sind, so trägt auch die Größenentwicklung ihre Spuren. Nicht
nur, daß sie durch die Technik, welche unter ihrem Banne ge-
schaffen wurde, diese untilgbaren Zeichen übernahm, ihr ist als
Träger des Entwicklungsgedankens die Organisation die andere
Säule ihres Bestandes. In ihr ist die Technik erst zur machtvoll
treibenden Kraft herangereift, als die man sie gemeinhin zu be-
trachten pflegt.
Die Maßregeln der Staatspolitik haben in ihrer Wirkung
den technischen Fortschritt in der wirtschaftlich rationellsten
Form, im Großbetrieb, emporgezüchtet. Es erhebt sich die Frage :
Wie hat diese Politik der Stärkung des jeweils leistungsfähigsten
Betriebes auf die beteiligten Faktoren gewirkt, soweit sie der
Produktion dienten?
Die Konsequenz des Prämiensystems unter der Gesetzgebung'
von 1861 war eine Konzentration der Rübenzuckerindustrie in
den Landstrichen, welche vermöge ihrer natürlichen Bedingungen
und des Kulturzustandes das hochwertigste Rohmaterial produ-
zierten. Auch die Gesetzgebung von 1844 bis 1861 lief im Grunde
auf die Bevorzugung der Fabriken hinaus, welche die besten
Rüben sich verschreiben konnten. So kam es denn, daß es
lange Zeit in der Provinz Sachsen, Braunschweig und Anhalt
die meisten, rentabelsten, aber auch technisch vollkommensten
Betriebe gab. Denn indem man die Verarbeitung eines guten
Rohmaterials verbesserte, ließ sich dabei relativ viel mehr ge-
winnen als in dem Fall, daß der Unternehmer die geringe Qualität
durch verbesserte Technik wettzumachen suchte. Es kam eine
Beschränkung der Industrie auf Teilgebiete zustande, welche
ihnen praktisch eine unangreifbare Monopolstellung eintrug. Da
Versuche, in anderen Gegenden mit weniger entwickeltem Kultur-
zustand und ungünstigeren physischen Bedingungen die Rüben-
kultur hochzubringen, so regelmäßig fehl schlugen, bildete sich
die Anschauung heraus, daß rationeller Rübenbau an ganz be-
stimmte Verhältnisse gebunden sei, welche nicht die geringste
Abänderung vertrügen. So stand also das Monopol dem Fort-
schritt entgegen. Erst von dem Augenblick an, in dem die
Verbrauchsabgabe die Vormachtstellung Sachsens zerstörte —
immerhin eine harte Probe für die Lebensfähigkeit der sächsischen
Die Entwicklung zum
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114
Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb.
Industrie, deren Ruin von manchen vorausgesagt wurde^) —
konnte sich die Wanderfähigkeit der Rübe in ihrer glänzenden
Weise bewähren. Vor allem im deutschen Osten breitete sich
nun die Zuckerindustrie aus. Hier wurde der neue Stil der
fabrikmäßigen Zuckerdarstellung geschaffen, der Riesenbetrieb.
Fußend auf den neuesten wissenschaftlichen und praktischen Er-
fahrungen errichtete man hier seit 1878 in steigender Anzahl
moderne Fabriken, welche zur Hebung ihrer Konkurrenzfähigkeit
gegenüber den mit besserem Rohmaterial ausgestatteten mittel-
deutschen Werken in größeren Abmessungen und raffinierter
Technik überaus wirksame Mittel fanden, von denen nun auch
ehedem sehr bevorzugte Fabriken immer mehr Nutzen zu ziehen
trachten mußten. Indem die Zuckerindustrie aus den Orenzen
ihrer ursprünglichen Verbreitung herausgedrängt wurde, schlug
die Stunde, daß Technik und Organisation des Großbetriebs für
alle Betriebe zum ehernen Gebot wurden. Die unablässige Ver-
billigung der Produktionskosten war die Folge. Die beifolgende
Tabelle S. 111—113 gibt über die durchschnittliche Verarbeitungs-
ziffer der Rübenzuckerfabriken Aufschluß. Sie läßt den Einfluß
der einzelnen in der Entwicklung der Industrie Richtung geben-
den Ereignisse und Eingriffe hinsichüich der verschiedenen Landes-
teile scharf erkennen und beansprucht deshalb allgemeineres
Interesse«),
^) Im Hinblick auf die Monopolstellung waren die Bodenpreise
enorm in die Höhe gegangen. Vgl. S. 225 ff.
") Die technische Überlegenheit der Betriebe, neueren Datums, zu-
mal der Riesenbetriebe Posens, über die sächsischen ist in der Ent-
wicklung der Ausbeuteziffer bis in die neueste Zeit wahrnehmbar, wie
aus folgender Zusammenstellung hervorgeht — Zur Herstellung von
1 kg Rohzucker waren Rüben erforderlich in Kilogramm:
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1906/04
1903/04
1902,«3
1901/02
1900/01
1899/00
1896/99
Brandenburg . .
Posen
Prov. Sachsen .
Braunschweig. .
6,93
6,71
6,73
6,97
6,60
6,28
6,75
6,75
7,03
6,66
6,84
7,25
7,03
6,51
6,88
6,90
7,57
6,86
7,39
7,50
6,89
6,55
7.15
7,41
7,18
6,64
7,65
7,60
7,69]
7,01
7.49
7,42
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1897/98
1896/97
1895/96
1894/95
1893/94
1893/93
1891/92
Brandenburg. . .
Posen
Prov. Sachsen . .
Braunschweig . .
7,92
7,48
8,00
7,77
8,09
7,69
7,93
8,01
7,72
7,20
7,60
7,95
8,24
7,23
8,67
8,26
7,78
6,93
8,25
7,98
8,72
8,07
8,55
8,98
8,891
7,67|
8,18.
8,78
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 115
Längst sind die Betriebe auf sog. geborenen Rübenböden
durch den Anstoß vom Osten her in eine Konzentrationsbewegung
geraten, die sich bei einer natürlichen Entwicklung der Dinge
mit der Zeit verstärken wird. Da der Betrieb mehrerer Fabriken
im Rahmen einer einheitlichen Gruppe von Interessenten bei
kleinen Betriebseinheiten wenig Aussicht hat, dauernd zu be-
friedigen, wird das Ziel dieser Bewegung die Stillegung kleiner
Betriebsgrößen und Übernahme ihres Rohstoffquantums durch
große sein müssen, ein Prozeß, der bei den hohen Qüterpreisen
in ausgesprochenen Rübengegenden und mangelndem Entgegen-
kommen nur mit hohen Opfern zu erkaufen sein wird. Die
Frage der Konzentration wird uns aber noch eingehend im
nächsten Kapitel beschäftigen.
2. Kapitel.
Die Weiterbildung des fabrikmälSigen Großbetriebs.
Auf Orund der spezifischen, für die Rübenzuckerfabrikation
maßgebenden Produktionsbedingungen ließ sich ein Zusammen-
hang zwischen der Technik und der Ausbildung des fabrik-
mäßigen Großbetriebs erkennen. So großartig diese Entwicklung
auch ist, so bezeichnet sie doch nur die erste Staffel der Weiter-
bildung in der Organisation des Produktionsakts, insofern es
sich um einen Ausweitungsprozeß im Sinne einer Produktions-
erweiterung handelt, die mit einer zeitgemäß modifizierten Technik
und inneren Organisation zwar erzielt wurde, die aber nicht
über das ursprünglich in Anspruch genommene Produktionsstadium
und über den ursprünglichen Wirtschaftskreis hinauswuchs. In-
dem die Organisation über die Grenzen des anfänglichen Wirt-
schaftsbereichs hinausgreift und Beziehungen desselben zu an-
grenzenden Wirtschaften gleicher oder durch die Art der Pro-
duktion innerlich verwandter Art nach Maßgabe der besonderen
Eigentümlichkeiten aufnimmt, sie im Sinne einer einheitiichen
Wirtschaftsverfassung ausbaut und auf das große gemeinsame
Ziel einrichtet, tritt sie in* eine zweite Entwicklungsetappe, bei
der die treibenden Kräfte wesentiich größer in ihren Abmessungen,
schwerer zu analysieren und präzis zu erfassen sind, zudem aber
wegen der Inbeziehungsetzung des engeren Wirlschaftskreises
zu einem stark ausgeweiteten für die Morphologie der gesamten
116 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs.
Wirtschaftsorganisation tiefgreifender und zwingender zu sein
pflegen. Es ist derselbe Evolutionsgedanke, der einen gewissen
AbsciiluB in der Wirtschaftspolitik privater Erwerbsgesellschaften
der letzten IVs Jahrzehnte erfahren hat, die mit steigender Macht
in fast allen Sparten des industriellen Lebens zur Konzentration
drängt: Die Vereinheitlichung fabrikmäßiger Produktion zu einer
eine größere Interessengruppe vertretenden Wirtschaftseinheit.
Bei der Untersuchung der Konzentrationsbewegungen in der
deutschen Zuckerindustrie wollen wir davon absehen, die Art
der Konzentration in den Vordergrund zu stellen, welche aus der
Anhäufung von Betriebsstätten desselben Wesensinhaltes in be-
stimmten von der Natur bevorzugten Landstrichen entstanden
ist. Bei der Dichtigkeit der Betriebe wird die Notwendigkeit,
die Wirtschaftseinheit zum Großbetrieb zu entwickeln, besonders
drückend empfunden. Mit großer Hartnäckigkeit wird alljährlich
der Kampf um die Rüben geführt, bei dem der leistungsfähigere
Betrieb von vornherein im Vorteil ist, da er für das Rohmaterial
eher als der kleinere einen höheren Preis zu bewilligen in der
Lage ist. Die Folge dieses Kampfes ist, daß oft die Rüben
in unmittelbarer Nähe der Fabrik an die Nachbarfabrik verkauft
werden und die meisten Betriebe höhere Frachtkosten tragen
müssen, als sie bei gütlicher Einigung, Aufstellung von Demar*
kationslinien usw. zu bezahlen hätten.
Um das technisch-wirtschaftliche Moment mehr hervortreten
zu lassen, betrachten wir die Konzentrationserscheinungen vom
Standpunkt der Vereinheitlichung der fabrikmäßigen Produktion.
Diese Vereinheitlichung läßt sich auf mehreren Wegen erstreben.
Der eine läuft auf die Zusammenfassung mehrerer Produktions-
stadien zu einer Wirtschaftseinheit hinaus. Es ist der Vorgang
der Kombination. Ihre Anwendung auf die Zuckerindustrie be-
deutet z. B. die Angliederung des Raffinationsprozesses an die
Rohzuckerdarstellung. Ein anderer Weg führt in einer ganz
anderen Richtung zur Vereinheitlichung. Die Spezialisation ist
es, die unter Beschränkung auf ein Mindestmaß von Varietäten
des Produktes die Massenfabrikation mit vollkommenster Aus-
nützung der Produktionsmittel zum Ziele hat, eine Differenzierung
hinsichtlich der auf gleicher Produktionsstufe stehenden Erzeug-
nisse^). Ein Beispiel bietet unsere Industrie in der Auslösung
^) L. Sinzheimer, Über die Grenzen der Weiterbildung des fabrik-
mäßigen Großbetriebs, 1903, S. 20.
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 117
der Melasseentzuckerung aus der Rüben verarbeitenden Fabri-
kation und ihre Verselbständigung zu Betrieben, welche ausschließ-
lich auf die Massenverarbeitung der Melasse eingerichtet sind.
Die Frage des kombinierten Betriebes steht in der Zucker-
industrie seit langem im Brennpunkt des Interesses. Sie soll
deshalb uns zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung dienen.
Der FabrikationsprozeB soll uns zunächst ausschließlich be-
schäftigen, d. h. die Kombination der Rohzuckerfabrik mit der
Raffinerie.
Es ist dabei wohl am Platze, sich eine Vorstellung zu ver-
schaffen von dem, was eigentlich den Kern der Frage bildet.
Die beiden Wirtschaftsgruppen, deren jede für sich einen
Teilprozeß des ganzen Produktionsprozesses umfaßt, werden durch
die Kombination zu einer Wirtschaftseinheit zusammengeschweißt
Es liegt hier also die Form der vertikalen Konzentration vor.
Die beiden Bestandsgruppen haben wir in ihrer Entwicklung zum
fabrikmäßigen Großbetrieb in ihren Grundlinien zu analysieren
versucht. In der modernen Rohzuckerfabrik läßt sich ein fabrik-
mäßiger Großbetrieb erkennen, der mit äußerster Kraft auf ein
Höchstmaß technisch-wirtschaftlicher Vollendung und Betriebs-
sicherheit hinarbeitet, in dem der Schwerpunkt unbedingt in der
Technik liegt. Die moderne Raffinerie stellt hingegen einen
Großbetrieb dar, bei dem die Technik in allgemein betriebs-
technischer wie auch in besonderer zuckertechnischer Hinsicht
gewiß nicht bedeutungslos ist, bei dem aber der Handel, die
sorgfältigste Berücksichtigung der Marktbewegungen bei Kauf
und Verkauf, den Erfolg in allererster Linie beeinflußt, bei dem
also der Kaufmann im Verwaltungsapparat der unbedingt maß-
gebende Faktor ist.
Das wird erst recht klar beim Vergleich der Eventualitäten
der gleichen Fehlerquellen. Während mangelhafte Arbeit infolge
ungenügender Einrichtung oder Sorgfalt, Betriebsstörung u. dergl.
für die Dauer von wenigen Tagen bei der Rüben verarbeiten-
den Fabrik das wirtschaftliche Ergebnis des ganzen Betriebs-
jahres in Frage stellen kann, ist unter analogen Umständen bei
der Raffinerie ein auch nicht entfernt ähnlicher Einfluß auf die
Rentabilität zu erwarten. Ja zeitweise erstrebt sie sogar eine
nur teilweise Betriebsbelastung, und zwar nicht etwa um Repara-
turen auszuführen. Freilich kann hier ein verfehlter Kauf, bei
118 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Orofibetriebs.
dem die Rückdeckung im Termingeschäft nicht benutzt wurde,
ein nicht mit äußerster Vorsicht gegenüber qualitativen Eigen^
Schäften übernommenes Quantum dem Qeschäft schweren Schaden
bringen.
Aber noch ein in der Betriebstechnik beruhender Gegen-
satz von großer Tragweite gehört hierher. Die moderne Rüben-
zuckerfabrik arbeitet nur etwa 60 Tage, allerdings während dieser
Zeit mit äußerster Anspannung. In der Raffinerie huigegen ist
die Betriebsintensität eine sehr schwankende; Marktverhältnisse,
Vorräte usw. sprechen da mit. Dabei aber wird der Betrieb
im allgemeinen etwa Vi des Jahres aufrecht erhalten. In neuester
Zeit geht man sogar immer mehr dazu über, möglichst das
ganze Jahr den Betrieb in Gang zu halten und gestaftet sich nur
eine 4— öwöchentliche Betriebseinstellung, um notwendige Repara-
turen auszuführen. .Während also in der Rübenzuckerfabrik eine
Betonung des Saisoncharakters eingetreten ist, wird die Raffi-
nationsindustrie vom diametral entgegengesetzten Streben neuer-
dings geleitet.
Das sind jedenfalls prinzipielle Divergenzen zwischen den
beiden Betriebsgruppen, die zu überwinden und einer Wirtschafts-
einheit einzuordnen ein ungewöhnlich hohes Maß von äußerem
Druck notwendig machen. Das mag wohl auch dazu beitragen,
daß verhältnismäßig spät für eine Industrie, welche in so un-
verfälscht kapitalistischem Geiste groß geworden ist, die Frage
der Kombination der Hauptproduktionszweige akut geworden ist.
Man darf nämlich nicht den Begriff aus dem Auge lassen,
den die Kombination mit sich verbindet. Es kommt hier auf
die Vereinigung verschiedener Produktionsstadien in einem Be-
trieb an, und zwar scheint uns darin ein wesentliches Merkmal
zu liegen, daß die Zusammenfassung eine solche ist, daß der
technische Vorteil derselben möglichst restlos ausgenützt werden
kann, im Gegensatz zu dem kaufmännischen, welchen die Inter-
essengemeinschaft sich schon zu sichern vermag.
Bevor wir auf die Kombination als eine Form der Weiter-
bildung des fabrikmäßigen Großbetriebs näher eingehen, sei auf
eine gewisse Parallelerscheinung hingewiesen, welche durch Ver-
gleich mit den Betriebsformen sich aufdecken läßt, welche die
Industrie vor Eingreifen der Großtechnik durchlaufen hat. Es
braucht nur an den Gegensatz erinnert zu werden, der um 1850
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 119
noch zwischen der Rohzuckerfabrik und der Raffinerie bestand,
als diese sich weigerte, Rübenzucker zu verarbeiten^. Damals
waren viele Rohzuckerfabriken gezwungen, ihr Fabrikat in eigenem
Betrieb zu raffinieren. Die damalige Technik der Zuckerbereitung
und die wenigen gebräuchlichen Formen raffinierter Ware er-
leichterten ihnen diesen Schritt. Und doch erklärten sich schon
damals sämtliche Fachleute gegen die Raffination im Betrieb
der Rohzuckerfabrik, obgleich der Saisoncharakter der letzteren
sich eigentlich kaum schon verschärft hatte. Selbst in jenen
Kleinbetrieben stieß man sich an der großen inneren Verschieden-
heit des Wesens beider Betriebsgruppen, obgleich man von
solchen im eigentlichen Sinne noch nicht sprechen konnte. Man
raffinierte eben meist unter vorwiegender Benutzung der zur
Rohzuckerdarstellung gehörigen Einrichtung und trachtete so,
das in ihr steckende Kapital besser auszunützen. Aber mit
wachsender Betriebsgröße und dem Sinken der Spannung zwischen
Rohzucker und Raffinerieprodukten infolge der besseren Technik
erkannte man diesen Vorteil immer mehr als einen scheinbaren.
Dazu kam, daß damals noch das Raffinieren eine geheimnis-
volle Kunst war, welche die Fabrikherren ängstlich hüteten, zu-
dem die Raffinerieeinrichtungen der Rohzuckerfabriken meist un-
genügend waren, sobald es sich um größere Mengen handelte.
Ein schlechtverkäufliches, minderwertiges Produkt wurde dadurch
die regelmäßige Erscheinung, die um so mehr in die Augen
fiel, als die Raffinerien große Fortschritte in ihrer Einrichtung
zu machen lernten. Dieser Z^istand war aber weitverbreitet nur
so lange, bis die Raffinerien sich dazu entschlossen, Rübenzucker
zu kaufen. Da zersetzte sich diese rudimentarische Form des kom-
binierten Betriebs in ihre Bestandteile, nur die Werke behielten
sie bei, welche ihre Raffinationseinrichtungen seinerzeit ausgebaut
hatten: Es entstand die Rohzuckerfabrik, und damit wurde der
Nährboden bereitet, auf dem die Zuckerindustrie technisch und
1) Von der gesamten Rohzuckermenge, welche raffiniert wurde,
trafen auf
Rohrzucker Rfibenrohzucker
1842 in Preußen 83,1 »/o 16,9%
in den übrigen Zoll Vereinsstaaten . . 73,9 „ 26,1 „
im Zollverein 81,4 „ 18,6 „
1848 in Preußen 69,5 „ 30,5 „
in den übrigen Zollvereinsstaaten . . 60,8 „ 39,2 „
im Zollverein 68,5 „ 31,5 „
120 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Großbetriebs.
wirtschaftlich zur Großindustrie geworden ist. Es liegt hier eine
Form der Kombination vor, die einmal nicht voll entwickelt ist»
der aber anderseits gewisse Züge handwerksmäßiger Organisation
anhaften. Sie prägen sich z. B. darin aus, daß der Raffinations-
betrieb nur dann aufgenommen wird, wenn die Rübenverarbeitung
ruht, daß er also nur so nebenher betrieben wird. Zusammen-
fassend ergibt sich: Wie ehedem der handwerksmäßig kombi-
nierte Kleinbetrieb im spezialisierten Mittel- und Großbetrieb
gipfelte, so drängt der spezialisierte fabrikmäßige Großbetrieb
auf eine Weiterbildung, die nur in Richtung des kombinierten
Großbetriebs liegen kann.
Die Typen des Entwicklungsganges des fabrikmäßigen Groß-
betriebs uns zu vergegenwärtigen und in ihr^n Grundlinien zu
charakterisieren, soll nun unsere Aufgabe sein.
Gewißermaßen als Vorstufe der durch die Kombination be-
zeichneten Entwicklungsreihe ist das Auftreten gewisser zentrali-
sierender Erscheinungen im Kreise der Rohzuckerfabrikation zu
betrachten. Um den kombinierten Betrieb in dem oben fest-
gestellten Sinne handelt es sich hier streng genommen nicht
Trotzdem beansprucht die Vollständigkeit ein Eingehen auf diesen
Fall.
Da die grundsätzliche Bindung der Rüben verarbeitenden Be-
triebe an den Boden auf E)ezentralisation dringt, die sich ihrer-
seits je nach der Agrarverfassung, der Verkehrsgestaltung, der
historischen Entwicklung und dem Wirtschaftsgrößenaufbau in
verschiedenen Graden der Schärfe abstuft, verfiel man auf eine
lokale Trennung der die Rohzuckerfabrikation umfassenden Pro-
duktionsakte, und zwar in der Weise, daß man die Saftgewinnung
von der Verdampfung separierte. Diesen Gedanken vertritt ein
seit 1Ä67 in Frankreich weitverbreitetes System, das wir kurz-
weg als das französische bezeichnen wollen. Danach umfaßt die
Wirtschaftseinheit zwei Betriebsgruppen. Die erste wird von einer
Anzahl Saftgewinnungsstationen gebildet, den Raperien, die dis-
loziert in den Rübendistrikten den Rohsaft liefern und ihrer
Aufgabe entsprechend nur mit geringen mechanischen Kräften
ausgestattet sind. Die Raperien, die mit Walzenpressen meist
arbeiteten, sind durch Rohrleitungen verbunden mit der zweiten
Betriebsgruppe, der Zentralstation, welcher die Verarbeitung der
von den Raperien zufließenden Rohsäfte zufällt. Jhr Betrieb kann
unschwer nach Art des fabrikmäßigen Großbetriebs organisiert
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 121
sein, ein Vorzug» der gerade bei ausgiebiger Dampf- und Kraft-
verwendung für die Massenverarbeitung besonders günstige Ver-
hältnisse bringt 1). Doch die Praxis hat längst über dies System
den Stab gebrochen. Seine schweren Schäden haben wohl auch
dazu beigetragen, daß die französische Zuckerindustrie ihre einst
führende Stellung nicht mehr wiederzugewinnen vermocht hat. Die
Nachteile lassen sich etwa so zusammenfassen: Die Raperien
vermögen sich nicht die Vorteile der Massenverarbeitung zu
sichern, da ihre Betriebskosten sonst zu hoch sind. Dement-
sprechend müssen sie bei Wahl ihrer technischen Hilfsmittel ver-
fahren. Jedes von diesen Außenwerken liefert einen anders zu-
sammengesetzten Rohsaft, auf seine spezifischen Eigenschaften
kann die Zentralstation so gut wie keine Rücksicht nehmen.
Auf dem Wege zur Verdampfungsstelle erleidet der Saft trotz
konservierender Zusätze Veränderun'gen, welche sehr von zu-
fälligen Erscheinungen abhängig sind, und welche die Verarbeitung
erschweren. Auch die Gefahr des Saftverlustes in den Leitungen
ist nicht zu unterschätzen. Das Verfahren scheiterte also in letzter
Stelle an mangelhafter Rücksichtnahme auf die besondern Eigen-
schaften des Materials. Infolge der steuergesetzlichen Maßnahmen
ist es in Deutschland nie zur Anwendung gekommen.
Dagegen liegen hier Versuche vor, eine Dezentralisation in
der Weise durchzuführen, daß man in zerstreut gelegenen Be-
trieben den Rohstoff auf Dicksaft verarbeitete und ihn dann in
eine Zentralstation transportierte, die ihn auf Rohzucker oder
auf Konsumware verarbeitete, ohne ihn zuvor in Rohzucker
überzuführen. Ober die Ergebnisse ist wenig in die Öffentlichkeit
gedrungen, und von einer Verbreitung dieses Verfahrens hat man
in Deutschland nichts gehört.
Mit wachsendem Großbetrieb beschritt man statt dessen mit
entschiedenem Glück den Weg, durch Ausbildung bester Ver-
kehrsmittel den Bezugskreis des Rohstoffs nach dem Prinzip
der Zentralisation auszuweiten, ein Vorgehen, dem die gewaltige
allgemeine Entwicklung des 'Verkehrs wirksam zu Hilfe kam.
So erwuchs denn in E)eutschland die Rübenzuckerfabrik als
^) Die erste Fabrik nach diesem System, von Linard erbaut, hatte
eine 8 km lange Saftleitung. 1872/73 bestanden schon 81 Raperien, die
34 Hauptfabriken gehörten. Die größte Anlage, die zu Cambrai, hatte
150 km Saftleitung und sollte mit 25 Raperien arbeiten. Man wollte so
auf eine Verarbeitung von 2,5 Mill. dz. Rüben kommen.
122 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Orofibetriebs.
Zentralfabrik, wobei der Schwerpunkt der gesamten Industrie
sich in Richtung der spezialisierten Betriebsform verschob. Von
dem Augenblick an, in dem sie die volle Ausnützung der Fracht-
grenzen erreichte und sich ihrer Orößenentwicklung so eine
Schranke entgegenstellte, gewinnt für sie das Problem Geltung
welches wir an den Ausgangspunkt unserer Betrachtung stellten:
durch Einbeziehung der zunächst, gelegenen Produktionsstadien
in der Kombination die Grenzen der eigenen Organisation im Kom-
plex des gesamten Wirtschaftslebens vorzuschieben.
Indem wir an diesen Ausgangspunkt zurückkehren, sei davon
ausgegangen, eine Rohzuckerfabrik erkenne ihren Vorteil in der
größtmöglichen Summierung der fabrikmäßig betriebenen Pro-
duktionsakte, also in der Herstellung des höchstqualifizierten Oe-
brauchszuckers, der Raffinade, einschließlich der Oberführung in
die vom Konsum beliebten zahlreichen Formen. Übrigens wird
das heute am ehesten dann der Fall sein, wenn in der Nähe eine
Raffinerie fehlt und das Absaljzgebiet unmittelbar vor der Tür
liegt, wo also die Bedingungen für die Ausbeutung eines natür-
lichen Frachtvorsprungs in bezug auf Raffinerieprodukte vorliegen.
Insofern hier eine Rohzuckerfabrik mit einer kompletten Raffinerie
vereinigt wird, kommt diese Betriebsform dem in voller Rein-
heit entwickelten Gedanken der fabrikmäßigen Kombination am
nächsten. Diese Form hat zwingende wirtschaftlich-technische Vor-
aussetzungen :
1. Die Raffinerie muß in ihrer Größe so bemessen sein, daß
sie die Mengen Halbfabrikat, welche die Rohzuckerfabrik bei
voller Belastung liefert, anstandslos sofort weiterverarbeiten
kann. E)enn nur so wird sie sich den vollen technisch er-
reichbaren Vorteil sichern können.
2. Da eine dementsprechend bemessene, kombinierte, voll-
ständige Raffinerie angesichts der Konkurrenz selbständiger
meist größerer Raffinerien nur dann existenzfähig sein wird,
wenn es ihr gelingt, die Ausnützung des in ihr investierten
Kapitals auf die gleiche Zeitdauer zu verteilen, wie jene
Konkurrenzbetriebe, welche V* bis 1 Jahr ohne Unter-
brechung arbeiten, so ist sie auf den Zukauf fremder Roh-
zucker angewiesen. Damit aber gerät sie wieder in die Ab-
hängigkeit vom Markt, der zu entgehen ein Hauptzweck
des kombinierten Betriebs ist. Anders ausgedrückt heißt
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Grofibetriebs. 123
das : Die erstrebten technischen Vorteile sind nur temporären
Charakters.
Immerhin sind die Vorzüge dieser Betriebsform recht be-
stechend. Während des Betriebs in beiden Betriebsgruppen kann
der Dicksaft gleich in die Raffinerie hinübergeleitet und sofort
auf ein Produkt verarbeitet werden, welcher gegebenenfalls der
Raffinade sehr nahe steht. Es fällt damit die Rohzuckerarbeit
und der Auflösungsprozeß weg auf Kosten einer im ganzen wenig
komplizierteren Behandlung des Dicksaftes in der Raffinerie. Ein
Teil der Produktionsmittel erzielt während des kombinierten Be-
triebes einen höheren Grad der Ausnutzung als bei individu-
alisiertem Betrieb, Ersparnisse an Frachten, Lagerungskosten und
Spesen sind zu erwarten, gegenüber den Erfordernissen des
Marktes größere Beweglichkeit, soweit es sich um den Konsum
handelt, schließlich Reduktion der Generalunkosten. Dagegen er-
geben sich kostensparende Einrichtungen im ganzen wohl nicht,
da die Rohzuckerfabrik die Verarbeitung der Rüben zu Rohzucker
gegebenen Falls übernehmen muß, die Raffinerie aber auch mit
der Verarbeitung von Rohzucker zu rechnen hat.
Den Vorzügen sind aber wichtige Nachteile gegenüber zu
stellen, die weniger von technischer als organisatorischer Art
sind. Darin, daß der Übergang notwendig ist von der Verarbeitung
des eigenen Dicksaftes zu der eigenen oder gar gekauften Roh-
zuckers liegt schon eine technische Schwierigkeit, da sich dieser
Übergang erfahrungsgemäß meist nicht so glatt vollzieht; es
werden hierzu besondere Hilfsapparate und Vorkehrungen nötig,
und das Personal bedarf regelmäßig eine gewisse Zeit, bis es
sich auf den neuen Betriebsgang wieder eingearbeitet hat. Die
wenn auch geringe Verschiedenheit der Arbeitsprozesse, wie sie
die Mannigfaltigkeit der Ausgangsprodukte des Veredelungs-
prozesses involviert, gibt Anlaß zur Unsicherheit ihres vollen
Gelingens. Der von so überaus vielen Einzeloperationen zu-
sammengesetzte Produktionsprozeß des kombinierten Betriebes
erfordert bei höchstmöglicher Ausnutzung aller Produktionsmittel
eine gegenüber dem Betrieb in Einzelgruppen eminent gesteigerte
Sorgfalt. Denn eine vielleicht geringfügige Störung verschleppt
sich durch alle Stationen hindurch bis zum Endprodukt, da Aus-
gleichspunkte nur an wenigen Stellen und da nicht ohne jede
nachteilige oder störende Beeinflussung des Ergebnisses geschaffen
werden können. Die größte Schwierigkeit liegt indessen außer
124 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs.
der Abhängigkeit vom Rohzuckermarkt während eines großen
Teils des Jahres und der geringen Anpassungsfähigkeit an ihn
in der Organisation der Leitung, obgleich die Praxis sich über
diesen Punkt meist hinwegzutäuschen beflissen ist. Die anta-
gonistischen Bestrebungen in den Einzelproduktionskreisen sind
schon festgestellt worden. Rohzuckerfa.brik wie Raffinerie stellen
an sich schon sehr hohe Anforderungen an die Leitung. Wieviel
schwerer aber ist erst die Vereinheitiichung der beiden Direktions-
zentren ! Hier kann nur der Grundsatz strenger Zentralisation die
Lösung bringen. Von einer Aussonderung der Dirigenten beider
Betriebsgruppen und ihre Zusammenfassung in einer Spitze kann
nicht die Rede sein. Es muß vielmehr bei der Zentralstelle die
Möglichkeit und — - die Fähigkeit vorliegen, jede Gruppe wenn
auch nicht in den feinsten Details, so doch in ihren technisch-
wirtschaftlichen Grundzügen mit ziemlich weitem Eindringen in
den Arbeitsprozeß von oben zu beeinflussen.
Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß diese Betriebsform
da vollends verfehlt ist, wo die Rüben bauenden Aktienbesitzer
sich in die Geschäfte der Leitung zu mischen bemüht sind und
mit mißgünstigen Blicken jede selbständige Regung derselben
betrachten. Mangelhafte Bewegungsfreiheit in den Entschließun-
gen der Leitung — ein Übel übrigens, an dem heute sehr viele
Unternehmungen kranken — stellt hier von vornherein dem Wirt-
schaftsergebnis die denkbar ungünstigste Prognose.
Immer wieder hat man diesen Typ der Kombination praktisch
erprobt. Durchgehens waren die Erifolge kümmerlich. Nur da,
wo die Ausbeutung eines lokalen Absatzgebietes infolge ungün-
stiger Frachttarife der nächstgelegenen Raffinerien gesichert war,
und der Frachtvorsprung einen guten Teil des Risikos zu ver-
nachlässigen gestattete, wie z. B. bei manchen süddeutschen
Betrieben, hat man mit dieser Betriebsform gute Erfahrungen
gemacht, auch da rentiert sie wohl noch, wo ein altes Unter-
nehmen in den glänzenden Jahren der Vergangenheit die ganze
Betriebseinrichtung trotz aller Neuanschaffungen und Verbesse-
rungen vollständig hat abschreiben können oder sonstwie finan-
ziell besonders glänzend dasteht. Natürlich handelt es sich hier
um eine Existenz auf Kosten der Vergangenheit.
Damit gab aber die Industrie den Kombinationsgedanken in
der vorliegenden Begrenzung nicht auf, und gerade in neuerer Zeit
hat es den Anschein, als ob man im Begriffe sei, auf dem ein-
Die Wetterbildung des fabrilcmäßigen OroSbetriebs. 125
geschlagenen Wege eine lebensfähige Form seiner Ausgestaltung
zu finden. Es läßt sich eine Form des gemischten Betriebs beob-
achten, deren Typisches darin besteht, daß der kombinierte Be-
trieb, wie wir ihn eben zeichneten, mit einer Anzahl fracht-
gänstigst gelegener Rohzuckerfabriken, deren Rohzucker nach
der Kampagne die Raffinerie speist, zu einer Wirtschaftseinheit
verschmolzen wird. Aus praktischen Gründen bilden diese Roh-
zuckerfabriken mit dem kombinierten Betrieb nur eine Interessen-
gemeinschaft meistens. So gelingt es, die Raffinationseinrich-
tung unabhängig von den Marktbewegungen am Rohzuckermarkt
ohne Unterbrechung voll auszunützen und die Produktion genau
der jeweiligen Marktlage anzupassen. Jetzt ist es möglich, die
Organisation beider Betriebsgruppen entsprechend den wechseln-
den und vielfältigen Ansprüchen der Raffinerie und des Marktes
aufs sorgsamste auszubauen, die Oeneralunkosten herabzudrücken
und die Frage der Oesamtleitung befriedigend zu lösen. Gerade
diese Frage wird jetzt fast gegenstandslos, denn es steht nichts
im Wege, die Einzelbetriebe einen jeden für sich nach seinen be-
sonderen Eigentümlichkeiten zu entwickeln und zu verwalten. Je
enger diese Interessengemeinschaft ist, in desto höherem Grade
werden sich die Vorzüge derselben zum Vorteil der Einzelwirt-
schaften ausnützen lassen. Aber schon eine ziemlich geringe An-
näherung der beiden Betriebsgruppen genügt, um die Gefahren,
die aus den Fehlerquellen des im Kernpunkt stehenden gemisch-
ten Betriebes resultieren können, im Rahmen des großen Wirt-
schaftsbereichs ganz bedeutend in ihrer Gefährlichkeit zu be-
schränken, ganz abgesehen davon, daß sie technisch durch diese
Form der Kombination ganz wesentlich sich herabmindern lassen.
Mit diesem Betriebssystem im Aufbau eng verwandt ist das,
welches sich ganz analog von der Raffinerie aus entwickelt hat.
Es kommt so zustande: Eine Raffinerie will sich gewisse Beweg-
lichkeit von dem Rohzuckermarkt verschaffen. Zu dem Zweck
kauft sie eine Anzahl frach^ünstig gelegener Rohzuckerfabriken
auf. Ein bekanntes Beispiel für diesen Typ gibt die Zuckerraffinerie
Frankenthal, welche 1/4 bis Vö ihres Rohzuckerbedarfs aus zwei
Rohzuckerfabriken deckt, die zwar als selbständige Erwerbs-
gesellschaften dastehen, aber von ihr kontrolliert werden. Ohne
auf das Für und Wider dieser Betriebsform wegen ihrer großen
Ähnlichkeit mit der vorher beschriebenen einzugehen, beschränken
wir uns auf die Feststellung, daß hier die organisatorischen
126 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs.
Schwierigkeiten auf ein Minimum beschränkt werden. Das drückt
sich schon darin aus, daß alle Betriebsgruppen nur durch be-
stimmte Abmachungen miteinander verknüpft sind, daß sie alle
zusammen meist nicht einmal eine Wirtschaftseinheit ausmachen.
Es ist in unserem modernen Wirtschaftsleben, in dem auf
allen Gebieten der Konzentrationsgedanke fast tagtäglich in die
Erscheinung tritt, einigermaßen auffallend, daß dieser Gedanke
auf dem Gebiete der Zuckerindustrie in Deutschland sich noch
nicht mit der Entschiedenheit durchgesetzt hat, wie es bei der
hochkapitalistischen Entwicklung derselben zu erwarten wäre. Die
Zahl der Betriebe, welche sich als mehrgliedrige Wirtschaften
sei es in der Form der Kombination, sei es in der der Kombination
und Interessengemeinschaft präsentieren, ist auffallend gering,
obgleich in den besten Rübengegenden, wie in der Provinz
Sachsen, über die auf die historische Entwicklung zurückzuführende
Kleinheit der Betriebe bezw. der erreichbaren Rübenmengen leb-
haft Klage geführt wird und jene Betriebsformen offenbar am
ehesten geeignet wären, im Sinne einer Konzentration hier Besse-
rung zu schaffen. Welche Ursachen stehen wohl dieser Entwick-
lung entgegen?
Die neuzeitliche industrielle Entwicklung lehrt, daß die Kom-
bination von einzelnen Wirtschaftskomplexen und ihre Verbin-
dung durch Interessengemeinschaften sich mit großer Leichtig-
keit herzustellen pflegt, sobald der Ausbau eines einheiflichen
Zweckgedankens notwendig und möglich erscheint, bei dem alle
Einzelglieder auf ihre Rechnung kommen, und eine gewisse Be-
weglichkeit der einzelnen .Wirtschaftselemente gegeben ist und
erhalten bleibt. Gerade diese Beweglichkeit ist es aber, welche
die Konzentrationsbewegung in jenem Sinne bei der Zucker-
industrie vielfach hemmt. Der Wirtschaftsgeist ist ungeheuer par-
tikularistisch, der in jenen Landstrichen, in denen sich Zucker-
fabrik an Zuckerfabrik reiht, die durch den Aktienbesitz zur Rüben-
lieferung verpflichteten Bauern häufig beherrscht. Hier fühlt sich
der Landwirt vollständig mit seiner Fabrik verwachsen, er setzt
seinen höchsten Ehrgeiz darin, daß sie eine mindestens ebenso
hohe Dividende verteilt als die Nachbarfabriken, sollten dadurch
auch die Rübenpreise in Mitleidenschaft gezogen werden. Mit
jeder Faser sträubt er sich dagegen, wenn der Aufsichtsrat ihm
eine Fusion oder etwas ähnliches mit einem oder mehreren der
naheliegenden Werke empfehlen würde, aus der alle Teile sicher-
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Oroßbetriebs.
127
lieh nur profitieren würden. Kommt es dann einmal wirklich zu
Verhandlungen, so neigen die Parteien in der Regel 2x1 maßlosen
Überschätzungen der Einlagen, die sie zu bieten haben, und
kommen aus der Furcht vor Übervorteilungen nicht heraus,
so daß von vornherein die denkbar geringste Aussicht auf einen
günstigen Ausgang gegeben ist. Es spricht jedenfalls manches
für die Vermutung, daß oft der Landwirt sich eher zu einer Kürzung
der Dividende als zu dem Opfer der Selbständigkeit seiner Fabrik
verstehen würde.
Zweitens aber ist die Lage der deutschen Zuckerindustrie
mit ihrer chronischen Überproduktion seit langen Jahren eine
derartige, daß vollständige Neuanlagen von Rohzuckerfabriken
und Raffinerien zu den größten Seltenheiten gehören. Um eine
Ncuanlage der Raffinerie mindestens würde es sich dabei handeln
müssen, da wegen des noch vorhandenen scharfen Interessen-
gegensatzes zwischen beiden Produktionsgruppen kaum eine der
bestehenden Raffinerien sich zu einer Fusionierung herbeilassen
dürfte, zumal es sich hier vielfach um alte renommierte Unterneh-
mungen handelt, die ihren Geschäftsbetrieb in langjähriger Arbeit
entsprechend den von Fall zu Fall anders gelagerten Verhältnissen
entwickelt haben. ^) Auch liegen die Raffinerien ganz anders
zum Absatzgebiet als die Rohzuckerfabriken. Während jene her-
vorragende, zur Rohstoffzufuhr geeignete Handelsplätze aufsuchen,
können diese, wie bekannt, sich von der Bindung des Bodens als
Produktionsmittel überhaupt nicht befreien. Es ist regelmäßig
besonderen geographischen Verhältnissen zuzuschreiben, wenn ein-
mal eine Raffinerie in unmittelbarer Nähe von Rohzuckerbetrieben
liegt, wie z. B. es in dem durch die Elbe so begünstigten säch-
sischen Rohzuckergewinnungs und -Veredelungsgebiet der Fall ist.
Soviel in Erfahrung gebracht werden konnte, ist nur einmal
^) Die Zahl der tätigen Raffinerien im deutschen Zollgebiet bewegt
sich abwärts. Sie betrug im Jahre
1871/72 79
1872/73 73
1873/74 74
1874/75 70
1875/76 65
1876/77 68
1877/78 64
1878/79 63
1879/80 61
1880/81 58
1881/82 58
1882/83 58
1883/84 57
1884/85 61
1885/86 60
1886/87 48
1887/88 48
1888/89 46
1889/90 51
1890/91 52
1891/92 51
1892/93 58
1893/94 57
1894/95 55
1895/96 56
1896/97 51
1897/98 50
1898/99 49
1899/00 48
1900/01 47
1901/02 46
1902/03 45
1903/04 46
1904/05 48
1905/06 43
128 Die Weiterbildung des fabrikmiißigen Qroftbetriebs.
vor wenigen Jahren ein Projekt aufgetaucht, das jenen Kom-
binationsgedanken in seiner ganzen OroBartigkeit vertrat, während
es sich bei den bis heute feststellbaren Fällen äußerst selten um
mehr als drei Rohzuckerfabriken und eine Raffinerie handelt,
also immer noch ein großer Teil des Rohzuckers anderweitig hin-
zugekauft werden muß. Man hatte damals den Plan, eine ganze
Reihe Rohzuckerfabriken des Umkreises zwecks Herstellung von
Raffinerieprodukten mit einer in Frellstedt gelegenen Raffinerie
auf genossenschaftlicher Grundlage zusammenzuschließen^). Be-
zeichnenderweise zerschlug sich das Projekt an der beabsichtigten
Preisberechnung für den Rohzucker und der Gewinnbeteiligung
der Rohzuckerfabriken am Raffinationsgewinn. Die einzelnen Er-
werbswirtschaften versteiften sich eben auf die vollständige Un-
antastbarkeit ihres selbständigen Charakters, auf welche wohl
die bäuerlichen Aktieninhaber übertriebenen Wert legten. Immer-
hin ist für die Ausgestaltung dieses alten Gedankens größere
Aussicht vorhanden, wenn die äußeren Verhältnisse einmal
drückender geworden sind, vielleicht lernt auch dann die Zucker-
industrie, den Vorteil des einzelnen in .dem der größeren Wirt-
schaftseinheit zu suchen und auf alle sich teuer bezahlt machende
Eigenbrödelei zu verzichten.
Und doch hat es den Anschein, als ob der entscheidende Grund
für die offensichtliche Abneigung gegen den geschilderten Kon-
zentrationstyp tiefer läge. Für die ideale Form der Zusammen-
fassung der fabrikmäßig betriebenen Produktionsstadien, die da-
durch bezeichnet wird, daß eine Raffinerie ihren vollen Rohzucker-
bedarf aus eigenen frachtgünstigst gelegenen Fabriken deckt, sind
bisher nach dem Gesagten nur Vorstufen der Entwicklung vor-
handen, indem manche Raffinerie bezw. der kombinierte Betrieb
einen Teil des Bedarfs aus eigenen bezw. durch Interessengemein-
schaft verbundenen Erzeugungsstätten deckt. Jenes Ideal ver-
körpert zweifellos einen Gedanken hervorragender Kühnheit, in-
dem die Raff inerie bezi. des Rohzuckereinkaufs gänzlich unabhängig
vom Markte wird; trotz der gekennzeichneten Hemmnisse wäre
das Interesse des Kapitals für ein solches Projekt wohl zu wecken
gewesen, schiene nicht das wirtschaftliche Ergebnis der so zu-
stande gebrachten Betriebsform angesichts der notorischen Un-
») „Die deutsche Zuckerindustrie«, 1903, S. 587. — F. O. Licht,
Statistische Mitteilungen, 21. November 1903.
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 129
Sicherheit des Betriebsausfalls aller sich mit der Zuckerdarstellung
befassenden Unternehmungen besonders stark gefährdet.
Ein Gradmesser für die geringe Sicherheit des Betriebsergeb-
nisses ist zweifelsohne der Charakter der Kursentwicklung. Um
eine Vorstellung von der Sprunghaftigkeit derselben zu geben,
genügt der Hinweis auf die weiter oben^) mitgeteilten Notierungen
und Dividende der Körbisdorfer Zuckerfabrik, Akt-Ges. Es kann
nicht genug betont werden, daß die Zuckerindustrie in besonders
hohem Maße Zufälligkeiten unterworfen ist, welche eine vis major
darstellen, gegen die alle Waffen aussichtslos geführt werden,
und denen gegenüber Schätzungen mit äußerster Vorsicht aufzu-
nehmen sind.*)
Man stelle sich nun vor, daß eine ganze Anzahl sehr ver-
schieden aufgebauter Wirtschaftseinheiten, die den variabeln Ein-
flüssen ganz verschiedener Fehlerquellen unterliegen, sich zu einer
einzigen Wirtschaftseinheit zusammenschließen. In dem Falle
würde nicht etwa ein Ausgleich jener Schwankungen in den
Kursen der neuen großen Wirtschaftseinheit zu konstatieren sein,
oder dieser würde sich nur in ganz ungenügendem Grade voll-
ziehen. Im Gegenteil, eine Verschärfung der Schwankungen würde
die wahrscheinliche Folge sein, da die angegliederten ehemals
ganz selbständigen Betriebswirtschaften frachtgünstigst zur Zen-
trale, der Raffinerie, liegen müssen, das heißt aber in der Mehr-
zahl der Fälle, sie müssen in nächster Nähe gelegen sein. So
verschieden die Bodenverhältnisse in einem Umkreis von 100 km
beispielsweise sein können, unter den Böden, für die der Rüben-
bau in Betracht kommt, wird aber jedenfalls längst nicht diese
Verschiedenheit herrschen, besonders wenig werden aber im
Durchschnitt die für den Ernteausfall so wichtigen Witterungs-
Siehe S. 108.
*) E. Wagen, a. a. O. — Soweit jene Zufälligkeiten mit den Ver-
hältnissen des Marktes im Zusammenhang stehen, hat die Industrie seit
dem Eintritt des lebhaften Preisniedergangs in den achtziger Jahren
großen Wert darauf gelegt, über den Ausfall der Zuckerernte in allen
Ländern, die Lage des Ausfuhrgeschäfts, Import und Export usw. gut
unterrichtet zu sein. Damals warf man der deutschen Industrie vor:
Sie versteht am besten, Zucker zu machen, aber am schlechtesten, ihn
zu verwerten. (Generalvers, des Vereins der deutsch. Rüben-Zuckerind.)
Die Klagen über mangelhafte statistisch^ Berichterstattung wollten lange
nicht verstummen. Vergl. Vereinszeitschrift 1885, S. 529; 1889, S, 535;
1893, S. 602; 1894, S. 372.
Schuchart. Zuckerindustric 9
130 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Qrofibetriebs.
Verhältnisse in diesem Umkreis voneinander abweichen, woraus
bei der ganz besonderen Bedeutung des Ernteausfalls für den
Betriebsausfall der Werke der Beweis für die Verschärfung der
Schwankungen nach der Seite des Reingewinnes bezw. Verlustes
resultiert.
In dieser Unsicherheit und dem natürlichen Mangel an Kon-
tinuität scheint ein gewichtiges Hemmnis für die Entwicklung
der Betriebskonzentration im Sinne der Vereinigung einer größeren
Zahl Rohzuckerfabriken mit einer Raffinerie zu liegen, die voll-
ständig mit ihrem Rohzucker versorgt wird.
Bisher war lediglich die Rede von Weiterbildungen des fabrik-
mäßigen Großbetriebs, welche die Angliederung des Raffinations-
prozesses mit Einschluß der Überführung seines Produkts und
der Abfallprodukte in die marktgängigen Formen zum Ziel hat,
und zwar galt dabei für die Größenbemessung der Grundsatz, daß
die Raffinerie die von der vollbelasteten Rohzuckerfabrik an-
fallenden Mengen Halbfabrikat vollständig sogleich auf Konsum-
ware aufzuarbeiten befähigt sein mußte. Wir hatten es hier mit
der reinsten und fortgeschrittensten Form der Kombination zu
tun.. Nun gibt es aber in viel weitrer Verbreitung weniger ent-
wickelte Formen, über die wir uns einen Oberblick nun verschaffen
wollen.
Zunächst ist da die Betriebsform zu nennen, die nur einen
Teil des anfallenden Halbfabrikats sogleich auf Raffinerieprodukte
weiter verarbeitet, die ev. soweit geht, daß sie in der Kampagne
das Raffinieren überhaupt aufgibt und sich ganz ausschließlich
auf die Herstellung von Rohzucker beschränkt, nachher aber,
je nachdem ihre Kalkulation nach dem Marktpreis ausfällt, ihren
eignen Rohzucker ganz oder teilweise oder mit Zukauf raffiniert,
oder ihn so verkauft, oder aber ihn ohne nochmalige Um-
schmelzung auf ein Produkt vorarbeitet, welches zwischen Raf-
finade und Rohzucker seiner Durchschnittsqualität nach steht. ^)
Diese Betriebe haben den Vorteil, daß ihre Raffinationseinrich-
tungen wesentlich geringeren Kapitalsaufwand erfordern, zu-
mal vielfach die Einrichtung zur Rohzuckerfabrikation wenigstens
teilweise beim Raffinieren benützt wird, wodurch die Zins- und
Amortisationsquote sich für diese verbessern läßt. Diese Betriebs-
form kommt vor meist bei älteren Fabriken, welche ihre alte
Näheres siehe S. 132.
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 131
Einrichtung wenigstens zum Teil noch verwerten wollen, wenn
sie Neubauten vornehmen; ihre Betriebsgröße liegt selten über
der über die ganze Industrie genommenen DurchschnittsgröBe,
viel häufiger ist sie kleiner, und deshalb lassen sich die Schwierig-
keiten in der Leitung relativ leicht überwinden. Die Schwan-
kungen des Marktes beeinflussen nur den Verkauf im allgemeinen,
da man bei lebhaften Preisbewegungen Zukaufen aus dem Wege
zu gehen sucht. Bei geschickter Leitung und angemessener Be-
wegungsfreiheit derselben kann diese Betriebsform zumal, wenn
es gelingt, die Erzeugung auf wenige Marken mit Vorteil zu be-
schränken, sehr wohl einer voUkommeren Form der Kombination
oder der Spezialisation in der Rohzuckerfabrik vorzuziehen sein.
Aber hier zeigt sich schon durch Vergleich mit den vorher
kenntlich gemachten Typen, wie wenig es möglich ist, auf dem
Gebiete der Zuckerindustrie generelle Grundsätze für die Wahl
der Betriebsform etwa normieren zu wollen. Qualität und Quan-
tität des Fabrikats, die Lage zum Markt, ob man direkt oder durch
Vermittlung ins Ausland verkauft oder auf einen bestimmten
Absatzkreis im Inland rechnet, die Fracht- und Wertmengen
der Roh- und Hilfsstoffe und die Lage zu ihren Bezugsorten, die
Unternehmungsform sowie die Kontrolle und Bewegungsfreiheit
des leitenden Organs, die Art der Finanzierung und der Stand
des Unternehmens, alles das sind ganz abgesehen von der Be-
triebseinrichtung und den in ihrem Verhältnis zueinander von
sehr verschiedenen dynamischen Wirkimgen begleiteten Produk-
tionsfaktoren Punkte, welche in die Frage der Betriebsform je
nach den individuellen Umständen mehr oder weniger stark hin-
einspielen.
Bei dem zuletzt charakterisierten Kombinationstyp liegt der
Schwerpunkt durchaus in der Rohzuckerfabrik. Im ganzen ist er
wohl heute im Absterben begriffen, wenn auch noch eine über-
reiche Differenzierung besteht, von jener Fabrik, die regelmäßig
mindestens ihren eigenen Rohzucker raffiniert, bis zu der, welcher
das nur in Eventualfällen und Teilmengen möglich ist, die also
nur vermöge einiger mehr oder weniger sorgfältig ausgebildeten
Appendices den Marktbewegungen sich anzupassen unternimmt.
In diesem Chaos können wir nur einen T3rp des kombinierten
Betriebes noch einigermaßen deutlich abgrenzen. Die Merkmale
der Kombination sind bei ihm noch viel schwächer entwickelt.
Das ist die sog. Weißzuckerfabrik. Seitdem in Deutschland eine
132 Die Weiterbildung des fabrikmäSigen Grofibetriebs.
Rübenzuckerindustrie besteht, haben es manche Unternehmer für
profitabel gehalteUi ihre Produktion so zu leiten, daß sie einen
genußfähigen Zucker direkt aus dem Rübensaft fabrizierten. Die
technische Vorbedingung für die Weißzuckerdarstellung ist eine
möglichst sorgfältige Behandlung der Säfte, deren Reinheit man
dadurch zu bessern sucht, daß man den Zuckerlösungen möglichst
viel Rohzucker zusetzt Man arbeitet mit „Einwurf'' in Dünnsaft.
Mit Vorliebe verwendet man als Einwurf die im Laufe der Zucker-
fabrikation anfallenden Nachprodukte. Dr. Rümpler^) bezeichnet
diesen Vorgang so. „Eine Rübenzuckerfabrik, welche Konsumware
herstellt, ist nichts andres als eine Raffinerie, die Saft anstatt
Wasser zur Bereitung der Kochkläre verwendet Dieser Unter-
schied hat aber auch einen Unterschied in der Reinheit der
Lösungen und damit auch in der Qualität der zu erzielenden Pro-
dukte zur Folge.'' Das Produkt pflegt man als Saftmelis zu be-
zeichnen und kommt als Kristallzucker in Form eines Haufwerks
loser glänzender Kristalle oder als Pil^zucker in zusammenhän-
genden Stücken in den Handel.^) Der Kristallzucker, der auch
gemahlen wird, spielt in Deutschland besonders seit dem Auf-
schwung des Exportes eine große Rolle und ist auf dem englischen
Markte unter der Bezeichnung Oranulated außerordentlich beliebt.^)
Reine Weißzuckerfabriken sind heute in Deutschland nicht
sehr verbreitet, trotzdem ihnen die Technik die Mittel in die Hand
gegeben hat, ein Produkt zustande zu bringen, das häufig den
A. Rümpler, a. a. O. S. 414.
«) Zur Charakteristik der verschiedenen Produkte diene folgendes:
Die Raffinadeföllmasse wird entweder auf Brote oder auf Platten,
Streifen und Wöriel verarbeitet In beiden Fällen geschieht das Decken
heute fast allgemein in Zentrifugen, in die man den Zucker in Form
von Broten oder Platten bringt. Viele Raffinerien stellen auch Kristall-
zucker, PM und gemahlene Zucker her. So werden z. B. die Abläufe
des Raffinade-Erstproduktes auf Pild, die von Pil^ auf Kristallzucker
manchmal verarbeitet. Die Lösungen, welche auf letzteren verkocht
werden, stellen als Raffinerieprodukt keine besonders hohen Anforde-
rungen an die Reinheit. Die Raffinerien beanspruchen deshalb für
ihren Kristallzucker unbedingte Superiorität gegenüber dem der Rüben
verarbeitenden Fabrik, welche ihnen von diesen aufs heftigste bestritten
zu werden pflegt.
•) Obgleich gelegentlich zwischen Kristallzucker und granuliertem
Zucker unterschieden wird, pflegt der Zuckerhandel den granulierten
Zucker als einen Kristallzucker zu betrachten, der sich nur durch ein
großes Korn auszeichnet.
Die Weiterbildung des fabriktnäöigen Großbetriebs. 133
Vergleich mit dem aus Raffinerien stammenden nicht zu scheuen
braucht, wie Fachleute versichern. Das hängt zweifellos mit dem
Zurückweichen der Exportziffer und der Gefahr zusammen, die
manchen Werken in den vorigen Jahren arg mitgespielt hat, daß
sie nämlich den richtigen Augenblick zum Verkauf verpaßten und
dann eine derartige Oberfüllung des Marktes in Granulated eintrat,
daß sie auf ihren Vorräten sitzen blieben. Jedenfalls hüten sich
reine Weißzuckerfabriken vor zu großer Ausdehnung. Verlangen
sie aber danach zwecks Herabsetzung ihrer Produktionskosten,
so müssen sie sich zur Kombination ausbauen, falls sie nicht
vorziehen, sich zur Rohzuckerfabrikation zu spezialisieren.
Der technische Aufbau der Weißzuckerfabrik zeigt, daß es sich
hier eigentlich um eine Betriebsform handelt, die gar nicht die
Eigenschaften einer Kombination besitzt. Selbst wenn, wie es zur
Zeit noch nicht vorgeschrittener Betriebsgrößenentwicklung vor-
kam, eine derartige Fabrik Rohzucker, Granulated und raffinierte
Ware sogar darstellte, eine Zersplitterung, die ganz allein aus der
selbständigen Marktpreisbewegung eines jeden dieser Fabrikate
resultiert*), so handelt es sich immer nur um die teilweise Auf-
arbeitung des aus der Verarbeitung der Rüben anfallenden Halb-
fabrikats in ununterbrochener Arbeitsfolge, oft hingegen nur um
eine aushilfsweise Angliederung, die sich technisch mit sehr ge-
ringem Aufwand herstellen läßt, besonders wenn alte Einrich-
tungsstücke dazu verwandt werden können, so daß hier nur
von einer andeutungsweise vorhandenen Kombinationsform die
Rede sein kann. Der Entwicklungsgang ist heute schon klar er-
kennbar. Die Weißzuckerfabrik, die in der Umschaltung ihres
Produktionsgangs auf Rohzucker, Granulated und Raffinade ein-
schließlich der vom Konsum jeweils bevorzugten Marken ihren
Vorteil sucht, ist nach dem Urteil aller Autoritäten eine aufge-
gebene Betriebsform. Sie paßt mit ihrer noch etwas handwerks-
mäßigen Produktion nicht in den Stil des fabrikmäßigen Groß-
betriebs, der sich auf einer ungeheuer verfeinerten Technik und
auf einer Organisation aufbaut, die auf die Bedingungen derselben
und einer entwickelt kapitalistischen Wirtschaft in allen Teilen
zugeschnitten ist. Außerdem ist bei ihr die Gefahr, ein minder-
wertiges Produkt zu liefern, weitaus größer als beim Großbetrieb,
der viel weniger unter dem Wechsel des Materials und den Folgen
•) Vergl. S. 85.
134 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs.
mangelnder Betriebssicherheit zu leiden hat Die Beobachtung
lehrt, daß die Raffinadefabrikation in der Weißzuckerfabrik heute
nahezu ausgestorben ist. Die für den Großbetrieb neuzeitlich
charakteristische Richtung identifiziert sich mit einer entschiedenen
Spezialisation zum reinen Rohzuckerbetrieb bezw. zur Kom-
bination der Rohzuckerfabrik mit der Weißzuckerfabrik.
Und gerade, was diese letztere Form der Kombination an-
geht, so gibt CS technisch und organisatorisch eigentlich nichts
einfacheres als diese Art des gemischten Betriebs. Die ganze
Änderung an der Einrichtung beschränkt sich auf einige wenig
kostspielige Zusatzapparate, welche einen Teil des Saftes gleich
auf Oranulated zu verarbeiten haben, während ein anderer Teil
zu Rohzucker fabriziert wird. Dabei ist es ohne Umständlichkeit
möglich, die ganze Saftmenge auf Rohzucker verarbeiten zu
lassen, indem sich durch höhere Polarisation die größere auf
die Saftreinigung verwandte Sorgfalt bezahlt macht. Diese An-
ordnung hat den Vorzug ziemlich erheblicher Anpassungsfähigkeit
an den Markt. Da sie sich mit billigen Mitteln erkaufen läßt,
ist dieser Betriebstyp heute weit verbreitet. Es gibt dabei zahl-
reiche Variationen von der Rohzuckerfabrik an, die gelegent-
lich einen nur geringen Teil ihres Rohmaterials auf weiße Ware
verarbeitet, bis zu derjenigen, die imstande ist, ihre ganze Produk-
tion darauf einzurichten, wenn sich aus der Marktlage ein Vor-
teil erwarten läßt.
Die eingeschworene Gegnerin aller sich mit Weißzucker-
arbeit befassenden Fabriken ist natürlich die Raffinerie, welche
mit ihren im Auflösungsprozeß gewonnenen Kristallzuckern sich
mit aller Energie gegen die Weißzucker zur Wehr setzt, die
ihr das Absatzgebiet strittig machen. Die Weißzuckerfabrik
drückt sehr bald die Preise, dafür entschädigt sich die Raffinerie
durch Druck auf die Rohzuckerpreise. Das Verhältnis zwischen
den beiden Gruppen illustriert ein Artikel in der Zeitschrift „Die
deutsche Zuckerindustrie" 1906 Nr. 13, in dem folgendes aus-
geführt wird:
„Die Raffinerien werden behindert, ihre Kauffähigkeit zu er-
halten durch das Auftauchen von Offerten von allen möglichen
Rohzuckerfabriken, welche die Arbeit auf Weißzucker aufnehmen.
Die Weißzuckerfabriken richten sich nun in keiner Weise nach
den Rohzuckerpreisen, wie die Raffinerien es tun müssen, die
dadurch die Preise hochhalten, sondern sie sind zu jedem Preise
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 135
verkaufsgeneigt. Dadurch wird die weiße Ware im Preis ge-
drückt, und dann sind die Raffinerien erklärlicherweise nicht mehr
in der Lage, jene besseren Preise^) zu bewilligen, die sie unter
anderen Umständen bezahlen könnten. Leidet die Rohzucker-
industrie unter diesen Verhältnissen im allgemeinen, so trifft
die Weißzuckerfabriken die Strafe doppelt. Einmal können sie
ihren Rohzucker, soweit sie ihn noch verkaufen, nur zu schlechte-
ren Preisen unterbringen, auf der anderen Seite arbeiten sie die
Weißzuckerpreise herunter. Und da sie immer unter den Forde-
rungen der Raffinerien verkaufen müssen, wenn sie etwas los
Werden wollen, so machen sie Geschäfte in Weißzucker zu
Preisen, die klar zutage treten lassen, in welcher Weise sie sich
selbst schädigen. Die Preisschleuderei der Weißzuckerfabriken
geschieht nur auf Kosten der Rübenpreise, und es sind schließ-
lich die Landwirte die allein Leidtragenden.^'
Das läßt erkennen, wie verwickelt hier die Verhältnisse liegen
und daß die Okkupation der Weißzuckerfabrikation seitens der
Rohzuckerfabriken jedenfalls eine recht zweischneidige Waffe im
Konkurrenzkampf ist^).
Rekapitulieren wir nochmal kurz, so sehen wir in der
deutschen Zuckerindustrie moderenen Zustandes die voll aus-
gewachsene Form der Kombination, welche die komplette Raffi-
nerie neben die Rohzuckerfabrik gleicher Leistungsfähigkeit stellt
und welche sich durch Angliederung einer Anzahl Rohzucker-
fabriken leistungsfähiger zu machen sucht, neben der stark ver-
kümmerten Form in der Weißzuckerfabrik, die nur weiße Ware
herstellt. Dazwischen bleibt kenntlich der Typ der Rohzucker-
fabrik, die nur den eigenen Rohzucker raffiniert, oder sich da-
mit begnügt, diese Operation nur mit einem Teil des eigenen
Produktes vorzunehmen, ferner die unendlich mannigfaltigen Ab-
stufungen, welche aus der Kombination der Rohzuckerfabrik mit
der Weißzuckerfabrik hervorgehen. Der Oesamteindruck ist also
keineswegs ein einheitlicher. Bei der Eigenart der Zucker-
industrie, bei der eigentlich jeder die Rohzuckergewinnung nicht
als Spezialität betreibende Betrieb nach seinem besonderen Be-
1) Damals bezahlten die Raffinerien Preise für Rohware, welche
0,30 bis 0,40 Mk. über Exportparität lagen.
>) Willy Weidner, Der gegenwärtige Stand der Zuckerfrage, Magde-
burg nnd Wien 1903.
136 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs.
triebsplan arbeitet, ist wenig Neigung zu scharf ausgeprägten
Formen des gemischten Betriebes vorhanden.
Bisher war nur die Rede von Erscheinungsformen der verti-
kalen Konzentration innerhalb des Gebietes der fabrikmäßigen
Verarbeitung des Rohstoffs, Im Produktionsprozeß rückwärts-
schreitend ist nun noch die Frage der Angliederung des Prozesses
der Urproduktion zu erörtern. Hier ist heute schon eine wesent-
liche Klärung eingetreten. Der Weg, die Räbengewinnung dem
Prozeß der fabrikmäßigen Darstellung des Zuckers anzugliedern,
ist eigentlich bei weitem nicht mit so großem Eifer beschritten
worden, wie man es hätte erwarten sollen. Zwischen der land-
wirtschaftlichen und gewerblichen Produktion bestehen von Hause
aus schon tiefgehende natürliche Divergenzen, aus denen heraus
sich eine Verkuppelung beider nur unter gewissen Zwangsmaß-
regcln entwickeln kann. Es ist gezeigt worden, daß mit dem
.Wachstum der Betriebsgröße eine entschiedene Tendenz zur Ver-
selbständigung des Fabrikbetriebes auftrat, die sich in dem Rück-
gang der Eigenrübenmenge gegenüber der Qesamtrübenmenge
sehr deutlich aussprach. Jener harte Zwang war damals wirk-
sam, als die Rübenkultur noch wenig verbreitet war und das
Rohmaterial hinsichtlich seiner Güte den Ansprächen der Fabriken,
die unter der Materialsteuer seufzten, zunächst wenig genügte.
Um überhaupt eine gute Rübe zu bekommen, blieb nichts anderes
übrig, als den Landwirt selbst am Ergebnis der Fabrik zu inter-
essieren, wie es in der Aktienzuckerfabrik mit den durch den
Aktienbesitz zum Rübenbau verpflichteten Aktionären der Fall
war^), oder aber man mußte selbst den Rübenbau in die Hand
nehmen. Dieser letztere Weg wird heute nur noch da betreten,
wo die Lieferanten eben noch mittelmäßige Rüben liefern und
wo sie am Unternehmen selbst nicht beteiligt sind. Das ist
z. B. in Süddeutschland vielerorts der Fall, wo der stark zer-
splitterte ländliche Besitz im Verein mit seinen Folgeerscheinungen,
als mangelhafte Bodenbearl>eitung, sehr starke Viehhaltung usw.,
bisher für ein erstklassiges Material noch nicht die ausreichen-
den Garantien bietet.
Immerhin ergibt sich, wie die beigefügte Zusammenstellung
zeigt, für die in eigener Regie gebauten Rüben pro Hektar ein
^) Die gleiche Absicht vertreten die genossenschaftlichen Grün-
dungen mit Lieferungszwang.
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 137
höherer Qewichtsertrag als für die Aktien- und Kaufrüben, und
es ist sicher, daß eben diese Rüben qualitativ entschieden höher
zu bewerten sind als jene. Abweichungen von dem regelmäßigen
Mehrerträgnis der Eigenrüben sind übrigens, wie sich im einzel-
nen Fall feststellen läßt, auf Rechnung der Witterung zu «etzen,
welche die Ernte in den Landstrichen mit starkem Eigenrüben-
bau besonders benachteiligt hat.
Es wurden Rüben geerntet pro Hektar in I>oppelzentner
bei den
Aktienrüben
278
283
344
305
320
307
280
297
293
327
266
303
251
335
Trotz der höheren Erträge wird von den Fabrikanten der
betr. Fabriken oft versichert, daß ihnen die Eigenrüben höher
zu stehen kommen als die Aktien- und Kaufrüben, und daß
dementsprechend der Rübenbau mehr ein notwendiges Übel als
eine profitable Sache für die Fabriken ist.
Gerade in Süddeutschland hat sich durch diese Kombination
der Rohzuckerfabrik einerseits und anderseits durch die hier be-
vorzugte Angliederung der Raffinerie an die Rohzuckerfabrik eine
Betriebsform herausgebildet, die sich in den übrigen Landstrichen
Deutschlands nur ausnahmsweise findet. Man darf ihn wohl
den süddeutschen Typ nennen^). Er stellt also eine doppelte
Kombination dar. Die Leitung ist so organisiert, daß die diri-
gierenden Organe des Fabrikationsprozesses mit denen der Ur-
bei den
KaufrUben
1892/93
272
1893/94
277
1894/95
318
1895/96
312
1896/97
316
1897/98
310
1898/99
275
1899/00
286
1900/01
295
1901/02
337
1902/03
258
1903/04
303
1904/05
228
1905/06
331
ei den
Durchschnitt!.
enrfiben
Ertrag
287
279
251
275
356
329
312
310
363
323
353
313
322
285
310
292
317
296
346
334
293
264
322
304
241
242
348
334
^) Vergl. die Tabellen S. 96—99.
138 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Oroßbetrlebs.
Produktion nur durch die Oeneraldirektion mit einander in Ver-
bindung stehen, sich im übrigen aber nicht im geringsten gegen-
seitig behelligen. Dieser Typ einer Betriebsform ist nicht ein
Merkmal eines besonders entwickelten Betriebes, sondern eines
solchen, der hinsichtlich der Rohstoffbeschaffung große Schwierig-
keiten zu überwinden hat, der indes gegenüber dem Markte
durch wichtige Vorteile dafür entschädigt wird.
Bei den skizzierten Formen der Kombination, welche in der
modernen deutschen Zuckerindustrie anzutreffen sind, handelt es
sich um eine Ausweitung des Betriebs in Richtung des Produk-
tionsganges, um die vertikale Konzentration. Das Konzentrations-
problem innerhalb dieses Industriezweiges wäre aber nicht voll-
ständig ausgeschöpft, würde nicht des imposanten Versuchs mit
derjenigen Konzentrationsform Erwähnung getan, die in horizon-
taler Richtung ausgreifend, einen einheitlichen Wirtschaftsverband
schaffen will, d. h., die durch Zusammenfassung der Wirtschafts-
kreise aller koordinierter Einzelbetriebe einen einzigen großen
Wirtschaftskomplex im Kartell zusammenschweißen will. Daß
diese Organisation sich über alle auftretenden Betriebstypen,
Rohzuckerfabrik, Raffinerie, Weißzuckerfabrik und Melasseent-
zuckerungsanstalt erstrecken und die Totalität derselben mög-
lichst restlos erfassen mußte, war die Grundbedingung für die
Wirksamkeit dieses Apparates und die eminente Schwierigkeit
seines Zustandekommens. Und daß hier gerade die Weißzucker-
fabriken der Kartellierung im Wege standen, welche die Produktion
der beiden großen Betriebsgruppen, der Rohzuckerfabrik und
der Raffinerie, zu regulieren beabsichtigten und ihre Profite zum
Teil einsteckten, liegt ja in der Natur der Sache^). Im Jahre 1900
fand die Ausgestaltung des Konzentrationsgedankens ihren Ab-
schluß im deutschen Zuckerkartell, das aus dem „Deutschen
Zuckersyndikat", G. m. b. H., das die Rohzuckerfabriken um-
faßt, und aus dem „Syndikat der deutschen Zuckerraffinerien"
bestand und in seiner Mechanik auf der Gesetzgebung des Jahres
^) Als Verteilungsmaßstab des Kartellnutzens diente die Kontingen-
tierung, wie sie das Betriebsjahr 1900/01 auf Grund des Zuckersteuer-
gesetzes gebracht hatte. Die Weißzuckerfabriken nahmen in doppelter
Weise am Kartellnutzen teil, einmal an dem der Rohzuckerfabriken,
dann auch an dem der Raffinerien (in dem Kartellpreis der Inland-
raffinade). — C. Hager, Das Zuckerkartell, Berlin 1899. — W. Kaufmann,
a. a. 0. S. 103 ff.
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 139
1896 aufgebaut war, das aber mit Wegfall der Ausfuhrprämien
infolge des Abschlusses der Brüsseler Konvention 1903 zu-
sammenbrach 0* Oie Berücksichtigung der überaus reichen Diffe-
renzierung, die nicht nur nach Lage, Größe und Einrichtung,
sondern erst recht hinsichtlich des Zusammenhanges mit der
Landwirtschaft, hinsichtlich der Betriebsform, der Art und Menge
der Produkte und ihres Verhältnisses zu einander in der deutschen
Zuckerindustrie besteht, brachte nicht nur einen Wirtschafts-
apparat von ziemlicher Kompliziertheit zuwege, sondern machte
die Kartellierung der etwa 450 Betriebe überhaupt nur unter
einem starken Zwang der wirtschaftlichen Verhältnisse möglich.
Dieser Druck wurde damals ausgeübt von der chronischen Über-
produktion und dem erschütterten Export, für den das Kartell
auf Kosten, des Inlandpreises sich zu entschädigen suchte^). Es
dürfte wohl nicht zu bezweifeln sein, daß die Mannigfaltigkeit
und Vielteiligkeit der Produktionsbedingungen und -Faktoren die
Kartellierfähigkeit der Industrie außerordentlich stark benachteiligt
hat und der Vermutung Raum gegeben wird, daß die Krönung
der als Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebes fest-
gestellten Kohzentrationsbewegung im Kartell sich selbst in der
neuesten, an wirtschaftlichen Vereinheitlichungsbestrebungen so
überreichen Zeit noch um einiges hinausschieben wird, bis sie
als Reaktion auf starke Druckerscheinungen, wie sie z. B. ein
starker Rückgang der Ausfuhr ohne entsprechenden Ersatz der-
selben durch gesteigerte Aufnahmefähigkeit des Inlandsmarktes
bringen könnte, zum Ereignis werden könnte. Wann das ein-
treten wird, ist schwer zu sagen, aber daß es unter legalen Um-
ständen eintreffen wird, ist die übereinstimmende Meinung fast
aller Fachleute s).
Wie wenig fruchtbar in der Hinsicht Spekulationen über
die Zukunft der deutschen Zuckerindustrie sind, lehrt ein Blick
auf die Technik derselben. Es war vom Brühverfahren die Rede,
Willy Weidner, a. a. O. S. 34 ff.
«) Vergl. Willy Weidner, a. a. O. — Dr. Brückner, Zuckernot und
Abhilfe, „Deutsche Stimmen« 1902, Nr. 1, 2 und 3. — C. Meyer, Über
die Lage der Zuckerindustrie, 1902. — A. Pohlman, Bedeutung des
Zuckers im Welthandel, in „Patria«, Jhrb. der „Hilfe« 1903, - Vereins-
zeitschrift 1897 u. fgd.
•) Die Aussichten für das Zustandekommen eines Kartells sind
durch die zu erwartende Kündigung der Brüsseler Konvention, die am
1. September 1908 abläuft, ganz erheblich gestiegen.
140 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs.
das die Diffusion möglicherweise einmal verdrängt. Wenn es
gelingt, dieses Verfahren befriedigend auszubauen, wird die
deutsche Zuckerindustrie in der Lage sein, mit billigeren Preisen
den Weltmarkt zu betreten und dem Vordringen des Rohzuckers
eher eine wenn auch nur vorübergehende Schranke entgegenzu-
stellen. Damit dürfte die Frage der Kartellierung für eine Zeit
wieder in der Versenkung verschwinden, bis eines Tages der
alte Zustand der Überproduktion wieder akut werden wird.
Der Niederbruch des Kartells als Folge der Brüsseler Kon-
vention hat den engen Zusammenbruch zwischen Kartell und
Schutzzoll unmittelbar zum Ausdruck gebracht Es liegt außer-
halb des Rahmens unserer Aufgabe, festzustellen, inwiefern sich
für ein neues Kartell unter der jetzt bestehenden Steuer- und
zollpolitischen Situation Lebensbedingungen finden ließen. Zweifel-
los würde jetzt seine Macht für den Inlandskonsum in weit
weniger empfindlicher Weise fühlbar werden.
Das Ergebnis unserer Betrachtung können wir etwa so zu-
sammenfassen : In der individuellen Eigenart und der Mannig-
faltigkeit der Roh-, Hilfs- und Fertigstoffe und ihrer Technik
ist es begründet, daß in der deutschen Zuckerindustrie bisher
noch wenige typische Betriebsformationen auskristallisiert sind,
die den Zweckgedanken wirtschaftlicher Konzentration im Sinne
einer Zusammenfassung in vertikaler Richtung verkörpern, etwa
wie auf dem Gebiete der Qroßeisenindustrie^. Dazu ergeben
sich aus der Vielheit und vielseitigen Verwendungsfähigkeit der
bei der Produktion beteiligten Faktoren starke Widerstände gegen-
über einer Systematisierung der Technik und der Produkte. Diese
aber ist die Voraussetzung für alle Formen der Konzentration,
welche den Gedanken der Kombination in voller Schärfe zur
Entfaltung zu bringen beabsichtigen. Diese Systematisierung wird
naturgemäß in kurzen, aus wenigen Gliedern bestehenden Pro-
duktionsabschnitten am leichtesten erreichbar sein, woraus folgt,
daß hier in Richtung der horizontalen Konzentration im ganzen
wohl die größeren Aussichten zur Durchführung der Konzentrj^-
tionsidee bestehen. In der Tat finden sich dafür im amerikanischen
*) Ober die einschlägigen Verhältnisse auf diesem Gebiete vergl.
Hans Gideon Heymann, Die gemischten Werke im deutschen Groß-
eisengewerbe. Münchner Studien Nr. 65, 1904.
Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Qrofibetriebs. 141
Zuckertrust, der nur Raffinerien umfaßt, und dem österreichischen
Kartell der Raffinerien vollwertige Beispiele.
Gegenüber dem Problem der Kombination tritt das der Spezi-
alisation, das gelegentlich schon berührt wurde, an wirtschaft-
licher Bedeutung erheblich zurück. Als Folge der Größenent-
wicklung und des immer komplizierteren technischen Apparates,
der verschiedenen Stellung der Technik zum Betrieb in der Roh-
zuckerfabrik und der Raffinerie, war eine Separierung in den
weitaus meisten Fällen nötig, um unter dem Eindruck der staat-
lichen Maßnahmen den Stil des fabrikmäßigen Großbetriebs mit
aller Entschiedenheit auszubilden. Die Abgliederung der Melasse-
entzuckerung, der ausgeprägteste Fall für die Spezialisation in
der Zuckerindustrie, war von dem Augenblick an eine Not-
wendigkeit, als der aus der Melasse gewonnene Zucker den
allgemeinen Abgabeverpflichtungen unterstellt wurde. Von nun
an konnte die Verarbeitung der Melasse auf Zucker nur noch
im Großbetrieb rentabel sein.
Immerhin hat die Spezialisation im eigenen Arbeitsgang der
Zuckerfabriken im Bereich kürzerer Produktionsakte hier und
da Eingang gefunden, wenn auch viel häufiger nur andeutungs-
weise Ansätze dazu anzutreffen sind. Durch die Beschränkung
der Nachprodukte und Verbesserung ihrer Verarbeitung hat man
mit Vorteil die Zahl der hergestellten Marken erniedrigen können,
wobei die aus der Technik des Großhandels hergeleiteten Ten-
denzen zur Standardisierung einen fördernden Einfluß ausübten.
In den Raffinerien scheinen hier und da Bestrebungen im Gange
zu sein, welche auf Vereinheitlichung der überaus zahlreichen
Formen der Konsumware hinauslaufen, wie z. B. bei Herstellung
des sog. Würfelzuckers in mehr als ein Dutzend Formaten. Die
Herstellungskosten der Gewichtseinheit werden dadurch, obgleich
die Maschinen dieselben sind, wenn auch nicht empfindlich, so
doch merklich in die Höhe gerückt. Meist sind jedoch die für
die Formgebung, Verpackung u. dergl. aufgewendeten Arbeits-
kosten gegenüber den Gesamtkosten bei größeren Betrieben wenig
ins Gewicht fallend und werden deshalb gegenüber den Vor-
teilen größerer Anpassungsfähigkeit an den Markt bezw. die
Wünsche der Kundschaft vernachlässigt. Gerade der Raffinerie-
betrieb verlangt häufig dem kaufenden Publikum gegenüber sorg-
fältiges Entgegenkommen, und besonders die deutschen Werke
sind im Verkehr mit dem Ausland auf weitgehendes Eingehen
142 Die Arbeiterverhältnisse.
auf die Wünsche der Konsumenten angewiesen. Die Verschieden-
artigkeit der Raffinerieprodukte in Technik und Güte läßt es
vielfach vorteilhaft erscheinen, den Betrieb so einzurichten, daß
er sich bequem von der Produktion einer Markenserie auf eine -
andere bezvvr. mehrere gleichzeitig umschalten läßt, besonders
dann, wenn nicht mit einem regelmäßigen Absatzgebiet ge-
rechnet werden kann.
3. Kapitel.
Die Arbeiterverh<nisse.
Jene gewaltigen Umwälzungen, welche die deutsche Zucker-
industrie auf dem Wege zum fabrikmäßigen Großbetrieb und
zur erstklassigen Großindustrie in Technik und Organisation
durchgemacht hat, legen es nahe, die Wirtschaftsprinzipien zu
analysieren, welche in ihr zu den verschiedenen Zeiten maß-
gebend gewesen sind, um Anhaltspunkte für das System zu
gewinnen, welches der Wirtschaftsbetätigung im Rahmen der
einzelnen Wirtschaftsphase die charakteristischen Linien gibt. Die
Entwicklung der herrschenden Grundsätze in den bezeichneten
Perioden, von der Individualwirtschaft des Landbewohners an,
der sich seinen Bedarf an Sirup selbst herstellt, bis zur letzten
Stufe der Gesellschaftswirtschaft, der auf freier Lohnarbeit be-
gründeten kapitalistischen Verkehrswirtschaft, würden wir im Be-
reich der Rübenzuckerindustrie in wenigen Jahrzehnten finden, in-
sofern der Obergang zwischen dem ersten und letzten Wirtschafts-
stadium wie bei so vielen Industrien neuzeitlichen Charakters
ganz unmittelbar erfolgt: Mit einem Schritt tritt die Wirtschaft
aus dem Bereich der Individualbedarfsdeckung iii den des Erwerbs
auf gesellschaftlicher Grundlage; aber welcher Anstrengungen
bedurfte es immer, um diese letztere Erscheinungsform im Sinne
einer fortschreitenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung umzu-
bilden und auf die in stetem Fluß befindlichen Ziele unter einer
wechselvollen Gesetzgebung auszurichten!
Für unsere Betrachtung gewinnen die Wirtschaftsphasen erst
Interesse von dem Augenblick an, in dem die Erwerbswirtschaft
die Zuckerdarstellung okkupiert und sie industriellen Charakter
Die Arbeiterverhältnisse. 143
gewinnt. Der industrielle Oeist der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts zeichnet sich deutlich in dem noch ganz auf persön-
lichen Momenten beruhenden Erwerbsstreben. Der gewerbliche
Kapitalismus, der, aus dem Mittelalter überkommen, im Raffi-
nationsgewerbe vor dem Aufkommen der Rübenzuckerindustrie
sein Wesen trieb, „lebt noch durchaus in den Formen handwerks-
mäßiger Organisation weiter: wie er meistens in unmittelbarer
Anlehnung an das vorkapitalistische Gewerbe entstanden ist, hat
er dessen Existenzbedingungen auf sich selbst übernommen.
Er ist gleichsam noch zufällig, seine Existenzweise ist traditionell,
er ist noch bodenständig, seine Technik empirisch".^) Von diesem
Kapitalismus ist die Zuckerindustrie in der vorkapitalistischen
Epoche beherrscht. Da tritt die große Wendung um 1850 ein.
Wenige Jahre vorher finden wir zuerst in der Raffinerie die große
Revolution, in die sie mit der Entwertung ihres Privilegs gerät.
Um nicht ganz an die Wand gedrückt zu werden, muß sie zur
Einführung der Dampftechnik sich verstehen. Arg bedrängt wird
sie von der neu erstandenen Rübenzuckerindustrie, für die sich
alle Welt nun interessiert. Eine gewisse Nervosität ergreift das
Unternehmertum, Gründungen kommen massenhaft zustande, oft
ohne jede technische und wirtschaftliche Sorgfalt und Erwägung,
im blinden Vertrauen auf goldene Berge wird gegründet, Zu-
sammenbrüche erfolgen, abermals Neugründungen; vielleicht daß
man nun etwas umsichtiger zu Werke geht oder den Fabriken
größere Abmessungefn gibt: Neue Zusammenbrüche. Denn die
besten Betriebe haben ihre Betriebsgröße inzwischen hinauf-
geschraubt, ihre Technik verbessert und werfen mit ihren preis-
werten und guten Produkten trotz erhöhter Abgaben immer
wieder den Markt. Eine harte aber eine vortreffliche Schule
ist dieses Auf- und Abfluten für den in vorkapitalistischen Grund-
sätzen befangenen Wirtschaftsneuling.
Das ist äußerlich das Bild der Genesis einer Großindustrie,
welche die Fesseln des traditionellen Wirtschaftsgeistes zerbricht
und durch die stufenweise erhöhten Lasten der Staatspolitik un-
ablässig vorwärtsgetrieben wird. Die Technik wird hier wie
ein gehetztes Wild rastlos vorwärts gepeitscht, bis man es vor-
zieht, sie durch die Zuckerbrocken einer Prämienpolitik zu ihren
höchsten Leistungen zu verlocken. Es ist in der Tat eine ganz
^) W. Sombart, Kapitalismus, II. Bd., S. 423.
144 Die Arbeiterverhältnisse.
eigene Mischung von blutigem Zwang und süßer Lockung, welche
den entfalteten Kapitalismus in der Entwicklung der deutschen
Zuckerindustrie mit besonderer Reinheit und Schärfe frühzeitiger
als in allen anderen Großindustrien hat erstehen lassen. Wollen
wir in dem Werdegang der Zuckertechnik jenen Punkt namhaft
machen, von dem aus der kapitalistische Geist über das Wesen
der vorkapitalistischen Periode triumphiert, so kann kein Zweifel
sein: Mit der Verwendung des Dampfes zu Kochzwecken im
luftverdünnten Räume und zu motorischen Zwecken im Dampf*
Zylinder ist das Schicksal des handwerksmäßig organisierten Be-
triebs besiegelt. Der Dampf ist der eigentliche Träger des
kapitalistischen Evolutionsgedankens, er trägt den neuen Stil in
das Wirtschaftsleben.
Wir können Werner Sombart beipflichten, wenn er sagt,
daß die Zuckerindustrie neben der Spiritusindustrie „derjenige
Zweig gewesen ist, an dem Deutschland sich zur kapitalistischen
Großmacht entwickelt habe : etwa, wie die BaumwoU- und Eisen-
industrie den Grund zu Englands Größe gelegt haf i) Das
gilt natürlich nicht nur in bezug auf Massen- und Wertsteigerung
der von diesen Industrien gelieferten Produkte. Wir möchten
eine Erweiterung vornehmen: Die Spiritusindustrie steht nach
der Seite großbetrieblicher Entfaltung durch das staatlich kon-
zessionierte System der Betriebsgrößenverkümmerung unendlich
hinsichtlich ihres inneren Wesensgehalts hinter der zu freieren
kapitalistischen Regungen angereizten Zuckerindustrie zurück.
Hier wurde die kapitalistische Wirtschaftsweise und ihre Technik
im Großbetrieb prämiiert, und der komplizierte Produktionsprozeß
ließ der kapitalistischen Technik einen hinlänglichen Raum zur
Entfaltung, so daß heute die Zuckerindustrie in der gesamten
deutschen Volkswirtschaft ein Beispiel eines der vorgeschritten-
sten, wenn nicht den vorgeschrittensten Typ hochkapitalistischer
Entwicklung darstellt.
Als solcher umspannt sie vermöge der höchstmöglichen
Steigerung des Erwerbsprinzips durch rationell-intensivste Be-
triebsweise in der landwirtschaftlichen und gewerblichen Produk-
tion in voller Schärfe alle jene Probleme, welche den neuartigen
Stil in Technik und Organisation der Wirtschaft beleben, und
die wir schon zum Teil aufgefunden haben. Sie stehen in innigstem
^) W. Sombart, Kapitalismus, II. Bd., S. 87.
Die Arbeiterverhältnisse. 145
Ztisammenhang mit der revolutionären Wirkung, welche die
kapitalistische Wirtschaft unausgesetzt auf die sozialen Schichtungs-
verhältnisse ausübt Dem Konnex zw^ischen dem großindustriellen
Charakter der deutschen Zuckerindustrie und der gewerblichen
Lohnarbeit im Bereich derselben nachzuspüren, soll nun unsere
Aufgabe sein. Die landwirtschaftliche Arbeiterfrage wird später
in ähnlichem Zusammenhang zu erörtern sein.
Der breite Strom der Wanderarbeiter, der sich seit Begründung
des Rübenbaues alljährlich aus den östlichen Provinzen .Deutsch-
lands, aus russischen und österreichischen Grenzgebieten in die
intensiv bewirtschafteten, westlich gelegenen Distrikte zu ergießen
pflegt, flutet mit Beendigung der Ernte wieder in den Osten
zurück, regelmäßig aber lösen sich von ihm kleinere oder größere
Trupps los, die in die Rübenzuckerfabriken wandern und hier
für einen Teil des Winters lohnende Beschäftigung finden. Da-
mit ergibt sich, daß die landwirtschaftliche Arbeiterfrage aufs
innigste mit der Arbeiterfrage im Bereich der Rüben verarbeiten-
den Industrie zusammenhängt, anderseits aber wird damit die
Sonderstellung motiviert, welche die Kategorie der gewerblichen
Lohnarbeiter im Raffineriebetrieb einnimmt.
Es ist ein überaus buntes Gemisch von Arbeitskräften, das
zum Beginn der Kampagne, Ende September oder Anfang Oktober,
von fern und nah in den Rübenzuckerfabriken sich einfindet,
nicht nur der Nationalität und dem engeren Heimatsbezirk nach,
sondern auch nach seiner qualitativen Gliederung. Wenn jenes
Wandervolk aus dem Osten heute in steigendem Maße das Haupt-
kontingent unter der Zahl der Zuwandernden stellt, so ist immer
doch noch ein starker Einschlag nationaler Elemente unter ihnen
anzutreffen, Landproletarier, die aus minder kultivierten, nach
Territorium und Klima wenig begünstigten Landstrichen stammen
und nach dem Einbringen der eigenen Ernte für die )?7inter-
monate auf Verdienst ausgehen. Ihre Scharen werden verstärkt
durch zahlreiche gelernte und ungelernte Arbeiter der Industrie
und des Baugewerbes, welche mif dem Eintritt kälterer Jahres-
zeit freigesetzt zu werden pflegen. Die starke Absorptionskraft
an Arbeitskräften, welche die überhandnehmende Industriali-
sierung Deutschlands zeitigte, drückte schwer und schwerer die
landwirtschaftlichen Unternehmer, welche angesichts der allge-
Schuchart, Zuckerindustrie. 10
146 Die Arbeitenrerhältnisse.
meinen Landflucht dazu übergingen, immer größere Hilfstruppen
zu mobilisieren und immer weiter ihre Bedarfsdeckungssphäre
nach Osten vorzuschieben. CMe gewaltige Völkerwelle, die Jahr
um Jahr nach Deutschland hereinflutete, wurde nicht nur der
landwirtschaftlichen Produktion dienstbar, sie verschob auch
wesentlich die Zusammensetzung im Arbeiterbedarf der Rüben-
zuckerfabriken, in dem das deutsch-nationale Element fortgesetzt
mehr dem russisch-polnisch-galizischen wich.
Doch damit ist nur der Teil der Arbeiterschaft gekenn-
zeichnet, der ausschließlich dem Bedürfnis der Kampagne dient.
Mit der Ausdehnung des Großbetriebs wuchsen die Anforde-
rungen an die Unterhaltung kostspieliger Maschinenanlagen und
Apparate, Reparaturen und Änderungen galt es häufig vorzu-
nehmen, die Räumung der Zuckerlager und die Ergänzung der
Vorräte war zu betätigen. Dazu aber bedurfte es eines ge-
schulten Personals für die Dauer des ganzen Jahres. Schon
in den 50er Jahren entschloß man sich zu dem Schritt, auch
wenn man die Raffination des Rohzuckers nicht selbst vornahm.^)
Arbeit gab es ja damals, wo sozusagen jede Fabrik ihre eigene
Technik pflegte und im wesentlichen auf Grund der eigenen
Erfahrungen ihren Betrieb zu verbessern geneigt war, in der
betriebsstillen Zeit des Jahres an Reparaturen und Neubauten
immer in Menge. Diese Stammgruppe, die heute den vierten
bis sechsten Teil der Saisongruppe in einer Rohzuckerfabrik aus-
zumachen pflegt,^) besteht einesteils aus gelernten Handwerkern
(Schlosser, Schreiner, Kupferschmied, Maurer), welche allerlei Aus-
besserungsarbeiten, auch Neuanfertigungen vornehmen, sodann
aus den mit der Überwachung von Maschinen u. dgl. betrauten
Kräften (Maschinisten, Heizer, auch Batterieführer). Zu ihrer
Unterstützung dienen schließlich eine Anzahl ungelernter Arbeiter,
denen die Hof- und Lagerarbeiten obliegen.') Natürlich sind alle
1) Die Zuckerfabrikation im Zollverein, Stuttgart 1861, S. 37.
*) In gemischten Betrieben wächst der Anteil der Stammgruppe
auf »/a bis */5 der Saisongruppe.
3) Die Abgrenzung der Kategorien der gelernten und der unge-
lernten Arbeiter genügt der Praxis nur in unzureichendem Maße. In-
folgedessen bemüht man sich, die Zwischenstufe des angelernten Ar-
beiters einzuschalten und löst diese wieder ihrerseits in Untergruppen
nach äußeren Merkmalen auf. Vergl. H. Ehrenberg, Lage der Eisen-
hüttenarbeiter im Ruhrrevier, 1906, S. 118. — Marshall, Handbuch der
Die Arbeiterverhältnisse. 147
diese Leute ortsansässig, zur Zeit der Kampagne werden sie
auch wohl als Aufsichtspersonal verwandt, da sie mit allen Einzel-
heiten vertraut sind. Vielfach sind sie im Dienste der Zucker-
fabrik ergraut, die ihrerseits großes Interesse daran hat, aber
einen Stab auf die tausendfältigen speziellen Betriebseigentümlich-
keiten eingearbeiteter Leute zu verfügen, von deren Sorgfalt und
Tüchtigkeit in hohem Maße die so hoch einzuschätzende Betriebs-
sicherheit abhängt.
Welche Wandlung hat die Entwicklung zum fabrikmäßigen
Großbetrieb in dem Orößenverhältnis der beiden Arbeitsgruppen
geschaffen? Diese Frage läßt sich auf Orund der hier einzig
vorliegenden Statistik, der der Zucker-Berufsgenossenschaft, nicht
beantworten. Wir können uns hier nur Vermutungen hingeben.
Um überhaupt eine Vorstellung von der Arbeiterzahl zu geben,
welche in der deutschen Zuckerindustrie (Rohzuckerfabrik, Raffi-
nerie, Melasseentzuckerungsanstalt) in einer Betriebswoche durch-
schnittlich beschäftigt zu werden pflegt, und um die Entwicklung
dieser Zahl kennen zu lernen, führen wir die Statistik der Zucker-
berufsgenossenschaft an, welche über die umlagepflichtigen Löhne
und Gehälter sowie über die gezahlten Unfallentschädigungen
Aufschluß gibt. (Seite 148.) Der größte Teil der im Betriebs-
und Aufsichtsdienst beschäftigten Angestellten ist in diese Auf-
stellung aufgenommen, die zwangsweise Versicherung schließt
mit 6000 Mk. Jahreseinkommen ab, doch gehörten der Berufs-
genossenschaft Ende des Geschäftsjahres 1905 noch 15, 1906
18 Betriebsbeamte mit höherem Einkommen freiwillig an, wo-
durch das Bild nur unwesentlich verschoben wird.
Vergleichsweise sei angeführt, daß im Jahre 1848 in den
50 Raffinerien Preußens, welche Rohrzucker verarbeiteten, 3463,
in den 108 Rübenzuckerfabriken 9153, in der preußischen Zucker-
industrie also 12616 Arbeiter beschäftigt waren, und daß für
das Jahr 1852 die Zahl der im Winter in den Rübenzucker-
fabriken des Zollvereins Beschäftigten auf 18000 geschätzt wurdet)
Es kann angenommen werden, daß die Zahl der in nicht
Rüben verarbeitenden Werken Beschäftigten in den letzten 20
Jahren keine wesentlichen Änderungen erlitten hat.
Volkswirtschaft, 1905, S. 241. — Zur Systematik der Arbeit und Arbeits-
kräfte vergl. H. Deutsch, Qualifizierte Arbeit und Kapitalismus, Wien
1904, S. 3 ff.
») K. Siemens, a. a. O. S. 89ff.
148
Die Arbeiterverhältnisse.
Statistik der Zuck«r>BerafsgeiioMeBMhaft.
Jahr
Zahl der in
einer Betriebs-
woche im
Durchschnitt
Beschäftigten
Uffllasepfflcli-
Uge LShne und
Qebllter in
Mk.
Gezahlte Un-
iallentschSdi-
gungen In
MIc.
Durchschnitt-
liches Jahres-
einiconinien
nach Sp. 2 u. 3
InMk.
An Raben
wurden
verarbeitet
Mlll. dz •)
1
2
3
4
9
6
1885/86')
127200
47712600
34604
375,10
83,0
1887
106817
33664679
91751
315,16
69,6
1888
95420
33411450
151755
342.94
79,0
1889
97151
35860062
187787
369,12
98,2
1890
99953
39658951
249590
396,78
106,2
1891
99097
41406749
320861
417,84
94,9
1892
98331
40544448
354492
412,33
98,1
1893
97889
40286517
408356
411,55
106,4
1894
101164
43418717
462899
429,19
145,2
1895
100058
43879034
509683
438,54
116,7
1896
100655
44251469
565720
439,64
137,2
1897
100738
45648544
599797
453,14
137,0
1898
98219
45 775 459
642775
466,05
121,5
1899
97000
45532715
698218
469,40
124,4
1900
97141
48 181 702
738002
495,99
132,5
1901
99T74
51684870
807639
518,01
160,1
1902
97042
47655519
852734
491,09
112,7
1903
95645
45607393
874841
476,84
126,8
1904
94583
43973869
901567
464,92
100,7
1905
97158
47773 534
938248
491,71
157,3
1906
95581
51798798
966848
540,94
140,5
Damit ist gesagt, daß die Schwankungen in dieser Zahlen-
reihe nahezu vollständig aus der Bewegung der Arbeiterschaft
in den Rohzuckerfabriken stammen, daß seit 1886 nur geringe
Schwankungen aufgetreten sind, und daß sich hier abermals das
bestätigt, was wir bereits anderweitig feststellten: Wahrend die
durchschnittlich zu verarbeitende Rfibenmenge sich in der Zeit
1) Umfaßt die Zeit vom 1. Oktober 1885 bis 31. Dezember 1886,
infolgedessen nur beschränkt vergieichsfähig.
>) Während sieh alle übrigen Zahlen auf das Kalenderjahr beziehen
sind die der Spalte 6 auf das Betriebsjahr vom 1. September bis
31. August bezogen.
Die Arbeiterverhältnisse. 149
rund verdoppelt hat, ist die Arbeiterzahl etwa dieselbe geblieben :
Eine gewaltige Mechanisierung hat Platz gegriffen, ein Ersatz
von Arbeit durch Kapital.
Indem wir zu jener Frage zurückkehren, welche die Ver-
schiebungen in der Stamm- und der Saisongruppe der Arbeiter-
schaft in den Rüben verarbeitenden Betrieben behandelt, soll
versucht werden, auf Grund der Bedürfnisse des aufstrebenden
Großbetriebs einen Schluß bezl. der dort eingetretenen Ver-
änderungen zu ziehen.
Da ist zunächst daran zu erinnern, daß die technische Aus-
stattung der Rohzuckerfabriken, seitdem sie zur Massenverarbeitung
übergingen, große Fortschritte zumal auf dem Gebiete der Lasten-
förderung gemacht hat. Die vorsintflutliche Technik des Hand-
karrentransportes machte mit der Beschleunigung und der er-
höhten Kapazität der für Massengüter rentabelsten Transport-
und Beschickvorrichtung mit mechanischem Antrieb Platz. Der
einst bei bescheidenen Rohstoffmengen von Menschen wimmelnde
Fabrikhof, auf dem Muskelarbeit weitgehend zur Transportleistung
herangezogen wurde, ist mittlerweile unter der Herrschaft der
Kraftmaschine zum guten Teil verödet. Die dauernd mit an-
nähernd derselben Intensität angewandte menschliche Kraftleistung
ist ganz in den Hintergrund getreten, statt dessen benutzt man
den menschlichen Motor möglichst da, wo eine beobachtende
und überwachende Tätigkeit sich mit ihm verbinden läßt Denn
der Unternehmer hat längst herausgefunden, daß menschliche
Muskelkraft die weitaus kostspieligste Kraftquelle ist, über die
er verfügt, und daß sich sein Betrieb günstiger meistens rentiert,
wenn er die Kraftleistung von der menschlichen Tätigkeit aus-
sondert und sie in möglichst geringen Mengen und nur in Zu-
hang mit dem Intellekt des Inhabers beansprucht. Gerade auf
dem Gebiete 'der Massenförderung ließ sich diese Trennung ver-
hältnismäßig mit den einfachsten Mitteln und der besten Renta-
bilität durchführen.
Aber auch im eigentlichen Fabrikationsprozeß schritt die
Mechanisierung und damit die Kapitalsinyestitur zu Gunsten der
Menschenarbeit rastlos fort, und immer zahlreichere Arme wurden
frei.^) Die Ausbildung einer ökonomisch richtigen Dampftechnik
kam der steigenden Verwendung des gespannten Dampfes zu
^) Bezogen auf die Gewichtseinheit Rohmaterial.
150 Die Arbeiterverhälinisse.
motorischen Zwecken zugute. Die elektrische Kraftübertragung
redete der Zentralisation das Wort und ermöglichte und verbilligte
die Verteilung mechanischer Energie unter schwierigen Um-
ständen. Auch im inneren Betrieb der Werke machten die mo-
dernen mechanisch betriebenen Einrichtungen zur Massengut-
förderung glänzende Fortschritte. Alles dies und eine Fülle von
Einzelmomenten, von denen nur der Fortschritt des Kontinuitäts-
prinzips genannt sei, drängte dem großen Ziele der modernen
kapitalistischen Entwicklung zu: Die teure, erniedrigende Ver-
wendung des Menschen als Kraftquelle durch die mit Hilfe der
Verbrennung der Kohle unter dem Dampfkessel erzeugte zu er-
setzen und statt dessen in immer höherem Maße seine intellek-
tuellen Fähigkeiten, die ihn über die Kreatur erheben, zur Ober-
wachung von maschineller Arbeit zu entwickeln und nutzbar zu
machen.
So kam denn der Ersatz der Arbeit durch Ka^Htal zunächst
der Qruppe der Saisonarbeiter zustatten. Ganz anders aber ge-
stalteten sich die Dinge für die Leute der Stammgruppe. Da
wo der Klein- und Mittelbetrieb sich ehedem gemüht hatte, unter
Heranziehung selbständiger Handwerker, die vielfach vom Be-
trieb der einzelnen Apparate nicht das geringste verstanden, bei
jeder Betriebsstörung und Reparatur fertig zu werden, richtete
man sich bei der noch mangelhaften Verbreitung technischen
Verständnisses und Könnens und der Geheimnistuerei, die hier
gang und gäbe war, bald darauf ein, Neueinrichtungen kleinerer
Art und Änderungen u. dergl. in eigener Regie auszuführen. Der
Großbetrieb schuf sich seine eigenen Spezialwerkstätten für Neu-
anfertigung und Reparatur, er legte Wert darauf, einen Stamm
gut geschulter Arbeitskräfte zu einer Handwerkerkolonne i) zu
vereinigen, die den speziellen Aufgaben der Zuckerfabrik aufs
sorgfältigste angepaßt war, in der die gleichen Leute zum Teil
arbeiteten, welche in der Kampagne mit den betreffenden Appa-
raten umzugehen hatten und sie bis in die feinsten Details ihrer
Konstruktion und Wirkungsweise kannten. So schuf sich der
Großbetrieb eine technische Hilfstruppe, die jeden Augenblick
bereit war, in den Betrieb einzugreifen, welche alle vorkommenden
Arbeiten als Spezialität betreiben konnte, und die in der Hand
1) In der Rohzuckerfabrik besteht etwa der fünfte Teil der Stamm-
arbeiter aus gelernten Handwerkern.
Die Arbeiterverhältnisse. 151
des Unternehmers das wirksamste Mittel darstellte, jede Betriebs-
störung im Entstehen zu beseitigen.
Ober das Maß der Betriebsgrößenzunahme wuchsen die Auf-
gaben dieses Teils der Stammgruppe vornehmlich da, wo tech-
nische Hilfe durch sachverständiges Personal nur mit Umständ-
lichkeit zu erhalten war, in Gegenden zumal, welche vom Ver-
kehr wenig begünstigt waren. Immer zahlreichere, größere und
kompliziertere Apparate und Maschinen galt es während des Be-
triebs zu überwachen, nach der Kampagne auseinander zu nehmen,
in allen Teilen zu prüfen; schadhafte Teile mußten ausgewechselt
und nachgearbeitet werden, und gerade bei diesen letzteren
Arbeiten würde die Vornahme derselben an einem andren Ort als
am Verwendungsort die Kosten oft ungeheuer verteuern, so daß
zu dem Zweck ohnehin die Einrichtung einer mit den notwen-
digen Hilfsmitteln ausgestatteten Reparaturwerkstätte selbst beim
kleinsten Betrieb, falls er abseits lag, zur dringenden Notwendigkeit
wurde. So war es nur ein Schritt, daß man von der Reparatur
zur selbständigen Herstellung neuer Apparate und zu Umbauten
größeren Stils überging. Während der Verkehr mit den Maschinen-
und Apparatebauanstalten sich immer mehr auf die Beschaffung
besonders komplizierter, qualitativ ausgezeichneter oder patent-
rechtlich geschützter Artikel beschränkte, wuchsen Aufgaben und
Leistungen der eigenen Werkstätten rapide, wo man mit teueren
Frachten und umständlicher Beschaffungsmöglichkeit rechnen
mußte. Vom Holzmodell des Gußstücks bis zum Einbau des fertig
montierten Apparates, alle Arbeiten mit Ausnahme des Gusses
und anderer schwieriger Operationen, für welche die Spezial-
technik in Betracht kommt, nimmt der moderne Großbetrieb
heute vielfach selbst vor, wobei er naturgemäß sein Augenmerk
auf die Qualität des Produktes richtet besonders bei solchen
Artikeln, welche bei Massenproduktion eine geringere Gewähr
für ihre Güte bieten.
Um die Gruppe der gelernten ständigen Arbeiter in ihrer
Wirksamkeit zur vollen Ausnützung zu ergänzen, ist eine Zusatz-
mannschaft notwendig. Diese wird von ungelernten, meist an-
gelernten Arbeitern gebildet, welche jener zur Hand geht und
dafür sorgt, daß die Differenzierung in ungelernte und Spezial-
arbeiter möglichst in der Übernahme von Arbeiten zum Ausdruck
kommt. Diese Leute finden auch als Hof- und Lagerarbeiter Ver-
wendung, und von ihrer Zuverlässigkeit und Gewandheit hängt
152 Die Arbeiterverhältnisse.
manchmal für den Unternehmer mindestens ebensoviel ab als
von den Eigenschaften der gelernten Handwerker.
So leuchtet aus der Entwicklung der Oinge mit voller Klar-
heit das Wesen der Verschiebung heraus, welcher der Groß-
betrieb unter den beiden Gruppen zustande brachte. Die starke
Freisetzung von Arbeitskräften der Saisongruppe durch die Ma-
schine wird nahezu vollständig aufgewogen durch die Zunahme
bei der Stammgruppe, welche über die Sicherheit des Betriebs,
über die Arbeit der Maschine wacht, eine natürliche Folgeerschei-
nung der zunehmenden Verdrängung des Menschen als Motor
durch das Kapital.
Damit ist zugleich die Antwort gefunden auf die wichtige
Frage nach der Beeinflussung der Arbeitsqualifikation durch die
Technik. Es ist gezeigt worden, wie die Sphäre der Verwendung
reiner Muskelarbeit in der Rohzuckerfabrik entschieden stark ab-
genommen hat und wohl auch noch künftig abnehmen wird.
Dem gegenüber hat das Element des qualifizierten Arbeiters an
Boden gewonnen. Zwischen ihm und dem markanten Typ des
angelernten Saisonarbeiters wogt das Heer der angelernten Wan-
derarbeiter und der ungelernten und angelernten Stammarbeiter.
Weniger nach der Fertigkeit als der intellektuellen Fähigkeit
scheint dabei der moderne Rohzuckerbetrieb zu differenzieren:
Zum Heranschaffen der Rüben und Hilfsstoffe sowie zum Weg-
schaffen von Abfallprodukten findet fast regelmäßig der auf nie-
drigster Kulturstufe stehende russische oder polnische Arbeiter
Verwendung, an den Apparaten im Innern der Fabrik hingegen die
deutsch redenden Landproletarier, freigesetzte Arbeitskräfte aus
der Industrie und den Gewerben; intelligentere von ihnen bezw.
solche, die jahrelang auf derselben Station gearbeitet haben,
pflegen wohl mit ihrer Überwachung betraut zu werden. Dann
erst kommt die Gruppe der ständigen Arbeiter, der Heizer,
Maschinenführer usw., die wohl zur Beaufsichtigung herangezogen
werden und denen sich eine Kategorie niederer Auf Sichtsbeamter ^)
*) Ober die wirtschaftliche Lage und die Funktionen dieser läßt
sich wenig sagen; denn die Beschäftigung der einzelnen weicht in den
verschiedenen Werken zu sehr voneinander ab. Da auch Wechsel der
Aufsichtführenden auf den einzelnen Stationen während der Betriebs-
zeit nichts seltenes ist, die letztere aber beim reinen Rohzuckerbetrieb
heute recht kurz ist, fehlen charakteristische Merkmale für diese
Kategorie.
Die Arbeiterverhältnisse« 153
überordnet So ist denn der Qroßbetrieb der RohzuckerfabrUc, das
Resultat eines Verselbständigungsprozesses, durch eine reiche Dif-
ferenzierung der Arbeit gekennzeichnet, die sich der Gestaltung
der Lohnformen und der Lohnsätze natürlich mitteilt.
Doch ehe auf letztere eingegangen werden soll, ist das Bild der
von der Großtechnik umgebildeten Struktur der Arbeiterschaft
in zwei Zügen noch zu ergänzen.
Zum Kapitel der Frauen- und Kinderarbeit würde die Ge-
schichte der deutschen Zuckerindustrie eine reiche Quelle schätz-
baren Materials liefern, wäre das Verständnis dafür in den Kreisen
der zeitgenössischen Autoren bis zur staatlichen Regelung der-
selben nichj^ein durchaus mangelhaftes gewesen. In der Zeit der
lebhaften Bevölkerungszunahme, in der die industrielle Entwick-
lung erst zaghaft einsetzte, bei welcher die Rübenzuckerindustrie
eine führende Stellung einnahm, als Scharen von Beschäftigungs-
losen ihr verfügbar waren, wurde die weibliche Arbeitskraft, wenn
irgend angängig, vor der männlichen bevorzugt. Vom Rübenbau,
der seit seiner Begründung meist mit Frauen- und Kinderarbeit
betrieben wurde ^), wanderte nun die Frau in die Fabrik; und so
kam es denn, daß längst bevor die Entwicklung der Verkehrsmittel
immer größere Scharen wandernder Landarbeiter im Osten mobili-
sierte, die Frauenarbeit wegen ihrer notorischen Billigkeit ein
Stützpunkt der ganzen Rübenzuckerindustrie, besonders aber der
am wenigst leistungsfähigen Betriebe wurde. Daran vermochte
das Vordringen der Maschine vorläufig nicht viel zu ändern.
Während im Jahre 1882 in Deutschland von 100 in der Zucker-
fabrikation Erwerbstätigen 84.7 männlichen, 15.3 weiblichen Ge-
schlechts waren, wuchs der Anteil der Männer 1895 auf 92, wäh^
rend der der Frauen und Mädchen auf 8 sank. Vergleichsweise
sei angeführt, daß in Österreich 1900 das Verhältnis noch 80.7 zu
19.3 betrug. Die überaus beliebte Verwendung der Frauenarbeit
wird uns deutlich durch einen Blick in den Betrieb einer Rüben
verarbeitenden Fabrik zu Anfang der 70 er Jahre. Noch gab es
keine Schwemmrinnen, und die Diffusion begann sich eben aus-
zubreiten. Von der Rübe, wie sie auf den Fabrikhof kam, bis zum
konsumfähigen Produkt, auf alle den Stationen, die damals Hand-
arbeit erforderten, arbeitete- die Frau. Bei dem Heranschleppen
der Rohstoffe war sie um die Zeit noch mancherorts beteiligt.
1) K. Siemens, a. a. O. S. i
154 Die Arbeiterverhflltnisse.
atisschließlich aber fiel ihr die bei dem damaligen Stand der
Technik und dem ^ngsamen Produktionstempo sehr wichtige
Arbeit der Vorbereitung der Rüben zu. Man war gehalten, so-
lange man mit den Pressen arbeitete, in denen der Saft unaus-
gesetzt bei niederer Temperatur mit der Luft in Berührung kam,
die faulen und beschädigten Stellen der Rübe sehr sorgsam ab-
trennen zu lassen; und um nicht taubes Out durch den Arbeits-
prozeß hindurchschleppen zu müssen, zumal der Raum unter der
Presse äußerst kosti>ar war, ließ man außerdem die Rübenköpfe^
in einer Höhe, welche der Wirtschaftlichkeit entsprach, ab-
schneiden, da sie ein erheblich geringwertigeres Material als die
Rümpfe der Rüben darstellen. Das Füllen und Entleecgn der Säcke
im Preßraum, fast die ganze Rohzuckerarbeit einschließlich der
Zentrifugen- und Bodenarbeit in den übermäßig geheizten Räumen,
alles das und manches andere wurde vielfach ausschließlich mit
Frauenarbeit geleistet. Doch auch hier brachte die Technik einen
gewissen Fortschritt. Mit der Herrschaft der Maschine wurde
von dem Augenblick der Frauenarbeit eine Grenze vorgeschoben,
in dem Muskelkraft und Geschicklichkeit gegenüber dem Ver-
ständnis für technische Vorgänge einfachster Art in den Hinter-
grund traten, d. h. da, wo es sich um die Bedienung einer Ma-
schine oder eines Apparates handelte. Das illustriert z. B. die
Verteilung der Arbeiten im Preßsaal. Das Füllen der Säcke, wobei
es auf Geschicklichkeit ankommt, war da Sache der Frau, das
kunstgerechte Einsetzen des Preßgutes in die Presse, die Be-
dienung der Pumpen und die Überwachung des Saftgewinnungs-
vorgangs blieb hingegen regelmäßig dem Manne überlassen.
Die Kinderarbeit hat von jeher für die Zuckerindustrie nur
untergeordnete Bedeutung gehabt, wohl deswegen, weil die hier
vorkommenden Arbeiten einen meist gar nicht geringen Kraft-
aufwand erforderten, der das Maß des im unerwachsenen Men-
schen verfügbaren übersteigt. Es wurde deshalb die Industrie
durch die Regelung der Kinderarbeit durch Reichsgesetz wenig
berührt. Drückender wurden schon die staatlichen Bestimmungen
^) Der Teil der Rübe, den man im modernen Betrieb als Rüben-
kopf abzutrennen pflegt, umfaßt etwa IS^Jo des Gesamtkörpers. Er
enthält 2— 2Va®/o weniger Zucker und 7— 8®/o weniger Saft, hingegen
etwa 2 ^Iq mehr Nichtzucker. In den alten Betrieben kam es auf die
genaue Bestimmung der Steile, an welcher der Schnitt geführt werden
mußte, sehr an.
Die Arbeiterverhflltnisse. 155
über die Verwendung jugendlicher Arbeiter empfunden, welche
meist den Unternehmer dazu trieben, diese Kategorie auf die
äußerste MindestgröBe herabzusetzen.
Ganz anders aber war es bei der Frauenarbeit^). Das Verbot
der Frauennachtarbeit, welche durch besondere Bekanntmachung
vom 24. III. 1892 (RQBl. 334) bis zum 1. IV. 1898 in Rohzucker-
fabriken und Raffinerien jedoch in successiv immer beschränkterem
Umfang zugelassen war, brachte für den Unternehmer eine Er-
schwerung, insofern er gehalten war, einen Teil seiner Einrichtung
dahin zu erweitern, daß in der Tagschicht der Bedarf für die Tag-
und Nachtschicht vorgerichtet bezw. fertig gearbeitet werden
konnte, fajls er es nicht vorzog, von männlichen Arbeitskräften
diese Arbeiten verrichten zu lassen, wie die, welche einen Auf-
schub ohnehin nicht gestatteten. Die Verordnung des Bundesrates
vom 24. III. 1892 war für die Stellung der Frauenarbeit von den
schwerwiegendsten Folgen begleitet. Wenn sie auch tatsächlich die
Beschäftigung der Frau nicht gänzlich verbot (das Verbot bezog
sich nur auf die Arbeit an der Rübenschwemme, der Rüben-
wäsche und auf dem Zuckerboden und an den Zentrifugen), so
kam sie doch einer Ausschließung der weiblichen Arbeitskraft
nahezu gleich. Es kann nicht geleugnet werden, daß beide Teile
dabei von empfindlichen Härten betroffen wurden. Noch pflegte
damals der landwirtschaftliche Wanderarbeiter aus den östlichen
Grenzgebieten nicht in der Massenhaftigkeit der ständige Winter-
gast in den Rübenzuckerfabriken zu sein. Aus nahe gelegenen
Ortschaften ließen sich auf dem platten Lande besonders da in
ausgiebigem Maße Arbeiter für die Saisongruppe beschaffen, wo
keine sonstige Industrie vorhanden war und die Zuckerfabriken
weit verstreut lagen. So war es im deutschen Osten beispiels-
weise, wo die Winterarbeit auf den Fabriken eine Art Reservat-
recht für die umliegenden Ortschaften ausmachte und wo gerade
rüstige Frauen und Mädchen der Landarbeiter Jahrzehnte hin-
durch gern und regelmäßig die Gelegenheit ergriffen hatten, zu-
sammen mit ihren Männern einen Teil des Winters, wenn es in
der eigenen Wirtschaft nichts mehr zu tun gab, mit der lohnenden
Arbeit in den Zuckerfabriken auszunützen. In der Tat .war das
ein Faktor, mit dem zahlreiche Familien im Osten sowohl wie
in den armen Gegenden des Eichsfelds, Hessens und der Mark
^) Dr. Steph. Bauer, Die gewerbliche Nachtarbeit der Frauen, Jena 1903.
156 Die Arbeiterverhältnisse.
seit langem zu rechnen gewohnt waren. Die Zahl der so mit
einem Schlage freigesetzten Arbeiterinnen, die in keinem anderen
Erwerbszweig nutzbringende Beschäftigung erhalten konnten, hat
man auf 5000 veranschlagt. Manche von ihnen mag deshalb der
öffentlichen Armenpflege anheimgefallen sein. Aber auch für die
Industrie bedeutete jene Verordnung eine harte Prüfung. Das
Lohnkonto erfuhr eine sehr merkliche Mehrbelastung, für welche
die Preise am Welt- und Inlandsmarkt keine Entschädigung boten.
Den zahlreichen Eingaben um teilweise Aufhebung der Bestim-
mungen gegenüber verhielt sich die Regierung streng ablehnend.
Es blieben lediglich eine Anzahl Ausnahmen vom gesetzlichen
Verbot der Frauennachtarbeit bestehen, welche ihre Existenz wohl
vorwiegend der Rücksicht auf die Konkurrenz mit den Staaten zu
verdanken haben, welche in ihrer Rübenzuckerindustrie die Nacht-
arbeit begünstigen. Der einzige Ausweg, der den Betrieben blieb,
war der, daß sie versuchten, durch Verbesserung der Betriebsein-
richtung und Erhöhung der Leistungsfähigkeit einen Ausgleich zu
schaffen, d. h. der Ersatz der Arbeit durch das Kapital.
Das war aber nicht der einzige Fall, wo die technische Voll-
endung einen wirtschaftlichen Mehraufwand kompensieren mußte.
Ahnlich einschneidend wirkte eine Verordnung des Bundesrats
vom 17. II. 1894, welche die Sonntagsruhe in der Rübenzucker-
fabrik fixierte und eine ISsttindige Unterbrechung der Zucker-
bodenarbeit brachte. ^) Nicht nur, daß die Betriebsdauer um 4 bis
^) Vergl. die Bekanntmachungen des Bundesrats vom 5. Februar
1895 über den Betrieb von Rohzuckerfabriken und Raffinerien an Sonrt-
und Feiertagen. Das Gesetz vom 9. Februar 1849 erklärte für die
preußische Monarchie, daß zu Sonntags- und Festtagsarbeit niemand
verpflichtet sei, vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung für dringende
Fälle. Bezeichnend ist, daß die Regierung die Ansicht vertrat, man könne
dem Steuerbeamten das Verwiegen der Rüben am Sonntag nicht zumuten.
Von der Arbeiterschaft ist gar nicht die Rede. Die SpezialVerordnungen
für die Rübenzuckeriabriken schlugen für den Sonnabend eine 18stün-
dige Arbeitsschicht (von 6 Uhr früh bis 12 Uhr nachts) vor. Es sollte
also der Betrieb an Sonn- und Feiertagen von 12 Uhr nachts bis 6 Uhr
abends ruhen. — Vergl. C. G. Quarizius, Der Runkelrübenbau und die
Runkelrübenzuckerfabrikation, Dessau 1853, S. 15 ff. — Der Erfolg jener
Verordnung scheint indes unbedeutend gewesen zu sein. Während für
den Schulbesuch gesetzliche Vorschrift bestand, lag es ganz im Be-
lieben des Unternehmers, an Sonn- und Feiertagen arbeiten zu lassen.
Es heißt zwar, daß Sonntagsarbeit „nur in den dringendsten Fällen''
vorkam. Da man umschichtig arbeitete, war jede Abteilung alle 14 Tage
Die Arbeiterverhältnisse. 157
5 Tage wenigstens erhöht und damit ein ganz respektabler Geld-
verlust in Kauf genommen werden mußte, man lief auch Gefahr,
an den im Betrieb befindlichen Teilfabrikaten einen Verlust durch
verzögerte Fertigverarbeitung zu erfahren und trieb die Betriebs-
kosten durch Unterbrechung der Betriebsintensität bezw. durch
die Dauer und den Mehraufwand, welche die Herstellung des
Beharrungszustandes des Betriebs verlangte, in die Höhe, In
Gegenden, wo viele Feiertage üblich sind, wie z. B. in Säd-
deutschland mancherorts, bilden diese häufigen Betriebsunter-
brechungen eine Kalamität ärgster Art, welche das Wirtschafts-
ergebnis in hohem Maße beeinflußt und den Widerstand der
Werke einigermaßen begreiflich erscheinen läßt^). Wenn auch
durch die regelmäßigen Unterbrechungen die Möglichkeit ge-
geben war, die Betriebssicherheit während der Woche durch die
an den Sonntagen vorgenommenen Revisionen und Reparaturen
zu erhöhen, welche sich durch wenige Leute ausführen ließen,
ohne einen Konflikt mit den gesetzlichen Bestimmungen, so
wurde doch damit nur ein geringer Teil des tatsächlichen Ver-
lustes wieder eingebracht. Der Rest konnte nur wettgemacht
werden durch neue technische Verbesserungen.
Der Ausfall an Gewinn, den die gewerbepolizeilichen Auf-
lagen der Industrie brachten, wird von ihr auch heute noch
als überaus drückend empfunden, und es ist eine regelmäßige
Erscheinung, daß sie von Zeit zu Zeit eine rührige Agitation in-
szeniert und durch ihre Organe vertreten läßt, welche auf Zu-
lassung der Frauenarbeit auf einzelnen Stationen und Beschrän-
kung der Sonntagsruhe abzielt.
Damit haben wir dargetan, wie die Technik des Großbetriebs
auf die soziale Struktur der Arbeiterschaft in den Rüben ver-
arbeitenden Fabriken umbildend gewirkt hat. Sekundär mußte sie
aber auch Rechnung tragen den Bedürfnissen dieser neu erstan-
denen Arbeiterschaft, die einmal aus der allgemein gehobenen
Lebenshaltung, der regelmäßigen Begleiterscheinung einer auf-
schlimmsten Falls von 12 Uhr nachts bis 6 Uhr abends dienstfrei. Oft
ruhte der Betrieb nur von 8 Uhr früh bis 4 Uhr nachmittags. Um die
Arbeiterschaft angeblich vor Unsolidität zu bewahren, liefi man sie
ausdrücklich von 4 Uhr an arbeiten. Vergl. Die Rübenzuckerfabrikation,
ihr volkswirtschaftlicher Nutzen und ihre Besteuerung, Halle 1852.
^) Vom Verfasser wurde ein Betrieb angetroffen, der mit rund
90 Sonn- und Feiertagen im Jahre zu rechnen hat. Es handelte sich
hier um eine Raffinerie, die mit einer Rohzuckeriabrik kombiniert war.
158 Die Arbeiterverhältnisse.
steigenden Wirtschaftskonjunktur, flössen, zum andern aus der
Verschiebung in der qualitativen Mischung der Arbeitnehmer re-
sultierten. Unter ihnen steht der Lohn obenan.
So leicht es wäre, einige Daten über seine Bemessung in den
verschiedenen Zeiten und Landesteilen beizuschaffen, so wenig
aussichtsreich wäre es, eine wissenschaftlich genügende Übersicht
zu geben, weil er sehr häufig in Naturalien gezahlt zu werden
pflegt, über deren Bewertung die Schätzungen sehr auseinander-
gehen. Übrigens würden wir damit den Rahmen der Aufgabe
überschreiten. Wir begnügen uns deshalb damit, auf die Angaben
der Berufsgenossenschaft über die umlagepflichtigen Löhne und
Gehälter zu verweisen. Die Spalte 5 der Tabelle auf Seite 148
weist die aus Spalte 2 und 3 berechneten Löhne aus, welche in-
dessen nur ein ungefähres Bild von der Bewegung des wirklich
gezahlten Lohnes geben. Übrigens sind in den Posten der Spalte 3
Naturalemolumente inbegriffen.^)
Es wurde schon bemerkt, daß auch Beamte mit Jahresein-
kommen bis zu 6000 Mark versicherungspflichtig sind. Da diese
Einkommen mit in der Lohnsumme (Spalte 3) enthalten sind,
ist nach Abzug dieser Einkommen der an den Arbeiter durch-
schnittlich gezahlte Satz etwas niedriger. Im entgegengesetzten
Sinne wirkt indes wieder der Umstand, daß die wirklich zur
Zahlung gelangten Löhne höher als die in Spalte 3 enthaltenen
umlagepflichtigen sind. Denn nach § 10 des Qewerbe-Unfall-
versicherungsgesetzes kommt bei Gewährung von Unfallrenten
das 1500 Mark übersteigende Jahreseinkommen nur mit einem
Drittel zur Anrechnung. ») Während im Jahre 1904 z. B. die Summe
der umlagepflichtigen Löhne und Gehälter 43,97 Mill. Mark be-
trug, beliefen sich die wirklichen Ausgaben auf 46.08 Mill. Mark.
Im Jahre 1905 stehen 47.77 Mill. Mark 50.09 Mill. Mark gegenüber.
Schließlich darf auch nicht bei Beurteilung der Spalte 5 (Ta-
belle auf S. 148) außer acht gelassen werden, daß die Summe der
gezahlten Löhne, Gehälter und Gratifikationen in hohem Maße
^) Auch Prämien und Gratifikationen sind inbegriffen.
*) Hat also ein Versicherter ein Jahreseinkommen von 2100 Mk.,
so wird bei der Rentenberechnung nur der Betrag von 1500 -\- — =z
ö
1700 Mk. zu Grunde gelegt. Dieser Betrag kommt auch bei der Um-
lageberechnung, d. h. bei der Festsetzung der Jahresbeiträge für die
einzelnen Fabriken in Betracht (Spalte 3).
Die Arbeiterverhältnisse. 159
von dem Ausfall der Ernte und der Dauer der Betriebsperiode
abhängig ist, so daß von vornherein mit erheblichen Schwankungen
in den jährlich so berechneten Sätzen gerechnet werden muß,
um so mehr, als sich auch die in Spalte 2 angegebenen Zahlen nur
auf die eigentliche Betriebszeit und, wenigstens bei den Roh-
zuckerfabriken, nicht auf ein ganzes Jahr beziehen.
Trotzdem also die Zahlenreihe Spalte 5 durch mancherlei
Beeinflußungen sich von den im Durchschnitt gezahlten Löhnen
und Gehältern ziemlich weit entfernen mag, zeigt ihre Entwick-
lung trotz des Mangels an Kontinuität, welche wenigstens zum
Teil auf die Veränderungen in der Berechnung zurückzuführen sein
dürfte 1), eine entschieden aufsteigende Bewegung. Vergleichs-
weise führen wir die Lohnbewegungen in verwandten Industrien
für einige Jahre an, welche ebenfalls auf Grund der Aufzeichnungen
der Berufsgenossenschaft berechnet sind.^)
1896 1897 1898 1899
Mk. Mk. Mk. Mk.
Nahrungs- und Genußmittel . 648,99 650,12 648,68 704,24
MüUerei-Ber.-Gen 600,91 612,05 710,05 739,61
Nahrungsmittel-Ber.-Gen. . . 819,13 819,42 835,32 873,21
Zucker-Ber.-Gen 439,64 453,14 466,05 469,40
Brennerei-Ber.-Gen 689,27 689,42 689,92 729,49
Brauerei- u.Mälzerei-Ber.-Gen. 950,48 971,66 1051,92 1068,62
Tabak-Ber.-Gen 520,04 528,30 529,41 533,86
Die in der Zuckerindustrie beobachtete Lohnsteigerung be-
zieht sich, wie allgemein versichert wird, auf die Kategorien der
ungelernten Wanderarbeiter sowohl bis hinauf zum Maschinen-
führer. Und in der Tat, vergleicht man die reich differenzierten
Löhne der Arbeiterschaft in den Rohzuckerfabriken mit denen
ähnlicher Kategorien anderer in der Nähe gelegener Industrie-
zweige, so vermag man nur selten wesentliche Differenzen fest-
zustellen, soweit eine Feststellbarkeit überhaupt möglich ist.
Was die Lohnzahlungsmethoden angeht, so hat man sich hier
in industriell entwickelten Gegenden den in benachbarten ähn-
lichen Industrien anzuschließen gesucht, natürlich mit besonderer
Berücksichtigung der eigenen Verhältnisse. Schon in den 50 er
Jahren wurde der Akkordlohn in den Rübenzuckerfabriken auf
^) Richard Calwer, Handel und Wandel, 1901.
«) Ebenda.
160 Die Arbeiterverhälüiisse.
einer Anzahl Stationen ausgebildet, sei es als Einzelakkord, wie
z. B. bei den Zentrifugen, sei es als Oruppenakkord, so beim
Abladen beladener Fahrzeuge. Aber auch hier mußte man erst
^ eigne Erfahrungen sammeln und beobachten, ob z. B. der Akkord-
lohn die Ausführung einer Arbeit in der Qualität trotz sorgsamen
Aufsichtsdienstes zu benachteiligen imstande sei. Während es
in kleinen Fabriken wegen der Mannigfaltigkeit in der Verwendung
der einzelnen Arbeitskräfte vielfach nicht möglich ist, von dem
Akkordsystem umfangreich Gebrauch zu machen, hat es der
moderne Großbetrieb mit Virtuosität ausgebildet und bezeichnet
vielfach die Akkordarbeit als eine ihrer wirtschafÜichen Existenz-
bedingungen.
Eine Eigentümlichkeit in der Entlohnung im Betrieb der
Zuckerindustrie ist die weitverbreitete Prämienzahlung. Vom Hof-
arbeiter bis hinauf zum Direktor wird umfangreich von einem
Prämiensystem Gebrauch gemacht, welches dadurch gekennzeichnet
zu sein pflegt, daß in Rohzuckerfabriken zu Ende der Saison,
in Raffinerien zu Ende des Jahres eine Gratifikation ausbezahlt
wird, welche sich in ihrer Bemessung einmal nach dem jeweiligen
.Wirtschaftsergebnis, gleichzeitig aber auch nach dem Jahresarbeits-
verdienst, d. h. nach der Leistung des Empfängers richtet. Dieses
System, das eine Art Gewinnbeteiligung darstellt, motiviert sich
aus dem Gesamtaufbau der Zuckertechnik und der Wichtigkeit,
die selbst untergeordnete Funktionen für den wirtschaftlichen
Effekt des Ganzen gewinnen, da ja eine Betriebsstörung ihn
gleich in der lempfindlichsten Weise zu beeinträchtigen pflegt.^)
Die starke Verbreitung dieser Methode, den einzelnen am Gewinn
zu interessieren, spricht für die gute Erfahrung, die man mit
ihr gemacht zu haben glaubt
Eine gewisse Ähnlichkeit hat dies System mit einem andern,
mit dem man es auch wohl kombiniert, das aber durch Zwang
zu erreichen sucht, was jenes nebenher erzielt. Es besteht darin.
1) Denselben Motiven verdankt das Prämiensystem seine Ent-
stehung, welches sich beispielsweise in einer bedeutenden rheinischen
Raffinerie findet. Hier wird Jedem Arbeiter am Jahresschlüsse für jede
Woche, welche er ohne Versäumnis arbeitet, eine Prämie von 3 Mk.
gezahlt. Zu dieser Prämie tritt dann noch eine Neujahrsprämie, welche
sich nach den Leistungen des Arbeiters und dem Jahresabschluß des
Unternehmens richtet. Mit diesem System ist man aufierordentlich
zufrieden.
Die Arbeiterverhältnisse. 161
daß dem Wandergelfisten unterworfenen Arbeiter der Saison«
gruppe in der Rohzuckerfabrik von dem kontraktlich festgelegten
Arbeitslohn ein Bruchteil zurückbehalten und erst nach Beendigung
der Kampagne ausbezahlt wird. Wenn auch nicht geleugnet wer-
den soll, daß der Unternehmer damit vielfach den guten Zweck
verfolgt, den an den Besitz von Bargeld oft nicht gewöhnten
Arbeiter vor unnötigen Ausgaben zu bewahren und ihm ein
schönes Stück Qeld für seine Heimreise aufzusparen, so liegt
doch hierin ein überaus gefährlicher Angriff auf die Freiheit des
Arbeitsvertrages, wenn der Arbeitnehmer die Verpflichtung^) ein-
gegangen hat, bei freiwilliger oder erzwungener Abkehr vor Schluß
der Kampagne auf einen Teil oder den ganzen einbchaltenen
Betrag zu verzichten. Tatsächlich ist dieser Fall gar nicht so
selten.^ — Es darf indessen nicht unerwähnt gelassen werden,
daß die Sparsamkeit, die mancher Unternehmer sich gedrungen
fühlt anzuregen, unter einem großen, wenn nicht dem größten
Teil der Saisonarbeiter, namentlich wenn sie aus wirtschaftlich
rückständigen Gegenden stammen, erfreuliche Ergebnisse zu zeiti-
gen pflegt, indem die Leute, soweit ihr Lebensunterhalt nicht
vom Unternehmer gestellt wird, mit ihrem Verdienst recht spar-
sam zu wirtschaften verstehen, den geringsten Teil nur am Zahl-
tag erheben und den Rest anstehen lassen, so daß sie vielfach
mit einigen Hundert Mark in der Tasche die Kampagne beschließen
können.
Die Lohnsteigerung der in den Rübenzuckerfabriken beschäf-
tigten Arbeiterschaft besteht bei dem größten Teil derselben, der
Gruppe der Saisonarbeiter, nicht nur in Steigerung des Geld-,
sondern auch des Naturallohns, und gerade darin liegt, wie sich
zeigen wird, ein großer sozialpolitischer Fortschritt. Fast über-
all müssen die Saisonarbeiter, soweit sie zugewandert sind, in
unmittelbarer Nähe der Betriebsstätte untergebracht werden. Für
Wohnung, Licht und Heizung, oft auch für einen Teil der Be-
köstigung pflegt da die Fabrik zu sorgen, meist ohne daß sie
1) Vereinszeitschrift 1899, II. Bd. S. 607.
■) So z. B. lautet in dem Verpfiichtungsschein für galizische und
russische Feldarbeiter, dessen sich der Arbeitsnachweis der Land-
wirtschaftskammer für die Rheinprovinz im Jahre 1907 bediente, der
§ 7: „Das Auslohnen geschieht wöchentlich. Je 3 Mk. des Lohnes der
ersten zehn Wochen werden erst beim ordnungsmäßigen Abgang des
Arbeiters fällig und ausbezahlt.*
Schuchart, 2ttckerindu8trie. ^.— ..^^ ^ ^
162 Die Arbeiterverhältnisse.
ein besonderes Entgelt beansprucht. Bei neuzeitlich eingerich-
teten Großbetrieben liegen große kasernenartige Gebäude in mög-
lichster Nähe, welche vielfach mit erheblichem Kostenaufwand
nach hygienischen Grundsätzen zweckmäßig eingerichtet sind. Von
den Arbeitern, die in Gruppen von 3 — 10 Mann in einem Raum
untergebracht zu sein pflegen, verfügt jeder über ein Bett und
ein verschließbares Spind, und durch Organisation einer Art Auf-
sichtsdienstes, bestehend z. B. aus einem Vertreter von jeder
Kammer und dem Schlafhausmeister, gelingt es meist, eine halb-
wegs erträgliche Ordnung in diesen Häusern aufrecht *zu er-
halten, was allerdings bei der bunt zusammengewürfelten Beleg«
Schaft oft nicht ganz leicht sein mag. Diese Vorkehrungen werden
ergänzt durch zeitgemäße .Wascheinrichtungen und durch eine
Küche, in der entweder die Leute ihre Mahlzeit durch eine von
ihnen oder der Fabrik bestimmte oder bezahlte Person herstellen
lassen, falls nicht etwa die Frau des Maschinenmeisters oder eine
ähnliche Person unter Aufsicht der Fabrikleitung die Lieferung
des Essens gegen Bezahlung übernimmt. Vielfach leistet der
Unternehmer in Bar oder Naturalien einen regelmäßigen Zuschuß
zur Küche. Aber auch hier bestätigt die Erfahrung, daß nur die
leistungsfähigsten, d. h. vielfach die größten Betriebe über den
Rahmen dessen, was gesetzliche Verfügungen z. B. die Schlafräume
betreffend vorschreiben, hinausgehen und sie am kulantesten er-
füllen, daß viele Klein- und Mittelbetriebe das geforderte Mindest-
maß der Fürsorge kaum aufwenden. Die Schlafräume machen
da oft einen grauenerregenden Eindruck, die Wascheinrichtung
ist mangelhaft oder fehlt gar u. dgl.
Der Fortschritt, der unter der gewerblichen Gesetzgebung
im Zeichen des Großbetriebs erreicht ist, bleibt indes in allen
Fällen gegenüber den früher unter den Saisonarbeitern der In-
dustrie herrschenden ein riesengroßer und unbestrittener. Dazu
trägt allerdings eins ganz wesentlich bei, die stark beschränkte
Frauenarbeit. In der Rohzuckerfabrik modernen Stils wird die
Frau eigentlich nur noch beim Putzen und Aufräumen verwandt.
Sie gehört da vielfach zu der Stammgruppe der Arbeiterschaft
und wohnt im nahegelegenen Orte. Die Zeiten sind aber gar
nicht so fern, daß die Saisongruppe auf den Fabriken unter
den tiefsten sittlidhen und hygienischen Verhältnissen zu leben
gewohnt war. Man stelle sich den ununterbrochenen und mit
einmaligem Schichtwechsel aufrecht erhaltenen Betrieb vor, der
Die Arbeiterverhältnisse. 163
am Sonntag früh meist nur zum Instandsetzen wichtiger Betriebs-
organe kaum für einige Stunden stillgelegt wurde, dazu die starke
Heranziehung weiblicher Arbeitskräfte im Tag- und Nachtdienst.
Kaum mit Hose und Rock bekleidet waren Arbeiter beiderlei
Geschlechts und jeder Altersstufe in denselben schlecht gelüfteten
und belichteten Räumen beschäftigt, in denen, wie auf dem
Zuckerboden und bei den Zentrifugen, unerhört hohe Hitzegrade
herrschten. Während der Arbeit mußte da oft die kärgliche
Nahrung hinuntergeschlungen werden. War dann endlich die
Arbeitszeit beendet, so drängte alles bald nach dem Schlafraum.
Zu dem Zweck diente altem Herkommen gemäß der kaum ge-
dielte Dachraum über den Dampfkesseln, der schon vom Tages-
licht mangelhaft beleuchtet, nachts wegen der Feuersgefahr nicht
mit Licht betreten werden durfte. Auf gemeinsamer Streu hausten
hier Männer und Weiber, Junge und Alte bunt durcheinander,
und es gehört wenig Phantasie dazu, um sich vorzustellen, welche
Orgien sich in den Arbeitsräumen sowohl wie erst recht in
diesen Schlafräumen abspielten. Es muß darauf verzichtet werden,
die Maßnahmen auf ihren Wert zu prüfen, welche die Unter-
nehmer ergriffen, um der ungeheueren Unsittlichkeit zu steuern,^)
falls sie nicht in klügerer Einsicht vorzogen, jeden Eingriff zu
unterlassen.«) Der Erfolg würde schwerlich an der Tatsache etwas
ändern können, daß das Bild der Saisonarbeit in der Zucker-
Industrie vor der Zeit staatlichen Eingreifens zu den düstersten
Kapiteln zu zählen ist, welche die Geschichte der deutschen Lohn-
arbeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufzuweisen
hat und welches in manchen Zügen an die in den englischen
Blaubüchern geschilderte Lage des Industriearbeiters der 20er
und 30er Jahre erinnert. Während die Regierungen der Staaten
des europäischen Kulturkreises von nun ab begannen, ihre Auf-
merksamkeit auf die gewerbliche Arbeit in Betrieben streng in-
dustriellen Charakters zu lenken, sah man in Deutschland die
Rübenzuckerindustrie offenbar noch als ein rein landwirtschaft-
^) Eine der härtesten hierhin gehörigen Bestimmungen des Arbeits-
vertrages ist wohl die, welche alle unverheirateten Personen, welche
schwanger werden, mit sofortiger Entlassung bedroht. Sie findet sich
heute meist in den Verträgen der Rübenarbeiter.
«) Allgemein verbreitet war die Ansicht, man müsse die Leute
aufs äußerste anspannen, um sie dem unsittlichen Treiben abhold zu
machen.
164 Die Arbeiterverhältnisse.
liches Gewerbe an, hielt sie für etwas Unantastbares und tröstete
sich bestenfalls damit, daß diese Zustände nur einige Monate
dauerten. Man hatte scheinbar eine unüberwindliche Scheu, der
aufstrebenden Industrie, welche man durch die Steuererhebung
schon belästigte, in sozial- und gewerbepolitischer Hinsicht irgend-'
welche Auflagen zu machen, zumal sie schon frühzeitig vorzüg-
lich organisiert war und bei einem drohenden Eingriff der Staats-
autorität mit einer äußerst rührigen Gegenagitation geantwortet
haben würde, an deren Erfolg bei der herrschenden Machtver-
teilung im Parlament nicht zu zweifeln gewesen wäre. Schließ-
lich aber, und das war wohl das Wesentliche, fürchtete man
nicht mit Unrecht bei der relativ kurzen Zeit der Kapitalsaus-
nützung der Industrie eine den Gewinn beeinträchtigende Wirkung,
die man im Interesse der Staatsfinanzen dringend zu vermeiden
Grund hatte.
Aber noch einem weiteren sozialpolitisch wichtigen Bedürf-
nis der Arbeiterschaft mußte der Großbetrieb Rechnung tragen,
nicht ohne daß staatliche Maßnahmen auf dessen Erfüllung
drängten. Die Hygiene außerhalb des Arbeitsprozesses konnte
nur einen beschränkten sozialen Wert haben, so lange die Hygiene
der Fabrikarbeit noch nicht durchgebildet war. In anderen In-
dustriezweigen steht hier fast immer im Vordergrunde das Aus-
maß der Arbeitszeit. Ende der 40er Jahre scheint man in Deutsch-
land erst dazu übergegangen zu sein, den Tag- und Nacht-
betrieb einzurichten, ein Beweis übrigens für die vorher noch
fast kl^inbetriebsmäßige GrganisaticHi der Industrie. Damit pro-
klamierte man den Zwölfstundentag. Aber es stellte sich heraus,
daß nicht an die Länge der Arbeitezeit die Forderung der Hygiene
anzuknüpfen hatte. In der Rübenzuckerindustrie tritt eben bis
auf den heutigen Tag das Problem der Arbeitedauer nicht mit
der gleichen Entechiedenheit auf, wie in der Textil-, Eisen-,
Maschinen- und anderen Industrien. Die Gründe sind leicht auf-
zufinden. Von der Tätigkeit der Hof- und Handwerker abge-
sehen, beanspruchen sehr viele Fabrikationsvorgänge nur während
eines Bruchteils der ganzen Arbeitezeit eine positive Arbeite-
leistung, während der übrigen Zeit ist nur gelegentliche
Prüfung, Beobachtung und Regulierung erforderlich, bei der die
einfachsten sinnlichen Wahrnehmungen mitunter genügen, vor-
übergehende Ruhepausen sind also von selbst gegeben. Die
Handwerker, die regulär nur in der Tagesschicht arbeiten, und
Die Arberterverhältnisse. 165
bei denen hier und da eine Kürzung der Arbeitszeit gegenüber
den Saisonarbeitern eingetreten ist, scheiden ohnehin aus. Bei
ihnen wechselt die Intensität der Arbeit entsprechend den augen-
blicklichen Bedürfnissen des Betriebs sehr stark. Bleiben also
nur die Handarbeiter, welche mit dem Heran- und Wegschaffen
der Roh- und Fertigstoffe zu tun haben. Wir müssen uns hier
mit der Feststellung begnügen, daß die großindustrielle Entr
Wicklung manchmal eher eine Verschlimmerung als eine Ver-
besserung dieser Verhältnisse gebracht hat, zumal da, wo man
bei den alten unvollkommenen Werkzeugen des Massentrans-
ports verblieben ist.^) Der modern organisierende Fabrikant
legt aber Wert darauf, sich so einzurichten, daß ein bequemes
Arbeiten erzielt wird und die Fälle der Anwendung roher Muskel-
kraft geschickt vermieden werden. Während früher in Tag- und
Nachtschicht an den betreffenden Stationen gearbeitet wurde,
ist man immer mehr dazu übergegangen, die Nachtschicht fallen
zu lassen und dafür die Tagschicht auf 14 und mehr Stunden
auszudehnen. So gelingt es, das für die Nachtarbeit notwendige
Quantum vorzurichten, wobei allerdings für die Überstunden ein
Zuschlag gewährt zu werden pflegt. Das Fehlen jeglicher Organi-
sation unter der in Frage stehenden Arbeitergruppe und ihr
meist sehr niedriger Kulturstand — die Leute dringen durchweg
selbst auf Oberstunden — machen es den Unternehmern leicht,
der Kürzung der Arbeitszeit hier bisher mit Erfolg aus dem
Wege zu gehen, zumal die Ersparnis an Betriebskosten so eine
ganz erkleckliche ist.
Einen geradezu glänzenden Fortschritt erlebte hingegen die
Hygiene der Fabrikarbeit in der Ausbildung der Vorrichtungen,
welche die Person des Arbeiters vor Gefährdung durch die Art
der Betriebsanlage, vor Unfällen hauptsächlich sichern. Die fieber-
hafte Betriebsgrößenentwicklung hatte die Wirkung, daß unab-
lässig die jeweils am schlechtesten eingerichteten Fabriken bezw.
die, welche die ungünstigsten Produktionsbedingungen nicht durch
verbesserte Technik zu paralysieren vermochten, zum Erliegen
kamen und nach den neuesten Erfahrungen der Technik gebaute
an ihre Stelle traten, wobei solche Umbauten alter Betriebe nicht
selten waren, welche Neubauten gleichwertig waren. Insofern
hier immer mehr auf eine Anordnung Wert gelegt wurde, welche
*) P. Qöhre, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche,
1891. Hier findet sich eine Bestätigung dessen.
166 Die Arbeiterverhältnisse.
vollkommenste Technik und höchste Betriebssicherheit vereinigte,
welch letztere aber vielfach mit der Berücksichtigung hygienischer
Grundsätze gleichbedeutend war, läßt sich hier unmittelbar der
Zusammenhang zwischen der Technik und der Verbesserung der
Arbeitsbedingungen freilegen. Denn indem der Unternehmer
immer kostbarere neue Apparate in neue bezw. umgebaute Räume
stellte, war er es seinem eigenen Gewinnstreben schuldig, der
Bedienungsmannschaft ein reichliches Ausmaß von Raum, Licht
und Luft zuzubilligen, wenn man von rein humanitären Regungen
ganz absehen will, die sehr häufig hier hineinspielten. Nach
den Resten, welche auf unseren Tag aus dem riesigen Ver-
nichtungskampfe des Leistungsunfähigeren mit dem wirtschaft-
lich und technisch Bessergestellten sich gehalten haben -— sie
sind übrigens glücklicherweise ziemlich selten geworden — ,
müssen ehedem oft gerade menschenunwürdige Spelunken Be-
triebsstätten der Rübenzuckerfabrikanten gewesen sein. Noch
jetzt nach dem Eingreifen der Gewerbeinspektionen, denen es
offenbar schwer gemacht wird, solchen Zuständen den Garaus
zu machen, sind da bisweilen fast lichtlose Arbeitsräume anzu-
treffen, in denen es nur möglich ist, sich in gebückter Haltung
vorwärts zu bewegen, in denen Wände, Boden, Treppen usw.
mit einer dicken, harten Kruste überzogen sind, welche aus
Zucker und Schmutz besteht. Ein Gewirr von Balken und Eisen-
schienen an der Decke läßt den Standort der Maschinen im
oberen Stockwerk annäherungsweise erkennen, unter deren Be-
wegungen der ganze Raum erzittert. Und noch heute arbeiten
in diesen Gelassen inmitten surrender Maschinen, knatternder
Riemen und zischender Dampfstrahlen Menschen, welche nur
mit dem Notwendigsten bekleidet vor den glutheißen Zentri-
fugen stehen und deren schweißbedeckte Haut beim Scheine
einer jämmerlichen Lichtquelle gespenstisch unter dem Wirrwarr
zahlloser Rohrleitungen und bewegter Maschinenteile hervor-
schimmert. Diese Überreste einer vergangenen Wirtschaftsstufe
sind zum Glück stark im Absterben begriffen. Der moderne
Großbetrieb der Rübenzuckerfabrik tut hinsichtlich seiner An-
lage schon im eigenen Interesse alles, was seinem Personal eine
Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Sinne weitgehender Er-
leichterung bieten kann.*)
^) Bezüglich der sozialen Lage der im Beamtenverhältnis stehenden
Arbeitskräfte ist sehr wenig Bestimmtes zu sagen. Mit dem Vordringen
Die Arbeiterverhältnisse. 167
Ein Gebiet, auf dem das staatliche Eingreifen die allgemeine
Entwicklung beschleunigte, ist das der Sicherung des Arbeiters
gegen Betriebsgefahren. Das bis zum Jahre 1884 bestehende
allgemeine Unfall-Haftpflicht-Qesetz, welches den Unternehmer
für den körperlichen Schaden seiner Arbeiter nur insoweit für
haftpflichtig erklärte, als sein Verschulden nachweisbar sei, hatte
in den Betrieben der Rübenzuckerindustrie einen ebenso mangel-
haften Erfolg wie in den meisten übrigen Industrien. Nach dem
Urteil von Augenzeugen müssen hier die Einrichtungen eine sehr
geringe Sicherung gegenüber Unfällen gewährt haben, so daß
bestimmte Fabriken der Zuckerindustrie geradezu berüchtigt waren
wegen der Größe der Menschenopfer, welche sie in jeder Kam-
pagne zu fordern pflegten. Auch hier ist ein entschiedener Wandel
zum Guten eingetreten durch das System eines wirksamen Un-
fallschutzes, über dessen Durchführung die Aufsichtsorgane der
Zucker-Berufsgenossenschaft wachen; und damit wuchsen aber-
mals die Lasten der aufsteigenden Großindustrie.
Die Summe aller der Belastungen, welche durch die neu-
zeitliche Regelung der Dauer- und der Saisonarbeit der Rüben-
zuckerindustrie erwuchsen, sei es durch Verbesserung des Be-
triebs, höhere Löhne, Einschränkung der Sonntagsarbeit und
durch die Aufwendungen, welche die Arbeiterschutzgesetzgebung
dem Arbeitgeber auferlegte,^) haben keinen Augenblick die Technik
des wissenschaftlichen Elementes im Verwaltungsapparat stiegen natür-
lich seine Kosten. Von einer schulmäßigen fachtechnischen Vorbildung
der Unterbeamten ist sehr selten die Rede. Bei der hervorragenden
Rolle, welche die persönliche Erfahrung in der Zuckertechnik spielt, ist
das ja auch keineswegs zu verwundern. Die Unterbeamten sind durch-
weg vom Facharbeiter aufgestiegen.
Über die Summe der Entlohnungen, welche die deutsche Zucker-
industrie an ihre Beamten zahlt, vermag man nur Oberschlagsberech-
nungen aufzustellen. So hat man neuerdings veranschlagt:
Rüben verarbeitende Fabriken: Bei 400 Betrieben mit durchschnitt-
lich 10 Beamten und einem Jahreseinkommen von 2000 Mk. Summe
der Gehälter im Jahre 8 Mill. Mk.
Raffinerien: Bei 50 Betrieben mit durchschnittlich 20 Beamten und
dem gleichen Jahreseinkommen 2 Mill. Mk.
In Summa wären danach 10 Mill. Mk. aufzuwenden. Das Durchschnitts-
jahreseinkommen dürfte sich indessen wesentlich höher stellen. Setzt
man es mit 2500 Mk. ein, so berechnet sich der Jahresaufwand auf
12,5 Mill. Mk.
^) In den Jahren 1886—1906 wurden von der Zucker-Berufsgenossen-
schaft 11,36 Mill. Mk. Entschädigungen an die Versicherten bezahlt.
168 Die Arbeiterverhältnisse.
der Industrie in ihrem Siegeslaufe aufzuhalten oder gar zu ver-
kürzen vermocht. Das Gegenteil war eher der Fall. Der Faktor,
der ganz besonders daran beteiligt war, und der es ermöglichte,
alle diese Lasten zu tragen, war die Technik. Allerdings brauchte
sie zu ihrer Entfaltung einen immer größeren Spielraum, nicht
unter allerlei Gerumpel in einem Schuppen des Bauers konnte
sie groß werden, sie forderte EUbogenfreiheit, die Möglichkeit,
die Zusammenhänge zu anstoßenden Wirtschaftskreisen zu ent-
wickeln und ihren Zwecken entsprechend auszugestalten. Um
sich zu vertiefen, brauchte sie lineare Ausdehnung, eine Zu-
sammenballung des Kapitals an relativ wenigen Stellen, die zu
um so markanteren Formen sich auswuchs, als die Staatsdoktrin
hier ausgiebig mit Peitsche und Zuckerbrot waltete.
Jene Lasten, welche die Betriebsstätten der Zuckerindustrie
zu immer höherer Leistungsfähigkeit in qualitativer und quanti-
tativer Richtung treiben halfen, stellen das soziale Ferment dar,
welches heute im Großbetrieb noch vielfach schlummert. Auch
hier ist in der Zuckerindustrie schon einige Klärung eingetreten.
Zu den Lasten, welche unter großen Seufzern ursprünglich un-
freiwillig übernommen wurden, sehen wir in respektablem Aus-
maß freiwillig aufgebürdete treten. Wenn auch das Studium der
Wohlfahrtseinrichtungen nicht im Wesen unserer Aufgabe liegt,
so läßt sich ihr Eindruck doch folgendermaßen wiedergeben:
Bei weitem nicht in dem Maße, wie an den klassischen Stätten
des Patriarchalismus, finden sich in der Zuckerindustrie Wohl-
fahrtseinrichtungen, welche den Arbeiter in seiner Abhängigkeit
bestärken, wenn sie auch zumal bei den Raffinerien einen breiten
Raum einnehmen. Es wäre verfehlt, die wirklich guten und
uneigennützigen Absichten mancher Unternehmer zu verkennen,
welche ihren Arbeitern nach längerer Dienstdauer freiwillig Pen-
sionen zahlen,^) ihnen den Eintritt in öffentlich rechtliche Ver-
sicherungsgesellschaften erleichtern, vom Prämiensystem ausgiebig
Gebrauch machen und ihnen bei Unglück in der Familie Unter-
stützungen bewilligen. Alle diese Dinge geben Zeugnis davon,
daß die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb nicht ledig-
lich dem Unternehmer in einer höheren Rente, sondern auch
dem Arbeitnehmer zugute gekommen ist.
^) Rühmlichst sind hier die Bestrebungen zur Gründung einer
Beamtenpensionskasse zu nennen.
Die Arbeiterverhäitnisse. 169
Es drängt sich da die Frage auf: Hat wirklich der Unter-
nehmer steigenden Mehraufwand in frei- und unfreiwilligen Aus-
gaben für das Wohl und die Hebung seiner Arbeiterschaft ge-
leistet, lediglich von humanitären Gefühlen bewegt, ohne daß
ihre Leistungen dafür irgend einen Ersatz zu bieten vermocht
hätten.. So entschieden diese Frage bezl. der Saisonarbeiter
von solchen Rübenzuckerindustriellen bejaht zu werden pflegt,
die von renommistischen Anwandlungen bezl. der Erfassung
ihrer Menschenpflicht nicht frei sind, so befriedigend ist in
weiten Kreisen die Klärung der Ansichten und Erfahrungen
hinsichtlich der Stammgruppe. Mag es sich hier um gelernte
oder ungelernte Leute handeln: hier ist das Interesse des wirk-
lich einsichtigen Unternehmers in starkem Maße darauf gerichtet,
mit allen Mitteln den Mann an der Sicherung seines Betriebs
zu interessieren. Denn trotz der sorgfältigsten Kontrolle wird
in dem verwickelten und äußerst vielseitigen Betrieb der Rüben-
zuckerfabrik immer nur ein geringer Teil aller Arbeiten gerade
dieser Gruppe in allen Einzelheiten kontrollierbar sein. Die Arbeit
des einzelnen ist hier sehr oft eine Vertrauenssache. Ein schlecht-
gelohnter Arbeiter kann durch Nachlässigkeit im modernen Groß-
betrieb, bei dem alles Hand in Hand arbeitet, hundertmal mehr
verderben als dem Unternehmer die Interessiening am Betrieb
jemals kosten kann. Es ist kaum anzunehmen, daß ein Arbeit-
geber durch Herabdrücken der Löhne gerade dieser Gruppe zu-
mal in der Kampagne eine Reduktion der Produktionskosten
ernstlich versuchen wird, manchmal werden vielmehr für die
eigentliche Betriebsdauer Zuschläge bewilligt; hingegen ist, ohne
daß sich ein zahlenmäßiger Nachweis von uns führen ließe, mit
Sicherheit zu vermuten, daß in der neuzeitlichen Wirtschafts-
verfassung der Industrie der bestgelohnte Arbeiter der Stamm-
gruppe sich nicht nur durch die Qualität, sondern im ganzen
auch durch die Quantität seiner Leistungen besser bezahlt macht
als der schlechtgelohnte. ^
Das Bild, welches sich bezl. Arbeitslohn und Arbeitsleistung
der Stammarbeiter, zumal der gelernten ergibt, läßt sich, wenn
^) Als Kuriosum sei erwähnt, daß sich der polnische » Verband
der Industriellen* gelegentlich einer Enquete 1905 dahin äußerte, daß
die Organisation der in der polnischen Zuckerindustrie beschäftigten
Arbeiter „sehr wünschenswert sei. Vgl. E. Straßburger, Zur Entwick-
lung der Arbeiterfrage im Königreich Polen, Warschau 1907.
170 Die Arbeiterverhältnisse.
auch in mehr verwaschenen Konturen und unterbrochener Linien-
führungy entwerfen bezl. der Oruppe der Saisonarbeiter, aber
die Messung der Leistung ist hier im ganzen weit schwieriger,
wozu wesentlich beiträgt, daß die Kontinuität der technischen
Leistung fortgesetzt durch den technischen Fortschritt gestört
wird, welcher nicht nur den Produktionsapparat, sondern auch
die qualitativen Eigenschaften des in Verarbeitung befindlichen
Mediums beeinflußt. Gibt es doch vielleicht nur eine Anzahl
Industriezweige, in denen sich dieser Nachweis der Wechsel-
beziehung zwischen Arbeitslohn und Arbeitsleistung mit den bis
heute bekannten Mitteln der wissenschaftlichen Beobachtung voll-
ständig exakt führen läßt.^)
Über den Einfluß der Technik auf die Arbeiterschaft in der
Raffinationsindustrie ist noch einzelnes hinzuzufügen. Charakte-
ristisch für sie ist der höhere Orad der Einheitlichkeit, der sie
gegenüber den Verhältnissen in der Rohzuckerindustrie aus-
zeichnet. Mit Entschiedenheit tritt hier die Erscheinung auf, daß
die ungelernten Arbeiter, deren Muskelkraft lediglich ausgenutzt
wurde, mit dem Größenwachstum und der fortschreitenden Mechani-
sierung aller Teilprozesse immer mehr zurückgetreten sind gegen-
über den angelernten und gelernten. Dazu hat allerdings der
Umstand nicht wenig beigetragen, daß der Unterschied zwischen
angelernten und gelernten Leuten fortdauernd hier wohl an Schärfe
eingebüßt hat, eine Tatsache, die mit der Eigenart der Produktions-
technik in Zusammenhang steht. Das meiste, was über die Ent-
wicklung der Stammgruppe und ihrer Funktionen in der Roh-
zuckerfabrik gesagt ist, läßt sich ohne weiteres auf die Raffi-
neriearbeiter übertragen, ganz besonders entsprechen sich die
Verhältnisse der Handwerker. Auch in der Raffinerie steht die
Qualität ihrer Arbeit im Vordergrund, wenn hier auch eine aus-
giebigere Kontrolle möglich ist, als bei der Rohzuckerfabrik mit
ihrer kurzfristigen Betriebsperiode, in der alles, Mensch und
Maschine, mit äußerster Anstrengung arbeitet, und wenn auch
das technische Moment gegenüber dem kaufmännischen in der
Raffinerie zurücktritt.
Es gilt hier nur noch einiges zu sagen über die Verwendung
der Frauenarbeit. Während die weibliche Arbeitskraft auf allen
*) G. V. Schulze-Gävernitz, Der Großbetrieb, ein wirtschaftlicher
und sozialer Fortschritt.
171 Die Arbeiterverhältnisse.
übrigen- Stationen unter dem Eindruck analoger Bestimmungen
über den Arbeiterschutz, wie wir sie in der Rohzuckerindustrie
kennen lernten, fast ganz auch in der Raffinerie verschwunden
ist, macht diese ausgiebigen Gebrauch von ihr heute auf der
Station, die sich mit der Herstellung von sog. Würfelzucker be-
faßt, der sog. Würfelei. Entsprechend der Vorliebe, welche der
Konsum in neuerer Zeit für diese Konsumform in steigendem
Maße gefaßt hat, ist auch die Ausdehnung dieser Station vor-
wärts geschritten. Es ist hier durch die Möglichkeit, die weib-
liche Arbeitskraft in ausgedehnterem Maßstab zu beschäftigen,
dem Unternehmer gewissermaßen ein Ersatz für den Ausfall
gegeben, welcher ihn durch den Verlust der Frauenarbeit bei
der ehedem im Vordergrund stehenden Bodenarbeit auf Brot-
raffinade traf. Das ist bei Betrachtung des Prozentanteils, welchen
die weiblichen Arbeiter unter der gesamten Arbeiterschaft der
Zuckerindustrie in Deutschland bilden, nicht außer acht zu lassen.
Beim Würfelzucker ist zwischen zwei Typen zu unterscheiden.
Während der sog. Preßwürfel maschinell durch Einpressen der
Zuckermasse in die entsprechenden Formen hergestellt wird —
übrigens ein Artikel, der immer mehr Aufnahme findet — kommt
der geknipste Würfel auf die Art zustande, daß die in Platten-
form gebrachte, getrocknete Zuckermasse durch Maschinen in
Streifen zersägt wird, welche alsdann ebenfalls maschinell in
die sog. Würfel geknipst werden. Die Herstellung dieses Würfels,
vom Einlegen der Platten, bis zum Einpacken und Verwiegen
in Kisten usw. ist heute überall Frauen und Mädchen über-
lassen. Bei der überaus stumpfsinnigen Arbeit des Packens, bei
der die Würfel auf einer Fördervorrichtung an den Packerinnen
vorüberbewegt werden, die sie in größeren Partien nach ihrer
Schönheit auszusondern und in Kisten meist zu legen haben,
kommt es auf einen hohen Orad von Geschicklichkeit an, und
es wird behauptet, die leichte Hand der Frau durch nichts anderes
ersetzen zu können. Doch schon sind dort, wo hohe Löhne
zu zahlen sind, in neuester Zeit Maschinen in Tätigkeit, welche
die Würfel gleich in ganzen Lagen in die Kisten zu bringen
gestatten, die den Menschen von der geisttötenden Arbeit be-
freien und die Produktionskosten ermäßigen, falls für eine recht
gute Ausnützung gesorgt werden kann: gelingt es doch auch
in diesem Falle sämtliche Würfel zu packen, während sonst der
Teil von ihnen, der weniger glatt abgesprungen ist, zu billigerem
172 Die ArbeiterVerhältnisse.
Preise verkauft wird. Da solche Einrichtungen aber nur die tech-
nisch vollendetsten Großbetriebe rentabel verwerten können, ist
hier wieder einmal der Beweis dafür gegeben, daß er im Gegen-
satz zum Kleinbetrieb die intellektuelle Fähigkeit des Arbeiters
besser auszunutzen imstande ist, insofern hier zur Leitung einer
maschinellen Vorrichtung ein höheres Maß von Intelligenz ge-
hört als dann, wenn derselbe Vorgang durch Betätigung des
menschlichen Muskelspiels zustande kommt.
Wie weit gerade auf dieser Station die Ausnützung der weib-
lichen Arbeitskraft zu rein mechanischen Funktionen getrieben
wird, zeigen die überaus verschiedenen Anforderungen, welche
die verschiedenen Werke an die Leistungsfähigkeit einer Arbeiterin
zu stellen pflegen. Eine Detailuntersuchung wäre hier deshalb
leicht durchzuführen, weil die verwendeten Maschinen und Vor-
richtungen sehr wenig in Konstruktion und Abmessung vari-
ieren, die zu packenden Kisten regelmäßig dieselben Formate
und Gewichte haben und lediglich in der Form und Größe des
„Würfels" Verschiedenheiten bestehen. Das ungleiche Maß der
Anforderungen drückt sich natürlich in dem Akkordsatz aus,. der
für die Kiste bezahlt wird. Bei gleichem Format, Gewicht und
Maschine und derselben Art von Arbeitsteilung, bei gleichzeitiger
Lieferung des Arbeitsanzuges durch die Werke wurden Schwankun-
gen des Akkordsatzes pro Kiste zwischen 6 und 11 Pfg. fest-
gestellt, das entspricht, wenn ein höchster Tagesverdienst der
besten Arbeiterin von 3 Mk. zugrunde gelegt wird,i) einer ab-
soluten Höchstleistung von 50 und 27 Kisten. Wenn auch in
die Lohnfrage eine Menge Unterfragen hineinspielen, so soll
damit nur fes^estellt sein, daß der Lohn, mit dem diese Arbeits-
leistung gemessen wird, in der Industrie ein ganz auffallend ver-
schiedener ist.
Im ganzen bestätigt aber auch die Entwicklung der Fabrik-
arbeit in der Raffinerie das, was die Rohzuckerfabrik lehrte.
Nur bestehen hier wie dort Abweichungen in der Schärfe, mit
denen sich Einzelzüge aus dem Gesamtbild herausheben, was
ja ohne weiteres aus der inneren Wesensverschiedenheit der
Wirtschaftskreise folgt. Der Mechanisierungsprozeß hat den An-
teil der menschlichen Arbeit an der Einheit des Produktes enorm
herabgesetzt. Der steigende Ersatz der Arbeit durch Kapital
^) Wie es sehr häufig geschieht.
Die Arbeiterverhältnisse. 173
läßt auf den Menschen als Motor immer entschiedener verzichten.
Anstelle des Arbeiters, der mit seiner Muskelkraft dem Unter-
nehmer dient, tritt der moderne Typus, der selbst Kräfte leitet.
Hier hat der Großbetrieb mit seiner Technik den Menschen
nicht zu einem tieferen Niveau hinabgedrückt, sondern im Be-
dürfnis nach Qualitätsarbeit hat er ihn dem Menschheitsideal
ein Stück entgegen geführt. Freilich war dieser Wachstums-
vorgang wie alles Wachsen von mancherlei Schmerzen begleitet
Eine reichliche Differenzierung der qualitativen Leistung nach
war eine unausbleibliche Begleiterscheinung. Die Scheidelinie
zwischen Ungelernten, Angelernten und Gelernten wird im ganzen
immer deutlicher markiert. So spricht es denn für das steigende
Kulturniveau und die fortschreitende Volkswirtschaft unseres
Volkes, daß der Großbetrieb der Zuckerindustrie in neuerer Zeit
an den Stellen, wo er die reine Muskelarbeit heute noch nicht
entbehren kann, Arbeitskräfte mit niederer Lebenshaltung an-
setzt, welche er sich für den Saisonbetrieb aus dem Osten
zumeist verschreibt, um die nationale Arbeitskraft höheren Auf-
gaben dienstbar zu machen, welche den Trägern und Leitern
derselben einen höheren Grad von Rentabilität in Aussicht
stellen können.
IL Abschnitt.
Die zuckerindustrielle Entwicklung: und die deutsche
Landwirtschaft
1. Kapitel.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Es ist ein bezeichnendes Merkmal der Rübenzuckergewinnung,
daß der Komplex, den sie in der nationalen Produktion einnimmt,
sich aus zwei Teilgebieten zusammensetzt, aus der Sphäre der
landwirtschaftlichen Produktion und der der industriellen Ver-
arbeitung des von ihr gelieferten Erzeugnisses. Dementsprechend
ist den bisherigen Ausführungen das unerläßliche Korrelat die
Untersuchung der Wirkungen, welche das fortschreitende Orößen-
wachstum und der technische Fortschritt der Industrie auf den
landwirtschaftlichen Betrieb ausübten und aus ihnen für die natio-
nale Wirtschaft erwuchsen.
Manches, was den Entwicklungsgang der verarbeitenden
Technik berührte, ist für die Urproduktion von derselben Wichtig-
keit, und es bleibt nur noch die Aufgabe, es ihrem Beziehungs-
bereich einzuordnen, anderseits sind aber die davon losgelöst
erscheinenden spezifischen Folge- und Begleiterscheinungen für
die landwirtschaftliche Produktion, soweit sie auf Zuckerrüben-
kultur zurückgehen, auf ihre volkswirtschaftliche Tragweite zu
untersuchen. Da dabei Detailschilderungen und -Untersuchungen
aus dem Rahmen unserer Aufgabe ausscheiden müssen, muß
im Einzelfalle der Hinweis auf Spezialarbeiten genügen.
Der natürliche Zusammenhang mit der in ihrer Entfaltung
zur Großindustrie rapide fortschreitenden Rübenzuckerindustrie
richtet die Betrachtung auf die Ausdehnung der Rübenkultur,
welche diese parallel jener Entwicklung nehmen mußte. Seit
etwa 10 Jahren ist bezl. der Größe der Rübenanbaufläche in
E)eutschland ein Beharrungszustand eingetreten, die Schwankungen
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 175
von der Durchschnittsgröße nach oben und unten machen dabei
etwa 70/0 aus. Legt man die durch die letzte deutsche Berufs-
und Qewerbezählung von 1895 für die gesamte Erntefläche aus-
gewiesene Größe von 28726986 ha zugrunde, so macht die
als Rübenanbaufläche ermittelte Größe aus: 1894/5 441441 ha
= 1,570/0 der Gesamterntef lache, dagegen im Jahre 1903/4
416877 ha = 1,45 0/0 und 1901/2 478749 ha = 1,67 0/0 dieser
Größe. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß die noch zu
erörternden allgemeinen Vorteile der Rübenkultur einer viel be-
deutenderen Fläche zugute kommen. Da nach allen Erfahrungen
der Anbau auf demselben Acker nur in drei- bis vierjährigem
Wechsel tunlich ist, werden sie sich auf etwa 5 0/0 der Oesamt-
emtefläche verteilen.
Viel größere Bedeutung als diese allgemeine Feststellung
gewinnt für den vorliegenden Zweck die morphologische Ge-
staltung der Rüben bauenden Wirtschaften. Hier sind die Ent-
wicklungsetappen mit ziemlicher Deutlichkeit zu erkennen.
Während die Fabriken zur Zeit der Wiederbegründung der In-
dustrie in Deutschland ihr Entstehen dem kaufmännischen Unter-
nehmungsgeist vorwiegend verdankten und in der Weise be-
trieben wurden, daß der Kaufmann den Landwirt zum Rüben-
bau anhielt, ihm das Rohmaterial abkaufte und die Verarbeitung
auf eigene Rechnung und Gefahr vornahm, gliederte sich sehr
bald der landwirtschaftliche Großbetrieb der Zuckerfabrik an. „Da
die gekauften Rüben gemeinhin von schlechterer Beschaffenheit
sind als die selbstgezogenen, so verbinden die Zuckerfabrikanten
mit ihren Fabriken den landwirtschaftlichen Betrieb und pachten
nicht bloß einzelne Morgen auf ein oder mehrere Jahre, sondern
nehmen ganze Bauernhöfe auf6— -15 jährige Pacht, auf denen sie voll-
ständig Landwirtschaft treiben."^) Schon in den 50er Jahren
beginnen sich Aktiengesellschaften zu etablieren. Aber noch
macht die Gesetzgebung in Preußen vor allem die Gründung
derselben umständlich.^) Erst im Jahresbericht 1883/4 des statisti-
schen Bureaus von F. O. Licht ist zu lesen, daß „die Aktionäre
1) Friedrich Wilh. Schubert, Handbuch der allg. Staatskunde, Königs-
berg 1847, Bd. 7, S. 60.
^) Im Braunschweigischen kam man weit früher zur Aktienzucker-
fabrik. Die preußische Regierung suchte die Entstehung von Fabriken
auf kollektivistischer Grundlage zu hintertreiben und legte Wert darauf,
daß nur ein Besitzer vorhanden war.
176 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
sich vielfach zum Anbau einer gewissen Anzahl Hektar nach
bestimmten Vorschriften verpflichtet haben und außer einem ge-
wissen Rübenkaufpreis auch noch eine Dividende vom Fabrik-
reingewinn nach Maßgabe ihres Aktienanteils oder der gebauten
Rüben erhalten/' Die weitere Entwicklung ist schon genügend
gekennzeichnet worden in dem Sinne, daß sich die Aktienzucker-
fabrik als Interessengemeinschaft der Rohstoff- und Fabrikat-
produzenten als überaus fruchtbar für den Aufschwung der In-
dustrie erwies. Die Verselbständigung des industriellen Teils
der Zuckergewinnung bedeutete die vollständige Aufgabe des
kleingewerblichen Charakters, auf den man auch in Deutsch-
land zunächst große Hoffnungen gesetzt hatte, für dessen Pflege
sich aber die Staatsregierung Preußens, die sich wiederholt mit
der Frage beschäftigt hatte, nicht gewinnen ließ.i) Von dem
Augenblick an, in dem sich das kaufmännische Element, so-
weit es sich in der Industrie hielt, dem landwirtschaftlichen
näherte, und, gedrängt von der Erkenntnis der Aussichtslosig-
keit des kleingewerblichen Betriebs, an Ausdehnung der beider-
seitigen Wirtschaftssphäre zu gewinnen suchte, hat der tech*
nische Fortschritt mit jener geradezu ungewöhnlichen Energie
eingesetzt, welcher in den Jahren der im ersten Stadium stehen-
den industriellen Erschließung die Rübenzuckerindustrie zumal
in Norddeutschland ihrer technisch-wirtschaftlichen Bedeutung
nach unmittelbar neben die Eisenbahnunternehmungen stellte,
eine Position, welche ihr erst in den 50er Jahren in Verwirk-
lichung der neuartigen Technik von den nun massenhaft ge-
gründeten Erwerbsgesellschaften der Eisen- und Montanindustrie
strittig gemacht wurde. Gerade in der überaus glücklichen Ver-
mählung der mannigfachen Interessengruppen, zu der die juristi-
sche Form der Aktiengesellschaft ein günstiges Mittel bot, in
der Periode des zum Leben erwachten, entfalteten Kapitalismus
und in der restlosen Übertragung des Anreizes, welche die Steuer-
und Zollgesetzgebung bot, auf die Landwirtschaft liegt nicht
nur ein Ausgangspunkt für den Fortschritt der verarbeitenden
Technik, sondern der Kardinalpunkt für den der Urproduktion,
ja sogar der deutschen Landwirtschaft überhaupt.
In welcher Weise hat die großindustrielle Entwicklung ihren
Einfluß auf die Morphologie der Rüben bauenden Landwirtschaft
^) W. Schwarzwäller, Die Rtibenzuckerfabrikation und der Anbau
der Zuckerrübe, Hamm 1865, S. 15.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 177
ausgeübt, und welche Folgen entsprangen aus der Verschiebung?
Leider ist es nur möglich, hier einige Andeutungen zu machen,
da die deutsche Berufs- und Gewerbestatistik des Jahres 1882
über die Stellung des Rübenbaus in der Landwirtschaft un-
genügende Auskunft gibt. Erst die Aufnahmen von 1895 geben
einige Anhaltspunkte.
Es kommen auf die einzelnen Größenklassen von 100 land-
wirtschaftlichen Betrieben mit
Zucker- Stärke- Mfihlen-
fabrikation Brennerei fabrikation
anlagen
Brauerei
unter 2 ha 44,00
11,63
7,52
18,78
17,73
2—5 ha 9,72
6,55
6,61
24,15
18,57
5—20 ha 14,86
17,58
10,25
44,30
41,86
20—100 ha 9,71
17,60
13,21
11,29
19,70
über 100 ha 21,71
46,46
61,41
1,48
2,14
100,00 100,00 100,00 100,00 100,00
Die vorstehende Tabelle bestätigt, daß die Eigenversorgung
mit Rohmaterial in der Zuckerindustrie der neueren Zeit eine
ziemlich untergeordnete Rolle spielt, da die Hälfte aller Fabriken,
die selbst Landwirtschaft betreiben, ganz unbedeutende Flächen
bewirtschaften, übrigens sehr im Gegensatz zu anderen land-
wirtschaftlichen Nebengewerben.
In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens waren die An-
sprüche der aufstrebenden Industrie hingegen fast ausnahmlos
auf die Quantität gerichtet. Da lange Zeit nicht daran zu denken
war, daß die Mehrzahl der Rübenbauer sich zu einer kontrakt-
lichen Verpflichtung auf die Lieferung unter Beobachtung be-
stimmter Kulturvorschriften gebauter Rüben sich herbeiließ, blieb
als einziger Ausweg der Anbau in eigener Regie. Überdies ist
nicht zu bezweifeln, daß eines der Haupterschwernisse bei An-
legung und Betrieb einer Zuckerfabrik in den ersten Jahren der
Rübenbau bot,i) da der Bruch mit der alten Anbauweise und
ihren Fruchterfolgen sich wegen des Mehrbedarfs an Arbeit und
Kapital nicht so glatt vollziehen konnte und mit Fehlschlägen
noch eine Weile zu rechnen war. In den 50 er Jahren lernte der
norddeutsche Durchschnittsbauer erst einsehen, welche Vorteile
der Rübenbau vor allem indirekt bietet. Er begann entgegen-
*) Ein Wort, über die Rübenzuck'erfabrikation, von einem Fach-
mann, Berlin 1842, S. 53.
Schuchart, Zuckerindustrie. 12
178 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
kommender den .Wünschen des Fabrikanten gegenüber zu treten»
zumal er immer mehr selbst dabei seine Rechnung fand. Dann
aber stand die Landwirtschaft ohnehin im Begriff, in einen
Zustand intensiveren Betriebes zu geraten, der zum guten Teil
erst durch die Gesetzgebung des Jahres 1850 und die fortschrei-
tende Separation möglich geworden war. Aus dem beiderseitigen
Streben des Fabrikanten, der seinen Betrieb fortgesetzt zu ver-
größern gehalten war, und des Rübenbauers, der gefügiger ge--
worden war, resultierte eben jene Bindung des Lieferanten als
Aktionär als der einzig aussichtsreiche Weg, die Znckerfabrikation
vom Wankelmut des Landwirts unabhängig zu machen. Dazu
gab sich aber nur der landwirtschaftliche OroBbetrieb her, und
in der Tat lag in dessen Händen die Rübenlieferung zunächst
fast ausschließlich. Wie die Tabellen S. 96—98 zeigen, wuchs
in der Zeit der sprunghaft fortschreitenden Produktion um 1880
das Kontingent der Kaufrüben, und zwar nicht so sehr auf
Kosten der Aktien-, als auf die der Eigenrüben. Und damit ist jener
Zeitpunkt scharf markiert, von dem ab der Großbetrieb auf eine
entschiedene Verselbständigung des technischen Anteils dringt»
Andrerseits ist aber auch die Aufgabe des landwirtschaft-
lichen Großbetriebs, an dem die Fabriken oft beteiligt waren,
im ganzen von nun ab als gelöst zu betrachten. Es ist nicht
zu bezweifeln, daß das Vorbild zur Rübenkultur für den mittleren
und kleinen Grundbesitz der größere und größte landwirt-
schaftliche Betrieb gewesen ist, ein wichtiges Argument gegen die
Anschauung derjenigen, welche in der historischen Entwicklung
den pädagogischen Wert des landwirtschaftlichen Großbetriebs
zu übersehen geneigt sind. Wenn bei diesem Wachstumsvor-
gang der Industrie, der plötzlich das Kontingent der Kaufrüben
ansteigen ließ, auch seine Zunahme nicht lediglich auf den An-
bau kleinerer und kleinster Parzellenbesitzer zu schieben ist, da
ein großer Teil der Kaufrüben sog. Oberrüben der Aktionäre
waren, welche bei der guten Konjunktur den Rübenbau weit über
ihre Beteiligungsziffer forcierten, so steht doch fest, daß als Kauf-
rübenlieferant der mittlere und Kleinbesitz Fortschritte machte
und daß der züchterische und kulturelle Fortschritt der im Groß-
betrieb erprobten Kulturen in steigendem Maße auf jene nun
wachsende Gruppe der freien Rübenlieferanten überging; und
darin liegt für die Landeskultur ein zweites nicht minder wert-
volles Verdienst des landwirtschaftlichen OroßBetriebs.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
179
Wie sich die Rübenlieferanten nach ihrer Anzahl und Be-
triebsgröße in Deutschland verteilen, zeigt auf Grund der stati-
stischen Aufnahme von 1895 die folgende Tabelle. Vergleichs-
weise sind die analogen Werte für Braunschweig aufgeführt,
den Gebietsteil, in welchem die Rübenkultur die stärkste Aus-
dehnung in Deutschland damals hatte. Dazu muß bemerkt
Landwirtschaftliche Betriebe mit Anbau von Zuckerrfiben.
Berufs- und Gewerbezählung 1895.
L Deutschland.
Cröfienklasse
Zahl der £
Anbau von:
im Ganzen
betriebe mit
Zuckerrfiben
in Prozent
der Betriebe
rfiben
Rfiben
im Ganzen
ha
fläche
in Prozent
der gesam-
ten Rfiben-
fliche
Von 100
landwirt-
schaftlichen
Betrieben
bauen
Zucker-
rfiben
Von 100 ha
landwirt-
schaftlich
benutzter
Fliehe sind
mit Zuckerr
rfiben be-
baut
1
2
3
4
5
6
7
unter 2 ha
10781
9,5
3781
1,0
0,3
0,2
2-5 ha
21413
18,9
12693
3,2
2,1
0,4
5-20 ha
47145
41.6
48213
12,2
4,7
0,5
20-50 ha
20776
18,3
54819
13,8
8,7
0,8
50-100 ha
5867
5,3
42963
10,8
14,0
1,6
über 100 ha
7262
6,4
233820
59,0
29,0
3,0
Überhaupt
113244
100,0
396289
100,0
2,0
1,2
II. Braunschweig.
1
2
3
4
5
6
7
unter 2 ha
2016
24,1
383
1.6
4,5
2,1
2— 5 ha
1275
15,2
630
2,7
23.8
3.7
5— 20 ha
3193
38,2
4841
20,4
52,1
7.8
20-50 ha
1374
16,4
6280
26,4
73,1
11.1
50-100 ha
342
4.1
4482
18,9
91,0
18.1
Ober 100 ha
164
2,0
7101
30,0
91,0
17.0
Oberhaupt
8384
100,0
23697
100.0
14,4
10.7
werden, daß Braunschweig das klassische Land der Aktienzucker-
fabrik ist, ein Mjoment, welches dem Anbau in kleinen und
kleinsten Betriebsgrößen entschieden entgegen wirkt. Trotzdem
ist die Beteiligung der kleinen Größenklassen eine recht an-
sehnliche.
180 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Übrigens gibt die moderne kontraktliche Verpflichtung des
Nichtaktionärs — denn irgendwie bedeutende Mengen werden
regelmäßig auf Onind eines Lief erungsv^rtrages erworf)en —
einen Maßstab für das Vordringen und die Entwicklung der aus-
gesprochen kapitalistischen Methode zu wirtschaften. Es sei bei-
läufig erwähnt, daß der Bauer, der mit der Zuckerfabrik zu
tun hat, immer mehr in ein kapitalistisches Fahrwasser getrieben
wird, insofern er beispielsweise gezwungen ist, sich über die
mitunter recht umständlichen und verwickelten Bedingungen ver-
schiedener Rübenlieferungsverträge, ihre Vor- und Nachteile, klar
zu werden und auf Grund der Kursberichte von landwirtschaft-
lichen Produkten und seinen individuellen Produktionskosten usw.
zu entscheiden, ob er nach Lage der Konjunktur beim Rüben«
bau verbleibt, oder ob er zur Kultur anderer Feldfrüchte oder
zu einem anderen Wirtschaftsplan übergeht. Mit besonderer Präg-
nanz verdeutlichen die Auflagen des Rübenlieferungsvertrags'), der
vielfach die Möglichkeit eines tiefen Eingriffs in den landwirt-
schaftlichen Betrieb dem Rübenabnehmer einräumt, den kapi-
talistischen Zug, den der Industriebetrieb in den Landwirtschafts-
betrieb hineinträgt. So umfaßt meist der Rübenlieferungsvertrag
außer Abmachungen über die Größe der jährlich mit Rüben zu
bebauenden Fläche, den Preis, die Verteilung der Frachtkosten,
die Abnahmebedingungen, die Menge und Beschaffenheit der
zurückzuliefernden Schnitzel, Festsetzungen über den geringst
zulässigen Zuckergehalt. Falls die Lieferung letzteren unter-
schreitet, findet entweder Zurückweisung oder ein empfindlicher
Abzug im Verhältnis des Mankos statt. Eventuell wird festgesetzt,
daß die Preisberechnung jedes gelieferten Rübenquantums nach
dem Zuckergehalt stattfindet. Da die Zuckerfabrik ein hohes
Interesse an einem sehr zuckerreichen Rohmaterial hat, das ihre
Selbstkosten aufs günstigste beeinflußt, andrerseits die Größe
des Zuckergehalts den * Rübenertrag pro Flächeneinheit leicht in
Mitleidenschaft ziehen kann, so wäre es nicht mehr als billig,
daß der Rübenproduzent für eine Ware, die den Fabrikanten
hinsichtlich des Zuckergehaltes sehr befriedigt, ihm aber durch
das geringe Gewicht einen Ausfall bringt, eine Prämie erhielte.
1) Dieser wird meist auf drei Jahre abgeschlossen.
•) Beispiel eines solchen bei H. Claassen und Hartz, Die Zucker-
fabrikation, 1905, S. 16 ff.
Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 181
Über diesen Punkt enthält dann auch der Vertrag Abmachungen.
Dazu kommen dann vielfach Vereinbarungen betr. die Über-
wachung der Rübenkultur durch eine Schaukommission, ihre Zu-
sammensetzung muß geregelt werden und Grundsätze über die
Durchführung der genau präzisierten Kulturvorschriften seitens
derselben müssen vertragsmäßig festgelegt sein.^) Das ist ein
recht wichtiger Punkt, denn, der Fabrikant hat nicht nur Inter-
esse an hohem Zuckergehalt, sondern erst recht an einer guten
Verarbeitungsfähigkeit der Rübe, die aber ihrerseits nur durch
Fernhalten bestimmter, die chemische Zusammensetzung der Rübe
stark beeinflussender Düngemittel gewährleistet werden kann.
Eventuell wird in beiderseitigem Interesse die Lieferung des Saat-
gutes, die leihweise Überlassung landwirtschaftlicher Maschinen,
kostenloser Verabfolgung von Abfallprodukten der Rübenver-
arbeitung, welche als Düngemittel wertvoll sind, u. dgl. vom
Fabrikanten übernommen. So ist also die Qesamtwirkung der
vertraglichen Verpflichtung des Rübenbauers, mag er Aktionär
oder freier Lieferant sein, die folgende: Die Verschmelzung der
Interessenssphäre zwischen Fabrikant und Landwirt, wie sie in
der kapitalistischen Unternehmungsform der Aktiengesellschaft
ihren Ausdruck findet, entwickelt sich im Zeichen einer
fortgeschrittenen kapitalistischen Entwicklung in Richtung einer
Separierung in zwei Wirtschaftskreise, die scharf voneinander
geschieden sind und welche dem Lieferanten und dem Fabri-
kanten ein Höchstmaß gegenseitiger Bewegungsfreiheit in den
großen prinzipiellen Entschließungen zwar einräumt und die An-
passung an die wechselnden Produktions- und Konjunkturver-
hältnisse nach Maßgabe der individuellen Urteilsfähigkeit der
Wirtschaftsleiter gestattet, die eine Schädigung der Rübenkon-
sumenten durch den -Produzenten und umgekehrt auszuschließen
sich bemüht, aber auf vertragsmäßigen Rechten und Pflichten
fußend die Wirtschaftsleiter zwingt, ihre Rechte mit unerbitt-
licher Strenge bis zur äußersten Konsequenz wechselseitig aus-
zukämpfen, alles zur Verwertung eines Sachvermögens, d. h.
zum Zweck einer Reproduktion mit einem höchsterreichbaren
Aufschlag.
Im Banne dieser durch das kapitalistische Ferment erzeugten
Wirtschaftsenergie haben sich denn auch die Erscheinungen ein-
Sie fallen bei Bezahlung der Rüben nach dem Zuckergehalt weg.
182 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
gestellt, welche das neueste Wirtschaftsstadium fast aller In-
dustriezweige charakterisieren, Bewegungen, die auf die Aus-
schaltung der inneren Konkurrenz hinauslaufen. Nicht die geringe
Zahl der Verbraucher ist es, die sich gegenüber den Produzenten
zusammenschließt. Während, soweit in Erfahrung gebracht wer-
den konnte, die Rübenzuckerfabriken über Verabredungen, denen
der bindende Charakter fehlt, noch nicht hinausgekommen sind 0,
haben sich z. B. in der Rheinprovinz die zahlreichen Rübenbauer
zwecks Festsetzung des Einheitspreises zusammengetan, ein
Beweis für die Zähigkeit und das Oeschick, mit welcher der
modern wirtschaftende Landwirt sein Erwerbsstreben auf die neu-
zeitlichen Formen des Konkurrenzkampfes einzurichten gelernt
hat. Übrigens liegt dafür, daß die Rübenabnehmer sich noch
nicht in analoger Weise koaliert haben, kein deutlicher Grund
vor. Immerhin mögen sie mit der Möglichkeit rechnen, daß eine
zu. starke Drückung des Preises der Produzenten eine ihnen sehr
unerwünschte Einschränkung des Anbaus veranlassen kann, bei
der sie selbst angesichts der schweren Realisierbarkeit der in-
vestierten Kapitalien entschieden mehr aufs Spiel setzen als die
Produzenten, die für ihre Produktion anderseitig leichter Ersatz
finden können. Schon gegenwärtig bedrohen in manchen Gegen-
den, in denen der Verselbständigungsprozeß der Industrie am
weitesten vorgeschritten ist, dunkle Schatten die Zukunft der
Industrie. Nur für kurze Zeit und unter schweren Opfern wird eine
Überschreitung jener oberen Grenze der zulässigen Verselbstän-
digung möglich sein. Die Grundlage für den Fortbestand beider
Sphären der Produktion wird die Pflege des naturgemäßen Zu-
sammenhangs zwischen ihnen sein, die eine wird nur blühen
können durch die andere, und einseitige Interressenpolitik dürfte
beide in ihrem Bestände schwer gefährden. In diesem Sinne wird
die Tendenz zur Verselbständigung ihre Begrenzung finden.
Aus dieser Darlegung geht hervor, daß der mittlere und kleine
Landwirtschaftsbetrieb mit steigender Betonung kapitalistischer
Grundsätze sich in zunehmendem Maße manche Vorteile größerer
Betriebseinheiten zu sichern imstande ist, sofern er überhaupt
über die dazu notwendige Energie verfügt. In dieser Erkenntnis
dürfte ein Grund dafür zu erblicken sein, daß der Rübenbau immer
^) Eine Ausnahme davon ist nur die Festlegung von Demarkations-
linien, die sich zuweilen findet.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 183
mehr die Tendenz hat, die kleinen und kleinsten ländlichen Wirt-
schaften zu okkupieren, wie sich das in manchen Gegenden be-
obachten läßt. Seit dem Betriebs jähr 1892/3, dem Jahr, seit dem
es möglich ist, statistisch den Ertrag pro Hektar bei Eigen-,
Aktien- und Kauhüben festzustellen, läßt sich mit genügender
Deutlichkeit erkennen, daß die Kaufrfiben, welche zum großen
Teil von kleinen und kleinsten Landstellenbesitzern stammen,
im ganzen befriedigende Erträgnisse lieferten (vgl. Tabelle S. 137),
zumal wenn man sie mit denen früherer Jahre vergleicht, wie
sie auf den Äckern der den Fabrikanten verpflichteten Lieferanten
erzielt wurden: Es wurden geerntet hier durchschnittlich 1872—75
234 dz, 1876—80 272 dz, 1881—85 316 dz, 1896—90 296 dz pro
Hektar. Wenn auch nicht zu vergessen ist, daß die Quantität nur
ein Kriterium für den Stand des Rübenbaus darstellt, so ist doch
nicht zu übersehen, daß die Zahlen der Tabelle S. 137 aus einer
Zeit kommen, in der die Bedingungen rationeller Rübenkultur in
Norddeutschland wenigstens schon Gemeingut aller in Betracht
kommenden mittelbäuerlichen Betriebe waren, in der der Fabrikant
längst einen Einfluß auf die Kulturmethode sich gesichert
hatte. Der Rückgang des Eigenrübenkontingents ist nicht nur
ein Symptom für die Fortentwicklung des Verselbständigungs-
prozesses bis in die neueste Zeit und liefert einen Beitrag zum
Problem der Spezialisation, sondern gibt einen Beweis dafür,
daß der erziehliche Einfluß des landwirtschaftlichen Großbetriebs
auf den Mittel- und Kleinbetrieb von weitgehendem Erfolg ge-
wesen ist, insofern die Industrie in steigendem Maße ihr Produkt
verarbeitet. ^
Freilich sind hier gewisse Einschränkungen zu machen, welche
die volkswirtschaftlich wünschenswerte Beteiligung kleiner Land-
stellenbesitzer am Rübenbau keineswegs unbedingt für die In-
dustrie vorteilhaft erscheinen lassen. Dafür liefern die Verhält-
nisse in Süddeutschland das klassische Beispiel. Es liegt im
Interesse unserer Untersuchung, auf dasselbe näher einzugehen.
Oberblickt man die geographische Verbreitung der Rüben-
zuckerfabriken in den Jahren der Begründung des Industrie-
zweiges, so trifft man eine sporadische Verteilung in fast allen
^) Daß der Kleinbesitz vorzügliches bei der Rübenkultur zu leisten
vermag, zeigen die Detailschilderungen Auhagens, in den Landwirt-
schaftlichen Jahrbüchern, 1896, S. 4.
184
Zuckerrübenbau und Lamiwirtschaft^betrieb.
deutschen Gebietsteilen, während sich heute in Mitteldeutschland
und in Schlesien eine deutsche Akkuniulation vorfindet. Es steht
fest, daß die Länder südlich der Mainlinie seit Bestehen der
Rübenzuckerindustrie für diese das lebhafteste Interesse an den
Tag gelegt haben. Bestand doch schon 1808 in Augsburg die be-
rühmte Rübenzuckerfabrik des Herrn v. Qrauvogl, der sich die
Einrichtung viel Geld und Mühe kosten ließ und allerlei Erfah-
rungen sammelte.!) Die Jahresproduktion betrug 1810 immer-
hin schon 20000 Pfund bei einer Ausbeutezahl von 3.5 bis 4.
Eine der bedeutendsten Fabriken iii der ersten Hälfte der 30 er
Jahre war die v. Ützschneiders in Obergießing bei München, von
der berichtet wird, daß sie in 24 Stunden Rohzucker herzustellen
vermöge, eine im Jahre 1835 allgemein angestaunte Leistung.^
Der Erfolg dieses Unternehmens führte 1836 zur Begründung drei
weiterer Fabriken in unmittelbarer Nähe Münchens. Also an
Interesse und Unterstützung seitens der Regierung^) fehlte es
in Bayern durchaus nicht. Und doch zeigen die Tabellen S. 96
bis 98, 111 — 113, daß die süddeutsche Rübenzuckerindustrie bis
auf den heutigen Tag weit hinter der analogen Entwicklung in
Norddeutschland zurückgeblieben ist.^) Die Anzahl der Betriebs-.
Stätten in den einzelnen Landesteilen betrug:
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43
^) über die Zuckerfabrikation in Bayern, von Rieh. v. Grauvogl,
1810. Derselbe, Über die Zuckerbereitung aus Runkelrüben, 1811.
*) Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe des In- und Aus-
landes, herausgegeben von C. C. Becher, 1836, S. 14.
') H. A. Hofmann, Anleitung zum zweckmäßigen Anbau der Runkel-
rüben für Zuckerfabrikation, 1826.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 185
Worin sind die Ursachen für diese auffallende Erscheinung zu
suchen ?0 Nicht etwa in den Absatzverhältnissen, denn das Zoll-
parlament regelte nach einheitlichen Gesichtspunkten die Zölle.
Auch war der süddeutsche Markt seit langer Zeit die Domäne
der norddeutschen Fabriken, und erst in jüngster Zeit entbrannte
auf ihm ein äußerst heftiger Konkurrenzkampf zwischen ihren
Produkten und denen der sich aufraffenden süddeutschen Werke.
Also müssen in den Produktionsverhältnissen schwerwiegende
Divergenzen bestehen. Sind diese etwa in der physikalischen
Beschaffenheit des Bodens oder in den klimatischen Verhält-
nissen zu suchen? Was erstere angeht, so wird von Autoritäten
bestätigt, daß in zahlreichen Landstrichen die Qualität des Bodens
mit der bester Böden Norddeutschlands mit ausgezeichneter
Rübenkultur konkurrieren könnte. Außerdem wäre es in neuerer
Zeit wohl möglich gewesen, eine Rübe heranzuzüchten, welche
den spezifischen Eigenschaften der in Süddeutschland verbreite-
ten Bodenarten angepaßt wäre. Hinsichtlich der klimatischen Ver-
hältnisse wird ebenfalls eine mindere Begünstigung der Rüben-
kultur in Abrede gestellt, wenn es auch nicht an Stimmen fehlt,
die in der oft warmen und zu feuchten Herbstwitterung Süd-
deutschlands ein Hemmnis für das Reifen der Rüben sehen. ^)
Es müssen also Widerstände bei den Produktionsfaktoren be-
stehen, bei denen die Tätigkeit des Menschen als Individuum oder
im gesellschaftlichen Verbände eine Rolle spielt.
Die Agrarverfassung Süddeutschlands ist durch ein starkes
Überwiegen des landwirtschaftlichen Mittel- und Kleinbesitzes aus-
gezeichnet, daraus folgt wegen der schwierigen Beschaffung von
Maschinen in Zusammenhang mit vielfach rückständiger Bewirt-
schaftungsmethode eine gewisse Mangelhaftigkeit der Boden-
bearbeitung, wenn auch gerade in dieser Hinsicht die genossen-
schafüiche Organisation in neuerer Zeit mit sehr großem Erfolge
gearbeitet hat. Die Tiefkultur, die erste Bedingung eines rationel-
*) Jac. E. v, Rieder, Die verbesserte Kultur der Zuckerrunkeln und
das Ganze der Fabrikation, Augsburg 1840. Dort heißt es: „Es hat
sich bestätigt, daß die fabrikmäßige Erzeugung des Zuckers dem Lande
gar keinen Nutzen bringen könne Man hat es noch nicht so
weit gebracht, aus Runkelrüben solchen Zucker zu bereiten, der dem
Rohrzucker gleichkommt." Das Vermischen des Rübenzuckers mit Rohr-
zucker war üblich.
^) „Die deutsche Zuckerindustrie'' 1901, S. 1950 ff.
186 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
len Rübenbaus, ist wenig Sache des kleinen Mannes, der nur über
den Besitz meist Veralteter Werkzeuge und eines Rindvieh*
gespanns verfugt, sie erfordert Anwendung bester Technik in
technisch-ökonomischem Sinne, d. h. moderne Beackerungsgeräte
und -Methoden, und reichliche Anwendung von Maschinenarbeit
Ähnlich wie beim Kleingewerbe rentiert die Maschine selbst bei
genossenschaftlicher Verwendung nur bei Überschreitung einer
bestimmten MinimalgröBe des Betriebs, wobei hier beim Vor-
handensein von Streubesitz eine MinimalgröBe der zu einem
Betrieb gehörigen Etnzeiparzellen eine weitere Grenze setzt.^)
Dazu kommt die starke Viehhaltung, welche weitre ungünstige
Einflüsse ausübt, insofern sie eine einseitige Stickstoffdüngung
involviert, die bei der bekannten Abneigung des kleinen Land-
wirts gegen künstliche Düngemittel verhängnisvoll wird. Die Ver-
teilung des Viehstandes auf die einzelnen Größenklassen nach
der deutschen Berufs- und Gewerbestatistik von 1895 zeigt für
die süddeutschen Bezirke namentlich beim Parzellen- und klein-
bäuerlichen Besitz außerordentlich hohe Zahlen. Vgl. Tabelle
S. 187.
Greift wirklich einmal der kleine Landstellenbesitzer zu
einem künstlichen Dünger, so ist es meist der Chilisalpeter,
den er bevorzugt; damit aber ist dem Fabrikanten wegen der
höchst nachteiligen Folgen desselben für die Verarbeitung sehr
wenig gedient.
Im ganzen läuft so die Rübenwirtschaft des Kleinbauern darauf
hinaus, auf einem Boden, dem die entsprechende Zufuhr an Kali
und Phosphorsäure fehlt, ein gewichtiges, an Zucker wenig reich-
haltiges Produkt zu ziehen. Es wird behauptet, daß dies Material
1— 2o/o Zucker weniger zu enthalten pflege als das von den Fa-
briken selbst gebaute. Die allgemeine Ansicht geht dahin, daß
erst eine wirksame Kontrolle der Fabrik hier Wandel schaffen
kann. Aber abgesehen von der gewaltigen Schwierigkeit für den
Fabrikanten, eine Einflußnahme auf die öfters nach Tausenden
zählenden Rübenlieferanten und ihre Kulturen zu organisieren,
ist ihnen eine wirkliche Kontrolle erst möglich von dem Augen-
blick an, in dem der Rübenbau sich regelrecht eingebürgert hat,
d. h. nachdem der Landwirt seinen direkten und indirekten Nutzen
zu schätzen gelernt hat. Es hat aber den Anschein, als ob die
*) Freilich stehen dem wichtige Vorteile des landwirtschaftlichen
Kleinbetriebs gegenüber, vergl. David, Sozialismus und Landwirtschaft.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
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188 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Zuckerrübe in der Tat für kleinere Wirtschaften infolge der
Konkurrenz mit anderen Gewächsen weniger aussichtsreich sei
als für mittlere und große. Oie Rübenkultur will systematisch
betrieben sein, das entspricht aber nicht der Arbeit des Klein-
betriebs. Cyoch am häufigsten ist die Klage, daß der Kleinbauer
für die Rübenkultur bei weitem nicht das tiefe Interesse bisher
gezeigt hat, das er z. B. dem Hopfen und Tabakbau seit altersher
entgegenzubringen pflegt. Während er hier jede Kulturvorschrift
zu befolgen strebt, wenn sie ihm nur einleuchtet, verlangt er von
der Zuckerrübe, daß sie gepflanzt und sich selbst überlassen einen
hohen Zuckergehalt bringe. Solange der Bauer sich nicht beson^
ders interessiert fühlt, seine Rübenkulturen sorgsam zu hegen
und zu pflegen, wozu ihm allerdings unter den heutigen Verhält-
nissen der Rübenpreis ^) von 1,70 bis 1,90 pro Doppelzentner
wenig Verlockung bieten mag, müssen die Fabriken, besonders
diejenigen, welche in hohem Maße auf Kaufrüben angewiesen
sind, immer mit der Möglichkeit rechnen, daß bei zu empfindlicüer
Belästigung der Bauer den Rübenbau überhaupt aufgibt und
sich dem Anbau anderer Feld- oder Gartenfrüchte zuwendet.
Ist so dem süddeutschen Kleinbauer an sich schon eine gewisse
Rückständigkeit in der Anwendung moderner agrikulturtechnischer
Grundsätze eigen, so wird die Wirkung dessen gegenüber dem
Rübenbau noch erhöht durch eine Rückständigkeit der Agrar-
verfassung. In einem großen Teil der südlich von der Mainlinie
gelegenen Länder ist heute der Streubesitz noch stark verbreitet,
d. h. es herrscht Flurzwang. Wenn die Regierung auch eifrig
dabei ist, durch die Flurbereinigungskommission hier Besserung
zu schaffen, so sind tatsächlich die Fälle noch überaus häufig,
in denen der Bauer nur über das Grundstück seiner Anlieger
auf sein Besitztum gelangen kann und die kleinen und kleinsten
in der Gemengelage liegenden Parzellen die Anwendung von
Maschinen zur Unmöglichkeit machen. Diese Gebundenheit muß
gerade bei einer Wirtschaft, wie sie der Rübenbau zur Voraus-
setzung hat, eins der allerärgsten Hemmnisse intensiverer Be-
wirtschaftung sein und zwingt geradezu die mittleren und kleine-
ren Betriebsgrößen zu Betriebsformen, welche anderswo für ver-
altet gelten.
^) Der Rübenpreis war in Süddeutschland immer höher als in Nord-
deutschland. Vergl. Die Zuckerfabrikation im Zollverein, Stuttgart
1861, S. 24.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 189
Daß der Rübenbau Süddeutschlands im Gegensatz zu dem
der norddeutschen Tiefebene immer mehr verkümmerte, dafür
ist die Gesetzgebung aber auch ganz besonders verantwortlich
zu machen, welche in der Materialsteuer die weniger zucker-
haltige süddeutsche Rübe mit denselben Sätzen belegte wie beste
norddeutsche Ware.^) Es kam so eine relative Mehrbelastung
des Zuckers der Rübe im Süden zustande, für welche das nahe-
gelegene Absatzgebiet nur zum geringen Teil eine Entschädi-
gung bieten konnte, die um so wertloser wurde, je mehr der
Norden lernte, aus der Ausfuhrvergütung Nutzen zu ziehen. Es
zeigen sich hier die Schattenseiten der Politik, die den Betrieb
prämiiert, welcher das beste Rohmaterial mit der vollkommensten
Technik bearbeitet, und welche die Lebensfähigkeit aller der
Fabriken aufs schwerste bedroht, welche außerhalb des so ge-
schaffenen natürlichen Monopols stehen.
Über die Zusammensetzung des Rübenkontingentes in Sfid-
deutschland vergl. die Obersichten S. 96 — 98.
Es ist nunmehr unsere Aufgabe, der Frage näher zu treten,
in welcher Weise die Rübenzuckerindustrie bezw. der Rübenbau
auf die Technik der Landwirtschaft eine Wirkung ausgeübt hat
und welche Forderungen sich daraus für die Stellung der Rüben
bauenden Landwirtschaft im Rahmen der deutschen Volkswirt-
schaft ergeben.
Es kann nicht im Bereich unserer Aufgabe liegen, den Ent-
wicklungsgang in einer detaillierenden Behandlung aller an sich
bedeutsamer Einzelphänomene festzustellen, über welche die
Fachliteratur sich mehr oder weniger ausgiebig verbreitet hat.
Hier kommt es nur auf die Markierung der Richtlinien an, in
denen sich der deutsche Rübenbau von Zeit seiner Begründung
an bewegt hat, und auf die Erkenntnis der Zusammenhänge
mit allgemeinen wirtschaftlichen Momenten. >)
Unter minderwertigem Material leidende rheinische Fabriken
hatten 1883 vorgeschlagen, die Rübe nach ihrer Qualität zu besteuern.
Vgl. Jos. Görtz, Zur Zuckersteuerfrage,' 1883.
2) Ober die Epochen der deutschen Landwirtschaft im 19. Jahr-
hundert, vergl. W. Funke, Die Entwicklung der deutschen Landwirt-
schaft während der letzten zehn Jahre und der gegenwärtige Stand der
Landwirtschaftslehre, Stuttgart, 1865. — J, G. Elsner, Die Fortschritte
der deutschen Landwirtschaft vom letzten Jahrzehnt des vorigen Jahr-
hunderts an bis auf unsere Zeit, Stuttgart 1866. — K. Joh. Fuchs, Die
Epochen der deutschen Agrargeschichte und Agrarpolitik, Jena 1898. —
190 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
,,Noch am Beginn des 18. Jahrhunderts stand unsere Land-
wirtschaft auf einer Stufe, welche im allgemeinen weit niedriger
war als diejenige, welche vor 1800 Jahren die Römer bereits
erreicht hatten. Zum großen und vielleicht zum größten Teil
lag die Ursache in den vielen Beschränkungen, welchen sowohl
die ländliche Bevölkerung wie die Benutzung der Qrundstücke
unterworfen waren und welche viel nachteiliger auf den Be-
trieb einwirkten als die Sklavenwirtschaft des alten Rom es ver-
mochte."!) Dieses Urteil des so hervorragenden Kenners der
deutschen Landwirtschaftsgeschichte hat auch noch für den Aus-
gang des 18. Jahrhunderts Bedeutung, wenn auch mancherorts
eine Milderung der bäuerlichen Lasten eingetreten war. Noch
stand die deutsche Landwirtschaft im Zeichen der durch tausend-
jährige Tradition geheiligten Dreifelderwirtschaft, welche den
Bedürfnissen des Mittelalters vollauf genügt hatte, die aber bei
zunehmender Bevölkerungsdichte und vermehrtem Umbruch von
Futterflächen zum Kornbau die Ursache geringerer Erträge, zu-
nehmender Verunkrautung und Verarmung der Bevölkerung ge-
worden war.^) Mit elementarer Gewalt drängte die Entwicklung
zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaft, die
ganz besonders unter mangelhafter Viehhaltung litt, da es an
Futter fehlte. Um die Jahrhundertwende bürgerte sich von Eng-
land her in den Nord- und Ostseeländem die verbesserte Drei-
felderwirtschaft ein, die Besömmerung der Brache, für deren
Bebauung mit Klee Schubart von Kleefeld eifrig warb. Wenn
damit auch der Charakter der Brache wesentlich geändert wurde,
so verschwand sie doch lange nicht. Noch war die wichtigste
damals bekannte Hackfrucht, die Kartoffel, eine Pflanze, die man
behutsam in irgend einem Gartenwinkel anbaute, die man zum
Feldanbau heranzuziehen sich nicht getraute. Albrecht Thaers
großes Verdienst war es, sie in den ersten Jahrzehnten des
Wilh. Kirchner, Die Entwicklung der Landwirtschaft im 19. Jahrhundert,
1899. — Max Delbrück, Die deutsche Landwirtschaft an der Jahrhundert-
wende, 1900. — Traugott Mueller, Deutschlands Landwirtschaft, in „Die
deutsche Landwirtschaft auf der Weltausstellung in Paris«, 1900. —
Werner, Der Betrieb der deutschen Landwirtschaft am Schlüsse des
19. Jahrhunderts, Beriin 1900. — Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der
deutschen Landwirtschaft, 2 Bde., 1903.
1) Th. Frhr. v. d. Goltz, Die heutigen Aufgaben des landwirtschaft-
lichen Gewerbes und seiner Wissenschaft, 1870.
2) A. Orth, Die Landwirtschaft zur Zeit Thaers, Festrede 1906.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 191
19. Jahrhunderts zur allgemeinen Einführung zu bringen und
zu einer landwirtschaftlichen Kulturpflanze ersten Ranges zu er-
heben. Er leitete damit die ersten Schritte zu der gewaltigsten
Entwicklungsepoche ein, welche die deutsche Landwirtschafts-
geschichte überhaupt kennt.
Vom wirtschaftspolitischen Standpunkt aus war der zähe
passive Widerstand, den weite Kreise der ländlichen Bevölkerung
einer ernstlichen Intensivierung des Betriebs entgegensetzten,
durchaus begreiflich. AUe Agrarreformen, bis zur Mitte des
17. Jahrhunderts zurückreichend, waren trotz energischer Ver-
suche einer wohlwollenden, aber etwas tyrannischen Politik der
Aufklärung ohne durchschlagende Ergebnisse verlaufen. Noch
herrschten Oemeinland und Weideservituten und erschwerten bei
der zunehmenden Parzellierung immer ärger die Kultur der Acker-
fläche, die, als Streubesitz unter dem Flurzwang stehend, einen
enormen Aufwand an Zeit und Kosten bei geringer Grundrente
verschlang; noch seufzte der deutsche Bauer unter den wenn
auch gemilderten, so doch entehrenden und drückenden Lasten
der grundherrlichen Verfassung, des Zehnt, der Scharwerke usw.
Die Initiative des Einzelnen, die Seele des Fortschritts, blieb
ungeweckt.
So stellt sich das Bild der Landwirtschaft dar zu der Zeit,
als Achard die ersten umfassenderen Anbauversuche mit der
zur Zuckergewinnung ausersehenen Rübensorte machte. Die alte
Methode zu wirtschaften war unhaltbar, und die sehr schwere
Krise um die Mitte der 20er Jahre ließ auch den hartnäckigsten
Zweifler die wirtschaftliche Notwendigkeit des resoluten Bruchs
mit der Dreifelderwirtschaft erkennen. Nun erst begann eigent-
lich Thaers Lehre bei der großen Zahl der Praktiker Boden zu
fassen, welche jeder Änderung alter Wirtschaftsgrundsätze mit
äußerster Skepsis gegenüberstanden, und der Grundgedanke seiner
Wirksamkeit begann sich durchzusetzen, daß die Landwirtschafts-
lehre keine Sammlung kunstfertiger Methoden, den Boden zu
bewirtschaften, sei, sondern eine angewandte, unpersönliche
Wissenschaft darstelle, deren Zweck die Erzielung des dauernd
höchstmöglichen Reinertrags sei.^)
1) Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der deutschen Landwirtschaft,
1903, n. Bd. S. 23. — Ähnlich J. v. Liebig in seiner 1861 in der Aka-
demie der Wissenschaften in München gehaltenen Rede.
192 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Ganz besonders gut schnitt bei der verbesserten Dreifelder-
wirtschaft die Viehhaltung ab. Nun begann der Bauer auf Ver-
edlung der einheimischen wenig leistungsfähigen Schläge und
auf Vermehrung des Oesamtbestandes mit Eifer hinzuarbeiten,
indem er mit der mittelalterlichen Anschauung brach, welche
das Vieh vornehmlich nur als Zugvieh kennt und demgemäß
den Viehbestand als ein notwendiges Übel des landwirtschaft-
lichen Betriebs betrachtet. Oie folgende Zusammenstellung^) gibt
über das Wachstum des Rindviehbestandes in Preußen Aufschluß.
Es kamen 100 Stück Auf 1 Quadratmeile
Rindvieh auf Menschen kamen Stück Rindvieh
1816 258 800
1819 257 853
1825 281 859
1831 293 878
1837 291 953
1843 307 992
Trotz des sichtlichen Aufschwungs war unter den bestehen-
den Verhältnissen an einen Massenanbau der zur Gewinnung
des Zuckers bestimmten Rübe vorerst durchaus nicht zu denken,
wenn man auch sich daran machte, den Kartoffelbau in größerem
Maßstabe zu betreiben, wozu die günstige Lage der Kartoffeln
verarbeitenden Brennereien einen Anreiz bot. Es empfiehlt sich
darum, die Grundzüge des Rübenbaus, wie sie Achard postulierte,
sich einmal zu vergegen>yärtigen.
Ganz abgesehen von Achards Arbeiten über die fabrikmäßige
Gewinnung des Rübenzuckers wird in der deutschen Landwirt-
schaftsgeschichte seine Leistung immer eins der glanzvollsten
Blätter füllen wegen der verblüffenden Sicherheit, mit der er auf
Grund mehr als 20 jähriger, überaus mühevoller Anbauversuche
die Bedingungen des rationellen Rübenbaus formulierte. In seiner
im Jahre 1809 erschienenen Schrift: „Die europäische Zucker-
fabrikation aus Runkelrüben" gibt er 48 Erfahrungssätze an,
zu denen ein Fachmann^) bemerkt: „Das Werk Achards läßt
klar erkennen, daß der Begründer der Rübenzuckerindustrie mit
einem ganz staunenswerten Scharfblick in die Fundamental-
») Fr. Wilh. Schubert, Handbuch der allgem. Staatskunde, Bd. 7
S. 119.
•) Dr. Bittmann in der Vereinszeitschrift 1880, S. 327 ff.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 193
Wahrheiten der Rül>enkultur eingedrungen ist, hat doch fast ein
jeder einzelne seiner Sätze durch die Epigonen nicht allein keine
Widerlegung, sondern allseits glänzende Bestätigung gefunden."
Die meisten Ergebnisse der modernen Versuchsanstalten stellen
nur die wissenschaftliche Vertiefung der Forschungsresultate
Achards dar, und „alle Fortschritte der Erkenntnis von Kultur-
prinzipien beziehen sich lediglich auf die Wirkung künstlicher
Dünger."
Es kann somit jene Frage erweitert werden : Worunter werden
die Grundlagen des modernen Zuckerrübenbaus begriffen? Wir
können uns hier auf die allermarkantesten Merkmale beschränken.
Außer bestimmten Anforderungen an die physische Beschaffenheit
des Bodens, dessen chemische Zusammensetzung sich durch ge-
eignete Wahl von EXingstoffen heute mit eminentem Erfolg be-
einflussen läßt, sowie anderseits an die klimatischen Verhältnisse
ist eine möglichst tiefgehende Auflockerung der Ackeilcrume und
peinliches Fernhalten aller perennierender Unkrautpflanzen unter
häufiger Auflockerung der Erdkruste durch Behacken das oberste
aller Gebote. Weitere reihen sich an: Das Abblatten bis zur
Ernte ist zu vermeiden, ebenso die Bestellung nach unmittelbar
vorhergegangener Düngung und der Anbau der Pflanze auf dem-
selben Boden innerhalb kürzerer als dreijähriger Wechselfolge.
Ein letzter hochwichtiger Punkt ist die sorgfältige Auswahl des
Saatgutes.
Diese Kulturbedingungen deuten schon an, daß der Zucker-
rübenbau als Feldbau ein bisher unerhörtes Maß von Arbeits-
aufwand zumal für die Bodenbearbeitung erfordert. Und nicht
nur dies, sondern beste Geräte und Arbeitsmethoden sind not-
wendig, dazu ein hohes Verständnis für die physiologischen
Prozesse des Kulturobjekts, unterstützt von bedeutendem Kapitals-
mehraufwahd.
Das waren aber alles Dinge, die im Wirtschaftsbezirk der
gutsherrlichen oder bäuerlichen Besitzer zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts entweder vollständig fremd oder nahezu unbekannt
waren. Man braucht sich zum' Oberfluß nur den Geist, der
diese Wirtschaft alten Stils trug, vorzustellen. Die gutsherrliche
Wirtschaft wollte sich vollkommen selbst genügen. Ihr Besitzer
verlangte von der Scholle, daß sie ihm und seiner Familie einen
anständigen gutbürgerlichen Lebensunteriialt ohne einen sonder-
lich gesteigerten Aufwand von Fleiß und Intelligenz garantiere,
Schuchart, Zuckerindustrie. 1^
194 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
daß sie ihn nähre, wie sie unter den gleichen Wirtschaftsgrund-
sätzen seine Altvordern genährt habe. Der Bruch mit dieser
alten „Nahrungsidee",0 wie ihn eine ausgedehntere Viehhaltung
schon anbahnte, fiel ihm deshalb so ungeheuer schwer, zwang
er ihn doch, sich auf einen neuen mehr auf den Erwerb ge-
richteten Betrieb einzurichten, bei dem Kalkulation und Organi-
sation eine hervorragende Rolle spielten. Mochte auch manchmal
die geistige Qualität des in Traditionen befangenen Landwirts
nicht zur Lösung dieser neuen schwierigen Aufgabe ausreichen,
fehlte doch auch die Organisation, welche die Erfahrungen des
einzelnen der breiten Masse zugänglich und verständlich macht,
so lag doch in den meisten Fällen der Kernpunkt anderswo.
Es fehlten die zu intensiver Bewirtschaftung notwendigen Kapitals-
mengen. Das trat mit vollkommener Deutlichkeit nach den
schweren Krisenjahren hervor in dem lebhaften Oüterübergang,
der aus der Hand der Orundherren in die des kapitalskräftigeren
und an Initiativen reicheren Bürgertums vielerorts sich vollzog.
Und dennoch lag das Haupthemmnis für den Massenanbau
der Zuckerrübe anderswo. Der löbliche Versuch der preußischen
Staatsregierung, die Befreiung von allen Hemmnissen wirtschaft-
lich-traditioneller Natur und die Erweckung und Entwicklung
aller Staatskräfte durch ein liberales Reformwerk großen Stils
in die Wege zu leiten, vermochte nicht, zur durchgreifenden
Reform auszureifen : jene berühmten von Hardenberg eingeleiteten
Maßnahmen der Jahre 1809 und 1811 gewannen keine Lebens-
fähigkeit und verschwanden in der Versenkung, bis daß das
eine Verfassung heischende Volk die Regierung zwang, sie
wieder ans Ucht zu bringen und zu wirklichem Leben zu er-
wecken. Nun ist aber der Rübenbau eine Kultur, bei der das
alte auf der Unfreiheit der Person aufgebaute Wirtschaftssystem
ein glänzendes Fiasko erleidet. In Anlehnung an österreichische
Verhältnisse spricht sich Jak. Christ. Rad in einer 1848 er-
schienenen Schrift über diesen Punkt mit außerordentlicher Deut-
lichkeit aus :2) „Der Rübenbau verträgt sich nicht mit dem Robot,
sondern verlangt freie Arbeiter. Hierin liegt das Geheimnis,
warum in Frankreich und Norddeutschland der Ertrag zwischen
1) W. Sotnbart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert.
•) Jakob Christoph Rad, Der Rübenzucker in national-ökonomischer,
finanzieller, industrieller und landwirtschaftlicher Bedeutung, 1848. —
Ähnlich J. G. Eisner, a. a. 0. S. 18.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 195
175 und 200 dz, bei uns in Österreich aber nur zwischen 100
und 150 ist. . . . Durch den Robot ist der Bauer seit Jahr-
hunderten gewissermaßen in der Faulheit und nachlässigen Arbeit
förmlich eingeschult.^^ Und ähnlich sprechen sich deutsche Schrift-
steller aus. Solange der Bauer nicht sah, daß er zu seinem
persönlichen Vorteil arbeitete, mochte ihm dieser nun in einer
entsprechenden Entlohnung oder in den gesteigerten Erträgnissen
des eigenen Wirtschaftsbetriebes zuteil werden, ließ sich trotz
und wegen der härtesten Zwangsmittel nie seine volle Leistungs-
fähigkeit dienstbar machen. Immer nur konnte der Unternehmer
ihm einen Bruchteil derselben abpressen, der durch ein sehr
niedriges Maß von qualitativen Eigenschaften regelmäßig sich
auszeichnete.
Erst die politischen Wirbelstürme von 1848 fegten in Deutsch-
land die Überreste der mittelalterlichen Beschränkungen hinweg,
welche auf dem Bauer lasteten. In der Gesetzgebung des Jahres
1850 wurden ihm die Garantien seiner persönlichen und wirt-
schaftlichen Freiheit und Gleichberechtigung mit dem Gutsherrn
geschaffen. Damit war mit einem Schlage dem Rübenbau freie
Bahn geöffnet, indem eine Kategorie von Arbeitskräften verfügbar
wurde, die der Rüben bauende Landwirt vermöge ihrer Eigenschaft
als persönlich freie Lohnarbeiter für den Massenanbau zu inter-
essieren vermochte. Wenn die Gewinnung des freien Land-
arbeiters deutscher Herkunft später nur noch zum Teil möglich
war und der Wanderarbeiter der östlichen Grenzdistrikte in die
Bresche treten mußte, so hat das seine Ursache in besonderen
Verhältnissen, die von außen in das Problem hineinspielen, den
.Wesenskern aber nicht berühren.
Danach erscheint es unbestreitbar, daß. in letzter Reihe die
auf wirtschaftlich-psychologischen Gründen beruhende mangel-
hafte (Qualifikation der verfügbaren Arbeitskräfte den Massen-
anbau der Zuckerrübe überall mit Ausnahme weniger Landstriche,
welche eine höhere Wirtschaftsstufe bereits inne hatten, während
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Unmöglichkeit machten.
Die Proklamation der persönlichen Freiheit hat in der Befreiung
des Bodens ihre notwendige Ergänzung, ohne deren Erfüllung
der ungehinderten wirtschaftlichen Entfaltung noch immer Ein-
schränkungen drohen. Es ist das Verdienst der preußischen
Regierung, in dieser Hinsicht sehr prompt die notwendige Ver-
vollständigung ihrer Maßnahmen angestrebt zu haben, indem
196 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
sie sogleich sich energisch die Beseitigung der Oemengelage,
des Flurzwangs und die Beschränkung der Oemeinländereien
angelegen sein ließ. So machte sie den Bauer erst wahrhaft
zum freien Herrn auf seiner Scholle.
Ahnlich wie in dem gewerblich-industriellen Werdegang
Deutschlands bedeutet der Obergang von der ersten zur zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Markstein in der landwirtschaft-
lichen Entwicklung, wenngleich auch dieser Umschwung sich
nicht niit annähernd derselben Geschwindigkeit als dort vollzog.
Das liegt ja im Wesen des landwirtschaftlichen Fortschritts. Von
nun ab stellt die Entwicklung der Kultur der Zuckerrübe die
erste Anwendung großen Stils der neu erstehenden Landwirt-
schaftswissenschaft in Deutschland dar. Man kann sagen, daß
sie an der Zuckerrübe vornehmlich groß geworden ist. Die
Geschichte des Rübenbaus steht von nun an in innigstem Konnex
mit der Geschichte der deutschen Landwirtschaft.
Nach alle dem Gesagten ist jetzt klar erkennbar, von welcher
Seite dem Rül>enbau das gewaltige Agens zum Massenanbau
kommen mußte. Von den wirtschaftlichen Existenzbedingungen
war eine bisher noch in unzureichendem Maße meist erfüllt,
erst von dem Augenblick an, in dem sie sich verwirklicht, er-
starkt das von Achard gepfTanzte Reis zum starken Baume. Es
ist die Befruchtung der Landwirtschaft mit Kapital.
Das legt die Untersuchung der Frage nahe, wie es kam,
daß schon vor 1850 in gewissen Teilen Deutschlands der Zucker-
rübenbau tief Wurzel gefaßt hatte und sehr gute Erfolge erzielt
werden konnten. Es wurde gezeigt, wie sich der Schwerpunkt
der Industrie von Mitteldeutschland immer mehr zum Norden
vorschiebt, wie diese sich um 1850 auf einen Komplex des nord-
deutschen Tieflandes, der die Provinz Sachsen, Anhalt, Braun-
schweig und Brandenburg umfaßt, konzentriert, daneben eine
Agglomeration der Betriebe Schlesien zeigt. Allen voran schritt
aber die Provinz Sachsen nicht nur hinsichtlich der EMchtigkeit,
sondern auch der Größe der Betriebe.^) Im Betriebs jähr 1850/1
machten der Zahl nach die Zuckerfabriken dort über 55 o/o aller
in den Landern des Zollvereins vorhandenen aus, während in
ihnen über 65 o/o der überhaupt zur Zuckerdarstellung verwendeten
Rüben zur Verarbeitung kamen. Es dürfte von Interesse sein,
dieser sehr auffallenden Erscheinung einmal nachzuforschen.
») Vergl. die Obersicht S. 111—113 und die Tafel 2.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 197
E)er als hervorragender Landwirt bekannte preußische Amts-
rat Koppe beschäftigt sich mit dieser Frage in einer 1841 er-
schienenen Schrift.^) und gibt als die Ursachen des schnellen
Aufblühens der Zuckerindustrie in der Provinz Sachsen folgende
Punkte an:
1. Den großen Reichtum flüssigen Kapitals in den Händen
unternehmender Leute.
2. Die Bekanntschaft mit der Anbaumethode, da man längst
hier den Zichorienbau betrieb.
3. Die Möglichkeit, aus der Rübe Zucker zu gewinnen, war
bei vielen Landbewohnern noch aus der Zeit bekannt,
in der die französische Regierung in der Gegend von
Magdeburg Versuche hatte anstellen lassen.
Für unsere Untersuchung ist es überaus bezeichnend, daß
Koppe den Kapitalsreichtum an die erste Stelle setzt. Es kann
nicht unterlassen werden, nachdem jene Entwicklungsperiode
heute abgeschlossen vor uns liegt, und sich im Zusammenhang
übersehen läßt, zu diesem Punkte einige Erweiterungen zu machen.
Der große Reichtum an Anlage suchendem Kapital war nur
ein Kriterium für die fortschreitende Volkswirtschaft Sachsens.
Die tiefen Wunden, welche der 30jährige Krieg Deutschland ge-
schlagen hatte, waren hier am frühesten vernarbt, und während
in den meisten übrigen Landesteilen die Landwirtschaft sich
kümmerlich durchschlug, da die freie Initiative nicht zur Ent-
faltung kam, trat sie hier in ein Stadium des Fortschritts ein,
dadurch daß eine Befruchtung durch das Kapital zustande kam.
Daß diese sich so früh vollziehen konnte, dazu vereinigten sich
eine ganze Anzahl Umstände. Die überaus günstige geographische
Lage brachte der Provinz als Hinterland Hamburgs einen kolossalen
wirtschaftlichen Vorsprung vor allen übrigen preußischen Staats-
gebieten, der um die Wende des Jahrhunderts und auch in
späteren Jahren um so höhere Bedeutung gewann, als der Ruin
des Amsterdamer Großhandels 1795 eine Anzahl tüchtiger und
kapitalkräftiger Kaufleute nach Hamburg gelockt hatte und ander-
seits die hohen Zölle, mit denen Holland die Durchfuhr belegte,
die direkte Zufuhr insbesondere überseeischer Produkte über
^) J. G. Koppe, Die Erzeugung des Rübenzuckers in ihren staats-
wissenschaftlichen und gewerblichen Beziehungen, Berlin 1841, S. 25 ff.
198 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Hamburg in steigendem Maße zur Entwicklung kommen ließen.
Magdeburg war zum ersten preußischen Hafen und zu einem
erstklassigen Oistributionszentrum für alle zur See eingeführten
Waren geradezu von Natur bestimmt, denn bei der mangel-
haften Verkehrsentwicklung und den primitiven Mitteln der
Massengutförderung war es selbstverständlich, daß der natür-
lichen Wasserstraße eine eminent größere wirtschaftliche Be-
deutung inne wohnte als in der späteren Zeit, als die Eisenbahn
als eine wegen ihrer Schnelligkeit vielfach bevorzugte Konkurrentin
auftrat. Ober die Elbe, die großartigste natürliche deutsche Zu-
fuhrstraße, nahm ein Teil des aufblühenden hamburgischen Handels
seinen Weg nach Sachsen, dessen Hinterland von der Elbe aus
in den Jahren 1816—1836 durch Staatsstraßen erschlossen wurde.
Die folgende Tabelle zeigt, daß in dieser ersten großen Periode
des preußischen Staatsstraßenbaues besser als die meisten übrigen
preußischen Landesteile gerade Sachsen abschnitt, trotzdem es
von Natur aus vor jenen bevorzugt war.
Es entfielen auf 100 Quadratmeilen Fläche folgende in Meilen
gemessene Längen der Staatsstraßen : ^
in 1816 1826 1831 1836
Ost- und Westpreußen 0,106 1,63 7,4 10,0
Posen — — 5,3 6,9
Pommern — 0,82 2,4 11,9
Schlesien 12,3 19,9 24,1 26,9
Brandenburg .... 3,8 8,7 13,7 19,7
Provinz Sachsen . . 13,5 21,7 30,7 35,2
Westfalen 24,9 41,4 43,7 51,7
Rheinland 30,0 38,0 40,9 49,4
Und mit dem regen Verkehr, der von der Elbe aus das Land
durchflutete, kam ein gut Stück des hamburgischen Qeschäfts-
und Unternehmungsgeistes ins Binnenland und wirkte befruchtend
auf die gewerbliche Tätigkeit. Aber auch die Landwirtschaft erwies
sich gerade hier in hohem Maße für eine Wirtschaftsweise nach
kapitalistischen Gesichtspunkten aufnahmefähig. Das war auf die
große Ausdehnung des fiskalischen Grundbesitzes zurückzuführen,
welche im Reg.-Bez. Magdeburg allein etwa lOo/o aller I>omänen
des preußischen Staates umfaßte, die der öffentlichen und
») Berechnet nach C. F. W. Dieterici, a. a. O. III. Forts. S. 597.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 199
meistbietenden Verpachtung regelmäßig anheimfielen. So waren
denn hier schon durch das wirtschaftliche Milieu eigenartigster
Mischung die Vorbedingungen gegeben für die Entwicklung einer
Industrie, welche das landwirtschaftliche wie das kaufmännisch-
spekulative Element in gleicher Weise an sich zu fesseln genötigt
ist, will sie wirtschaftlichen Erfolg zeitigen, und die wegen ihrer
natürlichen Dezentralisation ganz besonders von einem Netz guter
Verkehrsstraßen abhängig ist, zumal sie ohnehin zu einem enormen
Aufwand an Kosten für die häufigen und schweren Transporte
gezwungen ist, wie sie die Masse ihrer Roh- und Hilfsstoffe,
Halb- und Fertigfabrikate mit sich bringt.
Ergeben sich daraus schon gewisse Perspektive für die volks-
wirtschaftliche Mission des Zuckerrübenbaus im allgemeinen, so
erweitern sie sich in spezifisch landwirtschaftlicher Richtung im
Hinblick auf den an zweiter Stelle von Koppe namhaft gemachten
Punkt, den Zichorienanbau. Ganz ähnlich, wie man sich um die
Wende des 18. Jahrhunderts mit der Beschaffung von Surrogaten
für den Zucker überall eifrigst beschäftigte, geschah es auch in
sehr ausgiebigem Maße beim Kaffee, und unter den wohlfeilen
Ersatzstoffen, die zur Verwendung kamen, war einer der edelsten
die Zichorienwurzel. Sie erfreute sich in der Zeit der Kontinental-
sperre besonderer Wertschätzung, was in Anbetracht dessen, daß
Achard sich damals sogar getraute, aus den Schnitzeln seines
ursprünglichen Saftgewinnungsverfahrens ohne weiteren Zusatz
ein Kaffeesurrogat herzustellen, durchaus begreiflich erscheint. Der
Anbau der Zichorie, der seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahr-
hunderts in dem schweren fruchtbaren Boden der Magdeburger
Börde eine Pflegestätte gefunden hatte, stellte ganz ähnlich wie
der der Zuckerrübe hohe Anforderungen bezl. der Auflockerung
des Erdreichs. Häufiges Hacken war notwendig, und da die
Zichorie die Bodenkräfte in einem höheren Maße beansprucht als
die Kornfrüchte, war eine starke Düngung notwendig. Ende der
20 er Jahre fing aber der Zichorienbau an, unter dem Eindruck
der gewaltig steigenden Kaffeezufuhr nach Hamburg in der
Magdeburger Gegend unrentabel zu werden, und die Landwirte
begannen, sich nach einer auf ähnlichen Bedingungen beruhenden
*) Die Entwicklung und Bedeutung der Landwirtschaft in der Pro-
vinz Sachsen. Jahrbuch der deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft,
1889, S. 15 ff.
200 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Kultur anderer Handelsgewächse umzusehen. Ihre mit Zichorien
bestandenen Felder waren durch die Spatenkultur, die hier ein-
geführt war, für alle eine tiefe Krume erfordernden Feldfrüchte
jedenfalls in einem vorzüglichen Kulturzustande, wie man ihn
in anderen Landstrichen damals noch vergeblich suchte. Sehr
wichtig für die Weiterentwicklung war zudem, daß nicht nur
auf dem ausgedehnten Domanialbesitz, sondern auch in den
übrigen ländlichen Betrieben der Bauer durch die Reformen der
preußischen Agrarverfassung von 1809 und 1811 in der Tat fast
allgemein in den Besitz der Freiheit gekommen war und eine
Kategorie Landarbeiter schon nach kurzer Zeit existierte, welche
als Taglöhner mit der für die Zichorie notwendigen Tiefkultur
vollkommen vertraut war, die im Akkordsystem entlohnt wurde
und bei der sich Sätze für die Einzelarbeiten ausgebildet und
„reguliert" hatten. So kam es denn, daß dem Unternehmer,
der seinen Betrieb auf eine intensivere Bewirtschaftung längst
eingerichtet und zu rechnen gelernt hatte, nun der Anbau der
Zuckerrübe sehr erwünscht kam, der seiner Arbeit gute Gewinn-
chancen bot; und auch der landwirtschaftliche Arbeiter fuhr nicht
schlecht dabei, da ihm die Akkordarbeit, auf die er sich verstand
und bei der er zweifellos besser wegkam als bei der Beschäftigung
im Taglohn, in der Weise erhalten blieb, wie er sie gewohnt war.
Was schließlich jenen unter 3 genanntefi Orund angeht, so
darf nicht übersehen werden, daß in einer Zeit, in der jedermann
in Deutschland nur den Rohrzucker kannte, und bei der damals
noch recht schwierigen Nachrichtenübertragung aus fremden
Ländern in die Behausung des weltabgeschieden lebenden kleinen
Landwirts das Bekanntsein jener Tatsache, daß genau derselbe
Zucker aus der Rübe darstellbar sei, eine gewisse Bedeutung
nicht abgesprochen werden kann.i)
Aus den bisherigen Betrachtungen haben wir schon eine
ganze Reihe Ausblicke genommen auf die Stellung, welche der
Rübenbau in spezifisch landwirtschaftlichem und allgemein volks-
wirtschaftlichem Sinne sich erobert hat. Indem wir uns nun der
letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuwenden, sind wir gehalten,
an den Kreis der praktisch-positiven Einzelleistungen heranzu-
1) Die Runkelrübe war, wie Nöldechen berichtet, zu Anfang des
18. Jahrhunderts »im Magdeburgischen und Halberstädtschen als ein
sehr gesundes und nahrhaftes Viehfutter häufig gebaut und wurde daraus
ein Sirup zur Konsumtion des Landmanns bereitet.''
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 201
treten, durch welche die Rübenzuckerindustrie bezw. der Rüben-
bau das Qesamtgebiet der landwirtschaftlichen Technik in ihre
Machtsphäre gezogen hat. Wir müssen uns vorstellen, daß der
Rübenbau bis 1850 immer noch in einer mehr gartenmäßigen
Anbauweise betrieben wurde, oft noch als Spatenkultur, und
daß nun erst mit dem überwiegend feldmäßigen, d. h. Massen«
anbau die Zuckerrübe die landwirtschaftliche Kulturpflanze ersten
Ranges wurde, als die sie die moderne Landwirtschaft zumal in
Deutschland betrachtet.
In dem Moment, in dem der deutsche Zuckerrübenbau in diese
neue Entwicklungsphase trat, hatte er noch eine Klippe zu
passieren, die ihm ziemlich gefährlich hätte werden können. Wohl
nicht ganz ohne Beeinflussung durch die Ende der 40 er Jahre auf-
tauchenden Lehren Liebigs, manchmal auch wohl auf Grund
mangelhafter Ergebnisse, die auf unsachgemäße Behandlung der
Kulturen, auf unbekannte Rübenschädlinge oder Fehler in der
fabrikativen Verarbeitung zurückzuführen waren, verdichtete sich
der Widerstand, gegen den die Rübe schon frühzeitig hatte an-
kämpfen müssen, zu besonderer Heftigkeit in einer Bewegung,
welche durch kaufmännisch und wissenschaftlich gebildete Kreise
Deutschlands um 1850 ging. Sie erklärte den Rübenbau für den
Ruin der deutschen Landwirtschaft, ganz besonders aber bringe er
dem Staat große Einbußen an Zöllen, ohne sonstwie dafür zu
entschädigen, und den Zielpunkt bildete das Projekt, die Re-
gierung möge mit Hilfe eines größeren Geldaufwandes alle
Rübenzuckerfabriken in ihren Besitz bringen und stillsetzen. Eine
ganz ähnliche Forderung war übrigens 1842 von der französischen
Regierung bei den Kammern eingebracht worden, i) Der Jenenser
Universitätsprofessor Schulze 2) vertrat diese Anschauung in
Deutschland mit besonderem Eifer, und er hielt einen Betrag von
10 Mill. Taler, den er aus einer Erhöhung der Abgaben des Zuckers
bezw. des Rohmaterials decken wollte, für den Ankauf der 213
deutschen Fabriken und zur Entschädigung der in ihnen be-
schäftigten Arbeiter für ausreichend. Besonders interessieren die
Motive, aus denen heraus man zur Verurteilung der Rübenzucker-
industrie kam. Bei allen denen, welche aus dem allgemeinen Inter-
Nach E. v. Lippmann, Geschichte des Zuckers (S. 407) wurden
50 MiU. Frs. zur Einlösung der 389 Rübenzuckerfabriken verlangt.
^) Fried. G. Schulze, Die deutsche Zuckerfrage, Jena 1850 (in den
deutschen Blättern für Landwirtschaft, Nationalökonomie und Politik).
202 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
esse des Staats in der Diskussion zu dieser Frage Stellung nahmen,
steht der finanzpolitische Gesichtspunkt im Vordergrund der Argu-
mentation. Wenn auch die Berechnungen Schulzes, der die Ver-
luste und Opfer des Staates während der Jahre 1834 — 49 auf
etwa 58 Mill. Taler veranschlagt, keineswegs einwandfrei er-
scheinen, so kann man diesem und vielen ähnlichen Ergebnissen
eine gewisse Berechtigung keineswegs absprechen, da sich der
Staat die durch die hohen Zölle gesicherte privilegierte Stellung
der Raffinerien in der Tat schweres Geld kosten ließ und ihre
Bevorzugung trotz der Konkurrenz durch die Rübenzucker-
fabrikation sich zum guten Teil auf diese übertrug. Jedenfalls
aber erkannten damals alle diese Kritiker noch nicht die un-
geheuere Entwicklungsfähigkeit der Industrie, welche ermög-
lichte, ohne ihr Schaden zu tun, die Steuerschraube immer fester
anzuziehen. Schließlich unterschlugen sie in der Regel alle die
indirekten Vorteile, welche der Rübenbau für die Hebung des
Kulturzustandes der Ackerflächen, für die Verbesserung des Land-
baus im allgemeinen und besonderen involviert, Werte, welche
sich überhaupt nicht geldmäßig in eine Bilanz einstellen lassen.
Bei den Praktikern, welche dem Rübenbau gegenüber Skrupel
hatten, wird in jener Zeit vielfach betont, daß diese Kultur die
Bodenkräfte auf die Dauer ruiniere, eine Anschauung, zu der
Liebigs wenig ermutigende Äußerung über die Zukunft des Rüben-
baus nicht unwesentlich beigetragen haben mag.^)
Das alte Vorurteil, der Rübenbau schädige den Getreidebau,
war denn auch das erste, dem die Praxis energisch zu Leibe
rückte. Hier war es am ehesten möglich, dem Ungläubigen den
indirekten Vorteil der Rübenkultur plausibel zu machen, wenn-
gleich der wissenschaftlich einwandfreie Beweis eigentlich noch
recht lange auf sich warten ließ. Seitdem man die hohe Bedeutung
der Auflockerung und der Durchlüftung der tieferen Boden-
schichten für den Getreidebau zu erkennen begann, machte man
allenthalben die Erfahrung, daß die Bestellung der ehemaligen
Brache mit Zuckerrüben eine recht ansehnliche Steigerung des
Halmfruchtertrages involviere. Humbert, wohl der erste, der dies
exakt nachwies, stellte auf Grund eingehender Untersuchungen
^) Just. v. Liebig stellte insofern dem Rübenbau ein ungünstiges
Prognostiken, als er wenig Vertrauen zu der Möglichkeit hatte, die ge-
schwächte Energie der Bodenkräfte durch künstliche Düngstoffe voll-
kommen zu ersetzen. Vergl. Chem. Briefe XXIIL
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 203
von 32 in der Provinz Sachsen gelegener Wirtschaften mit und
ohne Rübenbau fest, daß bei allen Fruchtarten die niedrigste
Ernte in den Rübenwirtschaften höher als der Durchschnittsertrag
in den Nichtrübenwirtschaften sei, wobei die Bodenqualität der
Nichtrübenwirtschaften im ganzen noch etwas besser war als
in den Rübenwirtschaften. Es kam zu dem Ergebnis, daß die
Reinerträge mindestens in demselben Verhältnis stiegen als die
Roherträge 1).
Aber nicht nur trat niemals bei richtiger Wirtschaft ein Rück-
gang der Getreideernte pro Flächeneinheit ein, sondern die Rüben-
kultur brachte neben einer Erhöhung des Ertrages an Kornfrüchten
überhaupt keine Einschränkung des Anbaus derselben. Nur hier
und da resultierte eine geringfügige Abnahme des Futterbaus,
wodurch die Viehproduktion indes kaum berührt wurde, da die
Abfälle der Zuckergewinnung bezw. der Rüben diesen Ausfall
überkompensierten. Es bildete danach die mit Rüben bestellte
Brache ein vollständig neues Wirtschaftsaggregat, das zusätzlich
zu dem bisher vorhandenen gefügt wurde, dadurch, daß ein
bisher nicht genutztes Produktionsvermögen seinem natürlichen
Zwecke zugeführt wurde. ^) Es ist also der Ertrag an Zuckerrüben
und anderen Hackfrüchten nahezu vollständig als zusätzlicher
Gewinn der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts zu betrachten,
eine Tatsache, welche die eminente Bedeutung des Obergangs
zur verbesserten Eh-eifelderwirtschaft und Fruchtwechselwirtschaft
erst in ihrer ganzen Größe in die Augen springen läßt»)
In der Tat berührt diese fortschreitende Intensivierung auch
in keiner Weise die Viehhaltung, deren Einschränkung man ebenso
wie die des Getreidebaus zunächst allgemein befürchtet hatte.
In dieser Richtung hat die neue Technik bedeutsame Fortschritte
gezeitigt, indem sie das Trocknen der entzuckerten Schnitzel auf
billige Weise ermöglichte und dadurch ihre Versendungsfähig-
keit und Haltbarkeit verbesserte, andererseits in neuester Zeit
dadurch, daß sie zur Konservierung der Rübenköpfe und -Blätter
*) G. Humbert, Agrarstatistische Untersuchungen. Conrad'sche
Sammlung 1877—93.
^) Delbrück, Ober die Zukunft der deutschen Landwirtschaft, Festrede.
») W. Lilienthal, Die Bedeutung des Hackfruchtbaus, namentlich
des Zuckerrübenbaus für die Steigerung der Getreide- und Viehpro-
duktion in Deutschland. Diss. Heidelberg 1895. — Woge, Der Einfluß
des Zuckerrübenbaus auf die Landwirtschaft. Diss. Leipzig 1892.
204 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
eine den Bedingungen der Wirtschaftlichkeit entsprechende Me-
thode lieferte, so daß die Ausnutzung aller Abfallprodukte des
Rübenkörpers heute von Raum und Zeit wesentlich unabhängiger
und auf vollkommnere Weise möglich ist So wird in der Tat
heute schon ein Teil der mit der Verwendung der Abfallprodukte
in Zusammenhang stehenden Vorteile des Rübenbaus solchen
^Wirtschaften bis zu gewissem Grade zugänglich, welche sich nicht
mit der Rübenkultur befassen.
Die Bedeutung, welche die Schnitzel im Wirtschaftsplan des
Rüben liefernden Landwirts inne haben, verdient besonders her-
vorgehoben zu werden. Sie erhellt aus der Tatsache, daß in Jahren
schlechter Konjunktur des Zuckermarktes, in denen die Fabriken
den Preis für die Rüben besonders tief herunterdrücken und die
Produktionskosten für das Rohmaterial manchmal nicht einmal
gedeckt werden, der Bauer sich öfters trotzdem zur Beibehaltung
der Rübenkultur versteht, selbst wenn keine vertragsmäßige Bin-
dung vorliegt. Er weiß eben, daß er in den Schnitzeln ein vor-
zügliches wohlfeiles Viehfutter erhält, für das er ohne Verluste
keinen Ersatz zu schaffen vermag. Nur dadurch gelingt es eigent-
lich, daß für manche Fabriken so die Möglichkeit vorhanden
ist, sich ausschließlich auf die Verarbeitung von Kaufrüben zu
beschränken, jso daß das landwirtschaftliche Nebengewerbe da
zur rein industriellen Unternehmung wird, welche ihren Rohstoff
ohne langfristigen Vertrag erwirbt Welche Einflüsse in dieser
Hinsicht bei der steigenden Bedeutung der Fleischproduktion ein
allgemeiner Übergang der Fabrikation zum Brühverfahren aus-
üben wird, ist vorläufig noch nicht abzusehen. Ausgeschlossen
ist nicht, daß der Verselbständigungsprozeß der Industrie, wie
wir ihn beobachten konnten, durch die hochprozentigen sog.
Zuckerschnitzel im Fortschreiten gefördert wird.
Für den deutschen Rübenbau bis zur Mitte der 50 er Jahre
ist es bezeichnend, daß die verdienstvollen Lehren Achards und
seine Leitsätze gänzlich der Vergessenheit anheimgefallen waren
und daß jeder Rübenbauer seine eigenen .Wege ging. Soweit er
eine Ehirchschnittsbildung besaß und an der Zuckerfabrikation
nicht selbst beteiligt war, stand er mit voller Verständnislosig-
keit und Teilnahmlosigkeit den vielfachen und recht verschieden-
artigen Regeln gegenüber, welche der Fabrikant für den Anbau
der Rübe zu befolgen forderte. Als man nun Achards Anbau-
methode Punkt für Punkt zu rekonstruieren begann, leistete der
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 205
Rübenbauer vielfach energischen Widerstand. Von alters her war
er gewohnt, mit den Augen unmittelbar die Güte seines Produkts
zu beurteilen, und so konnte er sich nur schwer zu der An-
schauung entschließen, falls er es überhaupt für nötig befand,
sich auf die lästigen Wünsche des Fabrikanten einzulassen, daß
eine gutgewachsene dicke Rübe meist keineswegs ein für die
Zuckergewinnung geeignetes Produkt darstelle, daß vielmehr eine
leichte Rübe mit kleinem Kopf den Ansprüchen der Fabrikation
durchweg eher genüge. Solange die Zuckerfabriken sich nicht
strenge Kontrollrechte für den Rübenbau vorbehielten oder die
Preise ausschließlich oder zum Teil nach dem Zuckergehalt be-
rechneten — beides trat erst sehr spät ein — , solange andrerseits
eine Verschmelzung der Interessen des Rübenbauers und des
Fabrikanten in der Aktiengesellschaft oder Genossenschaft mit
Lieferungszwang nicht zustande kam, mußten alle Versuche, die
Qualität des in fremder Wirtschaft gezogenen Produktes zu heben,
im Sande verlaufen. Daher denn die harte Notwendigkeit, den
Rübenbau selbst in die Hand zu nehmen, wie es seit den 40 er
Jahren in allen den Gebieten, wo die Zuckerindustrie Verbreitung
fand, die Regel war.
In seiner eignen rein empirischen Technik wurde auch der
intelligentere Rübenbauer bestärkt durch manche Schriftsteller,
welche die Verdienste Achards um die Rübenkultur von An-
fang an in Zweifel zogen, alle seine Anbauregeln, das Resultat
langjähriger Studien, für Charlatan erklärten und behaupteten,
ohne sie könne man gleichwertige Zuckerrüben bauen.*) Der
Deutsche verfiel auch hier wieder seinem alten Hang, alles Gute
beim Ausland zu suchen, in diesem Falle bei Frankreich. Im
besten Falle verlegte er sich auf das sinnlose Kopieren der fran-
zösischen Anbaumethode, ohne zu bedenken, daß die Boden-
und Vegetationsverhältnisse dort wesentlich andre Anforderungen
stellten, so daß in den ersten zwanzig Jahren sich nach v. Lipp-
mann's UrteU der deutsche Rübenbau „in rein empirischen, Täu-
schungen und Irrungen in hohem Grade ausgesetzten Bahnen"
bewegte. 2)
Der Rübenbau im engeren Sinne, die Bodenbearbeitung und
der Anbau unterscheiden sich von allen anderen Feldfrüchten
G. A. Nöldechen, Ober den Anbau der sog. Runkelrüben, 1799.
«) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 42.
206 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
durch den gewaltigen, stark periodischen Arbeitsbedarf. Dieser
muß in ganz bestimmten kursiristigen Zeitgrenzen geleistet wer-
den, da eine nicht rechtzeitige Ausführung der Arbeiten schwere
Schädigungen im Gefolge zu haben pflegt. Den Arbeitsbedarf
für eine 60 ha-Wirtschaft hat man berechnet^) bei der
auf Arbeitstage
überhaupt Sommerbedarf ^)
alten Dreifelderwirtschaft .... 712 262
Norfolker Fruchtwechselwirtschaft. 1615 1199
Fruchtwechselwirtschaft mit starkem
Rübenbau 3159 2608
Daraus geht hervor: Die Schwierigkeit des Massenanbaus
der Rübe beruht in der Beschaffung der Arbeitsmittel. Damit
ist einesteils der innige Zusammenhang des Rübenbaus mit der
ländlichen Arbeiterfrage dargetan, andrerseits aber auch die Be-
deutung und Größe des Kapitals in der Rübenwirtschaft.
Wenn irgendwo, so tritt hier die fundamentale Verschieden-
heit in der Entwicklung des französischen und des deutschen
Rübenbaus hervor. Frankreich, das Land des vorwiegenden Klein-
besitzes, hat von jeher die landwirtschaftliche Handarbeit bevor-
zugt. Nie trat dort der Mangel an Landarbeitern so lähmend auf
wie in Deutschland. Unablässig trieb hier von einem bestimmten
Punkte ab das Gespenst der Leutenot zu selbständiger Leistung:
Ersatz der Menschenarbeit durch die Maschinenarbeit überall,
einmal, um jene außerordentliche Periodizität im Arbeitsbedarf
durch ausgiebige Verwendung die Arbeitszeit verkürzender Ma-
schinen zu mildern, sodann aber, um die einen hohen Kapitals-
aufwand benötigende Arbeitermenge bestmöglich auszunutzen und
zu reduzieren. Nach diesen Gesichtspunkten normierte sich im
deutschen Rübenbau die Wahl der beweglichen Produktionsmittel.
Kein Zweig der deutschen Landwirtschaft bediente sich so
frühzeitig und in solcher Ausdehnung der maschinellen Arbeit
und neuer nach Sonderzwecken gefertigter Geräte. Nachdem ein-
mal das Vorurteil, das hinsichtlich Güte und Wirtschaftlichkeit
^) Fr. Bensing, Der Einfluß der landwirtschaftlichen Maschinen auf
Volks- und Privatwirtschaft. Diss. Heidelberg 1897, S. 42.
•) Werden die nur im Winter für das Dreschen und Reinigen des
Getreides nötigen Arbeitskräfte in Abzug gebracht, so erhält man den
Sommerbedarf.
Zuckerrflbenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 207
der Maschinenarbeit in weiten Kreisen der Praktiker bestand,
besiegt war, wurde die Maschine in unverhältnismäßig kurzer
Zeit ein integrierender Faktor der Rübenwirtschaften. 1866 war
hier die Maschinenarbeit schon überwiegend. Der Sä- und Hack-
maschine der 50 er Jahre folgen bald Drill-, Pflanz- und Jät-
maschinen, und es entbrennt ein mit riesiger Zähigkeit geführter
Kampf, diese Maschinen unablässig nach den besonderen An-
forderungen der Rübenkultur und den neuesten Erfahrungen um-
zugestalten und zu verbessern. Die tiefgreifenden Wandlungen,
welche die Maschinen des Landbaus im Laufe ihrer Entwicklung
durchgemacht haben, haben von ihrer ursprünglichen Erschei-
nung oft nichts andres als den Zweckgedanken unberührt gelassen.
Unzuverlässige und schwerfällige Kolosse, deren Bau unförmige
Holzmassen meist recht undurchsichtig machten, sind gewichen
unter dem Eindruck der fortschreitenden Technik und unter
starker Beeinflussung durch englische und amerikanische Modelle
leichten, aus Eisen gearbeiteten, übersichtlichen, nach verschie-
denen Anforderungen einstellbaren Konstruktionen kolossal ge-
steigerter Leistungsfähigkeit, zu deren Betrieb ein Mindestmaß
von Kraft ausreicht und mit denen auch der ungelernte Arbeiter
spielend fertig wird. Mit besonderem Vorteil lernte der heimische
Landwirt die amerikanischen Maschinentypen schätzen, welche
speziell für die kontinentalen Böden sich geeignet erwiesen, und
welche der zu Anfang der 90 er Jahre mächtig aufblühenden in-
ländischen Industrie landwirtschaftlicher ' Geräte und Maschinen
die besten Vorbilder gaben.
Eine Erfindung verdient besonders genannt zu werden, die
einen sehr tiefen Einfluß ausübte. Im Jahre 1868 fand zum
ersten Male auf dem Kontinent ein Dampfpflug Verwendung und
zwar auf einem sächsischen Rübengute. Damit war ein Ackergerät
geschaffen, welches bei hinreichendem Ausnutzungsgrad den Land-
wirt in die Lage versetzt, auf einen großen Teil der tierischen
Spannarbeit unter gleichzeitiger Verbilligung der Kosten für das
Umbrechen der Ackerkrume und Erhöhung der Furchentiefe zu
verzichten. Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Furchen-
tiefe 10 cm betrug, reißt der Dampfpflug 40—45 cm tief den
Boden auf und ermöglicht so, den in ihm aufgespeicherten Fonds
von Produktionskräften in einem erklecklich höheren Maße der
Wirtschaft dienstbar zu machen und nicht nur die praktisch über-
haupt erreichbaren Bedingungen der Bodenvorbereitung für den
206 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Rübenbau zu erfüllen, sondern auch die damit in engstem Zu-
sammenhang stehenden indirekten Vorteile dieser Kultur sich
vollständig anzueignen.
Vorsichtig rechnende Landwirte Mitteldeutschlands veran-
schlagen den Wert, welcher durch die Tiefkultur, Unkrautreinigung
und den verstärkten Düngungszustand des rationellen Zucker-
rübenbaus in den Acker gebracht wird, auf 1200 Mark für das
Hektar. 1)
Die starke Verwendung der Maschinenarbeit, die bei Wahl
richtiger Wirtschaftsgrößen in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle nicht nur einen Ersatz der menschlichen und tierischen Arbeit,
sondern auch eine Ersparnis erreichen ließ, über deren Höhe
allerdings die wissenschaftliche Untersuchung*) bisher die ver-
schiedensten Werte zu Tage gefördert hat, brachte die Freisetzung
eines großen Teils latenter Produktionskräfte des Bodens, wo-
durch in vielen Fällen allein schon eine Verbilligung der Pro-
duktion gegeben war. Immer war aber die Maschine der un-
mittelbare Anlaß zu erhöhter Kapitalbenutzung und eine der
ersten Vorbedingungen intensiverer Bodennutzung.
Die steigende Heranziehung der Maschinenarbeit bezweckte
neben einer Einschränkung der Menschenarbeit zum Teil die
der Spannviehleistung. Nichts wäre aber verfehlter, als daraus
eine die Wirtschaft ungünstig beeinflußende Einschränkung der
Viehhaltung zu folgern.. Im Gegenteil erwies sich trotz einer Re-
duktion der Oespanne dort, wo stabile Verhältnisse und große
Leistungen in Frage kamen, die Maschine in der Regel in höherem
Grade wirtschaftlich, wobei ihr allerdings ihre ausgedehnte Ver-
wendungsfähigkeit zu Hilfe kam.
Gegenüber den Nichtrübenwirtschaften schneidet die Rüben-
wirtschaft hinsichtlich der Qualität des Viehbestandes wesentlich
besser ab. Wenn auch manchmal die starke Spannviehhaltung
der Rübenwirtschaften einen gewissen nachteiligen Einfluß aus-
üben mag, so läßt dieser sich bei Wahl der richtigen Rassen voll-
^) Der Betrieb der deutschen Landwirtschaft am Schlüsse des
19. Jahrhunderts. Bearbeitet im Auftrage der deutschen Landwirtschafts-
gesellschaft von Dr. Werner-Berlin und Dr. Albert-Halle a. S., S. 57.
•) Es seien hier genannt: F. Bensing. a. a. O.; Gusl. Fischer, Die
soziale Bedeutung der Maschine in der Landwirtschaft (Staats- und
sozialwissenschaftliche Forschungen) 19Q2; Alex. Lang, Die Maschine
in der Rohproduktion, II. Teil, 1904; E. David, a. a. O.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 209
ständig ausgleichen, insofern es gelingt, die zur Spannarbeit ver-
wendeten Tiere in sehr kurzer Zeit unter höchster Ausnutzung
der Abfallprodukte der Zuckerindustrie zu mästen. So wird es
möglich, nicht nur eine größere Menge tierischer Produkte im
weitgehendsten Veredelungsprozeß aller Feldprodukte hervorzu-
bringen, sondern vor allem auch einen schnelleren Umsatz zu er*
zielen, also eine Verdichtung der Produktion relativ und absolut.*)
Die unausgesetzte Verbesserung der Viehhaltung quantitativ,
ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der vieharmen Wirtschaft
zu Anfang des Jahrhunderts, ist deshalb von so großer Tragweite,
weil nun erst große Dungermengen frei verfügbar wurden, die
vermöge zweckmäßiger Erzeugung, sorgsamer Konservierung und
richtiger Verwendung sich mit einem immer höheren Wirkungs-
grad verwenden ließen. Wenn trotzdem die Erfolge, welche die
Praxis hier erzielt hat, noch ungewöhnlich weit hinter dem tat-
sächlich erreichbaren nach dem Urteil von Fachleuten zurück-
bleiben, — Prof. Dr. V. Soxhlet berechnete beispielsweise für
1890 den materiellen Verlust, den die ba3nrische Landwirtschaft
infolge mangelhafter Konservierung alljährlich erleidet, auf etwa
54 Mill. Mark^) — so hat das wahrscheinlich einen tieferen Grund.
Manches scheint darauf hinzudeuten, daß diese Art Rück-
ständigkeit der wahrhaft grundstürzenden Wandlung zuzuschreiben
ist, welche die deutsche Landwirtschaft in ganz neue Bahnen warf
und deren Einzelerscheinungen eine Kette ununterbrochenen Fort-
^) H. Paasche, Zuckerindustrie und Zuckerhandel der Welt, 1891,
S. 32: . . . ,,Die höheren Erträge aus den Nachfrüchten und der Vieh-
haltung haben die Landwirte oft mehr als die ungewisse Aussicht auf
hohe Dividenden der Fabrik zur Begründung einer solchen veranlaßt.*
•) Denkschrift des Ministeriums des Innern vom Jahre 1890, Artikel
Düngung, — Wochenblatt des landwirtschaftlichen Vereins in Bayern,
1897, Nr. 47. — Prof. Dr. v. Soxhlet: Die landwirtschaftlichen Versuchs-
stationen und ihre Aufgaben. Abgedruckt im Bericht der Zentralver-
sammlung des landwirtschaftlichen Vereins in Bayern am 29. September
1902. Es heißt dort: „Bei einem Rindviehbestand von rund 19 Millionen
Stück beträgt ... der Wert des alljährlich im Deutschen Reich in
das Luftmeer abdunstenden Ammoniakstickstoffs nach der niedrigsten
Schätzung Vs Milliarde Mark. Hingegen kaufen wir jetzt jährüch zehn
Millionen Zentner Chilesalpeter für 85 Millonen Mark, ersetzen also
nur ein Viertel des Verlustes durch Zukauf. Ist es schon ein Übel, daß
wir jährlich 85 Millionen nach Amerika tragen müssen, um unsere
jetzigen Ernten überhaupt erzielen zu können, und daß wir diese Ernten
unnötig um ebensoviel zu teuer produzieren, so liegt doch der Haupt-
schaden im Ernteausfall.''
Schttchart, Zuckerindustrie. 1 ^
210 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
Schritts darstellen, deren Ende sich heute noch gar nicht absehen
läßt. Die moderne E>ungertheorie Just. v. Liebigs ist eine wissen-
schaftliche Errungenschaft von solch eminenter volkswirtschaft-
licher Tragweite, daß Werner Sombart ihr nichts annähernd be-
deutsames im Werdegang des 19. Jahrhunderts an die Seite zu
stellen hat trotz der riesenhaften Entfaltung des Mechanisierungs-
prinzipSy welche die fabelhafte Konzentration von Kapital und die
wissenschaftliche Leistung im modernen Wirtschaftsleben zu Wege
gebracht hat.^) Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß das
Interesse des Landwirts häufig auf die rationelle Verwendung
künstlicher Düngemittel weitaus mehr gerichtet wurde als auf die
der natürlichen.
Die Zuckerrübe, bei deren Kultur von Anfang an die Dünger-
frage*) eine hervorragend wichtige Stellung eingenommen hat,
drängte intensiver nach wissenschaftlicher Befruchtung als irgend
eine andere Kulturpflanze. Es kann darüber kein Zweifel mehr
bestehen, daß sie die klassische Trägerin des nun zum Leben er-
wachten wissenschaftiichen Geistes der Landwirtschaft geworden,
ist. Aus der resflosen Übertragung der naturwissenschaftiichen
Errungenschaften, unter der die deutsche Landwirtschaft im letzten
Viertel des 19. Jahrhunderts eine riesenhafte Steigerung der Er-
träge erzielen konnte, hat der unter der Verlockung der Steuer-
bezw. Ausfuhrprämie stehende Rübenbau zuerst und am weit-
gehendsten das wirtschaftiiche Fazit gezogen. CHe in der Kultur
am fortgeschrittensten CMstrikte bildeten in den Rübenwirtschaften
zuerst die Ersatzwirtschaft aus, welche dem modernen rationellen
intensiven Landbau das charakteristische Gepräge gibt. Hier kam
man am schnellsten und am gründlichsten zu dem Bruche mit dem
alten wirtschaftlich unübersichtiichen Schlendrian, der von ein paar
Musterbetrieben abgesehen überhaupt keine zahlenmäßige Er-
fassung von Wert und Gegenwert in der Landwirtschaft kannte,
wie sie jedem Kaufmann geläufig ist. Die Übernahme von Grund-
sätzen der in der Industrie längst anerkannten rationellen Wirt-
schaftsführung war hier ebenso wie dort eine der ersten Be-
dingungen des wirtschaftlichen Fortschritts. Der hohe Kapitals-
aufwand mußte, sollte er eine sichere Rente liefern, mit einer
^) W. Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert,
S. 173.
•) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 46.
Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 211
bis ins einzelne gehenden Kontrolle aller Wirtschaftsfaktoren ge-
paart sein, trotz der Schwierigkeit, welche in dieser Hinsicht
gerade der landwirtschaftliche Betrieb bietet. Hier galt es, sich
nicht nur Rechenschaft zu geben über die aufgewandten Kosten
und den Erlös der Produkte, wobei eine Selbsttäuschung mit
einiger Sicherheit noch auszuschließen ist, sondern man mußte
es darauf anlegen, daß man die im Boden aufgespeicherten ver«
brauchten und unverbrauchten Produktivkräfte wenn auch nur
näherungsweise und unter bestimmten Hypothesen in den Kreis
der Berechnung ziehen und in ihrer Zu- bezw. Abnahme ver-
folgen konnte. Das war ein unabweisbares Bedürfnis in erster
Linie bei dem modern wirtschaftenden Rübenproduzenten, ein
ungeheurer Fortschritt gegenüber der althergebrachten, noch heute
weit verbreiteten Methode, welche sich auf den Jahresausfall und
die Empirie vollständig verläßt.^ Dem Erfolg der Rübenwirt-
schaften, welche die Grundsätze kapitalistischer Wirtschafts-
führung mit zäher Energie und Oeschick den Bedürfnissen der
landwirtschaftlichen Produktion anpaßten, ist es vornehmlich zu
verdanken, daß heute nicht nur der landwirtschaftliche Großbetrieb,
sondern auch schon Teile des Mittelbetriebs in intensiv bewirt-
schafteten Gegenden trotz der gerade hier wirksamen außerordent-
lichen Widerstände sich zu einer peinlich strengen Beachtung des
Wirtschaftlichkeitsprinzips auf Grund richtiger Buchführung durch-
gekämpft haben, wobei die glänzende Entwicklung des land-
wirtschaftlichen Vereins- und Unterrichtswesens wie das Auf-
kommen eines wissenschaftlich geschulten, kapitalkräftigen
Pächterstandes das ihrige dazu beigetragen haben.
In der Tat lieferte in dem schweren Kampf, welcher der
deutschen Landwirtschaft nach Jahrzehnten glän^nder Kon-
junktur durch die ungeahnte Entwicklung des Verkehrswesens
aufgezwungen wurde, die den Bezug und den Absatz landwirt-
schaftlicher Erzeugnisse von der Beschränkung auf den Inlands-
markt befreite und den deutschen Bauer mit einem Schlage in die
Weltmarktskonjunktur verstrickte, die eben gegründete Land-
wirtschaftswissenschaft der Praxis die Waffen des Erfolgs, wenn
sie auch unter der Schutzzollpolitik noch nicht auf ihre volle
Leistungsfähigkeit bisher erprobt werden konnten. Wie die Grund-
sätze kapitalistischer Wirtschaftsführung aus der Ersatzwirtschaft
W. Waltz, Vom Reinertrag in der Landwirtschaft, 1904, S. 1 ff.
212 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
heraus kristallisierten, so stand auch hier die I>üngerfrage im
Vordergrund. Die fundamentale Lehre Liebigs gab die unmittel-
bare Basis für die neue Landwirtschaftswissenschaft ab. Erst
als sich Liebigs Theorie hinreichend konsolidiert hatte, was um
1862 der Fall war, wurde für wissenschaftliche Agrikulturforschung
die Bahn frei. Nun machte man sich von allen Seiten daran, „die
von Thaer gelassene Lücke auszufüllen, d. h. für die technische
Handhabung des Betriebs eine feste naturwissenschaftliche Grund«
läge zu gewinnen und auf dieser die Lehre vom Ackerbau und der
Viehhaltung neu aufzubauen oder doch in wesentlichen Punkten
umzugestalten^'^). Naturgemäß konzentrierte sich das wissen-
schaftliche Interesse zunächst auf die durch Liebig ausgelösten
Fragen des Acker- und Pflanzenbaus. Indem man die fioden-
analyse, wie sie in den 50 er Jahren betrieben würde, auf sichereren
Orundlagen zu stellen suchte, geriet man in den Geist der Liebig-
schen Lehren und tat damit den ersten Schritt in der Unter-
suchung der Einflüsse, welche bestimmte chemische Körper für
den Aufbau der Pflanze haben. Ein Punkt, über den man am
frühesten ins Reine kam, war die Frage der Wertung der Rück-
stände und Abfälle der Zuckerfabrikation, deren hohe Bedeutung
als Futter- bezw. Düngemittel anerkannt wurde.
Die deutsche Zuckerindustrie darf sich rühmen, aus ihren
Reihen damals eine Anzahl erstklassiger Forscher hervorgelwacht
zu haben. EMe Frage, die für den Praktiker wie für den Theo-
retiker zunächst von höchstem Interesse war, knüpfte an die
theoretische Beurteilung des Düngungsversuchs an : War es möglich,
aus Düngungsversuchen sogleich allgemein gültige Schlüsse zu
ziehen? Vorerst war man geneigt, diese Frage in positivem
Sinne zu entscheiden, und die Folge war, daß man sich sehr
bald in ein Gewirr der widerspruchvollsten Maximen verwickelt
sah, aus denen man keinen Ausweg fand und welche die im
Entstehen begriffene Anschauung vom praktischen Wert wissen-
schaftlicher Versuche schwer bedrohte. Es ist das unvergängliche
Verdienst Scheiblers, des ersten allen wissenschaftlichen An-
forderungen entsprechenden Zuckerchemikers, hier eine Lösung
gefunden zu haben. Er postulierte, „daß die einschlägigen Fragen
nicht schematisch, sondern nur individuell lösbar seien, daß man
1) Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der Landwirtschaft, 2. Bd.,
S. 301.
Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 213
meteorologische, klimatische und Bodenverhältnisse zu berück-
sichtigen habe, aus der Bodenanalyse allein aber keine Schlüsse
ziehen dürfe, um so mehr, als sie nicht einmal die Formen an-
gebe, in denen die einzelnen Stoffe voriianden seien" i). Dieser
prinzipiellen Ansicht traten andere Forscher bald bei, und daraus
ergab sich die von nun ab grundkgende Erkenntnis über die
Relativität und die vollständige Unbrauchbarkeit aller bisherigen
Düngungsversüche. Nun erst kam man zu einer einwandfreien
Basis für dieselben.
Damit wurde immer mehr die Zuckerrübe das erste Versuchs-
objekt unter allen Kulturpflanzen. In den 60er Jahren gewann
man bei ihr schon eine Vorstellung von der hohen Bedeutung
der Phosphate und Superphosphate, aus den 70er Jahren datieren
die ersten Studien über den Einfluß der Kalidüngung. Diese
beweisen, daß man nach Auffindung der Staßfurter Lager den
Vorzug der leichtlöslichen Form und den der hochprozentigen
Anwendung erfaßte, doch nicht, ohne daß es an Mißgriffen und
Beispielen unrentabler Verwendung fehlte. Maerckers grund-
legende Arbeiten schafften Ende der 70er Jahre Klarheit über
die von den Zuckerfabrikanten so gefürchtete Verwendung des
Chilisalpeters, indem er zeigte, daß bei richtiger Anwendung
vorzügliche Wirkungen ohne Benachteiligung der Rübenqualität
zu erzielen seien. Aber auch in dieser zweiten Periode in der
Behandlung der Dungerfrage fehlten, trotzdem eine Anzahl erst-
klassiger Forscher mit verzweifelter Energie Versuche betrieben,
immer noch durchsichtige, einwandfreie Resultate, aus denen
man allgemein gültige Orundsätze für den Aufbau des Pflanzen-
körpers aus den mineralischen Bestandteilen des Bodens hätte
entwickeln können.
Hierzu kam man erst in der dritten Periode, in der man
die Notwendigkeit erkannte, auf welche Scheibler 1866 schon
hingewiesen hatte, nämlich, die Ernährungsgesetze der Zucker-
rübe mit Hilfe wissenschaftlicher Kulturversuche systematisch zu
ergründen."*) Indem die Zuckerindustrie die Errichtung einer
allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden Versuchs-
station in Bernburg in die Wege leitete und man sich entschloß,
alle bisherigen Forschungsergebnisse über den Haufen zu werfen
Vereinszeitschrift 1860, S. 267.
«) E. v. Lippmann, Festschrift, S. 52.
214 Zuckerrfibenbatt und Landwirtschaftsbetrieb.
und speziell die Kultur der Rübe wissenschaftlich noch einmal
von Grund auf aufzubauen, beschritt man den einzig aussichts-
reichen Weg d^r wissenschaftlich exakten, individuellen Forschung,
auf dem denn auch die für die heutige Rübenkultur maßgebenden
Grundsätze des Nährstoffersatzes zur Reife gediehen sind. Die
Anwendung der Phosphorsäure in Form der gemahlenen Thomas-
schlacke gewann nun steigend an Ausdehnung, auf Kosten der
Kalidüngung einmal, welche bei zu hohen Gaben die Qualität
schädigt und die den Rübenbau unrentabel machen kann, dann
auch auf Kosten der Stickstoffdfingung, wekhe in bestimmten
Formen der Verwendung die Verarbeitungsfähigkeit des Roh-
material stark beeinträchtigt.^)
Hat schon die Dfingungsfrage gezeigt, in welch hohem Maße
die von der Wissenschaft modifizierte Technik des Rübenbaus
den allgemeinen Kulturzustand beeinflußt, so gilt das ähnlich
auch von den Problemen, die in jene Frage hineinspielen. In
innigem Konnex mit ihr geriet man in das Studium der pflanzen-
physiologischen Erscheinungen, aus denen sich wichtige Schluß-
folgerungen für die Kultur, Aufbewahrung und Verarbeitung der
Rübe ergaben. Hier trat schrittweise das Studium des Ernährungs-
problems in den Vordergrund, dessen wissenschaftlich befriedigende
Lösung nach Prof. v. Lippmann erst durch die Tätigkeit der
Bernburger Versuchsanstalt unter Hellriegel in die Wege geleitet
werden konnte. Die erfolgreichste Entdeckung, welche in dieser
Richtung gemacht wurde, ist wohl die Feststellung der Auf-
nahme freien Stickstoffs seitens der Leguminosen, eine Tatsache,
welche der Kultur der Rübe auf leichten Böden, wie die bahn-
brechenden Arbeiten von Schulz-Lupitz dartaten, ganz ungeahnte
Perspektive eröffnete.
Hat hier die Technik des Rübenbaus unter dem Einfluß
der wissenschaftlichen Forschung schon einen viel unbestritteneren
Erfolg als bei der I>üngerfrage errungen, so wuchsen sich die
wissenschaftlichen Ergebnisse in der Praxis zu geradezu phänome-
nalen Erfolgen aus auf dem Gebiete der Rassenzüqhtung.
Während die schon seit den 30er Jahren berühmten englischen
1) Daß auf dem eingeschlagenen Wege praktisch greifbare Resultate
sich zu Tage fördern ließen, beweisen u. a. die Arbeiten von Roemer und
Wimmer: Ober die Beurteilung der Dfingebedürf tigkeit nach der äußeren
Erscheinung. Mitteilungen der landwirtschaftlichen Versuchsstation
Bemburg, Nr. 42. Vereinszeitschrift 1907, S. 1 ff.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 215
Züchter sich fast ausschließlich mit der Verbesserung der Qe-
treidesorten beschäftigten, stand in dem landwirtschaftlich hoch-
entwickelten Frankreich die Zuckerrübe schon in den 40er Jahren
im Mittelpunkt der züchterischen Bestrebungen. Der französische
Züchter Vilmorin hat das Verdienst, hier bahnbrechend gearbeitet
zu haben, indem er 1851 den Satz aufstellte, daß in der Selektion
nach dem Zuckergehalt die Basis für die Individualzucht der
Zuckerrübe zu suchen sei. In dem Kampfe um das schwierige
Rassezuchtproblem, der mit der Ausbreitung der Industrie und
der steigenden Steuerbelastung an Heftigkeit unablässig zunahm,
stellte sich nach Jahren intensiver Arbeit die Richtigkeit dieses
Satzes heraus. Es hat den Anschein, als ob der deutsche Land-
wirt, ehe er auf ertragsreiche und eine höhere Ausnutzung der
Produktionsmittel sichernde Züchtungen Wert zu legen begann,
sich erst die durch Liebig formulierten Bedingungen für das
bessere Fortkommen des Pflanzenkörpers anzueignen hätte lernen
müssen. Immerhin nahmen Rabbethge und Qiesecke in Klein-
wanzleben bereits Ende der 50er Jahre die Individualzucht der
Rübe nach Vilmorins Beispiel auf und machten damit die Zucker-
rübe zum ersten Objekt landwirtschaftiicher Rassezüchtungen in
Deutschland. Mit der Einführung der polarimetrischen Unter-
suchung der zunächst nach äußeren Merkmalen ausgewählten
Mutterrüben übernahm Deutschland die. Führung auf dem Ge-
biete der Piflanzenzüchtung.^) Die glänzenden Erfolge, die auf
diesem ^Wege von nun ab erstritten wurden, bekehrten auch
die Widersacher dieses zeitraubenden, mühsamen und kost-
spieligen Verfahrens 2), welches 1850 schon der unermüdliche Ver-
besserer des Polarisationsinstrumentes Ventzke für den allein aus-
sichtsreichen Weg erklärt hatte, so daß 1882 Professor Maercker
den so erzielten Fortschritt als einen „sichtiichen, großartigen
und alle Erwartungen übertreffenden" bezeichnen konnte.») Es
ist schwer möglich, eine Vorstellung zu gewinnen von der über-
aus mühevollen Arbeit und Intelligenz, welche in Deutschland
die Rübensamenzucht absorbierte, ehe sie das heutige Niveau
erreichte. Eine Fülle von Einzelproblemen gruppieren sich um
^) K. V. Rfimker, Die Rassezüchtung landwirtschaftiicher Kultur-
pflanzen. In der Festschrift zum 70. Geburtstage von Jul. Kühn, 1895.
') Vilmorin nahm die polarimetrische Untersuchung 1874, die andern
deutschen Züchter 1878 auf.
*) Vereinszeitschrift 1882, S. 159; 1885, S. 166.
216 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
das Zentralproblem: Die Erhöhung des Zuckergehalts ohne Be-
nachteiligung der Anbau- und Verarbeitungsfähigkeit sowie der
Ertragsmengen. Man erkannte so den Einfluß der Fremd-
bestäubung und Bastardierung, und stellte fest, daß einfache
Fortzucht aus bestem Samen wegen der lebhaften Neigung zum
Zurückschlagen und der eminenten Variationsfähigkeit der Sorten
mit Sicherheit auf Abwege führte, von der Beeinflussung durch
die Behandlung des Samens, dem Studium der komplhderten
Keimungsvorgänge gar nicht zu reden. Was die Steigerung des
Zuckergehalts angeht, so wird diese sehr gut illustriert durch die
Anbauversuche^ welche Maercker 1891 zum Abschluß brachte.^)
Die Tabelle umfaßt den Durchschnitt aus allen Einzelversuchen.
Zucker
Zucker
Zentner Zucker
Zentner Rfiben
*i
f, in der Rfibe
«/, im Salt
pro Morgen
pro JMorgen
1880
—
13,6
—
—
1881
—
13,8
—
—
1882
12,4
13,6
27,2
220,5
1883
14,1
15,8
28,43
198,8
1884
14,4
15,4
28,63
204,2
1885
13,92
15,4
29,51
212,6
1886
14,97
16,2
28,82
192,6
1887
15,61
17,7
27,15
174,1
1888
14,91
17,0
27,64
185,6
1889
15,04
16,8
32,70
218,6
1890
—
—
—
—
1891
15,92
17,7
29,88
189,1
Damit ist gesagt, daß der Anreicherung des Zuckergehalts
eine Verbesserung der Säfte parallel ging, während kein Rück-
gang in der geernteten Rübenmenge zu beobachten war.
Und in der Tat lehrt die Erntestatistik, daß die Rübenernten
quantitativ bis in die 80er Jahre sich kontinuierlich gebessert
haben. Während Koppe i) 1841 den Ertrag vom Hektar auf
den besten Ackerklassen auf 300 dz angibt, eine Zahl, auf der
er sich lange hält, sinkt sie unter dem Eindruck zweckentsprechen-
der Anbaumethoden, welche Hebung des Zuckergehalts zum Ziel
Nach K. v. Rümker, a. a. O.
«) J. G. Koppe, a. a. O., S. 26. — Kögel, Die landwirtschaftlichen
Verhältnisse der Rübenzuckeriabnkation und deren Steueriähigkeit,
1853, S. 5 u. a.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 217
haben^ in den 60er und 70er Jahren, um sodann unter fort-
gesetzter Besserung des Zuckerertrags abermals deutlich anzu-
steigen. Es betrug die Durchschnittsrübenernte in den Jahren
1872/75
234 dz pro ha
1876/80
272 „ „ „
1881/85
316 „ „ „
1886/90
296 „ „ „
1891/96
297 „ „ „
1896/1900
305 „ „ „
1901/1906
295 „ „ „
Über die Entwicklung der Erntemengen in den einzelnen
Landesteilen, die recht unterschiedlich ist, gibt die Obersicht auf
S. 99 Aufschluß.
Auf einen Punkt, der aus den Tabellen (vgl. Obersicht auf
S. 111—113) weniger scharf hervortritt, muß besonders verwiesen
werden. Hand in Hand mit der Rassezüchtung machte die
Wanderfähigkeit der Rübe eminente Fortschritte. Während bis
in die 70er Jahre die Ansicht allgemein ist, daß die Zuckerrübe
befriedigende Erträge nur auf sog. geborenen Rübenboden, wie
er sich im Magdeburgischen und Braunschweigischen findet,
zu liefern imstande sei, wandert sie in den 70er und 80er Jahren
aus in die östlich gelegenen Landesteile, in wenigen Jahren
ist der Rübenbau über alle Bundesstaaten und alle Provinzen
Preußens verbreitet und bewährt dabei eine geradezu glänzende
Anpassungsfähigkeit an alle Boden- und Vegetationsverhältnisse.i)
Ähnlich wie die gratifikatorische Behandlung der Ausfuhr für
die Landwirtschaft den Anreiz gegeben hatte zu allen kultur-
technischen und züchterischen Fortschritten und zu dem innigen
Zusammenarbeiten mit der Wissenschaft, so gab jetzt die Be-
seitigung der Materialsteuer die gesunde Basis für die Begründung
der Industrie in allen irgendwie geeigneten Lkudesteilen. Heute
gilt die Zuckerrübe als eine der sichersten Kulturpflanzen.
Bis heute muß die Zuckerrübe als die landwirtschaftliche
Kulturpflanze betrachtet werden, welche das klassische Vorbild
für jede Rassenzüchtung darstellt. Auf keinem Gebiete hat die
Pflanzenveredlung auch nur annähernd einen solchen Triumph
gefeiert, nach dem Urteil der Fachgelehrten*) deswegen, „weil
H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt, S. 6.
«) K. V. Rümker, a. a. O.
218 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
die Oetreidepflanze mit ihren Sonderheiten der Züchtung größere
Schwierigkeiten entgegenstellt als die Zuckerrfibe'^ obgleich die
Qetreidezfichtung an drei Jahrzehnte älter ist als die der letzteren.
I>och um den Erfolg des Rübenbaus zu sichern, mußte die
landwirtschaftliche Wissenschaft schwere Hindernisse der Praxis
aus dem Wege räumen. Es galt hier, der schwergefährdeten
Praxis die Repressiv- und Präventivmaßregeln gegen das Heer
der Rübenkrankheiten und tierischen Schädiger an die Hand
zu liefern. Während der Erfolg fast überall ein befriedigender
war und die Sicherheit des Ernteerträgnisses fortdauernd gehoben
werden konnte, steht die Wissenschaft bis heute einem tierischen
Schmarotzer ziemlich machtlos gegenüber, der dank seiner außer-
ordentlichen Zähigkeit radikaler Bekämpfung äußersten Wider-
stand entgegensetzt und allgemein als der weitaus gefährlichste
Feind des Rübenbaus angesehen wird. Es ist die Rübennematode,
der Erreger der sog. Rübenmüdigkeit, einer Erscheinung, die
sich darin äußert, daß bester Rübenacker nach wiederholtem
Anbau mit Zuckerrüben plötzlich in seinem Ertrage trotz bester
Bearbeitung und Düngung zurückgeht, ja für Rübenkultur voll-
ständig wertlos wird.
Die Rübenmüdigkeit, die man bei ihrem ersten Auftreten
mit einer Erschöpfung des Bodens zunächst zu stützen suchte,
wurde zu Anfang der 60er Jahre erst öfters beobachtet. J. Kühn
war damals der erste, der die Ansicht aussprach, daß die Nematoden,
weiche Schacht 1859 schon beobachtet und beschrieben hatte,
„in vielen Fällen da, wo man von Rübenmüdigkeit des Ackers
rede, die alleinige Ursache der Abnahme der Erträge seien."*)
Mittlerweile gewann die Rübenmüdigkeit eine geradezu er-
schreckende Ausdehnung, von der man eine Vorstellung durch
die Äußerung Rimpau's auf der Generalversammlung des Vereins
für die Rübenzuckerindustrie des Jahres 1868 erhält, die besagt,
daß in nächster Umgebung Magdeburgs von 25 Zuckerfabriken
24 infolge gänzlichen Mißratens der Ernten auf Grund der Rüben-
müdigkeit ihren Betrieb einstellen mußten. Eine starke Depression
in den beteiligten Kreisen der Industrie und Landwirtschaft war
die Folge. Da gelang J. Kühn durch umfangreiche Versuche
1876—84 der Nachweis, daß tatsächlich die Nematode als Erreger
^) Vereinszeitschrift 1879, S. 96. — O. Liebscher, Ober die Be-
ziehungen von Heterodera Schachtii zur Rübenmfidigkeit, Diss. Halle 1879.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 219
der Rübenmiidigkeit zu betrachten sei, anderseits fand er auch
eine Reihe von Anhaltspunkten für die Bekämpfung dieser un-
heilvollen Erscheinung, die allerdings mehr auf vorbeugende als
auf hindernde Maßnahmen hinausliefen. Durch 5 jährige An-
wendung gewisser Fangpflanzen glückte es ihm, vollständig rüben-
müden Äckern wieder zur alten Ertragsfähigkeit zu verhelfen,
so daß er konstatieren konnte, „daß die von ihm übernommene
Aufgabe im wesentlichen als gelöst anzusehen sei.^'^ Ober den
gegenwärtigen Stand der Nematodenfrage äußert sich Rümpler')
etwa so: Man vermag bisher nicht, den Übelstand ganz zu be-
heben, doch kann man den Schaden mildern, indem man zu-
nächst Sorge trägt, daß sich die Nematoden nicht verschleppen.
Besserung ist möglich durch starke Düngung mit Kalk, lang-
jähriges Ausschalten des Rübenbaus und aller anderen Nematoden-
nährpflanzen, dafür Anbau solcher Pflanzen, welche dem Parasit
keine Nahrung geben. — Aus den Durchschnittserträgnissen ein-
zelner Provinzen läßt sich Nematodenschaden heute kaum nach-
weisen. (Vgl. Tabelle auf S. 99.)
Reiche Fundgruben wissenschaftlicher Forschung, deren Aus-
beutung den praktisch-wirtschaftlichen Betrieb der Rüben bauen-
den Landwirtschaft in günstigster Weise bejeinflußte, gaben die
Fragen der Rübenkonservierung, der wirtschaftlich rentabelsten
Verwertung der Abfallprodukte aus der Rübenwirtschaft und der
Zuckerfabrik, und andere, auf die auch nicht andeutungsweise
hier eingegangen werden kann. Gerade diese Untersuchungen
unterstützten aber sehr wesentlich den wissenschaftlichen Fort-
schritt auf dem Gebiet, welches von der neuen Wissenschaft
lange Zeit im Gegensatz zur Pflanzenphysiologie etwas stief-
mütterlich behandelt worden war, die Tierphysiologie. Die Rüben-
wirtschaften waren es, aus denen heraus bald das Bedürfnis
und Verständnis für die chemische Untersuchung der einzelnen
Futterstoffe und ihre Nutzbarmachung im tierischen Körper, Auf-
stellung von Futtertabellen u. dgl. erwuchs, während sie gleich-
zeitig mit der Rassezüchtung zur Verbesserung der einheimischen
Nutzviehschläge mit Erfolg vorgingen. In manchen Distrikten
ist deutlich zu erkennen, wie auch in dieser Hinsicht die Rüben-
wirtschaft geradezu vorbildlich für alle anderen Betriebe gewirkt hat.
Vereinszeitschrift 1884, S. 140.
«) Dr. A. Rümpler, a. a. O., S. 137.
220 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
So sind denn alle die Einzelzüge, welche wir im Wesen
und in der technischen Entwicklung des Rübenbaus zu erkennen
vermochten, auf einen einheitlichen Orundton gestimmt: Die Ein-
führung und die Entfaltung der Zuckerrübenkultur in Deutschland
hat den unmittelbaren Anstoß und die fruchtbarste Pflegestätte
gegeben für die Begründung des wissenschaftlich-rationellen Ver-
fahrens anstelle des empirischen. Wie im Werdegang des agri-
kulturtechnischen Fortschrittes manche Züge wahrnehmbar sind,
die eine Art Wiederschein sind von den Konturen und Richtungs-
linien, welche der Entwicklungsgang der Technik der Rüben-
verarbeitung offenbarte, so besteht auch in beiden Fällen in
dem Effekt der Leistung eine gewaltige innere Ähnlichkeit: Hier
wie dort hat die durch die Wissenschaft modifizierte Technik
zweifellos in den Qrundsätzen der Wirtschaftsführung den kapita-
listischen Einschlag kräftig in den Vordergrund geschoben. Der
Grundsatz des Erwerbsstrebens nach höchstem Gewinn, der nicht
immer mit den in der gewerblichen Produktion gültigen Mitteln
in der Landwirtschaft vertreten zu werden vermag, gewinnt be-
sonders durch die Rübenwirtschaft ein Heimrecht in der land-
wirtschaftlichen Produktion. Ehirch eine Annäherung an kapita-
listische Tendenzen in Ausdrucksformen, wie sie der Eigenart
des landwirtschaftiichen Betriebs entsprechen, wird in der Rüben-
wirtschaft in der Tat ein neuer Stil der Bodennutzung geschaffen,
der fermentartig auf andere Teile der landwirtschaftlichen Ur-
produktion im Sinne einer Intensivierung wirkt. Es kann des-
halb wohl der Rübenbau in Deutschland als einer der wirk-
samsten Faktoren betrachtet werden, welche den zerstörenden
Wirkungen der landwirtschaftiichen Krise im letzten Viertel des
19. Jahrhunderts am besten widerstanden und den t'Jbergang
zu einem neuen Status begünstigt haben. Es ist ein eigenes
Schauspiel, daß die Technik, welche an jener Krise gewiß nicht
unbeteiligt war und welche gerade in den ersten Jahren der
wirtschaftlichen insbesondere auch landwirtschaftlichen Depression
auf dem Gebiete der Zuckerverarbeitung mit äußerster Energie
im Großbetrieb vorwärts drängte und sich gegenüber der Sphäre
der Rohproduktion immer eifriger — zunächst durch die Form
der Aktiengesellschaft mit Verpflichtung der Aktionäre zur Rüben-
lieferung — verselbständigte, daß eben diese Technik auch die
Mittel lieferte, um jene Kluft, die sie gerissen hatte, zu über-
brücken, indem nun in den Rübenwirtschaften, durch sie dann
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 221
In dem ganzen Bereich der Landwirtschaft jener neue Qeist
des Wirtschaftens mit neuen durch die Wissenschaft umgestalteten
oder gar erst geschaffenen Mitteln einzieht. Dem innersten Wesen
nach stehen sich in der Räbengewinnung und der Rübenverarbeitung
deutlich zwei Welten gegenüber, die zwar eine jede in ihren
eigenen Bahnen rollt, um die sich aber trotzdem ein gemein-
sames starkes Band knüpft: Ihr Evolutionsgedanke sucht in
einer einheitlichen Richtung seinen Weg. Diesen aber sehen
wir in der Technik, welche aus einer tiefen wissenschaftlichen
Erkenntnis von Kraft und Stoff und aus dem Begreifen des wirt-
schaftlichen Seins, dem Blick und dem Instinkt für die höchsten
Formen der Ökonomie heraus geboren wird.
Aber auch nach der anderen Seite erkennen wir einen Zentral-
punkt. Wir wissen, daß die Auslösung des höchsten technischen
tWoUens und Vollbringens in der Rübenverarbeitung zunächst
zustande kam. Die Steuer, später der gratifikatorische Charakter
der Ausfuhrbehandlung war die Grundsäule des Vergewaltigungs-
prozesses, der den Schwachen zermürbte, den Starken stärkte,
um neue Steuerzuschläge von ihm zu erpressen. Der engste
Anschluß der Verarbeitung an die Rohstoffgewinnung woirde
zur Existenzfrage und damit die Lockung des Gesetzes auf die
Rohproduktion folgerichtig ausgedehnt. Der Fabrikant scheute
sich selbst nicht, hinzugehen und der Landwirtschaft neue Vor-
stellungen von Wert und Unwert ihrer Leistung zu imputieren,
bis sie stark genug und in wissenschaftlicher und kapitalistischer
Erkenntnis reif genug war, um sich auf eigene Füße zu stellen
und eine neue Ära der Wirtschaftsführung auch hier herauf-
zuführen.
Läßt sich schon aus dem Gesagten auf die allgemein volks-
wirtschaftliche Bedeutung des Zuckerrübenbaus ein Ausblick ge-
winnen, so fordert die Würdigung seiner volkswirtschaftlichen
Tragweite eine Ergänzung sowohl in privat- wie in staatswirt-
schaftlicher Richtung. Zunächst ist auf die Steigerung der Boden-
produktivität hinzuweisen, deren Hebung der Bruch mit der Drei-
felderwirtschaft eingeleitet hatte. Sie fand ihre Fortsetzung in
der Fruchtwechselwirtschaft, auf den sich die Rübenwirtschaften
stützten, und endete bei der freien Wirtschaft. Verstimmt durch
die häufigen Mißerfolge, welche der Kartoffelbau solange brachte,
bis es glückte, auf dem Wege der Rassezüchtung widerstands-
fähige und ertragsreiche Sorten 4ieranzuziehen, anderseits auch
222 . Zttckerrabenbatt und Landwirtschaftsbetrieb.
wegen der vorzäglidien Chancen, welche die Rübenkultur dem
Landwirt bot, fing man an, auf schweren Böden die Rübe als
Hackfrucht vor der Kartoffel zu bevorzugen, so daß auf ihr
Konto in vielen Landstrichen der überwiegende Anteil an der
Ertragssteigerung gesetzt zii werden verdient. Die Steigerung
der Qualität und der Quantität der geernteten Rübenmengen und
Hand in Hand damit der Fortschritt in der fabrikmäßigen Ver-
arbeitung, Momente, welche die Menge der pro IHächeneinheit
gewonnenen Zuckermenge stark wachsen ließen, machen nur
einen Teil der Steigerung der Produktivität des Bodens aus, auf
die möglicherweise die Produktivität der Arbeit nicht ohne Ein-
fluß gewesen ist. Mindestens ebenso hoch ist die so bewirkte
indirekte Förderung der Bodenkultur zu veranschlagen, die in
der intensiven Bodenbearbeitung und der reichlichen Verwertung
mineralischer Dungstoffe beruhend, sich in einer unerhörten
Steigerung der Ernteerträgnisse insbesondere der Kornfrüchte und
der Kartoffel ausspricht i) E>en Oesamteffekt dieser allgemeinen
Verbesserung des Landwirtschaftsbetriebs, der zum größten Teil
auf Konto des Rübenbaus zu setzen ist, veranschlagt Professor
Delbrück für das 19. Jahrhundert bei der Körnerernte allein
schon auf das Doppelte. „Wird hinzugefügt der Hackfruchtbau,
ein reiner Zuwachs und in der Substanzmenge der Körneremte
gleich, so ist das Ergebnis, die landwirtschaftliche Erzeugung
hat sich yervierfacht."*)
Wir wollen uns auf wenige Daten beschränken, welche ein
Bild geben von dem Tempo, mit dem der Prozeß der Intensi-
vierung bezw. Produktionssteigerung sich durchsetzte.
Nach einer Notiz im Korrespondenzblatt des Bundes der
Landwirte wurden auf dem Oute Friedrichshof jährlich im Durch-
schnitt geerntet:»)
1782—1791 1010 Scheffel Getreide
1801—1811 2232
1821—1831 3214
1841—1851 3951
1) Sehr interessante Punkte bringt der Bericht einer Studienkom-
mission aus Malchin: ^Betrieb der Landwirtschaft in Sachsen und An-
halt«. Abgedruckt in der Vereinszeitschrift, 1879, S. 764 ff.
«) Delbrück, a. a. O. — Vergl. auch S. 202.
*) Vgl. Backhaus, Zur Verbilligung der landwirtschaftlichen Produk-
tion. In der Festschrift zum 70. Geburtstage von Jul. Kühn, 1895.
Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
223
1861—1871 5076 Scheffel Getreide
1871—1881 5044
1881—1891 7645
Seit 1851 wurden ferner noch bedeutende und immer steigende
Massen von Kartoffeln und Futterrüben geerntet; »^seit 1893 wurde
Mineraldung angewendet, der zeigte, daß 1895 schon die Er-
träge von Getreide bequem auf 10000 Scheffel zu steigern waren/'
Daß gerade in den letzten 30 Jahren der Fortschritt besonders
glänzend in der deutschen Landwirtschaft war, zeigen die in
den Landwirtschaftlichen Jahrbüchern niedergelegten Forschungen
Thiels.^ Danach hoben sich im Deutschen Reich die Weizen-
erträge von 1880—90 um 10 o/o, die des Roggens um 4 o/o,
1891—1900 dagegen die des Weizens um 10 o/o, die des Roggens
um 19 o/o, der Gerste um 3 o/o, der Kartoffeln um 25 o/o.«) Ferner
stellte Thiel hinsichtlich der Roherträge') in der Provinz Sachsen
für 1880 und 1900 folgende Zahlen fest Auf 1 ha wurden
geerntet:
Winterweizen
Winterroggen
Hafer . . .
Kartoffeln . .
Zuckerrüben .
Zuckergehalt derselben
er. 1880
2400 kg
2000 „
2400 „
14000 „
30000 „
12,5 7o
er. 1900
3600 kg
3000 „
3600 „
20000 „
36000 „
16%
Es ist schon angedeutet worden, daß mit den beschränkten
materiellen Mitteln der Landwirtschaft alten Stils sich diese be-
deutenden Ertragswerte nicht erzielen ließen. Der ungewöhnlich
hohe Arbeitsaufwand pro Flächeneinheit ist der Hauptgrund für
die hohe Steigerung des Wirtschaftsaufwandes in den Rüben-
^) Vergl. auch die Gutsgeschichte von Schlanstädt bei Dr. Trau-
gott Mueller, Die deutsche Landwirtschaft auf der Weltausstellung in
Paris 1900, S. 31 ff.
*) Beim Roggen wird die stärkere Steigerung kn letzten Dezennium
damit begründet, daß die Hochkultur auf die Roggenanbaugebiete sich
erst später fibertragen hat. Bei der Gerste stand nicht die Gewichts-
zunahme, sondern die Verbesserung der Beschaffenheit als Braugerste
im Vordergrund. Bei der Kartoffel hingegen ist die Ertragserhöhung
als ein unmittelbarer Erfolg der Verbreitung ertragsreicher und gegen
Krankheit widerstandsfähiger Sorten zu betrachten.
') Vergl auch Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der deutschen
Landwirtschaft, IL Bd. S. 255 ff. und S. 337 ff.
224 ZuckerrQbenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
wirtschaften. Thiel berechnete diesen um 1900 unter Voraus-
setzung der Stallmistdüngung für die verschiedenen Fruchte, je
nach den Bodien-, Klima- und Wirtschaftsverhältnissen ohne Be-
rechnung der Bodenrente, aber einschlieBlich der Verzinsung auf
ein Hektar zu folgenden Näherungswerten:
Aufwand in Mk.
größter kleinster mittlerer
Weizen 430 275 325
Roggen 350 200 300
Gerste 370 200 250
Hafer 370 180 235
Hülsenfrüchte und Mähklee 200 150 175
Weideklee 70 40 60
Zucker- und andere Rüben 750 350 550
Kartoffeln 650 400 450
Der Zuckerrübenbau steht in der Tat im Mittelpunkt der
am intensivsten bewirtschafteten Landwirtschaftsbetriebe Mittel-
europas. Eine Vorstellung von dem gegenüber weniger inten-
siven Anbaumethoden riesig gesteigerten Aufwand^) an Be-
triebskapital gibt die beigefügte Übersicht
Für 1900 wurde für ein Hektar Ackerland veranschlagt
das Oesamtbetriebs- davon umlaufen-
kapital zu Mk. des Kapital zu Mk.
in sehr intensiven Betrieben . . . 600 250
in intensiven Betrieben zwischen . 400—600 200
in mittelintensiven Betrieben zwischen 300—400 150
in mittelextensiven Betrieben zwischen 200—300 1 00
in extensiven Betrieben unter . . . 200 50
Mit der gewaltigen Kapitalsverdichtung auf die Flächeneinheit
bebauten Landes ging eine Steigerung des Reinertrags Hand
in Hand, wie viele Untersuchungen dargetan haben. Für seine
Entwicklung kann als annähernder Maßstab die Bewegung der
Kauf- und Pachtpreise der Güter angenommen werden, deren
seit 1830 etwa kontinuierlich ansteigende Tendenz für die Ent-
wicklung der deutschen Landwirtschaft als bezeichnend angesehen
werden kann und die nur zum Teil durch die allgemeine Preis-
steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse pflanzlicher und
1) Vergl. auch H. Roth, Ober den Einfluß des Zuckerrübenbaus auf
die Höhe der landwirtschaftlichen Kapitalien. Diss. Leipzig, 1892.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 225
tierischer Natur motiviert zu werden vermag. Alle Autoren be-
richten, daß nicht nur in der Gründerzeit der Rübenzuckerindustrie,
sondern auch in den folgenden Jahrzehnten vorzüglich in den
eigentlichen Rübengegenden abenteuerliche Preise bei Pacht und
Kauf bezahlt wurden, welchen langsam erst mit zunehmender
Intensivierung die in Nichtrübengegenden gezahlten Sätze nach-
hinkten. Es betrug der jährliche Pachtzins auf den kgl. preußischen
Domänen auf den Morgen^
1849 1,19 Tlr.
1864 1,89 „
1867 2,11 „
Steinbrück») gibt die Bodenpreisgestaltung pro Hektar in
Mark wie folgt an:
Prov. Sachsen
Landgüter Rittergüter
1801—1820 488,07 736,50
1821—1840 602,09 839,79
1840—1860 1151,44 1216,55
1861—1880 2199,73 2134,71
1881—1898 3467,32 2944,78
Nach dem Jahresbericht der Landwirtschafts-Kammer der
Provinz Posen für 1900 zahlte die Ansiedlungskommission im
Durchschnitt 814 Mk., im Jahre 1899 824 Mk. pro ha. Das
entspricht etwa dem SOfachen Qrundsteuerreinertrag. In den
eigentlichen Rübengegenden, besonders in den Kreisen Inowrazlaw
und Strelno, wo die .Wirtschaften auf derselben Höhe stehen
wie in Sachsen, konnte n^n 1903 kein Rittergut unter 1320 Mk.
Prov.
Posen
Mittelbesitz
GroBbesitz
232
268
171
149
303
307
592
538
687
539
Aug. Meitzen, Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhält-
nisse des preußischen Staates, III. Bd. S. 420. — Meitzens Ausführungen
gipfeln in der Bemerkung (S.423): „In der Gesamtbeurteilung der Stei-
gerung der Guts- und Pachtpreise stimmen alle Meinungen und Er-
fahrungen darin über ein, daß die Preise seit dem niedrigen Stand der
zwanziger Jahre sich bis 1830 nur allmählich zu heben begannen, von
da an im raschen Aufsteigen blieben, welches zwar in den Mißjahren
1846/47 und durch die besonders auf die ländlichen Verhältnisse zurück-
wirkenden Unruhen 1848 auf kurze Zeit unterbrochen wurde, durch die
Umgestaltung der Wirtschaftssysteme aber, durch Rüben- und Lupinen-
bau und durch den Einfluß der Eisenbahnen einen immer lebhafteren
Fortgang nahm.*
«) C. Steinbrück, Entwicklung der Preise des städtischen und länd-
lichen Immobilienbesitzes zu Halle und im Saalekreis.
Schuchart, Zuckerindustrie. 1^
226 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
pro Hektar kaufen. „Die Bodenpreise beim Mittelbesitz sind
noch höher."!)
Für dije Richtigkeit der Behauptung, daß die allgemeine
Preissteigerung für landwirtschaftliche Erzeugnisse die hohen
Pacht- und Kaufpreise nicht durchweg zu begründen imstande
ist, spricht der Umstand, daß trotz der schweren Krise, in welche
die deutsche Landwirtschaft mit dem Einbruch ausländischer
Konkurrenz auf den von ihr bis dahin fast konkurrenzlos aus-
gebeuteten Markt geriet, die Pachtschillinge ihre Aufwärtsbewegung
meist noch fortsetzen konnten und erst in neuester Zeit ab-
bröckelten.
Freilich hat die gar zu optimistische Voraussetzung der hohe
Preise zahlenden Käufer, welche während der landwirtschaftlichen
Hochkonjunktur weit verbreitet war, daß sich nämlich die Renta-
bilität der Bodennutzung noch eine Weile mit relativ geringer
Mühe steigern lassen werde, mit dem Eintritt der großen Krise
Ende der 70 er Jahre in sehr vielen Fällen ein klägliches Fiasko
erlitten, und es muß gesagt werden, daß gerade die für den
Rübenbau in Betracht kommenden Ländereien schon in den
40er Jahren, erst recht aber nach Eintritt der gratifikatorischen
Steuerrückvergütung außerordentlich überkapitalisiert wurden.
Mancher Landwirt mußte so später Schiffbruch leiden, schon
deshalb, weil es an der unter dem Steuerdruck unablässig wachsen-
den Kapitalsmenge sehr bald fehlte, welche die Etablierung einer
mit gesteigerter Intensität betriebenen Wirtschaft notwendig machte,
ein Mangel, dem durch Verbesserung und Verbilligung des land-
wirtschaftlichen Kredits nur teilweise abgeholfen werden konnte.
Anderseits ging der schwierige Prozeß, dem kleinen Landwirt
die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung plausibel und
für seine Verhältnisse anwendungsfähig zu machen, wegen des
:*) B. Amrogowicz, Die Zuckerindustrie in der Provinz Posen. Diss.
München 1903, 8.51.—^ Die Rolle, welche die Rübenindustrie in der Ent-
wicklungsgeschichte der Provinz Posen spielte, ist durch eine ganze
Reihe Arbeiten meist neueren Datums klargestellt worden. Es mögen
hier genannt sein: Joh. Graf Szoldrski: Die landwirtschaftliche Ent-
wicklung der Provinz „Großherzogtum Posen« 1772—1900, Diss. München
1903. — J. v.Trzinski, Russisch-polnische und galizische Wanderarbeiter im
Großherzogtum Posen, 1906. — B. v. Brodnicki, Beiträge zur Entwicklung
der Landwirtschaft in der Provinz Posen, 1893. — K. Kärger, Die Sachsen -
gängerei. Jahrbücher der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, 1890. —
Festschrift d. Handelskammer Posen, 1901.— Frankfurter Ztg.,22. Sept. 1906.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 227
ungeheuren .Widerstandes der notorisch hier höchst zähen Tra-
dition trotz aller Fortschritte auf dem Gebiete des landwirtschaft-
lichen Vereins- und Unterrichtswesens nur langsam von statten,
so daß es oft genug an der unerläßlichen Vorbildung für die
Organisation eines den neuzeitlichen Verhältnissen angepaßten
Wirtschaftsbetriebs fehlte. Schließlich aber wurde die Lage des
Landwirts, der zu teuer gepachtet oder gekauft hatte, durch einen
Machtfaktor offensichtlich verschlechtert, dessen hervorragende Be-
deutung für den Betrieb im Zeitalter des Verkehrs und der zu-
nehmenden Industrialisierung er in den wenigsten Fällen vor-
ausahnen konnte, der allein genügte, seinen auf moderne Be-
dürfnisse zugeschnittenen Wirtschaftsplan tief zu beeinflussen,
wenn nicht gar über den Haufen zu werfen. Es war die steigende
Schwierigkeit, ländliche Arbeiter zu beschaffen, und das damit
stark belastete Lohnkonto. Der intensiver gestaltete Betrieb hat
regelmäßig eine Steigerung des Arbeitsaufwandes zur Folge.
Dieser aber kann nur zum Teil trotz rationellster Anwendung durch
Maschinenarbeit geleistet werden. Gelingt es auch, die Zahl der
Arbeiter zu reduzieren, so wird doch die relative Erhöhung des
Lohnkontos besonders drückend empfunden, da bei ausgiebiger
Verwendung der Maschine für ihre Tilgung und Verzinsung bei
ihrer recht mangelhaften Ausnutzbarkeit ein erklecklicher Teil
des Bruttogewinnes zu reservieren ist.
Die mit dem Abflauen der landwirtschaftlichen Hochkon-
junktur in Deutschland sich einstellenden verhängnisvollen Folgen
der Überkapitalisation sind zweifelsohne zu sehr großem Teil
auf Konto der maßlosen Erwartungen zu setzen, welche der
Landwirt für den Rübenbau hegte. Trotzdem kam er bei der
immer bedenklicher um sich greifenden Verschuldung im ganzen
noch besser weg, als der lediglich auf Kornfruchtbau angewiesene
Landwirt, der das Anziehen der Pacht- und Kaufpreise ganz
ebenso zu fühlen bekam und der den Übergang zu intensiverer
Wirtschaftsweise erst bewerkstelligen mußte, welche der Rüben-
bauer in wirtschaftlich günstigerer Zeit sich hatte zu eigen machen
können. Ähnlich wie zur Zeit der gratifikatorischen Steuerrück-
vergütung immer der Zuckerproduzent, der mit der besten und
rationellsten Technik arbeitete, einen größeren Gewinn erzielte
als sein Nachbar, der bei der rückständigeren Methode verblieben
war, und dadurch eine wesentlich höhere wirtschaftliche Stoß-
kraft gewann als dieser, so ging es nun dem Landwirt, der sich
228 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
bei Zeiten auf den Rübenbau verlegt und der den mit erhöhter
Kapitalsinvestierung erreichten großen wirtschaftiichen Vorsprung
vor den Nichtrübenwirtschaften mit Vorteil zu nutzen verstanden
hatte. Er hatte ^inen Ruckhalt an den angesammelten oder im
Betrieb liegenden Reserven, die er zur Zeit der glänzenden Kon-
junktur hatte anlegen können, die ihm über eine Anzahl Jahre
des Rückschlags hinweghelfen konnten.^) Dabei traf ihn der
Preissturz der Kornfrtichte, hervorgerufen durch den Import^
lange nicht so hart, da die Mannigfaltigkeit seiner Erzeugnisse
dem wirtschaftlichen Gesamtergebnis eine höhere Stabilität
sicherte. Dann gab auch der glänzende Erfolg der Samenzüchtung
und der damit gesteigerte Sicherheitsgrad des Ernteausfalls neben
der durch sachgemäße mineralische Düngung und bessere Boden-
bearbeitung erzielten Ertragssteigerung und der erhöhten Aus-
nutzung der Abfallprodukte der Fabrik dem Rübenbauer die
Möglichkeit, der Verschuldungsgefahr durch eine höhere Ertrags-
quote zu begegnen. Eins der wertvollsten Schutzmittel gegen
die unheilvollen Folgen der Dberkapitalisation ist aber vielleicht
darin zu suchen, daß der so mit höchster Intensität wirtschaftende
Landwirt vor allen andern mehr extensiv arbeitenden Wirtschaftern
dazu angehalten war und gelernt hatte, sich zahlenmäßig über
den Erfolg des Betriebs Aufschluß zu verschaffen: seine Orga-
nisation fußte auf dem Boden der Berechnung, einer gerade bei der
landwirtschaftlichen Produktion oft mühevollen, kalkulierenden
Überlegung, während der Durchschnittslandwirt bis auf den heu-
tigen Tag seine Gestehungskosten überhaupt nicht oder nur in
sehr oberflächlichen Überschlagsrechnungen festzustellen gewohnt
ist. In der möglichst exakten Erfassung aller im landwirtschaft-
lichen Produktionsprozeß auftretenden Faktoren beruht ähnlich
wie in der Industrie eine vorzügliche Möglichkeit, die .Wirtschaft
zu verbessern und in ihrem Bestände zu sichern.
Heute liegen die Dinge so, daß im Kernpunkt der landwirt-
schaftlichen Krise die Verschuldungsfrage steht. Zwar haben dazu
auch mancherlei Fehlschläge beigetragen, welche sich aus der
Tatsache ergeben, daß die Frage der Ersatzwirtschaft heute zu
einer reinen Geldfrage geworden ist. Erst in der neuesten Zeit
scheint man sich wieder darauf zu besinnen, daß bei Käufen,
*) Die Betriebe waren keineswegs selten, welche trotz und wegen
fortgesetzter Neueinrichtung jahrelang mit 50 bis 100 »/o rentierten.
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb.
229
Teilungen usw., wo die ausschließlich landwirtschaftliche Be-
nutzung außer Zweifel steht, der Reinertragswert zu Grunde zu
legen ist, wenn anders keine Spekulationszwecke verfolgt werden.
Für die Verschuldung des ländlichen Grundeigentums hat man für
Preußen eine ganz bedeutende Zunahme nachweisen können:
Während auf 1 Mark Grundsteuerreinertrag 1883 eine durchschnitt-
liche Schuldenlast von 23,59 Mark entfiel, stellte sie sich 1893
auf 29,24 Mark, gleichbedeutend einer Zunahme von ca. 24o/o.
Eine Untersuchung über die Frage wäre sehr verdienstvoll, wie
sich die Verschuldung in Distrikten vorwiegenden Rübenbaus
entwickelt hat. Eine Ausgliederung nach Provinzen liefert aller-
dings Anzeichen dafür, daß hier der Grad der Verschuldung
ein erheblich niedrigerer ist als da, wo extensive Bewirtschaftungs-
arten vorwiegen, daß also trotz der sehr hohen auf die Flächen-
einheit entfallenden Kapitalsgrößen sich die Verschuldung in be-
deutend engeren Grenzen bewegt. Vgl. die folgende Tabelle.
Verschuldung im Verhältnis des Schätzungswertes.
Gruppe II Besitzungen von 500 u. mehr Thaler Orundsteuerreinertrag
„ III „ „ 100-500
„ IV ., „ 30—100
Von je 100 Gütern sind in der Besitzgruppe
II 111 IV
'i
&8
1 'S
IS
•M CO
6«
des Schätzungswertes verschuldet
Ostpreußen
Westpreußen . . . .
Brandenburg . . . .
Pommern
Posen
Schlesien
Sachsen
Schleswig-Holstein
Hannover
Westfalen
Hessen-Nassau . . .
Rheinland
Preußen
38,83
44,13
61,64
37,57
32,35
57,93
87,50
75,45
81,82
94,11
nur 11
94,03
61,17
55,87
38,36
62,43
67,65
42,07
12,50
24,55
18,18
5,88
Güter
5,97
79,92
70,68
94,27
80,21
79,27
76,25
96,43
80,52
90,68
95,24
97,79
94,03
20,08
29,32
5,73
19,79
20,73
23,75
3,57
19,48
9,32
4,76
2,21
5,97
88,97
80,76
91,45
77,42
92,38
80,12
94,33
83,79
88,02
85,37
91,26
92,62
11,03
19,24
8,55
22,58
7,62
19,88
5,67
16,21
11,08
14.63
8,74
7,36
57,10
42,90
85,31
14,69
87,67
12,33
230 Die Arbeiterverhältnisse.
2. Kapitel.
Die ArbeitarverUltnlsse.
Wie die Verschuldungsfrage den einen Angelpunkt in der
großen durch allgemeinen Preisrückgang charakterisierten Ent-
wicklungsphase der deutschen Landwirtschaft neuesten Stils dar-
steIlt,so bildet den andern die ländliche Arbeiterfrage. Wie die
Verhandlungen des preußischen LandesökonomiekoUegiums be-
weisen, stehen diese Probleme seit Jahren im Vordergrund des
allseitigen Interesses. Sie stehen in engster Wechselbeziehung
zueinander, und das eine ist in gewissem Sinne nur eine Er-
scheinungsform des andern.
Daß beide Probleme zu unserer Zeit in der äußerst beäng-
stigenden Weise für die deutsche Landwirtschaft akut geworden
sind, hat seinen Orund in der revolutionierenden Macht der
Alleinherrscherin Technik. Sie war es, deren Triumph zu schweren
und immer schwereren Phasen der Überkapitalisation des Bodens
als Produktionsmittel führte und ein Übermaß spekulativer
Momente in jene ursprünglich solider fundierten Unternehmungen
brachte. Sie ist es auch, welche ganz ähnlich, wie in den Formen
der industriellen Unternehmung im Zeichen der Orößenentwicklung
wahrnehmbar war, in der landwirtschaftlichen Produktion eine
Separierung der Intercssens- und Arbeitsgruppen zustande bringt,
eine radikale Zersetzung der in der alten Feudalwirtschaft noch
vollständig geschlossenen gutsherrlichen Wirtschaftsgemeinschaft.
Es ist angedeutet worden, unter welchen Verhältnissen wirt-
schaftlicher Natur jene alten Formen der Gutswirtschaft zerbrachen
und eine neuartige Arbeiterkategorie aus ihren Trümmern her-
vorwuchs. Ihr Auftreten ist für die Gegenden, in denen der
Rübenbau seine erste Pflegestätte fand, von ganz besonderer
Bedeutung. Der periodisch gesteigerte Arbeitsbedarf drängt über-
raschend früh dazu, aus abseits gelegenen Ortschaften Hilfs-
kräfte zu requirieren. Er ist es, der in Zusammenhang mit der
enormen Güterpreissteigerung und dem kolossalen Aufschwung
der Industrie auf die wirtschaftliche, nationale und gesellschaft-
liche Struktur der für die Landwirtschaft verfügbaren Arbeiter-
massen eine grundstürzende Wirkung ausübt.
Dieser Prozeß hat große Ähnlichkeit mit dem bezeichnenden
Wandlungsvorgang, welcher die Einführung des Zuckerrohrbaus
Die Arbeiterverhältnisse. 231
auf den westindischen Inseln hinsichtlich der Arbeitsverfassung
begleitete.^) In den Rahmen des auf mittelalterlichen Anschau-
ungen beruhenden Kolonialsystems, dessen Grundsatz die rück-
sichtsloseste Ausbeutung lebender und toter Produktionsmittel
verkörperte, fügte sich die Sklavenarbeit ohne das geringste Wider-
streben als integrierender Bestandteil ein, und damit war eine
vollständige Umwälzung der Arbeitsverfassung gegeben. Die
Zuckerrohrplantage wurde die erste im großen Stil angelegte
Domäne des kolonialen weißen Großunternehmertums, das,
skrupellos wie es war, sich hier vollständig zwanglos bewegen
konnte, im Sinne kapitalistischer Wirtschaftsgebahrung, insofern
es sein Ziel war, den geistig minderwertigen Schwarzen unter
erbarmungsloser Durchsetzung des Zweckgedankens größtmög-
lichen Gewinns vollständig zu tyrannisieren. Die Analogie mit
der Begründung des Rübenbaus ist leicht zu erkennen: In beiden
Fällen der Triumph des Kapitalismus über eine andere Wirtschafts-
organisation, aber während hier die persönliche Freiheit des In-
dividuums es ist, die eben erweckt, ihn trägt und groß macht,
siegt er in den Tropenländern bis in seine äußerste Konsequenz
und beugt die Arbeiterschaft unter das Joch der Unfreiheit.
Die Ausgangspunkte der Arbeitsverfassung in den nord-
deutschen Rübendistrikten sind schon gestreift worden. Das, was
die allgemeine Aufmerksamkeit zuerst und am nachhaltigsten
fesselte, waren die in kurzer Zeit unerhört gestiegenen Güter-
pacht und -Kaufpreise überall in den Gegenden, in denen sich
der Rübenbau etabliert hatte, ganz besonders in der Provinz
Sachsen. Die glänzenden Wirtschaftsabschlüsse der dortigen
Zuckerfabriken, denen ein sehr gutes Rohmaterial zur Verfügung
stand, reizten den kalkulatorisch arbeitenden Rübenwirt und
Zuckerfabrikanten zu möglichst ausgedehntem Anbau dieser hoch-
rentablen Kulturpflanze. Die Folge war, daß mit den Resten der
Gemeindeländereien, mit Wiese und Wald in kurzer Zeit gründlich
aufgeräumt wurde und das kapitalkräftige Bauerntum in einen
fabelhaften Wetteifer geriet, jeden irgendwie durch Kultur ver-
besserungsfähigen Streifen Landes, mochte er auch nach land-
läufigen Begriffen zu teuer bezahlt sein, zur Bebauung mit Zucker-
rüben umzubrechen. Das leicht begreifbare Bestreben der kaum
gegründeten Rübenwirtschaften, die eingesprengten oder an-
^) P. Leusch, a.a.O. S.44ff.
232 Die Arbeiterverhältnisse.
stoßenden Landstellen landwirtschafflicher Taglöhner und ehe-
maliger Gutsleute zur Vergrößerung und Arrondierung ihrer
Ackerflächen aufzusaugen ^)y war für die Entwicklung der länd-
lichen Arbeiterfrage von schwerwiegenden Folgen begleitet: Eine
große Zahl kleiner Landstellenbesitzer, die einen Teil ihres
Unterhalts auf dem Outshof zu verdienen pflegten, verkauften
ihre Scholle um einen günstigen Preis, und damit wurde die alte
Bindung an den Boden radikal durchtrennt, welche für den Betrieb
der Gutswirtschaft so überaus wertvoll war. „In der Tat in
Gegenden, wo kaum noch ein Streifen Wald und Buschwerk,
.Weide und Brachland geduldet wurde, wo der Gutsherr für den
Morgen 800—1000 Mark Kaufgeld und 40—60 Mark Pacht rechnen
durfte, würde es als verwerflicher Leichtsinn gegolten haben,
wenn man auch nur einen Teil dieses Landes weiter an die Ar-
beiterfamilien zu vorsintflutlichem Gemüse- oder Kartoffelbau aus-
geliefert hätte'^ und indem Weide, Hutungen und Brachland
verschwanden, „hatten die Dienstleute nicht einmal die Möglichkeit
mehr, sich eine Kuh, ein paar Gänse oder Ziegen zu halten.
Meistens wurde ihnen das ausdrücklich verboten. Auch der Wald-
bestand wurde auf das äußerste reduziert, so daß von freier
Feuerung keine Rede mehr sein konnte. Die Landarbeiter wurden
grundbesitzlos, die Naturalbezüge zu reinem Geldlohn." So^
schildert M. Schippel die Entstehung des norddeutschen Land-
proletariers 2), und Zug um Zug finden seine Angaben Bestätigung
bei den Agrarschriftstellern jener Zeit.
Es war gründliche Arbeit, welche die gewaltige Zentripetal-
kraft des Kapitalismus der deutschen Landwirtschaft leistete. So
kam der Typus des Landproletariers zustande, welcher bei der nun
machtvoll einsetzenden Industrialisierung Norddeutschland den
integrierenden Bestandteil des nun erstehenden Industriearbeiter-
volks abgab. Mit dem Wachstum der Industrie schwoll die Flut
der Landflüchtigen, so daß wir auf dem Punkt angelangt sind,
daß die Konjunktur der Industrie als der für den Arbeitsmarkt
der Landwirtschaft entscheidende Faktor angesehen werden muß.*)
In ihrer wirtschaftlichen Wirkung potenziert wurde die Frei-
setzung der ehedem bodenständigen Landarbeiter, soweit sie durch
F. 0. Schulze, a. a. O. S. 67.
^) Max Schippel, Zuckerproduktion und Zuckerprämien. S. 100.
8) Nach Prof. Sering.
Die Arbeiterverhältnisse. 233
Auskauf in jenen Landstrichen intensiver Bewirtschaftung erfolgt
war, durch die sehr starke Bevölkerungszunahme innerhalb dieses
Teiles des Volkskörpers. Abgesehen von der baren Unmöglich-
keit, diesen anschwellenden Volksmassen durch Anstellung in
den landwirtschaftlichen Betrieben zu einer der aufsteigenden
Volkswirtschaft entsprechenden existenzfähigen Beschäftigung zu
verhelfen,, verfehlten die Lockungen der Industrie nicht ihre Wir-
kungen, zumal sie allein schon vermöge eines höheren Grades
der Differenzierung in ihren Arbeitskräften höhere Löhne zu zahlen
imstande ist. Bei ihr fand nun der auch in der ländlichen Bevölke-
rung erwachsende Sinn fortschrittlichen Strebens die Erfüllung
vieler seiner tiefinnersten Wünsche: Der radikale Bruch mit dem
' Herkommen, die Anerkennung des unverfälschten Utilitäts- und
Äquivalenzprinzips, die bessere Entwicklung und lukrative Ver-
wendung intellektueller Fähigkeiten; das waren die Gesichts-
punkte, aus denen heraus der kümmerlich gelohnte Landproletarier
die belebende Hoffnung auf eine besser bezahlte Stellung schöpfte,
für welche die wirtschaftliche, wenn auch nicht die soziale Auf-
steigemöglichkeit wenigstens nicht von vorn herein ausgeschlossen
war.
Naturgemäß hätte die lawinenartig um sich greifende Land-
flucht sich nicht in so kurzer Zeit zu den gewaltigen Dimensionen
auswachsen können, wäre der allgemeinen Industrialisierung nicht
die ungeahnte Entwicklung des Verkehrs zu Hilfe gekommen,
welche den Kulturfortschritt mit überraschender Schnelle in die
entlegensten und rückständigsten Winkel des Landes tnig und
den bisher abgeschieden vom Weltverkehr lebenden Bauer
durch den in verblüffend kurzer Zeit hergestellten internationalen
Austausch von Massengütern unmittelbar an die Weltwirtschaft
anschloß und seine Produkte den Gesetzen unterstellte, welche
für die Preisbildung am Weltmarkt maßgebend sind. Diese Wand-
lung konnte sich nicht ohne tiefgehende Störungserscheinungen
angesichts der fabelhaften wirtschaftlichen und intellektuellen Dif-
ferenzierung und des zähen Festhaltens am Überkommenen in
der Landwirtschaft abspielen.
Daß die nun eintretende .Wohlfeilheit des Verkehrs bei der
einbrechenden Agrarkrise die Massen der ländlichen Proletarier
mit Macht in die Städte und die im Aufblühen begriffenen In-
dustriezentren trieb und den Zersetzungsprozeß der landwirt-
schaftlichen Eigentums- und Arbeitsverhältnisse beschleunigte, ist
234 Die Arbeiterverhältnisse.
ebenso einleuchtend wie die Tatsache, daß sich für die arbeiter-
bedürftige Landwirtschaft zunächst ungeahnte Möglichkeiten er-
gaben, für das zur Industrie abwandernde Kontingent anderweitig
Ersatz zu schaffen. Aus der Mobilisierung in der Kultur rück-
ständiger, in Gebieten extensiverer Bewirtschaftung beheimateter
Volksschichten und ihrer Indienstnahme für die heimische Land-
wirtschaft erwuchs die Institution des Wanderarbeiters. Während
die Reste der grundbesitzlosen eingeborenen Landarbeiter auf
den Gütern meist die dauernd besetzten Posten inne hatten, die
eine gewisse Vertrautheit mit den individuellen Verhältnissen
und Gepflogenheiten zur Voraussetzung hatten, wurde der .Wan-
derarbeiter die regelmäßige Erscheinung überall da, wo ein perio-
disch gesteigerter Bedarf an Arbeit vorlag, und wo für eine auf
Geschicklichkeit, Ausdauer, dagegen weniger auf Intellekt be-
ruhende Spezialisation Raum gegeben war, vor allem also bei
den Feldarbeiten.
Der starken Abwanderung der ländlichen Bevölkerung zur
Industrie stand also der im Verhältnis zu allen anderen landwirt-
schaftlichen Betriebswirtschaften enorm gesteigerte Arbeitsbedarf
der Rübenwirtschaften gegenüber. Da bei ihnen die Sicherung
des notwendigen Arbeiterbestandes für bestimmte, durch das Wachs-
tum der Rübe gegebene Perioden Vorbedingung eines günstigen
.Wirtschaftsabschlusses war, da andererseits trotz der vollkom-
mensten Technik und starker Verwendung von Maschinen die
Schwierigkeit beständig stieg, den im Verhältnis zur Rübenmenge
relativ abnehmenden Bedarf an Arbeitern aus dem lokalen Land-
proletariat zu decken, war der Rübenbauer mittleren und großen
Stils vor allen anderen weniger intensiv wirtschaftenden Land-
wirten gezwungen, die systematische Heranziehung jener dem
Saisonbedürfnis angepaßten Zusatzkräfte in die Wege zu leiten.
Diese fand er da, wo der Intensitätsgrad der Bodennutzung ein
wesentlich geringerer war, und wo keine zahlungsfähigere In-
dustrie den Arbeiterzustrom in sich aufnahm. So wuchs denn
aus den Bedürfnissen der Rübenwirtschaft, welche relativ bessere
Löhne zu zahlen vermochte als die in rückständigerer Verfassung
meist verbliebenen Nichtrübenwirtschaften, und unter dem Einfluß
der fortschreitenden Industrialisierung die Wanderarbeit als
Massenerscheinung hervor.
Nach der Provinz Sachsen richtete sich zuerst jener alljähr-
liche Wanderstrom, und nichts markiert deutlicher seine Genesis als
Die Arbeiterverhältnisse. 235
die ursprüngliche Bezeichnung jener Innenwanderung. Die
Sachsengängerei wurde eine immer regelmäßigere, immer massen-
hafter auftretende Erscheinung. Weiter und weiter schoben sich
die Rekrutierungsgebiete dieser Wanderscharen nach Osten vor,
und längst sind an Sachsens Stelle als Konsumländer für jenen
periodischen Zusatz an Arbeitskraft nahezu alle Gebiete intensiver
^Wirtschaft mit vorwiegendem Mittel- und Großgrundbesitz ge-
treten. Aus der Innenwanderung im Zirkel einer nationalen Wirt-
schaft ist eine regelmäßig sich einstellende, keine Grenzlinie re-
spektierende Völkerwelle geworden, deren Massenverhältnisse sich
nicht nur riesig vergrößert haben, sondern deren Einflußsphäre
sich über den größten Teil von Ost- und Mitteleuropa erstreckt, i)
Die ehedem zutreffende Bezeichnung dieser Wanderbewegung
rechtfertigte sich aus der schon sehr früh weit vorgeschrittenen
Entwicklungsstufe der Bodenkultur, umfaßte doch die Rüben-
verarbeitung in der Provinz Sachsen gemessen an der Gesamt-
menge der im Deutschen Reich einschl. Luxemburg verarbeiteten
Rübenmenge :
1850/51 53,6 Vo 1890/91 31,3 Vo
1860/61 52,7 „ 1900/01 27,6
1870/71 50,7 / 1905/06 26,8
1880/81 46,4 „
Es stellte sich eben hier am frühesten die Unmöglichkeit
heraus, mit den der Landwirtschaft verfügbaren Arbeitskräften
der umliegenden Ortschaften' den riesigen Arbeitsaufwand der
Rübenkultur zu decken, so daß man schon in den 40 er Jahren
gezwungen war, Zusatzarbeiter aus den nächsten Landstrichen
niederer Wirtschaftsstufe und Lebenshaltung zu entnehmen .2) Das
Eichsfeld, der Thüringer Wald, dann Hessen und gewisse Teile
der Mark waren die Gebiete, aus denen sich die ersten Sachsen-
gänger zu rekrutieren pflegten. Diese industriearmen Gegenden
mit zum Teil sterilem Boden, dem der Bauer mit den überkom-
menen Mitteln nur unsichre, kärgliche Erträge abzuringen ver-
mochte, litten schwer unter den Folgen der Übervölkerung. Sie
»
^) Prof. Sering schätzte 1905 die als Wanderarbeiter in der deutschen
Landwirtschaft beschäftigten Russen und Polen auf 150000—160000,
während v. Stojentin die Gesamtzahl des ausländischen Zuzugs auf
300000 beziffert. (Landwirtsch. Wochenschrift für Pommern).
*) Die Zuckerfabrikation, ihr volkswirtschaftlicher Nutzen und ihre
Besteuerung, Halle 1852. 8.8.
236 Die Arbeiterverhältnisse.
vermochten erst unendlich langsam die Nutzanwendung der Liebig-
sehen Theorie der Ersatzwirtschaft auf die Praxis und die sich
anlehnende größere Konzentration von Arbeit auf die Flächen-
einheit des Ackerlandes in neuerer Zeit zu mildern, falls über-
haupt das notwendige Kapital verfügbar war. Hier war der kleine
Bauer froh, der mit einer vielköpfigen Familie sich von einigen
Fetzen Land, wenigen Stücken erbärmlich genährtem Großvieh und
etlichem Kleinvieh erhalten mußte, wenn ein paar lästige Esser,
von deren Beschäftigung er nur unbedeutenden Nutzen zog, von
seinem Tisch wenigstens für die Dauer der Feldarbeiten des
Rübenbaus verschwanden, noch lieber war es ihm aber, wenn sie
nach Beendigung der Getreideernte aus jenen unter günstigeren
natürlichen Verhältnissen arbeitenden Rübenwirtschaften für ein
paar Wochen heimkehren konnten zur Bergung der eigenen spär-
lichen Ernte, um dann zu Anfang oder Mitte Oktober in jene
fruchtbaren CMstrikte zur Rübenernte und zur Arbeit in den Zucker-
fabriken zurückzukehren. Im Februar traten dann diese Zugvögel
den Weg in die Heimat wieder an, falls sie nicht die Industrie zu
besser bezahlter Tätigkeit verlockte oder sie zu freien Berufen
übergingen. So war es früher und so ist es noch heute, nur daß
die Industrie die Siegerin blieb und einen großen Teil jener
Wanderscharen in ihrem Schoß aufnahm.
Mit dem Rücktritt in den Familienverband bringt der Wander-
arbeiter dieses Schlages gerade das mit, was dem kleinen Land-
wirt regelmäßig am meisten fehlt, ein schönes Stück Bargeld,
mit dem er Schulden bezahlt, im besten Falle kommt so der ewig
landhungrige Kleinbauer dazu, ein Streifchen Land zur Abrun-
dung oder Vergrößerung seines Wirtschaftskomplexes zu er-
werben. Es ist nicht zu bezweifeln, daß Rübenbau und -Ver-
arbeitung auf diesem Wege, dadurch daß sie die Wirkung einer
Lohnausgleichung zustande bringen, an der materiellen und auch
an der geistigen Hebung der Bevölkerung kulturell zurückgeblie-
bener Landstriche ganz hervorragenden Anteil nehmen. Aller-
dings spielt diese Kulturleistung mehr in der Vergangenheit,
denn für die Zukunft ist, wenigstens soweit nationale Elemente
in Betracht kommen, in dieser Hinsicht wenig zu erwarten, zumal
sich die industrielle Entwicklung ja auch immer mehr des platten
Landes bemächtigt.
Und doch erheischt dieses Moment ganz besondere Be-
achtung, nachdem jene .Wanderbewegung längst auf den Osten
Die Arbeiterverhältnisse. 237
hinübergegriffen hat, zuerst auf Brandenburg, die Oder- und
Warthebrüche, die deutsch-polnischen Grenzmarken, dann auf
Russisch-Polen und Nordgalizien, und als die Wanderzüge nur
noch zum kleineren Teil sich nach Sachsen wandten, dafür aber
sich in alle mitteldeutschen Rübengegenden ergossen, im Westen
bis in die französischen Grenzlande, im Süden bis tief nach Baden
vorstießen. Und nicht mehr die Rübenkultur lediglich ist es,
die jene fluktuierenden Massen an sich zieht, und nicht mehr
iWestelbien allein: In der Zeit allgemeiner Intensivierung macht
sich die Ländwirtschaft allenthalben die Wanderarbeit zu nutze,
und mit dem Vordringen der Rübenkultur in die ostelbischen
Provinzen werden von den dortigen Großbetrieben, deren eigene
Landarbeiter sich immer mehr dem industriereichen Westen zu-
wenden, kolossale Arbeitermengen des über die Grenze herein-
brechenden Alenschenstroms absorbiert. Es ist ein gewaltiges
Stück Kulturarbeit, welches der deutsche Rübenbau an der Wander«
arbeiterschaft neueren Stils alljährlich leistet, welches aber für
das deutsche Volkstum einen unwiederbringlichen Verlust dar-
stellt. Der volkswirtschaftliche Gewinn jener Leistung kommt
heute in starkem Maße fremden Nationen zugute.
Sind auch die nationalen Gegensätze zu groß, um eine Hinaus*
Schiebung der deutschen Sprachgrenze gegen Osten möglich er-
scheinen zu lassen, so hat doch die weitgehende Anerkennung
des Äquivalenzprinzips in der Lohnarbeit, jenes Bewußtsein, im
Verhältnis zu der geleisteten Arbeit gelohnt zu werden, trotz
aller Mißstände, die dem „freien" Arbeitsvertrag noch anhaften,
einen hohen Einfluß auf eine Bevölkerungsschicht, die vielleicht
Jahrhunderte hindurch ohpe die Initiative freier Wirtschafts-
entfaltung in wirtschaftlicher Knebelung durch ein Herren-
geschlecht als inerte Masse dagelegen hat. Ist es doch eine regel-
mäßige Beobachtung, daß die temporäre Verpflanzung der unter
den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zuständen ihrer Heimat
nie zur vollen Leistungsfähigkeit angestachelten Arbeiter in einem"
fortschrittlich entwickelten Wirtschaftsbereich bis dahin latente
Qualitäten zum Vorschein bringt, welche für die Nutzbarmachung
der Arbeitskraft in hervorragendem Maße beachtenswert er-
scheinen, i) Aus jenem Äquivalenzprinzip, das in dem Gedanken
1) K. Kärger, Die Sachsengängerei. Jahrbücher der deutschen Land-
wirtschaftsgesellschaft 1890. .
238 Die Arbeiterverhältntsse.
des freien Arbeitsvertrages zumal bei Entlohnung im Akkordsystem
enthalten ist, fließt andererseits aber auch unmittelbar das Streben
nach Ausnutzung der vollen Fähigkeit, womit ein höherer Wir-
kungsgrad der Arbeit erzielbar wird, der im Interesse des Arbeit-
gebers, aber auch des Arbeitnehmers liegt Der Arbeiter lernt
bewußt, durch Hebung der Beschaffenheit seiner Leistung unter
Nutzbarmachung seines Intellekts auf die materielle Verbesserung
seiner Position hinzuarbeiten.
Wesentlich schneller, als sich der erzieherische Einfluß für
die Hebung des Kulturzustandes der Wanderarbeiter entsenden-
den Landstriche auf die Volksgesamtheit zu übertragen pflegt,
stellen sich die für die Entwicklung der Konsumtions- und
Produktionskraft nicht zu übersehenden Konsequenzen wirtschaft-
licher Natur ein, die sich in einem Hinaufschrauben des Niveaus
der Lebenshaltung manifestieren. Der längere Aufenthalt in einem
wirtschaftlich gehobenen Lande, in dem Produktion und Kon-
sumtion oft ganz anderen Wirtschaftsgesetzen unterliegen, und
die Industrie eine Verbilligung vieler wichtiger Massenartikel zu-
wege bringt, mehrt die Zahl der Bedürfnisse einer rückständigen
Volksschicht. Zusammen mit dem Bewußtsein höherer Leistungs-
fähigkeit verbleibt der Wunsch nach Aufrechterhaltung jenes
Standard of life, auch nach Rückkehr in den heimischen Wirt-
schaftsbetrieb. Damit ist aber für die Hebung der Arbeitsqualität
der wichtige Übergang von der materiellen Wirkung zur im-
materiellen gegeben: Der Mensch, der Bedürfnisse hat, die er
in einer rückständigen Volkswirtschaft unter legalen Umständen
nicht von seinem Lohn zu befriedigen vermag, wird durch qualita-
tive Erhöhung seiner Leistung einen besseren Lohn sich zu ver-
schaffen streben, was dadurch möglich ist, daß er eine Be-
schäftigung wählt, welche neben der physischen intellektuelle
Fähigkeit beansprucht. Es kann so die Masse der Wanderarbeiter
dem Heimatland zu dem unschätzbaren Sauerteig werden, welcher
den gesamten Wirtschaftskörper durchsetzt und auf einen höheren
Grad der Produktivität drängt.^) Es ist aber auch die Möglichkeit
dabei nicht ausgeschlossen, daß dieser Weg zu wenig aussichts-
reich erscheint. Um nicht wieder zu einer tieferen Lebenshaltung
herabsinken zu müssen, wandert der Mann für immer weg, meist,
indem er die Position des Landarbeiters mit der des Industrie-
arbeiters vertauscht: Es ist die typische Erscheinung der Landflucht.
E. David, a.a.O. S.317ff.
Die Arbeiterverhältnisse. 239
So ist denn der wirtschaftliche Gesamteffekt der modernen
Saisonwanderung der, daß zunächst eigene, dann immer mehr
fremde Volksbestandteile zu rationeller und lohnender Ausnutzung
ihrer Arbeitskraft herangezogen werden. Hinsichtlich der ge-
leisteten Erziehungs- und Kulturarbeit ist die wirtschaftlich auf-
geschlossene Wirtschaftssphäre für die Fruktifizierung und Ver-
edlung der rohen Kraft der gebende Teil. Es ist vom Stand-
punkt der nationalen Wirtschaft zu bedauern, wenn jene Elemente,
auf die jene Arbeit verwandt wird, dem nationalen Wirtschafts-
körper entzogen werden. Anderseits leisten jene kulturell minder
entwickelten Gebiete reichliche Entschädigung für jenen Aufwand,
wenn es gelingt, die fluktuierenden Volksmassen bei steigender
Zahlungs- und Leistungsfähigkeit seßhaft zu machen und in den
Verband der eigenen Volkswirtschaft dauernd aufzunehmen.
Freilich soll das ohne" Gefährdung und erste Schädigung des
gesamten Wirtschaftskörpers geschehen, so ist die geschickte Aus-
schaltung aller politischen Widerstände die unerläßliche Vor-
aussetzung.
Aus der Entwicklung der Wanderarbeit in Deutschland läßt
sich deutlich die Richtung feststellen, in welcher dieser Erziehungs-
prozeß fortschreitet.^ Die kolossalen im Osten auf die Beine
gebrachten Massen haben längst die Bedeutung der mittel-
deutschen Ausfuhrgebiete der Wanderarbeit herabgemindert, wo-
bei die fortschreitende Industrialisierung und Intensivierung
starken Einfluß übte. Die Mitteldeutschland in östlicher Richtung
zunächst beheimateten Wanderscharen versorgten dann in steigen-
dem Maße die mitteldeutschen Rübendistrikte, um mit Hebung
ihres Kulturniveaus bald weiter nach Westen abzuwandern. Uiti
für den Ausfall und für den gleichzeitig gesteigerten Arbeits-
bedarf Deckung zu schaffen, der durch die Ausbreitung der
Rübenkultur im deutschen Osten entstanden war, wurde die
Werbetätigkeit auf immer weiter östlich gelegene Gebiete aus-
gedehnt. Während die deutschen Wanderarbeiter des Ostens
einen unwiderstehlichen Zug zum Westen empfinden, infolge
ihrer engen Beziehungen zu den Arbeitern der Industrie ihren
Standard of life in die Höhe zu schrauben suchen und vielfach
von der Industrie absorbiert werden, sind die ostelbischen intensiv
^) L. Brentano, Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeits-
zeit zur Arbeitsleistung, 1893, S.28lf.
240 Die Arbeiterverhältnisse.
wirtschaftenden Großbetriebe gezwungen, trotzdem es Wander-
arbeiter in ihrer unmittelbaren Nähe gibt, weit im Osten ihren
Bedarf an Saisonarbeitern zu decken. Aber auch unter den hier
mobilisierten Scharen herrscht der Drang, in möglichst weit
westlich gelegenen Gebieten ihre Arbeitskraft zu verkaufen, wo
höhere Löhne locken, so daß in der Tat im Osten wie im
Westen die Landwirtschaft von der Leutenot in ganz gleicher
Weise bedrückt wird.
Durch den so hergestellten Austausch vermittelt also die
Rübenwirtschaft dem Landproletarier den Obergang zur Industrie*
arbeit. Daß der Betrieb auf den Rübengütern — urii sie handelt
es sich ja bei der Verwertung der Wanderarbeit heute noch
vorwiegend — wirklich mit dem Industriebetrieb gewisse Ähnlich-
keit hat und eine Zwischenstellung zwischen den Produktions-
betrieben einnimmt, die einerseits auf extensiverer Boden-
benutzung, durch Getreidebau z. B. basieren, die anderseits in
industrieller Betätigung beruhen, der höheren Form der Kapitals*
und Arbeitskonzentration auf die Einheit der Bodenfläche, fließt
schon aus dem hier wie dort bewußten Vorherrschen des ökono-
mischen Prinzips und der im Zeichen des Kapitalismus rastios
betriebenen Verfeinerung seiner Anwendung. Die grundsätzliche
Einführung von Gesichtspunkten einer hochkapitalistischen Wirt-
schaftsführung spiegelt sich wieder in dem Arbeitsvertrag, der
die Kreise von Pflicht und Recht zwischen Unternehmer und
Saisonarbeiter abgrenzen will. Es kann nicht unsere Aufgabe
sein, wollten wir die häufig einseitig festgesetzten Bedingungen
des üblichen Vertragsverhältnisses feststellen und ihre Wand-
lungen im Zeichen des wirtschaftiichen und sozialen Fortschritte
verfolgen. Daß diese letzteren im ganzen in einer Wendung
zum Besseren bestehen, kann wohl als sicher angenommen werden,
wenn auch noch unendlich viel zu tun bleibt, bis sich hier unter
Wahrung- ihrer beiderseits berechtigten Interessen Arbeitgeber
und -nehmer im Arbeitsvertrag gegenübertreten. Worauf es hier
ankommt^ ist die Führung des Nachweises, daß in der Tat dje
Arbeitsverfassung auf den Rübengütern starke Ähnlichkeit mit
der im Industriebetrieb heute üblichen hat, und daß demzufolge
idic Saisonarbeit auf den Rübengütern eine Art Vorschule für
Oie industrielle Arbeit ist.
Wir wissen, daß seit den ersten Jahren eines lebensfähigen
Rübenbaus in Deutschland das Entiohnungssystem in den Rüben-
Die Arbeiterverhältnisse. 241
wirtschaften herrschte, das heute in der industriellen Produktion
dominiert: Das Akkordsystem. Es mag für die Landwirtschaft,
bei der die im Feldbau vorkommenden Arbeiten im hohen Maße
vom Wetter abhängen, kein leichter Sprung gewesen sein, als
sich für sie die Notwendigkeit ergab, den Taglohn des länd-
wirtschaftlichen Arbeiters mit dem Akkprdlohn zu vertauschen.
Welche Umstände drängten gerade hier zur Akkordarbeit? Es
Ist gesagt worden: Das Charakteristische des Rübenbaus ist
der periodisch enorm gesteigerte Arbeitsbedarf. Ist z. B. ein
Umschlag in der Witterung eingetreten, der das Pflanzenwachstum
stark beschleunigt, so kann durch eine zu spät vorgenommene,
mit einem Male dringend notwendige Operation der Ausfall der
Ernte hinsichtlich Qualität und Quantität aufs empfindlichste be-
einträchtigt werden, ohne daß durch weitere Behandlung etwas
gut zu machen wäre. Bei solcher Gelegenheit muß die Rüben-
arbeit mit aller verfügbaren Intensität betrieben werden, ohne
daß die Qualität der Leistung in Mitleidenschaft gezogen werden
darf, um dann wieder nach kürzerer oder längerer Zeit in ein
gemäßigteres Tempo zu geraten. Bei solchen Anforderungen
würde der im Taglohn bezahlte landwirtschaftliche Lohnarbeiter
vollständig versagen, da eine Kontrolle des einzelnen, wie sie
für ihn notwendig zu sein pflegt, bei der Massenhaftigkeit der
Individuen und der natürlichen Dezentralisation der Arbeitsstätten
unausführbar wird. Hier ist nur der von allen Anwandlungen
der Tradition freie Arbeiter das einzige Rettungsmittel, der ge-
wohnt ist, einen nach der individuellen Leistung bemessenen
Lohn als Gegenleistung zu beanspruchen, der deshalb schon
zur Hergabe seiner vollen Leistungsfähigkeit angereizt wird, weil
ihm dafür ein der Mehrleistung mindestens entsprechendes Äqui-
valent in Aussicht gestellt wird. Wenn auch keine Beteiligung
am Erfolg seiner Arbeit wegen der äußerst mannigfaltigen Ein-
wirkung der Witterung stattfinden kann, so kann doch jene
vom Arbeiter als lästig empfundene Kontrolle auf ein Mindest-
maß beschränkt werden. So entwickelte sich auf großen Gütern
der Rübenarbeiterkontrakt in seiner neuzeitlichen Form. Hier
übernimmt der Wanderarbeiter in Kolonnen die eventuell vorher
genau vereinbarten Rübenkulturarbeiten zu einem für die Flächen-
einheit festgesetzten Satz^), und zwar gemäß dem vom Vorarbeiter
J. V. Trzcinski, a. a. O. S. 130ff.
Schuchart» Zuckerindustrie. Iß
242 Die Arbeiterverhältni^se.
und dem Gutsherrn entsprechend dem jeweiligen Stand der
Felder und der Witterung festgestellten Arbeitsplan. Bisweilen
wird dem Vorarbeiter die generelle Aufsicht über die ganze
Kolonne eingeräumt, und ist dieser dann dem .Wirtschaftleiter
in gewisser Weise verantwortlich *).
Während auf der einen Seite wegen der Streikgefahr ver-
mieden wird, Arbeitsverträge auf kollektivistischer Grundlage zu
schließen, ist auch in der intensivsten Rübenwirtschaft die Ent-
lohnung im Taglohn weit verbreitet. Die Gründe dafür liegen
in der Eigenart der landwirtschaftlichen Produktion. So kommt
es, daß in den Vertrag mit den Wanderarbeitern Abmachungen
über den Taglohn und über den Akkordlohn neben denen über
die Deputatmengen aufgenommen zu werden pflegen.
Das nach kapitalistischen Wirtschaftsgrundsätzen ausgebildete
Entlohnungssystem, welches sich in neuester Zeit in den Rüben-
wirtschaften im speziellen und dann auch in der deutschen Land-
wirtschaft allgemein entwickelte, hat zweifelsohne die Wirtschafts-
leiter mit dazu befähigt, daß sie bessere Löhne für eine bestimmte
Arbeitsleistung bewilligen und damit zum Teil der Leutenot ent-
gegenwirken konnten.
Anderseits aber leistete so indirekt der Rübenbau der In-
dustrie den wertvollen, von ihm allerdings schmerzlich empfundenen
Dienst, daß er das rohe Menschenmaterial an planmäßige, mit
Einsatz des vollen Arbeitsvermögens geleistete Arbeit gewöhnte
und so ^ne Arbeiterkategorie schuf, die nach ihrer dauernden
Verpflanzung in die industrielle Produktionsstätte in hohem Maße
die Aufsteigefähigkeit zum besser bezahlten Arbeiter besaß. Auch
ist nicht zu übersehen, daß den Übergang von der Rüben bauenden
Landwirtschaft zur Industrie die wenn auch intermittierende Be-
schäftigung in der Zuckerfabrik in äußerst geschickter Weise
vermittelte 2). Hier hat wirklich der deutsche Rübenbau ein ge-
^) Vielfach erhält der Vorarbeiter denselben Tage- und Akkord-
lohn, wie die übrigen erwachsenen männlichen Arbeiter. Es wird ihm
aber außerdem ein sogenannter Aufsichtslohn gezahlt. Die Höhe des*-
selben richtet sich nach der Größe des ihm unterstellten Trupps. Meist
übt der Vorarbeiter auf die Festsetzung der Löhne keinen Einfluß aus.
«) Den außerdeutschen Polen ist die Abwanderung von der land-
wirtschaftlichen Saisonarbeit dadurch wesentlich erschwert, daß sie^
nach der Entschließung des preußischen Ministeriums, in der Industrie
nicht beschäftigt werden dürfen. Über den praktischen Wert dieser
Verordnung sind die Ansichten geteilt.
Die Arbeiterverhältnisse. 243
waltiges Stück Volksveredlungsarbeit geleistet, indem er eine
wirtschaftlich und kulturell niedrig entwickelte Volksschicht zu
einem höher zu wertenden .Wirtschaftsfaktor erzogen hat und
ihr eine Durchgangsstufe zu einer höheren wirtschaftlichen Organi-
sation, besserer Lebenshaltung und einer durch Nulzbarmachung
intellektueller Fähigkeiten gesteigerten Produktivität der Arbeits-
kraft bot.
Auf eine ^Wirkung der .Wanderarbeiter verdient noch hin-
gewiesen zu werden* I>er Rübenarbeiter erhält in Bargeld seinen
Lohn ausbezahlt. Von diesem werden in der Regel nur ge-
wisse Abzüge für Verköstigung gemacht, falls diese nicht, wie
oft das Entgelt für die gewährte Unterkunftsgdegenheit, vor-
weg am Lohnsatz gekürzt resp. überhaupt nicht berechnet werden.
Oft mehr als Zugabe als zur Kompensation einer Geldsumme
werden bestimmte Naturalien auch heute noch von den Quts-
wirtschaften vertragsmäßig verabfolgt. Das liegt in dem Wesen
des Landwirtschaftsbetriebs. Jedenfalls aber ist der überwiegende
Bestandteil der Löhnung bei der Wanderarbeit immer Geld, und
das bedeutet einen Fortschritt gegenüber der in rückständigen
Landstrichen noch weit verbreiteten und weitgehenden Entlohnung
in Naturalien. Es scheint, daß in dieser Hinsicht der Rübenbau
vorbildlich gewirkt hat. Darin liegt für die Organisation der
Volkswirtschaft eine hohe Bedeutung. Denn inden^ dem Arbeiter
die Möglichkeit gegeben ist, mit Hilfe von Bargeld jedes im
Preis ihm erreichbare Bedürfnis zu befriedigen, wird sein Wirt-
schaftssinn geweckt, und durch den so geschaftenen Spielraum
für eigene Initiative wird der Grund gelegt für eine freie individu-
elle Wirtschaftsbetätigung.
So ist denn der Effekt jener gewaltigen Umwälzung,
welche der Rübenbau der Landarbeiterschaft gebracht hat, im
kWesen gatfz ähnlich dem, wekhen die Technik der Zucker-
darstellung und ihre Entwicklung erkennen ließ: Die Erziehung
des Individuums zu hochwertigerer Leistung unter Gewährung
einer besseren Bezahlung. Dabei ist es die Technik eigentlich
ganz allein, die diesem Evolutionsgedanken das Leben gibt. Sie
ist die Dienerin, welche die Intelligenz des Menschen den Stoff
meistern hilft, mit starken Armen greift sie zu, wo es des
Menschen Willen nur bedarf, ihre Funktionen auszulösen. Dieser
grandiose Wachstums- und Veredlungsprozeß identifiziert sich
graktisch mit einem steigendea jErsatz der. Arbeit durch Kapital
244 Die Arbeiterverhältflisse.
Und dieser Umstand ist es» der die Erfailung jenes Menschheits-
Ideals mit so überaus heftigen Vl^iderständen umgibt Sie geben
für Unternehmer und Arbeiter den Anreiz, mit den radiicalsten
Mittehi ihre .Wünsche der Erfüllung näher zu führen, die dantt
auf beiden Seiten Enttäuschungen und Erbitterung herauf-
beschwören. Die Richtlinie jener Entwicldung vermögen alle
Auswüchse und Verirrungen aber nicht zu zerstören, wie die
deutsche Zuckerindustrie zeigt, die sie mit lichtvoller Deutlichkeit
gerade deshalb erkennen läßt, weil die Staatsdoktrin ihren Werde-
gang Entwicklungsgesetzen unterstellte, wie sie nur in künsfllch
geschaffenen, treibhauskuHurähnlichen Zuständen sich auszu-
bikien vermögen.
UI. Abschnitt
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel.
Nachdem die beiden Produktionsabschnitte des Rübenzuckers
in Beziehung auf die volkswirtschaftliche Tragweite ihrer tech-
nischen Entwicklung abgehandelt sind, bleibt als Ergänzung noch
die Aufgabe, die Beziehungen zwischen Technik und Volkswirt-
schaft auf dem Gebiete aufzudecken, welches den Obergang von
der Produktion zur Konsumtion vermittelt und beherrscht, im
Zuckerhandel.
Nach äußeren Merkmalen betrachtet vereinigt der Handel
in Zucker zwei verschiedene Aufgaben in sich:
1. Es liegt ihm die Verteilung der konsumfähigen Ware
an die Verbraucher ob, also hier handelt es sich um den
Handelsverkehr zwischen Produzent und Konsument der
fertigen Ware.
2. Er umfaßt den Austausch in dem wichtigsten Halbfabrikat
der Industrie, dem Rohzucker. Dieser Handelsverkehr be-
schränkt sich auf ganz bestimmte Wirtschaftsgruppen. Auf
der einen Seite treten als Lieferanten regelmäßig die Roh-
zuckerfabriken auf, während ihnen gegenüber die Raffi-
nerien als Käufer stehen. Bei den gemischten Werken
sind beide Fälle zutreffend.
Von beiden Funktionen steht heute die letztere im Vorder-
grund des Interesses. Das leitet sich zum guten Teil wohl aus
der Zeit her, als der Rübenzucker noch nicht existierte und
der Rohrzucker den europäischen Markt beherrschte. Da in den
Kolonialländem die Verarbeitung des Rohsaftes zu konsumfähiger
.Ware in unsinniger Weise erschwert oder gar verboten war, er-
schien der Rohrzucker auf den Handelsplätzen als Halbfabrikat,
in reicher Differenzierung nach seiner qualitativen Beschaffenheit,
246 Die zuckerindustrielle Endwicklung und der deutsche Handel.
regelmäßig aber in Form einer Rohzuckerffillmasse, welcher der
Sirup noch mehr oder weniger anhaftete. Als dann der Rüben-
zucker aufkam und auf dem kontinentalen Markte der erste
wütende Konkurrenzkampf ausbrach, War es für den Rüben-
zuckerfabrikanten notwendig, mit der herkömmlichen Form an
den Markt zu treten, zumal seine Ware die für importierten
Zucker üblichen qualitativen Bedingungen zu beanspruchen suchte.
Mit der steigenden Aufnahmefähigkeit des Weltmarktes verschärfte
sich die Konkurrenz, so daß eine Umschaltung der Rübenzucker-
beteiligung auf einen Typ der zahlreichen Fertigprodukte eine
schwere Gefährdung ihrer Position gebracht haben würde, um
so mehr, als der Export sich im Anfang nur in Rohzucker
bewegte.
Viel wichtiger aber waren die technischen Momente, welche
den Rübenrohzucker, seitdem "überhaupt größere Mengen um-
gesetzt wurden, zum vorherrschenden Marktartikel machten. Wir
wissen, daß ' die Darstellung vorzüglich der besseren Marken
genußreifer Ware aus dem Rohmaterial einen vielteiligen ver-
wickelten Produktionsprozeß umfaßt. Einmal drängte das Roh-
material auf Steigerung der Produktionsdichte, zumal die Ent-
wicklung auf Verarbeitung der größtmöglichen Rübenmenge
deutlich hinauslief. Das Tempo der Verarbeitung ließ sich aber
nur unter hohem Kapitalsaufwand auf die Raffinerierung über-
tragen, und je mehr die handwerksmäßige Form des gemischten
Betriebes dem fabrikmäßigen Großbetrieb sich näherte, desto
mehr nahm die Rentabilität des ersteren ab. Der immer un-
verhüllter auftretende Zug zur Massenverarbeitung war der innere
Grund für die Tendenz, den Produktionsprozeß in Richtung des
Produktionsganges einzuschränken und auf eine Ausweitung des
Betriebs in Richtung der Spezialisation hinzuarbeiten. Demgemäß
ließ die überwiegende Mehrzahl der an der Ausfuhr beteiligten
Werke bald die Darstellung raffinierter Ware fallen und sicherte
sich damit die Chance, ihre Produktionskosten pro Gewichts-
einheit durch weitgetriebene Spezialisierung günstig zu beein-
flussen.
Aber auch die Mehrzahl der nicht für den Export arbeitenden
Fabriken folgte immer mehr dem Zuge der Zeit. Denn mit
dem Größenwachstum der Betriebseinheiten verschärften sich die
aus der Eigenart des Betriebs resultierenden Divergenzen zwischen
der Gewinnung des Halbfabrikats und der raffinierten Ware.
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 247
Die Gewinne der kleineren Betriebe an der Raffination pflegten
ohnehin immer bescheidener zu werden, da auch die Raffinerien
nicht untätig geblieben waren und vermöge der verbesserten
Technik die Spannung zwischen Rohzucker und Raffinade herab-
drückten. Manchmal zehrte da die Raffination von dem Ge-
winn der erfolgreich betriebenen Rohzuckerfabrik.
Der Trieb zur Spezialisation zur Rohzuckerfabrik war also
in der Entwicklung der Technik und der gewaltigen Steigerung
der Produktionsmengen tief begründet. Und doch ging die
stärkste aller Pressionen, die auf die Entwicklung des Rohzucker-
marktes hinzielten, wohl von den Raffinerien aus. Machten sie
doch den überkommenen Bestandteil der deutschen Zuckerindustrie
aus; ihr kapitalkräftiger Betrieb blieb zunächst ganz intakt, als
die Rübenzuckerindustrie noch in den Anfängen steckte.
So geriet denn Rübenrohzucker als Handelsartikel mit der
Steigerung der Produktion in eine ganz ähnliche Position, wie
sie der Rohrzucker an den großen kontinentalen Handelsplätzen
seit Jahrhunderten inne hatte. In dem Jahresbericht der Ältesten
der Kaufmannschaft von Magdeburg werden am Schlüsse des
Jahres 1853 zum erstenmal Preise für Rohzucker angegeben.
Doch erst von 1858 an finden sich spezialisierte Preise.^)
In jener Position wuchsen die Umsätze in Rohzucker auf
den deutschen Märkten ins Kolossale, und der Handel in Fertig-
ware geriet ins Hintertreffen. Auf dem Wege dahin aber gab
es ein Hindernis zu überwältigen, von dem die durch den Groß-
betrieb und Großhandel angestrebte Vereinfachung des Handels
in Zucker und seiner Technik in hohem Maße abhing und dessen
Überwindung eine Voraussetzung für den Eintritt des Zuckers
in die nur wenige Güter umfassende Reihe der Weltmarkts-
artikel war. Diese Schwierigkeit lag in der individuellen Be-
schaffenheit jeder Partie, mochte auch die einzelne Fabrik aufs
peinlichste ihren Produktionsgang unter Berücksichtigung aller
Eigenarten des Betriebs, wie sie die Praxis und die individuellen
Verhältnisse ausgebildet hatten, überwachen. Jede Fabrik ist
noch heute gezwungen, Produkte sehr verschiedener Qualität
zu produzieren. So war denn der Mangel an Standardisierung
die Ursache für den Handel nach Probe, als das Bedürfnis für.
eine börsenartige Organisation des Zuckerhandels längst vorlag
und die übrigen Voraussetzungen für denselben erfüllt waren.
O. Filet, Der Zuckerhandel, 1906. S.25.
248 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel.
Ein bezeichnendes Bild von der Zerfahrenheit, die zur Zeit
der unbedingten Rohrzuckerherrschaft im Handelsartikel Zucker
herrschte und die im großen und ganzen in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts die Regel bildete, gibt ein Blick auf den
Hamburger Zuckermarkt. In den 20er Jahren, in denen in Hamburg
ein hochbedeutsamer Rohrzuckerhandel herrschte, nennen Waren-
preiszettel nicht weniger als 10 Typen Rohzucker, daneben finden
sich 22 verschiedene raffinierte Zucker.^ Hier kamen die Zucker-
sorten aller Lander und Gattungen an den Markt Übrigens
gewann dieser Umstand für die damals in Hamburg noch im
Stile des Kleingewerbes betriebenen Zuckersiedereien besondere
Bedeutung, insofern jeder kleine Sieder an Ort und Stelle schnell
und sidier diejenige Qualität Rohzucker fand, die er gerade nötig
hatte und die zu kaufen ihn die Marktlage ermunterte.
Eine Aufgabe jener reichen Differenzierung, für die ent-
schieden Bedürfnis vorhanden war, ließ sich aber nicht in die
Wege leiten, denn die Möglichkeit fehlte, auf den Produktions-
prozeß einzuwirken. Man konnte dem Pflanzer in irgend einem
Tropenlande doch unmöglich Vorschriften machen, z. B, darüber,
wie weit er seine Ware von dem anhaftenden Sirup zu befreien
habe. So mußte sich denn der Geschäftssinn der europäischen
Importhäuser einen Ausweg suchen, um von der ungeheueren
Erschwerung durch den Handel auf Probe loszukommen.
Die Holländer, welche in dem Handel bezw. Import von
indischen Zuckern seinerzeit die führende Rolle inne hatten, hatten
ein System der Wertbemessung ausgebildet, dem eine Differen-
zierung nach den äußeren Merkmalen zugrunde lag. Sie stellten
auf Grund einer Farbenskala, welche die dem Rohzucker eigen-
tümlichen Nuancen vom reinen Weiß, über gelblich-braune
(blonde) Farbentöne bis zum Dunkelbraun umfaßte, eine Muster-
sammlung auf, welche die holländische Zollbehörde durch ihre
Überwachung und Verwendung sanktionierte*). Da in diesem
System dem Rübenzucker bestimmte Klassen angewiesen wurden,
so konnte Goertz noch 1884 behaupten, daß diese Standardmuster
die Basis des gesamten Zuckerhandels der Erde bildeten^). In-
») C.W. Soltau, a.a.O. — Vergl. auch Th. Tocke u, W. Newmarch,
Geschichte und Bestimmung der Preise 1793—1857. 1863, S.204.
') Ober Wesen und Bedeutung dieses Systems näheres bei R. v.
Kaufmann, a. a. O. S. 82 ff.
') Jos. Goertz, Handel und Statistik des Zuckers, 1884, S.6!f.
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel, 249
dem man sich nun anschickte, in diese Skala alle im Handel
vorkommenden Rohzucker unterzubringen, und die Farbe i) —
um sie handelte es sich hier vornehmlich — zum Gütekriterium
zu machen, schied man alle anderen für den Gütegrad bezeichnen-
den Merkmale aus. In dieser einseitigen Erfassung der tatsäch-
lich viel zahlreicheren Qütekriterien liegt die ganze Mangel-
haftigkeit dieses Hilfsmittels.^)
Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Unsicherheit dieses System^
den individualistischen Geist hat stärken helfen, welcher in der
Geschäftsführung der deutschen Zuckerindustrie vom Zeitpunkt
ihrer Konsolidierung festen Fuß faßte. £>er Rohzuckerkauf war
vielfach Vertrauenssache. Es gab kein Mittel vorläufig, sich ab-
solute Klarheit über den Wert eines Quantums zu verschaffen,
denn alle äußeren Merkmale geben nur ungenügende Anhalts-
punkte für die Gütebeschaffenheit. Diese konnte man nur durch
die Ausbeute des Raffinationsprozesses genau ermitteln, wollte
man sich nicht zu komplizierten chemischen Untersuchungen ver-
stehen.8) Da aber über die Wertbestimmung nach äußeren Merk-
malen unter den Fachleuten keine annähernde Obereinstimmung
zu erzielen war, erfand jeder sein eigenes System, und darin liegt
offenbar eine Motivierung für die regelmäßig beobachtete Tat-
sache, daß alle die, welche mit dem Rohzuckerhandel in Be-
ziehung standen, sich mit erheblichem Mißtrauen begegneten
und befehdeten, daß in den Betrieben der Zuckerfabrikation eine
allgemeine Geheimniskrämerei^) sich einnistete, die zumal bei
den Raffinerien bis heute noch nicht geschwunden ist, obgleich
die technischen und chemischen Vorgänge der Fabrikation schon
Bei der primitiven Fabrikatiönsmethode hatte der Zucker fast
gar kein Korn. Auch konnte man das Korn des Musters selbst gar
nicht prüfen und mit der Ware vergleichen, da sich die Muster in amt-
lich verschlossenen Glasflaschen befanden und der Verschluß natürlich
nicht verletzt werden durite.
') Seit 1840 gab die holländische Regierung alle zwei Jahre neu
festgestellte Standardmuster heraus.
*) Erst 1871 gelangte man durch Scheibler in den Besitz eines
exakten Verfahrens zur Bestimmung des Raffinationswertes des Roh-
zuckers.
^) Das hinderte nicht, daß man sich über technischen Neuerungen
und ihre Details verständigte. Denn das Wesentliche ist die Einord-
nung derselben in den Betrieb und ihre rationelle Verwertung, wobei
es zumeist auf Kunstgriffe, Erfahrung und tieferes Verständnis ankommt
250 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel.
fast alle wissenschaftlich durchgearbeitet und den Fachleuten be-
kannt sind.
Die Technik war es, die auch hier Mittel und Wege fand.
Zunächst ordnete die holländische Zollverwaltung i), welche durch
Färben hochwertiger Zucker um enorme Zollbeträge Jahr für
Jahr geschädigt wurde, da dunkle Sorten einen wesentlich
niedrigeren Einfuhrzoll zahlten, für verdächtige Fälle eine Unter-
suchung der Zucker nach einem besonderen Verfahren 2) an. Das
war das erste offizielle Eingeständnis der Mangelhaftigkeit der
Wertung nach äußeren Merkmalen. Inzwischen aber hatte die
Ent^\icklung der deutschen Zuckerindustrie ihre charakteristische
Form im Großbetrieb gefunden, und während man auf allen
Stationen in dem Streben nach Vereinheitlichung wetteiferte, kam
im Zeichen der neuen wissenschaftlich und wirtschaftlich moti-
vierten Technik eine Vereinheitlichung der Produkte zustande.
Man begann, sich auf die Herstellung möglichst weniger Sorten
größtmöglicher Gleichartigkeit zu verlegen.
Doch ganz so glatt, wie es auf den ersten Blick den An-
schein hat, vollzog sich die Vereinfachung des Rohzuckermarktes
nicht. Mit dem Streben in Richtung der Spezialisation hatte
das wissenschaftliche Verfahren sich in der Zuckerindustrie eine
Heimstätte erworben, und eine seiner größten Leistungen war
die sorgfältige Ausbildung des Polarisationsinstrumentes, mit
dessen Hilfe allein eine völlig exakte Wertbestimmung des Zuckers
möglich ist. In seiner wissenschaftlich einwandfreien Konstruktion
urid Handhabung liegt der Schlüssel für die nun eintretende
schrittweise Verbesserung der Wertbestimmung und der Ver-
einfachung des Rohzuckerhandels. Im Jahre 1869 war die wissen-
schaftlich-exakte Untersuchungstechnik soweit vorgeschritten, daß
der Großhandel ihre Ergebnisse zu seiner Grundlage machen
konnte. Der Jahresbericht der Ältesten der Kaufmannschaft von
^) Au! Grund der chemischen Untersuchung normaler Zucker kam
die holländische Zollverwaltung zu einer Teilung der 20 Klassen des
Standardmusters in 4 Hauptklassen. Für die Klassen
unter Nr. 7 nahm man 67<^/o Rendement an
von Nr. 7-10 „ „ 80%
„ Nr. 10-15 „ „ 880/,
„ Nr. 15-20 . , 940/,
demnach war z. B. für Rohzucker Nr. 12 an Zoll 88% des für raffinierten
Zucker zu entrichtenden zu zahlen.
*) Verfahren Scheibler-Gunning.
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 251
MagdeBurg berichtet 186Q/70 zum jerstenmal von einer Preis-
notierung nach der Polarisation, vorläufig unter Beibehaltung
derjenigen nach den Standardmustern.i) Aber schon 1871 trägt
die Polarisation den entscheidenden Sieg davon; darin liegt ein
Beweis dafür, daß die deutsche Zuckerindustrie ihre Produktions-
technik auf wissenschaftlich-methodische Untersuchung aufzubauen
gelernt und damit endgültig den Bann der individualistisch-
empirischen Methode gebrochen hat
Wie entwickelte sich nun der Handel auf Grund der polari-
metrischen Untersuchung? Bei der Mannigfaltigkeit der Roh-
und Hilfsstoffe und der Kompliziertheit der Technik ist es bis
heute unmöglich, Fabrikate von ganz gleichartiger Zusammen-
setzung im Großen herzustellen. Um Verschiedenheiten aus-
zugleichen, mischt man den Zucker in größeren Partien. Natürlich
sind deshalb die Zucker ein und derselben Marke noch nicht
völlig identisch. Um nun allen Varianten im Preise gerecht zu
werden, schuf man eine Berechnung nach der Polarisation.»)
Um eine Vorstellung von den noch recht verwickelten und wandel-
baren Verhältnissen zu erhalten, die sich hier einstellen, zitieren
wir Pilet:3)
„Im Jahre 1872 notierte man (in Magdeburg) Rohzucker I.
Produkt Basis Q2, 93, Q4, Q5o/o Polarisation und daneben Korn-
zucker*) Basis Q6— Q7V2 o/o Polarisation.») Nachdem das I. Produkt
immer mehr als Kornzucker hergestellt wurde, ward von 1875
ab notiert: Kornzucker Basis 98, 97, 96 und 95 o/o Polarisation,
Rohzucker I. Produkt blond Basis 94, hellgelb mittel Basis 93
^) O. Filet, Zuckerhandel, S.25.
*) Der Handel nach Polarisation spielte sich in der Weise ab, daß
beim Angebot die Analyse der Partie, die Polarisation, mitgeteilt wurde.
Danach und nach der Farbe, ev. auch nach dem Korn, beurteilte der
Käufer die Ware. Der Preis war nicht veränderlich, wenn auch die
Polarisation nach oben oder unten abwich. War die Differenz zu groß
nach unten so bemängelte der Käufer wohl die Ware, und der Fall
wurde dem Syndikat zur Entscheidung vorgelegt. Fiel der Zucker bei
der Lieferung besser aus als die Probe angab, so war das der Vorteil
des Käufers. So hielt es der Magdeburger Handel bis 1871 etwa.
») O. Pilet, Zuckerhandel, S. 26.
^) Zucker, der auf Korn gekocht ist.
^) Bei dem Handel auf Basis ist es selbstverständlich, daß der für
die Basis vereinbarte Preis nur für diese gilt, daß in jedem Falle also
der Mehr- oder Mindergehalt den Preis veränderte. Dabei rechnete
man nach Zehnteln.
252 Die zuckerindustrielle Entwidmung und der deutsclie Handel.
und gelb dunkel Basis 92 o/o Polarisation 0» Nadiprodukte von
89—940/0 Polarisation. — 1879 war die Herstellung von Korn*
zucker auch in geringer Qualität aligemein geworden, und es
gibt demnach nur eine Notiz für Kornzucker I. Produkt Basis 97^
96, 95 und 94 o/o Polarisation, daneben eine Notiz vom II. Produkt
Basis 91—95 0/0 und von Nachprodukt Basis 91—94 und 88— 90 o/o.
— Im Jahre 1882 wird die Notiz für II. Produkt eingestellt^
da dessen Hersteilung vollständig aufgehört hatte. 1883 wurde
die 1879 getrennte Notiz für Nachprodukte wieder zusammen*
gezogen und nur Basis 88— 92 o/o notiert"
1883 aber genügte auch dies System der Wertbestimmung-
nicht mehr. Es hatte sich längst herausgestellt, daß der polari-
metrischen Untersuchung gewisse Fehler anhafteten, die bei den
immer gewaltiger anschwellenden Rohzuckermengen, welche die
Raffinerien verschlangen, und bei der immer exakteren Betriebs*
weise für das Ausbeuteergebnis eine sehr erhebliche Rolle spielten.
Das Polarimeter stellt zwar den absoluten Zuckergehalt fest,
gibt aber keinen Aufschluß über die melassebfldenden Bestand-
teile. Schon um 1850 waren es charakteristischerweise französische
Forscher, welche behaupteten, ein Teil Salze mache durchschnitt-
lich fünf Teile Zucker unkristallisierbar, und welche empfahlen,
den Wert der Rohzucker für eine bestimmte Raffinerie aus dem
Aschengehalt dieser Rohzucker zu berechnen, und zwar auf Orund
des Verhältnisses zwischen Asche und Zucker in der Melasse
der betreffenden Raffinerie.^) Auf Grund tieferer Studien formu-
lierte Sostmann 1867 den Satz: Wenn man in der Melasse das
Verhältnis Asche : Zucker = 1 : 5 als normal annimmt, so gibt
die um den Sfachen Aschengehalt verminderte Polarisation die
beim Raffinieren wirklich gewinnbare Zuckermenge an.^) Dem-
entsprechend war man in Frankreich zu Werke gegangen, und
Bei Komzucker, der selbstverständlich nur I. Produkt war und
auf Basis gehandelt wurde, war der Gehalt das maßgebende, die Farbe
war nebensächlich, wenn sie auch die Einschätzung des Käufers mit-
beeinflußte. Die Farbe als Bedingung bei der Notiz für Rohzucker
I. Produkt hat neben der Basis der Polarisation keine besondere Be-^
deutung. Denn es wurde stets die Probe vorgelegt, die zwischen
Käufer und Verkäufer maßgebend war. Es ist eigentiich nur mehr eine
nähere Bezeichnung der Ware, wie sie für den notierten Preis ent-
standen ist.
») E. V. Lippmann, Festschrift, S.295.
«) Ebenda.
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 253
schon 1870 war das sog. Titragesystem trotz des Widerstandes
der Rohzuckerfabriken, welche durch die neue Berechnung gegen-
über den Raffinerien benachteiligt wurden, an der Pariser Zucker-
börse das allein maßgebende.
Ganz anders entwickelten sich die Dinge in Deutschland.
Die Berechnung nach dem Aschenrendement, d. h. nach der
Zahl, die nach Abzug des fünffachen Aschengehaltes von dem
durch Polarisation festgestellten Zuckergehalt verbleibt i), ent-
fesselte hier eine erbitterte Fehde, an der sich Vertreter der
Theorie und der Praxis beteiligten. Hier war das Bedürfnis, den
Raffinationswert des Rohzuckers im Kaufpreis zum Ausdruck zu
bringen, auch längst vorhanden. Wenn der deutsche Rohzucker-
handel erst 1886 den großen Schritt tat und die Polarisations-
basis für Nachprodukte und 1887 für Erstprodukte fallen ließ,
so liegt darin nicht so sehr ein Beweis für die Inferiorität des
wissenschaftlichen Geistes, welcher dazumal die Zuckertechnik
Deutschlands beherrschte, als für die kolossale Aufnahmefähigkeit,
welche der Weltmarkt für deutschen Zucker damit zeigte, daß er
trotz dieser mangelhaften Wertbemessung für 150—200 MiU. Mk.
Zucker aufnahm. Die Rohzuckerfabriken, welche den heftigsten
Widerstand gegenüber der Rendementberechnung geleistet hatten,
welches die Raffinerien in die Lage versetzte, wesentlich sicherer
zu kalkulieren, änderten erst unter Einfluß der gegenseitigen
Konkurrenz ihre Haltung: sie fügten sich den Wünschen der
Raffinerien und suchten im Aschenrendement nun ihren eigenen
Vorteil. Das gelang ihnen vollkommen, indem sie sich darauf
verlegten, einen Zucker von niederem Aschengehalt zu liefern,
der aber einen hohen Gehalt an organischen Substanzen besaß,
womit den Raffinerien ebensowenig Gerechtigkeit widerführ.
Diese forderten darauf ein neues Rendement, welches 1893 im
Herbst vom Handel akzeptiert wurde, ohne daß die alte Be-
wertungsmethode aufgegeben wurde. Dieses auf einen Kom-
promiß hinauslaufende Rendement beruht auf dem Abzug des
2,25fachen Betrages der ermittelten Asche zuzüglich der organischen
1) Danach berechnet sich der Preis für den dz eines Zuckers von
^%Polprisation und einem Aschengehalt von 0,87% hei einem Grund-
preis von 10.20 Mk. auf Basis 88Vo wie folgt:
Onmdpreis 10.20 Mk.
^-(5X0^ — 88 = 1.65« Oberrendement (1« zu 12,5 Pfg .) 0.21 ,
Sa. 10.41 Mk.
254 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel.
Substanzen von dem durch Polarisation ermittelten Zuckergehalt,
es heißt das Raffinerie- oder Nichtzuckerrendement. Nun wieder-
holt sich dasselbe Schauspiel : Die Rohzuckerfabriken treten wieder
in die Opposition und erklären, auf einen Vorteil verzichten
und eine allzu große Unsicherheit in dieser Berechnungsart in
Kauf nehmen zu müssen. Bi$ heute hat sich der Handel noch
nicht für das neue Rendement gewinnen lassen, hingegen hat
er die Notierungen immer mehr zusammengedrängt Seit 1897
wurden alle Rohzuckerqualitäten nur auf Grund einer Notierung
für Erstprodukt Basis 88 o/o und einer für Nachprodukt Basis 75 o/o
Rendement gehandelt. Bei dieser Vereinfachung ist es bisher
geblieben, wenngleich auch die offiziellen „Bedingungen für den
Handel mit Rohzucker'', vom 1. Jan. 1901 wirksam, lediglich
die Preisbasis für reines Erstprodukt 88 o/o Rendement enthalten.
Überblicken wir einmal den ganzen Vereinheitlichungsprozeß,
so ist wohl nicht zu bezweifeln, daß aus dem Handel heraus
das Bedürfnis nach Zusammenfassung hervorgewachsen ist.
Seinem Drängen kam die Technik entgegen: Die Wissenschaft
im allgemeinen, das Polarisationsinstrument im besonderen, gab
ihr die Führung auf diesem Wege. Sie ließ den Gedanken
der Vereinheitlichung der Preisbasis bis zu der hier überhaupt
erreichbaren Konsequenz ausreifen. EXirch diese Zusammen-
fassung gewann nicht nur der Handel eine unmittelbare Förderung,
insofern er im Zeichen der sinkenden Produktionskosten der
iWare seine Spesen und seinen Nutzen an der Gewichtseinheit
reduzieren und seine Stoßkraft gegenüber ausländischer Kon-
kurrenz, soweit sie nicht eine ähnliche Entwicklung durchmachte»
um einiges erhöhen konnte. Sondern umgekehrt wirkte die Ver-
einheitlichung der Preisbasen auf die Produktionstechnik und
zwar in Richtung einer Art Spezialisation, dadurch, daß die
Technik aller Betriebe auf einen einheitiichen Zielpunkt aus-
gerichtet wurde. Der wirtschaftliche Vorteil stellte sich zum
Jeil darin ein, daß auf Grund der von einer Anzahl der Be-
triebe gemachten Erfahrungen für die weniger leistungsfähigen
das Herumtasten im Ungewissen und das kostspielige Experimen-
tieren immer überflüssiger wurde, wodurch für die Gesamflieit
sich ein höherer Grad der Sicherheit des wirtschaftlichen Aus-
falls erreichen ließ.
Wenn man von einer „Gerechtigkeit im Handel" reden darf,
so ist diese nach der Zentralisation der Preisbasen unter der un-
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 255
. endlich verfeinerten Großtechnik heute wohl weitgehender erfüllt
als zur Zeit der holländischen Standardmuster und der Wertbe-
rechnung auf Grund des durch Polarisation gefundenen Zucker-
gehaltes, .Wenn auch die Basis des Handels noch nicht absolut
befriedigt, wie sie im Rendement sich herausgebildet hat, so läßt
doch die zugrunde gelegte Fiktion nur noch sehr geringen Spiel-
raum. Das heutige Inlandgeschäft in Rohzucker hat zwar aus
guten Gründen das Muster noch beibehalten, sowohl beim Han-
del in Loco-Ware als auch beim Lieferungsgeschäft und bei Ver-
käufen für die nächste Kampagne, doch sind gewisse Abwei-
chungen von ihm zulässig. Hier handelt es sich heute nicht mehr
um eine Probe, die man analysieren läßt, sondern um nichts mehr
als ein Muster. Die definitive Preisfestsetzung geschieht dabei
auf Grund der bei Abnahme durch vereidigte Beamte gezogenen
Proben, Die Abnahme der Probe wie ihre Analyse, die von ver-
eidigten Chemikern vorgenommen wird, ist durch einen Kreis
allgemein gültiger Festsetzungen, welche in den „Bedingungen
für den Handel in Rohzucker" niedergelegt sind, vor jeder Willkür
vollkommen geschützt. Sie bilden den Kernpunkt der Preis-
berechnung und schließen jede Obervorteilung bezw. Schädigung
gewissenhaft aus.
Im Anschluß an die ununterbrochene Verbesserung der Wert-
bestimmung und Vereinheitlichung der Preisbasen im Inland-
geschäft und bei dem Anwachsen der Umsätze erhob sich das
Bedürfnis, allgemein gültige Festsetzungen für alle überhaupt
regelmäßig beim Rohzuckerhandei mitwirkenden Faktoren zu
schaffen, so für die Zahlungsbedingungen, Verpackung, Verladung
usw.^ Der Erfolg war eine außerordentliche Vereinfachung des
Geschäfts und eine weitere Reduktion des Händleraufschlags in-
folge der so erzielten höheren Sicherheit vor Ausfällen und Er-
mäßigung der Spesen.«)
^) Ober die Usancen des Hamburger Rohrzuckerhandels vergl.
Busch, a.a.O.
') Bezüglich des Zuckerterminhandels genügt der Hinweis, dafi sein
Zustandekommen ohne eine aufs äußerste vereinfachte Basis für die
Preisberechnung schlechthin unmöglich war. Der Terminhandel spielt
hinsichtlich der Sicherung aller am Markt beteiligten Wirtschaften eine
eminente Rolle. — Vergl. A. Ehering, Entwicklung und Technik des
Magdeburger Zuckerhandels, sowie die Zuckerterminbörse und der
Zuckerterminhandel unter dem Einfluß des Börsengesetzes. Diss.
München 19Q2.
256 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutscbe Handel.
Bisher war nur vom Rohzuckerinlandhandel die Rede. Der
Einfluß, den der technische Fortschritt in den Untersuchungs-
methoden mehr mittelbar als unmittelbar hier geübt hat, tritt noch
schärfer hervor beim Exportgeschäft. Es ist unzweifelhaft, daß
dies erst aller Fesseln ledig wurde von dem Augenblick an, in
dem der Zuckerhändler den Käufer des Auslands rasch und gut be-
dienen konnte, d. h. aber, daß er ohne Vorlage eines Musters
oder gar einer Probe seinen Ansprächen zu entsprechen vermochte.
Hier hat er es in der Tat fertig gebracht, den Handel nach Type
mit voller Exaktheit auszubilden, so daß damit die Gewähr für
Sicherheit und Schnelligkeit bei Kauf und Verkauf gegeben ist,
Eigenschaften, welche den Eintritt des Rübenzuckers in die Reihe
der Welthandelsartikel sehr erleichtert haben. Die heute im deut-
schen Zuckerexporthandel gültigen Bestimmungen beschränken
die Preisfeststellung auf die Notiz für Erstprodukt Basis 880/0
Aschenrendement. Die Feststellung des leteteren findet durch
einen vereidigten Chemiker im Ursprungsland statt Die sehr
detaillierten Einzelabmachungen, welche in den „Schlußschein-
bestimmungen des deutschen Zuckerexportvereins zu Magdeburg''
niedergelegt sind, haben die Handelsusahcen zur Grundlage, wie
sie sich zwischen der Gruppe erster englischer Importhäusern
und den beteiligten deutschen Organisationen herausgebildet
hatten. Pilet bezeichnet ihr Zustandekommen als den „größten
Fortschritt und einen unendlichen Gewinn für den deutschen
Zuckerexporthandel." Man wird nicht fehl gehen, wenn man
es zum Teil auf Konto der vom Handel angeregten Vereinheit-
lichungsbestrebungen in der Produktionstechnik setzt. ^
Der Großhandel in raffinierten Zuckern, der eigentlich nur
noch im Ausfuhrgeschäft heute besteht, zeigt viel schärfer die
Spuren der nach Einheitlichkeit ringenden Technik. Für den Roh-
zuckerhandel stand immer die mutmaßliche Raffinadeausbeute
im Brennpunkt der Handelsinteressen, ihr konnte man praktisch
nur durch Näherungswerte nahekommen. Diese Schwierigkeit
fiel hier weg. Die Wertbestimmung nach äußeren Merkmalen hatte
') Interessante Einzelheiten über Entwicklung des deutschen Zucker-
handels, sowohl über das Export- wie über das Termingeschäft, schil-
dert 0. Pilet in seiner Schrift „Ein Rückblick auf mein Leben, insbe-
sondere auf die Entwicklung des Handels in den letzten fünfzig Jahren*.
Magdieburg 1900. — Vgl. auch A. Pohlman, Die Bedeutung des Zuckers
im Welthandel, in „Patria«, Jhrb. der „Hilfe« 1903.
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 257
keine großen Schwierigkeiten. Es fiel ins Gewicht daß der Pro-
duktionsprozeß der Raffinerie weit weniger von individuellen
Verhältnissen in seiner Technik berührt wird, wegen seiner Kürze
sowohl wie auch infolge der geringen Zahl in den Produktions-
prozeß eingreifender Faktoren. Hier war einer Systematisierung
Tür und Tor geöffnet, wenigstens soweit die reine Raffinerie in
Betracht kam, so daß aus dem Bedürfnis des Handels heraus sich
die Produktion ohne viele Umstände auf bestimmte Marken ein-
richten ließ. Diese Standardisierung entsprach auch durchaus dem
eignen Bestreben, den immer kleineren Preisunterschied zwischen
Halb- und Fertigfabrikat und den damit gedrückten Unternehmer-
nutzen an der Gewichtseinheit durch Spezialisation wett zu machen,
zumal man sich damit nicht der Möglichkeit zu begeben braucht,
auf wesentlich verschiedene Marken den Produktionsgang um-
zuschalten. Dies ist aber deshalb bedeutungsvoll, weil trotz zu-
nehmender Ausschaltung des Großhandels die Raffinerie im all-
gemeinen nicht mit einer regelmäßigen Versorgung bestimmter
Konsumkreise zu rechnen vermag. An Verschiebungen im Ab-
satzgebiet durch Zollmaßnahmen, Frachtvergünstigungen, Schleu-
derkonkurrenz, auch wohl durch Wandlung der vom Konsum
bevorzugten Formen ist der Zuckerraffinadeur durch die Er-
fahrung gewöhnt und verlegt sich deshalb meist darauf, den Be-
dürfnissen des Marktes durch eine Anzahl nicht nur der Qualität
nach und technisch einander subordinierter, sondern auch koor-
dinierter Marken Rechnung zu tragen. Das beiderseitige Bestreben
zu vereinheitlichen, hat dahin gewirkt, daß sich der Handel in
Raffinationsprodukten heute ohne Probe oder Mustervortage bei
Abschluß des Geschäftes abspielt Am Magdeburger Markt werden
täglich zur Zeit 6 Notierungen für Raffinationsprodukte vorgenom-
men, zu denen noch 5 wöchentliche Preisfeststellungen treten.
So hat denn auch hier die Technik den Zug nach Vereinheitlichung
soweit zum Durchbruch gebracht, wie es die Vielseitigkeit des
Konsums gestattete.
Schucbart, Zuckerindustrie. 17
Anhang.
Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft
Produktionskosten.
Um überhaupt eine Vorstellung davon zu erhalten, wie an den
Rohzuckergestehungskosten die Hauptfaktoren der Produktion be-
teiligt sind, hat E. Glanz für eine Anzahl Jahre auf Grund der
im Reichsanzeiger veröffentlichten Bilanzen von etwa 30 Fabriken
Berechnungen angestellt, i) Die betreffenden Werke gehören den
allerverschiedensten Größenklassen an und liegen in ganz E)eutsch-
land verstreut. Da die Größenklassen etwa in der Weise berück-
sichtigt sind, wie sie tatsächlich in der Industrie vertreten sind,
so darf man annehmen, daß das sich so ergebende Bild für
den ganzen Komplex der Rohzuckerindustrie einigermaßen zu-
treffend ist.
Der Durchschnitt der 33 Fabriken gab folgendes Bild von den
Rohproduktionsverhältnissen :
Rpfrfikhtt«
Schwankungen
Durchschnitts"
Rfibenertrag
Rohertrag*)
Jahr
im Rlibenpreis
preis
fOr
fQr
für 50 kg in Mk.
fCrSOkglBMk.
1 ha int
1 ha in Mk.
1
2
3
4
5
1897/g8
0,70-0,97
0,89
31,3
557
1898/99
0,78-1,11
0,965
28fi
550
1899/00
0,77—1,11
0,965
29,2
563
1900/01
0,85-1,14
1,014
29,6
600
1901/02
0,69-1,09
0,88
33,4
588
1902/03
0,73-1,12
0,955
26,4
504
1903fO4
0,71—1,09
0,883
30,4
540
1904/05
0,94—1,39
1,111
24,2
538
1905/06
0,77—1,12
0,944
33,4
631
Vereinszeitschrift 1907, S.45ff., auch 1900, S. 14, 402; 1902, S.31;
1903, S.119; 1905, S.35. Auszugsweise auch abgedruckt bei H, Ciaassen,
Die Zuckerfabrikation, 1904.
«) Es darf nicht tibersehen werden, daß die entzuckerten Schnitzel
durchweg kostenlos der Landwirtschaft geliefert werden.
Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft. 259
Die Kosten der Verarbeitung auf Rohzucker beliefen sich pro
Doppelzentner bei den Fabriken mit einer Rübenverarbeitung
1902/03
1903/04
1904/05
1905/06
bis zu 0^ Mill. dz auf . . .
» » ^fi n » » • • •
» » 1,0 . „ „ ...
» » ^W n » j» • • •
1,150 Mk.
0,888 ,
0,826 .
0,652 ,
0,92 Mk.
0.82 .
0,66 „
0,58 ,
1,038 Mk.
0,886 ,
0,765 ,
0.68 ,
0,91 Mk.
0,738 „
0,648 ,
0,570 .
Daraus wird der außerordentliche wirtschaftliche Vorteil der
Massenverarbeitung ersichtlich. Der Unterschied in der Höhe der
Betriebskosten findet seinen Ursprung in den wechselnden Ernte-
ergebnissen (vgl. die vorhergehende Tabelle Spalte 4).
Die Hauptposten der Verarbeitungskosten weist die folgende
Übersicht aus, Angaben in Mark:
Im
1
Verarbeitungs-
kostea
fOt 1 dz Rfiben
Rohmaterial-
und
Veraibeitung«-
kosten
1
Arbeitslobn und
Oehalt
ffir 1 dz Rfiben
13
Prel»
der gestflrzten
Kohle Dortmund
ab Werk pro t
1897/96
1,78
0,80
2,58
2,68
0,210
0,150
9,4
1898/99
1,93
0,846
2,776
3,02
0,234
0,158
9,7
1899/00
1,929
0,906
2,835
3,00
0,245
0,175
10,0
1900/01
2,028
0,846
2,874
3,08
0,234
0,189
13.6
1901/02
1,76
0,774
2.534
2,572
0,220
0,187
14,0
1902/03
1,91
0,994
2,904
3,062
0,270
0,194
1^3
1903/04
1,766
0,794
2,560
2,682
0,220
0,170
12,1
1904/00
2,222
0,906
3,128
3,510
0,255
0,167
11,8
1905/06
1.888
0,752
l 2,64
2,740
0,210
0,162
11,8
Nimmt man an, daß die so ermittelten Produktionskosten für
die gesamte Rohzuckerproduktion zuträfen, so erhalten wir von
der Bedeutung der deutschen Zuckerindustrie, soweit sie Rüben
verarbeitet, folgendes Bild:
(Siehe Tabelle auf nSchster Seite.)
Den Wert der den Lieferanten zurückvergüteten Schnitzel
hat man auf 25 Mill. Mark veranschlagt.
Über die Verteilung des Gewinnes der Zuckerproduktion
zwischen Industrie und Landwirtschaft hat man vielfach Berech-
nungen angestellt. Da ihnen eine ganze Anzahl Fiktionen zu-
grunde gelegt werden müssen, welche dem Wechsel der Zeit unter-
liegen, erscheinen ihre Ergebnisse wenig einwandfrei.
260 Die Zttckerindustrie im Rahmen der deutschen Vollcswirtschaft
Jahr
VcnitMltete
RSbeamence
AfbeiMoha
und
Ocliait
Aufwand
»r
Bftoanatarial
FOrRObea
wurden
gcaaUt
Ocsamtuaiaatz
der
RObea-
xuckerfatolkeB
laMill. dl
laMitt-Mk.
iaMm.Mk.
iaMlU.Mk.
in MiU. Mk.
1897/98
137,0
28,77
20,55
243,8
367,1
1898/99
121,5
28,43
19,20
234,5
366,9
1899/00
124,4
31,10
21,79
23^0
373,2
1900/01
132,5
31,01
25,08
266,8
408,2
1901/02
160^1
35,23
29,9S
281,8
411,5
1902/03
112,7
30,43
21,87
215,3
345^1
1903/04
127,1
27,95
21,60
224.4
340,6
1904/05
100^7
25,68
16,78
2233
353,5
1905/06
157,3
33,04
»,49
297,1
431,1
Einwirlcung auf verwandte Wirtschaftsgebiete.
Die Einwirkung, welche die deutsche Zuckerindustrie auf
verwandte .Wirtschaftsgebiete ausgeübt hat, so z. B. auf die
Maschinenindustrie, läßt sich auch nicht approximativ zahlenmäßig
erfassen. In einzelnen Gegenden, wie im Magdeburgischen und
Braunschweigischen, kann man einen innigen Zusammenhang mit
der dortigen Eisen verarbeitenden Industrie und ihrer Entwicklung
nachweisen.^) Hinsichtlich der Einwirkung der Rübenzucker-
industrie auf die Ausgestaltung des Verkehrs ist zu sagen, daß sich
wegen der überaus verschiedenartigen, zahlreichen Einflüsse die
Wirkung, welche auf diesen Industriezweig sich zurückführen
ließe, im allgemeinen nicht aussondern läßt.') Mit einiger Sicher-
Die Zuckerfabrikation im Zollverein. Stuttgart 1861.
*) Mit dem Einfiufi des Zuckermarktes in Magdeburg auf die Ent-
wicklung des dortigen Telegraphen- und Fernsprechwesens beschäftigt
sich ein Aufsatz im »Archiv für Post und Telegraphier, Beiheft zum
Amtsblatt des Reichspostamtes, 1906, S. 721 ff. Auf Qrund durchschnitt-
licher Verkehrszahlen aus den Jahren 1905 und 1906 wird berechnet,
dafi beim Telegraphenamt in Magdeburg von den 80 dortigen am
Zuckerhandel beteiligten Firmen 38®/o aller aufgelieferten Telegramme
und 48% der Oesamtgebühreneinnahme stammten. Ffir das Jahr 1905
berechnet, sind das 81000 Mk. Aus den Darlegungen ergibt sich, daß
in Magdeburg im Laufe eines Jahres mindestens 120000 Mk. an Tele-
graphen- und Fernsprechgebühren allein aus dem Zuckerhandel ver-
einnahmt werden. Ebenda wird ferner nachgewiesen, dafi die bessere
Verkehrslage Hamburgs, sowie seine vorzüglichen Telegraphen- und
Fernsprechverbindungen ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dafi
Mt^deburgs Bedeutung ffir den Terminhandel in Zucker seit dem !n-
— ^-l
Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Vollcswirtschaft. 261
heit ist dies seither nur bei der Provinz Posen gelungen. Wir
beobachteten hier den ungewöhnlichen Fall, daß die Industrie als
Großindustrie in ein industriearmes und verkehrstechnisch wenig
entwickeltes Gebiet ihren Einzug hielt. Man hat hier die von
den 20 Fabriken in der Zeit von 1876 bis 1900 gemachten Auf-
wendungen für Wegeausbesserungen und Eisenbahnbauten auf
fast 5,7 Mill. Mark berechnet, das macht pro Jahr und Fabrik
eine Ausgabe von 20000 Mark. Während sich die Löhne, welche
in diesen 25 Betriebsjahren zur Auszahlung kamen, auf 26,7 Mill.
Mark beliefen, wurden bei einem Aufwände ffir Rüben von
262,2 Mill., für Kohlen von 17,8 und für Kalksteine von
2,8 Mill. Mark im ganzen für Eisenbahnfrachten 34,7 Mill. Mark
ausgegeben entsprechend einer Ausgabe von 123400 Mark pro
Jahr und Fabrik.^) Aus diesen Zahlen läßt sich eine Vorstellung
von der eminenten Bedeutung gewinnen, welche die Zucker-
industrie für die Erschließung wirtschaftlich unentwickelter Ge-
biete noch in neuester Zeit hat, und es läßt sich ein Schluß machen
auf die hervorragende Rolle, welche sie in der Verkehrsentwicklung
Deutschlands in älterer Zeit gespielt hat.') Es kann keinen Augen-
krafttreten des Börsengesetzes außerordentlich abgenommen hat, da-
gegen die Hamburgs bedeutend gestiegen ist Eine Besserung scheint
indes seit 1904 eingetreten zu sein.
*) B. Amrogowicz, a. a. O., S. 48ff.
«) Vergl. 0. Pilet, Ein Rückblick auf mein Leben, S. 38, 50 u. ft.,
78 u. ff. — Ober den Einfluß der Zuckerindustrie auf die Entwicklung
Posens äußert sich die Festschrift der Handelskammer Posen 1901:
«Man kann ruhig behaupten, daß, soweit in der Provinz in der Land-
wirtschaft treibenden Bevölkerung aus neuerer Zeit herrührender Wohl-
stand anzutreffen ist, dieser in den meisten Fällen durch die Zucker-
industrie begründet ist. Ebenso verhält es sich mit den Fortschritten
in der Bewirtschaftung des Grund und Bodens; die Ausbreitung der
Drainage ist nicht am wenigsten auf die Zunahme des Rübenbaus
zurückzuführen. Hand in Hand mit dem Erstarken der Zuckerindustrie
ging die Vermehrung und Ausbesserung der Wege, Bildung von Zu-
und Abfuhrstraßen, Bau von Bahnlinien, Anlegung von Haltestellen an
bereits bestehenden Bahnen und Regulierung der Wasserstraßen. Ge-
rade so wie im besondern die Schiffbarmachung derWarthe die Zucker-
industrie in unserem Bezirk förderte, indem dadurch die Zuckerfrachten
verbilligt und dem Posener Zucker eine gewinnbringende Konkurrenz
auf dem Markt ermöglicht wurde, ebenso haben die Zuckerverladungen
die Regulierung der Warthe gefördert und die Einrichtung eines regel-
mäßigen Dampfschleppschiffahrtsverkehrs und damit eine allgemeine
Verbilligung der Frachten hervorgerufen. Dadurch, daß viele Arbeiter
im Winter in den Zuckerfabriken Arbeit fanden, sind sie auch für den
262 Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutsciien Vollcswirtscliaft.
blick bezweifelt werden, daß der wirtschaftliche Nachteil, den
das Aufkommen des Rübenzuckers fOr manche Zweige des Han-
dels und Gewerbes brachte, so z. B. für die Rhederei, und der
einst ein Argument war für eine stärkere Belastung der einhei-
mischen Produktion 1), überreichlich kompensiert wurde durch die
Belebung des Inlandsverkehrs und der mit ihm verknüpften Ge-
schäftszweige. Oberdies fand der Außenhandel sehr bald Ersatz
für den Ausfall am Rohzuckerimport in den Artikeln, welche mit
der Entwicklung der internationalen Verkehrsbeziehungen und
des Weltmarktes Güter internationalen Austauschs wurden.
Fiskalische Bedeutung.
Es ist dargelegt worden, wie die Entwicklung zu den Formen
des fabrikmäßigen Großbetriebs in der deutsehen Rübenzucker-
industrie als eine Folge der Belastungen mit Steuer bezw. Zoll
zustande kam. In der Zahlenreihe, welche den Reinertrag der
Abgaben versinnlicht, spiegelt sich deutlich die \K%kung der je-
weils gültigen staatlichen Bestimmungen wieder. Er t>ezifferte sich
auf die folgenden Beträge in Millionen Mark:
1871/72 45,2
1872/73 54,8
1873/74 60,6
1874/75 49,7
1875/76 63,2
1876/77 48,6
1877/78 49,8
1878/79 50,6
1879/80 54,2
1880/81 46,1
1881/82 56,9
1882/83 67,3
1883/84
1884/85
1885/86
1886/87
1887/88
1888/89
1889/90
1890/91
1891/92
1892/93
1893/94
1894/95
47,8
39,7
24,5
33,6
14,7
30,1
80,6
75,6
72,0
52,5
82,8
85,7
1895/96
1896/97
1897/98
1898/99
1899/00
1900/01
1901/02
1902/03
1903/04
1904/05
1905/06
103,7
86,9
100,9
109,2
126,7
115,7
103,6
117,6
129,7
121,7
147,6
In Zusammenhang mit der Verbilligung des Zuckers hat
sich der Konsum pro Kopf in neuester Zeit gut entwickelt, ob-
Sommer an die heimische Scholle gefesselt worden. Daher wären
ohne die Zuckerindustie die Arbeiterverhältnisse wahr-
scheinlich noch schiechtere.
^) C. Stölzei, Ober Entstehung und Fortentwicklung der Rfiben-
zuckerfabrikation, 1848. Berlin. S. 101 ff.
Die Zuckerindustrie im Ralimen der deutsclteo Vollcswirtscliaft 263
E
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73 <i>
SÄ 'S
264 Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft.
gleich die Sätze^ welche Amerikaner und Engländer erzielen, vom
Deutschen bisher auch nicht entfernt erreicht wurden. (Vgl.
S. 263.) Über den Zusammenhang zwischen Konsum pro Kopf ^)
und dem Preis für die Gewichtseinheit gibt die graphische Dar-
stellung (Tafel 3) Aufschluß. Das Streben der Industrie ist an-
gesichts des durch Zölle gedeckten Rohrzuckers, der am Welt-
markt seit Abschluß der Brüsseler Konvention sehr merklich
an Boden gewinnt, darauf gerichtet, den Inlandskonsum vor allem
zu entwickeln, um an ihm eine Kompensation für den Rückgang
der Ausfuhr zu erlangen. Der Wert der Zuckereinfuhr und -aus-
fuhr Deutschlands betrug in Mill. Mark im Jahre
Einfuhr
Ausfuhr
Einfnbf
Ausfuhr
1
ünftihr
Ausfuhr
1872
29,1
9,5
1884
1,4
184,3
1896
0,4
236,4
1873
15,6
8,9
1885
1,4
157,0
1897
0,5
229,9
1874
13,0
11,7
1886
1,1
141,2
1898
0,4
212,4
1875
13.1
11,9
1887
1,5
180,9
1899
0,4
203,6
1876
93
38,6
1888
1,9
158,9
1900
0,5
216,3
1877
5,9
34,2
1889
1,4
162,8
1901
0,7
202.8
1878
3,6
71,5
1890
2.1
216,1
1902
0,6
159,4
1879
3,8
79,6
1891
1,8
227,8
1903
2,1
186,7
1880
2,6
110,6
1892
1,8
179,8
1904
1,9
178,7
1881
2,5
144,1
1893
0,6
221,2
1905
0,7
182,8
1882
2,6
156,9
1894
0,5
209,2
1906
—
236,6
1883
2,0
208,7
1895
0,4
192,9
Prozentanteil an der Ausfuhr:
■
19U3 1902] I<i0l|ig0oil899| 1898
1897 'lügel 1895 1894 '1893
BaumwoUenwaren .
6,2
6,5
6,3
5,9
5,4
4,9
5,2
4,7
4,5
4,7
4,4
5,4
4,7
4,8
Wollenwaren . . .
4^
5,0
4,7
4,8
5,5
4,7
5,0
5,0
5,0
5,5
5,8
6,5
6.1
6,7
Maschinen aller Art
5,4
5,0
4,7
4,5
4,1
4.4
4,8
43
3,7
3.4
3,1
2,5
2,6
2,0
Steinkohlen . . .
4.0
4,0
4,3
4,3
4,3
4,6
4,6
4,1
4,0 3,5
3,3
3,1
3,3
3,2
Zucker . . . . ,
3,7
3,1
3,4
3,6
3,3
4,5
4,6
4,7
5.3
6,1
6,3
5.6
6,9
6,8
Sei den waren , , ,
2,9
2,ß
2,7
3,2
3,0
3,0
2,9
3,3
3.2
3,0
3,3
3.7
3,4
4,7
Eisenwaren, grobe .
2,1
2,4
2,8
3,4
3,4
3,2
2,9
3,2
2,9
2,7
2,5
2,3
2,2
—
In diesem Falle sind die Konsumzahlen der amtlichen Statistik
zu Grunde gelegt.
*) Vergl. auch Th. M. Cords, Die Bedeutung der Binnenschiffahrt
für die deutsche Seeschiffahrt. Stuttgart 1906.
Die Zuckerindustrie im Ralimen der deutsclien Vollcswirtochaft 265
Die abnormen Umstände, unter denen die deutsche Zucker-
industrie gro6 geworden ist, ließen in ihrer Entwicklung zürn
fabrikmäßigen Großbetrieb schärfer und früher charakteristische
Formen ausreifen als in andern unter weniger treibhauskultur-
ähnlichen Verhältnissen aufgewachsenen Industriezweigen. .Wir
sahen, wie bei ihr im Jahre 1865 das Problem akut wurde, welche
in den Karteüierungsbestrebungen in den letzten 15 Jahren eine
so große Rolle spielt: Die Forcierung der Ausfuhr auf Kosten
einer Mehrbelastung des Inlandkonsums. Es hat den Anschein,
als ob der Regierung der Zollvereinsstaaten diese Frage in ihrer
prinzipiellen Bedeutung nicht deutlich geworden wäre. Vielleicht
hat die Entscheidung, die damals getroffen wurde, der Ent-
wicklung der schutzzöUnerischen Bestrebungen in gewissem Sinne
Vorschub geleistet.
Heute liegen beim Zucker die Dinge so, daß auf die Ent-
faltung des Exports in der Zukunft gewisse Schliisse zulässig
sind. Der Ausfuhrhandel hat mit wachsenden Schwierigkeiten zu
kämpfen gegenüber dem Rohrzucker, der insbesondre durch die
Zollbehandlung der Vereinigten Staaten bevorzugt schon jetzt
Schritt für Schritt in den Rübenzuckerexportgebieten vordringt.
Noch steht die Rohrzuckerindustrie in den meisten Ländern tech-
nisch auf einer tiefen Stufe. Aber auch hier sind Anfänge einer
Evolution deutlich bemerkbar trotz der ungeheuren Widerstände,
welche aus dem sozialen und wirtschaftlichen Aufbau der pro-
duzierenden Staaten resultieren.^) Während die Rübenzudcer-
Industrie in Deutschland längst alle wirtschaftlichen Kräfte in
ihren Dienst gestellt hat und eine Steigerung des Zuckerertrags
pro Flächeneinheit für die Zukunft nicht zu erwarten ist, liegen
in der Rohrzuckerindustrie noch enorme Kräfte brach und harren
der Befruchtung durch wissenschaftliche Arbeit und Kapital. Frei-
lich^ marschiert Deutschland hinsichtlich der Zuckererzeugung auf
der ^Flächeneinheit bisher entschieden an der Spitze. Denn es
erzeugten Zucker auf dem Hektar in Doppelzentnern:»)
1) H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt. 1906. S. 260ff. ~
Vergl. auch Jul. Wolf, Der deutsch-amerikanische Handelsvertrag 1906.
— K«^ Jentsch, Zucker, in der „Zukunft«, Wochenschrift Jan. 1907. —
Vereinszeitschrift 1907, S. 228. — Jul. Wolf, Das Deutsche Reich und
der Weltmarkt. Jena 1901. — Brückner, Zuckemot und Abhilfe, .Deutsche
Stimmen" 1902, Nr. 1, 2 und 3. — C. Meyer, Ober die Lage der Zucker-
industrie, 1902, S. 18.
*) H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt. 1906, S.265.
286 Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volicswirtschaft
Jahre
Deuttch-
Und
Fraak-
reicli
Oster-
reicli-
Ungani
RnBUuid
Bcigicii
HotUad
Diaeaiark
1895/96
43.1
32,2
27,0 20,7
39,3
29
40^4
1896/97
4%9
30,1
26,6
20,2
42,3
33
— ■
1897/96
42,2
35.1
27,2
17,7
39,0
32
26,3
1898/99
42,4
32,9
33,8
17,0
45,0
34
28,4
1899/00
42,1
34,5
33,8
18,2
45,2
36
34,9
1900/01
44,2
36,3
32,0
17,1
46.7
—
38.7
1901/02
48,1
35,5
35,7
18,7
39,2
42
25,2
1902/03
41,8
33,1
34,3
19,8
33,2
32
34,2
1903/M
47,3
33^5
37^
17,7
38,0
30
32,0
1904/05
37,1
31,5
28,0
19,7
38,0
37
32,0
1905/06
50,1
35,5
39,0
25,6
46,8
43,2
Bei gleicher Behandlung des deutschen Rübenzuckers mit
dem fremder Staaten dürfte woM die deutsche Zuckerindustrie
von vornherein am wenigsten deshalb bedroht sein. Von keiner
Seite aber wird es ernstlich bestritten werden können, daß bei
der Rohrzuckerindustrie heute die grö&ere Evoluiionsfahigkeit
und wirtschaftliche Stoßkraft zu suchen ist.
Eine andere Frage ist es allerdings» in wekher Zeit die Ent-
faltung der Robrzuckerindustrie zustande kommen wird» und ob
die Rüberizuckerindustrie sich nicht bei Versdiietmngen unter
den nationalen und internationalen Wirtschaftskreisen und in der
dynamischen Wirkung ihrer Kräfte airf eine ganz neue Basis
zu gründen imstande ist. Eine Möglichkeit dazu ist zweifels-
ohne in der rationellen Ausgestaltung des Brüh Verfahrens zu
suchen.
Die durch die Preise im Inlandskonsum kunstlich hochgehaltene
Ausfuhrquote Deutschlands bewegt sich deutlich auf absteigender
Bahn. Wenn sie im letzten Jahre eine Besserung aufweist, so
ist das auf das Zusammentreffen einer Anzahl günstiger Um-
stände zurückzuführen.^) Das Sinken hat eine tiefe Bedeutung.
Vergl. die Eingabe des Vereins der deutschen Zuckerindustrie an
den Reichstag betr. Herabsetzung der Zuckersteuer (18. März 1907).
Sie setzt eingehend auseinander, welchen Umständen das Anschwellen
der Zuckerausfuhr im Jahre 1905/06 zuzuschreiben ist. Es wurden da
1145314 t exportiert gegen 766521 und 873623 t in den beiden Vor-
jahren. Ihr Ergebnis Ist, daß f&r ein dauerndes Wiederanschwellen der
Ausfuhr sehr geringe Aussichten vorhanden sind. Zur Stärkung der
deutschen Konkurrenzfähigkeit am Weltmarkt vertongt der Verein eine
Herabsetzung der Verbrauchsflbgabe auf 10 Mk.
Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschalt. 267
Die wirtschaftliche Erlösung kann nur in Richtung der Ent-
wicklung des Inlandkonsums liegen. In der Zuckerindustrie ist
die Verschleuderung des nationalen Gutes in ruinöser Konkurrenz
im Begriff, durch den gesteigerten Inlandskonsum im Verbrauch
der Massen abgelöst zu werden. Ist doch nicht die Ausfuhr
an sich begrüßenswert» sondern es handelt sich darum, ob an
derselben ein Profit erzielt werden kann. Der hypertrophische
Zustand der Dberausfuhr, wie er aus sozialen Mißverhältnissen
heraus hervorgewachsen ist, ist für die soziale Reform ein Hemm-
schuh; denn sie wirkt nicht nur auf die Technik als ein
retardierenders Moment, sondern schwächt auch die eigene Kon-
sumkraft.^)
So nähert sich denn die Evolution der Industrie dem idealen
Ziel aller menschlichen und technischen Arbeit, der Veredlung
der Menschheit, zumal der arbeitenden Klassen in der Entwicklung
ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Konsumkraft.
^> H. Herkner, Die soziale Reform als das Gebot des Wirtschaft*
liehen Fortschritts. 1891,5.81.
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