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Full text of "Die volkswirtschaftliche bedeutung der technischen entwicklung der deutschen zuckerindustrie"

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o Henusgcgcbea von Dr. LUDWIG SIKZHEIMER » 



3 Bind 1 C 



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c volkswirtschaftliche 
Bedeutung def technischen 
Entwicklung der deutschen 

:: Zuckerindustrie :: 

Von Dr. TH, SCHUCHART. Diplom'lAccnUtw 




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Tedinisdi-volkswirtsdiaftlidie Monographien 
Herausgegeben von Dr. Ludwig Sinzheimer 
• Erster Band =========== 



Die volkswirtsdiaftlidie Bedeutung 
der technischen Entwicklung 
der deutschen Zuckerindustrie 



Von 

Theodor Sdiudiart 

• > 
Diplom-Ingenieur 

Doktor der Staatswirtsdiaft 
Mit drei lithographisdien Tafeln 





Leipzig 1908 ♦ Verlag van 
Dr. AVerner Klinkhardt 



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Alle Rechte vorbehalten. 



Graphisches Institut Julius Klbikhardt, Leipzig. 



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Meinen lieben Eltern 



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Vorwort 



£s hat fiberrasdiend lange gedauert, bis die nationalöko- 
nomisdie und die teduiisdie Forschung sidi der innigen Verwandt-* 
sdiaft ihrer Interessen bewuBt wurden. Nachdem sich neuerdings 
beiderseits das Bedürfnis angebahnt hat, sidi gegenseitig zu durdi-' 
dringen, will sich dies Buch an den Nationalökonomen und an 
den Techniker wenden. 

Dabei wird es dem routinierten Zuckerfachmann verständlidi 
erscheinen, daß die Tedmik lediglich ihren Grundzfigen nach ver- 
folgt werden konnte und daß manche tedmisch wertvolle Einzel" 
heit zurücktreten mußte. 

Eine Industrie, welche wie die Zuckerindustrie eine soldi 
komplizierte Tedmik besitzt, die andrerseits Betriebe der ver-* 
schiedensten Erscheinungsformen in sidi vereinigt und durch die 
Natur ihres Rohstoffs in engster Verbindung mit dem Boden als 
Produktionsmittel steht, trifft über die Wahl ihrer technischen und 
wirtschaftiidien Hilfsmittel nur in beschränktem Maße allgemein 
gültige Entscheidungen. Diese müssen vielmehr regelmäßig durch 
genaueste Prüfung des Einzelfalles herbeigeführt werden. Aus 
diesem Grunde möge es erklärt werden, wenn etwa die nach- 
folgenden Blätter Lüdken oder Fehler in bezug auf Einzelheiten 
enthalten sollten. 

Jedenfalls war es mein eifriges Bestreben, nicht nur durch 
literarische Studien, sondern auch durch Studium der Betriebe an 
Ort und SteUe mich zu informieren. So dankbar idi für die 
gütige Aufnahme bin, welche mir vielerorts zuteil wurde, so 
beklagenswert empfand ich die auf unberechtigtem Vorurteil be- 
ruhenden Erschwerungen, welche bisweilen eine eingehende 
Orientierung hinderten. Im Interesse einer Klärung der zum TeU 
recht verwidkelten Verhältnisse ersdieint mir deshalb eine sach- 



lidie und Iddensdiaftslose Kritik seitens der Praktiker für beide 
Teile besonders begrüßenswert 

Der Komplikation der Materie habe ich dadurch Redmung 
zu tragen versucht, daß ich viel von dem Beiwerk phantastischer 
Zahlen, welche anderswo bezüglich der gesamten Industrie be- 
sonders häufig in der nationalökonomischen Literatur auftreten, 
in den nadifolgenden Betrachtungen nicht aufgenommen habe. 

An dieser Stelle drängt es mich, meinem hochverehrten 
Lehrer Herrn Dr. L. Sinzheimer meinen ganz besonderen Dank 
für seine liebenswürdige tafkräftige Unterstützung und Förderung 
abzustatten. Dieser Dank geht weit über den Rahmen dessen 
hinaus, welchen ein Autor für die übrig zu haben pflegt, welche 
entscheidenden Einfluß auf seine Arbeit gewannen. Des weiteren 
gedenke ich dankbar der vielfachen Anregungen, welche mir 
durch Herrn Qeheimrat Prof. Dr. L. Brentano und Herrn Prof. Dr. 
W. Lotz zuteil wurden. Was speziell die technische Seite meiner 
Arbeit angeht, so schulde ich Herrn Prof. Dr. Lintner an der 
technischen Hochschule hier für seine fruchtbringende Kritik und 
die Durchsicht der Druckbogen hervorragenden Dank. Schließlich 
sei bestens gedankt dem Deutschen Museum von Meisterwerken 
der Naturwissenschaft und Technik, dem Institut der deutschen 
Zudkerindustrie, den zahlreichen Korporationen, Behörden, Gelehr- 
ten, Fabrikanten, Landwirten und Kaufleuten, welche meinen Plan 
durch Empfehlungen, Informationen, Bibliothekbenutzung und 
Besichtigungen fördern halfen. 



München, Juli 1907. TH. SCHUCHART. 



Inhaltsübersidit 



Seite 

Zur Vorgeschichte der deutschen Zudkerindustrie . . i 

1. Absdinitt 

Die technische Entwiddung und ihr Einfluß auf die 

deutsche Zudkerindustrie 11—173 

L Die vorkapitalistisdie Periode. 

Kapitel 1. Die alte und die neue Zuckerindustrie ... 11 

Kapitel 2. Die Zeit von 1802-1840 20 

Kapitel 3. Die Zeit von 1841—1861 38 

II. Die entwickelt kapitalistische Periode. 

Kapitel 1. Die deutsdie Rflb^nzuckerindustrie 1861—1887 54 

Kapitel 2. Die deutsdie Rfibenzudcerindustrie 1887—1907 68 

Kapitel 3. Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung 84 

III. Die Organisation. 

Kapitel 1. Die Entwicklung zum fabrikmfiBigen GroB^ 

betrieb 88 

Kapitel 2. Die Weiterbildung des fabrikmfiBigen GroB- 

betricbs 115 

Kapitel 3. Die Arbeiterverhfiltnisse 142 

2. Abschnitt 

Die zuckerindustrielle Entwidklung und die deutsche 

Landwirtschaft 744—244 

Kapitel 1. Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb . 174 

Kapitel 2. Die Arbeiterverhfiltnisse 230 

3. Absdinitt 

Die zudkerindustrielle Entwiddung und der deutsche 

Handel 245 

Anhang 

Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volks- 
wirtschaft 258 



CßD. 




Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 

Gegen Ende des Zeitalters der vom Absolutismus inaugu- 
rierten merkantilistischen Handelspolitik nahmen die trans- 
ozeanischen Kolonialgüter auf den kontinentalen Märkten den 
^sten Platz ein. Der in den Plantagenwirtschaften Westindiens 
durch Sklaven im Stile des Großbetriebs aus dem Zuckerrohr 
gewonnene Zucker war neben dem Kaffee auf den Handels- 
plätzen der alten Welt der begehrteste Spekulationsartikel. In 
den handelspolitischen Grundsätzen der europäischen Kultur- 
staaten sowohl, die auf eine virtuose Begünstigung der binnen- 
ländischen industriellen Tätigkeit hinausliefen, wie andrerseits in 
dem traditionellen Kolonialsystem der Ausbeutung war es be- 
gründet, daß die Veredelung des in primitivster Technik ge- 
wonnenen Rohzuckers zu Konsumware dem kolonialen Unter- 
nehmertum lange Zeit unmöglich gemacht war und als mono- 
polistisch betriebener Erwerbszweig von den Mutterländern be- 
ansprucht wurde. Erst 1717 hatte sich Frankreich dazu ver- 
standen, dem Zucker aus seinen Kolonien alle nicht französischen 
europäischen Märkte freizugeben und eine Zollermäßigung bei 
der Einfuhr ins Mutterland zuzugestehen. Von dieser Maßregel 
datiert der Aufschwung und die Blüte des französischen West- 
indien und die außerordentliche Zunahme seiner Konsumtion und 
Produktion.^) Die wirksame Stütze, die unter dem Ministerium 
des Kardinals I^eury (1726 — 43) der französische Handel in den 
überseeischen Besitzungen gewann, zwang England 1739 zu 
ähnlichen Entschließungen. Die unerhörte Blüte des westindischen 
Plantagenbaues, der sich inzwischen auf Kaffee und andere 
Kolonialgüter ausgedehnt hatte, macht es begreiflich, daß trotz 
der schweren Verluste, welche für Frankreich die Einbuße des 



>) H. Scherer, Allg. Geschichte des Welthandels, Bd. 2, S. 548. 
Schtichart» Zutkerindustrie. 1 



2 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 

Handels mit Ostindien und der afrikanischen Westküste mit sich 
brachte, es dem aufstrebenden England einen harten Kampf 
kostete, den Rivalen aus seiner Vormachtstellung zur See zu 
drängen.!) 

Um eine Vorstellung von der prävalierenden Stellung des 
französischen Handels in Kolonialwaren zu geben, führen wir 
einige Werte an aus den letzten Jahren vor Ausbruch der 
Revolution, in denen der westindische Handel auf dem Höhe- 
punkt stand. Während aus sämtlichen amerikanischen Kolonien 
zu Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. nach Frankreich Waren 
eingeführt wurden im Werte von 16700000 Frs., unter denen 
mit 11000000 Frs. Zucker und Kaffee, mit 4081000 Frs. Indigo 
und Droguerien, mit 775000 Frs. Baumwolle figurierte, wurde 
die Gesamteinfuhr^) kurz vor Ausbruch der Revolution auf 
185 Mill. Frs. bewertet; davon entfielen 134 Mill. Frs. auf Zucker 
und Kaffee, 26 Mill. auf Baumwolle, 11,6 Mill. auf Indigo und 
Droguerien. Ins Ausland führte 1788 Frankreich aus seinen 
Häfen aus:*) 
Rohzucker 448546 Ztr. im Werte von 17 540000 Frs. 

Raffinierten Zucker 17 408 „ „ „ „ 1733000 „ 
Zuckerhüte 864445 „ „ „ ^ 44 361000 ^ 

Sa. 63634000 Frs. 

In der Tat war der Zucker neben dem Kaffee vor dem 
Verlust der kolonialen Besitzungen in Westindien die Qrund- 
säule des französischen Außenhandels. 

Für Deutschland war Hamburg nach dem Niedergang des 
holländischen und französischen Handels der erste Platz im 
Handel mit Rohrzucker. Hamburg, in der ersten Hälfte des 
18. Jahrhunderts noch ein Distributionszentrum zweiter Ordnung, 
insofern es nicht unmittelbar am transozeanischen Handel be- 
teiligt war, immerhin aber schon zur wichtigsten Handelsempore 



*) Der Zucker in den verschiedenen Phasen des Kolonialsystems, 
vergl. W. Kaufmann, Weltzuckerindustrie (fiskalische Vorzugsbehandlung), 
Kartelle, internationales und koloniales Recht. 1904. S. 5 ff. 

•) 1786 lieferte Frz. Domingo für 131481000 Livres Kolonialwaren. 
Martinique „ 23958000 . 
Guadeloupe „ 14360000 „ 
Cayenne ^ 919000 „ 

Sa. 170718000 Livres. 
*) Hildt, Handel- und Oewerbskunde, Weimar 1803—5. Bd. 2. 



-> 



Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 3 

des nördlichen und mittleren Europa erbläht, geriet durch die 
politischen Verwickelungen der Westmächte in eine außer- 
ordentlich gunstige Position. Durch den Sieg der nordamerika- 
nischen Freiheitskämpfer insbesondere wurde ihm die Bahn frei 
für seinen Eintritt in den Überseehandel, der ihm bisher ver- 
schlossen war. Das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts be- 
deutet für Hamburg eine Epoche lebhaftesten Aufschwungs: sie 
ist auf Kosten der direkten Verbindungen mit den vielumworbenen 
tropischen Produktionsgebieten vorwiegend zu setzen^. An 
diesem für die Versorgung Mittel- und Nordeuropas mit Kolonial- 
waren hervorragend günstig gelegenen Platz blühten, seitdem 
der Zucker ein allgemeineres Oenußmittel geworden war, jene 
Betriebe in großer Zahl, welche die Raffination des Rohzuckers 
besorgten, die sog. Zuckersiedereien. Während ihre Zahl für 
die Zeit um 1790, als noch vielfach über französische Häfen be- 
zogene Rohrzuckermengen verarbeitet wurden, auf 298 an- 
gegeben wird, stieg sie im Jahre 1805 auf 405, um von da 
ab wieder zu fallen. Dem Hamburger Erzeugnis ging der Ruf 
hervorragender Güte voraus, ein Umstand, der mit Hilfe der 
vorzüglichen Handelsverbindungen bewirkte, daß Hamburger 
Ware in Deutschland, Rußland und den nordischen Reichen im 
Konkurrenzkampf über die holländische, in den süddeutschen 
Staaten und in Österreich über die österreichische zu triumphieren 
vermochte*). Für den Osten bildeten Danzig und Stettin die 



Nach A. Soetbeer, Über Hamburgs Handel 1840-43, Bd. 1, be- 
trug die Einfuhr: 





Angekommene 


Zucker 


Kaffee 


Hlute 


Baumwolle 




Schiffe 


tOOOPM. 


MUl. Pfd. 


1000 Stack 


Ballen 


1791 


1504 


52958 


21 Vf 


70 


3685 


1792 


1700 


48336 


21 


53 


3086 


1793 


1455 


35289 


26 


43 


2452 


1794 


1820 


664T7 


38 


152 


7987 


1795 


2107 


86810 


42 


215 


10143 


1796 


1919 


78255 


39»/, 


180 


7657 


1797 


1869 


75083 


39'/ 


270 


11017 


1798 


1901 


79849 


45*5 


81 


7667 


1799 


1960 


104963 


45»8 


243 


5132 


1800 


1895 


70955 


39' 


123 


12668 


1801 


21T7 


104116 


28 


256 


9397 


1802 


2108 


84841 


24 


226 


6793 



*) Steph. V. Kees, Darstellung des Fabrik- 
4.Bd^ Wien 1824, I. S. 247 ff. 



und Qewerbewesens» 



4 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 

natürlichen Eingangspforten für die überseeische Rohware, bis 
es auch hier Hamburg gelang, mit seinen Raffinerieprodukten 
den Rohzuckerimport zu verdrängen, womit eine gewaltige 
Steigerung des Absatzes in jenen Häfen Hand in Hand ging. 

Für die Vernichtung des überaus lebhaften französischen 
Kolonialhandels, den die kriegerischen Verwicklungen mit Eng- 
land, besonders aber der Verlust von St Domingo nahezu voll- 
ständig lahm gelegt hatten, suchte sich Napoleon I. durch die 
in ihren wirtschaftlichen Wirkungen kaum zu überschätzende 
Kontinentalsperre (21. Nov. 1806) zu entschädigen. Seine Politik^) 
war darauf gerichtet, der hervorragenden französischen Export- 
industrie damit eine Monopolstellung in den gewerblich unent- 
wickelten Staaten des Kontinents durch künstlichen, systematischen 
Ausschluß der einzigen als Konkurrentin auftretenden Macht zu 
erobern und so anstelle eines zerfetzten, durch ein weit- 
maschiges^ Netz von Handelsbeziehungen umstrickten Absatz- 
gebietes eine einzige zentral gelegene, einen kompakten Begriff 
darstellende Handelssphäre zu setzen, welche infolge ihrer Kultur- 
stufe Gewähr für eine höhere Konsumkraft und damit für eine 
erhöhte Intensität des Handelsbetriebs bot. 

Konsequent führte das System der wirtschaftlichen Isolierung 
der Kontinentalstaaten zu einer gewaltigen Preissteigerung in 
den kolonialen Produkten, welche seit Jahrzehnten in steigen- 
dem Maße der täglichen Bedürfnisbefriedigung weitester Kreise 
dienten. Der Doppelzentner raffinierten Zuckers kostete in den 
Jahren 1807—15 durchschnittlich 360 Fr., in Ausnahmefällen bis 
600 Fr. im Großhandel.^) Angesichts dessen begannen wissen- 
schaftlich gebildete Köpfe und Laien in der Suche nach Surro- 
gaten zu wetteifern. Eine ganze Literatur besteht aus diesen 
Jahren über eine Fülle der eigenartigsten Versuche, den Zucker 
vor allem, jenes zum unerschwinglichen Luxusartikel gewordene 
Qenußmittel, zu ersetzen. 

Um 1808 wandte sich die in technischen, besonders in chemi- 
schen Dingen der deutschen weit vorausgeschrittene französische 
Wissenschaft den Studien des preußischen Gelehrten Franz Karl 
Achard zu, des vormaligen Direktors der Kgl. preußischen Akademie 



1) Vgl. P. Darmstätter, Studien zur napoleonischen Wirtschafts- 
politik, Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1904. 
') H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt, S. 26. 



^^: 



Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 5 

der Wissenschaften. Dieser hatte mit Unterstützung aus der 
Icöniglichen PrivatschatuUe sich seit 1786 auf seinem Oute Cauls« 
dorf bei Berlin mit Versuchen über den Anbau von Runkel- 
rüben zwecks Qewinnung von Zucker befaßt, anknüpfend an 
die Studien seines Lehrers Joh. Sigismund Marggraf, der schon 
1749 die Existenz eines dem Zucker identischen Stoffes in einer An- 
zahl Kulturpflanzen, unter denen auch die Runkehübe war, dargetan 
hatte. Die damals relativ niederen Preise für Rohrzucker, andrer- 
seits aber die geringen im Saft der Rübe und in anderen Pflanzen 
nachgewiesenen Mengen hatten die Schuld daran getragen, daß 
man das Problem vorerst nicht weiter verfolgt hatte. Überdies 
befand man sich zu jener Zeit noch durchaus in den Anfängen 
einer exakt wissenschaftlichen Forschung, selbst in Frankreich, 
wo man eben daran ging, allem voran auf dem Gebiete der 
Chemie den Grund für die neuartige objektive Forschungsmethode 
anstelle der überkommenen subjektiv-empirischen zu legen. Es 
ist das unvergängliche Verdienst Achards, jene fast verschollenen 
Versuche wieder aufgegriffen und durch mühevolle, zähe Arbeit 
eines reichen Menschenalters der Reife entgegengeführt zu haben. 
Trotz unausgesetzter finanzieller Nöte und Enttäuschungen der 
mannigfachsten Art hatte er nach umfangreichen Vorversuchen 
im Jahre 1799—1800 auf dem Oute Cunern bei Steinau in 
Schlesien die Zuckerfabrikation im Frühjahr 1802 aus der von 
ihm gezüchteten Rübe als erster fabrikmäßig installieren können. 
Die Erfolge seines Unternehmens wirkten insbesondere bei dem 
gewaltigen Emporschnellen der Zuckerpreise 1806 auf eine An- 
zahl deutscher Landwirte ermunternd ein. Unter diesen Um- 
ständen machte sich die kleinste Betriebsgröße, die primitivste 
Technik und geringste Ausbeute — man erzielte 2— 3 o/o — be- 
zahlt. Da aber traf die im Entstehen begriffene neue Industrie 
ein vernichtender Schlag: Infolge der politischen Notlage blieb 
die königliche Unterstützung aus, und auch nach dem Friedens- 
schluß sahen sich Regierung und Krone in Anbetracht der äußerst 
mißlichen Finanz- und Wirtschaftslage außerstande, irgend eine 
materielle Unterstützung zu gewähren. Ohne jeden Zollschutz 
aber vermochte sich der junge Industriezweig bei den rapide 
sinkenden Preisen nicht zu halten. Die Betriebe verkümmerten, 
und 1828 stellte die letzte Fabrik diesseits des Rheins den Be- 
trieb endgültig ein. 

Ein besseres Schicksal erblühte der Rübenzuckerindustrie in 



6 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 

Frankreich. Der napoleonischen Politik der Verbannung aller 
überseeischen Produkte vom festländischen Markt kam Achards 
Projekt sehr gelegen. Nach sorgsamer wissenschaftlicher und 
praktisch-wirtschaftlicher Prüfung seiner Arbeiten durch Mit- 
glieder der Acad^mie schuf Napoleon I. die erste auf lebens- 
fähiger Grundlage aufgebaute Rübenzuckerindustrie. Den be- 
achtenswerten Kenntnissen französischer Gelehrter auf dem Ge- 
biete der Chemie und Mechanik im Verein mit einer Regierungs- 
politik^), die den technischen Fortschritt auf jede Weise zu fördern 
bereit war, insbesondere der von ihr mit äußerster Rücksichts- 
losigkeit gehandhabten Zollpolitik ist es zu verdanken, daß die 
neu gegründete Industrie sich nach dem Zusammenbruch des 
napoleonischen Regimentes zu halten vermochte und in der Lage 
war, die sinkenden Zuckerpreise der Zeit der Restauration durch 
technische Verbesserungen wenigstens zum Teil zu paralysieren. 
Im Betriebs jähre 1827/8 produzierte Frankreich schon 2600 t 
Rübenzucker. 

Immerhin dauerte es noch einige Zeit, bis die schnelle Ent- 
wickelung und der Riesengewinn der französischen Rübenzucker- 
industrie auf die benachbarten Staaten Eindruck machten. Seit 
1830 datieren in Deutschland wieder eine Anzahl Versuche. 

Den unmittelbaren Anstoß dazu gaben äußere Erscheinungen 
des Wirtschaftslebens. Der enorme Rückgang der Oetreidepreise 
drohte den Landbau mit einem Schlage gänzlich unrentabel zu 
machen. Es kostete die Tonne durchschnittlich in Preußen in 
den Jahren 

1816—20 Weizen 203,6 Mk., Roggen 151,9 Mk. 
1820—30 , 119,9 „ „ 86,7 , 

Die 20er Jahre brachten eine Wandlung im landwirtschaft- 
lichen Wirtschaftssystem durch die Einführung des Hackfrucht- 
baues, zumal des Kartoffelbaues im großen Stile, ein Verdienst 
Albrecht Thaers, auf den auch die Begründung einer rationellen 
Viehzucht, besonders der Schafzucht, zurückzuführen ist, welche 
manche Gutswirtschaft in jenen Jahren allein vor dem Unter- 
gang zu retten vermochte'). Der Bruch mit dem überkommenen 



^) Der Baron Chaptal, Minister Napoleons, war selbst ein hervor- 
ragender Chemiker und Ingenieur und betrieb mit großem Erfolg eine 
der bedeutendsten Rfibenzuckerfabriken. Sein Werk: De Tindustrie 
Fran^alse, Paris 1819. 

*) A. Orth, Die Landwirtschaft zur Zeit Thaers, Festrede, 1906. 



"ü 



Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 7 

System der Dreifelderwirtschaft^ der sich nun vorbereitete, fährte 
zu einer Krise, wie sie in der Landwirtschaftsgeschichte vielleicht 
einzig dasteht Die immer schwierigere Lage des Qrofigrund- 
besitzes drängte unter dem anschwellenden Zustrom anlage- 
suchender Kapitalien — die Erscheinung einer steigenden Aktivi- 
tät der Handelsbilanz — • zu einem lebhaften Obergang der Güter 
in die Hand des kapitalkräftigen, an Initiativen starken Bärger- 
tums. Daraus erklärt es sich zum Teil schon, dafi sich nun 
vorzugsweise kaufmännische Kreise fttr die Rübenzuckerindustrie 
zu interessieren begannen. Diese Tatsache erscheint um so ver- 
ständlicher, als schwere materielle Verluste, zum Teil noch aus 
den Kriegsjahren, der deutschen Landwirtschaft eine Sammlung 
ihrer Kräfte empfahlen. Bei dem allgemeinen Mißtrauen, mit 
der man ihr nun begegnete, fehlte ihr vielfach der Kredit zur 
Begründung eines Betriebszweiges, der nicht die Sicherheit un- 
bedingter Rentabilität in sich barg, der vielen tU>er den Rahmen 
eines landwirtschaftiichen Betriebs hinausging und die Gefahr 
einer Zersplitterung der Kräfte in sich zu schließen schien. 

I^e preußische Regierung war wie die österreichische ein- 
sichtsvoll genug, wie einst Frankreich Sachverständige in Achards 
Fabrik entsandt hatte, solche jetzt in die französischen Rüben- 
gegenden zum Studium des Anbaues und der Fabrikation zu 
entsenden. Das fabrikative Moment stand dabei durchaus im 
Vordergrund, kein Wunder in einer Zeit, in welcher der Fabrik- 
betrieb in allerlei Gewerben auch im industriearmen Preußen 
seinen Eintritt vorbereitete und die ersten Eisenbahnen das Land 
durchschnitten. Wir werden sehen, daß sich daraus das Kolorit 
ergibt für die erste Entwickelungsepoche der deutschen Rüben- 
zuckerindustrie. Mit Hilfe einer marktschreierischen Reklame, die 
damals allgemeines Aufsehen erregte, gelang es, die deutsche 
Zuckerindustrie neu zu begründen. 1834/5 waren in Preußen 
schon 17, im ganzen Zollverein 21 Fabriken in Betrieb und 44 
bezw. 66 weitere in Aussicht genommen. 1836/7 gewannen die 
122 Betriebe des Zollvereins nach einer nichtamtlichen Berechnung 
aus 253462 dz Rüben 14080 dz Rohzucker, entsprechend einer 
Ausbeute von etwa 5,55 o/o. Aus diesen höchst bescheidenen 
Anfängen ging in fast ununterbrochenem Wachstum die im 
heutigen nationalen Wirtschaftsleben so bedeutsame deutsche 
Rübenzuckerindustrie hervor. 

Wenn heute in den kontinentalen Ländern Europas von der 



8 Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 

Zuckerindttstrie die Rede ist^ so handelt es sich dabei, abgesehen 
von den ganz geringen Mengen Zuckerrohr, die in den süd- 
lichen Teilen Spaniens zur Zuckergewinnung gebaut werden^), 
und abgesehen von den Betrieben, welche nur Rohrzucker raffi- 
nieren, -— ihre Zahl ist auf dem Kontinent äußerst gering, in 
Deutschland gibt es, soweit bekannt, überhaupt kein derartiges 
Unternehmen — um die fabrikmäßige Darstellung und Ver- 
arbeitung vom Zucker der Zuckerrübe. Infolgedessen stehen wir 
nicht an, die Rübenzuckerindustrie in Deutschland schlankweg 
als die Zuckerindustrie zu bezeichnen. 



Die Zuckerindustrie rechnet man, soweit sie sich mit der 
Darstellung des Rohzuckers befaßt, in der Regel auch zu den 
landwirtschaftlichen Nebengewerben. Diese sind dadurch ge- 
kennzeichnet, daß sie die aus dem Boden als Produktionsmittel 
erzeugten Produkte im Anschluß an einen landwirtschaftlichen 
Betrieb einem Veredelungsprozeß unterwerfen. Der wirtschaft- 
liche Vorteil dessen ist darin zu erkennen, daß der Landwirt den 
Gewinn der Urproduktion den der gewerblichen Produktion hin- 
zufügt, und daß das Auftreten zweier Faktoren, welche zusammen 
den Gewinn darstellen, ihm größere Beweglichkeit in der Aus- 
gestaltung seines Produktionsplans gibt, größere Kapitalsanlage 
begünstigt und Kapital und persönlicher Qualifikation ein weiteres 
Feld der Entfaltung erschließt, als es bei einem einstufigen Pro- 
duktionsprozeß meist der Fall ist. Die volkswirtschaftlich-theo- 
retische Motivierung dieser Kombination von Betriebswirtschaften 
besteht indes darin, daß die Urproduktion als solche unter dem 
Gesetz des abnehmenden Bodenertrages steht, die industrielle 
hingegen von dem Gesetz des zunehmenden Ertrages bei 
Kapitalsmehraufwand beherrscht wird, woraus die Möglichkeit 
folgt, die beiderseits vorhandenen ertragsfeindlichen, aber akkom- 
modationsfähigen Faktoren in die jeweils günstigsten Wechsel- 
beziehungen zu setzen und wenigstens zum Teil gegenseitig aus- 
zugleichen. 

Als landwirtschaftliche Nebengewerbe treten in unserer 
heutigen nationalen .Wirtschaftsverfassung vornehmlich auf die 
Zuckerindustrie, soweit sie Rüben verarbeitet, das Brennerei-, 



^) Spanien produziert etwa 30000 t Rohzucker iährlich. 



Zur Vorgeschichte der deutschen Zuckerindustrie. 9 

Bierbrauerei- uikI in begrenztem Maßstab noch das MfiUerei- 
gewerbe. Während die Rüben veraibeitende Zuckerindustrie 
wegen ihres einheitlichen Rohstoffes und seiner spezifischen Be- 
schaffenheit sich von der landwirtschaftlichen Basis nicht los- 
zulösen in der Lage war, womit übrigens nicht gesagt ist, daß 
der Zuckerfalmkant notwendigerweise auch Rubenbauer sein muB, 
hat die Brennerei diesen TrennungsprozeS bis zu gewissem Orade 
durchgemacht: 1831 lagen 31,9 o/o, 1851 51,3 o/o, 1865 54,9 o/o aller 
Betriebe in den Städten. In augenfälligster Weise ist diese Los- 
lösung beim Brauerei- und MtUlereigewerbe erfolgt^). Der Grund 
für diese allgemein beobachtete Erscheinung ist hier in der 
kapitalistischen Produktionsweise zu suchen, die bei der Müllerei 
durch Besteuerung überhaupt keine künstUdie Beschränkung, bei 
der Brauerei') erst eine solche in jüngster Zeit in Deutschland 
erfuhr, wie sie in viel entwickelterem Maße längst bei der 
Brennerei üblich ist. Der natürliche Entwickelungsgang gipfelte 
bei der Müllerei und Brauerei im Zeitalter kapitalistischer Wirt- 
schaftsordnung fast ungehindert im Qroßbetrieb dergestalt, daß 
er anstelle der im allgemeinen unerheblich genutzten motorischen 
Kraft von Wind und Wasser die künstlich im Dampfmaschinen« 
Zylinder erzeugte setzte, und damit vermöge der so gewonnenen 
höheren Regulierfähigkeit und der Möglichkeit reichlicherer Kom- 
. bination innerhalb der ganzen Wirtschaftsgruppe das ökonomische 
Prinzip in höchster Entfaltung zum Durchbruch brachte. Diese 
Evolution ist aber an eine verkehrsgünstige Lage der Produktions- 
stätte geknüpft, die nach Aufgabe des ehedem nahezu mono- 
polistisch beherrschten lokalen Marktes bei der Mannigfaltigkeit 
der Zusammensetzung, Gewichts- und Wertverteilung der Pro- 
duktions- (Roh-, Hilfs-) und Fertigstoffe diese Industriezweige 
in das Weichbild der Stadt drängt. 

Während das kapitalistische Wirtschaftsprinzip bei der land- 
wirtschaftlichen Brennerei zumal durch steuergesetzliche Maß- 

^) Statistischer Ausweis bei A. Meitzen, Der Boden und die land- 
wirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staats, Bd. 4. 

■) Das Reichsbrausteuergesetz von 1906 staffelte die Malzvermah- 
lungssteuer von 4 Mk. pro Doppelzentner Brechmalz bei Verbrauch bis 
zu 250 dz, bis zu 10 Mk. pro Doppelzentner bei 7000 dz und mehr Ver- 
brauch. In Bayern zahlen seit 1889 die Brauereien, die unter 6000 hl 
Malz verarbeiten, 5Mk. für die ersten 5000 hl, Brauereien von 10000 bis 
40000 hl Malzverbrauch zahlen 5,25 Mk., solche von mehr als 40000 hl 
6,50 Mk. 



10 Zur Vorgeschichte der deutschen Zfickerindustrie. 

nahmen systematisch dm-chbrochen wird, bei Brauerei und MfiUerei 
wesentlich ungetrübter zum Ausdruck gelangt ist und wegen 
der Verschiedenartigkeit der Produktions- und Absatzbedurfnisse 
ein ,,Zug zur Stadt'' im allgemeinen begünstigt wird, tritt bei 
der Zuckerindustrie, soweit sie sich mit der Rübenverarbeitung 
befaßt, die Erscheinung kapitalistischer Wirtschaftsweise in Ver- 
bindung mit einer natürlichen Oebundenheit an den Boden als 
Produktionsmittel auf. Wir beobachten hier die durch Wechsel- 
wirkungen mancherlei Art ausgezeichnete Verbindung einer hoch 
entwickelten Form landwirtschaftlicher Urproduktion mit einer 
heute sehr weit vorgeschrittenen Stufe gewerblicher Produktion. 
Es soll die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung sein, die 
deutsche Zuckerindustrie hinsichtlich ihres spezifisch technischen 
Werdegangs und ihrer davon berührten Oestaltung im Rahmen 
der deutschen Volkswirtschaft zu untersuchen. 



■«:- - ^^^m 



l Abschnitt 

Die technische Entwicklung und ihr Einfluß auf die deutsche 

Zuckerindustrie. 
I. Die vorkapitalistische Periode. 

1. Kapitel. 
Die alte and die neue Zuckerindnstrie. 

Die deutsche Zuckerindustrie^) in ihrer heutigen Gestaltung 
umfaßt folgende als typisch zu bezeichnende Betriebsformen: 

1. Die Rohzuckerfabrik. Sie befaßt sich mit der fabrikmäßigen 
Darstellung des Rohzuckers aus der Rübe. Ihr obliegt 
also immer die Rübenverarbeitung. 

2. Die Zuckerraffinerie. Ihr fällt die fabrikmäßige Veredlung 
des zum menschlichen Genuß noch unbrauchbaren Roh- 
zuckers zu Konsumware und die Überführung derselben in 
die vom Konsum bevorzugten Formen zu. Zu dem Zweck 
bringt sie den Rohzucker nochmals zur Auflösung. Für 
das Hauptprodukt des Raffinationsprozesses, die Raffinade, 
ist dieser Lösungsprozeß das Kriterium. 

3. Die Weißzuckerfabrik. Ihr Ziel ist die Darstellung eines 
Konsumszuckers aus der Rübe ohne vorherige Rohzucker- 
gewinnung. Das so gewonnene Erzeugnis ist meist minder- 
wertiger als das im Auflösungsprozeß der Raffinerie ge- 
wonnene. 



^) Für die folgenden Betrachtungen dienten als Grundlage haupt- 
sächlich: Die Zeitschrift des Vereins der deutschen Rübenzuckerindustrie, 
1850—1907; Dr. Edmund v. Lippmann, Festschrift anläßlich des 50 jährigen 
Bestehens des Vereins der deutschen Zuckerindustrie, 1900; Dr. A. Rümp- 
1er, Handbuch der Zuckeriabrikation, 1906. Soweit es der Zusammen- 
hang erforderte, ist auf Spezialwerke verwiesen. 



12 Die alte und die neue Zuckerindustrie. 

Als komplementäre Form tritt zu diesen Typen 
4. Die Melassenentzuckerungsanstalt Ihre Aufgabe ist es, aus 
dem Abfallprodukt der vorgenannten Betriebsformen, der 
Melasse, auf chemischem Wege einen Teil des in ihr vor- 
handenen, durch Kristallisation nicht mehr mit Vorteil aus- 
bringbaren Zuckers zu gewinnen. — Übrigens sei hier gleich 
erwähnt, daß der Begriff Melasse keineswegs ein stationärer 
ist. Die Melasse ist als die letzte Mutterlauge von der Kristal- 
lisation des Zuckers in ihrer Zusammensetzung in hohem 
Maße abhängig von dem Nichtzucker-, insbesondere dem 
Salzgehalt der zur Kristallisation gelangenden Lösung und 
deshalb von der Beschaffenheit der Rüben stark beeinflußt^). 
Nun bestehen jene Betriebstypen verhältnismäßig selten ganz 
rein nebeneinander. Es tritt eine ganze FfiUe einfach und mehr- 
fach zusammengesetzter Betriebsformen im Entwicklungsgang der 
deutschen Zuckerindustrie auf, deren praktische Bedeutung zu 
den verschiedenen Zeiten eine recht wechselvolle war. Wir werden 
uns mit ihnen noch eingehend zu befassen haben. 

Seit dem Jahre 1841 bestehen über die Rübenzuckerproduktion 
des deutschen Zollvereins bezw. des deutschen Reiches inkl. 
Luxemburg amtliche Aufschreibungen, für die Zeit von 1 836-— 40 
liegen solche von ernsthaften Statistikern vor, die sicherlich ge- 
wisse Abweichungen vom jeweiligen Tatbestande enthalten, wegen 
der großen Bedeutung jenes Zeitabschnittes für die Oesamtent- 
wicklung aber wohl nicht übergangen werden dürften. Die Ober- 
sicht Seite 13 und 14 umfaßt alle Rüben verarbeitenden Fabriken; 
wegen der bestehenden Betriebskombinationen aber erschien es not- 
wendig, die produzierte Zuckermenge mit Einschluß, die Ausbeute- 
ziffer hingegen mit Ausschluß der wenigen Melasseentzuckerungs- 

^) Um einen Maßstab für ihre Bewertung zu gewinnen, hat man 
den sog. Reinheitsquotienten eingeführt, einen Begriff, den man auf alle 
auftretenden Zuckerlösungen übertragen hat. Unter diesem Quotienten 
wird die Zahl verstanden, welche den Prozentgehalt der Trockensub- 
stanz eines Saftes oder einer andern zuckerhaltigen Substanz an Zucker 
angibt. Stellt R den Reinheitsquotienten dar, T den Trocken- und Z 

den Zuckergehalt, so ist R = ^^^. Der Quotient der im Handel 

vorkommenden Malassen bewegt sich heute meist zwischen 57 und 65. 
Sie enthalten noch vielfach eine Zuckermenge, die bei geeigneter Be- 
handlung durch Kristallisation zu gewinnen wäre, doch ist sie zu gering, 
um die Kosten des Ausbringens zu lohnen. — Vergl. Dr. A. Rfimpler, 
Handbuch der Zuckerfabrikätion, Braunschweig 1906, S. 95, 150, 437 ff. 



Die alte und die neue Zuckerindustrie. 



13 



Betrieb und Ausbeute der deutschen Zuckerfabriken 

von 1836 bis 1906. 









In den Be- 


Pro Fabrik 


Pro Fabrik 
worden 
dnrcli- 


Zur Dar- 




ZabI 


An grOnen 


triebMu- 


worden 


stellung von 


Betriebs- 


der 


ROben wur- 


stalten wor- 


durch- 


sclinittlich 


1 leg Roh- 
zocker 


titigen 


den ver- 


den gewon- 


sclinituicli 


an Zocker 


Jahr 


Be- 


arbeitet 


nen in Roh- 


an RSben 


gewonnen 


waren RO- 




triebe 


Mill. dz 


zuclcerwert 
1000 dz«) 


verarbeitet 
1000 dz 


in Roh- 

zockerwert 

1000 dz 


ben erfor- 
derlich 
kg») 


1836/37 


122 


0,25 


14 


2,1 


0,12 


18,00 


1837/38 


156 


1,38 


77 


8,9 


0,49 


18,00 


1838/39 


159 


1,45 


82 


9,1 


0,51 


17,80 


1839/40 


152 


2,20 


127 


14,5 


0,83 


17,40 


1840/41 


145 


2,41 


142 


16,6 


0,98 


17,00 


1841/42 


135 


2,57 


157 


19,0 


1,66 


16.30 


1842/43 


98 


1,24 


77 


12,6 


0,79 


16,00 


1843/44 


105 


2,17 


143 


20,7 


1,36 


15,20 


1844/45 


98 


1,95 


130 


19,8 


1,32 


15,00 


1845/46 


96 


2,23 


152 


23,2 


1,58 


14,70 


1846/47 


107 


2,82 


201 


26,3 


1,88 


14,00 


1847/48 


127 


3,84 


268 


30,2 


2,11 


14,30 


1848/49 


125 


4,95 


359 


34,1 


2,47 


13,80 


1849/50 


148 


5,76 


424 


38,9 


2,86 


13,60 


1850/51 


184 


7,36 


533 


40,0 


2,90 


13,80 


1851/52 


234 


9,18 


631 


39,1 


2,70 


14,50 


1852/53 


238 


10,86 


848 


45,6 


3,59 


12,80 


1853/54 


227 


9,23 


710 


40,7 


3,13 


13,00 


1854/55 


222 


9,59 


786 


43,2 


3,54 


12,20 


1855/56 


216 


10,92 


874 


50,5 


4,04 


12,50 


1856/57 


233 


13,78 


1036 


59,1 


4,45 


13,30 


1857/58 


249 


14,46 


1204 


58,1 


4,88 


12,00 


1858/59 


257 


18,33 


1444 


71,3 


5,67 


12,70 


1859/60 


256 


17,20 


1458 


67,2 


5,69 


11,80 


1860/61 


247 


14,68 


1265 


59,4 


5,12 


11,60 


1861/62 


247 


15,85 


1258 


64,2 


5,09 


12,60 


1862/63 


247 


18,36 


1380 


74,3 


5,59 


13,30 


1863/64 


253 


19,96 


1512 


78,9 


5,98 


13,20 


1864/65 


270 


20,82 


1707 


77,1 


6,32 


12,20 


1865/66 


295 


21,73 


1807 


73,6 


6,29 


11,70 


1866/67 


296 


25,36 


2012 


85,7 


6,80 


12,60 


1867/68 


293 


20,30 


1650 


69,3 


5,63 


12,30 


1868/69 


2% 


24,98 


2061 


84,7 


7,06 


12,00 


1869/70 


296 


25,85- 


2172 


87,3 


7,34 


11,90 



^) Auschließlich Meiasseentzuckerungsanstaiten. 
') EinschiielSlich Meiasseentzuckerungsanstaiten. 
*) Ausschliefiiicli der Gewinnung in Zuckerfabriken oline Rfibenver- 
art>eitung. 



14 



Die alte und die neue Zuclcerindustrie. 





Zahl 
der 


Ao grfinen 
ROben wur- 


In deoBe- 

triebMü- 

sUlten wur- 


Pro Fabrik 
worden 
durch- 


Pro Fabrik 
wnrden 
dnrch- 

schnittlicb 


Zur Dar> 

Stellung Ton 

1 kg Roh- 


BeMebs- 


atigen 


den Terar- 


den (ewon- 


schnittlich 


an Zucker 


zacker 
waren RO- 


]«lir 


Be- 


beitet 


nen In Rob- 


an ROben 


gewonnen 




triebe«) 


MiU. dz 


zttckerwert 
1000 dx*) 


verarbeitet 
1000 dz 


in Roh- 
zuckerwert 
1000 dz 


ben erfor- 

dertich 

kg«) 


1870/71 


304 


30,51 


2630 


100,4 


8,65 


11,60 


1871/72 


311 


22,51 


1864 


74,9 


5,99 


11.90 


1872/73 


324 


31,82 


2626 


98,2 


8,10 


12,30 


1873/74 


331 


35,29 


2910 


106,7 


8,79 


12,22 


1874/75 


333 


27,57 


2564 


82,8 


7,70 


10,99 


1875/76 


332 


41,61 


3580 


122,3 


11,09 


11,62 


1876/77 


328 


35,50 


2909 


108,2 


8,82 


12,27 


1877/78 


329 


40,91 


3805 


124,3 


11,49 


10,82 


1878/79 


324 


46,29 


4302 


142,9 


13,15 


ia86 


1879/80 


328 


48,05 


4154 


146,2 


12,48 


11,74 


1880/81 


333 


63,22 


5730 


190,7 


16,69 


11,37 


1881/82 


343 


62,72 


6223 


190,0 


17,48 


10,46 


1882/83 


358 


87,47 


8489 


2443 


26,03 


10,51 


1883/84 


376 


89,18 


9606 


237,2 


25,00 


9,49 


1884/85 


408 


104,03 


11467 


255,0 


27,53 


9,26 


1885/86 


399 


70,70 


8381 


177,2 


20,15 


8,75 


1886/87 


401 


83,07 


10183 


207,1 


24,58 


8,43 


1887/88 


391 


69,64 


9589 


178,1 


23,29 


7,65 


1888/89 


396 


78,96 


9909 


196,9 


23,85 


8,36 


1889/90 


401 


98,23 


12614 


244,9 


30,27 


8,09 


1890/91 


406 


106,23 


13362 


261,7 


31,64 


8,27 


1891/92 


403 


94,88 


11980 


235,4 


28,40 


8,29 


1892/93 


401 


98,12 


12308 


244,7 


29,22 


8,37 


1893/94 


405 


106,44 


13660 


262,8 


32,51 


8,10 


1894/95 


405 


145,21 


18280 


358,5 


43,62 


8,23 


1895/96 


397 


116,73 


16371 


294,0 


38,73 


7,63 


1896/97 


399 


137,21 


18212 


343,9 


43,58 


7,90 


1897/98 


402 


136,96 


18444 


340,7 


43,66 


7,80 


1898/99 


402 


121,51 


17224 


302,3 


40,47 


7,43 


1899/1900 


399 


124,39 


17955 


311,8 


42,38 


7,37 


1900/01 


395 


132,54 


19791 


335,5 


47,46 


7,07 


1901/02 


395 


160,13 


23022 


405,4 


55,25 


7,34 


1902/03*) 


393 


112,71 


17891 


286,8 


41,87 


6,85 


1903/04 


384 


126,77 


19211 


330,1 


47,46 


6,96 


1904/05 


374 


100,71 


16054 


269,3 


40,19 


. 6,70 


1905/06 


376 


157,26 


24008 


418,3 


61,56 


6,80 


1906/07 


369 


141,72») 


22000») 









^^ Ausschließlich Melasseentzuckerungsanstalten. 
■) Einschliefilich Melasseentzuckerungsanstalten. 
*) Ausschließlich der Gewinnung in Zuckerfabriken ohne Rüben- 
verarbeitung. 

^) Betriebsjahr 1902/03 umfaßt 13 Monate. — ^) Näherungsweise. 



Die alte und die neue Zuclcerindttstrie. 15 

anstalten anzugeben. Denn das Ausbeuteverhältnis dieser letzteren 
ist ein vollständig andres als das der Rüben verarbeitenden Be- 
triebe. Es würde daher das Ergebnis dieser entstellen. 

Außerdem mufi hier noch auf einen Punkt hingewiesen 
werden. Jene Zahlenreihen, welche mit der Zuckergewinnung 
in Verbindung stehen, haben schon deshalb keinen Anspruch 
auf absolute Genauigkeit, weil, wie im S.Abschnitt gezeigt werden 
wird, der Begriff Rohzucker ähnlich wie der der Melasse keines- 
wegs ein zu irgend einer Zeit fest umschriebener war und andrer- 
seits das Reduktionsverhältnis für die Umrechnung z. B. der 
Raffinade auf Rohzucker nur auf Qrund roher Schätzung von den 
Statistikern ermittelt wurde. — Trotz dieser grundsätzlichen Un- 
zulänglichkeiten beansprucht die tabellarische Oberschau Interesse 
wegen der einzigen Möglichkeit, die Entwicklung der deutschen 
Zuckerindustrie im Zusammenhang zahlenmäßig vor Augen zu 
führen. Charakterisiert ist sie durch dreierlei. Man erkennt 

1. Ein enormes Anschwellen des jährlich verarbeiteten Roh- 
materials. Den 2,2 Mill. dz für 1839/40 stehen für 1905/0 
157,3 Mill. dz Rüben gegenüber. Die allgemeine Hebung der 
Wirtschaftsverhältnisse durch intensiveren Betrieb kenn- 
zeichnet diese Erscheinung. 

2. Ein Anwachsen der Betriebsgröße; bis 1898 erfolgt dies 
vorwiegend auf Kosten der verarbeiteten Mengen, seitdem 
auf Kosten der Zahl der Betriebe: 

1839/40 verarbeite v. 152 Fabrik, jede im Durchsch. 14 493 dz 
1871/72 „ „311 „ „ „ „ 74852 „ 

1905/06 „ „ 376 „ „ „ „ 418256 „ 

Noch stärker kommt diese Bewegung zum Ausdruck 
in den täglich verarbeiteten Rohmaterialmengen. Achards 
Idealfabrik war für eine Tagesleistung von 35 dz berechnet 
Als Durchschnitt aus allen deutschen Rüben verarbeitenden 
Fabriken ergeben sich für den 24stündigen Betrieb folgende 
Ziffern: 

1870/1 700 dz 1890/1 2680dz 1905/6 5220 dz 

1880/1 1540 dz 1900/1 4500 dz 
Hieraus erkennen wir das Auftreten einer ausgesprochen 
groBbetrieblichen Entwicklung. 

3. Eine Besserung der Ausbeuteziffer. Zur Darstellung von 
1 dz Rohzucker wurden im Durchschnitt benötigt an Rüben 
(ohne Melasseentzuckerung) : 



i6 Die alte und die neue Zuckerindustrie. 

1839/40 17,40 dz 1890/1 8,27 dz 
1870/1 11,60 dz 1905/6 6,80 dz 

In diesen Zahlen spiegelt sich die Frucht des technischen 
Fortschritts, welcher auf dem Gebiete der Urproduktion und 
dem der fabrikmäßigen Verarbeitung lerzielt wurde. 

Im Folgenden werden wir darzulegen haben, aus welchen 
Umständen heraus sich diese Tatsachen entwidceln konnten, 
später aber wird von den Wirkungen die Rede sein, welche 
sich daraus für die mit ihnen in Zusammenhang stehenden be- 
sonderen Wirtschaftssphären ergaben. 

Die tabellarische Obersicht über die äußere Erscheinung der 
groBbetrieblichen Entfaltung umfaßt lediglich die Rüben ver- 
arbeitenden Betriebe. Das erklärt sich aus der Eigenart des 
Zusammenhangs zwischen Rohzuckergewinnungs- und Raffi- 
nationsindustrie und aus der zeitlichen und räumlichen Verschieden- 
heit ihrer Entstehung. Tatsächlich wird die deutsche Zuckerindustrie 
mit dem Hinzutreten der Rohzuckerproduktion zu dem überkom- 
menen Rohrzuckerveredelungsprozeß in der Siederei bezw. Raf- 
finerie auf eine vollständig neue Grundlage gestellt. Die Roh- 
zuckerproduktion steht von der Zeit an unbestritten im Vorder- 
grund. Das wird für vorliegende Darstellung maßgebend sein. 

Die Zuckerraffinerie neueren Stils ist ein Vermächtnis aus 
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts^). Wenige Jahre nach 
Einführung der Kultur des Zuckerrohrs auf den westindischen 
Inseln entstanden in den von der Natur prädestinierten Seehandels- 
plätzen der den Oberseehandel beherrschenden Nationen der alten 
Welt Raffineriebetriebe, die sich mit zunehmender Verbreitung 
des Zuckers als Genußmittel sehr bald in die durch Zufahrt von 
See bevorzugten erstklassigen Distributionszentren verpflanzten. 
Seit Ende des 17. Jahrhunderts überboten sich die Länder des 
europäischen Kulturkreises geradezu, durch ausgedehnte zoll- 
politische Maßregeln ihre Etablierung im Binnenlande in die Wege 
zu leiten. Das meerbeherrschende Holland hatte seit Ende des 



^) Es wird dabei abgesehen von dem auf das Zeitalter der Kreuz- 
züge zurückgehenden Raffineriegewerbe in Venedig, welches indischen 
Rohzucker vorzugsweise verarbeitete, und dessen Reste um 1800 erst 
verschwanden. Nach dem Verfall des orientalischen Handels blieben 
Venedigs Raffinerien noch lange intakt. Sie kauften schon 1515 den 
Rohzucker, indischen und amerikanischen, in Lissabon. — Vergl. Lipp- 
mann, Geschichte des Zuckers; Rümpler, a. a. O., S. 2 ff. 






Die alte und die neue Zuckerindustrie. 17 

16. Jahrhunderts mit seinen großen Raffinerien in Amsterdam die 
erste Stelle auf dem europäischen Zuckermarkt inne^). Seit dem 
Zusammenbruch des holländischen Seehandels und der Erwerbung 
überseeischer tropischer Besitzungen durch Frankreich und Eng- 
land erwuchs nach und nach in allen Einzelstaaten diesem Oe- 
werbszweig durch die merkantilistische Politik des absolutistischen 
Regiments starke Unterstützung. Allenthalben wurde die Raffinerie 
zum privilegierten Qewerbe, und frühzeitig setzte sich bei der 
herrschenden Staatsdoktrin der Qedanke fest, durch Rückvergütung 
des Eingangszolls bei der Ausfuhr und andere Vergünstigungen 
die Produktion zu steigern. Am weitesten brachte es in dieser 
Hinsicht zweifellos Frankreich, dem es gelang, den holländischen 
Raffinerien den Rang abzulaufen, wobei ihm sein aufblühender 
Handel sehr zu statten kam. Jenen war es zwar möglich, sich 
einen großen Teil des östlich und nördlich gelegenen Absatz- 
gebietes zu erhalten, aber immer mehr gerieten sie hinsichtlich 
ihrer Rohzuckerzufuhr in die Abhängigkeit von dem französischen 
Großhandel, als dessen bevorzugte Abnehmerin nunmehr die Stadt 
Hamburg auftrat, die einen respektablen Anteil am nord- und 
mitteleuropäischen Zuckerhandel schon in der ersten Hälfte des 
18. Jahrhunderts an sich zu reißen vermochte^) und im Gegen- 
satz zu den meisten oberdeutschen Städten verhältnismäßig wenig 
von den Stürmen des 30 jährigen Krieges mitgenommen war. 
Die Wirtschaftsverfassung des neuzeitlichen Raffinerie* 
gewerbes war nahezu allgemein die der Gewinnung des trans- 
ozeanischen Rohmaterials: der Großbetrieb. Am häufigsten, be- 
sonders im Binnenlande, bildete er die Folgeerscheinung des 
Systems der persönlichen Monopole, so in Preußen nach Ver- 
leihung eines Privilegs zur Errichtung von Siedereien an die 
Familie Splittgerber, die 1749 zustande kam. Dazu leistete die 
einfache Technik der Verarbeitung der großbetrieblichen Ent- 
wicklung Vorschub. Die Bewältigung größerer Mengen beruhte 
hier lediglich auf der Verwendung größerer bezw. zahlreicherer 

^) Ehe Amsterdam eine Zuckerindustrie hatte, erblühte sie glänzend, 
doch nur für kurze Zeit in Antwerpen. Antwerpener Kaufherren erhan- 
delten auf dem Lissaboner Markt neben den Venetianern und den Ver- 
tretern der oberdeutschen Kaufmannschaft ihren Bedarf an Rohware, 
die sie zu Raffinade umarbeiteten und in ganz Nord- und Mitteleuropa 
absetzten. 

*) 1750 bestanden in Hamburg schon 365 Zuckersiedereien. Vgl. 
auch 8.3. 

Schttchart, Zuckerindustrie. 2 



18 Die alte und die neue Zuckerindustrie. 

Kochapparate und entsprechender Nebeneinrichtungen. Bei der 
Einfachheit der Betriebsmittel begegnete ihr kaum eine physio- 
logisch, d. h. in der Mehrverarbeitung begründete Schwierigkeit 
Andrerseits begleitete die erhöhte Kapitalsinvestitur keinen höheren 
Grad technischer Vollendung. Der allgemeine Stand der tech- 
nischen Wissenschaft, wenn man von ihr überhaupt schon reden 
konnte, war ja noch recht kümmerlich, dann aber ließ der Mono- 
polcharakter der Industrie dem Unternehmer einen anständigen 
Gewinn, ohne daß er auf Betriebsverbesserungen Wert zu legen 
brauchte. Trotz ihres großbetrieblichen Charakters trägt die Wirt- 
schaftsverfassung der Raffinerie bis in die 30 er Jahre des 
19. Jahrhunderts kein annähernd kapitalistisches Gepräge. Die 
„leiblich-individuelle Persönlichkeit des Wirtschaftssubjekts" be- 
herrschte noch in althergebrachter Weise die Wesenheit des Wirt- 
schaftsbetriebs, und von einer „Loslösung der Zwecke der Wirt- 
schaftsform" von ihr, wie W. Sombart es ausdrückt, war nichts 
zu erkennen. Bezeichnend für den Stil des Großbetriebs, wie 
er bis zur Neubelebung der Rübenzuckerindustrie in Deutschland 
in den Raffinerien vorwiegend bestand, ist, daß ihr die Homo- 
genität mit der kleinbetrieblichen, handwerksmäßigen Form durch- 
aus wesenseigen war. 

Das Auftreten des Kleinbetriebs können wir nur in einem 
generellen Falle feststellen. Dieser betrifft die Zuckersiedereien 
in Hamburg. Die von merkantilistischen Tendenzen unberührte 
Politik dieser Handelsmetropole hatte hier das Raffinationsgewerbe 
zur Hausindustrie werden lassen. Die bedeutungslosen Fort- 
schritte in der technischen Ausgestaltung ließen diese Bildung 
wirtschaftlich vollkommen berechtigt erscheinen, zumal die ver- 
kehrsgünstige Lage vor dem Hinterlande einen bedeutenden 
Frachtvorsprung garantierte, soweit für den Absatz die See- und 
Flußschiffahrt in Betracht kam, und eine Anzahl andrer, dem 
Handelsverkehr und dem gewerblichen Betrieb der Siedereien 
besonders förderlicher Umstände hier vorlagen 0. Die unter 
einer freiheitlichen, nicht protektionistischen Handelspolitik empor- 
gekommenen Hamburger Siedereien gewannen mit dem Eintritt 
Hamburgs in den überseeischen Frachtverkehr nicht nur volle 
Konkurrenzfähigkeit mit dem Großbetrieb, sondern sie eroberten 

*) Vcrgl. Joh. Georg Bfisch, Schriften über die Handlung. — C. W. 
Soldau, Die hamburgischen Zuckersiedereien in Hinsicht auf ihre Kon- 
kurrenz, 182a — Röscher, Ansichten, 1878, 2. Bd., S. 39 ff. 



Die alte und die neue Zuckerindustrie. 19 

sich den Markt zumal gegen die Produkte holländischer Herkunft 
durch die Superio^tät ihrer Ware. 

In den so gekennzeichneten typischen Wirtschaftsformen trat 
die Zuckerraffinerie, die alte Zuckerindustrie Europas, in das 
19. Jahrhundert. Sie erhielten sich solange nebeneinander, bis 
der auf der heimischen Scholle gebaute Rübenzucker den Markt 
betrat und endlich in der Raffinationstechnik jener große Um- 
schwung einsetzte, welcher die Anwendung des Dampfes zu 
motorischen und Kochzwecken brachte. Dieser Zeitpunkt liegt 
um das Jahr 1840.^ 

In der internationalen Wirtschaftsgeschichte gibt es wenige 
Artikel, welche seit ihrem Auftreten in so ausgedehntem Maße 
das Interesse der staatlichen Intervention an sich gefesselt haben 
als der Zucker. Von den Maßnahmen, die Colbert 1681 zur 
Begünstigung der französischen Raffinadeausfuhr traf, bis zum 
letzten großen Akt in der aligemeinen protektionistischen Be- 
handlung der Ausfuhr, der internationalen Brüsseler Konvention 
1902 reiht sich Glied an Glied in der Kette handelspolitischer 
Eingriffe in den Rohzucker gewinnenden und verarbeitenden Groß- 
staaten Europas. Besondere Lebhaftigkeit entwickelte die Legis- 
lative seit dem Auftreten des Rübenzuckers auf dem heimischen 
Markt vor allem im deutschen Zollgebiet. Indem wir es unter- 
nehmen, den Einfluß der technischen Entwicklung für die volks- 
wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Zuckerindustrie festzu- 
stellen, dient als natürliche Ausgangspunkt die jeweilige Stellung 
der Staatsautorität ihr gegenüber. Denn es gehört zum Wesen 
der auf Arbeitsteilung und Tausch beruhenden neuzeitlichen Wirt- 
schaftsordnung, daß der technische Fortschritt immer dem öko- 
nomischen Prinzip untergeordnet ist und daß dadurch eine Be- 
schränkung desselben auf den Wirtschaftsbereich geschaffen wird, 
welchen die Staatsintervention durch Zoll- bezw. Steuerabgaben 
und -Vergünstigungen scharf umgrenzen. Unter diesem Gesichts- 
punkt gliedern wir die Entwicklung der modernen deutschen 
Zuckerindustrie in drei Hauptepochen, welche man kurzweg als 
die liberale, merkantilistische und entwickelt kapitalistische be- 
zeichnet hat*) 



C. F. W. Dieterici, Statistische Obersicht, 1842, S. 92. 
•) Vergl. P. Leusch, Die Wandlungen in der Verfassung der Zucker- 
indttstrie. Diss., 1900. 



20 Die Zeit von 1802 bis 1840. 

2. Kapitel. 
Die Zelt von 1802 bis 1840. 

Um die handelspolitischen MaBnahmen der preuBischen Re- 
gierung würdigen zu können, die sich gleichzeitig mit Osterreich 
für die Begründung einer Rübenzuckerindustrie lebhaft inter- 
essiert hatte, erscheint es geboten, sich ihre wirtschaftspolitische 
Situation in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu 
vergegenwärtigen. 

Es ist ein unbestrittenes Verdienst der klassischen Schule 
der Nationalökonomie gewesen, den auf dem Boden des Feu- 
dalismus erstandenen morschen Bau des Merkantilsystems in den 
europäischen Nationalstaaten mit wuchtigen Schlägen zertrümmert 
zu haben. In den Wirbelstürmen, welche die französische Re- 
volution in den führenden Köpfen hervorgebracht hatte, wurde 
ein neuer Geist geboren, der nicht mehr in die überkommenen, 
zum Schema erstarrten Formen paßte und sich gegen sie energisch 
zur Wehr setzte. Der Traum Adam Smiths von der Entfesselung 
aller Produktivkräfte unter dem Schutze der allein seligmachenden 
Freiheit der Konkurrenz verdichtete sich am frühesten zur Wirk- 
lichkeit in dem wirtschaftlich schon hochentwickelten britischen 
Inselreiche. Aus den schweren kriegerischen Verwicklungen des 
18. Jahrhunderts war es ohne nachhaltige wirtsdiafÜiche Schädi- 
gung, von mancherlei Schlacken gereinigt, hervorgegangen. Unter 
dem Grundsatz des laisser-faire wob sein Handel ein immer 
dichteres Netz über die alte und über die neue Welt, indem der 
Verlust der nordamerikanischen Besitzungen eher" einer Förderung 
als einer Schädigung der nach dort führenden Handelsbeziehungen 
gleichkam, ein scheinbares Paradoxon. Überraschend kraftvoll ent- 
faltete sich im engsten Anschluß an den Oberseehandel die 
Industrie im Stile des Fabriksystems: England, die Werkstätte 
der Weltj überflutete mit seinen Waren in unerhörter Weise den 
kontinentalen, speziell den deutschen Markt. 

In Deutschland standen gerade die Friedensjahre nach den 
napoleonischen Kriegen im Zeichen tiefer wirtschaftlicher De- 
pression; die deutsche Landwirtschaft erlebte im dritten Jahr- 
zehnt Jahre einer überaus schweren Krise, welche wohl haupt- 
sächlich dazu beitrug, daß die bureaukratisch-freihändlerisdie 
preußische Politik sich dafür entschied, die mit großen Opfern in 
der merkantilistischen Ära emporgezüchteten Industrien schütz^ 



Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 21 

los der ausländischen Konkurrenz zu überantworten. Während 
diese ungehindert über die Grenzen hereinflutete, behinderten 
zahllose ZoUinien im Innern auf Schritt und Tritt Handel und 
Verkehr. 

Der unter dem Eindruck militärischer und politischer Macht- 
losigkeit unternommene Versuch der preußischen Staatsregierung, 
die größtmögliche Steigerung aller Produktionsfaktoren dadurch 
zu erzielen, daß sie dem einzelnen die wirtschaftliche Möglich- 
keit zu geben suchte, zu seinem individuellen Vorteil zu arbeiten 
— der Oedankeninhalt der 1809 und 1811 erschienenen Gesetze 
betr. die Befreiung der Person, die Beseitigung der Beschrän- 
kungen, Verleihung des Eigentums und privaten Besitz — wurde 
schon 1816 gegenüber dem Widerstände der Grundherren auf- 
gegeben. Erst von er. 1830 ab stellten sich in E)eutsch!and all- 
gemein wieder stabilere Verhältnisse ein. Preußen war es zuerst, 
welches seine Politik um ein bestimmtes Ziel zu konsolidieren 
vermochte. E)er erste Schritt dazu war die Zollordnung des Jahres 
1818. Sie fand in der Begründung des deutschen Zollvereins 1834 
ihren vorläufigen Abschluß. Das so geschaffene einheitliche Wirt- 
schaftsgebiet gab in Zusammenhang mit der lebhaften Bevölke- 
rungszunahme jenen Boden ab, auf dem die Saat des nun er- 
wachenden kapitalistischen Geistes einst reifen konnte, wenn auch 
jene Generation von dem Hauche kapitalistischen Wesens so 
gut wie unberührt noch blieb. 

Um sich der steigenden Abhängigkeit von den gewerblichen 
Produkten Englands zu erwehren und als ein Präventivmittel 
gegenüber der in manchen Landesteilen beängstigend auftretenden 
Auswanderung nach den Vereinigten Staaten, erschien der in 
Deutschland herrschenden Staatsdoktrin des 3. und 4. Jahrzehnts 
die Neubelebung des heimischen Gewerbefleißes äußerst not- 
wendig, i) Dem nun gemäßigt freihändlerischen Charakter der 
preußischen Staatspolitik widersprach jetzt der Zollschutz indu- 
strieller Produkte im pädagogischen Sinne der durch Friedrich 
List vertretenen Richtung immer weniger. Von dieser Grund- 
stimmung ist die Politik der preußischen Regierung getragen, 
die sie gegenüber der seit 1830 neu begründeten Rübenzucker- 
industrie einschlug. 



») Ludwig Wilkens, Die Erweiterung und Vervollkommnung des 
deutschen Gewerbebetriebs, 1847. 



22 Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 

Aus ihren merkantilistischen Tendenzen gegenüber den durch 
persönliche Monopolien begünstigten Rafßnerien leitete sich 
folgende zollpolitische Situation her. Um den Raffinations- 
produkten einen über Weltmarktspreis gelegenen Orundpreis zu 
garantieren, lagen auf dem Zentner eingeführten Rohrzuckers nur 
4 Tlr. Zoll, falls er in Raffinerien zur Weiterverarbeitung ging, 
auf dem Zentner Raffinade hingegen 10 Tlr., die indes bei der 
Ausfuhr voll zurückerstattet wurden. ^ Im Augenblick, in dem 
der inländische Rübenzucker aber an den Markt trat, genoß dieser 
nicht nur den vollen Zollschutz des Halbfabrikats, sondern durch 
seine Verarbeitung im eignen Betrieb und die Ausschaltung des 
Zwischenhandels war die Begünstigung in der Tat eine den 
Raffinerien nachteilige. Die auf das Hochhalten der Preise ge- 
richtete Preispolitik der letzteren leistete der Konkurrenz der 
Rübenzuckerfabriken nur Vorschub, und der Oesamteffekt war, 
daß, ohne daß je eine amtliche Aufliebung des Privilegs erfolgte, 
dasselbe praktisch immer wertloser wurde.') Der Zolltarif von 
1831 brachte die schutzzöUnerische Richtung der preußischen 
Regierung endgültig zur Entwicklung: der Einfuhrzoll auf dem 
für Raffinerien bestimmten Rohzucker wurde auf 5 Tlr., der auf 
Raffinade auf 11 Tlr. festgesetzt unter gleichzeitiger Reduktion 
des Zolls auf Haibraffinade, dem sog. Lumpenzucker'), von 10 
auf 5 Tlr. Durch die nun einsetzende Steigerung des Imports 
in letzterem Artikel, der wegen seiner Wohlfeilheit mehr und 
mehr ohne weiteres in den Konsum wanderte, wurde die im 
Status nascendi begriffene inländische Rübenzuckerindustrie 
energisch zur Verbilligung ihrer Produkte angespornt, viel leb- 
hafter als die Raffinerie, welche in Preußen eben den ersten Ver- 
such machte, sich aus ihrem traditionellen Schlendrian aufzuraffen, 
um nicht durch ihre rückständige Technik gänzlich ins Hinter- 
treffen zu geraten. 



^) Ganz anologe Bestimmungen bestanden in Frankreich aus der 
Regierungszeit Colberts (1662—83), die den Sinn einer versteckten Aus- 
fuhrprämie hatten; von 1786 bis 1806 trat dazu noch eine offene Aus- 
fuhrprämie im Betrage von 4 Frs. auf den Zentner Raffinade. 

•) P. Leusch, a. a. O. S. 42. 

*) Lumpenzucker (von engl, lump = Masse, Klumpen) stellt eine 
ganz grobe, nur oberflächlich raffinierte Ware dar, welche durch Ein- 
kochen von Rohzucker und Ablaufenlassen des Sirups erhalten wurde. 
Sie kam in losen Stücken in den Handel. 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 23 

Der Streit, den der Zoll auf Lumpenzucker holländischer Her- 
kunft unter den Bundesstaaten entfesselte, stellte den soeben 
gegründeten Zollverein auf eine harte Probe. Die 1837 erfolgte 
Fixierung jenes Zolls auf 11 Tlr. brachte der Rübenzuckerindustrie 
einen fabelhaften Aufschwung; ihm ist es zuzuschreiben, daB die 
endgültige trotz äußersten Widerstandes 1839 durchgesetzte Her- 
absetzung auf 5Vs Tlr. sie nicht mehr nachhaltig zu schädigen 
vermochte. Durch das Wachstum der inländischen Produktion 
war indessen der Zollkasse ein bedeutender Ausfall entstanden, 
betrug doch im Königreich Preußen der Zuckerzoll 1829—31 
25,2 o/o der gesamten Zolleinnahmen. Die Notwendigkeit, zur 
E>eckung des I>efizits andere Hilfsquellen zu erschließen, wurde 
immer dringender. Das Ergebnis längerer Verhandlungen war eine 
von den Einzelstaaten überwachte „Kontrollabgabe" von 6 Pfg, 
pro Doppelzentner Rüben, die 1840 in Kraft trat, und mit der 
man die Absicht verband, für eine einträgliche Besteuerung der 
Rübenzuckerindustrie die notwendigen Unterlagen hinsichtlich der 
Wahl des Besteuerungsmodus sich zu verschaffen. 

Wie äußerten sich nun die von liberalem Geist getragenen 
staatlichen Maßnahmen auf die Zuckerindustrie im allgemeinen? 
Ehe wir dieser Frage näher treten, werfen wir auf Achards Betrieb 
in Cunern einen Blick. Obgleich es erwiesen ist, daß schon 
Jahrzehnte vorher besonders bäuerliche Kreise die Gewinnung 
von Sirup aus Möhren- oder Runkelrübensaft für ihren Haus- 
bedarf betrieben 1), ist Achard der erste, der sich von der herr- 
schenden Ansicht emanzipierte, daß die inländische Zucker- 
darstellung im Rahmen des Hausfleißes vor allem erstrebenswert 
sei. Schon seit 1796 beschäftigte er sich mit dem Bau einer 
größeren Anlage, und als er 1802 die erste regelrechte Kampagne 
eröffnete, geschah dies in der deutlichen Absicht einer zum min- 
desten systematischen Darstellung. Nach den Beschreibungen 
hat man es hier mit einem Fabrikbetrieb zu tun, falls man als die . 
integrierenden Bestandteile die motorische Kraft und die Arbeits- 
teilung ansieht, welch erstere in der Verwendung eines Oöpel- 
werkes auftrat.^) Von dem ökonomischen Zug in der ganzen 



1) Karl Aug. Nöldechen, Ober den Anbau der sog. Runkelrüben, 1799. 
E. Kraus, Acker- und Pflanzenbau vor 100 Jahren, Festgabe der tech- 
nischen Hochschule Manchen, 1906. 

>) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1900, Bd. 3, S. 771. 
Danach stellt die Fabrik eine Vereinigung einer größeren Zahl von 



24 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 



Wirtschaftsführung geben ausfuhrliche Ausbeute- und Kosten- 
berechnungen Zeugnis. In Achard, der seine volle Arbeitskraft 
der Leitung seines Unternehmens zuwandte, beobachten wir in 
der Qeburtsstunde der Rübenzuckerindustrie einen zweifellos mit 
kapitalistischen Eigenschaften ausgerüsteten Unternehmer. Der 
Rübenzucker war als Konkurrent des alimächtigen Rohrzuckers 
vom Augenblick seines Auftretens an unzertrennbar von einer 
organisatorisch-rationalistischen Tendenz der Betriebsgestaltung. 
Für die Existenz der neuen Branche war ja immer der Rohr- 
zuckerpreis entscheidend^), ein Umstand, der unablässig zur Auf- 
Arbeitern zu Produktionszweck^n in einem Gebäude dar, die unter vor- 
zugsweiser Anwendung von Maschinen und Motoren sich gegenseitig in 
die Hände arbeiten, so dass alle an der Herstellung eines und des- 
selben Gegenstandes mit bestimmten Leistungen beteiligt sind. Die 
Anordnung der Arbeiten, sowie die Lieferung der Rohstoffe, Werkzeuge 
und Maschinen übernimmt der Inhaber der Fabrik, dem auch die Sorge 
für den Absatz der angefertigten Erzeugnisse obliegt. Ib. S. 770 wird 
behauptet, daß 1796 die erste Rübenzuckerfabrik in Cunern bei Steinau 
eröffnet wurde. Das ist zweifellos inkorrekt, da erst nach und nach 
die Anlage erweitert wurde und 1802 tatsächlich erst eine kontinuier- 
liche Fabrikation möglich war. — Brentano definiert: Die Fabrik ist ein 
Großbetrieb mit systematischer Nutzbarmachung von Naturkräften an 
Stelle von Menschenkräften. 

1) Durchschnittspreise des Zuckers in Hamburg, nach C. W. Knoop, 
Die Variationen der Zuckerpreise an der hamburgischen Börse, er- 
schienen Dezember 1845, mitgeteilt bei F. G. Schulze, Die deutsche 
Zuckerfrage, 1850. 

Preis von 1 hamb. Pfd. in Groot. Vläm. Hamburg. Banko mit Rabatt. 





Brauner Brasil- 


lOelberHohana- 




Brauner Brasll- 


Gelber Habana- 




Rohzucker 


. Rohzucker 




Rohzucker 


Rohzucker 


1814 


14^ 


19,0 


1830 


4,1 


6,7 


1815 


14^ 


18,25 


1831 


3,7 


6,3 


1816 


11,6 


15,3 


1832 


4,5 


6,75 


1817 


10,0 


13,1 


1833 


4,5 


6,5 


1818 


10,25 


13,0 


1834 


5ß 


6,7 


1819 


8,6 


10,8 


1835 


6,1 


8,0 


1820 


14,25 


9,7 


1836 


5,7 


8,75 


1821 


5,75 


8,6 


1837 


4,5 


7,1 


1822 


4,8 


7,5 


1838 


4,5 


7,6 


1823 


6,5 


9,1 


1839 


4,8 


7,1 


1824 


5,6 


7,8 


1840 


4,4 


6,0 


1825 


6,6 


8,6 


1841 


4,0 


5.6 


1826 


6,7 


8,8 


1842 


3,6 


5,0 


1827 


7,3 


9,6 


1843 


4,2 


5,6 


1828 


6,8 


9,1 


1844 


4,0 


5.3 


1829 


5,25 


8,1 


1845 


5,1 


6,3 



. ■> > 



Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 25 

nähme jeder dauernd Kosten vermindernden Technik drängte, 
soweit Kapital für ihre Einfuhrung verfügbar war, und der ein 
sehr kräftiges erzieherisches Moment von vornherein involvierte. 

Das unentwickelte Verständnis für technische Vorgänge und 
die noch unüberwindliche Skepsis des anlagesuchenden Kapitals 
gegenüber industriellen Unternehmungen hinderte in Zusammen- 
hang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage und dem un- 
genügenden Zollschutz das Aufkommen der Zuckerindustrie in 
Deutschland unmittelbar nach Wiederkehr friedlicher Zeiten. Als 
das Resultat der systematischen Behinderung des Binnenhandels 
ist der gänzliche Mangel jeglicher Oewandheit und frischen 
Unternehmungsgeistes anzusehen, der den deutschen Kaufmann 
beherrschte. In jener Zeit hochgradiger politischer Zerfahrenheit, 
in welcher der Partikularismus triumphierte, war ihm jener gesunde 
Sinn für praktische Wirklichkeit zum großen Teil abhanden ge- 
kommen, der dem Handelsstand einer vorwärtsschreitenden Volks- 
wirtschaft die charakteristische Folie gibt. Das allgemeine Fehlen 
von Bildung und Verständnis in volkswirtschaftiichen Dingen 
und mangelnde Anteilnahme am öffentiichen Leben erscheinen 
als die besten Kennzeichen seines Krämerstandpunkts, welclien 
der behördlich protektionierte Formalismus der öffentiichen Ver- 
waltung noch begünstigte, in den erst Friedrich List in dornen- 
voller Lebensarbeit Bresche legen mußte. 

Es entsprach dem damaligen Charakter des deutschen Wirt- 
schaftslebens, das eben im Begriffe stand, sich die Fundamente 
technischer Arbeit zu schaffen, daß die Erkenntnis vom Wesen 
kapitalistischer Wertbildung langsam und mit hohen Opfern ge- 
wonnen wurde. Bis in die Mitte der 50er Jahre dauert es, bis 
sie weiteren Kreisen zugänglich gemacht ist — Es ist gesagt 
worden, daß gegen die Neubegründung der Rübenzuckerindustrie 
vor allem die Landwirtschaft sich sehr zurückhaltend verhielt 
Erst als bei ihr sich als Ergebnis der großen Agrarkrise kauf- 
männische Oesichtspunkte durchgerungen hatten, ist ein all- 
gemeiner Fortschritt zu bemerken. Da das industriegewaltige 
England durch Oleichstellung des Rübenzuckers mit dem Rohr- 
zucker in der fiskalischen Behandlung sich der Möglichkeit einer 
inländischen Rohzuckerproduktion begeben hatte, wandten sich 
aller Blicke nach Frankreich, dem Lande, welches in der Behand- 
lung des technischen Verfahrens sich sAs erstes von dem über- 
kommenen empirischen loszuringen versuchte und die neuzeit- 



26 Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 

liehe Technik als Wissenschaft begründet hat. Die französische 
Rübenzuckerindustrie wurde den deutschen Gründern das un- 
antastbare Vorbild, als unter dem Eindruck der günstigen Preise, 
welche die Zollgesetzgebung garantierte, die Rückverpflanzung 
dieser Branche erfolgte. Die für 1836—41 beobachtete außer- 
ordentlich starke Zunahme der Zuckerproduktion --im Zoll- 
verein verzehnfachte sich die dargestellte Rohzuckermenge in 
dieser Zeit — ist der unbestrittene Erfolg dessen und der schutz- 
zöUnerischen Regierungspolitik zumal gegenüber dem hollän- 
dischen Lumpenzucker. In dieser technisch-historisch hoch- 
interessanten Zeit, in welcher der Bau der ersten Eisenbahnen 
auf dem Kontinent das Interesse der Angehörigen der industriell 
wenig entwickelten Staaten gewaltig entfachte, entrollt Deutsch- 
land dem Beobachter ein bisher nie geahntes Bild. Im Mittel- 
punkt der aligemeinen Aufmerksamkeit standen, so wird be- 
richtet i), „der deutsche Zollverband, Eisenbahnen und Dampf- 
schiffahrt, die Rübenzuckerfabrikation und die Douanengesetze 
verschiedener Länder zur Annäherung an eine größere, auf Gegen- 
seitigkeit begründete Handelsfreiheit Ja „fast noch mehr als 
die Eisenbahnen fährt die Fabrikation des Runkelrübenzuckers 
unausgesetzt in allen Beziehungen fort, der Gegenstand des Tages- 
gespräches zu sein." 2) statt einer solide fortschreitenden Ent- 
wicklung riß bald alle Welt eine bisher unbekannte industrielle 
Begeisterung in eine blind wütende Spekulation, die zum guten 
Teil auch in der Rübenzuckerindustrie Platz griff. „Es war die 
wilde Flammenlohe einer unbesonnenen Spekulation, welche ohne 
die geringste Sachkenntnis in einer Zuckerfabrik unmittelbar der- 
gestalt eine Goldfabrik sah. Bei einer großen Zukunft der ein- 
heimischen Zuckerindustrie vergaß man in blinder Habgier ihre 
noch bestehende Kindheit und opferte der Geheimniskrämerei 
des gewinnsüchtigen Charlatanismus, der diese leidenschaftliche 
Stimmung zu benutzen wußte, mit Freuden das verlangte Lehr- 
geld, von dem man Hunderte von Prozenten zu ziehen dachte^)." 
Für die Entfaltung der Rübenzuckerindustrie in Frankreich 
war neben dem Schutzzoll und anderweitiger Förderung durch 
die Regierung der hohe Stand der chemischen Wissenschaft ent- 

^) Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe des In- und Aus- 
landes, Herausgeber C. C. Becher, Köln 1836, S. 5. 

*) Frankfurter Oberpostamtszeitung vom 1. März 1836. 

«) Krebs, Die Zuckerindustrie in ökonomischer Bedeutung, 1848. 



Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 27 

scheidend gewesen. Indem man diesseits des Rheins die fran- 
zösischen Einrichtungen naturgetreu zu kopieren sich bemühte, 
kam man ihrem tieferen Inhalt nur mittelbar nahe. Um selb- 
ständig weiterzubauen und sich auf Grund der spezifisch deutschen 
Verhältnisse ein eigenes Wirtschaftsideal zu schaffen, war ein 
tiefes Erfassen des neuen technischen Geistes, dessen beleben- 
der Hauch in Frankreich zu verspüren war, die unerläßliche 
Voraussetzung. Dazu mußten aber erst langsam in E)eutschland 
geeignete Köpfe herangezogen werden. 

Wie drückt sich nun die Wirkung der staatUchen Maßnahmen 
im Rahmen jenes Stadiums wirtschaftlicher Entwicklung in der 
technischen Arbelt der Zuckerfabrikation dieser Zeit aus? 

Um die technischen Einzelheiten in ihrer Wesenheit gegen- 
einander abwägen und erfassen zu können, dürfte sich eine all- 
gemeine Überschau über den Gang des Fabrikationsprozesses 
zunächst empfehlen. Die Rübe wird vom Blattkopf befreit, von 
Schmutzteilen gereinigt und einem Zerkleinerungsapparat zu- 
geführt, von dem sie zur Saftgewinnungsstation wandert. Der 
hier gewonnene Rohsaft wird dann einem Reinigungsprozeß 
unterworfen, in welchem mechanische und chemische Fremd- 
körper ausgeschieden werden (Scheidung). Achard erstrebte einen 
ähnlichen Zweck mit seiner „Läuterung". Der geklärte Rohsaft 
wird nun unter der Bezeichnung „Dünnsaft" einer Konzentration 
mittels Verdampfung unterzogen, die den Dicksaft liefert, weicher 
nach einer nochmaligen Reinigung zur sog. Fülhnasse eingekocht 
wird. Diese stellt eine durch große Zähflüssigkeit ausgezeichnete 
gelbliche Masse dar, welche das im Entstehen begriffene oder 
fertig gebildete Kristallkorn in Sirupumhüllung enthält. Die Korn- 
bildung wird in hohem Grade von einer großen Anzahl bei 
der Verkochung auftretender Faktoren, sowie durch die Be- 
schaffenheit des Saftes beeinflußt. Auf sie konzentrierte sich 
ehedem in erster Linie die Tätigkeit der Siedemeister, welche 
die iabrikmäßige Zuckerdarstellung wie in der Raffinerie so auch 
in der Rohzuckerfabrik lange Zeit ausschließlich beherrschten. 
Zweck der Weiterverarbeitung ist die ungestörte Entwicklung 
des Kristalls und die Entfernung des anhaftenden Sirups. Letzteres 
erreicht man von alters her durch Verdrängen mit Wasser, und 
zwar ursprünglich in der Weise, daß man die in eine irdene 
Kegelform mit verschließbarer Spitze gebrachte Füllmasse er- 
starren ließ, den Verschluß an der Spitze entfernte und das 



28 Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 

Ablaufen des Sirups abwartete, wobei man durch Aufbringen 
einer Schicht feuchten Tons auf die Füllmasse nachhalf, indem 
die Aufnahme des Wassers seitens des Zuckers den Vorgang 
beschleunigte und eine wesentlich bessere Wirkung erzielen ließ. 
Durch häufigere Erneuerung der Tondecke ließ sich bei einiger 
Sorgfalt schon ein fast farbloses Produkt erzielen. Obgleich dieses 
einfache Verfahren schon früh von der Zuckertechnik verlassen 
wurde, wie wir sehen werden, hat sich für die auf das Ver- 
drängen des Sirups gerichtete Operation die Bezeichnung 
„Decken" erhalten. Der in den Formen verbleibende Zucker 
ist der Rohzucker. Aufgabe der Raffinerie ist lediglich, ihn durch 
wiederholtes Auflösen, Konzentrieren und Decken zu Raffinade 
zu veredeln. Die bei der Rohzucker- und Raffinadegewinnung 
auftretenden Sirupe werden in ganz ähnlicher Weise gereinigt 
auf Füllmasse eingekocht und gedeckt, Iris der Ablauf, die Mutter- 
lauge, keinen mit Vorteil gewinnbaren kristallisierten Zucker mehr 
enthält. Das ist im allgemeinen ein Sirup von 47— 50 o/o Zucker- 
gehalt, die sogenannte Melasse. 

In Achards Fabrik^) spielte sich der Herstellungsprozeß etwa 
in folgender Weise ab: Die geköpften Rüben ließ er in einem 
Wasserbad mit einem Besen bearbeiten und von einer Art 
Kartoffelschneidemaschine in Scheiben zerlegen. Bald aber ver- 
wandte er statt der letzteren eine Reibemaschine. „Sie bestand 
aus zwei gußeisernen, mit sägeartig gezähnten Messern besetzten 
Platten, welche die vorgeworfenen Rüben faßten und vermöge 
großer Peripheriegeschwindigkeit zerrissen*).'* Die obere Platte 
wurde durch ein Ochsentriebwerk in Bewegung gesetzt. Da 
diese Maschine nur 2 dz pro Stunde zu verarbeiten vermochte, 
hatte Achard mehrere derselben nötig, was angesichts der kost- 
spieligen Betriebskraft diese Operation sehr teuer machte. Die 
so gewonnene Masse wurde nun zwischen Tücher gepackt, auf 
einer genügend widerstandsfähigen ebenen Unterlage ausgebreitet 
und der Saft durch Hin- und Herrollen einer 4000 kg schweren 
Walze ausgepreßt. Wegen der umständlichen Handhabung dieser 
Einrichtung ersetzte er sie später durch hölzerne Keil-, Winden- 
und Schraubenpressen, die große Ähnlichkeit mit den herkömm- 

^) Ober die Anfänge der deutschen Rübenzuckerindustrie, vergl. 
A. Rümpler, Die Zuckerindustrie Schlesiens vor 100 Jahren, 1901. 

*) Ch. H. Schmidt, Handbuch der Zuckeriabrikation, Weimar 1850, 
Seite 25. 



— ^ 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 29 

. liehen Obstpressen aufwiesen, und deren stark beanspruchte 
Organe erst nach und nach durch Ausführungen in Metall er- 
setzt wurden. Der Läuterung des Rohsafts mit Schwefelsäure 
schloB sich die Neutralisation mit Kalk oder Kreide an, worauf 
der Saft mit Ochsenblut und Kohle behandelt wurde, wobei 
sich der gebildete schwefelsaure Kalk mit dem geronnenen 
Ochsenblut und mancherlei Unreinigkeiten auf dem Filter ab- 
schieden. Häufiges und sorgsames Absetzenlassen („Sedimen- 
tieren'O ^^^ Seihen war ein Haupterfordernis guten Oelingens. 
Die Verdampfung vollzog er ursprtinglich über freiem Feuer, 
später in flachen, mit Dampf geheizten Holzpfannen unter riesigem 
Aufwand an Brennstoff. Die mit Füllmasse beschickten Formen 
standen in stark geheizten Räumen an zwei Monate über Oe- 
fäßen, in welche der Sirup abfloß. Zum Decken diente mög- 
lichst reiner Ton. Über die Abfallstoffe macht Achard besondere 
Angaben^), von ihrer Verarbeitung versprach er sich offenbar 
einen bedeutsamen, die Zuckergewinnungskosten mindernden 
Einfluß. EMe Rübenblätter wollte er zu Tabak, die Preßrück- 
stände zu einem Kaffeesurrogat verwerten, den Sirup wollte er 
in Gärung versetzen und zu Branntwein brennen, während er 
die Treber, das Waschwasser der Rüben und den bei der 
Läuterung abgeschöpften Schaum zur Essiggewinnung zu be- 
nutzen gedachte. — Die mannigfachen Änderungen, die Achard im 
Laufe der Jahre in den Fabrikationsprozeß einführte, waren nicht 
durchgreifender Art und verschieben nicht wesentlich das Bild 
seiner Arbeitsmethode. Im engen Anschluß an seine Publika- 
tionen richtete man in Nord- und Süddeutschland eine Anzahl 
Fabriken ein, ohne daß man aber zu irgend einer bedeutsamen 
Neuerung dabei gekommen wäre. 

Die glückliche Vereinigung zwischen theoretisch begründeter 
und praktisch angewandter Technik unter den Auspizien einer 
jedem technischen Fortschritt günstig gestimmten Regierung schuf 
in einem Dezennium in Frankreich auf Achards Ergebnissen 
weiterbauend wirklich Erstaunliches. Da die französische Technik 
für Deutschland später vorbildlich wurde, sind wir genötigt, sie 
ihren Qrundzügen nach darzulegen. 

Zunächst erzielte Frankreich hinsichtlich der Methode der 



^) C. F. Achard, Anleitung zum Anbau der zur Zuckerfabrikation 
anwendbaren Runkelrüben und zur vorteilhaften Gewinnung des Zuckers 
aus denselben, 1803. 



30 Die Zeit von 1802 bis 1840. 

Verarbeitung Fortschritte. Der bedeutsamste ist ohne Zweifel 
die Einführung der Knochenkohle, deren durch Zufall entdeckte 
stark entfärbende Kraft durch Derosne 1812 für die Zucker- 
industrie dienstbar gemacht und 1815 durch ein an Mertineau 
erteiltes Patent geschützt wurde. Daß die Wirkung dieses eigen- 
artigen Körpers neben der mechanischen in hohem Maße eine 
chemische war, beruhend auf der Absorption der die Ver' 
arbeitung erschwerenden Nichtzuckerstoffe, blieb allerdings noch 
fast ein halbes Jahrhundert unbekannt. Die Bedeutung dieses 
methodischen Fortschritts vermag man daraus zu ermessen, daß 
trotz zahlloser Versuche, diesen Körper wegen seiner Kost- 
spieligkeit aus dem Fabrikationsprozeß zu eliminieren, ihn die 
Zuckertechnik bis auf den heutigen Tag bei Herstellung erst- 
klassiger Produkte nicht zu entbehren in der Lage ist Indem 
die französischen Fabrikanten so in den Stand versetzt waren, 
ein hochwertiges Produkt mit erheblich kürzerem Zeitaufwande 
herzustellen, fiel doch das zeitraubende Sedimentieren und Seihen 
zum guten Teil weg, lernten sie auf Grund praktischer Erfahrung 
die Knochenkohle durch umfangreiche Wiederbelebungsverfahren 
rationell zu verwerten und in einer Weise auszunützen, welche 
ihrer technologischen Eigentümlichkeit immer näher kam. Während 
man sie wohl wegen ihrer Kostbarkeit zuerst in sehr fein ver- 
teiltem Zustande beim Eindampfen dem Dünnsaft zusetzte, und 
später nach der Behandlung des Saftes mit Rindsblut mit den 
ausgeschiedenen Bestandteilen durch einen Beutelfilter entfernte, 
sie auch in Teilprozessen zur Anwendung brachte — alles Ver- 
fahren, bei denen die benutzte Knochenkohle jedesmal vollständig 
verloren ging — , führte Dumont 1828 ihre Benutzung in grob- 
körnigem Zustand^ ein in dem nach ihm benannten Filter: Ein 
prismatischer Holzkasten hatte einen aus einer Siebfläche ge« 
bildeten Einsatzboden, über dem die gekörnte, vom Saft be- 
rieselte Kohle lag. Der Hohlraum zwischen den beiden Böden 
gestattete ein bequemes Ablassen des Saftes; der Prozeß ging 
rasch und regelmäßig vor sich, und dazu ermöglichte die Wieder- 
belebung der erschöpften Kohle insbesondere, sie in größerer 
JVlenge in Anwendung zu bringen, womit eine qualitative Hebung 
des Produktes unter gleichzeitiger Ermäßigung der für Knochen- 
kohle aufzuwendenden Kosten gewährleistet wurde. Alles dies läßt 
die Behauptung Stammers^) gerechtfertigt erscheinen, der zufolge 
») K. Stammer, Lehrbuch der Zuckerfabrikation, 1874, S. 483. 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 31 

,,erst von der Zeit ab^ wo man die gebrauchte Kohle auf ein- 
fache und zweckmäßige Weise wiederzubeleben lernte, die fabrik- 
mäßige Gewinnung des Zuckers aus Rüben für immer ge- 
sichert war." 

Eine weitere Verbesserung der Methode brachte die frucht- 
bare Ausgestaltung eines auf Achard zurückgehenden Gedankens, 
dessen gewaltige Tragweite er nur ahnen konnte. Es war die 
Einführung des Dampfes in den Betrieb der Zuckerfabrik, zu- 
nächst zu Heizzwecken. Seitdem es überhaupt eine Zucker- 
industrie gab, hatte sie mit der Schwierigkeit zu kämpfen, welche 
das Verkochen des Saftes über freiem Feuer bereitete. Um das 
verlustbringende Anbrennen zu verhüten, war man genötigt, Vor- 
sorge für das Löschen des Herdfeuers im kritischen Moment 
zu treffen, was ohne riesigen Brennstoffverbrauch nicht möglich 
war. Um dem einigermaßen abzuhelfen, andererseits zum Zweck 
einer gleichmäßigeren Erwärmung der Saftmengen hatte Achard 
die Einrichtung getroffen, daß er aus einem winzigen Dampf- 
kessel, der bequem in und außer Betrieb zu setzen war, eine 
Dampfleitung in einen aus Holzplanken gefügten Raum unter 
der Sudpfanne führte. Die ganze Beschränktheit seiner Vor- 
richtung wird dadurch illustriert, daß er beim Unterbrechen des 
Siedeprozesses diese Leitung auseinanderschrauben mußte. Der 
Fortschritt der französischen Unternehmer bestand in der In- 
stallation einer kontinuierlichen Dampferzeugung in der Zucker- 
industrie und in der Anwendung von Pfannen, die mit zweck- 
mäßigen Dampfheizvorrichtungen ausgerüstet waren. 1828 kon- 
struierte Halette seine mit kupfernen Dampfschlangen versehene 
Verdampfpfanne, durch die ein promptes Abstellen der Wärme- 
zufuhr und eine gute Regulierfähigkeit derselben neben einer 
gleichmäßigeren Wärmeverteilung möglich wurde. Ihre An- 
wendung brachte nicht nur einen geringeren Brennstoffverbrauch 
bei dauerndem Betrieb und eine höhere Leistungsfähigkeit, in- 
sofern man mit ihr größere Saftmengen in einer Operation be- 
wältigen konnte, sondern sie gewährleistete auch eine höhere 
Sicherheit der Ausbeute. 

Zu dieser hochwichtigen Erfindung gesellte sich in Frank- 
reich eine andere, die 1812 in England gemacht war und deren 
Zweckgedanken der Dampftechnik der ganzen modernen Zucker- 
industrie zugrunde liegt. Es ist die Erfindung des sog. Vakuums 
durch Howard. Diese Vorrichtung stellt einen luftdicht ver- 



32 Die Zeit von 1802 bis 1840. 

schiossenen Kochapparat dar, in dem mit Hilfe von Luftver- 
diinnung die Flüssigkeit bei niederer Temperatur zum Sieden 
gebracht wird. Damit wird nicht nur erreicht, daß mit einer 
geringeren Wärme-, also auch Brennstoffmenge eine Verdampfung 
zustande kommt, son4ern die zuckerzerstörende Einwirkung hoher 
Temperaturen, die Achard schon beobachtet hatte, läßt sich so 
nahezu vermeiden. Das Vakuum, das zu Anfang der 20er Jahre 
in den englischen Raffinerien schon allgemein verbreitet war, 
verpflanzte sich unter Vermittelung einer Anzahl Dtuchgangs- 
stufen am ersten in die französische Rübenzuckerindustrie. Es 
hat indessen den Anschein, als ob es in der dem Erfinder paten- 
tierten Ausführung, welche die Luftleere durch Verwendung einer 
Luftpumpe zustande brachte, erst auch hier von dem Moment 
an weitere Verbreitung gewonnen hat, in dem die Dampfmaschine 
ihren Einzug in die Industrie hielt, d. h. mit der Einrichtung 
einer kontinuierlichen Kraftquelle. Das Oöpelwerk betrieb aber 
auch hier lange Zeit lediglich die Reibmaschine, bei der die 
Oleichmäßigkeit des Ganges und der Triebkraft nicht sonderlich 
ins Gewicht fiel, während das Verdampfen im Vakuum in hohem 
Maße von der gleichmäßigen Leistung der Pumpe abhängig ist 
Immerhin war Ende der 30er Jahre die Verdampfung im luft- 
verdünnten Raum, ganz gleich, ob dieser durch eine Luftpumpe 
oder durch Kondensation geschaffen wurde^), in Frankreich in 
den meisten besser eingerichteten Zuckerfabriken ganz ähnlich 
wie die Dampfmaschine verbreitet^). 

Mit diesen methodischen Fortschritten ging naturgemäß eine 
Verbesserung der Produktionsmittel Hand in Hand. Die wert- 
vollste technische Neuerung war hier die Konstruktion der mit 
auswechselbaren Sägeblättern versehenen Thierryschen Trommel- 
reibe, welche mit den bisher allgemein verbreiteten Quetsch-, 
Schneid- und Reibwerken, soweit diese angegossene Zähne hatten, 
sehr bald aufräumte. Die französischen Fabrikanten hatten sich 
mit der Achardschen Reibmaschine nie befreunden können, ein 
Zeichen für ihr technisches Verständnis; war doch ein möglichst 
feines und gleichmäßiges Reibsei, dessen Herstellung die in 
ktuzer Zeit abgenutzten, nicht auswechselbaren Zähne aus Guß 



^) Zunächst versuchte man, ohne Luftpumpe fertig zu werden und 
betrieb die Kondensation mit Wasser (Roth) öder Dünnsaft (Degrand). 

*) 1836 waren bei Cockerill-Seraing 29 Dampfmaschinen für Rüben- 
zuckerfabriken im Bau. 



^* > 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 33 



oder anderem Metall sehr erschwerten, die Vorbedingung einer 
guten Entsaftung unter der Presse. Der Erfolg ihrer 20jährigen 
Erfahrungen war eine Maschine, die bei etwa 4mal so großer 
Leistung pro Zeiteinheit und gleichem Kraftaufwande einen weit- 
gehenden Ansprächen genügende^ Rübenbrei lieferte. 

Der so gesteigerten Verarbeiiungsfähigkeit war man bemüht, 
die Leistungsfähigkeit der PreBorgane anzupassen. Den Saft 
durdi Druckwirkung zu gewinnen, war bei der notwendig be- 
schleunigten Verarbeitung des Rübenbreies das Nächstliegende. 
Denn das Aufbewahren von Rohsaft und Brei führt schon nach 
wenigen Stunden zu wichtigen Veränderungen chemischer Natur, 
welche die Verarbeitung erschweren und die Ausbeute verkürzen. 
Nach allerlei aussichtslos verlaufenen Versuchen, mit Hilfe der 
einfachen Maschinenelemente Schraube, Keil und Rolle erheb- 
liche Drücke ohne einen bedeutenden Energieaufwand für Eigen- 
reibung zu erzielen, fand der französische Fabrikant Crespel 1820 
in der hydraulischen Presse das geeignete Organ, welches an 
60 Jahre lang die europäische Rübensaftgewinnung beherrschen 
sollte. Durch die Wahl geeigneter Querschnitte zwischen Druck- 
und Preßkolben — die Drücke derselben verhalten sich wie 
die Quadrate ihrer Durchmesser, während die zurückgelegten 
Kolbenwege im umgekehrten Verhältnis stehen — gelingt es 
hier^ eine hohe Druckwirkung, die auf einem kurzen Arbeits- 
weg wirkt, auf Kosten eines geringen, auf einem langen Arbeits- 
weg wirksamen Kraftaufwandes zu erzielen. 

Im übrigen beschränkte sich die Verbesserung des technischen 
Prozesses durch vervollkommnete Produktionsmethoden und 
-Mittel keineswegs nur auf die bezeichneten Einzelheiten, viel- 
mehr machte sich in fast allen wesentlichen Punkten wie in 
der Saftreinigung, in der Ausgestaltung der Antriebsvorrichtungen 
und den Geräten ein technischer Fortschritt wahrnehmbar. Aus 
de^ damit gegebenen höheren Kapitalsinvestitur resultierte ein 
Streben nach einem höheren Grade von Betriebskontinuität, 
welches in der kontinuierlichen Dampferzeugung zu thermischen 
und motorischen Zwecken seinen Ausdruck fand, welche ihrer- 
seits auf eine allgemeine Betriebserweiterung drängte. Der Ent- 
wickelungsgang der französischen Rübenzuckerindustrie bis 1840 
ist das typische Bild eines durch die protektionistische Haltung 
der Staatsregierung großgewordenen Betriebszweiges, in dem die 
reichen wirtschaftlichen Kräfte des Landes unter einem in den 

Schuchart, Zuckerindustrie. 3 



34 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 



technischen Wissenschaften mit Eifer vorwärtsstrebenden, aber 
noch nicht für große technische Aufgaben durchgebildeten Volke 
mit Hilfe rühriger Staatsintervention zur Entfaltung reifen. 

Vom äußeren Bestände der Industrie geben folgende Zahlen 
ein Bild: 





Rohzucker- 


JktiTMhi A^r 


Aui den Betrieb 


Betriebsjahr 


produktion 


ADZttUI UCI 

Betriebe 


entfallen durch- 




» 




tchnittUch t 


1825/26 


500 


100 


5,0 


1827/28 


2685 


103 


26,1 


1829/30 


6000 


— 




1832/33 


19000 


— 


-^ 


1834/35 
1835/36 


38000 
49U0Ü 


ca. 350 


ca. 109 


1836/37 


48969 


585 


M,7 


1837/38 


^226 


585 


84,0 


1838/39 


39199 


555 


70,6 


1839/40 


22693 


422 


53,8 



Ihren Kulminationspunkt erreicht die Produktionsziffer in den 
Jahren 1835 bis 1837. Erst 1846 wird sie zum erstenmal wieder 
überschritten. Das hat seinen Grund in dem Widerstreit der 
Interessen des aus den eigenen Kolonien einströmenden Rohr- 
zuckers und dem Rübenzucker. 

Dies Bild bot also die französische Rübenzuckerindustrie, 
als ihre glänzenden Wirtschaftsergebnisse die Blicke der östlichen 
Nachbarn auf sie richten ließen. Wir sahen, wie unter dem Ein- 
druck der nach 1830 lebhaft aufsteigenden Konjunktur deutsche 
Unternehmer, angelockt durch die vorteilhafte zollpolitische Lage 
des Artikels gemäß der Zollverordnung von 1837, vielfach mit 
dilettantenhafter Urteilslosigkeit sklavisch französische Muster zu 
kopieren trachteten. Nur ein großer Unterschied läßt sich äußer- 
lich beim Vergleich mit diesen feststellen: Man hoffte dllgemein, 
mit relativ geringeren Anlagekosten den gleichen hohen Gewinn 
zu erzielen. Das wirft ein Schlaglicht auf das noch sehr geringe 
Verständnis technisch-wirtschaftlichen Dingen gegenüber und gibt 
einen Maßstab für die in den ersten Anfängen stehende Entfaltung 
eines entwickelt kapitalistischen Wirtschaftsgeistes. Zwar sind 
es keine routinierten Fabrikanten, die sich für den neuen Ge- 
werbszweig interessieren. An ihnen war ja in den an Fabriken 
so armen Staatsgebieten noch längere Zeit großer Mangel. Aber 
die mit dem neuen Industriezweig sich befassenden kaufmänni- 
schen Elemente hatten durchweg noch keinen Blick für sein 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 



35 



fiir eine groBbeiriebliche Entfaltung geradezu prädestiniertes Wesen 
und leisteten deshalb zumeist auf die Einführung des Dampfes 
Verzicht, wozu allerdings die noch gänzlich mangelhafte Ver- 
trautheit mit jeglichen Dampfapparaten und ihr hoher Preis das 
ihrige taten. Schwebt doch noch bis in die 50er Jahre manchem 
deutschen Fabrikanten das Ideal einer Rübenzuckerfabrik in der 
Form des landwirtschaftlichen Kleingewerbes vor^), obgleich die 
Steuergesetzgebung, wie wir sehen werden, nicht die mindeste 
Unterstützung in dieser Richtung bot Der mächtige Impuls des 
Jahres 1837, das den hohen Zoll auf Lumpenzucker brachte, 
und die hohe Rente der Kleinbetriebe während der Zeit seines 
Bestandes wurde als eine greifbare Bestätigung für jene An- 
schauung gedeutet. Daß es unter diesen Umständen bald nicht 
an Enttäuschungen fehlte, lehrt die Statistik. 



1837/38 
1838/39 
1839/40 



Zu- bezw. Abnahme 

der Zahl der titigeii 

Fabriken gegen das 

Vorjahr in 7o 



12^ 

0^ 

-0,5 



Steigerung der pro 

Fabrik durchschnlttUch 

gewonnenen Roh- 

ziickermenge gegen 

das Voijahr in % 



425,0 

4,0 

16,3 



Danach liegt zweifellos Berechtigung vor für die Annahme, 
daß von 1836 bis 1840 fortgesetzt Neugründungen von Betrieben 
vorgenommen wurden, die zum guten Teil sehr bald wieder 
verschwanden, weil ihre Betriebsgröße nach kurzer Zeit nicht 
mehr rentabel war, um dann sogleich wieder durch Etablierung 
leistungsfähigerer Betriebe ersetzt zu werden. 

Um das Bild der Zuckerindustrie um 1840 zu vervoll- 
ständigen, werfen wir noch einen Blick auf die Raffinerie. Während 
die österreichische Regierung zu Anfang des 19. Jahrhunderts 
die Praxis übte, die Lizenzerteilung für Neuanlagen von dem 
Nachweis eines gewissen Fonds abhängig zu machen, um die 
Entstehung von Kleinbetrieben hintanzuhalten ^), wuchs die Zahl 
der Raffinerien in Preußen von 54 im Jahre 1831 auf 74 im 
Jahre 1835. 1837 gab es sogar 78, doch sank diese Zahl bis 

*) jac. E. V. Rieder, Die verbesserte Kultur der Zuckerrunkeln und 
das Ganze der Fabrikation, 1840. — Die Rübenzuckerfabrikation, ihr volks- 
wirtschaftlicher Nutzen und ihre Besteuerung, Halle 1852, S. 7. 

*) Steph. V. Kees, Darstellung des Fabrik- und Gewerbewesens, 
Wien 1824, 2. Teil, S. 282. 




36 Die Zeit von 18Q2 bis 1840. 

1844 wieder auf 52. Ganz ahnlich war es in den fibrigen 
Zollvereinsstaaten. Diese Erscheinung geht auf die allgemeine 
Konsumsteigerung zurück^i welche bis 1847 eine steigende Ein- 
fuhr an Rohrzucker ermöglichte. Die durchschnitdich pro Betrieb 
verarbeitete Rohrzuckermenge stieg im Zollverein von 10 125 Ztr. 
im Jahre 1835 auf 20450 Ztr. 1845. 

Man darf behaupten, daß zu dieser gewaltigen Aiis- 
reckung der Betriebsgröße, mit der eine Verbesserung der Be- 
triebseinrichtung meist Hand in Hand ging, auch ganz wesentlich 
die scharfe Konkurrenz beitrug, welche den Raffinerien diuch 
die nur 1837—39 unterbundene Lumpenzuckereinfuhr von Holland 
her erwuchs^). Dazu gesellte sich indes noch der Preiadnick, 
den die aufstrebenden Rübenzuckerfabriken mit ihrer viel- 
fach konsumfähigen Ware auf ihre Produkte ausübten. Trotz 
alledem gingen die deutschen Raffinadeure bei ihrer Betriebft- 
erweiterung nur sehr zögernd dazu über, sich die technischen 
Verbesserungen anzueignen, welche in den französischen und 
englischen Werken längst in Anwendung waren, wozu insbesondere 
die Verdampfung im Vakuum zu rechnen ist In blindem Ver- 
trauen auf das ihnen nie gekündigte Privileg und auf die In- 
feriorität des Rübenzuckers bauend, bemühten sie sich vorzugs- 
weise, durch Boykottierung ihrer Ware ihren erklärten Feinden 
das Wasser abzugraben, ein Umstand, der nur zum Teil in 
der geringeren Qualität des Rübenrohzuckers Berechtigung ge- 
habt haben kann. Dieses Verhalten veranlaßte die Rfibenzucfcer- 
fabriken, trotzdem alle Sachverständigen sich gegen diese An- 
ordnung erklärten 3), ihren Rohzucker oft in eigener Regie auf Raffi- 
nade umzuarbeiten, oder aber den Produktionsprozeß gleidi so 

*) Das nach Preußen eingeführte Siedematerial betrug 
1822 118813 Ztr. 1835 764468 Ztr. 

1825 265036 „ 1837 724889 ,^ 

1830 429380 „ 1840 822553 ,, 

1831 764149 „ 1844 1169834 ,, 

Unter Siedematerial versteht man den zum ,, Versieden'' eingeührten 
Rohzucker. 

*) C. F. W. Dieterici, Statistische Obersicht der wichtigsten Gegen- 
stände des Verkehrs und Verbrauchs, 1838, S. 168. 

») So z. B. St. V. Kees, a. a. O. 11. S. 297. — N. v. Qrauvogl, Ober 
Zuckerfabrikation in Bayern, 1810, S. 11. — W. A. Lampadius, Ober 
Runkelrübenzucker, 1800, S. 72. — F. L. Blei, Die Zuckerbereitung aus 
Runkelrüben in ihrer Beziehung zur deutschen Landwirtschaft, 1836, 
S. 47. — Vereinszeitschrift 1851, S. 249. 



Die Zeit von 1802 bis 1840. 37 

ZU gestalten» daß sofort aus dem Rohsaft ein konsumfähiges 
Produkt gewonnen wurde» d. h. also, daß sie zur WeiBzucker- 
arbeit^) übergingen.. 

Den Stand der deutschen Rübenzuckerindustrie kennzeichnet 
am besten die Ausbeuteziffer^)» die 1840/1 immerhin schon 5,87 
betrug» während Achards Ausbeute höchstens 4 o/o ausmachte. 
Jedenfalls stand die französische Industrie noch an führender Stelle. 



Als Ergebnis der ersten Periode stellt sich folgendes dar: 
Während in Deutschland die Rübenzuckerindustrie seit den ersten 
Versuchen fabrikmäßiger Herstellung keine grundlegenden Ver- 
besserungen oder nur Andeutungen dazu infolge mangelnden 
ZoUsdiutzes» allgemein-technischer Unkenntnis und bedeutungs- 
losen Unternehmungsgeistes erlebt, blüht sie in Frankreich unter 
dem starken Schutz einer ihr günstigen Staatspolitik dank des 
guten Verständnisses für technische Vorgänge und reger Kapitals« 
beteOigung auf. Der Dumont-Filter» die Thierrysche Reibmaschine» 
die hydraulische Presse und die ausgiebige Dampfverwendung 
werden hier zum Fundament ihres Fortbestandes. Die seit 1830 
etwa in Deutschland unternommenen Versuche zur Wieder- 
begrfindung der Industrie lehnen sich stark an die französische 
Technik an» allgemein schreckt man indes vor erheblicher Kapitals- 
anlage zurück. Die zollpolitische Lage gibt 1837—9 in Deutsch- 
land Anlaß zur massenhaften Gründung von Rübenzuckerfabriken 
unter starker Beteiligung kaufmännischer Elemente» die häufiger 
von rein spekulativen als technisch-wirtschaftlichen Momenten ge- 
leitet werden. Der reduzierte Zollschutz der Jahre 1839—40 
zwingt zu einer energischen Betriebsgrößenentwickelung» die 
weniger in technischen Verbesserungen» als in einer homogenen 
Vergrößerung der Produktionsmittel ihren Ausdruck findet. Gleich- 
wohl ist die Frage» ob die Rübenzuckerfabrikation in der Form 
des landwirtschaftlichen Kleingewerbes lebensfähig ist» noch nicht 
entschieden. — Die Raffinerien, welche bis zum Anfang der 30er 
Jahre ihren Betrieb in der traditionellen Weise aufrecht erhalten 
haben» raffen sich unter dem Eindruck der Konkurrenz und des 
erhöhten Zuckerkonsums zu entschiedener Betriebsvergrößerung 
auf und gelangen damit zu einer verbesserten Technik. 

Vergl. S. 11. 

■) Unter der Ausbeuteziffer verstehen wir die Zahl, welche angibt, 
wie viel kg Rohzucker aus 100 kg Rüben gewonnen werden. 



38 Die Zeit von 1841 bis 1861. 

3. Kapitel. 
Die Zelt von 1841 bis 1861. 

Wenn man versuclit war, in der ersten Entwicklungsphase 
der neuen deutschen Zuckerindustrie den liberalen Orundzug her- 
vortreten zu lassen, so hat das in der Hinsicht Berechtigung, 
daß allen übrigen deutschen Zollvereinsstaaten voran die preußi- 
sche Regierung die alten, den Gedanken des persönlichen Mono- 
pols umfassenden Orundsätze zu durchkreuzen sich anschickte, 
insofern sie die Rübenzuckerindustrie zunächst vollkommen un- 
behelligt ließ^), und, als diese dabei nicht ihr Fortkommen fand, 
sich schließlich für einen Schutzzoll entschied, mit dem sie eine 
erzieherische Absicht verknüpfte. Die einseitige Bevorzugung 
der alten Raffinationsindustrie wurde damit radikal durch eine 
auf liberalen Grundsätzen fußende Politik abgelöst. 

Der eine zweite Entwickelungsstufe bedeutende Zeitabschnitt 
umfaßt die Periode von Einführung einer Besteuerung des Ar- 
tikels Zucker«), die in Preußen 1841 in Kraft trat, bis zur Zu- 
billigung einer Rückvergütung der Steuer bei Ausfuhr 1861. Sie 
ist der fiskalischen Behandlung nach dadurch gekennzeichnet, 
daß die preußische Staatsregierung, vom 1. Sept. 1844 der Zoll- 
verein, eine Materialsteuer auf die zur Verarbeitung gelangenden 
Zuckerrüben legt und zwar in bewußter Aufrechterhaltung des 
Zwecks, der inländischen Produktion einen Schutz vor der Kon- 
kurrenz des Rohrzuckers zu gewähren, ohne jedoch diese da- 
mit auszuschließen. Das gibt sich in der Annahme der festen 
Ausbeutezahl 5 deutlich zu erkennen, welche der Steuerbemessung 
diese 20 Jahre hindurch zugrunde gelegt wurde, obgleich nach 
den amtlichen Ausweisen die Durchschnittsausbeutezahl aller 
Fabriken des Zollvereins betrug 

1849/50 7,35, 1854/55 8,20, 1859/60 8,56. 

Indem die Regierungen ohne alle Einschränkungen an diesem 
Besteuerungsmodus festhielten, schufen sie für die Rübenzucker- 



^) Doch bestand noch allgemeine, strenge Konzessionspflicht für 
gewerbliche Unternehmungen. 

•) Für alle die Zuckerbesteuerung betreffenden Fragen vergl. 
W. Katzenstein, Die deutsche Zuckerindustrie und Besteuerung in ihrer 
geschichtlichen Entwickelung, 1897. 



Die Zeit voa 1841 bis 1861. 39 

Industrie einen gewaltigen Anreiz dazu, die größtmögliche Zucker- 
menge aus der nach dem jeweiligen Stande der Technik wirt- 
schaftlichen Minimalmenge Rüben zu fabrizieren. Der vorzügliche 
Erfolg dieser Maßnahme, welche eine Prämie auf hochstehende 
Technik bedeutet, drückt sich darin aus, daß der Zollverein in 
der Lage war, ohne eine nachhaltige Beeinträchtigung der steigen- 
den Verarbeitungsziffern der Gesamt- und der Einzelbetriebs- 
produktion die Steuersätze von der Gewichtseinheit Rohmaterial 
ununterbrochen hinaufzuschrauben, um damit den Ausfall an den 
Zolleinnahmen zu decken, der aus der verminderten Rohrzucker- 
einfuhr resultierte. Es wurden erhoben für den Doppelzentner 
Rüben 1840 in Preußen 6 Pfg., entsprechend einer fiktiven Be- 
lastung des Doppelzentner Rohzucker von Vs Tlr. (Kontroll- 
abgabe) i). Beim Zollverein stellte gleichzeitig Preußen den An- 
trag auf Erhebung einer Fabrikatsteuer von 2 Tlr. vom Doppel- 
zentner Rohzucker, während es selbst ab 1. Sept. 1841 eine 
Materialsteuer von 12 Pfg. vom Doppelzentner Rüben ent- 
sprechend Vs Tlr. vom Doppelzentner Rohzucker zur Einführung 
brachte. Ab 1. Sept. 1844 wurden die Abgaben im ganzen Zoll- 
verein einheitlich geregelt, das Prinzip der Rübengewichts- 
besteuerung drang durch und zwar erhob man die Steuer ebenso 
wie die Ein-, Aus- und Durchfuhrzölle auf gemeinsame Rechnung 
des Zollvereins. Die Belastung gestaltete sich wie folgt: 



Ab: 


1. IX. 1844 


1. K. 1851 


I.IX. 1855 


1. DC. 1859 


Belastung pro dz Rüben 


3Sgr. 


6 Sgr. 


12 Sgr. 


15 Sgr. 


entsprechende fiktive Be- 










lastung des dz Rohzucker 


2 Tlr. 


4 Tlr. 


8 Tlr. 


10 Tlr. 



Für die von merkantilistischen Tendenzen geleitete Politik 
der Zollvereinsstaaten ist das Niveau der allgemeinen wirtschaft- 
lichen Entwicklung des 4. und 5. Jahrzehntes überaus be- 
zeichnend. Die scharfe Spekulation in Boden werten der 30 er 
Jahre, eine Folgeerscheinung der großen Edelmetallakkumulation 
und der steigenden Bevölkerungsdichte, sprang unter dem Ein- 
druck der lebhaften Haussebewegung, die mit dem Siege der 
Reaktion 1848 einsetzte, auf das Gebiet industrieller Produktion 
über und setzte hier vermöge des präzisen Zusammentreffens 
einer ganzen Anzahl belebend wirkender Momente — die Mobili- 



^\ Die „Kontrollabgabe" hatte hauptsächlich informatorischen Cha- 
rakter. Sie brachte nur 26832 Tlr. Vgl. S. 23. 



40 Die Zeit von 1841 bis 1861. 

sierung der ländlichen Bevölkerang im Anschluß an die Ge- 
setze betr. die Ablösung der Reallasten und die Regulierung 
der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse (2. März 1850), 
und die Erschließung neuer riesenhafter Edelmetallquellen mögen 
hier nur genannt werden — gleich mit einer verblüffenden Energie 
ein, wie sie in der neueren deutschen Wirtschaftsgeschichte bis- 
her unbekannt war. In dieser Epoche allgemeiner Wertsteigerung 
tritt Deutschland unter Preußens Führung in eine Frühperiode 
kapitalistischer Wirtschaftsführung ein, die ihr gewaltiges Aus- 
drucksmittel in der lebhaften Gründung von Aktiengesellschaften 
findet, dem vollendetsten Typ des modernen industriellen Ge- 
winhstrebens, der von jetzt ab in fast alle Sparten der gewerb- 
lichen Produktion seinen Einzug hält. Es ist die Zeit, in der 
Neudeutschland wirtschaftlich geboren wird und deutscher Geist 
und deutsche Wissenschaft sich anschicken, bisher unbenutzt da- 
liegende oder latente Produktionsmittel aufzuspüren, zu durch- 
dringen und zu gebrauchen, es ist die Zeit, in der ein kunst- 
volles Netz zur Massengutförderung geeigneter Transportstraßen 
über die deutsche Landkarte gesponnen wird, von denen aus 
der wirtschaftliche Fortschritt mit revolutionärer Gewalt bis in 
die entlegensten Winkel vorzudringen beginnt. Der oben gekenn- 
zeichneten handelspolitischen Haltung des Zollvereins wohnt 
offenbar eine gewisse Beweiskraft dafür inne, daß er im ganzen 
genommen dem Suchen der Zeit mit Verständnis gegenüberstand; 
sie erscheint als der symptomatische Ausdruck für die moralische 
Wirkung der Ereignisse von 1848, welche den zur Zeit des tiefsten 
wirtschaftlichen und politischen Tiefstandes auf die freie Be- 
tätigung des Individuums gezogenen Wechsel zur Einlösung 
brachten. Die mit der endgültigen Freigabe aller Produktivkräfte 
eingeleitete kapitalistische Frühperiode drängte zu einer Ver- 
selbständigung des deutschen Gewerbefleißes gegenüber dem Aus- 
land, andererseits gab sie für die Fortdauer der landwirtschaft- 
lichen Hochkonjunktur den soliden Untergrund, welchen der Bauer 
bei fortschreitender Intensivierung beanspruchen mußte. Es war 
die Zeit, wie später gezeigt werden wird, in der dem norddeutschen 
Bauer zumal der indirekte Vorteil des Rübenbaus in steigendem 
Maße zu Bewußtsein kam. 

Die Entwicklung der deutschen Zuckertechnik in der Zeit 
1841—61 bewegt sich vorzugsweise in methodischen Änderungen 
des Produktionsprozesses. Da die Interessierung größerer Kapi- 



tL-^^^ 



Die Zeit von 1841 bis 1861. 41 

talien entsprechend dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung mit 
ständig abnehmenden Schwierigkeiten zu tun hatte, die Steuer- 
gesetzgebung durch stufenweise Erhöhung des Steuersatzes den 
Gewinn des Unternehmers mehr und mehr zu kürzen drohte, 
blieb immer wieder als einziger Ausweg, den Steuerdruck weniger 
drückend zu empfinden, die Betriebsvergrößerung. Sie brachte 
nicht nur eine bedeutende Minderung der Qeneralunkosten pro 
Gewichtseinheit Fertigfabrikat, sondern sie entwickelte aus sich 
heraus unablässig Verbesserungen der Produktionstechnik, schon 
deshalb, weil im Gegensatz zu den Raffineriebetrieben, solange 
sie ohne Dampf arbeiteten, bei der Rübenzuckerindustrie gewisse 
physiologische Hemmnisse aus der Massenverarbeitung sich er- 
gaben, deren Oberwindung mit Hilfe besonderer technischer 
Leistungen nur möglich war; dann aber, weil hier die Ersparnis 
an Material und an Steuer viel mehr ins Gewicht fiel und viel 
aussichtsreicher war als beim Kleinbetrieb. 

Indem wir uns anschicken, die Entwicklungsmomente der 
deutschen Zuckertechnik in der merkantilistischen Ära in bezug 
auf ihre wirtschaftliche Tragweite festzustellen, erscheint es ge- 
boten, die engen Beziehungen ins Licht zu rücken, die zwischen 
den Fortschritten des allgemeinen Maschinenbaues und denen der 
Zuckerindustrie bestehen und welche besonders stark hervortreten 
hinsichtlich der Methode technischen Arbeitens überhaupt. Vom 
Standpunkt des Technikers ist man gehalten, die 40 er und 50 er 
Jahre des 19. Jahrhunderts in bezug auf Deutschland die Epoche 
spezifisch methodischer Arbeit zu nennen. Die vorher nur spora- 
disch auf induktivem Wege arbeitende Forschung gewinnt nun- 
mehr die Oberhand über das überkommene deduktive Verfahren. 
Im Verein mit der fortschreitenden naturwissenschaftlichen Er- 
kenntnis, unterstützt von der erheblichen Kreditfähigkeit aller 
industrieller Unternehmungen in den 50 er Jahren und unter dem 
Eindruck der Konkurrenz vom Auslande tritt die Zuckerindustrie 
zum ersten Mal in ein Stadium wissenschaftlich-methodischer 
Arbeit. In allen industriell entwicklungsfähigen Produktions- 
zweigen treten in jener Zeit grundstürzende Neuerungen auf, 
in ihrem praktischen Erfolg oft jäh wechselnd. Die vornehmste 
Aufgabe des Zuckertechnikers bestand dabei nun immer darin, 
die naturwissenschaftlichen und maschinentechnischen Ergebnisse 
derselben in rentable Beziehung zu der oft durchaus originalen 
Betriebsorganisation der Zuckerindustrie zu setzen. Eine Paral- 



42 Die Zelt von 1841 bis 1861. 

lelität zwischen dem Fortschritt auf dem Gebiete der Technik 
überhaupt und dem der Zuckerindustrie ist das Resultat dieser 
Entwicklung, die ein Schulbeispiel darstellt für das von Emanuel 
Herrman ausgesprochene Prinzip der Proportionalität des tech- 
nischen Fortschritts. 1) 

Am prägnantesten läßt sich diese Feststellung für den uns 
vorliegenden Zeitabschnitt machen hinsichtlich der modernen 
Dampftechnik. Mit dem durch die fortschreitende Größenent- 
wicklung einmal erzwungenen Eintritt der Dampfmaschine in die 
Zuckerfabrik — ein Prozeß, der sich bis Mitte der 50 er Jahre 
hinzieht 2) — , wird eine Loslösung der Einzelmanipulationen und 
damit eine Verselbständigung derselben erreicht, zudem aber 
beeinflußt die Arbeitsmaschinerie sich gegenseitig in ihrer Ent- 
wicklung. Diese Beeinflussung greift gelegentlich auf die Methode 
der Arbeit über. Meist schwerer aber wiegen die Schwierigkeiten, 
die aus der immer mehr erstrebten Massenverarbeitung physio- 
logisch hervorgehen: Eine Verdampfstation für eine Beschickung 
mit 500 kg Saft stellt z. B. ganz andre Ansprüche an die technische 
Ausführung, Betriebssicherheit, Wärmeausnutzung und dergl. als 
eine solche für 5000 kg. 

Um aber einen Maßstab für die wirtschaftliche Konsequenz 
des technischen Fortschritts zu erhalten, ist es erforderlich, die 
wichtigsten Entwicklungsreihen kurz zu charakterisieren. 

Beginnend bei der Untersuchung der in der Zuckerfabrik 
auftretenden Körper, treffen wir gleich auf einen Punkt, welcher 
den prinzipiellen Unterschied technischer Arbeit 1840 und 1860 
illustriert. Während man sich bisher nahezu ausschließlich um 
die Feststellung des Zuckergehalts der Rüben bemühte, bis 1852 
noch ganz in der Art, wie Marggraf und Achard vorgegangen 
waren, verschob sich zunächst das Ziel. Angeregt von den Fort- 
schritten französischer Forscher ging man an die chemische Unter- 



*) Herrmann, Technische Fragen und Probleme, 1891, S. 455. 

*) Während in den deutschen Raffinerien die Dampfmaschine seit 
den dreißiger Jahren steigende Aufnahme fand, bürgerte sie sich in den 
Rübenzuckerfabriken erst in den vierziger Jahren ein, nachdem man 
allgemeiner zur Verwendung des Dampfes zu Heizzwecken übergegangen 
war. Es arbeiteten im Betriebsjahr 1845/46 in der Provinz Sachsen die 
37 Fabriken mit 60 Reiben und 178 hydraulischen Pressen. In 23 Fabriken 
waren 30 Dampfmaschinen mit 341 PS. Nutzleistung in Betrieb, während 
eine Fabrik mit Wasserkraft, die übrigen 13 mit Qöpelwerken betrieben 
wurden, die mit 59 Zugtieren bespannt waren. 



Die Zeit von 1841 bis 1861. 43 

suchung aller im Fabrikationsgang auftretenden zuckerhaltigen 
Substanzen. Erforderte doch die wachsende Betriebsgröße eine 
Kontrolle der auftretenden Säfte. Mit der Zeit erkannte man 
in ihr die unersetzliche Vorbedingung zu methodischer Entwick- 
lung der Zuckertechnik nach ökonomischen Gesichtspunkten, und 
erstrebte damit das, was den schablonenhaft dirigierten Klein- 
betrieben nachgerade die Existenz ruinierte, die Sicherheit der 
technischen Operation, d. h. Besserung der Ausbeuteziffer. Sich 
anlehnend an französische Forscher, tritt mit Schatten 1844 der 
erste selbständig arbeitende Chemiker in der deutschen Zucker- 
industrie auf. Wenn auch die fiir wissenschaftliche Spezialisation 
günstige Disposition des Deutschen und damit seine spezifische 
Begabung für die chemische Forschung erst nach 1860 zur Ent- 
faltung gelangt, so wird jetzt schon in dem richtigen Instinkt für 
die grundsätzliche Notwendigkeit chemischer Studien das wissen- 
schaftliche Rüstzeug des Zuckerchemikers geschaffen, der in 
seiner typischen Erscheinung selbst einer späteren Epoche angehört. 
Als ein Rüstzeug im eigentiichen Sinne kann man das Polari- 
sationsinstrument bezeichnen, nach v. Lippmann der Träger der 
zuckerchemischen Forschung und Kontrolle. Hierbei handelt es 
sich um einen Apparat, der auf der Eigenschaft des Zuckers beruht, 
den polarisierten Lichtstrahl nach rechts zu drehen, und der 
für die Untersuchung von nicht reinen Zuckerlösungen weitaus 
sicherere Anzeigen liefert als das nur zur Untersuchung chemisch 
reiner Zuckerlösungen geeignete Aräometer. Dieses Instrument, 
das infolge der Rezeption der wissenschaftiichen Leistung fran- 
zösischer Chemiker 1843 seiner Grundidee nach in preußischen 
Raffinerien bekannt war, wurde 1847 in einer für alle Zwecke 
der Praxis verbesserten Ausführung von Mitscherlich der all- 
gemeineren Ven^endung übergeben und von Deutschen in Theorie 
und Einrichtung unablässig vervollkommnet, ohne daß es indes 
bis 1860 zur ausschließlichen Anwendung sich hätte durchringen 
können, woran wohl sein hoher Preis vornehmlich die Schuld trug. 
Noch kämpften um den Vorrang eine ganze Reihe der Zucker- 
bestimmung dienende Methoden, insbesondere aber sträubte man 
sich da gegen diesen Apparat wo die Empirie der Technik 
noch in voller Blüte stand, wo der Unternehmer im Vertrauen 
auf die in geheimnisvolles Dunkel gehiillte Kunst des Siedemeisters 
lediglich durch Vervollkommnung der Arbeitsmaschinerie existenz- 
fähig zu bleiben suchte. 



44 



Die Zeit von 1841 bis 1861. 



Eintretend in den eigentlichen FabrikationsprozeB treffen wir 
tun 1860 in den deutschen Fabriicen die schon frühzeitig von 
Frankreich flbemommene Waschmaschine von Champonnois an. 
Ein aus einem Holzlattenverschlag bestehender wagerecht ge- 
lagerter Zylinder, der zum Teil in einem Wasserbade rotiert, ist 
mit einer Vorrichtung versehen, welche kontinuierliche Arbeit 
ermöglicht Daneben finden wir wieder die Thierry'sche Reib- 
maschine und die Presse mit jetzt durchgehends hydraulischer 
Bewegung. Welcher Wandel hat hier Platz gegriffen? 

Eine deutsche Maschinenindustrie konnte erst erstehen, als 
deutsche Hochöfen wohlfeil Roheisen produzierten. Dazu aber 
geschah mit dem Ersatz der Holzkohle durch die Steinkohle 
der entscheidende Schritt. 1847 wurde der erste Hochofen mit 
Koksbeschickung im Ruhrrevier in Betrieb gesetzt Also aus dem 
inneren Zusammenhang der Erscheinungen erklärt es sich, daß 
die Dampfmaschine erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts 
allgemein die Kraftspenderin der Fabrikbetriebe wird.^) Das 
hindert nicht, daß manche Industriezweige, bei denen eine kon- 







Entwicklung der Dampfunternehmungen. 
Nach E. Engel, Das Zeitalter des Dampfes, 1880: 



Staat 


Jahr 
der 
Zäh- 


Dkrapffflaschinen für 
gewerbliche und wirt- 
schaftliche Zwecke 


Lokomotiven und 
Dampfschiffe 


Zusammen 




lung 


Zahl 


Zahl 


ZaU 






derMasch. 


der PS. 


derMasch. | 


der PS. 


derMasch. 


der PS. 




1837 


419 


7355 


4 


158 


423 


7513 




1840 


615 


11712 


19 


566 


634 


12278 


8 


1843 


862 


16496 


228 


10744 


1090 


27240 


CO 


1846 


1139 


21716 


352 


19413 


1491 


41129 


S 


1849 


1445 


29482 


519 


37666 


1964 


67148 


du 


1852 


2124 


43049 


709 


49426 


2833 


92475 




law 


3049 


61945 


1036 


99829 


4065 


161774 




1875 


28783 


632067 


6901 


1887446 


35685 


2519513 


r^ 


1839 


2450 


33308 


1 , 


_ 






« 


1840 


2591 


34350 


405 


25622 








1845 


4141 


50187 


756 


49050 






J2 


1850 


5322 


66642 


1474 


119325 






S 


1855 


8879 


112278 


2503 


226432 






1^ 
tu 


1875 


33060 


407220 


7237 


— 







*) In den amtlichen Angaben herrschen vielfach Differenzen. 



Die Zeit von 1841 bis 1861. 45 

tinuierlich wirksame Kraftquelle ganz besondere Vorteile flir das 
wirtschaftiiche Ergebnis des Betriebs brachte^), sich schon eher 
vom Auslande her zumeist Dampfmaschinen verschrieben. Indem 
die Rübenzuckerindustrie infolge der gewaltig steigenden Steuer- 
last ihre Leistungsfähigkeit hinaufzuschrauben trachtete, mußte 
sie immer höhere Kapitalswerte investieren und kam so in steigen^ 
dem Maße zur Einrichtung einer durch Dampf gespeisten Kräfte 
quelle. Noch waren die gängigen Modelle klein, wenig leistungs- 
fähig und teuer im Preise. Das war entscheidend fiir den Ver- 
wendungsbereich der Maschine. Die Waschmaschine überließ man 
vorerst meist noch den Armen kräftiger Arbeiter; sie leistete 
ja ohnehin spielend das zur Verarbeitung notwendige Quantum. 
Man wandte viehnehr den wirtschafüichen Vorteil maschinellen 
Antriebs zunächst mit Vorliebe der Station zu, die bis 1830 das 
erklärte Schmerzenskind der französischen Fabrikanten gewesen 
war, und in der neben der Verkochung noch lange Zeit später 
der schwächste Punkt im Produktionsgang lag: der Saftgewin- 
nung. Hier war es die Reibe, deren Welle eine Tourenzahl von 
6->800 in der Minute zur Erzielung eines guten Breis machen 
mußte. Solche Zahlen ließen sich bei dem üblichen Oöpel- 
antrieb mit Hilfe der vielstufigen, dem Stand der Technik ent- 
sprechend unvollkommen ausgeführten Vorgelege nur mit sehr 
bescheidenem Wirkungsgrad erkaufen, Stöße und chronische Über- 
lastungen waren unausbleiblich, Umstände, welche bei den Lagern 
der Reibtrommel zu höchst verdrießlichen Störungen Anlaß gaben. 
Lernte man doch erst viel später ähnlichen Verhältnissen ent- 
sprechende Lager richtig zu konstruieren. Durch den Antrieb 
der Trommelwelle von einer kontinuierlich wirksamen, regulierten 
Kraftquelle wurde die volle Leistungsfähigkeit dieser Reib- 
maschine eigentiich erst erreicht, insofern er mittelbar zur Veri 
anlassung wurde, alle Teile zur Erhöhung ihres mechanischen 
Wirkungsgrades und der Sicherheit in Metall auszuführen. 

Der Punkt, auf den der verständige Rübenzuckerfabrikant 
eigentlich von dem Augenblick an, in dem die Industrie Deutsch- 
land wiedergewonnen war, die meiste Aufmerksamkeit, von 
Arbeit und Kapital unterstützt, verwandte, war die Entsaftung 
des Breis. Die ursprüngliche Ausführung der nach französischem 
Muster hydraulisch betriebenen Pressen gab bei den fortgesetzt 



Das war z. B. bei den Raffinerien der Fall. 



46 Die Zeit von 1841 bis 1861. 

sinkenden Zuckernettopreisen ^) zu allerlei Anständen Anlaß, die 
eigentlich während der Dauer der Herrschaft der Saftpresse nie 
recht beseitigt wurden, obgleich mit viel Scharfsinn zahlreiche, 
aber immer relativ unbedeutende Einzelverbesserungen ausfindig 
gemacht wurden. Das mag auch dazu beigetragen haben, daß 
die Frage der Betriebsweise der Pumpen, ob Antrieb von einer 
anunalischen oder maschinellen Kraftquelle aus, eigentiich nie 
in den Vordergrund getreten ist. Man verkürzte die Zeit des 
Ein- und Ausräumens des in Säcke gefüllten Rübenbreis durch 
zweckentsprechende Aufstellung, Dreh- und Schiebetische usw., 
besserte die durch einmalige Preßwirkung unzureichend er- 
zielte Entsaftung durch mehrmaliges Pressen, unterbrochen eventi. 
durch Behandeln des Preßguts mit Wasser oder Dampf oder durch 
einfaches Auflockern, die Zeit des Preßvorgangs und die Druck- 
steigerung regelte man durch sinnreiche Kombinationen ver- 
schiedener Pumpenkolbenquerschnitte. Durch alles das kam man 
zu einer gewissen Kompliziertheit des ganzen Apparates, die im 
besten Fall durch Summation der Einzelverbesserungen in einer 
gewissen Verbiltigung des Betriebs ihren Ausdruck fand, weit- 
aus häufiger aber in der Verwendung größerer Abmessungen 
erzielt wurde. So bietet denn die Saftpresse ein instruktives 
Beispiel dafür, daß alle Versuche zu bessern sehr wenig Aussicht 
auf Erfolg haben bei einem Verfahren, das in seinem Prinzip 
die Begrenztheit seiner Verwendbarkeit trägt. 

Trotzdem tritt der methodische Zug der für die technische 
Arbeit Deutschlands so überaus interessanten Zeit 1840—60 in 
seiner vollen Schärfe auch bei dem Entsaftungsproblem auf. Selb- 
ständigere Köpfe, bezeichnender Weise immer reine Praktiker, 
suchen seit den 30 er Jahren in Deutschland nach einer voll- 
kommeneren Saftgewinnungstechnik; in größerem oder kleinerem 
Maßstabe gelangen mehrere ihrem Wesen nach neue Verfahren 
bisweilen zur Anwendung, öfters sind es ganz bestimmte Eigen- 
tümlichkeiten der lokalen Verhältnisse, aus denen sie hervor- 
gehen. Um 1860 ist indes im Kampf der Meinungen noch keine 
Klärung eingetreten: die verbesserte hydraulische Presse be- 
hauptet siegreich das Feld. 

In weitaus prägnanteren Umrissen tritt jener charakteristische 
Zug auf der Station hervor, die sich mit der Vorbereitung des 

*) Ein Sinken der Zuckerverkaufspreise macht sich erst nach 1860 
bemerkbar. 



Die Zeit von 1841 bis 1861. 47 

Rohsaftes zur Verdampfung befaßt. Daß der wirtschaftliche Erfolg 
der Weiterverarbeitung von der sorgsamen Ausführung der Saft- 
reinigung, welche die bestmögliche Abscheidung aller Nichtzucker- 
stoffe bezweckt, ganz wesentlich abhängt, ihn unter Umständen 
völlig in Frage stellt, war eine sehr frühzeitig gewonnene Er- 
kenntnis. Die Anwendung des Kalkes als Scheidungsmittel, die 
man dem Verfahren der Rohrzuckergewinnung nachgebildet hatte, 
dringt nunmehr in Deutschland mit Entschiedenheit durch, aber 
an Stelle der gefährlichen Schwefelsäure, die um 1840 wieder 
vorherrschend geworden war, tritt zur Ausfällung des über- 
schüssigen Kalks jetzt die Saturation mit Kohlensäure und damit 
ein bequem zu verwendender Körper, der sich für eine angehende 
Massenverarbeitung vortrefflich eignet Der Gedanke der Kalk- 
scheidung mit nachfolgender Kohlensäuresaturation, der schon 
1811 von dem französischen Chemiker Barruel ausgesprochen 
wurde, aber gänzlich unbeachtet blieb, ist in seiner Ausbildung 
eigentlich die erste positive wissenschaftliche Leistung der in 
der deutschen Zuckerindustrie nun allmählich aufkommenden 
spezifisch chemisch-wissenschaftlichen Forschung. Für die wissen- 
schaftliche Bildung der leitenden Elemente der Zuckerbranche in 
den 40 er Jahren ist es überaus bezeichnend, daß der Patentträger 
des neuen Verfahrens, Michaelis, seines Zeichens ein Mediziner 
war. Daß noch fast ein Jahrzehnt darüber verging, bis man seine 
höchst fruchtbaren Vorschläge, die aber einige Bekanntschaft mit 
der Chemie voraussetzten, in die Praxis allgemein übernahm, 
beleuchtet den Standpunkt der noch in einer vorkapitalistischen 
Entwicklungssphäre sich bewegenden Industrie, andrerseits aber 
auch das noch unentwickelte Verständnis der Wirtschaftsleiter 
für einen relativ einfachen chemischen Vorgang und den in den 
Anfängen stehenden Maschinen- und Apparatebau. So erfolgte 
denn aus Frankreich, das technisch damals schon auf der Höhe 
stand, die Einführung der jenes Patent verwirklichenden 'sogen. 
Kleeberger'schen Pfannen und etwas später aus Österreich der 
ersten Kohlensäuregewinnungsanlage, wie sie dem lebhaften 
Betriebsgrößenwachstum und der Wirtschaftlichkeit entsprach. Es 
war dies ein richtig konstruierter Kalkofen, der bis heute in 
ähnlicher Ausführung ein integrierender Bestandteil der Rüben- 
zuckerfabrik geblieben ist. 

Doch mit dieser Entwicklung erschöpft sich noch nicht die 
20 jährige Arbeit auf dieser Station. Nebenher treten Versuche 



48 Die Zeit von 1841 bis 1861. 

mit mechanischen Filtrationsanlagen mit und ohne Anlehnung 
an französische Muster auf. Man verwandte als Filter Säge- 
späne, KieSy Häcksel, Leinenlumpen und dergleichen, auch 
operierte man mit chemischen Saftreinigungsmitteln, vor allem 
mit der schwefeligen Säure. Man probierte, änderte, verwarf und 
kombinierte in einem fort, ohne daß die allgewaltige praktische 
Erfahrung schon ein entscheidendes Wort hätte sprechen können. 

Noch einen Körper aber gilt es hier zu erwähnen, die 
Knochenkohle, deren fundamentale Bedeutung fiir die Zucker- 
industrie schon dargetan wurde. Mit dem 4. Jahrzehnt geht 
man in Deutschland ernstlich daran, ihre Wiederbelebung syste- 
matisch zu organisieren. Das in ihr aufgespeicherte enorme Be- 
triebskapital treibt zur Einschränkung der verwendeten Mengen 
auf Kosten der billigeren Saftreinigungsmethoden, sowie zur best- 
möglichen Oewinnungs- und Wiederbelebungsmethode. Zu letz- 
terem Zweck ging man seit 1850 zur Verwendung maschineller 
Vorrichtungen über und konstruierte Glühofen, die sich der Eigen- 
art des Körpers und der auftretenden technologischen Vorgänge 
immer mehr anpaßten. 

Hinsichtlich der Anwendung des Dampfes steht die Technik 
der Rüben verarbeitenden Fabriken im 5. und 6. Jahrzehnt ganz 
unter dem Eindruck der allgemeinen technischen Entwicklung. 
Da die Erfahrungen vorläufig fehlten, die Materialien oft den 
Anforderungen nicht entsprachen, waren Dampfkesselexplosionen 
nichts seltenes. Die Zuckerindustrie ging deshalb mit äußerster 
21aghaftigkeit zu Werke und begnügte sich um 1850 durchweg 
mit einem Dampfdruck bis zu 3 kg pro Quadratzentimeter, im 
Gegensatz zu Frankreich, wo 5 kg pro Quadratzentimet^ all« 
gemein waren. ^) Die Zeit 1840—60 bildet die Einleitung einer 
großen Epoche, welche die jetzt erst allgemein aufgenommene 
Verwendung des Dampfes entsprechend den Spezialzwecken der 
Zuckerindustrie methodisch entwickelt. Daß diese letzteren mit 
denen anderer Industrien nur auf einem eng begrenzten Komplex 
kongruieren, folgt aus der von vornherein hier ganz gewaltig 



*) Ein Bericht Kindlers über die Zuckerindustrie Frankreichs (Ver- 
einszeitschrift 1850, S. 424) ist sehr charakteristisch. Die hohen Dampf- 
spannungen in den französischen Zuckerfabriken erregen das Staunen 
des Beschauers. Indessen konstatiert er: j,Im allgemeinen aufgefaßt 
sind die französischen Zuckerfabriken viel einfacher eingerichtet als die 
deutschen.« Die Vorliebe für den Kleinbetrieb prägt sich hier aus. 



Die Zeit von 1841 bis 1861. 49 

überwiegenden Verwendung des Dampfes zum Heizen gegenüber 
der zu motorischen Zwecken. Die Koch- und Verdampfstation 
stellt recht eigenflich das Gebiet dar, auf dem in wirtschaftiichem 
Sinne im vorliegenden Zeitabschnitte die günstigste Wirkung er- 
reicht wurde, d. h. ein großer, wenn nicht der größte Teil der 
Produktionskostenverminderung. 

Auch diesmal waren nicht Deutsche die Pfadpfinder. Der 
Anstoß zu der hier im Vordergründe stehenden Neuerung, deren 
grundstürzende Bedeutung erst nach Jahren eingesehen wurde, 
kam aus den Rohrzuckerplantagen der Vereinigten Staaten; in 
Louisiana war es, wo Rillieux, auf dem Qedanken des Howard- 
schen Vakuums fußend, die fruchtbare Idee zur Ausführung 
brachte, unter Anwendung des luftverdünnten Raumes eine Dampf- 
menge zum Kochen mehrfach zu benützen. Den Zweck erreichte 
er durch folgende Anordnung. Drei liegende geschlossene 
Zylinder, in deren unterer Hälfte eine große Anzahl Siederohre 
(Dampf-, Heizrohre) in den Stirnflächen dampfdicht eingesetzt 
waren, wurden in der Weise durch Leitungen miteinander ver- 
bunden, daß der erste Verdampfungskörper unmittelbar mit 
Frisch- oder Maschinen-(Ab-)dampf, der zweite dagegen durch den 
auf diese Weise im ersten Körper, der dritte mit dem ebenso im 
zweiten Körper erzeugten Saftdampf geheizt wurde (Triple effet). 
Um dies zu ermöglichen, wurde der Siedepunkt im zweiten und 
dritten Körper durch Minderung des Luftdrucks stufenweise er- 
mäßigt. Dieses Verfahren gestattet trotz des Kraftaufwandes für 
den Betrieb der Luftpumpen und des sehr erheblich gesteigerten 
Anlagekapitals bei richtiger Dimensionierung und Dauerbetrieb 
eine ganz beträchtliche Brennstoff ersparnis. Nachdem 1849 diese 
Erfindung nach Deutschland gekommen war, fanden 1852 die 
ersten Apparate mit einigen Änderungen Aufstellung. Die eine 
dieser Einrichtungen war für die wegen ihrer Größe berühmten 
Zuckerfabrik Seelowitz in Mähren bestimmt und wurde — ein 
Zufall wollte es, daß eine Kiste mit wichtigen Verbinduagsteilen 
verloren ging — von ihrem vortrefflichen Leiter J. Robert nach 
eignem Outdünken montiert unter Anfertigung der für notwendig 
erachteten Konstruktionstetle ; und zwar in der Weise verfuhr 
Robert, daß er die Verdampfkörper stehend anordnete und 
zweitens der Heizdampf nicht durch die Röhren geleitet wurde, 
sondern diese umspülte. Darin lagen für die praktische Brauch- 
barkeit ganz hervorragende Verbesserungen, über die wir uns 

Schuchart, Zuckerindustrie. 4 



50 Die Zeit von 1841 bis 1861. 

hier nicht zu verbreiten brauchen, und damit war ffir die Zucker- 
industrie eine Verdampfstation von ganz vorzüglicher Wärme- 
ausnutzung geschaffen. Insbesondere die unter äußerstem Wider- 
stände der Zuckerindustriellen durchgesetzte Erhöhung des Steuer- 
satzes im Jahre 1858 war es, welche die mehrfache Verdampfung 
nach Robert zur Einführung in allen den Betrieben brachte, in 
denen die Nurpraktiker gegenüber dem kaufmännischen und dem 
sich ganz allmählich konsolidierenden chemisch-wissenschaftlichen 
Element im Weichen begriffen waren. In der Tat war nun mit 
einem Schlage die deutsche Zuckerindustrie an den Beginn einer 
ganz neuen Entwicklungsepoche gestellt. 

Der Fortschritt der Verdampfstation kam der Verkochung 
natürlich besonders zu statten, der Station, die den mit Knochen- 
kohle behandelten Dicksaft unter der Bezeichnung Kochkläre zur 
Füllmasse verarbeitet, also nur die Fortsetzung der vorherigen 
Operation bildet. Wenn auch Rillieuxs Apparat zweifellos an den 
Gedanken Howards anknüpft, so leitete diesen die Absicht, der 
karamelierenden, zuckerzerstörenden Wirkung des Verkochens bei 
hohen Temperaturen aus dem Wege zu gehen, während ersterer 
offenbar in erster Linie eine Reduktion der Brennstoffmenge 
bezweckte. Wir beobachten hier also die Wahl eines ganz ähn- 
lichen Mittels, das aus zwei verschiedenen Absichten heraus an- 
gewandt wird. Die große Verwandtschaft beider Erfindungen 
in Ausführung und Betrieb beschleunigte wesentlich ihre Ein- 
führung. Mit einer ausgiebigen und rationellen Dampfverwendung 
in den Rohzuckerfabriken für Heizzwecke ist für die Raffinerien 
der Moment gekommen, den vollständigen Bruch mit den bis- 
her noch etwa im Betrieb befindlichen offenen Verdampfungs- 
apparaten zu vollziehen. Die Raffinerie, die ja ohnehin durch 
die sinkende Spannung zwischen Rohzucker und Raffinade in 
einem viel heftigeren Tempo der Massenverarbeitung in die Arme 
getrieben wird, als es bei der Rohzuckerindustrie der Fall ist, 
erkannte die Bedeutung des Vakuums und damit indirekt der 
Dampferzeugung und -Ausnutzung für die Massenverarbeitung 
deshalb früher im ganzen als diese. 

Unmittelbar gab die Arbeit mit dem Vakuum aber auch 
den Anstoß zu einer Beobachtung besonderer Tragweite. Beim 
Verkochen in offener Pfanne blieb das Klärsei klar und blank. 
Man spricht deshalb hier vom Blankkochen. Zur Kristallisation 
brachte man die Füllmasse in stark erwärmte Räume, Infolge 



Die Zeit von ISAl bis 1861. 51 

der mäßigen Temperatur bei der Verdampfung im Vakuum ist 
aber die Möglichkeit gegeben, die Kristallbildung schon im Koch- 
apparat selbst beginnen zu lassen. Man kocht auf Korn, sagt 
man, tiberläßt die Füllmasse in Kästen dem weiteren Kristalli- 
sierungsprozefi und erzielt dabei unter Verkürzung des Fabri- 
kationsprozesses eine Verbesserung der Ausbeute an Erstprodukt. 
Es ist nicht sehr erstaunlich bei dem damals in der Zucker- 
industrie noch weit verbreitetem Geist, daß die „alten Prak- 
tiker'', die jeder Maschinerie, auch dem Vakuum, von vorn- 
herein abhold waren, gegen diese Erkenntnis sich zunächst voll- 
ständig ablehnend verhielten, so daß es an 15 Jahre währte, bis 
diese allgemein durchdrang. 

Was die Trennung von Zuckerkorn und Sirup angeht, so 
kam man auch hier zu durchgreifenden Neuerungen. Mit der 
steigenden Betriebsgröße wurde man gezwungen, für die sehr 
verschiedenartigen Produkte, die sich der Reihe nach ergaben, 
die den Eigenschaften eines jeden Rechnung tragenden Vor- 
kehrungen mühsam auszuprobieren. 1850 traten anstelle der üb- 
lichen großen Lomps- oder Basterformen die sog. Schützenbach- 
schen Kasten, leichter zu handhabende Kristallisationsgefäße mit 
einem falschen Boden aus Drahtgeflecht, welche den Sirup gut 
ablaufen ließen und mit denen man dadurch, daß man sie auf 
Gestellen übereinander aufbauen konnte, den Trockenraum besser 
ausnützen konnte. Immerhin lieferte aber das Ablaufenlassen 
der Füllmasse, wenn man vom Decken absah, eine unvollständige 
Trennung, mochte sie auch durch günstige Temperatur des Raumes 
und durch TrocJcenheit der Füllmasse (Kornkochen) stark be- 
günstigt werden können. Allerlei Mangelhaftigkeiten, zumal die 
großen Ansprüche an den Raum^ und Zeitaufwand, beseitigte 
die Trennung des Sirups vom Korn auf maschinellem Wege 
durch die Zentrifugalkraft. Dieser äußerst fruchtbare Weg wurde 
1843 einem Kaufmann in Liverpool patentiert und fand zunächst 
in den technisch immer vorzüglich ausgestatteten Großbetrieben 
der englischen Rafßnationsindustrie Anwendung. Diesmal dringt 
schon 1844 diese neue Methode in die deutsche Zuckerindustrie. 
Wenn auch die Schwierigkeiten, welche die Bewältigung der 
hohen Tourenzahl brachte, — man verlangte etwa 1200 — noch 
lange nicht überwunden waren und die Klagen über die Mangel- 
haftigkeit der bei dieser Maschine hoch beanspruchten Baustoffe 
nicht verstummen wollten, so beginnt doch um 1850 mit dem 



52 Die Zeit von 1841 bis 1861. 

Massenauftreten der Dampfmaschine in der Zuckerfabrik auch 
ihre allgemeine Einführung, zunächst natfirlich in den Raffinerien 
aus ganz ähnlichen Qränden wie bei der Installation des Vakuums. 
In den Zuckerfabriken kam die Verwendung der Zentrifuge, mit 
der man bequem eine Decke aus Sirup, Dampf usw. geben 
kann, zunächst den Nachprodukten zu statten, dann aber auch 
dem Erstprodukte. Ihre technisch-wirtschaftlichen Vorzüge liegen 
vornehmlich in der auBerordentiich gekürzten Arbeitszeit — in 
wenigen Minuten erzielt man die Wirkung, die nach dem alten 
Verfahren Wochen und Monate kostete — , in dem Verschwinden 
der Füllmassenabfälle bei dem stets unvollständigen Ablaufen 
in Formen und Kasten, im Wegfall der großen Ablaufräume 
und in der sofortigen Gewinnung des ganzen Sirups, den man 
getrennt nach seiner Qualität zu Anfang und zu Ende des 
Scfileuderprozesses bald aufzufangen lernte, ein Umstand, der 
zu seiner rentablen Ausnutzung wesentlich beitrug. Andrerseits 
ist bei der Zentrifugenarbeit nur auf ein günstiges Ergebnis 
zu rechnen, wenn die Maschine sorgfältig bedient wird. Sie 
stellt an den Konstrukteur hohe Anforderungen, der seine Auf- 
gabe niu- bei der Verwendung besten Materials und sorgfältigster 
Ausführung befriedigend zu lösen vermag. Ihre Anwendung zwingt 
aber vor allem zu sehr sorgsamer Kocharbeit, da Fehler der 
Füllmassen Schwierigkeiten beim Schleudern bereiten, die zum 
Teil auch nicht durch umständliche Sonderbchandlung wieder 
gut gemacht werden können. So dringt also die Zentrifugen- 
arbeit mittelbar wieder auf eine Verbesserung der Verdampf- 
station. 

Soweit die Rohzuckerfabrik. Die Raffinerien standen unter 
ähnlichen fortschrittlichen Tendenzen, wenngleich sich hier alle 
Verbesserungen entsprechend den wenigen Einzeloperationen fast 
ausschlieBlich um die Verwendung des Dampfes und der Zentri- 
fuge gruppieren. Allmählich willigten sie in einen Frieden mit 
den Rübenzuckerfabriken. 1850 wird die erste Raffinerie dem 
Betrieb übergeben, welche sich ausschließlich mit der Verarbeitung 
des Rübenzuckers befaßt. Besonders unter den kleineren Be- 
trieben herrscht indes die Veredlung überseeischer Zucker vor. 
Mit besonderer Ziyhigkeit halten an ihnen die rheinischen fest, 
denen die günstigen Handelsbeziehungen zu dem holländischen 
Zuckermarkt sehr zugute kommen und die, auf die Superiorität 
und Unersetzbarkeit ihrer Ware vertrauend, einen besonders zähen 



Die Zeit von 1841 bis 1861. 53 

Kampf gegen den Rübenzucker kämpfen^). Wenn auch der ge- 
wöhnliche Konsument den letzteren wegen seiner Wohlfeilheit 
vorzieht, so steht doch der indische um 1860 wie auch später 
noch bei Destillateuren und Konditoren im Rufe größerer Qüte 
und ZuckerreichtumsO- 

Die statistische Lage des Artikels zeigt den bedeutsamen 
technischen Fortschritt in der Steigerung der Totalproduktion 
von 142050 dz im Jahre 1840/1 auf 423740 dz 1849/50 und 
1457600 dz 1859/60, andererseits aber in der BeiriebsgröBen- 
zunahme der Fabriken, von denen jede in den gleichen Jahren 
durchschnittlich 980, 2863 und 5694 dz produzierte, alles auf 
Rohzucker berechnet. Die gleichzeitigen Ausbeuteziffern 5,87, 
7,35 und 8,47 geben kein ganz einwandfreies Maß für den tech- 
nischen Fortschritt der Fabriken, insofern die Frucht der land- 
wirtsdiaftlichen Arbeit, die sich in höherem Zuckergehalt des 
Rohmaterials geltend macht, wegen der Unmöglichkeit, sie für 
sich statistisch zu erfassen, in ihnen enthalten ist. Immerhin 
ist es ein voller Erfolg der merkantilistischen Politik des Zoll- 
vereins, welche ihren beredten Ausdruck in der während dieser 
ganzen Periode von ihr behaupteten Ausbeuteziffer 5 findet, die 
die Basis für die Steuerberechnung war, und die im Effekt eiper 
versteckten Prämie auf beste und rationellste Technik ganz und 
gar gleichkam. 

Die Betrachtung der Entwicklungsperiode 1841—61 und ihrer 
Technik fassen wir zu folgendem Ergebnis zusammen: Die Be- 
steuerung der deutschen Rübenzuckerindustrie, die als Material- 
steuer unter Zugrundelegung einer unveränderten Ausbeutezahl 
zu steigenden Sätzen erfolgt und zwar in bewußt protektionisti- 
scher, ausländische Konkurrenz nicht ausschließender Absicht, hat 
für ihre technische Entwicklung mit günstigem Einfluß gewirkt. 
Da sie den Fabrikanten nötigt, seine Bestrebungen auf die Ge- 
winnung der größtmöglichen Zuckermenge aus der Qewichts- 
einheit Rohstoff zu richten, wird mittelbar die Steuer der Ur- 
produktion zum Anreiz einer möglichst zuckerhaltigen Rübe, welche 
bezüglich der Menge ihren eigenen ökonomischen Bedingungen 
dauernd genügt. Unter dem Einfluß des allgemeinen Wirtschaft« 

^) Dieser zog sich bis gegen Ende der fünfziger Jahre hin. 
*) A. Bienengräber» Statistik des Verkehrs und Verbrauchs im Zoll- 
verein, 1842-64, S. 29. 



54 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861—87. 

liehen Aufschwungs, der um 1850 einsetzt und der industriellen 
Entwicklung in besonderem Maße zugute kommt, macht die 
Fabrikation wichtige Fortschritte. Sie liegen vorzugsweise auf 
dem Gebiete methodischer Behandlung und stehen unter starkem 
Einfluß des Auslandes, wenn auch die Ausgestaltung übernomme- 
ner Anregungen vielfach und mit Erfolg selbstschöpferisch be- 
trieben wird. Mit der Verbesserung der Saftreinigung, dem ratio- 
nelleren Gebrauch der Knochenkohle, besonders aber mit der 
allgemeinen Einführung des Dampfes zum Heizen, zumal unter 
vermindertem Luftdruck, sowie zu motorischen Zwecken werden 
die technisch-wirtschaftlichen Vorbedingungen für eine Massen- 
verarbeitung geschaffen. Die steigende wirtschaftliche Bedeutung 
des Einzelbetriebs und der einzelnen technischen Operationen 
des Betriebs drängt auf eine wissenschaftliche Behandlung der 
Einzelvorgänge hin, doch sind dafür die geeigneten Kräfte durch- 
weg noch nicht vorhanden. Die aufkommende Untersuchung 
von zuckerhaltigen Lösungen mittels des Polarimeters weckt die 
Erkenntnis für die wirtschaftliche Bedeutung wissenschaftlich 
exakter Forschungsmethoden. Die Leitung der meisten Betriebe 
liegt noch in den Händen der „Nurpraktiker", welche vielfach 
jeder technisch-komplizierenden Ausgestaltung der Produktions- 
mittel, wie ausgiebige Maschinen- und Dampfverwendung sie 
involvieren, von vornherein mißtrauisch, wenn nicht gänzlich ab- 
lehnend gegenüber stehen und ihre geheimnisvolle Kunst des 
Kochens in den Vordergrund zu stellen geneigt sind. Immerhin 
hat sich die Erkenntnis durchgerungen, daß die Zuckerfabrikation 
im Stile der kleingewerblichen landwirtschaftlichen Unternehmung 
bei der alle Betriebsgrößen mit gleichen Steuersätzen behandeln- 
den Staatspolitik vor der Hand aussichtslos ist. 



IL Die entwickelt kapitalistische Periode. 

1. Kapitel. 
Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861— 87. 

Mit dem Jahre 1861 tritt die steuergesetzliche Regelung der 
Zuckerfrage in ein ganz neues Stadium. Es war das unmittel- 
bare Ergebnis des erbitterten Kampfes, der gelegentlich der Er- 
höhung der Materialsteuer 1858 ausgetragen wurde und mit be- 
sonderer Heftigkeit im preußischen Landtag sich abspielte, daß 



Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861—87. 55 

die ZoUvereinsstaafen dem Drängen der Industriellen nachgaben 
und die Rückvergütung der Materialsteuer bei der Ausfuhr von 
Rohzucker beschlossen, einer Einrichtung, wie sie bezüglich des 
Einfuhrzolls bei der Ausfuhr von Raffinerieprodukten schon längst 
bestanden hatte^). Mit dem Jahre 1861 betritt der deutsche Roh- 
zucker den Weltmarkt. Jener Bestimmung lag die Absicht zu- 
grunde, der Zuckerindustrie die Ausnützung der damals für Roh- 
zucker günstigen Weltmarktskonjunktur zu ermöglichen und 
andererseits eine gleichmäßige Belastung der inländischen Zuckers 
mit dem importierten anzubahnen. 

Daß die Steuergesetzgebung irgend welche protektionistischen 
Tendenzen verkörperte, ist aus dem Charakter der Maßnahmen 
in keiner Weise zu sdiließen. Das am 1. Sept 1861 zur Ein- 
führung gelangende Gesetz brach mit der eine gratifikatorische 
Wirkung ausübenden fiktiven konstanten Ausbeutezahl und legte 
der Steuerrückvergütung bei Ausfuhr eine den tatsächlichen Ver- 
hältnissen entsprechende Zahl, die zwischen 9,1 und 8,4 lag, 
zugrunde. Die folgenden Sätze wurden als Exportbonifikation 
festgelegt, und zwar zunächst auf die Dauer von 5 Jahren: 

Für Rohzucker 5 Tlr. 15 Sgr. 1 ^^ 

Für Raffinerieprodukte 6 „ — „ J *^ 
Die Rückvergütung ging also den Sätzen der 1858 neu ge- 
regelten Materialsteuer parallel. Daraus entsprang unmittelbar 
für den Fabrikanten die Verlockung, einmal nur eine möglichst 
zuckerreiche Rübe zu verarbeiten, dann aber durch Verbesserungen 
im Beiriebe die effektive Ausbeutezahl hinaufzurücken, um dann 
die Exportbonifikation, die nach eben jener für 5 Jahre fest- 
gelegten Ausbeuteziffer sich berechnete, zu erheben. Es kamen 
also für die Steigerung des Unternehmergewinnes jetzt zwei 
Faktoren in Betracht 

1. Indem der Fabrikant es nun darauf anlegte, mit seiner 
Ausbeuteziffer die staatlich fixierte zu überschreiten, er- 
zielte er eine Ersparnis an Materialsteuer. 



^) Die Ausfuhrvergütung für Raffinerieprodukte aus Kolonialzucker 
enthielt noch eine Prämie. Es betrug pro dz: 

Der Einfuhrzoll Die Rückvergütung 

für Siedematerial: bei Raffinerieprodukten: 

1842 10 Tlr. 1842 12 Tlr. 

1861 9 , 1858 11 . 20 Sgr. 

Vgl. Katzenstein, a. a. O., S. 12. 



56 Die deutsche RfibenzuckeriiHiustrie 1851—87. 

2. Dann aber fiel ihm im Falle, daß er exportierte, eine 
Prämie zu, die sich rechnungsmäßig als die Differenz 
zwischen der staatiich gewährten Exportbonifikation und 
der gezahlten Materialsteuer ergab. 
Anders ausgedrückt: Eine Verbesserung der Technik machte 
sich jetzt eigentlich doppelt bezahlt. Es muß allerdings betont 
werden, daß bis Mitte der 60er Jahre die Möglichkeit, die fest- 
gelegte Ausbeuteziffer zu überschreiten, nur durch wenige, hin- 
sichtlich der Qualität des Rohstoffes begünstigte Fabriken aus« 
genutzt werden konnte, ein Beweis dafür, daß die Wirkung 
jener Maßregel vorerst sich ganz im Sinne des Regierungsprojektes 
einstellte. Man neigte eben im Zollverein immer mehr der An- 
sicht zu, die deutsche Zuckerindustrie sei stark genug, ohne 
Schaden einer rein freihändlerischen Politik unterstellt zu werden. 
Doch schon 1865, in dem Moment, in welchem die Produktion 
den Totalbedarf' des Inlandes zum ersten Male deckte, tauchte 
in scharfen Umrissen jenes Problem auf, das in der modernen 
Politik von Staaten und Kartellen eine so gewaltige Rolle sfMelt: 
Soll man zu einer Belastung des Inlandskonsums auf Kosten 
künstlich geförderter Ausfuhr schreiten? Die Industrie drang 
in diesem Widerstreit der Meinungen durch. Am 1. Sept. 1866 
trat eine Erhöhung der Rohzuckerausfuhrprämie auf 11 Tlr. 

14 Sgr. pro Doppelzentner ein, während die Materialsteuer auf 

15 Sgr. stehen blieb, und damit gelangt das gratifikatorische 
Prinzip zum Siege, unter dem von nun an die Weiterentwicklung 
steht. Zwar machte die Regierung im Jahre 186Q dagegen einen 
Vorstoß, indem sie die Materialsteuer auf 16 Sgr. pro Doppel- 
zentner setzte unter Erhöhung der Exportbonifikation auf 12 Tlr. 

16 Sgr., ein Satz, dem bei einem Ausbeute Verhältnis von 8 für 
Rohzucker von Q3,75o/o Polarisation eine für denselben gezahlte 
Steuer von 6 Tlr. 20 Sgr. entsprach^). Bei diesem Satz blieb 
man bis 1883 stehen. 

Es war der ursprünglich ungewollte gratifikatorische Charakter 
dieses Gesetzes, der den riesenhaften Aufsch^^ng der deutschen 
Zuckerindustrie einleitete, welcher sie im Jahre 1880 an die 
Spitze aller Rübenzuckerindustrien der Welt führte. Diese un- 
gewollte Prämiierung der jeweils leistungsfähigsten, technisch 
fortgeschrittensten Betriebe wuchs von Jahr zu Jahr zu immer 



Katzenstein, a. a. O., S. 26. 



Die deutsche Rabenzackerindtistrle 1861-87. 57 

höheren Beträgen, insofern die Regierung den Fortechritten des 
•Rübenbaues und der Technik überlange zusah, ohne sie ent- 
sprechend ihrer Leistungsfähigkeit für den Steuerzweck nutzbar 
zu machen. Erst als die natürliche Konsequenz dieses Systems, 
der Rückgang des Abgabennettoertrags, zu einer Neuordnung 
der Verhältnisse gebieterisch trieb, — die Ausfuhrprämie war 
von 3,6 Mill. Mk. im Jahre 1873/4 auf 56,1 Mill. Mk. 1880/1 
gestiegen bei einer Minderung des Nettoertrags von 60,6 Mill. Mk. 
auf 46,1 Mill. Mk. — entschloß sich die Regierung zu einer 
geringfügigen Reduktion der Ausfuhrvergütung im Jahre 1883. 
Ihr folgte eine weitere drei Jahre später. Die Materialsteuer 
stieg auf 1,70 Mk. pro Doppelzentner, die Bonifikation wurde 
von 18 Mk. auf 17,25 Mk. gesetzt, ein Satz, der nach dem 
Durchschnittsausbeuteergebnis der Industrie zweifellos noch eine 
Begünstigung enthielt. 

Um die Wirkung der Regierungspolitik für den vorliegenden 
Zeitabschnitt auf die Zuckertndustrie zu ermessen, sei ein Blick 
auf den damaligen Zustand der gewerblichen Tätigkeit geworfen. 
Wir sahen vordem, wie eine neue Art von Wirtschaftssubjekten 
groß wurde und jene Kräfte zur Auslösung brachte, welche 
schlummernd und ungenutzt bisher dagelegen hatten. Es waren 
die Anfänge eines kapitalistischen Unternehmertums, das in der 
Zeit 1840 bis 1860 in den meisten deutschen Wirtschaftsgebieten 
Nahrung und fruchtbaren Boden fand, und hier war es gerade 
die Landwirtschaft, die nach einer Zeit des Ringens nach zeit- 
gemäßen Wirtschaftsgrundsätzen, deren Ergebnis auf die Preis- 
gabe der Brachwirtschaft hinauslief, am ehesten kapitalistische 
Befruchtung empfing. Diese trieb Blüten in der landwirtschaft- 
lichen Brennerei und in der Zuckerindustrie vor allem. Der 
Saat folgt die Entfaltung: Von 1860 an gewahren wir, wie 
der Kapitalismus sidi aus dem Bereich der Urproduktion in 
entfernter liegende Komplexe industrieller Tätigkeit vorschiebt 
und sich in sie eingräbt, immer kräftiger in seiner wirtschaft- 
lichen Stoßkraft und immer konsequenter in seiner Arbeit und 
kühner in seinen Zielen. Das Fortschreiten der Eisen- und 
Montanindustrie, der Angelpunkt so vieler anderer Industrien, 
in Technik und ökonomischer Energie, das Vordringen des moder- 
nen Maschinenprinzips und damit der Massenverarbeitung als 
der wirksamsten Stütze kapitalistischen Wirtschaftens, Tatsachen^ 
welche das siebente Jahrzehnt erst eigentlich in dem gewerb- 



58 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1861--87. 

tätigen Deutschland zu einer alltäglichen Erscheinung stempelt, 
ermöglichten der Industrie, die mit der Mitte des Jahrhunderts 
einsetzende Aufwärtsbewegung ohne starke Schwankungen fort- 
zusetzen, tun in den 70er Jahren in den Taumel einer riesen- 
haften Hausse zu verfallen, aus deren Zusammenbruch sie sich 
trotz starker Verluste die Kraft zu einer segensreichen Arbeit 
der Sammlung und Konsolidierung rettete. 

Wenn auch die deutsche Zuckerindustrie nicht Perioden des 
Auf- und Abflutens analog der Industrie als Qesamterscheinung 
zeigt, so steht doch ihre Entwicklung in den Jahren 1861—70 
stark unter den aUgemein gültigen Erfolgbestimmungsgründen. 
Erst mit der großen Industriekrise in den 70er Jahren tritt bei 
ihr ein entschiedenes Abwenden von der allgemeinen industriellen 
Lage ein. Die Zuckerproduktion setzt gerade um 1870 mit einer 
scharfen Aufwärtsbewegung ein. 

Es soll uns an der Betrachtung der entwicklungstechnischen 
Momente dieser Zeit klar werden, welche Mittel ihr dazu ver- 
halfen. 

Erst in den 50er Jahren, als man alle anderen Saftgewinnungs- 
verfahren aufgegeben hatte, kam den Fabrikanten die Mangel- 
haftigkeit des Preßverfahrens zu Bewußtsein, die sich darin aus- 
drückti), daß 

1. die Presse niemals sämtiichen Zucker zu entziehen vermag, 

2. in den Saft fremdartige, der Verarbeitung hinderliche Be- 
standteile gelangen. 

Auf einen Teil des Zuckers in der Rübe von vornherein zu 
verzichten, war aber nicht ökonomisch, weil die Steuer drückte 
und die Bonifikation lockte, weil zudem bei niedriger Ausbeute- 
ziffer der Anteil der Rohmaterialkosten an den Produktionskosten 
ein großer war und die Zuckerpreise erst langsam seit 1860 
abnahmen. So hält denn die schon erwähnte Neigung, die Saft- 
menge durch viele Einzelverbesserungen zu erstreben, in der 
Folgezeit an, aber auch jene Versuche blieben im Qange, die 
auf die Auffindung einer anderen Qewinnungsmethode hinaus- 
liefen, welche auf die Tendenz zur Massenverarbeitung abgestimmt 
gewesen wäre. Der wissenschaftliche Zug, der hier und da bei 
den Zuckerfabrikanten Geltung gewann, kam diesen Versuchen 
in etwa entgegen. Dazu tat die 1850 erfolgte Gründung des 

*) Chr. H. Schmidt, Die neuesten Fortschritte in der Saftgewinnung 
aus Runkelrüben, Weimar 1856. 



Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861—87. 59 

Vereins der deutschen Zuckerindusirie mancherlei durch seine 
regelmäßig erscheinenden Publikationen gediegenen, zu selb- 
ständiger Forschung anregenden Inhalts^). Dieser Einfluß sowie 
der der Organisation ist keineswegs zu unterschätzen. 

Aus diesem Geiste heraus kam das neue Verfahren der Saft- 
gewinnung zustande, mit dem um 1865 Robert in Seelowitz 
in die Offentiichkeit trat. Es war das Ergebnis eines fast 20jährigen 
Studiums aller in Betracht kommenden Arbeitsmethoden. Der 
Entwicklungsgang, aus dem das Diffusionsverfahren hervor- 
gewachsen ist, ist ein „eigenartiger und originaler"*), obgleich 
die Idee schon Jahrzehnte vorher gelegentiich aufgetaucht ist»). 
Man beobachtet hier wie so oft in der Geschichte der Erfindungen 
das Phänomen, daß das Verdienst am technischen Fortschritt 
nicht so sehr dem Entdecker eines wissenschaftlich und praktisch 
wertvollen Faktums zufällt als demjenigen, dem es gelingt, für 
die praktische Nutzanwendung desselben die richtigen Formen 
zu finden. Roberts Verfahren ist dadurch charakterisiert, daß 
die grünen Rüben in Schnitten möglichst geringer Dicke (Schnitzel) 
zerlegt und der Wirkung der Diffusion (Erschöpfung durch Aus- 
tausch von Säften verschiedener spezifischer Dichte) in mehreren 
Perioden in der Weise unterworfen werden, daß der Saft nach 
jedem einzelnen Zeitabschnitt durch anderen von immer ge- 
ringerer Dichte als der in den Zellen der Schnitzel verbliebene 
bis zu der wirtschaftiich größtmöglichen Erschöpfung ersetzt wird. 
Der ganze Vorgang, der sich in einer Anzahl großer Einzel- 
gefäße, der sog. Diffusionsbatterie, abspielt, wird durch in Richtung 
der Saftkonzentration fallende Temperaturen unterstützt, welche 
ohne ungünstige Beeinflussung der Saftbeschaffenheit den Saft- 
austritt aus den Zellen beschleunigen^). Es ist von Wichtigkeit 



*) Ober die Vereinszeitschrift konnte 1867 Scheibler die stolzen 
Worte schreiben: «Kein Volk, keine Sprache besitzt ein ähnliches Werk 
voll von so umfassenden und gründlichen Arbeiten wie die Vereinszeit- 
schrift; ... sie wird ein Monument der Bestrebungen und Versuche 
der Vereinsmitglieder, der Intelligenz des deutschen Vaterlandes und 
der stufenweisen Ausbildung der Zuckerfabrikation aus Rüben bleiben.'' 

*) E. v. Lippmann, Festschrift des Vereins der deutschen Rüben- 
zuckerindustrie, 1900. 

') Große Ähnlichkeit mit dem Difhisionsverfahren hat ein von 
M. de Dombasle im Jahre 1821 angegebenes Verfahren. 

*) Schon Achard war die nachteilige Einwirkung der mittleren 
Temperaturen auf den Saft bekannt. 



60 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861--87. 

dabei, daß die Wärmeübertragung auf den Saft außerhalb der 
Diffusionsgefäße in den ursprünglidi offenen Wärmpfannen vor- 
genommen wird. 

Die prinzipiellen Vorzüge dieses Verfahrens, bei dem es 
in hohem Grade auf Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ankommt, 
und dessen grundlegende Bedeutung bald nach seinem Auf- 
treten von vielen Seiten erkannt wurde, treten im einzelnen hervor 
zunächst in einer besseren Saftausbeute, indem ein reinerer, faser- 
freier Rohsaft bei einer nahezu vollständigen Entzuckerung er- 
zielbar wurde, Vorteile, die sich in einer etwa einprozentigen 
Steigerung der Füllmassen zeigten. Da sich dieser Erfolg bei 
größeren Anlagen mit geringerem Kostenaufwand durchweg er- 
reichen ließ, das Verfahren sich durch Einfachheit auszeichnete 
und für die Praxis keine innere Begrenzung seiner Verwend- 
barkeit zu erkennen war^), war es für Massenverarbeitung ge- 
radezu prädestiniert. Dem stand eigentlich nur der große Wasser- 
verbrauch entgegen, der als Hindernis empfunden wurde. Doch 
wie man ihn durch Anwendung von Preßluft zu beschränken 
lernte, so gelang es auch im lebhaften Wettbewerb aller Theo- 
retiker und Praktiker, der tausendfachen methodischen und kon- 
struktiven Schwierigkeiten bald Herr zu werden : Von der offenen 
Wärmepfanne kam man zum geschlossenen Röhrenvorwärmer, 
dem sog. Kalorisator, in dem der Saft mit Rückdampf erwärmt 
wurde, anstelle des Kalorisators als Einzelapparat für die ganze 
Batterie trat 1876 derselbe Apparat für jedes Diffusionsgefäß, 
wodurch eine bequeme Regelung der Temperaturverhältnisse und 
infolgedessen ein sicheres und schnelles Arbeiten erzielt wurde. 
In gleicher Richtung wirkte das Studium, welches man den durch 
Temperatureinflüsse hervorgebrachten Veränderungen des Saftes 
zuwandte, so daß schon 1875 Bartz berichten konnte, „daß das 
Diffusionsverfahren jetzt aufgehört habe. Feinde zu finden, dürfe 
als ein neuer Erfolg registriert werden"*). In der Tat bedeutet 
das Jahr 1875 die Wendung zu einer überaus lebhaften Steigerung 
der deutschen Zuckerproduktion. 

Amtliche Notierungen haben die Betriebsergebnisse der mit 
dem Diftusionsverfahren im Gegensatz zu anderen Saftgewinnungs- 
verfahren arbeitenden Fabriken festgestellt, und es ist hier wie 

^) Man baut heute Difussionsbatterien von 10000 dz und >ehr 
Rübenverarbeitung in 24 Stunden. 
•) Vereinszeitschrift, 1875, S. 694. 



Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861-^. 



61 



selten einmal Gelegenheit gegeben, den Einfluß eines tiefein- 
schneidenden technischen Fortschritts zahlenmäBig wiederzugeben. 
Da sich die statistischen Ausweise auf die Fabriken des deutschen 
Zollgebietes in ihrer Qesamtheit erstrecken und kein Orund da- 
für ersichtlich ist, daß die mit Diffusion arbeitenden Betriebe 
durch ihre sonstige Einrichtung besonders günstig gestellt sind, 
so dürfte kein Einwand gegen ihre allgemeine Verwendbarkeit 
zu erheben sein. Aus den Obersichten (S. 61 u. 62) geht hervor, daß 
die allgemeine Einführung des neuen Saftgewinnungsverfahrens 
um 1875 stattfindet, womit der ursächliche Zusammenhang mit 
dem gewaltigen Aufblühen der deutschen Zuckerindustrie schon 
recht nahe gerückt ist. 





Sattcewinnuiigsverfaliren und Leistongsühigkeit. 
















In einer 12 ständigen 








Betrieb mit 




Arbeitsschicht wurden 


BetTieb«- 


Zahl der 










t Rüben verarbeitet 


Jabr 


Fabriken 


DiSu- 


sonstigen Verfahren 


in den 
Dlffu* 








sions- 


bydraul. 


andere 


Zn- 


sions- 


in andern 






verfabren 


Pressen 


Veriahren 


Mimnen 


fabrilcen 


Fabriken 




311 


52 


216 


43 


259 




1871/71 


33^ 


1872/73 


324 


63 


220 


41 


261 


48,1 


33,9 


1873/74 


337 


80 


214 


43 


257 


51,3 


35.4 


1874/75 


333 


113 


181 


§b 


220 


51,4 


33,5 


1875/76 


332 


157 


137 


38 


175 


57,3 


35,9 


1«I61TI 


328 


197 


98 


33 


131 


60,7 


37,0 


\8nfI8 


329 


224 


81 


24 


105 


63,0 


38,5 


1878/79 


324 


258 


50 


16 


66 


67,5 


38,8 


1879/80 


328 


291 


28 


9 


37 


71,4 


41,0 


1880/81 


333 


309 


20 


4 


24 


79,8 


43,2 


1881/82 


343 


324 


16 


3 


19 


84,7 


39,6 


1882/83 


358 


343 


12 


3 


15 


94,6 


37,7 


1883/84 


376 


368 


6 


2 


8 


100,6 


353 



Der frische Zug, der in die ganze Branche gekommen war 
durch die unablässig wachsende versteckte Ausfuhrprämie, auf 
deren weitgehende Ausnutzung man eigentlich erst Ende der 
60er Jahre verfiel, übertrug sich auch auf alle anderen Stationen 
des Fabrikbetriebs. Weiterschreitend im Produktionsprozeß treffen 
wir auf die sog. doppelte Saturation. Indem man an Beobachter 
der 50er Jahre anknüpfte, die dem Rohsaft während oder nach 



62 



Die deutsche Rfibensuckerindiutrie 1861—87. 





^f 


11 

11,90 
12,04 
13,68 
12,29 
11,57 
12,89 
12,57 
11,58 
11,73 
12^ 
12,52 
13,65 


Aut 

in Diffu- 
sions- 
fabriken 
kg 


.68 
11,61 
11,54 
13,10 
11,82 
11,11 
11,74 
11,73 
10,94 
10,80 
11,40 
11,24 
12,71 


1 100 kg vei 

lasse 

in sonsti- 
gen 

Fabriken 
kg 


S JO JO ,00 J» « OB J» i» ® .<» .» 

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In Diflfu- 

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in sonsti- 
gen 
Fabriken 
kg 


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in Diflfu- 

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kg 


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gen 
Fabriken 
kg 


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in Diffu- 
sions- 
fabriken 
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kg 


«o S ^o P P S ^o C p o P P 1 


Die Darste 

1 kgRo 

benötigte 

in Dithi- 

sions- 

fabriken 

kg 


12,18 
12,30 
11,01 
11,86 
12,53 
11,55 
11,40 
12,32 
12,19 
11,13 
11,77 
10,32 


Hang von 
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n Rüben 

in sonsti- 
gen 
Fabriken 
kg 



i 
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g 

I 

3 
§ 









Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1861--87. 63 

der Saturation nochmals Kalk zuzusetzen empfahlen, ,,da mit 
der Menge des niedergeschlagenen Calcitunkarbonats die Dichte 
des Schlammes, zugleich aber auch die Reinheit des Saftes 
wachse^'Ov h^^ ^^^ ^^ Verfahren der doppelten Saturation 
ausgebildet, als dessen Weiterbildung die Jellineksche Scheide- 
saturation angesehen werden kann. Die überlegene Wirksamkeit 
dieser Verfahren machte sich in einer den weiteren Produktions- 
prozeß sehr erleichternden Reinigung des Rohsaftes von färben- 
den und löslichen Beimischungen geltend. Der praktische Effekt 
war die Reduktion desKnochenkohlenverbrauchsauf5—10o/o neben 
gleichzeitiger Steigerung der Fällmassenausbeute ^). 

Durch die großen Schlammassen, welche diese Methoden 
brachten, wurde aber auch die Frage ihrer rationellen Auf- 
arbeitung akut Die alte Schlammfiltration mit Beuteln, die man 
ursprünglich abtropfen ließ, dann preßte und schließlich einem 
systematischen Auslaugeprozeß unterwarf, stellte den wirtschaft- 
lichen Erfolg der technisch vollkommneren Verfahren der Saft- 
reinigung bei größeren Betrieben in Frage, so daß der Verein 
der deutschen Rübenzuckerindustrie 1861 einen Preis für eine 
befriedigende Lösung ausschrieb, ohne daß man das erwünschte 
Resultat erhielt. Nach allerlei Versuchen brachte schließlich wieder 
die bekannte Musterfcibrik in Seelowitz eine Erfindung heraus, 
welche das Problem löste anknüpfend an sinngemäße in engli- 
schen Raffinerien seit 1834 bestehende Vorrichtungen^). Der 
Schlamm mit allem Saft wurde durch eine große Anzahl unter 
einander in Verbindung stehender Filirierzellen mit hohem Druck 
gepreßt, in denen die Schlammabscheidung durch Filtriertücher 
bewirkt wurde, die über geriefte Metallplatten gespannt waren. 
So gewann man den Schlamm in Form fester ziegelähnlicher 
Kuchen und ventilierte dabei die Möglichkeit, durch Anwendung 
von Druckwasser nach dem Abscheiden des Schlammes diesem 
den Rest des Zuckergehaltes zu entziehen. So vorzüglich die 
Erfahrungen mit der Filterpresse als Entsaftungsvorrichtung 



1) E. v. Lippmann, Festschrift, S. 113. 

^) Dumont hatte 25% Knochenkohle gebraucht. 

*) Entwickiungsgeschichtlich ist es interessant, daß den in eng- 
lischen Raffinerien gebräuchlichen Vorrichtungen als Ausgangspunkt eine 
viele Jahre vorher in der Porzelianfabrikation eingeführte Maschinerie 
diente, welche die Trennung des geschlemmten Kaolins vom Wasser 
bezweckte. 



64 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1861--87. 

waren, so miBlich gestalteten sich die Versuche, sie zu einer 
anschließenden Entzuckerung zu verwenden. Erst 1878 gelang 
es Dehne, eine Filterpresse zu bauen, welche dies Problem be- 
friedigend löste und deren Verwendung sich mit einer Verbesserung 
der Fütlmassenausbeute von 0,25 o/o bezahlt machte. Damit trat 
die Zuckerindustrie erst ift den vollen Oenuß aller an die Fitter- 
presse geknüpften Vorteile. 

Unter diesen war wohl der wichtigste die erhebliche Be- 
schränkung des Knochenkohlenverbrauchs. Mochte man diesen 
kostbaren Stoff zur Filtration des Dicksaftes oder des Dünnsaftes 
oder beider Säfte benutzen, immerhin wirkte der nun erreichte 
hohe Grad der Saftreinigung anreizend zu fortgesetzten Be- 
mühungen, ihn wenigstens aus dem Rohzuckerproduktionsprozeß 
mehr und mehr herauszudrängen. Wenn auch die Vorstellimg 
von der absoluten Unersetzbarkeit der Knochenkohle eine tief- 
eingewurzelte war, so legte doch die Praxis im Anschluß an 
G. Meyers Versuche^), ihre nichtchemische Einwirkung durch die 
Kiesfiitration zu ersetzen, in jenen Glaubenssatz Bresche. 1880 
erzielte man durch jenes Mittel die ersten allgemeines Aufsehen 
erregenden Ergebnisse, nachdem man die Schwierigkeiten der 
Saftverarbeitung mit schwefliger Säure überwunden hatte*). Nach 
einigen Jahren der heftigsten wissenschaftlichen Fehde trat wirk- 
lich das nie geahnte Ereignis ein; nachdem man gelernt hatte, 
die Qualität des Dick-, Dünn- und Rohsaftes durch sorgsame 
Ausbildung der mechanischen Filtration zu heben, verschwand 
die Knochenkohle langsam aus den Rohzuckerfabriken. 

Was war inzwischen auf der Verdampf Station geschehen? 
Rillieuxs Dreikörperapparat mit den wichtigen Änderungen Roberts 
hatte hier zunächst eine Art Rückbildung zum Zweikörperapparat 
erlitten, offenbar fürchtete man bei den hohen Kosten der An- 
lage, zumal die steigende Dampfverwendung überhaupt schon 
hohe Kapitalsinvestierung benötigte, nicht die in Aussicht ge- 
stellte Wirtschaftlichkeit mit dem Dreikörperapparat zu erreichen. 
Auch übersah man die von Rillieux angegebene Beheizung des 
Vakuums mit Saftdampf, welche eine weitere bedeutende Er- 
sparnis an Brennmaterial hätte bringen müssen. Zunächst ver- 
gingen noch Jahre, bis man lernte, die Heizflächen richtig zu 

*) O. Meyer, Zur Geschichte der Zuckerfabrikation (25 Jahre ohne 
Knochenkohle), 1905. 

«) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 145. 



Die deutsche Rftbenzuckerindiistrie 1861 --87. 65 

bemessen und die mannigfaltigen konstruktiven Schwierigkeiten 
ai lösen, welche diese Anlage brachte. Erst 1879 wurde die 
ganze Tedinik der Verdampfung neu belebt, als RUlieux nach 
Europa zurückkehrte. Seine Arbeiten bahnten eine systematische 
Verwendung aller im Behieb der Zuckerfabrik freiwerdenden 
Wärmemengen an. Ihm und seinem Mitarbeiter Lexa gebührt 
„unbedingt das Verdienst, durch alleinige Beheizung des ersten 
Körpers mit Rückdampf und systematische Benützung der Saft- 
dämpfe zum Kochen im Vakuum und zum Anwärmen der Säfte 
auf allen Stationen der Fabrik (Diffusion, Saturation, Filtration 
u. s. f.) eine völlige Umwälzung der Dampfverwendung in der 
2Uickerfabrikation angebahnt zu haben^).'' Der Erfolg war eine 
Ersparnis am Kohlenkonto, die für 1884 auf 30 o/o und mehr 
angegeben wird. 

Was die Rcrfizuckerarbeit anbetrifft, so wurdoi erst Ende 
der 60er Jahre die Vorzüge des Kornkochens allgemein aner- 
kannt Solange dauerte es, Us die auf wissenschaftiich-technischer 
Forschung beruhende forteehrittliche Praxis mit der überlieferten 
Kunst des Zuckersiedens nach den geheimnisvollen Methoden 
der Siedemeister aufturäumen begann. Mittlerweile gelang es, 
die Zentrifuge konstruktiv wesentlich zu vervollkommnen, so daß 
sie nun sich überall einbürgerte. — Bei der Steigerung der 
Leistungsfähigkeit aller Apparate wurde bald die langwierige Ver- 
arbeitung der Nachprodukte als recht lästig empfunden. Die 
Bestrebungen,, ihnen ganz aus dem Wege zu gehen, führten 
ebensowenig zu dauerndem Erfolg wie Versuche, welche eine 
Begünstigung der Kristallisation durch bestimmte Temperatur- 
verhältnisse bezweckten. 

Dagegen kam man der technischen Verwertung der Melasse 
ein erhebliches Stück näher. Es entsprach dem Stand der Zucker- 
chemie in Deutschland, daß 1860 die Kenntnis von ihrer Zu- 
sdffiimensetzung noch recht mangelhaft war. Während sich die 
Melassebrennereien von nun an mehren, kam die Qewinnung 
und Verarbeitung der Schlempekohle, die in Frankreich den Aus- 
gangspunkt einer ausgedehnten dhiemischen Industrie tnldete» 
eigentlich hier nie zur Entwicklung. Hingeben lernte man bei der 
steigenden Verlockung, aus der Gewichtseinheit Rüben eine mög- 
lichst große Oewichtsmenge Zucker herauszuziehen, in Anlehnung 



1) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 157. 

Schuchart, Zuckerindustrie. 



66 Die deutsche Rfibenzuckerindastrie 1861—87. 

an die Arbeiten französischer Forscher^) die Entzuckerung der 
Melasse mit wirtschaftlichem Erfolge zu entwickeln. Eine ganze 
Reihe Verfahren gelangten Ende der 70 er Jahre zur Einfuhrung, 
mit denen man dahin kam^ den Melassezucker bis auf etwa 10 o/o 
zu gewinnen und so die gesamte Zuckerausbeute beträchtlich 
zu heben. 

Weit weniger als die Rübenzuckerfabrik wurde die Raffinerie 
von einschneidenden Veränderungen technischer Natur betroffen. 
Bei ihr handelte es sich im wesentlichen darum, die vorher ge- 
machten technischen Verbesserungen grundlegender Natur ihren 
besonderen Verhältnissen entsprechend und in Anlehnung an 
Neuerungen in der Produktionstechnik der Rohzuckerfabriken zu 
entwickeln. Vor allem kamen der Raffinerie die Filterpressen 
zugute, welche den Verbrauch an Knochenkohle zu beschränken, 
wenn auch nicht zu beseitigen vermochten. Das Komkochen, 
die Zentrifugenarbeit, das Decken mit sorgsam geklihltem Klärsei 
usw. ermöglichten femer, in beträchtlich kürzerer Zeit Fertigware 
zu liefern, wodurch eine bessere Ausnutzung des Anlagekapitals 
gegeben war. Das war ihnen im Zeichen der besonders in den 
70 er und 80 er Jahren eintretenden Preisrückgänge doppelt er- 
wünscht 

Nahezu alle die berührten wirtschaftlich bedeutsamen Ver- 
änderungen in der Produktionstechnik der deutschen Zucker- 
industrie während der Jahre 1860—87 hatten, wenn auch oft 
nicht zu ihrer Erfindung, so doch zu ihrer Ausbildung und Ober- 
wachung, einen gemeinsamen Faktor zur unmittelbaren Voraus- 
setzung: Die Ausbildung chemisch-wissenschaftiicher Forschung. 
In der Hinsicht zeigt dieser Zeitabschnitt die reiche Entfaltung 
dessen, was im vorhergegangenen in weniger markanten Linien 
angedeutet war: den endgültigen Sieg des induktiven Verfahrens 
über das deduktive. Nicht aus dem weiten Kreise der Praktiker 
sollte die große Erweckung der deutschen Zuckerindustrie zur 
.Weltindustrie erfolgen, sondern der Bahnbrecher war der un- 
ermüdliche Chemiker, in dessen Reagensglas und Kalorimeter 
die letzten Entscheidungen fielen. OewiB trägt auch diese Ent- 
wicklungsära einen methodischen Zug — welche prinzipiellen 
Neuerungen brachten nicht schon die Diffusion und die Ver- 



^) Das erste technisch brauchbare Melasseentzuckerungsverfahren 
gab 1849 Dubrunfaut an. Es war das Barytverfahren. 



Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1861—87. 67 

dampfstation nach Rillieuxs Entwürfen — -, aber seine Obersetzung 
in die Praxis wird in ganz anderer .Weise eingeleitet als ehedem. 
Neben den einst aQgewaltigen Siedemeister, von dessen sub- 
jektiver „KuDsif^ das .Wirtschaftsergebnis abhing, tritt der auf ob- 
jektiver Wissenschaft fußende Chemiker, der sich nicht mit der 
Feststellung der Erscheinung begnügt, sondern ihres inneren 
Wesens Kern auf den Qrund zu kommen sucht, künstlich vor- 
geschobene Hindernisse, die dem Lauf der EMnge en^egen- 
stehen, aus dem Wege räumt und andre aufrichtet, die ihren 
Lauf in die gewünschten Bahnen zwingen. Die Biffusionsarbeit, 
deren Erfolg mit einer vorher unbekannten peinlichen Ober- 
wachung der Säfte auf jedem Punkt der Batterie steht und fällt, 
und die nur mit großer Schwierigkeit bewältigt werden konnte, 
wurde der Chemie der Zuckertechnik zum ersten Prüfstein. Aber 
auch die jetzt erst systematisch ausgebildeten Saftreinigungsver- 
fahren chemischer und mechanischer Natur, die ausgedehnten 
Melasseentzuckerungsverfahren machten eine fortgesetzte sorg- 
same chemische Kontrolle zur Bedingung, wenn der Erfolg der 
Arbeit ein vollständiger sein sollte. Die Wandlungen des Be- 
triebes trieben den Wirtschaftsleiter dazu, mehr und mehr seine 
Kenntnisse von den inneren Vorgängen auf den einzelnen Stationen 
zu vertiefen oder sich einen Hilfsbeistand in einem Chemiker zu 
suchen, welcher die Zuckerchemie als SpezialWissenschaft betrieb. 
Gerade die deutsche Zuckerindustrie kann für sich das Verdienst 
in Anspruch nehmen, dadurch daß sie sich vom Auslande immer 
unabhängiger zu machen suchte, eine Reihe erstklassiger Forscher 
in jener Zeit hervorgebracht zu haben, deren vielfach grundlegende 
Arbeiten von den Industrien anderer Nationen anerkannt wurden. 
Der glänzende Erfolg der planvollen wissenschaftlichen Arbeit 
auf allen Gebieten des weitverzweigten Produktionsganges be- 
rechtigt, die Entwicklungsperiode 1860—87 als die spezifisch 
chemisch-wissenschaftlichen Charakters anzusprechen. 

Das war also der unmittelbare technisch-ökonomische Erfolg 
jenes ursprünglich unbewußt ausgeübten Stimulativs der Aus- 
fuhrbonifikationspolitik: £ine gewaltige Belebung aller Einzel- 
elemente in ein und demselben Sinne, nämlich der höchstmög- 
lichen Ausnutzung eines möglichst hochwertigen Rübenquantums. 
Während die Zahl der Rübenzuckerfabriken von 247 im Jahre 
1860/1 auf 304 1870/1, 333 1880/1 und 401 1886/7 stieg, sprang 
die Totalproduktion in den gleichen Jahren von 1265260 dz auf 



68 Die deutsche Rfibenzuckeriadustrie IWl^-ST. 

2629867, 5730214 und 10182816 dz, auf Robzucker reduziert 
Die dUrch^hnittUche Produktionszahl des Einzelbetriebs stieg von 
5122 dz im Jahr 1860/1 auf 24579 dz 1886/7, wahrend sich die 
Ausbeuteziffer von 8,62 auf 11,86 hob. 



Das Ergebnis der Entwicklungsperiode 1861— BT ist etwa das 
folgende: Während von 1861—70 etwa die Rückerstattung der 
j^ezahlfen Matenalsteuer bei Ausfuhr keine Prämie oder nur dn^ 
Solche für besonders günstig arbeitende Betriebe enthält, wird 
von da ab dieselbe zur Regel. Die Technik arbeitet mit allei* 
Kraft darauf hin, aus der Gewichtseinheit der Rfibenmenge mög- 
lichst viel Zucker herauszuholen und dementsprechend nur ihög- 
Uchst zuckerreiche, leicht verarbeitungsfähige Rohware zu ver- 
arbeiten. Während technisch wertvolle Ideen des Auslands imthei* 
noch übernommen werden, arbeitet die deutsche Zuckertechnik 
mit vorzüglichem Erfolge im allgemeinen an ihrer Anwendung 
und Ausgestaltung nach ihren ureigenen Betriebs- und Wirt- 
schaflsbedingun^en. Nahezu alle Neuerungen großeh Stils, voii 
der Diffusion bis zur Rohzuckerarbeit, laufen auf eine neue, eigen- 
artige Technik der Massenverarbeitüng hinaus, die unmittelbar« 
Folge des Abgabensystems, welches den Oroßbetrieb prämiierte. 
Demgegenüber wird die letzte Hoffnung, die Zuckerindustrie zu 
einem Unternehmen des kleinen Mannes zu gestalten, endgültig 
aufgegeben. Der Oroßbetrieb basiert auf reichlicher Dampfver- 
wendung und auf^einem ebensosehr auf Erfahrung als auf wissen- 
schaftlicher Kenntnis der Vorgänge beruhenden Wissen. Beidiä 
Momente bedingen das Vorhandensein besonderer Fachkennt- 
nisse der Betriebsleitung. Da die chemisch-wissehschaftiiche Ridl- 
timg der Zuckertechnik an der vorliegenden Entwicklungsperiod« 
besonderen Anteil hat und ihr ein charakteristisches Oepräge 
gibt, stehen wir nicht an, sie als die chemisch-wissenschaWiche 
Ära zu bezeichnen. 



2. Kapitel. 
Die deutsche Rübenzuckerlndustrle 1887— 1907, 

Wie TU erwarten war, hielt sich das finanzielle Ergebnis der 
Zttckersteuierrögulierung von 1886 nidit auf einer das Staats- 
interesse befriedigenden Höhe. Im Jahre 1885 standen dem 



Die deutsche Rfibenzuekerindustrie 1887—1907. 69 

Ertrage der Materialsteuer von 166,4 Mill. Mark, 128.4 Mill. Mark 
Ausfuhrvergutungen gegenfiber, so daß einschlieBlich der Ein* 
fuhrzöDe der Nettoertrag 39,4 Mill. Mark betrug. Diese Summe 
fiel 1888 auf 14,7 Mill. Mark, während 1884 67,3 Mill. Mark 
erzielt waren. 

Aber auch im Kreise der Industrie fehlte es nicht an Stimmen, 
welche die Ungerechtigkeit der Besteuerung energisch bekämpften, 
die auf eine Begfinstigung der unter den vorteilhaftesten land- 
wirtschaftlichen und technischen Voraussetzungen arbeitenden 
Betriebe hinauslief. Bei der Untersuchung der organisatorischen 
.Wandhtngen werden wir gelegentlich der örtlichen Verbreitung 
der Industrie auf diesen Punkt einzugehen haben. Doch schon 
hier sei gesagt, daß jene Konsequenz den Fabriken auf dem 
klassischen Räbenboden, in der Provinz Sachsen, Anhalt und 
Braunschweig fast ausschließlich zugute kam und diesen eine 
Art Monopolstellung einräumte. Man war sich darüber einig, daß 
den beiderseitigen Wünschen nur eine Besteuerungsform genügen 
konnte, welche das Steuerobjekt nicht im Rohstoff, sondern in 
der Marktware erfaßte. Andrerseits war mit dem Projekt einer 
Pabrikatsteuer die Frage aufgeworfen, ob die Industrie technisch 
bereits soweit konsolidiert sei, daß sie ohne Schaden diese ent- 
scheidende Wendung überwinden könnte. Wir beschränken uns 
auf die Tatsache, daß sich der Reichstag einem zwischen beiden 
Steuersystemen vermittelnden Entwurf anschloß. 1887 fixierte er 
die Materialsteuer auf 0,80 Mark pro Doppelzentner unter Auf- 
lage einer Fabrikatsteuer im Betrage von 12 Mark, gleichzeitig 
erhöhte er den Rohzuckereinfuhrzoll von 24 Mark auf 30 Mark bei 
einer Steuervergütung im Falle der Ausfuhr von mindestens 500 dz 
von 8,50 Mark. Wie diese Sätze nach Berechnungen Sachver- 
ständiger eine Begünstigung von über 2,50 Mark in sich schließen, 
so trugen auch die für veredelte Ware (Kandis, Raffinade usw.) 
gratifikatorischen Charakter. In diesem Sinne sprachen sich auch 
die Motive zu einem ähnlich formulierten Gesetzentwurf der 
Regierung aus. Ganz offen tritt er aber zu Tage in dem Gesetz 
von 1891. Mit ihm gelang das Prinzip der Fabrikatsteuer zu un- 
eingeschränktem Durchbruch. Unter Beseitigung der Material- 
steuer wird die Fabrtkatsteuer auf 18 Mark festgesetzt und eine 
offene Ausfuhrprämie von 1,25 Mark pro Doppelzentner Roh- 
zucker bewilligt; für die hochwertigeren Produkte waren ent- 
sprechende Sätze vorgesehen. Diese Maßnahmen waren vor allem 



70 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 

gegen die französische Regierung gerichtet, wekhe das Heil ihrer 
Zuckerindustrie in einem durch außerordentliche Unterstützungen 
forcierten Export suchte. So unterblieb denn auch eine in Aus- 
sicht genommene Herabsetzung der Ausfuhrprämie angesichts 
des ausgebrochenen internationalen Kampfes um den Weltmarkt 
Statt dessen erhöhte ein Gesetz von 1896 den Ausfuhrzoll auf 
2,50 Mark pro Doppelzentner Rohzucker unter gleichzeitiger Fest- 
setzung der Fabrikatsteuer auf 20 Mark und der Einführung einer 
Maximalausfuhrmenge, welche eine Kontigentierung der Total- 
produktion zur Folge hatte. Eine besondere Betriebsabgabe, 
welche den Großbetrieb treffen sollte, vermochte wegen ihrer 
niedrigen Bemessung keine entscheidende Wirkung auszuüben« 
Der Anreiz zur Herabdrückung der Produktionskosten auf dem 
Wege der Betriebsgrößensteigerung zwecks Ausnützung des Aus- 
fuhrzolls blieb in gleicher Macht bestehen. 

Mit dem geschilderten komplizierten Besteuerungssystem 
räumte das letzte Gesetz 1903 auf durch Einführung einer ein- 
heitlichen Verbrauchsabgabe von 14 Mark pro Doppelzentner 
Rohzucker, eines Einfuhrzolls von 18,80 Mark auf alle Zucker 
und Aufhebung der Ausfuhrvergütung. Dem Gesetz diente als 
Unterlage die Brüsseler Konvention, eine internationale Ver- 
ständigung bezüglich der Ausfuhrprämienfrage in den wichtig- 
sten Zucker produzierenden europäischen Staaten mit Ausnahme 
von Rußland und mit Einschluß Englands und Perus. Damit ge- 
langte ein seit 40 Jahren gepflegter Gedanke ^ zur Verwirk- 
lichung: der Wegfall aller offenen und versteckten Ausfuhr- 
prämien. Mit der ersten auf staatliche Intervention zurückzu- 
führenden Produktionsregulierung internationalen Charakters 
eines so hochbedeutenden Konsumartikels, wie ihn der Zucker 
darstellt, hat dieser den Beweis für die politische Möglichkeit 
ähnlicher Abmachungen geliefert und die Staaten ein Stück der 
internationalen Wirtschaftspolitik im Sinne einer geordneten Welt- 
wirtschaft näher gebracht; andererseits aber stellt die Konvention 
das Schlußglied der vielgliedrigen Kette wulschaftspolitischer Maß- 
nahmen dar, welche der Zollverein bezw. das Deutsche Reich 
dem Zucker gegenüber vertreten hat 

Es erhob sich nunmehr die Frage: Wodurch erwuchs der 
deutschen Zuckerindustrie nach dem Fall der Materialsteuer und 



^) W. Kaufmann, a. a. O. 



Deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907. 71 

der Ausfuhrprämie der Anreiz^ ihre Technik weiter mit demselben 
Eifer zu verbessern? Denn das tat sie, wie die weitere Entwick- 
lung zeigen wird. Es liegt hier das Phänomen einer planmäßigen 
Verschiebung in der Konstitution des Absatzes, der Bedfirfnis- 
frage, vor; in Rikksicht auf die Preis bestimmenden Momente 
ausgedruckt: die Ausweitung der Qrenzen anderweitiger Be- 
schaffungsmöglichkeit Einer Zeit der durch ZöQe zurück- 
gedrängten und durch Ausfuhrprämien künstlich ausgeweiteten 
Begrenzung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt folgt 
die der Befreiung wenigstens von allen versteckten und offenen 
Mittehi der letzteren Oruppe und die Reduktion der ersteren 
in allen Vertragsländern auf einem Einheitssatz, das heißt: die 
ehedem künstlich forcierte und andererseits gehemmte Produktion 
wird zu einer Produktion, die im Konkurrenzkampf auf sich 
selbst gestellt ist und auf die bestmögliche Nutzbarmachung der 
natürlichen Produktionsmittel nach Maßgabe ihres technischen 
Vermögens beschränkt ist Daß man dabei die Industrie in 
Deutschland für stark genug hält, eine Verbrauchsabgabe von 
14 Mark zu tragen, steht theoretisch damit erst mittelbar in 
Zusammenhang. Die kritische Zeit des Obergangs von einem 
System zum andern, der ihr durch die Zwischenschaltung eines 
gemischten Steuersystems geschickt erleichtert wurde, hat die 
deutsche Rübenzuckerindustrie ohne eigentlichen Schaden über- 
wunden. Das spricht einmal für den hohen Orad der technischen 
Vollendung ihres Betriebs, der es ihr erlaubte, den immer heftiger 
entbrennenden Kampf mit dem Rohrzucker erfolgreich aufzu- 
nehmen. Nicht so sehr der Konkurrenzkampf der Rübenzucker 
bauenden Länder Europas untereinander ist es, der im Vorder- 
grunde des Interesses sich bewegt,^) als vielmehr der Kampf des 
Rübenzuckers mit dem Rohrzucker um freie Absatzgebiete. An- 
dererseits aber erwuchs aus dem Bestreben, den Weltmarkts- 
preis zu drücken, ein gewaltiger Stachel der nunmehr auf sich 
selbst gestellten Industrie, ihre Technik unausgesetzt mit allen 
Mitteln des Fortschritts umzugestalten. 

Und tatsächlich blieb die Industrie keinen Augenblick in 
der überlieferten Technik stehen, so daß sie die durch die Aus- 



^) Vor allem kommt hier der russische Zucker in Betracht, der 
durch Auflösung der Brüsseler Konvention ganz hervorragend an Aus- 
fuhrfähigkeit gewinnen würde. 



72 Die deutsche Rflbenzuckerindustrie 1887—1907. 

fuhrprämien vordem beschriebenen Preisgrenzen mit einem wenn 
auch mäßigen Verdienst vielfach zu unterschreiten und den Export 
fast vollständig ohne ktinstliche Mittel aufrecht zu erhalten ver- 
mochte. 

Wichtiger technisch-ökonomischer Fortschritte bedurfte es, um 
die sinkenden Preise auszugleichen und die Industrie ihrem Be* 
stände nach zu erhalten. Der Zuckerchemiker wurde nun endlich 
die typische Erscheinung des Betriebs und drang auf dem Wege 
der Einzelforschung mit steigendem Eifer, mittlerweile mit voll- 
kommeneren Instrumenten, Methoden und allgemeinem chemischen 
Wissen und Können ausgerüstet, in das unerschöpflich erschei- 
nende Gebiet der Zuckerchemie. In neuester Zeit kann man 
eine wichtige Differenzierung unter den sich mit chemischen Ar-^ 
beiten befassenden Beamten der Zuckerfabriken allgemein wahr- 
nehmen, welche sehr charakteristisch ftir die Rolle ist, welche 
die Betriebsüberwachung durch den Chemiker heute spielt. Neben 
der Kategorie von Aufsichtsbeamten, welche über ein allgemeines 
chemisch-technisches Wissen verfugt und welche sich mit Unter- 
suchungen chemischer Natur befaßt, soweit sie mittel- oder un- 
mittelbar mit der Produktionstechnik zu tun haben, besteht eine 
Gruppe von Beamten, welche ohne tiefere Kenntnisse der Chemie 
nur mit den im Betrieb regelmäßig auftretenden Feststellungen 
vertraut ist und diese unter Oberleitung der Vertreter jener ersten 
Gruppe, meist durchaus sehematisch, vorzunehmen hat. Die Arbeit 
des allseitig gebildeten Chemikers wird also im modernen Riesen- 
betrieb zum Teil an eine Kategorie auf besondere Art angelernter 
Arbeiter übertragen, während ersterem der organisatorisch-schöp- 
ferische Teil chemischen Schaffens lediglich verbleibt. 

Bei der unausgesetzt steigenden Massenverarbeitung in den 
Einzelbetrieben und den sinkenden Zuckerpreisen verschob sich 
die Größe der die Produktionskosten bildenden Einzelsummanden ; 
ehedem unwichtig erscheinende, kostenverbilligende Momente 
fielen bei dem geänderten Kräfteverhältnis der Einzelkomponenten 
mehr als sonst vielfach ins Gewicht und erforderten nicht nur ein 
sorgsames Studium allgemeiner Natur, sondern auch eine ana- 
lytische Behandlung, um aus der Materie heraus die Mittel ftir 
ihre bestmögliche Nutzung und Entfaltung zu entwickeln. Fiel 
dabei dem durchgebildeten Chemiker, soweit der Innenbetrieb 
des Unternehmens in Frage kam, manche dankbare Aufgabe 
zu, so wurde ein großer Teil seiner Arbeitskraft nun immer mehr 



Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907. 73 

von der Aussonderung und Überwachung der Roh- und Hilfs- 
stoffe absorbiert, welche heute für die Ehirchschnittebetriebs- 
große sogar gewaltige Wertmengen repräsentieren. Immer wird 
es auch Sache dieses Verwaltungsorgans heute sein, sich ül>er 
den jeweiligen Stand der Dinge auf allen Einzelstationen auf 
Orund der von den unteren Organen festgestellten Ergebnisse 
auf dem Laufenden zu erhalten, um Fehlerquellen in der Ver- 
arbeitung aufs schnellste ausfindig zu machen, auszuschalten und 
ihre etwa schon eingetretenen Folgen bestens zu beseitigen. In 
einem andern Zusammenhang wird zu sagen sein, weshalb gerade 
dieser Punkt dem modernen Riesenbetrieb besondere Aufgaben 
stellt. 

Die Verschiebungen, welche in der Konstitution der Roh- 
zuckerfabrik in der vorliegenden Epoche stattfanden, haben den 
Chemiker die Stellung, die er in der vorhergehenden sich errungen 
hatte, zum großen Teil wenigstens behaupten lassen. Als den 
wertvollsten Einzelfortschritt technischer Natur dieser Zeit, an 
dem gerade der Chemiker hervorragend beteiligt ist, können wir 
die sogen. „Kristallisation in Bewegung" bezeichnen. Sie wurde 
1884 von Wulf angegeben und war ursprünglich lediglich für 
Nachprodukte gedacht; 1887 hielt sie ihren Einzug in die Praxis. 
Es handelt sich hier um die Erzeugung des Zuckerkristalls unter 
Einhaltung gewisser Konzentrations-, Mischungs-, Zeit- und 
Wärmeverhältnisse unter Anwendung einer gleichmäßig regulier- 
ten Bewegung. Seine praktische Ausgestaltung erlebte dies ül>er- 
aus peinliche Sorgfalt und Kontrolle beanspruchende Verfahren 
in der Kombination mit der Sudmaische, einer aus amerikanischen 
Raffinerien stammenden Einrichtung, die einen unterhalb des 
Vakuums und oberhalb der Zentrifugen angebrachten offenen 
Trog mit Mischvorrichtung darstellt, welche von Haus aus nur 
auf die Ersparnis an Handarbeit, Schnelligkeit und Sauberkeit 
der Arbeit abadelte. Als Resultat der langjährigen Versuche mit 
der „Kristallisation in Bewegung" in Raffinerien und Rohzucker- 
fabriken ergaben sich nicht nur diese Vorteile, sondern — und 
das war das Wesentliche — eine erhebliche Mehrausbeute an 
Erstprodukt, die eine sehr viel günstigere Verarbeitung der Nach- 
produkte involvierte. Dieser sehr ersehnte Oewinn konnte aller- 
dings nur wieder durch hohe Anforderungen an die Überwachung 
zunächst und eine sehr sorgsame Behandlung der Säfte zumal bei 
der Scheidung und Saturation erkauft werden. 



74 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 

Indes trotz der außerordentlich entwickelten Funktionen des 
Zuckerchemikers lag auf chemischen Gebiet nur ein Teil der pro- 
duktionsverbilligenden Faktoren, welche die Zuckerindustrie sich 
erschloß. Wie die Ausgestaltung in die Praxis übersetzter 
chemischer Prozesse bei dem Fortschreiten des allgemeinen 
Maschinen- und Apparatebaues schon früher den Fachleuten jenes 
Gebietes zufiel, so genügten nunmehr angesichts der mit Macht 
zunehmenden Mechanisierung und dem Fortschreiten der 
Maschinentheorie in allen Teilgebieten nicht mehr immer die nur 
selten auf allgemein technisch-wissenschaftlicher Grundlage be- 
ruhenden Kenntnisse des leitenden Chemikers zur Ausbildung 
der einzelnen Maschinenapparate und ihrer rationellen Bewirt- 
schaftung. Ihm kam der Maschineningenieur zu Hilfe, zunächst 
um ihm die seinen Intentionen entsprechenden Vorrichtungen 
in die Hand zu geben, dann aber auch, um die ganze Maschinen- 
einrichtung einer Revision auf Grund neuzeitlicher Grundsätze 
zu unterwerfen und um schließlich selbständig Aufgaben im 
maschinellen und apparatetechnischen Teil der Zuckerindustrie 
zu entdecken und zu bearbeiten; mochten sie nun spezifisch 
maschinentheoretischer, thermodynamischer oder praktischer Art 
sein, immer lagen sie auf wirtschaftlich-technischem Gebiete. 

Es ist eine allgemeine Erscheinung, daß in den Zeiten leb- 
haften Aufschwungs, in der sich der Käufer notgezwi^ngen oder 
im Taumel des eigenen glänzenden Geschäftsgangs einen Preis 
gefallen läßt, welcher dem Fabrikanten einen reichlicheren Profit 
als sonst zuschiebt, die Industrie im ganzen wenig Neigung 
hat, verbesserte Produktionsverfahren an Stelle nicht mehr zeit- 
gemäßer zu setzen. Erst in Zeiten der Depression wird die alte 
Technik revidiert, dann erst wird exakt gerechnet, actio und 
reactio peinlich abgewogen und organisiert Das bestätigt die 
deutsche Rübenzuckerindustrie hinsichtiich der Maschinentechnik. 
Es muß außerordentlich befremden, daß 1890 einer ihrer aller- 
besten Kenner, Professor E. v. Lippmann, sich äußerte, „daß 
bis vor Kurzem keine Industrie von der Größe und Bedeutung 
der Zuckerindustrie mit so geringem Maschinenmaterial arbeitete 
wie diese"!), und daß 1895 die Dampfmaschinen der Zucker- 
fabriken als immer noch von meist kläglicher Beschaffenheit 
bezeichnet werden konnten. Demnach mag die Behauptung 



1) Vereinszeitschrift 1890, S. 611. 



Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907. 



75 



paradox klingen^ da6 der ältere deutsche Maschinenbau der 
deutschen Zuckerindustrie außerordentlich viel zu verdanken hat, 
eine Tatsache, auf die nachdrücklich hingewiesen zu werden 
verdient 

Da in der Eigenart des Betriebes der Zuckerfabrikation eine 
sehr starke Dampfverwendung begrfindet ist, so ist es einleuchtend, 
daß sie in der Zeit, als der deutsche Maschinenbau in den ersten 
Beachtung heischenden Anfängen stand, seine Leistungsfähigkeit 
im Bau von Dampferzeugern zumal in hohem Maße in Anspruch 
nahm und dadurch unmittelbar an seinem Aufschwung sich be- 
teiligte, um so mehr, als sie unter allen größeren Industrien 
prozentual die größten Heizflächen benötigte.^) 

Es liegt in der Natur der Dinge, daß die Beteiligung des 
Maschineningenieurs am Ausbau der Zuckerfabrikation auf die 
rationelle Erzeugung und Verwendung des Dampfes von vorn- 
herein gerichtet sein mußte. Die Herabsetzung des Kohlenkontos, 
das von jeher einen großen Teil der Produktionskosten ver- 
schlingt, unter Aufwendung aller sich hier als wirtschaftlich er- 
weisenden Mittel der modernen Technik mußte das unmittelbare 
Ziel seiner Aufgabe sein, und indem ihm hier die Sicherung ganz 
beträchtlicher Ersparnisse verhältnismäßig leicht und mit ein- 



^) Auf Grund der 1877/78 vorgenommenen Dampfkesselaufnahme 
macht E. Engel folgende Angaben fiber die sieben der Oesamtheiz- 
fiäche nach größten Gruppen: 





Von 100 


Kessel mit einer 








Kesseln 


Heizfläche 


Qesinit- 


Durch- 




entfallen 


über 


von 25 bis 


heizflSche 


schnitts- 




auf die 


60 qm in 
•/oderOe- 


60 qm in 
% derOe- 


in qm 


heizfläche 




Gruppe 


samtzahl 


samtzahl 






1. Eisenerzbergbau und 












Verhüttung .... 


17,03 


28,15 


49,64 


193504 


47,18 


2. Steinkohlenbergbau 












und Koksöfen . . . 


11,46 


53,60 


36,11 


210125 


60,66 


3. Textilindustrie . . . 


11,54 


28,82 


40,75 


153260 


44,72 


4. Branntweinbrennerei. 


8,13 


8,24 


40,55 


109201 


30,62 


5. Zuckerfabriken . . . 


5,20 


56,46 


40,00 


101834 


63,85 


6. Industrie der Werk- 












zeuge, Maschinen und 












Apparate 


5,50 


8,73 


31,49 


40995 


28,00 


7. Metallverarbeitung . 


4,85 


11,97 


Tsipn 


38514 


30,23 



76 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907. 

fachen Mitteln gelang, wurde seine Position im Rahmen der 
Zuckerindustrie anerkannt Erst Anfang der 90 er Jahre fing man 
unter seinem Einfluß an, auf Orund der Untersuchungen von 
Kessel- und Maschinenanlagen, wissenschaftlicher Hilfsmittel, 
deren sich die neuere Dampftechnik anderswo längst bedient hatte, 
der weit verbreiteten sinnlosen Dampf- und Brennstoffverschwen- 
dung entgegenzuarbeiten und war erstaunt, Fehlerquellen zu 
finden, die, wie z. B. die falsche Einstellung von Steuerungs- 
organen am Dampfzylinder, in der Betriebsperiode sich zu einem 
völlig nutzlosen Mehraufwand summierten, der bis in die Tausende 
ging.^) Es waren das vielfach kostspielige Remiszenzen aus der 
Zeit, in der der kunstbeflissene Siedemeister alten Stils die un- 
fehlbare Autorität in allen Dingen war. 

Die Eigenart der bei der Dampfverwendung der Rübenzucker- 
fabriken auftretenden Probleme, welche die bei der Dampfwirt- 
schaft in den meisten sonstigen gewerblichen Betrieben heraus- 
gebildeten konstruktiven und ökonomischen Normen vielfach über 
den Haufen wirft, fließt aus der Verschiedenheit der Zweck- 
setzung. Während sonst zumeist der Dampf ausschließlich moto- 
rischen Zwecken dient, mithin die wirtschaftlich-günstigste Qe- 
winnung der größtmöglichen, an der Schwungradwelle abnehme 
baren Energiemenge aus einer gegebenen Kohlenmenge erstrebt 
wird, mit anderen Worten, die größtmögliche Brennstoffaus- 
nützung in der Kesselanlage und größtmögliche Dampfausnützung 
im Dampfzylinder unter Einhaltung der Wirtschaftiichkeit, ver- 
langt die Rübenzuckerfabrik, welche die weitaus überwiegende 
freigewordene Wärmemenge zu Kochzwecken verwendet, eine 
nach der jeweiligen ganz individuellen Betriebsformation gün- 
stigste Ausnützung des Brennstoffs zu Koch- und Kraftzwecken. 

Es kann nicht im Bereich unserer Aufgabe liegen, die viel- 
seitigen, praktisch-wirtschaftlichen Konsequenzen dieses prin- 
zipiellen Unterschieds in den Erscheinungsformen des Betriebs 
zu verfolgen und ihrem Wesen nach zu begründen. Der Hinweis 
auf zwei Punkte, die zunächst liegen und die Ausgangspunkte 
zweier Entwicklungsreihen darstellen, möge hier genügen. 



^) Die Verluste waren natürlich wesentlich erträglicher, wenn für 
eine sorgfältige Ausnutzung der im Abdampf der Kraftmaschinen auf- 
gespeicherten Wärmemengen durch Verwendung dieses Dampfes zu 
Heizzwecken Sorge getragen wurde. 



Die deutsche Rfibenzuckeriadustrie 1887—1907. 77 

Qleichviel ob der Dampf zum Heizen oder zur Krafterzeugung 
dienen soll, ob seine Spannung hoch oder niedrig sein soll, in 
beiden Fällen ist zu rationeller Wirtschaft ein technisch voll- 
kommener Dampferzeugungsapparat nötige das ist ein solcher, 
der mit einem hohen Wirkungsgrad den Brennstoff zur Dampf- 
iMlbugüng ausnützt unter Berücksichtiguhg der Anforderungen an 
ttte WirtsdiäfÖichkeit, Wartuhg, Reparaturföhigkeit usw.*). Mit- 
Wh muBte der Maschineningenieur als Ausgangspunkt einer ver- 
nunftgemäßeh I>ampftechhik seine Aufgabe darin erkennen, die 
fCesselahlageh der Rüb^nzuckerfabrik nach zeitgemäßen Grund- 
sätzen umzugestalten unter sorgfältiger Beobachtung aller aus 
den besonderen Bedürfnissen der Zuckerfabrikation und der In- 
dividualität des Betriebs skrh herleitenden Ansprüche hinsichtlich 
Leistungsfähigkeit und Betriebsintensität, Gruppierung der Aggre- 
gate, Roh- und Hilfsstoffen usf. Als Zubehörstück dazu ist die 
in wenigen Frabrikationszweigen so sehr ins Gewicht fallende 
Forderung zu betrachten, die gewaltigen Wärmeverluste in dem 
überaus w6it Verzweigten Dampfleitungsnetz ieines modernen Groß- 
betriebes durch besondere Sorgfalt in Anlage, Konstruktion und 
Überwachung zti reduiferen. Die repressive Behandlung des 
Daifhpfes durdi die moderne Technik wird aber ergänzt durch 
Ötie präventive, nicht minder wirksame: Die zweite Entwick- 
hmgsreihe geht aus vbn der Erkenntilis, daß jede freiwerdende 
Wätthemenge durch Wirtschaftliche, aber möglichst vollkommene 
Mittel, eventuell unter Anwendung des lüftverdünnten Rauihes 
ttir Gewinnung der in ihr aufgespeicherten Energie nutzbar zu 
lüadien ist. 

Mit welchem Erfolge es so gelang, den Kohlenverbrauch 
herabzudrücken zeigt die folgende Zusammenstellung. Es wurden 
benötigt an guter Steinkohle zur Verarbeitung von 100 kg Rübeii 
zu Rohzucker: 



^) Zunächst lagen die Dinge noch so, daß die vollkommeiisten 
Maschinen usw. für den Betrieb der Rohzuckeriabrikation vielfach un- 
rentabel waren, da z. B. die Verwendung des Abdampfes zu Heiz- 
zweeken einen Teil der Nachteile, welche seine unwirtschaftliche Aus- 
nutzung im bampfzylinder mit sich brachte, wieder wettmachte. (VergU 
Vereinszeitschrift 1891, S. 374 und 1894, II. S. 80.) Durch das Wachs- 
tum der Betriebsgrößen haben sich seither aber die Verhältnisse gänz- 
lich verschoben, so dass die Rentabilitätsgrenze wesentlich eher er- 
reichbar ist als ehedem. 



78 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 



1861 


33-40 kg») 


1877 


ca. 24 , •) 


1890 


- 10 ,«) 


1900 


6-7 ,*) 



Vergleichsweise seien hier die Betriebsresultate eines in Süd- 
deutschland gelegenen kombinierten Betriebes mitgeteilt, welcher 
im Jahre 1899 seine Dampfstation durch Einführung des 
quadrouple-effet an Stelle des douUe-effet verbesserte. 

Der Steinkohlenverbrauch für 100 dz Rüben betrug in Geld- 
wert (Mark): 



1896/97 


20,50 


1901/02 


19,68 


1897/98 


21,26 


1902/03 


16,58 


1898/99 


25,86 


1903/04 


16,34 


1899/00 


19,02 


1904/05 


16,84 


1900/01 


19,76 







Dabei ging die Fabrik in steigendem Maße zur Herstellung 
hochwertiger Produkte über. 

Trotz der kolossalen Eins|iarungen am Kohlenkonto, welche, 
wie ausdrücklich hervorgehoben werden muß, in einer Zeit stei- 
gender Mechanisierung auf aUen Stationen erzielt werden konnte» 
erschöpft sich indes die Entfaltung der Zuckertechnik in Rich- 
tung der Maschinentechnik mit der Einführung einer modernen, 
den speziellen Bedürfnissen der Zuckerfabrikation angepaßten 
Dampftechnik keineswegs. Wie die Zuckerindustrie lange immer 
mit einer großen Reserve allgemeinen betriebstechnischen Neu- 
heiten gegenübergestanden hatte, so ermutigten sie die Erfolge 
der letzten 15 Jahre zu verdoppeltem Eifer, zumal die Zucker- 
preise immer mehr wichen. Die tausendfältigen, oft belanglos 
erscheinenden Verbesserungen des modernen, sehr verfeinerten 
Maschinenbetriebs stellte sie jetzt ebenso erfolgreich in ihren 
Dienst, wie die modernen Methoden der Lastenbewegung im 



') Die Zuckerfabrikation im Zollverein 1861, S. 38. 

«) Vereinszeitschrift 1877, S. 471. 

>) Vereinszeitschrift 1890, S. 47 ff. und 602 ff. Vergl. auch 1886, 
S. 154 und 1889, S. 240. 

^) Ffir eine Musteriabrik rechnet Dr. Ciaassen, Die Zuckeriabrika- 
tfon, 1904, S. 360, bei achtfacher Verdampfung in den Dampfkesseln 
auf 100 kg Rüben 7,5 kg, bei neunfacher Verdampfung weniger als 
7 kg Steinkohle. 




fenzuckerindustrie 1887—1907. 79 



Sinne des Massentransportes; der für manche Stationen, wie 
z. B. die Zentrifugen so geeignete elektromotorische Einzelantrieb 
wurde ihr bald. ebenso geläufig wie die elektrische Beleuchtungs- 
technik. Mitten in dieser Periode stehen wir heute noch. 

Was vom Maschinenbau gesagt ist, soweit er mit der Dampf- 
technik zu tun hat, gilt vielfach von Arbeitsmaschinen- und 
Apparatebau. Bei den Fortschritten der technologischen Forschung 
vereinigte sich die genaue Kenntnis des Zweckgedankens immer 
seltner mit der Fähigkeit, technisch richtig zu entwerfen, so daß 
dem Maschineningenieur die Aufgabe jetzt meist zufiel, unter 
Angabe einer Zwecksetzung seitens des Chemikers in ihrer tech- 
nischen Wirksamkeit verbesserte, nach technologisch einwands- 
freien Grundsätzen dimensionierte Hilfsvorrichtungen zu kon- 
struieren. 

Trotz der großen Erfolge durch kostenverbilligende Pro- 
duktionstechnik hat es heute den Anschein, als ob die Durch- 
dringung der Zuckerchemie durch die Maschinentechnik und die 
selbständige Entfaltung dieser im Bereich der Zuckerdarstellung 
noch nicht auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit angelangt 
sei. Abgesehen davon, daß verhältnismäßig wenige Betriebe mit 
einer technisch ganz befriedigenden Einrichtung ausgerastet sind, 
ist es insbesondere das weite Gebiet der Elektrotechnik ein- 
schließlich der Elektrochemie, welches bisher nahezu erfolglos 
die Zuckertechnik zu ihren Zwecken zu gewinnen versucht hat. 

Der späte Eintritt der Maschinentechnik und ihrer Fortschritte 
in die Betriebsgestaltung der Zuckerindustrie ist fibrigens durch- 
aus begreiflich. Die Maschinenindustrie, welche alle möglichen 
Industrien und Gewerbe mit ihren Produkten auszurüsten hatte 
und dabei den Spezialzwecken möglichst weit entgegenzukommen 
suchen mußte, bedurfte erst einer gewissen Konsolidierung, ehe 
sie daran gehen konnte, sich auf den Bau von Einrichtungen be- 
stimmter Einzelindustrien speziell einzurichten. In Deutschland, 
wo die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- 
hunderts besonders schnell und heftig einsetzte und die An- 
forderungen so unendlich vielseitig waren, die an den Maschinen- 
bau gestellt wurden, hat sich die Spezialisierung zum Bau von 
Einrichtungen für Zuckerfabriken bis heute in bescheidenen 
Grenzen erst vollzogen. Dazu trug ganz wesentlich bei, daß die 
Ansprüche jener Industrie außerordentlich häufig wechseln und, 
soweit das Inland in Frage kommt, vollständige Neueinrichtungen 



80 Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 

sehr selten geworden sind, da es sich hier durchweg um Repara- 
turen und Verbesserungen bezw. Neubauten einzelner Stationen 
handelt. 1) Eine Spezialisation der Maschinenindustrie in jenem 
Sinne hätte zur Voraussetzung, daß sich keine größere Zahl von 
Werken mit Oelegenheitsaufträgen aus der Zuckerindustrie be- 
fassen würde. Das Gegenteil ist bisher aber noch in Deutsch- 
land der Fall. Wir können es nicht unteriassen, auf die wesent- 
lich günstigeren Verhältnisse in Österreich-Ungarn hinzuweisen. 
Da hier die Ansprüche an die Maschinenindustrie im ganzen 
wohl viel weniger vielseitig sind und sie in der nationalen Volks- 
wirtschaft eine geringere Rolle spielt, ist der Bau von Einrichtungen 
für Zuckerfabriken in den Händen von etwa 5 QroBunternehmungen, 
deren Spezialität er neben anderen ausmacht Es ist einleuchtend, 
daß hier erst der Maschineningenieur ganz in der Aufgabe auf- 
gehen kann. Damit hängt es auch zusammen, daß nach dem 
Urteil von Fachleuten die österreichische Maschinentechnik auf 
diesem Gebiete der deutschen heute schon den Rang abgelaufen 
hat Zu dieser Entwicklung trug wesentlich auch der Umstand 
bei, daß die österreichische Technik mit einer weniger leicht 
verarbeitungsfähigen Rübe stets rechnete, während norddeutsche 
Werke mit VorHebe von den in der Provinz Sachsen herrschen- 
den, besonders günstigen Verhältnissen auszugehen gewohnt sind. 
Bezeichnend für die Wertschätzung, die man in neuester Zeit 
dem österreichischen Bau von Zuckerfabrikationseinrichtungen 
entgegenbringt, ist die Tatsache, daß es sich jüngst eine deutsche 
Zuckerfabrik fast 20000 Mk. Zoll kosten ließ, um ihre Ein- 
richtung von österreichischen Firmen umbauen zu lassen. In 
Richtung einer Hebung der Produktionstechnik durch die Tätig- 
keit des Maschineningenieurs wird in der deutschen Zuckerindustrie 
noch manches zu tun sein^). 

Der Drang zur Massenverarbeitung beherrschte in neuerer 
Zeit ganz besonders den Stil der Betriebstechnik. Aus der Reihe 



^) Es ist hier also zu unterscheiden zwischen Neu- bezw. Um- 
bauten einzelner Stationen und dem Neubau vollständiger Etablisse- 
ments. Naturgemäß ist im letzteren Falle die Bewegungsfreiheit für 
den Konstrukteur sehr viel weiter begrenzt als im ersteren. Seine 
volle Leistungsfähigkeit kann er hier erst entwickeln. 

*) Bei den in der neuesten Zeit in Oberitalien eingerichteten Zucker- 
fabriken soll sich die Superiorität der österreichischen Firmen gegen- 
über den deutschen glänzend erwiesen haben. 



Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 81 

dahin zielender Verbesserungen sei nur eine herausgegriffen, die 
Rübenschwemme. Während Achard die Rüben in Körben zur 
Zerkleinerungsvorrichtung schaffen ließ, auf einer höheren Stufe 
der Vervollkommnung mechanisch betriebene Fördereinrichtungen 
mit Gurten und Bändern das Heranschaffen besorgten, kam in 
den 80er Jahren der hydraulische Zubringer in Aufnahme : Schmale, 
sorgfältig gefiihrte, ausgemauerte Gräben werden von einem 
starken Wasserstrom durchflössen. Rechts und links von ihnen 
steigt der glatt gemauerte Fußboden unter einem Winkel an, 
so daß die hier lagernden Rüben bequem in den Wasserstrom 
gleiten können. Da der Graben mit starken Platten von oben 
abgedeckt werden kann, ist es möglich, ihn durch ein Rüben- 
iager hindurchzuführen und durch Wegnehmen der einzelnen 
Platten und Schaufeln ein außerordentlich schnelles und gleich- 
mäßiges Fördern zu erreichen. Diese höchst einfache Einrichtung 
hat das sonst so mühevolle Heranschaffen des Rohmaterials außer- 
ordentlich verbilligt da bei der Geringwertigkeit der Gewichts- 
einheit und bei der kolossalen Menge, welche die modernen 
Riesenbetriebe benötigen, die Transportkosten in den öesamt- 
kosten der Produktion eiiie nicht zu unterschätzende Rolle spielen. 
Die droBenentwicklung der Betriebe in den letzten 25 Jahren 
ist in hohem Maße auf Rechnung der Rüberischwemme zu setzen, 
welche die Massenverärbeitung so überaus begünstigte. 

Eines eigenartigen neueren Verfahrens aber ist schließlich 
noch Erwähnung zu tun, das im Fall, daß es sich dauernd be- 
wahrt, die Kalkulation der modernen Zuckerfabrik auf eine ganz 
neue Basis stellen dürfte und dessen Einfluß auf die Zucker- 
industrie heute lioch nicht abzusehen ist. Seit einigen Jahren 
i>e$chäftigt man sich mit der Prüfung eines neuen Saftgewinnungs- 
verfahrens, welches in einer ganzen Anzahl Fabriken bisher schon 
befriedigend gearbeitet hat. Es ist das sog. Brühverfahren, welches 
dadurch gekennzeichnet ist, daß der Zuckergehalt aus den Schnitzeln 
nur zu »/s bis »/* in einer sehr kurz bemessenen Zeit gewonnen 
wird und zwar in wesentlich reineren Säften als bei der Diffusion. 
Das technisch Entscheidende liegt darin, daß bei den angewandten 
hohen Temperaturen die Schnitzel sich mit guter Saftausbeute 
leicht abpressen lassen, das wirtschaftiich Ausschlaggebende darin, 
daß der Verzicht auf einen so erheblichen Teil des in der Rübe 
vorhandenen Zuckers aufgewogen wird durch die größere Rein- 
heit des Saftes, seinen hohen Konzentrationsgrad, geringere Arbeits- 

Schuchart, Zackerindustrie. ^ 



82 Die deutsche Rfibenzuckerindustrie 1887—1907. 

dauer und durch den Mehrwert des Rückstandes. Tatsächlich 
steht und fällt das Verfahren mit dem letzten Punkt, über den 
unter den Leuten vom Fach die Meinungen noch nicht geklärt 
sind, abgesehen davon, daß seine Rentabilität von den Zucker- 
preisen, von Größe und Qualität der Rübenernte stark in Mit- 
leidenschaft gezogen wird. Die Mannigfaltigkeit und Wandel- 
barkeit der beeinflussenden Faktoren und ihrer möglichen Größen- 
kombinationen dürfte wohl auch eine der Schwierigkeiten dar- 
stellen, die sich einer allgemeineren Einführung dieses Verfahrens 
bisher entgegenstellten. Immerhin gilt seine Brauchbarkeit unter 
bestimmten, wenn auch heute noch nicht als konstant zu be- 
trachtenden Voraussetzungen für erwiesen, und es besteht die 
Aussicht, es durch technische Fortschritte aus dem Machtbereich 
der starker Veränderlichkeit unterworfenen Faktoren in den kon- 
stanterer Wirksamkeit zu überführen. 

Vom Standpunkt der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung 
ist noch zu erwähnen, daß die Melasseentzuckerung im Neben- 
betrieb durch Einrichtung der Fabrikatsteuer immer mehr in den 
Hintergrund trat und sich auf besondere Unternehmungen zurück- 
zog, welche von mehreren Melasselieferanten gegründet, sich aus- 
schließlich mit diesem Produktionszweig beschäftigten. Dagegen 
machte die Verarbeitung der Rübenrückstände beachtenswerte 
Fortschritte. Da der hohe Wassergehalt der Schnitzel, wie sie 
die Diffusion liefert, den Landwirten ihre Abnahme verleidete, 
das Einmieten derselben aber, wie Maercker zeigte, große Ver- 
luste herbeiführte, kam man dem alten Gedanken, sie zu trocknen, 
wieder nahe. Nachdem eine leistungsfähige und wirtschaftlich 
arbeitende Anlage einmal geschaffen war, wozu ein Preisaus- 
schreiben des Vereins der deutschen Zuckerindustrie die Ver- 
anlassung gegeben hatte, fand die Schnitzeltrocknung allgemeine 
Verbreitung. Auf diese Weise wurde erst eine gute Ausnutzung 
des in ihnen aufgespeicherten Nährwertes erzielbar. Sie ist in- 
zwischen der Landwirtschaft von hohem Nutzen geworden. In 
neuester Zeit beschäftigt man sich sehr mit dem Problem der 
wirtschaftlichen Verwertung von Rübenköpfen und -Blättern. Durch 
Trocknen derselben hofft man auch hier zu dauernd günstigen 
Ergebnissen zu kommen^). 

1) Man erwartet so einen Mehrertrag pro ha von 80—120 Mk., im 
Höchstfälle 180 Mk., und hofft dadurch, die Landwirte zur Ausdehnung 
des Rübenbaus zu bewegen (Vereinszeitschrift 1904, II. S. 630). 



Die deutsche Rübenzuckerindustrie 1887—1907. 83 

Der Fortschritt der Industrie unter dem Obergangs-Steuer- 
system und der Fabrikatsteuer läßt sich in den folgenden Zahlen 
erkennen. Angaben in Rohzuckerwert 





In den Betriebsanstalten 


Pro Fabrik wurden 


Ausbeute 




wurden gewonnen 


durchschn. gewonnen 


zaid 


1888/9 


9908909 dz 


23851 dz 


11,96 


1890/1 


13362214 „ 


31637 „ 


12,09 


1895/6 


16370573 „ 


38728 „ 


13,11 


1900/1 


19791186 „ 


47461 „ 


14,14 


1905/6 


24007711 „ 


61563 „ 


14,71 



Das Ergebnis unserer Betrachtung können wir in folgende 
Sätze fassen: Der Rückgang des Nettoabgabenertrages veran- 
laßt einen Bruch mit dem Materialsteuerprinzip, unter Zwischen- 
schaltung einer kombinierten Steuerform geht die Regierung zur 
Verbrauchsabgabe über, welcher als Fortsetzung der vorher ge- 
währten versteckten Ausfuhrprämien eine offene Prämie in staffei- 
förmig abnehmenden Sätzen parallel läuft. Mit dem Abschluß 
der Brüsseler Konvention fällt sie weg. Den Obergang vom 
einen Steuersystem zum anderen besteht die Industrie ohne nach- 
haltige Schädigung, so daß ihr auch bei Wegfall der Prämie 
aus der Weltmarktskonkurrenz eine starke Lockung zur unab- 
lässigen Vervollkommnung der Technik verbleibt. Mittel dazu 
sind vornehmlich die „Kristallisation in Bewegung", die Durch- 
führung einer wissenschaftlich-rationellen Dampfwirtschaft und 
eine weitgetrieben« Mechanisierung der einzelnen Arbeitsprozesse. 
In allen Einrichtungen des Betriebes sucht man nun mit äußerster 
Entschiedenheit der Massenverarbeitung Rechnung zu tragen. 
.Während die Zuckerchemie nach wie vor in der EHirchforschung 
einzelner Probleme aufgeht und mit der Ausweitung der Be- 
triebe ins Riesenhafte ihre Aufgabe hinsichtlich der Betriebs- 
fiberwachung wächst, tritt das maschinentechnische Element in 
steigendem Maße in den Vordergrund. Die Industrie erkennt 
seine Berechtigung in ihrem Wirlschaftskreise nunmehr an, und 
sie beginnt endgültig darauf Wert zu legen, allgemeine maschinen- 
technische Neuerungen möglichst schnell sich dienstbar zu machen. 
In Anbetracht der revolutionären Wirkung des Eingreifens der 
Maschinentechnik in die Sphäre der Zuckerfabrikation glauben 
wir, die vorliegende Entwicklungsperiode als die allgemein tech- 
nisch-wissenschaftliche bezeichnen zu können. 



84 Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung. 

3. Kapitel. 
Die Rafflnatlonsiodustrle« — Zusammenfassung, 

Bisher lag die Absicht vor, in großen Zügen die technische 
Entwicklung anzudeuten, welche die Rübenzuckerindustrie in 
Deutschland bis in die neueste Zeit durchlaufen hat. Wenn 
auch die Rübenzuckerfabrik längst die prävalierende Bedeutung 
im Rahmen der Zuckerindustrie mit sich verknüpft, so drängen 
die demnächst zu behandelnden organisatorisch wichtigen Wand- 
lungen dazu, einen Blick auf die technische Arbeit des Raffinerie- 
betriebs zu werfen. 

Der Steuerdruck, der auf den Rohzuckerfabriken lastete, griff, 
wie schon vorher angedeutet wurde, mittelbar auf die Verhältnisse 
der Raffinerien über, zumal die zollpolitische Behandlung ihrer 
Produkte regelmäßig in einigem Zusammenhang mit der des 
Rohzuckers stand. Dabei tritt die offensichtliche Tendenz auf, 
mit dem Steigen der Rohzuckerausfuhr eine Steigerung der in 
veredelter Ware durch entsprechend günstigere Prämiensätze in 
die Wege zu leiten, eine Politik, die im ganzen auch den ge- 
wünschten Erfolg gehabt hat. 

Der technische Fortschritt im Raffinationsbetrieb ist wirt- 
schaftlich vor allem unter einem spezifischen Gesichtspunkt zu 
betrachten. Es ist gesagt worden, daß die Raffinerie eine im 
wesentlichen sehr einfache Arbeit mit dem Zucker vorzunehmen 
hat, nur wenige Operationen sind es, deren Kosten mit der 
Wertung des jeweils vorliegenden Roh- bezw. Fertigprodukts 
in Einklang zu bringen sind. Da sie pro Gewichtseinheit relativ 
gering s|ind, ist der Raffinadeur bezL der Preisbewegung seiner 
Ware an enge Grenzen gebunden, falls nicht spekulative Momente 
in Betracht kommen. Die geringe Spannung zwischen Roh- und 
Fertigware dringt natürlich auf ihre sehr sorgfältige Ausnutzung. 
Da es. also gilt, die Fabrikationskosten und Generalkosten pro 
Gewichtseinheit nach Möglichkeit herunterzudrücken, auch nur 
unbedeutende der Massenverarbeitung physiologisch entgegen- 
stehende. Momente technische Schwierigkeiten machen, so gipfelt 
der Raffinationsbetrieb sehr früh in einer großbetrieblichen Wirt- 
schaftsgestaltung mit kapitalistischem Charakter, wie die historische 
Entwicklung übrigens überall da bestätigt, wo die Staatsintervention 
in die Entwicklung nicht eingriff. Der für die Charakterisierung 
des Raffineriebetriebs wichtigste Punkt aber kann so kenntlich 



Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung. 85 

gemacht werden: Da der im Laufe der Entwicklung der all- 
gemeinen und speziellen Handelsverhältnisse überaus verfeinerte 
Mechanismus des Zuckermarktes in weitem Maße der Speku- 
lation Raum gibt, können Preisschwankungen herbeigeführt 
werden, welche über die durch die technische Verarbeitung vor- 
geschriebenen Grenzen hinwegfluten, so daß z. B. bei steigenden 
Rohzuckerpreisen der Preis für ein Raffinationsprodükt in einem 
ganz anderen Steigungsverhältnis sich bewegt oder gar gelegent- 
lich nachgibt*) und so die Spannung unter den Mindestsatz ge- 
drückt wird, welcher durch die Anwendung der vollkommensten 
Technik gegeben ist. Damit ist gesagt, daß der wirtschaftUche 
Erfolg der Raffination vorzugsweise in dem des Kaufmanns be- 
ruht, während in der Rohzuckerfabrik zumeist der technische 
Erfolg ausschlaggebend ist. 

Dementsprechend bedarf die Formulierung der technischen 
Fortschritte hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Wertschätzung in 
der Raffinerie längst nicht den breiten Raum. Die Marksteine 
in der Entwicklung der Raffinationstechnik sind schon bezeichnet 
worden. Wir wollen hier nur noch die Verschiedenheit des 
Tempos, in welcher der technische Fortschritt vorrückte, ins rechte 
Licht setzen, EHe Technik der Rohzuckerfabrikation hat in vielen 
Einzelheiten die der Raffination auf$ tiefste beeinflußt, aber auch 
umgekehrt. Mit demselben Mittel eignete sich jeder Industrie-» 
zweig eine der spezifischen Eigenart seines Betriebs angepaßte 
Dampftechnik an. Nur griff in der Raffination die Dampf- 
verwendung, z. B. das Vakuum, eher als dort Platz, wo so 
viele kostenverbilligende Faktoren vorlagen, zu beachten und zu 
bessern waren. Ganz analog treten in der Raffinerie moderne 
Transporteinrichtungen auf, die elektrische Kraftübertragung, das 
Prangen nach Abkürzung der Nachproduktenarbeit und nach 
mögUchst ausgiebigen Mengen an Erstprodukt; der chemische 
Überwachungsdienst fahndet nur noch peinlicher nach auftreten- 
<Jen Verlust- und Fehlerquellen. Hier steht wegen der heiß- 
umstrittenen Spannung und der Hochwertigkeit des Materials 
relativ viel mehr auf dem Spiel wie dort. Und doch ist das 
Tempo des technischen Fortschritts bis auf die Einführung des 
Dampfes und seiner Technik hier wie dort fast ganz dasselbe. 



^) Von einem Entgegenlaufen der Entwicklungstendenzen des Preises 
einzelner Marken ist im allgemeinen selten die Rede. 



86 Die Raffinationsindustrie. — > Zusammenfassung. 

Bei der Rohzuckerindustrie war es eben der Gewinn der ver- 
steckten Prämie, der gewaltig lockte, und den Fortschritt be- 
flügelte. Dort wuchs die Verbesserung der alten Technik hervor 
unter dem Drucke der sinkenden Nettopreise. 

Nur gelegentlich der Oberführung des veredelten Produktes 
in die marktgängigen Formen des Konsums, ein Prozeß, der 
durch immer reichlichere Maschinenanwendung rationell betrieben 
wird, ist die Raffinerie gehalten, selbständige Verbesserungen auf- 
zusuchen. Indem wir darauf verzichten, die technisch-wirtschaft- 
lichen Analogien mit dem Rohzuckerbetrieb im einzelnen zu 
verfolgen, markieren wir die Zielpunkte des modernen Raffina- 
tionsbetriebs etwa so: Abkürzung der Verarbeitungsdauer unter 
wirtschaftlich und technisch bestmöglicher Ausnutzung aller in 
den Produktionsgang eingeführten Werte. Das letztere gilt zu- 
mal vom Brennstoff und der menschlichen Tätigkeit. 

Mit der Entwicklung der Raffinationsindustrie werden wir 
uns nun nicht weiter zu befassen brauchen, als es der Zusammen- 
hang mit der Rüben verarbeitenden Ziickerindustrie erfordert 

Nachdem so die technisch- wirtschaftliche Genesis der deutschen 
Zuckerindustrie ihren Grundzügen nach fes^estellt wurde, er- 
gibt sich die Notwendigkeit einer vorläufigen Zusammenfassung; 
nicht als ob wir schon jetzt in der Lage wären, die volkswirt- 
schaftliche Bedeutung der Zuckerindustrie auf Grund der die 
Produktionstechnik betreffenden Entwicklungsgänge der Zucker- 
darstellung zu erfassen, sondern um den imposanten Aufbau 
der Zuckertechnik in den einheitiichen großen Rahmen der äußeren 
Vorstellung zu bringen und die Gesamtwirkung des Bildes auf 
den einen oder anderen technisch-wirtschaftlichen Zug zu prüfen. 
Dieses vorläufige Bild wird in den späteren Abschnitten seine 
Vertiefung und Retouchierung finden müssen. 

Die Produktionsentwicklung der deutschen Industrie im Ver- 
gleich mit den wichtigeren, Rübenzucker produzierenden Ländern 
versmnlicht die graphische Darstellung (Tafel 1). Während Frank- 
reich bis 1875 etwa an erster Stelle steht, prägt sich seit Be- 
ginn der 80er Jahre eine Sonderung in drei Ghrößenklassen scharf 
aus: Mit dem Jahre 1880/1 übernimmt Deutschland die Führung, 
welche es seither behalten hat, die zweite Gruppe umfaßt Öster- 
reich, Frankreich und Rußland mit im ganzen nicht sehr ver- 
schiedenen Produktionsziffern. 



Die Raffinationsindustrie. — Zusammenfassung. 87 

Interessant ist der Vergleich zwischen Frankreich und Deutsch- 
land. Während in Frankreich 1868 eine außerordentliche Produk- 
tionssteigerung einsetzt^ die 1875/6 0,45 Mill. t überschreitet und 
sich etwa 15 Jahre hindurch mit Schwankungen auf 0,4 Mill. t 
hält, folgt 1871/2 beginnend Deutschland mit einem Aufschwung 
ganz ähnlicher Intensität bis 1879/80 etwa, der aber weiter bis 
1884/5 seine Fortsetzung in einem unvergleichlich kühnen Sprung 
auf die 3fache Produktionshöhe findet. 1884/5 werden über 
1,1 Mill. t produziert, während die Länder der zweiten Gruppe 
bis 1888 0,5 Mill. t wenig übersteigen. Wir wissen, bis 1879 
kam man in Deutschland zu den Verbesserungen der Saftbehand- 
lung und der Verdampfung unter weitgehender Verwendung des 
Abdampfs und der Luftleere, mit den 80er Jahren aber drängen 
Rübenschwemmen, Diffusion, Knochenkohleersparnis und weitere 
Besserung der Saftbehandlung mit aller Energie auf Massen- 
verarbeitung. 

Das an dieser Stelle besonders auffallende Zurückbleiben 
der französischen Produktion wollen wir durch einige Hinweise 
zu erklären versuchen. Zunächst ist dafür die sehr hohe Be- 
lastung des Zuckers mit einer Fabrikatsteuer verantwortlich zu 
machen, die erst 1887 der Materialsteuer nach deutschem Muster 
Platz machte. Es fehlt bis dahin das äußerst wirksame Mittel, 
die Industrie zur bestmöglichen Technik und zur Verarbeitung 
eines hochwertigen Rohmaterials zu verlocken. Es war der 
Widerstand der Diffusion gegenüber zum guten Teile, welcher 
die Franzosen durch die Einführung der Walzenpresse, einer 
spezifisch französischen Schöpfung, aus dem Wege zu gehen 
hofften und die dem bei ihnen besonders beliebten Gedanken, 
die Zuckerindustrie zum landwirtschaftlichen Nebengewerbe kleinen 
Stils zu gestalten, besonders entgegen kam. Während 1881/2 
in Deutschland 94,5 o/o aller Betriebe das Diffusionsverfahren ein- 
geführt hatten, fand es sich gleichzeitig in Frankreich nur in 
22,7 Q/o aller Betriebe. Wie meist, so verbargen sich auch hier 
unter der Verschiedenheit der technischen Auffassung wirtschaft- 
liche Kontroversen. 

Das nur nebenher. — Die Diagrammentwicklung Deutsch- 
lands läßt zu Anfang der 90er Jahre eine neue Entwicklungs- 
etappe erkennen, die in fast verhältnisgleicher Schärfe sich bei 
den Ländern der zweiten Gruppe findet. Nur durch die Jahre 
1895/6—1898/9 und 1902/3 und 1903/4 unterbrochen, hält die all- 



88 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Oroßbetrieb. 

gemeine, sehr lebhafte Aufwärtsbewegung an. Es ist bekannt, 
daß die Technik um diese Zeit außerordentliche Fortschritte 
machte, an die moderne Dampftechnik und die Verkürzung der 
Nachproduktenarbeit sei nur erinnert. 

Da die Diskussion der Produktionskurve ihre volkswirtschaft- 
liche Bedeutung nur ganz allgemein zu erfassen gestattet, muß 
die weitere Untersuchung zum Ziel haben, eine Analyse ihres 
Wesensinhalts anzubahnen. Demgemäß ergibt sich unsere nächste 
Aufgabe: Auf Grund der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung 
sind die Entwicklungsetappen in der Organisation der Zucker- 
industrie zu untersuchen und daraus ist ihr volkswirtschaftlicher 
Wert für die in Betracht kommenden Faktoren zu ermitteln. 



III. Die Organisation. 

1. Kapitel. 

Die Bntwickliing xum fabrlkmlfllgeii Grollbetrieb, 

In unsrer modernen auf Arbeitsteilung und Tausch beruhenden 
Wirtschaftsordnung ist der technische Fortschritt dem ökono- 
mischen Prinzip untergeordnet. Mit Bezug auf die deutsche Zucker- 
industrie, speziell die Rüben verarbeitende Gruppe derselben, 
kann gesagt werden, daß die staatliche Intervention immer der 
Faktor war, der die obere Begrenzung für die im Stadium der 
Verfeinerung fortgesetzt begriffene Produktionstechnik festlegte, 
wobei von den Schwankungen des Marktes abgesehen wird. Sie 
schob in der Tat jene Schranke stufenweise an das hypothetische 
Minimum der Produktionskosten vor, welches dem jeweiligen 
Stand der unter den vorteilhaftesten Bedingungen arbeitenden 
Technik entsprach. Den verbleibenden Spielraum möglichst groß 
zu halten, ohne der zukünftigen Entwicklung Konzessionen zti 
machen, war der Sinn des Gewinnstrebens beim Unternehmer. 
Dazu standen ihm zwei Arten von Hilfsmitteln zu Gebote, von 
denen er keine durch die andere zu ersetzen vermochte. Zunächst 
die Verbesserung der Produktionstechnik, wie im vorigen Ab- 
schnitt entwickelt wurde, d. h. durch Wahl der technisch wirk- 
samsten und dabei relativ wohlfeilsten Elemente, jenen den Pro- 
duktionskosten verbleibenden Spielraum dem Minimum zu nähern. 
Die zweite Gruppe von Mitteln umfaßte aber organisatorische Maß- 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 89 

nahmen. Es war der Geist, der jene technisch-wirtschaftlich be- 
deutsamen Einzelelemente zwar nicht schuf, aber aufbaute und 
einordnete; ins spezifisch Wirtschaftliche übersetzt: die vollinhalt- 
liche Belebung der Einzelglieder nach großen wirtschaftlichen 
Gesichtspunkten in der Zusammenfassung zur Totalität. 

Organisatorische Wandlungen keimen immer nur auf dem 
Boden der Wirtschaft, mag sich nun in den Wirtschaften äußerer 
Berührungskreise eine Änderung vollziehen oder mag die Tech- 
nik des eigenen Wirtschaftsbereichs neue Bedingungen postu- 
lieren. Für beide Möglichkeiten bietet Belege die so überreich 
ins große deutsche Wirtschaftsleben verflochtene Zuckerindustrie, 
deren technischer Fortschritt aus einem ununterbrochenen Auf- 
und Abfluten von Neuerungen heraus geboren wurde. Die Kom- 
pliziertheit und die Vielheit der hier wirksamen Faktoren zeich- 
neten der organisatorischen Entwicklung in der in steigendem 
Maße von kapitalistischer Wirtschaftsweise beherrschten Zeit den 
Weg scharf vor, um so mehr, als die staatlichen Maßregeln syste- 
matisch den technischen Fortschritt prämiierten, dieser aber, wie 
sich gar bald herausstellte, nur im Großbetrieb sein Fortkommen 
auf die Dauer finden konnte. Damit sind wir der Frage nach den 
die Struktur der 'Zuckerindustrie betreffenden Wandlungen nahe« 
getreten. I>en Kernpunkt bildet hier die rapide Entwicklung zum 
Großbetrieb. 

Als Grundlage aller organisatorischer Fragen sind die der 
Industrie im besonderen wesenseigentümlichen Wirtschaftsgesetze 
zu erachten, welche sie aus dem großen Rahmen allgemein indu- 
strieller Betätigung als einen selbständigen Wirtschaftskomplex 
loslösen. In Anwendung auf die Rübenzuckerindustrie verdichten 
sie sich zu folgenden Kriterien. 

Die Rübenzuckerindustrie trägt 

1. den Charakter des landwirtschaftlichen Nebengewerbes, 

2. den Charakter des Saisongewerbes. 

Einleitend wurde das Problem des landwirtschaftlichen Neben- 
gewerbes nach seiner theoretischen Seite schon gestreift, so daß 
hier nur eine Behandlung nach der praktisch-wirtschaftlichen Seite 
hin notwendig ist. 

Mit dem Fortschritt der Produktionstechnik ging Hand in 
Hand eine Lockerung der Bindung der Industrie an den Boden. 
Den stets rübenhungrigen Fabriken, deren erstes Streben darauf 
gerichtet war, durch große Mengen Rohmaterial für ihre Ein- 



90 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 

richtung eine möglichst hohe Verzinsung herauszuschlagen, ge- 
nügten bald nicht mehr die schlech^epflegten Feldwege, auf 
denen Bauernfuhrwerke mühsam die Rüben, Kohlen usw. heran- 
schleppten; sie machten sich daran, wohlbefestigte Landstraßen 
zu bauen, um vor allem die Rübentransporte schnell und sicher im 
gewünschten Augenblick zur Stelle schaffen zu können. Doch 
auch dies Mittel reichte nicht mehr aus. Wo es angängig war, 
zogen die Werke nun die Eisenbahnen zur Bewältigung ihres Nah- 
verkehrs heran, in anderen Fällen gingen sie dazu über, durch 
Feldbahnen ihren Anlieferungskreis auf eigene Faust auszuweiten. 
Ein Blick in den Fabrikhof einer unserer im Osten gelegenen 
Riesenfabriken genügt, um eine Vorstellung zu erhalten von der 
vielseitigen Art der Massengutförderung, wie sie der Großbetrieb 
ausgebildet hat^) Es herrscht da ein Gewimmel von Bauernfuhr- 
werken, Eisenbahn- und Feldbahnwagen, Lokomotiven und 
Menschen, denen es obliegt, den Magen jenes sinnverwirrenden 
Maschinenungeheuers zu füllen, der in 24 Stunden bis zu 25 000 dz 
verschlingt. Aber „mögen die Verarbeitungskosten der Fabrik 
noch so gering sein, mag sie hierdurch in den Stand gesetzt sein, 
viel höhere Rübenfrachten zu tragen, mögen Feld- und Klein- 
bahnen, Wasserstraßen, den Radius des Fabrikreichs außerordent- 
lich verlängert haben, es gibt schließlich eine Grenze des Gebiets, 
aus der sie ihr Material zu beziehen vermag, einen Punkt, wo die 
Summe der Verarbeitungskosten und Rübenfrachten so groß ist, 
daß der Bezug der Rüben darüber hinaus unlohnend werden 
muß." 2) Bei dem großen Anteil der Transportkosten an den Pro- 
duktionskosten und bei der Geringwertigkeit der Gewichtseinheit 
Rohmaterial muß eine Erweiterung des Anlieferungskreises ins 
Kolossale ausgeschlossen bleiben trotz aller Verbesserungen in der 
.Transporttechnik und der Besitzverfassung, s) Aber die letzteren 
gerade waren tiefgreifend genug, um den Charakter der Industrie 
als landwirtschaftliches Nebengewerbe entscheidend zu beein- 
flussen. 

Nach der endgültigen Regulierung der bäuerlichen Verhält- 
nisse im politischen Sinne begann man in Norddeutschland dem 



^) Vgl. Max Schippel, Zuckerproduktion und Zuckerprämien, 8. 97. 
*) Vereinszeitschrift 1905, 8. 245. 

<) Rein technisch ist wohl auch heute noch nicht die größtmög- 
liche Fabrik gebaut. 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 91 

Bauer auch wirtschaftlich zu Hilfe zu kommen durch Zusammen- 
legung des äußerst dezentralisiert oft gelegenen Grundbesitzes 
des einzelnen. Welche bedeutsamen Vorteile für den Landwirt- 
schaftsbetrieb hieraus erwuchsen, werden wir da erkennen, wo 
sie ihm bis heute in unzureichendem Maße zugewandt worden 
sind. Für uns steht hier vielmehr die Besitzverfassung der Rüben 
bauenden und verarbeitenden Betriebe im Mittelpunkt des Inter- 
esses, soweit sie strukturbildend für die Zuckerindustrie gewirkt hat. 
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es die allgemeine Er- 
scheinung, daß die Zuckerfabrik im Besitze eines Unternehmers 
war, der sich lediglich mit der Rübenverarbeitung befaßte. Nun 
erst mehren sich die Anlagen auf größeren Grundbesitzungen, 
namentlich auf den Domänen so rasch, daß die reinen Fabrik- 
anlagen immer mehr in die Minderzahl kommen. „Meist fanden 
auch die älteren Fabriken Gelegenheit, in Besitz eines großen 
Grundeigentums zu gelangen oder größere Flächen auf eine län- 
gere Reihe von Jahren zu pachten." i) Bis in die 60 er Jahre hinein 
liegen die Dinge meist so, daß die Zuckerfabriken im Besitze eines 
oder weniger Großgrundbesitzer sind, welche das Hauptkontingent 
an Rüben stellen. Die Zuckerdarstellung ist ein Anhängsel an 
die landwirtschaftliche Urproduktion des individuellen Wirt- 
schafters vorwiegend, also eine von demselben Wirtschaftsführer 
neben der Landwirtschaft unter Verwertung ihrer Produkte be- 
triebene Industrie, ganz noch in dem alten Stil, der mit ihrer Be- 
gründung in die Industrie hineingetragen war, nur daß mit ihrem 
Größerwerden die Kategorie des Großgrundbesitzes durch die 
des großbäuerlichen Besitzes in der Funktion des Wirtschafters 
zum Teil ersetzt wurde. Nachdem man sich in der Hoffnung ge- 
täuscht sah, die Zuckerfabrikation ähnlich der Brennerei im klein- 
gewerblichen Stile zu betreiben, eine Erwartung, welche die Fran- 
zosen immer wieder hegten, gab man den Gedanken ihrer selb- 
ständigen Angliederung an den mittel- und großbäuerlichen Besitz 
noch nicht auf. Indem aber bald der Großgrundbesitz vornehm- 
lich sich auf den Rübenbau warf und auch seine Mittel anfingen, 
den Ansprüchen der modernen Fabrikationsweise nicht mehr zu 
genügen, war die Notwendigkeit immer zwingender, die Wirtschaft 
zu einem Unternehmen auf kollektivistischer Grundlage umzu- 
gestalten: Die Aktiengesellschaft, deren Aktien die vertragsmäßig 

1) Kari Siemens, Ober die Fortschritte der Rübenzuckerfabrika- 
tion, 1852. 



92 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 

gebundenen Rübenlieferanten übernahmen, wurde die typische 
Unternehmungsform der Zuckerfabrik, i) Bei dieser Entwicklung, 
die in den 50 er Jahren hier und da schon ihren Anfang nimmt, 
mag der starke Einschlag kaufmännischer Elemente sehr förder- 
lich gewesen sein. 

Für den Aufschwung der Industrie ist die Wahl dieses Systems 
überaus segensreich geworden. Unter einem einheitlichen wirt- 
schaftlichen Erfolgstreben standen von nun an Rübenproduktion 
und -Verarbeitung. Man kam so zu einer Art Erwerbsgenossen- 
schaft. Sorgfältig wurden in dieser Interessengemeinschaft alle 
Hinderungen, welche die Technik der Produktion hier wie dort 
beanstandete, aus dem Wege geräumt und jeder Versuch der 
Abgrenzung einer partikularen Interessensphäre von Grund aus 
bekämpft. Der Ansporn des Gesetzgebers zu Vollendung des 
Fabrikationsprozesses übertrug sich durch dies Gegenseitigkeits- 
verhältnis unmittelbar auf die Landwirtschaft. In welcher Weise 
ihr die innige Ai\teilnahme an der industriellen Unternehmung 
zustatten kam, wird später zu erörtern sein. Unzweifelhaft ist, 
daß die Aktiengesellschaft als Großunternehmungsform dadurch, 
daß sie den Fabrikationsprozeß verselbständigte und die tech- 
nische Entwicklung in ein schnelleres Tempo brachte, ohne in 
Gegensatz zu den landwirtschaftlichen Interessen zu geraten, die 
deutsche Zuckerindustrie wesentlich zu dem Konkurrenzkampf 
auf dem Weltmarkt befähigt hat, der sie zu ihrer überlegenen 
Stellung zu andern nationalen Zuckerindustrien führte. 

In der Tat handelt es sich hier um einen Verselbständigungs- 
prozeß, insofern eine Konzentration des Gesamtbetriebs in zwei 
Produktionszentren sich nun herausbildete, welche einer und der- 
selben Wirtschaftsmaxime unterstehen, die aber andrerseits ihre 
individuelle Bewegungsfreiheit sich sorgsam zu erhalten suchen 
und ihrer Geschäftsgebahrung ein kaufmännisches Gepräge zu 
verleihen bemüht sind. Daß hierbei großes Geschick dazu gehört, 
folgenschwere Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen der 
Interessen zu vermeiden, liegt klar zu Tage*). Immerhin ist dieser 
eigenartige Emanzipationsprozeß nur das erste Glied in einer 



^) Dem Wesen nach große Ähnlichkeit mit der Aktiengesellschaft 
hat die Genossenschaft. Von ihr braucht deshalb nicht besonders die 
Rede zu sein. 

>) Es ist eine bekannte Tatsache, daß viele Aktienzuckeriabriken 
der Art häufig mit Schwierigkeiten in der Hinsicht zu tun haben. 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 



93 



JEntwickiungsreihe, welche eine weitere Entfernung von dem Be- 
griff des landwirtschaftlichen Nebengewerbes im Sinne eines zu- 
sätzlichen Wirtschaftskomplexes zum Ziel hat Von einem ge- 
wissen Zeitpunkt hört der Rübenbau auf, das Reservat des länd- 
liciien Großbetriebes zu sein. Denn auf seinen Wesensinhalt ist 
die Aktienübernahme unter Verpflichtung zur Bebauung einer 
der. Größe des Aktienbesitzes entsprechenden Ackerfläche mit 
i^uckerrüben für die Fabrik ursprünglich zugeschnitten, wenn- 
gleich auch hier der neuzeitliche Geist Wandel schuf und die 
groß- und mittelbäuerlichen Besitzer als Aktionäre heranzog. Das 
zeigt der Prozentanteil der selbstgewonnen (Aktien- und Eigen-) 
Rüben an der im ganzen zur Verarbeitung gebrachten Menge i). 
, Es betrug der Prozentanteil der selbstgewonnenen*) Rüben- 
menge an der Totalrübenmenge im Betriebsjahr 



mii72 

1872/73 
1873/74 
1874/75 
1875/76 
1Ö76/77 
1877/78 
1878/79 
1879/60 
1880/81 
1881/82 
1882/83 



60,8 

66,0 
6%6 
69,2 
68,2 
70,1 
70,2 
67,3 
59,3 
61,2 
54,7 
50,9 



1883/84 
1884/85 
1885/86 
1886/87 
1887/88 
188Ö/89 
1889/90 
1890/91 
1891/92 
1892/93 
1893/94 
1894/95 



47,2 
47,5 
59,4 
53,4 
54,5 
53,3 
51,8 
48,2 
48,9 
49,1 
45,6 
41,6 



1895/96 
1896/97 
1897/98 

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1899/00 
19Q0/Q1 
19dl/02 
1902/03 
1903/04 
1904/05 
1905/06 



43,9 
42,1 
43,3 
46,7 
46i,8 
44,9 
41,3 
47,5 
47,7 
47,2 
44,4 



Also gerade die Epoche des überaus lebhaften technischen Auf- 
schwungs in den 70 er und zu Anfang der 80 er Jahre, die Zeit, in 
der die Produktionssteigerung in beschleunigtes Tempo gerät, 

') Unter Aktien- oder Pfiichtrflben werden die von den Aktionären 
vertragsmäßig gebauten, unter Eigenrfiben die im Landwirtschaftsbetrieb 
der Zuckerfabriken gebauten Rüben verstanden, während als Kaufrfiben 
die durch freien Zukauf erworbenen Rflben bezeichnet werden. Unter 
diesen letzteren nehmen die Oberrflben eine besondere Stellung ein. 
Sie werden von den Aktionären von der vertragsmäßig nicht gebun- 
denen Fläche geliefert Meist lautet die Abmachung so, daß alle Rüben, 
^SQ auch die Oberrüben, in den Besitz der Fabrik, welcher die Aktien- 
rüben geliefert werden, fibergehen, eventuell unter einer besonderen 
Preisberechnung. 

*) Unter den selbstgewonnenen Rüben verstehen wir die Aktien- 
und Eigenrüben. 



94 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Orofibetrieb. 

ist gekennzeichnet durch eine weitere Verselbständigung der In- 
dustrie durch Lockrung der Bindung an den landwirtschaftlichen 
Großbetrieb. Di^ Steigerung des Kaufrübenkontingentes zeigt 
mittelbar die wachsende Beteiligung des bäuerlichen Betriebs am 
Rübenbau an^ obgleich er sich damit lediglich den Vorteil der 
Urproduktion anzueignen vermag. 

Aber erst die weitere Ausgliederung der Gruppe der selbst- 
gewonnenen Rüben in Eigen- und Aktienrüben kann zeigen^ in 
welcher Richtung sich der Verselbständigungsprozeß bewegt. 
Leider genügen die statistischen Aufzeichnungen nichts um diese 
für einen großen Zeitraum vornehmen zu können. Erst vom Be- 
triebsjahr 1892/3 an liegen die notwendigen Daten vor. Es zeigt 
sich in nachfolgender Zusammenstellung^ daß das Kontingent 
der Eigenrüben seither sehr stark zurückgegangen ist, dagegen 
hat sich das der Aktienrüben gleichzeitig fast ununterbrochen ge- 
hoben. Der Effekt war ein von der Konjunktur offenbar stark 
beeinflußtes Schwanken des Kaufrübenanteils. 

In Prozenten der im ganzen verarbeiteten Rübenmenge be- 
trug die Menge der 





Eigenrüben 


AktienrQben 


Kaufrfiben 


1892/93 


15,41 


33,66 


50,93 


1893/94 


12,11 


33,47 


54,42 


1894/95 


12,60 


29,04 


58,36 


1895/96 


12,76 


31,18 


56,06 


1896/97 


12,74 


29,40 


57,86 


1897/98 


11,39 


31,95 


56,66 


1898/99 


11,66 


35,07 


53,27 


1899/00 


10,62 


36,18 


53,20 


1900/01 


9,83 


35,05 


55,12 


1901/02 


8,80 


32,50 


58,70 


1902/03 


9,78 


37,71 


52,51 


1903/04 


8,93 


38,72 


52,35 


1904/05 


7,78 


39,46 


52,76 


1905/06 


7,25 


37,12 


55,63 



Die Emanzipation der Industrie von der Rüben bauenden 
Landwirtschaft schreitet offensichtlich in der Richtung vorwärts, 
daß die Fabrik immer mehr auf die Bewirtschaftung eigner Güter 
verzichtet, sie statt dessen die Lieferung von Aktien- und Kaufrüben 

>) Vgl. R. V. Kaufmann, Die Zuckerindustrie 1878. S. 43 ff. 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. d5 

bevorzugt. Die Tabellen S. 96—99 sollen ein Bild davon geben, 
wie diese Entwicklung in den einzelnen Landesteilen vor sich 
gegangen ist. Wir werden auf sie gelegentlich zurückkommen. 
Mit einer gewissen Notwendigkeit prägt sich der Verselb- 
ständigungsprozeß der Rübenzuckerfabrik äußerlich in der Wahl 
der Unternehmungsformen aus. Ein Vergleich der verschiedenen 
Rübenkontingente in den Einzelteilen des deutschen Reiches lehrt, 
daß heute vielfach an Stelle des dem landwirtschaftlichen Betrieb 
ehedem wenn auch nicht unmittelbar aggregierten Nebengewerbes 
eine von ihm gänzlich losgelöste Wirtschaftseinheit in Form der 
ausgesprochen kapitalistisch betriebenen Aktiengesellschaft getreten 
ist, welche sich der reinen Oeldaktiengesellschaft sehr nähert. Ob 
diese nun die handelsrechtiiche Form einer solchen oder aber 
einer anderen aus Anteilen gebildeten oder genossenschaftlichen 
Unternehmung hat, ist hier zunächst ganz gleichgültig. Damit 
ist das letzte Stadium der Verselbständigung erreicht Die Zucker- 
industrie ist zur hochindustriellen Unternehmung aufgestiegen, 
die ihre Interessensphäre scharf gegen die Landwirtschaft ab- 
zugrenzen bemüht ist, ein Bestreben, das sich in der vertrags- 
mäßigen Verpflichtung der Rübenproduzenten auf gewisse 
Qualitäts- und Anbaubedingungen, in der Anerkennung von 
Schaukommissionen und besonderen Arten der Preisberechnung 
ausdrückt. Ob dieser äußerste Schritt zur Verselbständigung im In- 
teresse der landwirtschaftlichen und der industriellen Unternehmer- 
gruppe liegt, erscheint bisher allerdings einigermaßen fraglich.^) 
Viel aussichtsreicher ist die Emanzipation der Fabrik vom Rüben- 
bau in dem Sinne, daß der Fabrikant sich ganz ausschließlich 
mit der industriellen Produktion, der Landwirt mit der Urpro- 
duktion befaßt, daß beide aber als Qlieder einer Wirtschafts- 
einheit ihr Oewinnstreben in einer und derselben Richtung ver- 
einigen. — In neuerer Zeit legt man vor allem Wert darauf, die 
Wirtschaftsform der Rübenzuckerfabrik mit besonderer Sorgfalt 
in der Weise auszubilden, wie sie sich den Verhältnissen der 
Landwirtschaft und der Industrie unter der bestehenden Gesetz- 



Im Betriebsjahr 1907/08 drohte manchen rheinischen Fabriken, 
welche sehr unbedeutende Mengen von Aktien- und Eigenrüben haben, 
ein Beschluß der organisierten Rübenbauer gefährlich zu werden, der 
dahin lautete, daß, wenn die Fabriken nicht zu einem bestimmten Preise 
abschließen, die Landwirte angehalten werden, ihre Ländereien mit 
lohnenderen Bodenfrfichten zu bestellen. 



96 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Orofibetrieb. 



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Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 



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Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 



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Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 



gebung am zwanglosesten einfügt. Die Doppelbesteuerung des 
Erträgnisses bei Aktiengesellschaften und die Publizität ihrer Ge- 
schäftsführung mögen wesentlich bestimmend dafür sein, daß die 
juristische Unternehmungsform der Aktiengesellschaft auf Kosten 
der Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Rückgang begriffen 
ist. Daß die als offene Handelsgesellschaft oder als Einzelfirmen 
betriebenen Unternehmen stark in der Abnahme begriffen sind, 
ist ein Symptom für das Fortschreiten jenes Verselbständigungs- 
prozesses, der dem Vergrößerungsprozeß parallel geht. 
Von deutschen Rübenzuckerfabriken gehörten:*) 





1899 


1900 


1901 


1902 


1903 


1904 


1905 


1906 


Aktiengesellschaften 

Gesellschaften m. b. H 

Kommanditgesellschaften 

Eingetragene Genossenschaften . 

Offnen Handelsgesellschaften und 

Einzelürmen 


179 

83 

6 

3 

128 


179 

85 

5 

2 

124 


181 

94 

5 

2 

115 


181 

94 

5 

2 

115 


179 

93 

5 

2 

106 


174 

99 

4 

2 

100 


172 

101 

5 

2 

96 


173 

101 

6 

2 

90 


Zusammen 


399 


395 


397 


397 


385 


379 


376 


372 



Der zweite Ausgangspunkt organisatorischer Wandlungen ist 
der Charakter der Rübenzuckerindustrie als Saisongewerbe. Die 
Natur des Rohstoffs macht eine Verarbeitung desselben über die 
Dauer des ganzen Jahres unmöglich. Da es bisher nicht gelungen 
ist, die Rübe ohne Verluste bis weit ins Frühjahr hinein zu kon- 
servieren, wenngleich man durch bessere Methoden ihre Höhe 
herunterzudrücken gelernt hat, dazu aber die Kosten für das 
Einmieten 3), bei dem wenig oder gar keine Maschinenarbeit in 
Frage kommen kann, ziemlich erheblich sind und bei der relativen 
Oeringwertigkeit des Materials unter den Fabrikationskosten, zu- 
mal beim Rückgang des Zuckergehalts einen merklichen Raum 
einnehmen, war die Tendenz seit dem Auftreten eines organi- 
satorisch-kalkulierenden Zuges in der Industrie angesichts der 
kolossalen Rübenmengen, die in Frage kamen, immer mehr darauf 



Vereinszeitschrift 1891, S. 492; 1893, II, S. 332. 

2) Nach Zabel's Jahrbüchern. 

®) Es werden die Rüben in sog. Mieten aufbewahrt. Es sind dies 
langgestreckte auf dem Erdboden angelegte Rtibenhaufen von dreieckigem 
Querschnitt, welche gegen die Einwirkung des Frostes mit einer Erd- 
schicht bedeckt werden. 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 



101 



gerichtet, das einzumietende Quantum auf ein Minimum zu be- 
schränken, d. h. das Rohmaterial möglichst sogleich vom Felde weg 
zu verarbeiten und den Fabrikationsprozeß zu beschleunigen. Was 
man also erstrebte, war eine Verdichtung der Produktion, und 
dazu hatte man größere Einrichtungen nötig, sieht man von der 
Hebung der Leistungsfähigkeit ab, welche durch bessere Technik 
erzielbar ist. Übrigens kam jenem Streben die wissenschaftliche 
Beobachtung zu Hilfe, welche in neuerer Zeit die Verluste durch 
Einmieten und Lagern in gedeckten Räumen mit einiger Sicherheit 
zu berechnen lehrte. 

Während Achard und seine Zeitgenossen die Betriebszeit auf 
150—180 Tage bemaßen und man um 1850 noch mit 150 Arbeits- 
tagen rechnete 1), bewegt sich die Dauer der Saison seit 1871 
in folgenden Zahlen: 



1871/72 


106,8 


1883/84 


119,4 


1895/96 


75,0 


1872/73 


134,3 


1884/85 


119,3 


1896/97 


86,0 


1873/74 


136,5 


1885/86 


82,3 


1897/98 


73,0 


1874/75 


106,2 


1886/87 


90,5 


1898/99 


70,4 


1875/76 


136,0 


1887/88 


76,6 


1899/00 


70,6 


1876/77 


108,0 


1888/89 


84,3 


1900/01 


74,0 


1877/78 


114,9 


1889/90 


95,3 


1901/02 


82,7 


1878/79 


116,8 


1890/91 


97,5 


1902/03 


61,8 


1879/80 


108,0 


1891/92 


81,2 


1903/04 


64,1 


1880/81 


123,9 


1892/93 


77,7 


1904/05 


53,1 


1881/82 


111,2 


1893/94 


78,0 


1905/06 


80,0 


1882/83 


132,4 


1894/95 


99,0 







Die Betrachtung dieser Tabelle legt die Frage nahe : Welchen 
Umständen ist die sprunghafte Abnahme der Betriebsdauer in den 
80 er Jahren zuzuschreiben, stellt sich doch die Zahl der Arbeits- 
tage im Durchschnitt in den Jahren 

1871/72 bis 1874/75 auf 120,95 

1875/76 „ 1879/80 „ 116,74 

1880/01 „ 1884/85 „ 121,24 

1885/86 „ 1889/90 „ 85,80 



F. G. Schulze, Die deutsche Zuckerfrage, Jena 1850. — N. v. Qrau- 
vogl, Ober Zuckerfabrikation in Bayern, 1810, S. 7, Schlug eine sieben- 
monatliche Arbeitsdauer vor. 



1Q2 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 

1890/91 bis 1894/95 auf 86,68 
1895/96 „ 1899/00 „ 75,00 
1900/01 „ 1904/05 „ 67,14 

Wir müssen uns hier auf allgemeine Andeutungen beschrän- 
ken, wiewohl eine detaillierte Untersuchung auf Grund sorgsam 
ausgewählten Materials eine sehr dankenswerte Aufgabe wäre. 
Zweifellos müßte eine analytische Behandlung dieser Frage von 
der jeweils vorliegenden Kapitalsverteilung in einer Anzahl als 
Typen herausgegriffener Betriebe ausgehen, die ihrerseits von 
den individuellen Verhältnissen stark mitbestimmt wird. Die Auf- 
stellung der Typen läßt an sich schon die Schwierigkeit dieses 
Problems erkennen. 

Bei näherem Zusehen stellt sich heraus, daß die Schärfe des 
Gegensatzes in der Betriebsdauer der ersten und zweiten Hälfte 
der 80 er Jahre auf verschiedene Sonderumstände zurückgeht. Den 
hervorragend günstigen Ernten der Jahre 1879/80—1884/5 folgten 
mehrere Jahre lang weniger günstige, vom Jahre 1879/80 bis 
zum Jahre 1884/5 trat eine Steigerung des verarbeiteten Roh- 
materials um 116,5 o/o ein: man war in eine gewaltige Oberproduk- 
tion geraten, deren Folgen man nur durch Beschränkung des 
Rübenanbaus abwenden konnte. Trotzdem entstanden fortgesetzt 
neue Fabriken, ihre Durchschnittszahl im ersten Jahrfünft belief 
sich auf 344, im letzten hingegen auf 398, alle Betriebe dehnten 
ihre Betriebseinrichtungen gewaltig aus, verbesserten sie, ohne 
daß die durchschnittliche Produktionsziffer des Einzelbetriebs stieg. 
Sie fiel vielmehr von 221 432 dz als Durchschnitt der Jahre 1880/1 
bis 1884/5 auf 200856 dz in den nächstfolgenden fünf Betriebs- 
jahren. Es erklärt sich somit die auffallende Kürzung der Arbeits- 
dauer als Konsequenz der seit Ende der 70 er Jahre mit Macht 
der Massenverarbeitung zustrebenden Umwandlung alter Fabrik- 
einrichtungen und der Errichtung neuer Werke. Sie ist also auf 
das plötzlich gewaltig vermehrte Anlagekapital zurückzuführen, 
übrigens liegt in der ganzen Erscheinung auch eine Art Bestäti- 
gung für den Erfahrungssatz, daß industrielle Unternehmungen 
erst in den Jahren der Baisse ihre Betriebsorganisation zu re- 
vidieren und zu bessern geneigt sind. 

Zur Beantwortung der Frage, auf welche Einflüsse der kon- 
stante Rückgang der durchschnittlichen Arbeitsdauer zurückzu- 
führen ist, ist neben dem Anwachsen des Anlagekapitals und 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Groibetrieb. 103 

dem des außer Verhältnis mit diesem wachsenden Betriebskapital 
noch ein anderer innig damit in Zusammenhang stehender Ge- 
sichtspunkte von Bedeutung, der uns auf den Kernpunkt des 
saisongewerblichen Wirtschaftscharakters führt. Das Problem der 
rentablen Beschäftigung der Rübenzuckerfabrik während des weit- 
aus größten Teils des Jahres ist seiner Lösung bis heute noch 
nicht näher gebracht^), trotz der eminenten Bedeutung, die ihm 
inne wohnt. Mithin ergibt sich die Notwendigkeit, in der kurz- 
fristigen Betriebsdauer Zins- und Amortisationsrate des Anlage- 
kapitals ganz, des Betriebskapitals zum größten Teile für das 
ganze Jahr aufzubringen. Praktisch heißt das, daß bei Annahme 
einer öOtägigen Betriebsdauer eine fünfmal so hohe Zins- und 
Amortisationsquote pro Tag herauszuwirtschaften ist, als bei der 
regelmäßigen in nicht intermittierenden Betrieben üblichen etwa 
SOOtägigen Betriebsdauer. Es verfünffacht sich also der Einfluß 
einer Betriebsstörung einerseits und einer Betriebsverbesserung 
anderseits gegenüber dem nicht periodischen Betrieb. 

Daraus ergeben sich die obersten Sätze für die Leitung und 
Organisation der modernen Rohzuckerfabrik. Es muß gefordert 
werden 

1. unbedingte Betriebssicherheit, 

2. Ausbildung der vollkommensten, dabei dauernd rationellsten 
Technik. 

Was letzteren Punkt anbetrifft, so wird der unendliche Trieb 
nach Vollendung glänzend illustriert durch das gewaltige Spiel, 
das Jahr um Jahr auf dem weiten Gebiete der Zuckertechnik 
sich einstellt. Die vielfältigen Erfahrungen der Betriebszeit, in 
der alles mit äußerster Anstrengung arbeitet, können erst in 
der stillen Zeit überblickt, verarbeitet und wissenschaftlich ver- 
tieft werden. Wogt auch dann oft jahrelang um theoretische 
Fragen der Federkrieg, so fallen doch prinzipielle Entscheidungen, 
auf denen sich erst neue Methoden aufbauen können, vielfach 
ohne jeden literarischen Lärm. Denn das entscheidende Wort 
sprechen hier immer und immer nur die Betriebsergebnisse, und 
unierbittiich sondert Jahr um Jahr die Praxis Spreu vom Weizen.*) 

^) Von den Vorschlägen verdient allein der von Prof. Backhaus- 
Göttingen herrührende Beachtung. Er will die Zuckeriabrikeh in der 
bisher betriebsfreien Zeit mit Aufschließen von Stroh beschäftigen. 
Vgl. Vereinszeitschrift 1904, II, S. 254. 

>) Vgl. Zentralanzeiger der Zuckerindustrie 1892 Nr. 1. 



104 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 

Die Verstärkung des Saisoncharakters, wie wir sie beobachteten, 
hat unmittelbar die Erscheinung gezeitigt, daß sie das Tempo 
des technischen Fortschritts sichtbar beschleunigte. 

Die wirtschaftliche Notwendigkeit, auf ein Höchstmaß von 
Betriebssicherheit die ganze Betriebsorganisation zuzuschneiden, 
hat den Gesamtaufbau aller Betriebseinrichtungen sowohl im ein- 
zelnen als in der Totalität aufs tiefste beeinflußt Aber auch 
der Leitung und Überwachung des Produktionsprozesses prägte 
sich ein eigener Zug auf. Wie die Anforderungen an die Qualität 
aller sachlichen Produktionsmittel damit stiegen, so wurden auch 
die an ihre Leiter entsprechend heraufgeschraubt Der ungeheueren 
Verfeinerung der Produktionstechnik ging die höhere Qualifi- 
zierung des für den Erfolg verantwortlichen Organs der wirtschaft- 
lichen Unternehmung zur Seite, wie schon oben entwickelt wurde : 
Anstelle des Siedemeisters der alten Zeit tritt ein kompliziertes 
Leitungsorgan, in dem die spezialisierten Funktionen des Kauf- 
manns, des Chemikers und Maschineningenieurs ihren Platz ein- 
nehmen. Gerade in der Schwierigkeit, die Persönlichkeit aus- 
findig zu machen, welche sich den individuellen Verhältnissen 
bestmöglich anzupassen und sie auszunützen vermag, und die, 
wenn auch nicht die Kenntnisse des Spezialisten, so doch neben 
einer geordneten Kenntnis in allen mit der Zuckerindustrie in 
Beziehung stehenden Fragen einen feinen Instinkt in der Be- 
urteilung wirtschaftlicher Verhältnisse besitzt und Kaufmann, 
Chemiker und Maschineningenieur in der eigenen oder mehreren 
Personen zu ihrem Recht kommen läßt, liegt im modernen Rüben- 
zuckerbetrieb häufig die wahre Ursache für ein ungünstiges Wirt- 
schaftsergebnis begründet Dabei lassen wir ganz die Komplika- 
tionen beiseite, die sich oft aus der ungeschickten oder ungenügen- 
den Abgrenzung gegen die Sphäre des landwirtschaftlichen Wirt- 
schaftsleiters für den Fabrikbetrieb ergeben, bei denen die Eifer- 
sucht eine große Rolle zu spielen pflegt. Es ist nicht zu be- 
zweifeln, daß die Lösung der überaus schwierigen Organisations- 
frage mit der steigenden Kapitalsinvestitur einerseits und der 
schärferen Betonung des Saisoncharakters anderseits wenn auch 
nicht ausschließlich, so doch zum guten Teil merklich erschwert 
worden ist 

Der Orundzug neuzeitlicher Betriebsgestaltung, die sich auf 
dem Prinzip höchster Betriebssicherheit aufbaut, dokumentiert sich 
nach der praktisch wirtschaftlichen Seite hin in dem Streben 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 105 

der Leitung, durch Aufrechterhaltung höchster Intensität auf 
Kürzung der Betriebsdauer zu dringen. Der Werdegang der 
technischen Arbeit hat einen Begriff davon gegeben, wie und 
mit welchen Mitteln seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre diese 
Tendenz immer markanter zum Ausdruck gebracht wurde. Es 
ist der Zeitpunkt, um den die Zuckerindustrie in den Stil des 
in der Wahl der Technik völlig ausgesprochenen Großbetriebs 
gerät. Unter diesen Umständen und angesichts der steigenden 
Betonung des Saisoncharakters mögen sich auf dem Gebiete der 
Kapitalsverteilung eigenartige Vorgänge abgespielt haben. Während 
von vornherein zu erwarten ist, daß das Betriebskapital mit 
steigendem Anlagekapital fiel, scheint es nicht ausgeschlossen, 
daß diese Ersparnis anderseits durch den Mehraufwand, zumal 
für die Rohmaterialien, aufgezehrt wurde. Zudem konzentrierte 
sich der Bedarf an Betriebskapital auf eine sehr viel kürzere 
Zeit als ehedem, und damit wird die eminente Wichtigkeit der 
Benutzung moderner Zahlungsmethoden und des Terminhandels 
für die neuzeitliche Betriebsorganisation erkannt.^) Die Reduktion 
der Betriebskosten wird heute als ihr erstes Ziel bezeichnet, 
und demnach legt man es darauf an, daß ein höherer Wirt- 
schaftlichkeitsgrad der Produktionstechnik, mag dieser nun auf 
eine Beschleunigung des Arbeitsprozesses, Hebung der Leistungs- 
fähigkeit oder auf eine qualitative Verbesserung des Produktes 
hinauslaufen, durch möglichst rationelle Verwendung des Be- 
triebskapitals zustande kommt, das ist aber gleichbedeutend meist 
mit einer möglichst kurzfristigen Wirksamkeit desselben. Dabei 



^) Daß die Regierung den Bedürfnissen der Industrie entgegen- 
zukommen sucht, beweist der Umstand, daß die Steuerbeträge regel- 
mäßig längere Zeit gestundet werden. — H. Paasche, Die Zucker- 
produktion der Welt, 1906, S. 19 macht auf den bedeutenden finanziellen 
Vorteil aufmerksam, den die Rohzuckerfabrikanten Deutschlands im 
Gegensatz zu den Raffinadeuren bis zur Einführung der Verbrauchs- 
abgabe genossen. Ersteren wurde die Materialsteuer in der Regel auf 
6 Monate gestundet, hingegen waren die Raffinerien gezwungen, den 
Lieferanten die Rohware inkl. Steuer, d. h. da eine bestimmte Rück- 
vergütung bei der Ausfuhr von Rohzucker gezahlt wurde, den Welt- 
marktpreis plus Ausfuhrvergütung sofort zu bezahlen. Der Raffinerie- 
besitzer mußte deswegen etwa das doppelte Betriebskapital anlegen, 
als seinem englischem Kollegen zur Führung seines Geschäftes erforder- 
lich war, da jener zoll- und steuerfreien Zucker erhielt. Hierin lag für 
die Exportfähigkeit der deutschen Raffinerieprodukte ein beträchtliches 
Hemmnis. 



106 Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 

kann es durchaus der Wirtschaftlichkeit entsprechen, gelegent- 
lich für bestimmte Zeit und in bestimmtem Maßstabe ein oder 
mehrere Einzelorgane vollständig unökonomisch zu bewirtschaften, 
so z. B. um eine Verlangsamung des ganzen Arbeitsganges aus- 
zugleichen, wie ihn schlechte Materialien, Fehler in der Ver- 
arbeitung usw. hervorrufen können, nur um den Betrieb mit 
voller Belastung aufrecht zu erhalten. Eine immerhin merkliche 
Mehrbelastung z. B. des Kohlekontos spielt eben da gegenüber 
dem Zeitverlust und Betriebskostenaufwand durch Betriebsstörung 
auf einen oder mehreren Punkten oder gar durch Stilliegen 
keine Rolle. 

Mit diesen Betrachtungen ist dargetan, daß die Wandlung 
des landwirtschaftiich-nebengewerblichen Charakters einerseits und 
des saisongewerblichen Charakters anderseits die Wurzeln für 
die großbetriebliche Entwicklung der deutschen Rübenzucker- 
industrie in sich begreifen. Damit sind wir der Frage nach den 
Strukturveränderungen der Industrie, die aus der technisch-wirt- 
schaftlichen Entfaltung hervorgewachsen sind, in ihrem eigent- 
lichen Kerne nahegerückt, der Evolution zum Großbetrieb. Auf 
Grund der amtlichen Statistik läßt sich dieselbe verfolgen. 

Auf Tafel 2 sind die dabei in Betracht kommenden Größen 
graphisch dargestellt. Es läßt sich daraus entnehmen, daß erst 
gegen Ende der 70er Jahre eine energische Aufwärtsbewegung 
der Durchschnittsbetriebsgröße stattfindet. Während die pro Be- 
trieb verarbeitete Rübenmenge entsprechend dem verschiedenen 
Ausfall der Ernten größeren Schwankungen unterworfen ist, ver- 
läuft der Linienzug der in einer 12stündigen Arbeitszeit durch- 
schnittlich verarbeiteten Rohmaterialmenge wesentlich ruhiger. 
Ihm paßt sich bis 1895 etwa sehr gut die Kurve der jeweils 
pro Betrieb im Durchschnitt ermittelten Anzahl Pferdekräfte an, 
deren große Kontinuität auffallend ist. Der prozentuale Zuwachs 
an Betriebskraft stellt sich für die Zeit von 1875/6— 1889/90 auf 
127 0/0, für 1890/1—1904/5 auf 128 o/o, dagegen weist der Zu- 
wachs in den Unterabschnitten größere Verschiedenheiten auf. 
Obgleich mit steigender Größe der Betriebskraft nach dem Ge- 
setz vom zunehmenden Ertrag der gewerblichen Produktion eine 
Ertragsmehrung ununterbrochen und über Verhältnis der Betriebs- 
größensteigerung theoretisch zu erwarten wäre, — wobei im 
vorliegenden Falle die Annahme gemacht ist, daß die verarbeitete 
Rübenmenge durch ein Proportionalitätsverhältnis mit dem Er- 



^ Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 107 

trage zu verbinden möglich sei, daB andererseits die GröBe der 
effektiven Maschinenleistung ein Maß für Betriebsgröße allgemein 
sei — zeigt die Entwicklung jener -Zahlenreihen bis 1895 etwa 
das Zutreffen jener hypothetischen Erwartung. Von da ab tritt 
eine deutliche Wendung ein. Während die Kurve der Betriebs- 
kraft ganz im bisherigen Ansteigeverhältnis ihre Aufwärtsbewegung 
fortsetzt, nimmt die in 12stündiger Arbeitsschicht bewältigte Rüben- 
menge nun weit langsamer zu. Was ab 1895 in der graphischen 
Darstellung deutiich in die Erscheinung tritt, der steigende Er- 
satz der Handarbeit durch die Maschinenarbeit, verbirgt sich 
zweifellos unter dem letzten Teil des Linienzuges vor 1895. Unter 
Aufrechterhaltung der oben gemachten Annahmen ist der Schluß 
gerechtfertigt, daß das Ertragsgesetz der gewerblichen Produktion 
weit schärfer und eher zum Ausdruck käme, wenn es nicht 
durch Hinübergreifen der Maschinenarbeit auf das Gebiet der 
Handarbeit teilweise ausgeglichen worden wäre. 

Das Gesamtbild der Größenentwicklung, wie es durch die 
Kurve der Betriebskraft, der in 12ständiger Schicht verarbeiteten 
Rübenmenge und der im Betriebsjahr pro Betrieb bewältigten 
Rübenmenge wiedergegeben wird, gibt übrigens auch einen guten 
Einblick in die eigenartige Lagerung der Verhältnisse in der 
ersten und zweiten Hälfte des neunten Jahrzehntes. Es findet 
sich hier eine Bestätigung dessen, was vorher gelegentiich der 
auffallenden Betriebsdauerveränderung um 1885 gesagt wurde. 

Weiter gibt das Gesamtbild Anlaß zu einer Feststellung be- 
sonderer Bedeutung. Der Ausfall der Rübenernte, mochte er 
sehr günstig oder ungünstig sein, hat in keinem Falle einen 
direkten Einfluß auf die Betriebsgrößenentwicklung zu nehmen 
vermocht, sogar die Krisen, an denen es in der deutschen Zucker- 
industrie wahrlich nicht gefehlt hat, haben eigentiich in dieser 
Hinsicht gar keine Spuren hinterlassen, wenn man von jenem 
großen Ritardando in der zweiten Hälfte der 80er Jahre absieht. 
Indessen ist mit der Betriebsgrößenzunahme die Unsicherheit 
des Wirtschaftsergebnisses beträchtlich gewachsen, wie ins- 
besondere die Verhältnisse der Jahre 1900—1905 lehren. Das 
starke, persönliche Moment, welches aus der Schwierigkeit der 
Lösung der verwickelten Organisationsfrage resultiert, dazu die 
schwankenden Verhältnisse der Qualität und Quantität der Ernte, 
der Preisgestaltung u. s. f. sind, seitdem die deutsche Rüben- 
zuckerindustrie sich mit äußerster Entschiedenheit in den Bahnen 



106 Die Entwicklung zum fabrikmäfiigen Großbetrieb. 

eines hochentfalteten Kapitalismus bewegt, die Hauptgründe für 
die starke Veränderlichkeit, der ihre Rentabilität unterliegt. Natür- 
lich drückt sich diese auch in den Kursbewegungen der Aktien 
aus. Beispielsweise waren die Ultimokurse und Dividende der 
Körbisdorfer Zuckerfabrik, welche mit 2,70 Mill. Mk. Aktien- 
kapital und 0,6 Mill. Mk. Prioritäts-Obligationen, ausgegeben 
1873 und 1874, ausgestattet ist, in den Jahren 1880—1904 die 
folgenden : 





Ult. Kurs 


Divid. o/o 




Ult Kurs 


Divid. •/, 


1880 


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1893 


100,00 


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1881 


167,00 


12 


1894 


93,10 


1 


1882 


160,00 


9V. 


1895 


107,75 


9V. 


1883 


140,00 


11 


1896 


111,75 


4 


1884 


93,00 





1897 


117,10 


6 


1885 


102,25 


3 


1898 


118,50 


8 


1886 


101,25 





1899 


117,60 


6V, 


1887 


99,25 


5 


1900 


123,75 


9Vs 


1888 


105,00 


5 


1901 


107,90 


4 


1889 


104,00 


5 


1902 


110,25 


8 


1890 


100,00 


8 


1903 


114,00 


8 


1891 


114,75 


12 


1904 


129,75 


9V, 


1892 


113,00 


2V, 









Es ist zu erwarten, daß die überaus große Unsicherheit, 
wie sie hier die Kursentwicklung darstellt, durch die rapide Be- 
triebsgrößenentwicklung des letzten Jahrzehnts noch um etliches 
gesteigert worden ist und daß der Kapitalist mit einer ent- 
sprechend erhöhten Risikoprämie zu kalkulieren Grund hat. Offen 
Ausdruck findet diese Erkenntnis wohl zum Teil in der Ver- 
stärkung der Reserven, die nach Wagon*) seit 1888 schon ziemlich 
regelmäßig zu beobachten ist; ob diese allerdings wirkHch relativ 
merklich gewachsen sind, bleibt eine offene Frage. Nach den 
Erfahrungen der Industrie zumal in den letzten sechs Jahren, 
wäre das zu erwarten besonders in den Fällen, wo die Rüben- 
lieferanten stark finanziell beteiligt sind. 

Den Zusammenhang der Industrie als ganzes und der Kon- 
junktur verdeutlicht zusammenfassend der Vergleich zwischen den 
Merkmalen der großbetrieblichen Entfaltung und der Zahl der 



*) E. Wagon, Die finanzielle Entwicklung der deutschen Aktien- 
Gesellschaften von 1870—1900, Jena 1903, S. 103. 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 109 

Betriebe, die jeweils arbeiteten. Es wird so möglich, die Wirkung 
des staatlichen Eingreifens zu analysieren zwecks Feststellung 
der Richtung, nach der die Weiterentwicklung der Industrie aus- 
gegriffen hat. Es sei besonders betont, daß es sich hier nur 
um Rüben verarbeitende Zuckerfabriken handeln kann. Em 
starkes Anschwellen der Betriebszahl, ohne daß die Betriebsgröße 
wesentliche Änderungen erleidet, eröffnet die 50er Jahre. Daran 
ändert auch die Erhöhung der Materialsteuer 1853 wenig, wenn 
auch da sowohl wie bei der Erhöhung 1858 eine Anzahl Werke 
zum Erliegen kommen. 1855—8 und 1863—5 nimmt die Zahl 
der Betriebe fast sprungweise zu. Die Provinz Sachsen ist an 
den Neugrtindungen, welche die Verarbeitungsziffer langsam in 
die Höhe treiben, hervorragend beteiligt. Doch der Steigerung 
der Zahl der Betriebe zu Anfang der 70er Jahre vermag sie 
nicht mehr zu folgen. Der Einfluß des die Exportbonifikation 
betreffenden Gesetzes von 1861 läßt sich deutlich erkennen in 
der Zunahme der Betriebe um 1863, derselbe Anreiz lockt auch 
die Nachblüte zu Anfang des 8. Jahrzehnts hervor. Aber da erst 
setzt eine energische Betriebsgrößensteigerung ein, ist doch nun 
erst die Möglichkeit für die meisten Betriebe gekommen, von 
der Exportbonifikation zu profitieren. Um 1880 kommt unter 
dem deutlichen Einfluß sehr günstiger Ernten jene gewaltige 
Erhöhung der Betriebszahl und der Leistungsfähigkeit zustande, 
es ist die Zeit, in der die fruchtbaren Hilfsmittel der Massen- 
verarbeitung ausgebildet und organisiert werden. Aber auch im 
selben Aufschwung erobert die Rübe sich neue Kulturstätten. 
In rapidem Anstieg kulminiert die Zahl der Betriebe 1884/5 mit 
406, pendelt dann 15 Jahre um 400, bis von 1900 an eine deut- 
liche Abnahme stattfindet. Aus den Großbetrieben sind zum 
Teil Riesenbetriebe geworden, die ihre Leistungsfähigkeit auf 
Kosten der Zahl der Betriebe zu steigern suchen. Am deutlichsten 
ist das Bild in Sachsen, wo die Zahl der Betriebsstätten lang- 
sam seit 1873 heruntergleitet. Die Betriebsgrößenentwicklung 
zu Anfang der 80er Jahre gerät 1885—9 etwas ins Stocken. 
Es sind Jahre der inneren Konsolidierung, denen seit 1890 wieder 
eine scharfe Aufwärtsbewegung folgt; sie mildert aber von 1897 
etwa an ihr Tempo, und stark beeinflußt von mißlichen Ernte- 
ausfällen, verfällt die Betriebsgröße in ein langsameres Wachstum. 
Die Etappen der Entwicklung zum Großbetrieb kamen da- 
nach zustande unter denselben Ruhepunkten, denselben Perioden 



HO Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 

des Aufschwungs und der Depression, welche die Genesis der 
Produktionstechnik uns schon vorher markiert hatte. Und wie 
dieser die Merkmale der staatlichen Intervention überall aufgeprägt 
sind, so trägt auch die Größenentwicklung ihre Spuren. Nicht 
nur, daß sie durch die Technik, welche unter ihrem Banne ge- 
schaffen wurde, diese untilgbaren Zeichen übernahm, ihr ist als 
Träger des Entwicklungsgedankens die Organisation die andere 
Säule ihres Bestandes. In ihr ist die Technik erst zur machtvoll 
treibenden Kraft herangereift, als die man sie gemeinhin zu be- 
trachten pflegt. 

Die Maßregeln der Staatspolitik haben in ihrer Wirkung 
den technischen Fortschritt in der wirtschaftlich rationellsten 
Form, im Großbetrieb, emporgezüchtet. Es erhebt sich die Frage : 
Wie hat diese Politik der Stärkung des jeweils leistungsfähigsten 
Betriebes auf die beteiligten Faktoren gewirkt, soweit sie der 
Produktion dienten? 

Die Konsequenz des Prämiensystems unter der Gesetzgebung' 
von 1861 war eine Konzentration der Rübenzuckerindustrie in 
den Landstrichen, welche vermöge ihrer natürlichen Bedingungen 
und des Kulturzustandes das hochwertigste Rohmaterial produ- 
zierten. Auch die Gesetzgebung von 1844 bis 1861 lief im Grunde 
auf die Bevorzugung der Fabriken hinaus, welche die besten 
Rüben sich verschreiben konnten. So kam es denn, daß es 
lange Zeit in der Provinz Sachsen, Braunschweig und Anhalt 
die meisten, rentabelsten, aber auch technisch vollkommensten 
Betriebe gab. Denn indem man die Verarbeitung eines guten 
Rohmaterials verbesserte, ließ sich dabei relativ viel mehr ge- 
winnen als in dem Fall, daß der Unternehmer die geringe Qualität 
durch verbesserte Technik wettzumachen suchte. Es kam eine 
Beschränkung der Industrie auf Teilgebiete zustande, welche 
ihnen praktisch eine unangreifbare Monopolstellung eintrug. Da 
Versuche, in anderen Gegenden mit weniger entwickeltem Kultur- 
zustand und ungünstigeren physischen Bedingungen die Rüben- 
kultur hochzubringen, so regelmäßig fehl schlugen, bildete sich 
die Anschauung heraus, daß rationeller Rübenbau an ganz be- 
stimmte Verhältnisse gebunden sei, welche nicht die geringste 
Abänderung vertrügen. So stand also das Monopol dem Fort- 
schritt entgegen. Erst von dem Augenblick an, in dem die 
Verbrauchsabgabe die Vormachtstellung Sachsens zerstörte — 
immerhin eine harte Probe für die Lebensfähigkeit der sächsischen 



Die Entwicklung zum 



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114 



Die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb. 



Industrie, deren Ruin von manchen vorausgesagt wurde^) — 
konnte sich die Wanderfähigkeit der Rübe in ihrer glänzenden 
Weise bewähren. Vor allem im deutschen Osten breitete sich 
nun die Zuckerindustrie aus. Hier wurde der neue Stil der 
fabrikmäßigen Zuckerdarstellung geschaffen, der Riesenbetrieb. 
Fußend auf den neuesten wissenschaftlichen und praktischen Er- 
fahrungen errichtete man hier seit 1878 in steigender Anzahl 
moderne Fabriken, welche zur Hebung ihrer Konkurrenzfähigkeit 
gegenüber den mit besserem Rohmaterial ausgestatteten mittel- 
deutschen Werken in größeren Abmessungen und raffinierter 
Technik überaus wirksame Mittel fanden, von denen nun auch 
ehedem sehr bevorzugte Fabriken immer mehr Nutzen zu ziehen 
trachten mußten. Indem die Zuckerindustrie aus den Orenzen 
ihrer ursprünglichen Verbreitung herausgedrängt wurde, schlug 
die Stunde, daß Technik und Organisation des Großbetriebs für 
alle Betriebe zum ehernen Gebot wurden. Die unablässige Ver- 
billigung der Produktionskosten war die Folge. Die beifolgende 
Tabelle S. 111—113 gibt über die durchschnittliche Verarbeitungs- 
ziffer der Rübenzuckerfabriken Aufschluß. Sie läßt den Einfluß 
der einzelnen in der Entwicklung der Industrie Richtung geben- 
den Ereignisse und Eingriffe hinsichüich der verschiedenen Landes- 
teile scharf erkennen und beansprucht deshalb allgemeineres 
Interesse«), 



^) Im Hinblick auf die Monopolstellung waren die Bodenpreise 
enorm in die Höhe gegangen. Vgl. S. 225 ff. 

") Die technische Überlegenheit der Betriebe, neueren Datums, zu- 
mal der Riesenbetriebe Posens, über die sächsischen ist in der Ent- 
wicklung der Ausbeuteziffer bis in die neueste Zeit wahrnehmbar, wie 
aus folgender Zusammenstellung hervorgeht — Zur Herstellung von 
1 kg Rohzucker waren Rüben erforderlich in Kilogramm: 



in 


1905/06 


1906/04 


1903/04 


1902,«3 


1901/02 


1900/01 


1899/00 


1896/99 


Brandenburg . . 

Posen 

Prov. Sachsen . 
Braunschweig. . 


6,93 
6,71 
6,73 
6,97 


6,60 
6,28 
6,75 
6,75 


7,03 
6,66 
6,84 
7,25 


7,03 
6,51 
6,88 
6,90 


7,57 
6,86 
7,39 
7,50 


6,89 
6,55 
7.15 
7,41 


7,18 
6,64 
7,65 
7,60 


7,69] 
7,01 
7.49 
7,42 



in 


1897/98 


1896/97 


1895/96 


1894/95 


1893/94 


1893/93 


1891/92 


Brandenburg. . . 

Posen 

Prov. Sachsen . . 
Braunschweig . . 


7,92 
7,48 
8,00 
7,77 


8,09 
7,69 
7,93 
8,01 


7,72 
7,20 
7,60 
7,95 


8,24 
7,23 
8,67 
8,26 


7,78 
6,93 
8,25 
7,98 


8,72 
8,07 
8,55 
8,98 


8,891 
7,67| 
8,18. 
8,78 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 115 

Längst sind die Betriebe auf sog. geborenen Rübenböden 
durch den Anstoß vom Osten her in eine Konzentrationsbewegung 
geraten, die sich bei einer natürlichen Entwicklung der Dinge 
mit der Zeit verstärken wird. Da der Betrieb mehrerer Fabriken 
im Rahmen einer einheitlichen Gruppe von Interessenten bei 
kleinen Betriebseinheiten wenig Aussicht hat, dauernd zu be- 
friedigen, wird das Ziel dieser Bewegung die Stillegung kleiner 
Betriebsgrößen und Übernahme ihres Rohstoffquantums durch 
große sein müssen, ein Prozeß, der bei den hohen Qüterpreisen 
in ausgesprochenen Rübengegenden und mangelndem Entgegen- 
kommen nur mit hohen Opfern zu erkaufen sein wird. Die 
Frage der Konzentration wird uns aber noch eingehend im 
nächsten Kapitel beschäftigen. 



2. Kapitel. 
Die Weiterbildung des fabrikmälSigen Großbetriebs. 

Auf Orund der spezifischen, für die Rübenzuckerfabrikation 
maßgebenden Produktionsbedingungen ließ sich ein Zusammen- 
hang zwischen der Technik und der Ausbildung des fabrik- 
mäßigen Großbetriebs erkennen. So großartig diese Entwicklung 
auch ist, so bezeichnet sie doch nur die erste Staffel der Weiter- 
bildung in der Organisation des Produktionsakts, insofern es 
sich um einen Ausweitungsprozeß im Sinne einer Produktions- 
erweiterung handelt, die mit einer zeitgemäß modifizierten Technik 
und inneren Organisation zwar erzielt wurde, die aber nicht 
über das ursprünglich in Anspruch genommene Produktionsstadium 
und über den ursprünglichen Wirtschaftskreis hinauswuchs. In- 
dem die Organisation über die Grenzen des anfänglichen Wirt- 
schaftsbereichs hinausgreift und Beziehungen desselben zu an- 
grenzenden Wirtschaften gleicher oder durch die Art der Pro- 
duktion innerlich verwandter Art nach Maßgabe der besonderen 
Eigentümlichkeiten aufnimmt, sie im Sinne einer einheitiichen 
Wirtschaftsverfassung ausbaut und auf das große gemeinsame 
Ziel einrichtet, tritt sie in* eine zweite Entwicklungsetappe, bei 
der die treibenden Kräfte wesentiich größer in ihren Abmessungen, 
schwerer zu analysieren und präzis zu erfassen sind, zudem aber 
wegen der Inbeziehungsetzung des engeren Wirlschaftskreises 
zu einem stark ausgeweiteten für die Morphologie der gesamten 



116 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 

Wirtschaftsorganisation tiefgreifender und zwingender zu sein 
pflegen. Es ist derselbe Evolutionsgedanke, der einen gewissen 
AbsciiluB in der Wirtschaftspolitik privater Erwerbsgesellschaften 
der letzten IVs Jahrzehnte erfahren hat, die mit steigender Macht 
in fast allen Sparten des industriellen Lebens zur Konzentration 
drängt: Die Vereinheitlichung fabrikmäßiger Produktion zu einer 
eine größere Interessengruppe vertretenden Wirtschaftseinheit. 

Bei der Untersuchung der Konzentrationsbewegungen in der 
deutschen Zuckerindustrie wollen wir davon absehen, die Art 
der Konzentration in den Vordergrund zu stellen, welche aus der 
Anhäufung von Betriebsstätten desselben Wesensinhaltes in be- 
stimmten von der Natur bevorzugten Landstrichen entstanden 
ist. Bei der Dichtigkeit der Betriebe wird die Notwendigkeit, 
die Wirtschaftseinheit zum Großbetrieb zu entwickeln, besonders 
drückend empfunden. Mit großer Hartnäckigkeit wird alljährlich 
der Kampf um die Rüben geführt, bei dem der leistungsfähigere 
Betrieb von vornherein im Vorteil ist, da er für das Rohmaterial 
eher als der kleinere einen höheren Preis zu bewilligen in der 
Lage ist. Die Folge dieses Kampfes ist, daß oft die Rüben 
in unmittelbarer Nähe der Fabrik an die Nachbarfabrik verkauft 
werden und die meisten Betriebe höhere Frachtkosten tragen 
müssen, als sie bei gütlicher Einigung, Aufstellung von Demar* 
kationslinien usw. zu bezahlen hätten. 

Um das technisch-wirtschaftliche Moment mehr hervortreten 
zu lassen, betrachten wir die Konzentrationserscheinungen vom 
Standpunkt der Vereinheitlichung der fabrikmäßigen Produktion. 
Diese Vereinheitlichung läßt sich auf mehreren Wegen erstreben. 
Der eine läuft auf die Zusammenfassung mehrerer Produktions- 
stadien zu einer Wirtschaftseinheit hinaus. Es ist der Vorgang 
der Kombination. Ihre Anwendung auf die Zuckerindustrie be- 
deutet z. B. die Angliederung des Raffinationsprozesses an die 
Rohzuckerdarstellung. Ein anderer Weg führt in einer ganz 
anderen Richtung zur Vereinheitlichung. Die Spezialisation ist 
es, die unter Beschränkung auf ein Mindestmaß von Varietäten 
des Produktes die Massenfabrikation mit vollkommenster Aus- 
nützung der Produktionsmittel zum Ziele hat, eine Differenzierung 
hinsichtlich der auf gleicher Produktionsstufe stehenden Erzeug- 
nisse^). Ein Beispiel bietet unsere Industrie in der Auslösung 

^) L. Sinzheimer, Über die Grenzen der Weiterbildung des fabrik- 
mäßigen Großbetriebs, 1903, S. 20. 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 117 

der Melasseentzuckerung aus der Rüben verarbeitenden Fabri- 
kation und ihre Verselbständigung zu Betrieben, welche ausschließ- 
lich auf die Massenverarbeitung der Melasse eingerichtet sind. 

Die Frage des kombinierten Betriebes steht in der Zucker- 
industrie seit langem im Brennpunkt des Interesses. Sie soll 
deshalb uns zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung dienen. 
Der FabrikationsprozeB soll uns zunächst ausschließlich be- 
schäftigen, d. h. die Kombination der Rohzuckerfabrik mit der 
Raffinerie. 

Es ist dabei wohl am Platze, sich eine Vorstellung zu ver- 
schaffen von dem, was eigentlich den Kern der Frage bildet. 

Die beiden Wirtschaftsgruppen, deren jede für sich einen 
Teilprozeß des ganzen Produktionsprozesses umfaßt, werden durch 
die Kombination zu einer Wirtschaftseinheit zusammengeschweißt 
Es liegt hier also die Form der vertikalen Konzentration vor. 
Die beiden Bestandsgruppen haben wir in ihrer Entwicklung zum 
fabrikmäßigen Großbetrieb in ihren Grundlinien zu analysieren 
versucht. In der modernen Rohzuckerfabrik läßt sich ein fabrik- 
mäßiger Großbetrieb erkennen, der mit äußerster Kraft auf ein 
Höchstmaß technisch-wirtschaftlicher Vollendung und Betriebs- 
sicherheit hinarbeitet, in dem der Schwerpunkt unbedingt in der 
Technik liegt. Die moderne Raffinerie stellt hingegen einen 
Großbetrieb dar, bei dem die Technik in allgemein betriebs- 
technischer wie auch in besonderer zuckertechnischer Hinsicht 
gewiß nicht bedeutungslos ist, bei dem aber der Handel, die 
sorgfältigste Berücksichtigung der Marktbewegungen bei Kauf 
und Verkauf, den Erfolg in allererster Linie beeinflußt, bei dem 
also der Kaufmann im Verwaltungsapparat der unbedingt maß- 
gebende Faktor ist. 

Das wird erst recht klar beim Vergleich der Eventualitäten 
der gleichen Fehlerquellen. Während mangelhafte Arbeit infolge 
ungenügender Einrichtung oder Sorgfalt, Betriebsstörung u. dergl. 
für die Dauer von wenigen Tagen bei der Rüben verarbeiten- 
den Fabrik das wirtschaftliche Ergebnis des ganzen Betriebs- 
jahres in Frage stellen kann, ist unter analogen Umständen bei 
der Raffinerie ein auch nicht entfernt ähnlicher Einfluß auf die 
Rentabilität zu erwarten. Ja zeitweise erstrebt sie sogar eine 
nur teilweise Betriebsbelastung, und zwar nicht etwa um Repara- 
turen auszuführen. Freilich kann hier ein verfehlter Kauf, bei 



118 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Orofibetriebs. 

dem die Rückdeckung im Termingeschäft nicht benutzt wurde, 
ein nicht mit äußerster Vorsicht gegenüber qualitativen Eigen^ 
Schäften übernommenes Quantum dem Qeschäft schweren Schaden 
bringen. 

Aber noch ein in der Betriebstechnik beruhender Gegen- 
satz von großer Tragweite gehört hierher. Die moderne Rüben- 
zuckerfabrik arbeitet nur etwa 60 Tage, allerdings während dieser 
Zeit mit äußerster Anspannung. In der Raffinerie huigegen ist 
die Betriebsintensität eine sehr schwankende; Marktverhältnisse, 
Vorräte usw. sprechen da mit. Dabei aber wird der Betrieb 
im allgemeinen etwa Vi des Jahres aufrecht erhalten. In neuester 
Zeit geht man sogar immer mehr dazu über, möglichst das 
ganze Jahr den Betrieb in Gang zu halten und gestaftet sich nur 
eine 4— öwöchentliche Betriebseinstellung, um notwendige Repara- 
turen auszuführen. .Während also in der Rübenzuckerfabrik eine 
Betonung des Saisoncharakters eingetreten ist, wird die Raffi- 
nationsindustrie vom diametral entgegengesetzten Streben neuer- 
dings geleitet. 

Das sind jedenfalls prinzipielle Divergenzen zwischen den 
beiden Betriebsgruppen, die zu überwinden und einer Wirtschafts- 
einheit einzuordnen ein ungewöhnlich hohes Maß von äußerem 
Druck notwendig machen. Das mag wohl auch dazu beitragen, 
daß verhältnismäßig spät für eine Industrie, welche in so un- 
verfälscht kapitalistischem Geiste groß geworden ist, die Frage 
der Kombination der Hauptproduktionszweige akut geworden ist. 

Man darf nämlich nicht den Begriff aus dem Auge lassen, 
den die Kombination mit sich verbindet. Es kommt hier auf 
die Vereinigung verschiedener Produktionsstadien in einem Be- 
trieb an, und zwar scheint uns darin ein wesentliches Merkmal 
zu liegen, daß die Zusammenfassung eine solche ist, daß der 
technische Vorteil derselben möglichst restlos ausgenützt werden 
kann, im Gegensatz zu dem kaufmännischen, welchen die Inter- 
essengemeinschaft sich schon zu sichern vermag. 

Bevor wir auf die Kombination als eine Form der Weiter- 
bildung des fabrikmäßigen Großbetriebs näher eingehen, sei auf 
eine gewisse Parallelerscheinung hingewiesen, welche durch Ver- 
gleich mit den Betriebsformen sich aufdecken läßt, welche die 
Industrie vor Eingreifen der Großtechnik durchlaufen hat. Es 
braucht nur an den Gegensatz erinnert zu werden, der um 1850 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 119 

noch zwischen der Rohzuckerfabrik und der Raffinerie bestand, 
als diese sich weigerte, Rübenzucker zu verarbeiten^. Damals 
waren viele Rohzuckerfabriken gezwungen, ihr Fabrikat in eigenem 
Betrieb zu raffinieren. Die damalige Technik der Zuckerbereitung 
und die wenigen gebräuchlichen Formen raffinierter Ware er- 
leichterten ihnen diesen Schritt. Und doch erklärten sich schon 
damals sämtliche Fachleute gegen die Raffination im Betrieb 
der Rohzuckerfabrik, obgleich der Saisoncharakter der letzteren 
sich eigentlich kaum schon verschärft hatte. Selbst in jenen 
Kleinbetrieben stieß man sich an der großen inneren Verschieden- 
heit des Wesens beider Betriebsgruppen, obgleich man von 
solchen im eigentlichen Sinne noch nicht sprechen konnte. Man 
raffinierte eben meist unter vorwiegender Benutzung der zur 
Rohzuckerdarstellung gehörigen Einrichtung und trachtete so, 
das in ihr steckende Kapital besser auszunützen. Aber mit 
wachsender Betriebsgröße und dem Sinken der Spannung zwischen 
Rohzucker und Raffinerieprodukten infolge der besseren Technik 
erkannte man diesen Vorteil immer mehr als einen scheinbaren. 
Dazu kam, daß damals noch das Raffinieren eine geheimnis- 
volle Kunst war, welche die Fabrikherren ängstlich hüteten, zu- 
dem die Raffinerieeinrichtungen der Rohzuckerfabriken meist un- 
genügend waren, sobald es sich um größere Mengen handelte. 
Ein schlechtverkäufliches, minderwertiges Produkt wurde dadurch 
die regelmäßige Erscheinung, die um so mehr in die Augen 
fiel, als die Raffinerien große Fortschritte in ihrer Einrichtung 
zu machen lernten. Dieser Z^istand war aber weitverbreitet nur 
so lange, bis die Raffinerien sich dazu entschlossen, Rübenzucker 
zu kaufen. Da zersetzte sich diese rudimentarische Form des kom- 
binierten Betriebs in ihre Bestandteile, nur die Werke behielten 
sie bei, welche ihre Raffinationseinrichtungen seinerzeit ausgebaut 
hatten: Es entstand die Rohzuckerfabrik, und damit wurde der 
Nährboden bereitet, auf dem die Zuckerindustrie technisch und 

1) Von der gesamten Rohzuckermenge, welche raffiniert wurde, 

trafen auf 

Rohrzucker Rfibenrohzucker 

1842 in Preußen 83,1 »/o 16,9% 

in den übrigen Zoll Vereinsstaaten . . 73,9 „ 26,1 „ 

im Zollverein 81,4 „ 18,6 „ 

1848 in Preußen 69,5 „ 30,5 „ 

in den übrigen Zollvereinsstaaten . . 60,8 „ 39,2 „ 

im Zollverein 68,5 „ 31,5 „ 



120 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Großbetriebs. 

wirtschaftlich zur Großindustrie geworden ist. Es liegt hier eine 
Form der Kombination vor, die einmal nicht voll entwickelt ist» 
der aber anderseits gewisse Züge handwerksmäßiger Organisation 
anhaften. Sie prägen sich z. B. darin aus, daß der Raffinations- 
betrieb nur dann aufgenommen wird, wenn die Rübenverarbeitung 
ruht, daß er also nur so nebenher betrieben wird. Zusammen- 
fassend ergibt sich: Wie ehedem der handwerksmäßig kombi- 
nierte Kleinbetrieb im spezialisierten Mittel- und Großbetrieb 
gipfelte, so drängt der spezialisierte fabrikmäßige Großbetrieb 
auf eine Weiterbildung, die nur in Richtung des kombinierten 
Großbetriebs liegen kann. 

Die Typen des Entwicklungsganges des fabrikmäßigen Groß- 
betriebs uns zu vergegenwärtigen und in ihr^n Grundlinien zu 
charakterisieren, soll nun unsere Aufgabe sein. 

Gewißermaßen als Vorstufe der durch die Kombination be- 
zeichneten Entwicklungsreihe ist das Auftreten gewisser zentrali- 
sierender Erscheinungen im Kreise der Rohzuckerfabrikation zu 
betrachten. Um den kombinierten Betrieb in dem oben fest- 
gestellten Sinne handelt es sich hier streng genommen nicht 
Trotzdem beansprucht die Vollständigkeit ein Eingehen auf diesen 
Fall. 

Da die grundsätzliche Bindung der Rüben verarbeitenden Be- 
triebe an den Boden auf E)ezentralisation dringt, die sich ihrer- 
seits je nach der Agrarverfassung, der Verkehrsgestaltung, der 
historischen Entwicklung und dem Wirtschaftsgrößenaufbau in 
verschiedenen Graden der Schärfe abstuft, verfiel man auf eine 
lokale Trennung der die Rohzuckerfabrikation umfassenden Pro- 
duktionsakte, und zwar in der Weise, daß man die Saftgewinnung 
von der Verdampfung separierte. Diesen Gedanken vertritt ein 
seit 1Ä67 in Frankreich weitverbreitetes System, das wir kurz- 
weg als das französische bezeichnen wollen. Danach umfaßt die 
Wirtschaftseinheit zwei Betriebsgruppen. Die erste wird von einer 
Anzahl Saftgewinnungsstationen gebildet, den Raperien, die dis- 
loziert in den Rübendistrikten den Rohsaft liefern und ihrer 
Aufgabe entsprechend nur mit geringen mechanischen Kräften 
ausgestattet sind. Die Raperien, die mit Walzenpressen meist 
arbeiteten, sind durch Rohrleitungen verbunden mit der zweiten 
Betriebsgruppe, der Zentralstation, welcher die Verarbeitung der 
von den Raperien zufließenden Rohsäfte zufällt. Jhr Betrieb kann 
unschwer nach Art des fabrikmäßigen Großbetriebs organisiert 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 121 

sein, ein Vorzug» der gerade bei ausgiebiger Dampf- und Kraft- 
verwendung für die Massenverarbeitung besonders günstige Ver- 
hältnisse bringt 1). Doch die Praxis hat längst über dies System 
den Stab gebrochen. Seine schweren Schäden haben wohl auch 
dazu beigetragen, daß die französische Zuckerindustrie ihre einst 
führende Stellung nicht mehr wiederzugewinnen vermocht hat. Die 
Nachteile lassen sich etwa so zusammenfassen: Die Raperien 
vermögen sich nicht die Vorteile der Massenverarbeitung zu 
sichern, da ihre Betriebskosten sonst zu hoch sind. Dement- 
sprechend müssen sie bei Wahl ihrer technischen Hilfsmittel ver- 
fahren. Jedes von diesen Außenwerken liefert einen anders zu- 
sammengesetzten Rohsaft, auf seine spezifischen Eigenschaften 
kann die Zentralstation so gut wie keine Rücksicht nehmen. 
Auf dem Wege zur Verdampfungsstelle erleidet der Saft trotz 
konservierender Zusätze Veränderun'gen, welche sehr von zu- 
fälligen Erscheinungen abhängig sind, und welche die Verarbeitung 
erschweren. Auch die Gefahr des Saftverlustes in den Leitungen 
ist nicht zu unterschätzen. Das Verfahren scheiterte also in letzter 
Stelle an mangelhafter Rücksichtnahme auf die besondern Eigen- 
schaften des Materials. Infolge der steuergesetzlichen Maßnahmen 
ist es in Deutschland nie zur Anwendung gekommen. 

Dagegen liegen hier Versuche vor, eine Dezentralisation in 
der Weise durchzuführen, daß man in zerstreut gelegenen Be- 
trieben den Rohstoff auf Dicksaft verarbeitete und ihn dann in 
eine Zentralstation transportierte, die ihn auf Rohzucker oder 
auf Konsumware verarbeitete, ohne ihn zuvor in Rohzucker 
überzuführen. Ober die Ergebnisse ist wenig in die Öffentlichkeit 
gedrungen, und von einer Verbreitung dieses Verfahrens hat man 
in Deutschland nichts gehört. 

Mit wachsendem Großbetrieb beschritt man statt dessen mit 
entschiedenem Glück den Weg, durch Ausbildung bester Ver- 
kehrsmittel den Bezugskreis des Rohstoffs nach dem Prinzip 
der Zentralisation auszuweiten, ein Vorgehen, dem die gewaltige 
allgemeine Entwicklung des 'Verkehrs wirksam zu Hilfe kam. 
So erwuchs denn in E)eutschland die Rübenzuckerfabrik als 



^) Die erste Fabrik nach diesem System, von Linard erbaut, hatte 
eine 8 km lange Saftleitung. 1872/73 bestanden schon 81 Raperien, die 
34 Hauptfabriken gehörten. Die größte Anlage, die zu Cambrai, hatte 
150 km Saftleitung und sollte mit 25 Raperien arbeiten. Man wollte so 
auf eine Verarbeitung von 2,5 Mill. dz. Rüben kommen. 



122 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Orofibetriebs. 

Zentralfabrik, wobei der Schwerpunkt der gesamten Industrie 
sich in Richtung der spezialisierten Betriebsform verschob. Von 
dem Augenblick an, in dem sie die volle Ausnützung der Fracht- 
grenzen erreichte und sich ihrer Orößenentwicklung so eine 
Schranke entgegenstellte, gewinnt für sie das Problem Geltung 
welches wir an den Ausgangspunkt unserer Betrachtung stellten: 
durch Einbeziehung der zunächst, gelegenen Produktionsstadien 
in der Kombination die Grenzen der eigenen Organisation im Kom- 
plex des gesamten Wirtschaftslebens vorzuschieben. 

Indem wir an diesen Ausgangspunkt zurückkehren, sei davon 
ausgegangen, eine Rohzuckerfabrik erkenne ihren Vorteil in der 
größtmöglichen Summierung der fabrikmäßig betriebenen Pro- 
duktionsakte, also in der Herstellung des höchstqualifizierten Oe- 
brauchszuckers, der Raffinade, einschließlich der Oberführung in 
die vom Konsum beliebten zahlreichen Formen. Übrigens wird 
das heute am ehesten dann der Fall sein, wenn in der Nähe eine 
Raffinerie fehlt und das Absaljzgebiet unmittelbar vor der Tür 
liegt, wo also die Bedingungen für die Ausbeutung eines natür- 
lichen Frachtvorsprungs in bezug auf Raffinerieprodukte vorliegen. 
Insofern hier eine Rohzuckerfabrik mit einer kompletten Raffinerie 
vereinigt wird, kommt diese Betriebsform dem in voller Rein- 
heit entwickelten Gedanken der fabrikmäßigen Kombination am 
nächsten. Diese Form hat zwingende wirtschaftlich-technische Vor- 
aussetzungen : 

1. Die Raffinerie muß in ihrer Größe so bemessen sein, daß 
sie die Mengen Halbfabrikat, welche die Rohzuckerfabrik bei 
voller Belastung liefert, anstandslos sofort weiterverarbeiten 
kann. E)enn nur so wird sie sich den vollen technisch er- 
reichbaren Vorteil sichern können. 

2. Da eine dementsprechend bemessene, kombinierte, voll- 
ständige Raffinerie angesichts der Konkurrenz selbständiger 
meist größerer Raffinerien nur dann existenzfähig sein wird, 
wenn es ihr gelingt, die Ausnützung des in ihr investierten 
Kapitals auf die gleiche Zeitdauer zu verteilen, wie jene 
Konkurrenzbetriebe, welche V* bis 1 Jahr ohne Unter- 
brechung arbeiten, so ist sie auf den Zukauf fremder Roh- 
zucker angewiesen. Damit aber gerät sie wieder in die Ab- 
hängigkeit vom Markt, der zu entgehen ein Hauptzweck 
des kombinierten Betriebs ist. Anders ausgedrückt heißt 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Grofibetriebs. 123 

das : Die erstrebten technischen Vorteile sind nur temporären 
Charakters. 

Immerhin sind die Vorzüge dieser Betriebsform recht be- 
stechend. Während des Betriebs in beiden Betriebsgruppen kann 
der Dicksaft gleich in die Raffinerie hinübergeleitet und sofort 
auf ein Produkt verarbeitet werden, welcher gegebenenfalls der 
Raffinade sehr nahe steht. Es fällt damit die Rohzuckerarbeit 
und der Auflösungsprozeß weg auf Kosten einer im ganzen wenig 
komplizierteren Behandlung des Dicksaftes in der Raffinerie. Ein 
Teil der Produktionsmittel erzielt während des kombinierten Be- 
triebes einen höheren Grad der Ausnutzung als bei individu- 
alisiertem Betrieb, Ersparnisse an Frachten, Lagerungskosten und 
Spesen sind zu erwarten, gegenüber den Erfordernissen des 
Marktes größere Beweglichkeit, soweit es sich um den Konsum 
handelt, schließlich Reduktion der Generalunkosten. Dagegen er- 
geben sich kostensparende Einrichtungen im ganzen wohl nicht, 
da die Rohzuckerfabrik die Verarbeitung der Rüben zu Rohzucker 
gegebenen Falls übernehmen muß, die Raffinerie aber auch mit 
der Verarbeitung von Rohzucker zu rechnen hat. 

Den Vorzügen sind aber wichtige Nachteile gegenüber zu 
stellen, die weniger von technischer als organisatorischer Art 
sind. Darin, daß der Übergang notwendig ist von der Verarbeitung 
des eigenen Dicksaftes zu der eigenen oder gar gekauften Roh- 
zuckers liegt schon eine technische Schwierigkeit, da sich dieser 
Übergang erfahrungsgemäß meist nicht so glatt vollzieht; es 
werden hierzu besondere Hilfsapparate und Vorkehrungen nötig, 
und das Personal bedarf regelmäßig eine gewisse Zeit, bis es 
sich auf den neuen Betriebsgang wieder eingearbeitet hat. Die 
wenn auch geringe Verschiedenheit der Arbeitsprozesse, wie sie 
die Mannigfaltigkeit der Ausgangsprodukte des Veredelungs- 
prozesses involviert, gibt Anlaß zur Unsicherheit ihres vollen 
Gelingens. Der von so überaus vielen Einzeloperationen zu- 
sammengesetzte Produktionsprozeß des kombinierten Betriebes 
erfordert bei höchstmöglicher Ausnutzung aller Produktionsmittel 
eine gegenüber dem Betrieb in Einzelgruppen eminent gesteigerte 
Sorgfalt. Denn eine vielleicht geringfügige Störung verschleppt 
sich durch alle Stationen hindurch bis zum Endprodukt, da Aus- 
gleichspunkte nur an wenigen Stellen und da nicht ohne jede 
nachteilige oder störende Beeinflussung des Ergebnisses geschaffen 
werden können. Die größte Schwierigkeit liegt indessen außer 



124 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs. 

der Abhängigkeit vom Rohzuckermarkt während eines großen 
Teils des Jahres und der geringen Anpassungsfähigkeit an ihn 
in der Organisation der Leitung, obgleich die Praxis sich über 
diesen Punkt meist hinwegzutäuschen beflissen ist. Die anta- 
gonistischen Bestrebungen in den Einzelproduktionskreisen sind 
schon festgestellt worden. Rohzuckerfa.brik wie Raffinerie stellen 
an sich schon sehr hohe Anforderungen an die Leitung. Wieviel 
schwerer aber ist erst die Vereinheitiichung der beiden Direktions- 
zentren ! Hier kann nur der Grundsatz strenger Zentralisation die 
Lösung bringen. Von einer Aussonderung der Dirigenten beider 
Betriebsgruppen und ihre Zusammenfassung in einer Spitze kann 
nicht die Rede sein. Es muß vielmehr bei der Zentralstelle die 
Möglichkeit und — - die Fähigkeit vorliegen, jede Gruppe wenn 
auch nicht in den feinsten Details, so doch in ihren technisch- 
wirtschaftlichen Grundzügen mit ziemlich weitem Eindringen in 
den Arbeitsprozeß von oben zu beeinflussen. 

Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß diese Betriebsform 
da vollends verfehlt ist, wo die Rüben bauenden Aktienbesitzer 
sich in die Geschäfte der Leitung zu mischen bemüht sind und 
mit mißgünstigen Blicken jede selbständige Regung derselben 
betrachten. Mangelhafte Bewegungsfreiheit in den Entschließun- 
gen der Leitung — ein Übel übrigens, an dem heute sehr viele 
Unternehmungen kranken — stellt hier von vornherein dem Wirt- 
schaftsergebnis die denkbar ungünstigste Prognose. 

Immer wieder hat man diesen Typ der Kombination praktisch 
erprobt. Durchgehens waren die Erifolge kümmerlich. Nur da, 
wo die Ausbeutung eines lokalen Absatzgebietes infolge ungün- 
stiger Frachttarife der nächstgelegenen Raffinerien gesichert war, 
und der Frachtvorsprung einen guten Teil des Risikos zu ver- 
nachlässigen gestattete, wie z. B. bei manchen süddeutschen 
Betrieben, hat man mit dieser Betriebsform gute Erfahrungen 
gemacht, auch da rentiert sie wohl noch, wo ein altes Unter- 
nehmen in den glänzenden Jahren der Vergangenheit die ganze 
Betriebseinrichtung trotz aller Neuanschaffungen und Verbesse- 
rungen vollständig hat abschreiben können oder sonstwie finan- 
ziell besonders glänzend dasteht. Natürlich handelt es sich hier 
um eine Existenz auf Kosten der Vergangenheit. 

Damit gab aber die Industrie den Kombinationsgedanken in 
der vorliegenden Begrenzung nicht auf, und gerade in neuerer Zeit 
hat es den Anschein, als ob man im Begriffe sei, auf dem ein- 



Die Wetterbildung des fabrilcmäßigen OroSbetriebs. 125 

geschlagenen Wege eine lebensfähige Form seiner Ausgestaltung 
zu finden. Es läßt sich eine Form des gemischten Betriebs beob- 
achten, deren Typisches darin besteht, daß der kombinierte Be- 
trieb, wie wir ihn eben zeichneten, mit einer Anzahl fracht- 
gänstigst gelegener Rohzuckerfabriken, deren Rohzucker nach 
der Kampagne die Raffinerie speist, zu einer Wirtschaftseinheit 
verschmolzen wird. Aus praktischen Gründen bilden diese Roh- 
zuckerfabriken mit dem kombinierten Betrieb nur eine Interessen- 
gemeinschaft meistens. So gelingt es, die Raffinationseinrich- 
tung unabhängig von den Marktbewegungen am Rohzuckermarkt 
ohne Unterbrechung voll auszunützen und die Produktion genau 
der jeweiligen Marktlage anzupassen. Jetzt ist es möglich, die 
Organisation beider Betriebsgruppen entsprechend den wechseln- 
den und vielfältigen Ansprüchen der Raffinerie und des Marktes 
aufs sorgsamste auszubauen, die Oeneralunkosten herabzudrücken 
und die Frage der Oesamtleitung befriedigend zu lösen. Gerade 
diese Frage wird jetzt fast gegenstandslos, denn es steht nichts 
im Wege, die Einzelbetriebe einen jeden für sich nach seinen be- 
sonderen Eigentümlichkeiten zu entwickeln und zu verwalten. Je 
enger diese Interessengemeinschaft ist, in desto höherem Grade 
werden sich die Vorzüge derselben zum Vorteil der Einzelwirt- 
schaften ausnützen lassen. Aber schon eine ziemlich geringe An- 
näherung der beiden Betriebsgruppen genügt, um die Gefahren, 
die aus den Fehlerquellen des im Kernpunkt stehenden gemisch- 
ten Betriebes resultieren können, im Rahmen des großen Wirt- 
schaftsbereichs ganz bedeutend in ihrer Gefährlichkeit zu be- 
schränken, ganz abgesehen davon, daß sie technisch durch diese 
Form der Kombination ganz wesentlich sich herabmindern lassen. 
Mit diesem Betriebssystem im Aufbau eng verwandt ist das, 
welches sich ganz analog von der Raffinerie aus entwickelt hat. 
Es kommt so zustande: Eine Raffinerie will sich gewisse Beweg- 
lichkeit von dem Rohzuckermarkt verschaffen. Zu dem Zweck 
kauft sie eine Anzahl frach^ünstig gelegener Rohzuckerfabriken 
auf. Ein bekanntes Beispiel für diesen Typ gibt die Zuckerraffinerie 
Frankenthal, welche 1/4 bis Vö ihres Rohzuckerbedarfs aus zwei 
Rohzuckerfabriken deckt, die zwar als selbständige Erwerbs- 
gesellschaften dastehen, aber von ihr kontrolliert werden. Ohne 
auf das Für und Wider dieser Betriebsform wegen ihrer großen 
Ähnlichkeit mit der vorher beschriebenen einzugehen, beschränken 
wir uns auf die Feststellung, daß hier die organisatorischen 



126 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs. 

Schwierigkeiten auf ein Minimum beschränkt werden. Das drückt 
sich schon darin aus, daß alle Betriebsgruppen nur durch be- 
stimmte Abmachungen miteinander verknüpft sind, daß sie alle 
zusammen meist nicht einmal eine Wirtschaftseinheit ausmachen. 

Es ist in unserem modernen Wirtschaftsleben, in dem auf 
allen Gebieten der Konzentrationsgedanke fast tagtäglich in die 
Erscheinung tritt, einigermaßen auffallend, daß dieser Gedanke 
auf dem Gebiete der Zuckerindustrie in Deutschland sich noch 
nicht mit der Entschiedenheit durchgesetzt hat, wie es bei der 
hochkapitalistischen Entwicklung derselben zu erwarten wäre. Die 
Zahl der Betriebe, welche sich als mehrgliedrige Wirtschaften 
sei es in der Form der Kombination, sei es in der der Kombination 
und Interessengemeinschaft präsentieren, ist auffallend gering, 
obgleich in den besten Rübengegenden, wie in der Provinz 
Sachsen, über die auf die historische Entwicklung zurückzuführende 
Kleinheit der Betriebe bezw. der erreichbaren Rübenmengen leb- 
haft Klage geführt wird und jene Betriebsformen offenbar am 
ehesten geeignet wären, im Sinne einer Konzentration hier Besse- 
rung zu schaffen. Welche Ursachen stehen wohl dieser Entwick- 
lung entgegen? 

Die neuzeitliche industrielle Entwicklung lehrt, daß die Kom- 
bination von einzelnen Wirtschaftskomplexen und ihre Verbin- 
dung durch Interessengemeinschaften sich mit großer Leichtig- 
keit herzustellen pflegt, sobald der Ausbau eines einheiflichen 
Zweckgedankens notwendig und möglich erscheint, bei dem alle 
Einzelglieder auf ihre Rechnung kommen, und eine gewisse Be- 
weglichkeit der einzelnen .Wirtschaftselemente gegeben ist und 
erhalten bleibt. Gerade diese Beweglichkeit ist es aber, welche 
die Konzentrationsbewegung in jenem Sinne bei der Zucker- 
industrie vielfach hemmt. Der Wirtschaftsgeist ist ungeheuer par- 
tikularistisch, der in jenen Landstrichen, in denen sich Zucker- 
fabrik an Zuckerfabrik reiht, die durch den Aktienbesitz zur Rüben- 
lieferung verpflichteten Bauern häufig beherrscht. Hier fühlt sich 
der Landwirt vollständig mit seiner Fabrik verwachsen, er setzt 
seinen höchsten Ehrgeiz darin, daß sie eine mindestens ebenso 
hohe Dividende verteilt als die Nachbarfabriken, sollten dadurch 
auch die Rübenpreise in Mitleidenschaft gezogen werden. Mit 
jeder Faser sträubt er sich dagegen, wenn der Aufsichtsrat ihm 
eine Fusion oder etwas ähnliches mit einem oder mehreren der 
naheliegenden Werke empfehlen würde, aus der alle Teile sicher- 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Oroßbetriebs. 



127 



lieh nur profitieren würden. Kommt es dann einmal wirklich zu 
Verhandlungen, so neigen die Parteien in der Regel 2x1 maßlosen 
Überschätzungen der Einlagen, die sie zu bieten haben, und 
kommen aus der Furcht vor Übervorteilungen nicht heraus, 
so daß von vornherein die denkbar geringste Aussicht auf einen 
günstigen Ausgang gegeben ist. Es spricht jedenfalls manches 
für die Vermutung, daß oft der Landwirt sich eher zu einer Kürzung 
der Dividende als zu dem Opfer der Selbständigkeit seiner Fabrik 
verstehen würde. 

Zweitens aber ist die Lage der deutschen Zuckerindustrie 
mit ihrer chronischen Überproduktion seit langen Jahren eine 
derartige, daß vollständige Neuanlagen von Rohzuckerfabriken 
und Raffinerien zu den größten Seltenheiten gehören. Um eine 
Ncuanlage der Raffinerie mindestens würde es sich dabei handeln 
müssen, da wegen des noch vorhandenen scharfen Interessen- 
gegensatzes zwischen beiden Produktionsgruppen kaum eine der 
bestehenden Raffinerien sich zu einer Fusionierung herbeilassen 
dürfte, zumal es sich hier vielfach um alte renommierte Unterneh- 
mungen handelt, die ihren Geschäftsbetrieb in langjähriger Arbeit 
entsprechend den von Fall zu Fall anders gelagerten Verhältnissen 
entwickelt haben. ^) Auch liegen die Raffinerien ganz anders 
zum Absatzgebiet als die Rohzuckerfabriken. Während jene her- 
vorragende, zur Rohstoffzufuhr geeignete Handelsplätze aufsuchen, 
können diese, wie bekannt, sich von der Bindung des Bodens als 
Produktionsmittel überhaupt nicht befreien. Es ist regelmäßig 
besonderen geographischen Verhältnissen zuzuschreiben, wenn ein- 
mal eine Raffinerie in unmittelbarer Nähe von Rohzuckerbetrieben 
liegt, wie z. B. es in dem durch die Elbe so begünstigten säch- 
sischen Rohzuckergewinnungs und -Veredelungsgebiet der Fall ist. 

Soviel in Erfahrung gebracht werden konnte, ist nur einmal 



^) Die Zahl der tätigen Raffinerien im deutschen Zollgebiet bewegt 
sich abwärts. Sie betrug im Jahre 



1871/72 79 

1872/73 73 

1873/74 74 

1874/75 70 

1875/76 65 

1876/77 68 

1877/78 64 



1878/79 63 

1879/80 61 

1880/81 58 

1881/82 58 

1882/83 58 

1883/84 57 

1884/85 61 



1885/86 60 

1886/87 48 

1887/88 48 

1888/89 46 

1889/90 51 

1890/91 52 

1891/92 51 



1892/93 58 

1893/94 57 

1894/95 55 

1895/96 56 

1896/97 51 

1897/98 50 

1898/99 49 



1899/00 48 

1900/01 47 

1901/02 46 

1902/03 45 

1903/04 46 

1904/05 48 

1905/06 43 



128 Die Weiterbildung des fabrikmiißigen Qroftbetriebs. 

vor wenigen Jahren ein Projekt aufgetaucht, das jenen Kom- 
binationsgedanken in seiner ganzen OroBartigkeit vertrat, während 
es sich bei den bis heute feststellbaren Fällen äußerst selten um 
mehr als drei Rohzuckerfabriken und eine Raffinerie handelt, 
also immer noch ein großer Teil des Rohzuckers anderweitig hin- 
zugekauft werden muß. Man hatte damals den Plan, eine ganze 
Reihe Rohzuckerfabriken des Umkreises zwecks Herstellung von 
Raffinerieprodukten mit einer in Frellstedt gelegenen Raffinerie 
auf genossenschaftlicher Grundlage zusammenzuschließen^). Be- 
zeichnenderweise zerschlug sich das Projekt an der beabsichtigten 
Preisberechnung für den Rohzucker und der Gewinnbeteiligung 
der Rohzuckerfabriken am Raffinationsgewinn. Die einzelnen Er- 
werbswirtschaften versteiften sich eben auf die vollständige Un- 
antastbarkeit ihres selbständigen Charakters, auf welche wohl 
die bäuerlichen Aktieninhaber übertriebenen Wert legten. Immer- 
hin ist für die Ausgestaltung dieses alten Gedankens größere 
Aussicht vorhanden, wenn die äußeren Verhältnisse einmal 
drückender geworden sind, vielleicht lernt auch dann die Zucker- 
industrie, den Vorteil des einzelnen in .dem der größeren Wirt- 
schaftseinheit zu suchen und auf alle sich teuer bezahlt machende 
Eigenbrödelei zu verzichten. 

Und doch hat es den Anschein, als ob der entscheidende Grund 
für die offensichtliche Abneigung gegen den geschilderten Kon- 
zentrationstyp tiefer läge. Für die ideale Form der Zusammen- 
fassung der fabrikmäßig betriebenen Produktionsstadien, die da- 
durch bezeichnet wird, daß eine Raffinerie ihren vollen Rohzucker- 
bedarf aus eigenen frachtgünstigst gelegenen Fabriken deckt, sind 
bisher nach dem Gesagten nur Vorstufen der Entwicklung vor- 
handen, indem manche Raffinerie bezw. der kombinierte Betrieb 
einen Teil des Bedarfs aus eigenen bezw. durch Interessengemein- 
schaft verbundenen Erzeugungsstätten deckt. Jenes Ideal ver- 
körpert zweifellos einen Gedanken hervorragender Kühnheit, in- 
dem die Raff inerie bezi. des Rohzuckereinkaufs gänzlich unabhängig 
vom Markte wird; trotz der gekennzeichneten Hemmnisse wäre 
das Interesse des Kapitals für ein solches Projekt wohl zu wecken 
gewesen, schiene nicht das wirtschaftliche Ergebnis der so zu- 
stande gebrachten Betriebsform angesichts der notorischen Un- 



») „Die deutsche Zuckerindustrie«, 1903, S. 587. — F. O. Licht, 
Statistische Mitteilungen, 21. November 1903. 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 129 

Sicherheit des Betriebsausfalls aller sich mit der Zuckerdarstellung 
befassenden Unternehmungen besonders stark gefährdet. 

Ein Gradmesser für die geringe Sicherheit des Betriebsergeb- 
nisses ist zweifelsohne der Charakter der Kursentwicklung. Um 
eine Vorstellung von der Sprunghaftigkeit derselben zu geben, 
genügt der Hinweis auf die weiter oben^) mitgeteilten Notierungen 
und Dividende der Körbisdorfer Zuckerfabrik, Akt-Ges. Es kann 
nicht genug betont werden, daß die Zuckerindustrie in besonders 
hohem Maße Zufälligkeiten unterworfen ist, welche eine vis major 
darstellen, gegen die alle Waffen aussichtslos geführt werden, 
und denen gegenüber Schätzungen mit äußerster Vorsicht aufzu- 
nehmen sind.*) 

Man stelle sich nun vor, daß eine ganze Anzahl sehr ver- 
schieden aufgebauter Wirtschaftseinheiten, die den variabeln Ein- 
flüssen ganz verschiedener Fehlerquellen unterliegen, sich zu einer 
einzigen Wirtschaftseinheit zusammenschließen. In dem Falle 
würde nicht etwa ein Ausgleich jener Schwankungen in den 
Kursen der neuen großen Wirtschaftseinheit zu konstatieren sein, 
oder dieser würde sich nur in ganz ungenügendem Grade voll- 
ziehen. Im Gegenteil, eine Verschärfung der Schwankungen würde 
die wahrscheinliche Folge sein, da die angegliederten ehemals 
ganz selbständigen Betriebswirtschaften frachtgünstigst zur Zen- 
trale, der Raffinerie, liegen müssen, das heißt aber in der Mehr- 
zahl der Fälle, sie müssen in nächster Nähe gelegen sein. So 
verschieden die Bodenverhältnisse in einem Umkreis von 100 km 
beispielsweise sein können, unter den Böden, für die der Rüben- 
bau in Betracht kommt, wird aber jedenfalls längst nicht diese 
Verschiedenheit herrschen, besonders wenig werden aber im 
Durchschnitt die für den Ernteausfall so wichtigen Witterungs- 



Siehe S. 108. 

*) E. Wagen, a. a. O. — Soweit jene Zufälligkeiten mit den Ver- 
hältnissen des Marktes im Zusammenhang stehen, hat die Industrie seit 
dem Eintritt des lebhaften Preisniedergangs in den achtziger Jahren 
großen Wert darauf gelegt, über den Ausfall der Zuckerernte in allen 
Ländern, die Lage des Ausfuhrgeschäfts, Import und Export usw. gut 
unterrichtet zu sein. Damals warf man der deutschen Industrie vor: 
Sie versteht am besten, Zucker zu machen, aber am schlechtesten, ihn 
zu verwerten. (Generalvers, des Vereins der deutsch. Rüben-Zuckerind.) 
Die Klagen über mangelhafte statistisch^ Berichterstattung wollten lange 
nicht verstummen. Vergl. Vereinszeitschrift 1885, S. 529; 1889, S, 535; 
1893, S. 602; 1894, S. 372. 

Schuchart. Zuckerindustric 9 



130 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Qrofibetriebs. 

Verhältnisse in diesem Umkreis voneinander abweichen, woraus 
bei der ganz besonderen Bedeutung des Ernteausfalls für den 
Betriebsausfall der Werke der Beweis für die Verschärfung der 
Schwankungen nach der Seite des Reingewinnes bezw. Verlustes 
resultiert. 

In dieser Unsicherheit und dem natürlichen Mangel an Kon- 
tinuität scheint ein gewichtiges Hemmnis für die Entwicklung 
der Betriebskonzentration im Sinne der Vereinigung einer größeren 
Zahl Rohzuckerfabriken mit einer Raffinerie zu liegen, die voll- 
ständig mit ihrem Rohzucker versorgt wird. 

Bisher war lediglich die Rede von Weiterbildungen des fabrik- 
mäßigen Großbetriebs, welche die Angliederung des Raffinations- 
prozesses mit Einschluß der Überführung seines Produkts und 
der Abfallprodukte in die marktgängigen Formen zum Ziel hat, 
und zwar galt dabei für die Größenbemessung der Grundsatz, daß 
die Raffinerie die von der vollbelasteten Rohzuckerfabrik an- 
fallenden Mengen Halbfabrikat vollständig sogleich auf Konsum- 
ware aufzuarbeiten befähigt sein mußte. Wir hatten es hier mit 
der reinsten und fortgeschrittensten Form der Kombination zu 
tun.. Nun gibt es aber in viel weitrer Verbreitung weniger ent- 
wickelte Formen, über die wir uns einen Oberblick nun verschaffen 
wollen. 

Zunächst ist da die Betriebsform zu nennen, die nur einen 
Teil des anfallenden Halbfabrikats sogleich auf Raffinerieprodukte 
weiter verarbeitet, die ev. soweit geht, daß sie in der Kampagne 
das Raffinieren überhaupt aufgibt und sich ganz ausschließlich 
auf die Herstellung von Rohzucker beschränkt, nachher aber, 
je nachdem ihre Kalkulation nach dem Marktpreis ausfällt, ihren 
eignen Rohzucker ganz oder teilweise oder mit Zukauf raffiniert, 
oder ihn so verkauft, oder aber ihn ohne nochmalige Um- 
schmelzung auf ein Produkt vorarbeitet, welches zwischen Raf- 
finade und Rohzucker seiner Durchschnittsqualität nach steht. ^) 
Diese Betriebe haben den Vorteil, daß ihre Raffinationseinrich- 
tungen wesentlich geringeren Kapitalsaufwand erfordern, zu- 
mal vielfach die Einrichtung zur Rohzuckerfabrikation wenigstens 
teilweise beim Raffinieren benützt wird, wodurch die Zins- und 
Amortisationsquote sich für diese verbessern läßt. Diese Betriebs- 
form kommt vor meist bei älteren Fabriken, welche ihre alte 



Näheres siehe S. 132. 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 131 

Einrichtung wenigstens zum Teil noch verwerten wollen, wenn 
sie Neubauten vornehmen; ihre Betriebsgröße liegt selten über 
der über die ganze Industrie genommenen DurchschnittsgröBe, 
viel häufiger ist sie kleiner, und deshalb lassen sich die Schwierig- 
keiten in der Leitung relativ leicht überwinden. Die Schwan- 
kungen des Marktes beeinflussen nur den Verkauf im allgemeinen, 
da man bei lebhaften Preisbewegungen Zukaufen aus dem Wege 
zu gehen sucht. Bei geschickter Leitung und angemessener Be- 
wegungsfreiheit derselben kann diese Betriebsform zumal, wenn 
es gelingt, die Erzeugung auf wenige Marken mit Vorteil zu be- 
schränken, sehr wohl einer voUkommeren Form der Kombination 
oder der Spezialisation in der Rohzuckerfabrik vorzuziehen sein. 

Aber hier zeigt sich schon durch Vergleich mit den vorher 
kenntlich gemachten Typen, wie wenig es möglich ist, auf dem 
Gebiete der Zuckerindustrie generelle Grundsätze für die Wahl 
der Betriebsform etwa normieren zu wollen. Qualität und Quan- 
tität des Fabrikats, die Lage zum Markt, ob man direkt oder durch 
Vermittlung ins Ausland verkauft oder auf einen bestimmten 
Absatzkreis im Inland rechnet, die Fracht- und Wertmengen 
der Roh- und Hilfsstoffe und die Lage zu ihren Bezugsorten, die 
Unternehmungsform sowie die Kontrolle und Bewegungsfreiheit 
des leitenden Organs, die Art der Finanzierung und der Stand 
des Unternehmens, alles das sind ganz abgesehen von der Be- 
triebseinrichtung und den in ihrem Verhältnis zueinander von 
sehr verschiedenen dynamischen Wirkimgen begleiteten Produk- 
tionsfaktoren Punkte, welche in die Frage der Betriebsform je 
nach den individuellen Umständen mehr oder weniger stark hin- 
einspielen. 

Bei dem zuletzt charakterisierten Kombinationstyp liegt der 
Schwerpunkt durchaus in der Rohzuckerfabrik. Im ganzen ist er 
wohl heute im Absterben begriffen, wenn auch noch eine über- 
reiche Differenzierung besteht, von jener Fabrik, die regelmäßig 
mindestens ihren eigenen Rohzucker raffiniert, bis zu der, welcher 
das nur in Eventualfällen und Teilmengen möglich ist, die also 
nur vermöge einiger mehr oder weniger sorgfältig ausgebildeten 
Appendices den Marktbewegungen sich anzupassen unternimmt. 

In diesem Chaos können wir nur einen T3rp des kombinierten 
Betriebes noch einigermaßen deutlich abgrenzen. Die Merkmale 
der Kombination sind bei ihm noch viel schwächer entwickelt. 
Das ist die sog. Weißzuckerfabrik. Seitdem in Deutschland eine 



132 Die Weiterbildung des fabrikmäSigen Grofibetriebs. 

Rübenzuckerindustrie besteht, haben es manche Unternehmer für 
profitabel gehalteUi ihre Produktion so zu leiten, daß sie einen 
genußfähigen Zucker direkt aus dem Rübensaft fabrizierten. Die 
technische Vorbedingung für die Weißzuckerdarstellung ist eine 
möglichst sorgfältige Behandlung der Säfte, deren Reinheit man 
dadurch zu bessern sucht, daß man den Zuckerlösungen möglichst 
viel Rohzucker zusetzt Man arbeitet mit „Einwurf'' in Dünnsaft. 
Mit Vorliebe verwendet man als Einwurf die im Laufe der Zucker- 
fabrikation anfallenden Nachprodukte. Dr. Rümpler^) bezeichnet 
diesen Vorgang so. „Eine Rübenzuckerfabrik, welche Konsumware 
herstellt, ist nichts andres als eine Raffinerie, die Saft anstatt 
Wasser zur Bereitung der Kochkläre verwendet Dieser Unter- 
schied hat aber auch einen Unterschied in der Reinheit der 
Lösungen und damit auch in der Qualität der zu erzielenden Pro- 
dukte zur Folge.'' Das Produkt pflegt man als Saftmelis zu be- 
zeichnen und kommt als Kristallzucker in Form eines Haufwerks 
loser glänzender Kristalle oder als Pil^zucker in zusammenhän- 
genden Stücken in den Handel.^) Der Kristallzucker, der auch 
gemahlen wird, spielt in Deutschland besonders seit dem Auf- 
schwung des Exportes eine große Rolle und ist auf dem englischen 
Markte unter der Bezeichnung Oranulated außerordentlich beliebt.^) 
Reine Weißzuckerfabriken sind heute in Deutschland nicht 
sehr verbreitet, trotzdem ihnen die Technik die Mittel in die Hand 
gegeben hat, ein Produkt zustande zu bringen, das häufig den 



A. Rümpler, a. a. O. S. 414. 

«) Zur Charakteristik der verschiedenen Produkte diene folgendes: 
Die Raffinadeföllmasse wird entweder auf Brote oder auf Platten, 
Streifen und Wöriel verarbeitet In beiden Fällen geschieht das Decken 
heute fast allgemein in Zentrifugen, in die man den Zucker in Form 
von Broten oder Platten bringt. Viele Raffinerien stellen auch Kristall- 
zucker, PM und gemahlene Zucker her. So werden z. B. die Abläufe 
des Raffinade-Erstproduktes auf Pild, die von Pil^ auf Kristallzucker 
manchmal verarbeitet. Die Lösungen, welche auf letzteren verkocht 
werden, stellen als Raffinerieprodukt keine besonders hohen Anforde- 
rungen an die Reinheit. Die Raffinerien beanspruchen deshalb für 
ihren Kristallzucker unbedingte Superiorität gegenüber dem der Rüben 
verarbeitenden Fabrik, welche ihnen von diesen aufs heftigste bestritten 
zu werden pflegt. 

•) Obgleich gelegentlich zwischen Kristallzucker und granuliertem 
Zucker unterschieden wird, pflegt der Zuckerhandel den granulierten 
Zucker als einen Kristallzucker zu betrachten, der sich nur durch ein 
großes Korn auszeichnet. 



Die Weiterbildung des fabriktnäöigen Großbetriebs. 133 

Vergleich mit dem aus Raffinerien stammenden nicht zu scheuen 
braucht, wie Fachleute versichern. Das hängt zweifellos mit dem 
Zurückweichen der Exportziffer und der Gefahr zusammen, die 
manchen Werken in den vorigen Jahren arg mitgespielt hat, daß 
sie nämlich den richtigen Augenblick zum Verkauf verpaßten und 
dann eine derartige Oberfüllung des Marktes in Granulated eintrat, 
daß sie auf ihren Vorräten sitzen blieben. Jedenfalls hüten sich 
reine Weißzuckerfabriken vor zu großer Ausdehnung. Verlangen 
sie aber danach zwecks Herabsetzung ihrer Produktionskosten, 
so müssen sie sich zur Kombination ausbauen, falls sie nicht 
vorziehen, sich zur Rohzuckerfabrikation zu spezialisieren. 

Der technische Aufbau der Weißzuckerfabrik zeigt, daß es sich 
hier eigentlich um eine Betriebsform handelt, die gar nicht die 
Eigenschaften einer Kombination besitzt. Selbst wenn, wie es zur 
Zeit noch nicht vorgeschrittener Betriebsgrößenentwicklung vor- 
kam, eine derartige Fabrik Rohzucker, Granulated und raffinierte 
Ware sogar darstellte, eine Zersplitterung, die ganz allein aus der 
selbständigen Marktpreisbewegung eines jeden dieser Fabrikate 
resultiert*), so handelt es sich immer nur um die teilweise Auf- 
arbeitung des aus der Verarbeitung der Rüben anfallenden Halb- 
fabrikats in ununterbrochener Arbeitsfolge, oft hingegen nur um 
eine aushilfsweise Angliederung, die sich technisch mit sehr ge- 
ringem Aufwand herstellen läßt, besonders wenn alte Einrich- 
tungsstücke dazu verwandt werden können, so daß hier nur 
von einer andeutungsweise vorhandenen Kombinationsform die 
Rede sein kann. Der Entwicklungsgang ist heute schon klar er- 
kennbar. Die Weißzuckerfabrik, die in der Umschaltung ihres 
Produktionsgangs auf Rohzucker, Granulated und Raffinade ein- 
schließlich der vom Konsum jeweils bevorzugten Marken ihren 
Vorteil sucht, ist nach dem Urteil aller Autoritäten eine aufge- 
gebene Betriebsform. Sie paßt mit ihrer noch etwas handwerks- 
mäßigen Produktion nicht in den Stil des fabrikmäßigen Groß- 
betriebs, der sich auf einer ungeheuer verfeinerten Technik und 
auf einer Organisation aufbaut, die auf die Bedingungen derselben 
und einer entwickelt kapitalistischen Wirtschaft in allen Teilen 
zugeschnitten ist. Außerdem ist bei ihr die Gefahr, ein minder- 
wertiges Produkt zu liefern, weitaus größer als beim Großbetrieb, 
der viel weniger unter dem Wechsel des Materials und den Folgen 



•) Vergl. S. 85. 



134 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs. 

mangelnder Betriebssicherheit zu leiden hat Die Beobachtung 
lehrt, daß die Raffinadefabrikation in der Weißzuckerfabrik heute 
nahezu ausgestorben ist. Die für den Großbetrieb neuzeitlich 
charakteristische Richtung identifiziert sich mit einer entschiedenen 
Spezialisation zum reinen Rohzuckerbetrieb bezw. zur Kom- 
bination der Rohzuckerfabrik mit der Weißzuckerfabrik. 

Und gerade, was diese letztere Form der Kombination an- 
geht, so gibt CS technisch und organisatorisch eigentlich nichts 
einfacheres als diese Art des gemischten Betriebs. Die ganze 
Änderung an der Einrichtung beschränkt sich auf einige wenig 
kostspielige Zusatzapparate, welche einen Teil des Saftes gleich 
auf Oranulated zu verarbeiten haben, während ein anderer Teil 
zu Rohzucker fabriziert wird. Dabei ist es ohne Umständlichkeit 
möglich, die ganze Saftmenge auf Rohzucker verarbeiten zu 
lassen, indem sich durch höhere Polarisation die größere auf 
die Saftreinigung verwandte Sorgfalt bezahlt macht. Diese An- 
ordnung hat den Vorzug ziemlich erheblicher Anpassungsfähigkeit 
an den Markt. Da sie sich mit billigen Mitteln erkaufen läßt, 
ist dieser Betriebstyp heute weit verbreitet. Es gibt dabei zahl- 
reiche Variationen von der Rohzuckerfabrik an, die gelegent- 
lich einen nur geringen Teil ihres Rohmaterials auf weiße Ware 
verarbeitet, bis zu derjenigen, die imstande ist, ihre ganze Produk- 
tion darauf einzurichten, wenn sich aus der Marktlage ein Vor- 
teil erwarten läßt. 

Die eingeschworene Gegnerin aller sich mit Weißzucker- 
arbeit befassenden Fabriken ist natürlich die Raffinerie, welche 
mit ihren im Auflösungsprozeß gewonnenen Kristallzuckern sich 
mit aller Energie gegen die Weißzucker zur Wehr setzt, die 
ihr das Absatzgebiet strittig machen. Die Weißzuckerfabrik 
drückt sehr bald die Preise, dafür entschädigt sich die Raffinerie 
durch Druck auf die Rohzuckerpreise. Das Verhältnis zwischen 
den beiden Gruppen illustriert ein Artikel in der Zeitschrift „Die 
deutsche Zuckerindustrie" 1906 Nr. 13, in dem folgendes aus- 
geführt wird: 

„Die Raffinerien werden behindert, ihre Kauffähigkeit zu er- 
halten durch das Auftauchen von Offerten von allen möglichen 
Rohzuckerfabriken, welche die Arbeit auf Weißzucker aufnehmen. 
Die Weißzuckerfabriken richten sich nun in keiner Weise nach 
den Rohzuckerpreisen, wie die Raffinerien es tun müssen, die 
dadurch die Preise hochhalten, sondern sie sind zu jedem Preise 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 135 

verkaufsgeneigt. Dadurch wird die weiße Ware im Preis ge- 
drückt, und dann sind die Raffinerien erklärlicherweise nicht mehr 
in der Lage, jene besseren Preise^) zu bewilligen, die sie unter 
anderen Umständen bezahlen könnten. Leidet die Rohzucker- 
industrie unter diesen Verhältnissen im allgemeinen, so trifft 
die Weißzuckerfabriken die Strafe doppelt. Einmal können sie 
ihren Rohzucker, soweit sie ihn noch verkaufen, nur zu schlechte- 
ren Preisen unterbringen, auf der anderen Seite arbeiten sie die 
Weißzuckerpreise herunter. Und da sie immer unter den Forde- 
rungen der Raffinerien verkaufen müssen, wenn sie etwas los 
Werden wollen, so machen sie Geschäfte in Weißzucker zu 
Preisen, die klar zutage treten lassen, in welcher Weise sie sich 
selbst schädigen. Die Preisschleuderei der Weißzuckerfabriken 
geschieht nur auf Kosten der Rübenpreise, und es sind schließ- 
lich die Landwirte die allein Leidtragenden.^' 

Das läßt erkennen, wie verwickelt hier die Verhältnisse liegen 
und daß die Okkupation der Weißzuckerfabrikation seitens der 
Rohzuckerfabriken jedenfalls eine recht zweischneidige Waffe im 
Konkurrenzkampf ist^). 

Rekapitulieren wir nochmal kurz, so sehen wir in der 
deutschen Zuckerindustrie moderenen Zustandes die voll aus- 
gewachsene Form der Kombination, welche die komplette Raffi- 
nerie neben die Rohzuckerfabrik gleicher Leistungsfähigkeit stellt 
und welche sich durch Angliederung einer Anzahl Rohzucker- 
fabriken leistungsfähiger zu machen sucht, neben der stark ver- 
kümmerten Form in der Weißzuckerfabrik, die nur weiße Ware 
herstellt. Dazwischen bleibt kenntlich der Typ der Rohzucker- 
fabrik, die nur den eigenen Rohzucker raffiniert, oder sich da- 
mit begnügt, diese Operation nur mit einem Teil des eigenen 
Produktes vorzunehmen, ferner die unendlich mannigfaltigen Ab- 
stufungen, welche aus der Kombination der Rohzuckerfabrik mit 
der Weißzuckerfabrik hervorgehen. Der Oesamteindruck ist also 
keineswegs ein einheitlicher. Bei der Eigenart der Zucker- 
industrie, bei der eigentlich jeder die Rohzuckergewinnung nicht 
als Spezialität betreibende Betrieb nach seinem besonderen Be- 



1) Damals bezahlten die Raffinerien Preise für Rohware, welche 
0,30 bis 0,40 Mk. über Exportparität lagen. 

>) Willy Weidner, Der gegenwärtige Stand der Zuckerfrage, Magde- 
burg nnd Wien 1903. 



136 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Orofibetriebs. 

triebsplan arbeitet, ist wenig Neigung zu scharf ausgeprägten 
Formen des gemischten Betriebes vorhanden. 

Bisher war nur die Rede von Erscheinungsformen der verti- 
kalen Konzentration innerhalb des Gebietes der fabrikmäßigen 
Verarbeitung des Rohstoffs, Im Produktionsprozeß rückwärts- 
schreitend ist nun noch die Frage der Angliederung des Prozesses 
der Urproduktion zu erörtern. Hier ist heute schon eine wesent- 
liche Klärung eingetreten. Der Weg, die Räbengewinnung dem 
Prozeß der fabrikmäßigen Darstellung des Zuckers anzugliedern, 
ist eigentlich bei weitem nicht mit so großem Eifer beschritten 
worden, wie man es hätte erwarten sollen. Zwischen der land- 
wirtschaftlichen und gewerblichen Produktion bestehen von Hause 
aus schon tiefgehende natürliche Divergenzen, aus denen heraus 
sich eine Verkuppelung beider nur unter gewissen Zwangsmaß- 
regcln entwickeln kann. Es ist gezeigt worden, daß mit dem 
.Wachstum der Betriebsgröße eine entschiedene Tendenz zur Ver- 
selbständigung des Fabrikbetriebes auftrat, die sich in dem Rück- 
gang der Eigenrübenmenge gegenüber der Qesamtrübenmenge 
sehr deutlich aussprach. Jener harte Zwang war damals wirk- 
sam, als die Rübenkultur noch wenig verbreitet war und das 
Rohmaterial hinsichtlich seiner Güte den Ansprächen der Fabriken, 
die unter der Materialsteuer seufzten, zunächst wenig genügte. 
Um überhaupt eine gute Rübe zu bekommen, blieb nichts anderes 
übrig, als den Landwirt selbst am Ergebnis der Fabrik zu inter- 
essieren, wie es in der Aktienzuckerfabrik mit den durch den 
Aktienbesitz zum Rübenbau verpflichteten Aktionären der Fall 
war^), oder aber man mußte selbst den Rübenbau in die Hand 
nehmen. Dieser letztere Weg wird heute nur noch da betreten, 
wo die Lieferanten eben noch mittelmäßige Rüben liefern und 
wo sie am Unternehmen selbst nicht beteiligt sind. Das ist 
z. B. in Süddeutschland vielerorts der Fall, wo der stark zer- 
splitterte ländliche Besitz im Verein mit seinen Folgeerscheinungen, 
als mangelhafte Bodenbearl>eitung, sehr starke Viehhaltung usw., 
bisher für ein erstklassiges Material noch nicht die ausreichen- 
den Garantien bietet. 

Immerhin ergibt sich, wie die beigefügte Zusammenstellung 
zeigt, für die in eigener Regie gebauten Rüben pro Hektar ein 



^) Die gleiche Absicht vertreten die genossenschaftlichen Grün- 
dungen mit Lieferungszwang. 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 137 

höherer Qewichtsertrag als für die Aktien- und Kaufrüben, und 
es ist sicher, daß eben diese Rüben qualitativ entschieden höher 
zu bewerten sind als jene. Abweichungen von dem regelmäßigen 
Mehrerträgnis der Eigenrüben sind übrigens, wie sich im einzel- 
nen Fall feststellen läßt, auf Rechnung der Witterung zu «etzen, 
welche die Ernte in den Landstrichen mit starkem Eigenrüben- 
bau besonders benachteiligt hat. 

Es wurden Rüben geerntet pro Hektar in I>oppelzentner 

bei den 
Aktienrüben 

278 
283 
344 
305 
320 
307 
280 
297 
293 
327 
266 
303 
251 
335 

Trotz der höheren Erträge wird von den Fabrikanten der 
betr. Fabriken oft versichert, daß ihnen die Eigenrüben höher 
zu stehen kommen als die Aktien- und Kaufrüben, und daß 
dementsprechend der Rübenbau mehr ein notwendiges Übel als 
eine profitable Sache für die Fabriken ist. 

Gerade in Süddeutschland hat sich durch diese Kombination 
der Rohzuckerfabrik einerseits und anderseits durch die hier be- 
vorzugte Angliederung der Raffinerie an die Rohzuckerfabrik eine 
Betriebsform herausgebildet, die sich in den übrigen Landstrichen 
Deutschlands nur ausnahmsweise findet. Man darf ihn wohl 
den süddeutschen Typ nennen^). Er stellt also eine doppelte 
Kombination dar. Die Leitung ist so organisiert, daß die diri- 
gierenden Organe des Fabrikationsprozesses mit denen der Ur- 





bei den 




KaufrUben 


1892/93 


272 


1893/94 


277 


1894/95 


318 


1895/96 


312 


1896/97 


316 


1897/98 


310 


1898/99 


275 


1899/00 


286 


1900/01 


295 


1901/02 


337 


1902/03 


258 


1903/04 


303 


1904/05 


228 


1905/06 


331 



ei den 


Durchschnitt!. 


enrfiben 


Ertrag 


287 


279 


251 


275 


356 


329 


312 


310 


363 


323 


353 


313 


322 


285 


310 


292 


317 


296 


346 


334 


293 


264 


322 


304 


241 


242 


348 


334 



^) Vergl. die Tabellen S. 96—99. 



138 Die Weiterbildung des fabrikmäfiigen Oroßbetrlebs. 

Produktion nur durch die Oeneraldirektion mit einander in Ver- 
bindung stehen, sich im übrigen aber nicht im geringsten gegen- 
seitig behelligen. Dieser Typ einer Betriebsform ist nicht ein 
Merkmal eines besonders entwickelten Betriebes, sondern eines 
solchen, der hinsichtlich der Rohstoffbeschaffung große Schwierig- 
keiten zu überwinden hat, der indes gegenüber dem Markte 
durch wichtige Vorteile dafür entschädigt wird. 

Bei den skizzierten Formen der Kombination, welche in der 
modernen deutschen Zuckerindustrie anzutreffen sind, handelt es 
sich um eine Ausweitung des Betriebs in Richtung des Produk- 
tionsganges, um die vertikale Konzentration. Das Konzentrations- 
problem innerhalb dieses Industriezweiges wäre aber nicht voll- 
ständig ausgeschöpft, würde nicht des imposanten Versuchs mit 
derjenigen Konzentrationsform Erwähnung getan, die in horizon- 
taler Richtung ausgreifend, einen einheitlichen Wirtschaftsverband 
schaffen will, d. h., die durch Zusammenfassung der Wirtschafts- 
kreise aller koordinierter Einzelbetriebe einen einzigen großen 
Wirtschaftskomplex im Kartell zusammenschweißen will. Daß 
diese Organisation sich über alle auftretenden Betriebstypen, 
Rohzuckerfabrik, Raffinerie, Weißzuckerfabrik und Melasseent- 
zuckerungsanstalt erstrecken und die Totalität derselben mög- 
lichst restlos erfassen mußte, war die Grundbedingung für die 
Wirksamkeit dieses Apparates und die eminente Schwierigkeit 
seines Zustandekommens. Und daß hier gerade die Weißzucker- 
fabriken der Kartellierung im Wege standen, welche die Produktion 
der beiden großen Betriebsgruppen, der Rohzuckerfabrik und 
der Raffinerie, zu regulieren beabsichtigten und ihre Profite zum 
Teil einsteckten, liegt ja in der Natur der Sache^). Im Jahre 1900 
fand die Ausgestaltung des Konzentrationsgedankens ihren Ab- 
schluß im deutschen Zuckerkartell, das aus dem „Deutschen 
Zuckersyndikat", G. m. b. H., das die Rohzuckerfabriken um- 
faßt, und aus dem „Syndikat der deutschen Zuckerraffinerien" 
bestand und in seiner Mechanik auf der Gesetzgebung des Jahres 



^) Als Verteilungsmaßstab des Kartellnutzens diente die Kontingen- 
tierung, wie sie das Betriebsjahr 1900/01 auf Grund des Zuckersteuer- 
gesetzes gebracht hatte. Die Weißzuckerfabriken nahmen in doppelter 
Weise am Kartellnutzen teil, einmal an dem der Rohzuckerfabriken, 
dann auch an dem der Raffinerien (in dem Kartellpreis der Inland- 
raffinade). — C. Hager, Das Zuckerkartell, Berlin 1899. — W. Kaufmann, 
a. a. 0. S. 103 ff. 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 139 

1896 aufgebaut war, das aber mit Wegfall der Ausfuhrprämien 
infolge des Abschlusses der Brüsseler Konvention 1903 zu- 
sammenbrach 0* Oie Berücksichtigung der überaus reichen Diffe- 
renzierung, die nicht nur nach Lage, Größe und Einrichtung, 
sondern erst recht hinsichtlich des Zusammenhanges mit der 
Landwirtschaft, hinsichtlich der Betriebsform, der Art und Menge 
der Produkte und ihres Verhältnisses zu einander in der deutschen 
Zuckerindustrie besteht, brachte nicht nur einen Wirtschafts- 
apparat von ziemlicher Kompliziertheit zuwege, sondern machte 
die Kartellierung der etwa 450 Betriebe überhaupt nur unter 
einem starken Zwang der wirtschaftlichen Verhältnisse möglich. 
Dieser Druck wurde damals ausgeübt von der chronischen Über- 
produktion und dem erschütterten Export, für den das Kartell 
auf Kosten, des Inlandpreises sich zu entschädigen suchte^). Es 
dürfte wohl nicht zu bezweifeln sein, daß die Mannigfaltigkeit 
und Vielteiligkeit der Produktionsbedingungen und -Faktoren die 
Kartellierfähigkeit der Industrie außerordentlich stark benachteiligt 
hat und der Vermutung Raum gegeben wird, daß die Krönung 
der als Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebes fest- 
gestellten Kohzentrationsbewegung im Kartell sich selbst in der 
neuesten, an wirtschaftlichen Vereinheitlichungsbestrebungen so 
überreichen Zeit noch um einiges hinausschieben wird, bis sie 
als Reaktion auf starke Druckerscheinungen, wie sie z. B. ein 
starker Rückgang der Ausfuhr ohne entsprechenden Ersatz der- 
selben durch gesteigerte Aufnahmefähigkeit des Inlandsmarktes 
bringen könnte, zum Ereignis werden könnte. Wann das ein- 
treten wird, ist schwer zu sagen, aber daß es unter legalen Um- 
ständen eintreffen wird, ist die übereinstimmende Meinung fast 
aller Fachleute s). 

Wie wenig fruchtbar in der Hinsicht Spekulationen über 
die Zukunft der deutschen Zuckerindustrie sind, lehrt ein Blick 
auf die Technik derselben. Es war vom Brühverfahren die Rede, 



Willy Weidner, a. a. O. S. 34 ff. 

«) Vergl. Willy Weidner, a. a. O. — Dr. Brückner, Zuckernot und 
Abhilfe, „Deutsche Stimmen« 1902, Nr. 1, 2 und 3. — C. Meyer, Über 
die Lage der Zuckerindustrie, 1902. — A. Pohlman, Bedeutung des 
Zuckers im Welthandel, in „Patria«, Jhrb. der „Hilfe« 1903, - Vereins- 
zeitschrift 1897 u. fgd. 

•) Die Aussichten für das Zustandekommen eines Kartells sind 
durch die zu erwartende Kündigung der Brüsseler Konvention, die am 
1. September 1908 abläuft, ganz erheblich gestiegen. 



140 Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs. 

das die Diffusion möglicherweise einmal verdrängt. Wenn es 
gelingt, dieses Verfahren befriedigend auszubauen, wird die 
deutsche Zuckerindustrie in der Lage sein, mit billigeren Preisen 
den Weltmarkt zu betreten und dem Vordringen des Rohzuckers 
eher eine wenn auch nur vorübergehende Schranke entgegenzu- 
stellen. Damit dürfte die Frage der Kartellierung für eine Zeit 
wieder in der Versenkung verschwinden, bis eines Tages der 
alte Zustand der Überproduktion wieder akut werden wird. 

Der Niederbruch des Kartells als Folge der Brüsseler Kon- 
vention hat den engen Zusammenbruch zwischen Kartell und 
Schutzzoll unmittelbar zum Ausdruck gebracht Es liegt außer- 
halb des Rahmens unserer Aufgabe, festzustellen, inwiefern sich 
für ein neues Kartell unter der jetzt bestehenden Steuer- und 
zollpolitischen Situation Lebensbedingungen finden ließen. Zweifel- 
los würde jetzt seine Macht für den Inlandskonsum in weit 
weniger empfindlicher Weise fühlbar werden. 

Das Ergebnis unserer Betrachtung können wir etwa so zu- 
sammenfassen : In der individuellen Eigenart und der Mannig- 
faltigkeit der Roh-, Hilfs- und Fertigstoffe und ihrer Technik 
ist es begründet, daß in der deutschen Zuckerindustrie bisher 
noch wenige typische Betriebsformationen auskristallisiert sind, 
die den Zweckgedanken wirtschaftlicher Konzentration im Sinne 
einer Zusammenfassung in vertikaler Richtung verkörpern, etwa 
wie auf dem Gebiete der Qroßeisenindustrie^. Dazu ergeben 
sich aus der Vielheit und vielseitigen Verwendungsfähigkeit der 
bei der Produktion beteiligten Faktoren starke Widerstände gegen- 
über einer Systematisierung der Technik und der Produkte. Diese 
aber ist die Voraussetzung für alle Formen der Konzentration, 
welche den Gedanken der Kombination in voller Schärfe zur 
Entfaltung zu bringen beabsichtigen. Diese Systematisierung wird 
naturgemäß in kurzen, aus wenigen Gliedern bestehenden Pro- 
duktionsabschnitten am leichtesten erreichbar sein, woraus folgt, 
daß hier in Richtung der horizontalen Konzentration im ganzen 
wohl die größeren Aussichten zur Durchführung der Konzentrj^- 
tionsidee bestehen. In der Tat finden sich dafür im amerikanischen 



*) Ober die einschlägigen Verhältnisse auf diesem Gebiete vergl. 
Hans Gideon Heymann, Die gemischten Werke im deutschen Groß- 
eisengewerbe. Münchner Studien Nr. 65, 1904. 



Die Weiterbildung des fabrikmäßigen Qrofibetriebs. 141 

Zuckertrust, der nur Raffinerien umfaßt, und dem österreichischen 
Kartell der Raffinerien vollwertige Beispiele. 

Gegenüber dem Problem der Kombination tritt das der Spezi- 
alisation, das gelegentlich schon berührt wurde, an wirtschaft- 
licher Bedeutung erheblich zurück. Als Folge der Größenent- 
wicklung und des immer komplizierteren technischen Apparates, 
der verschiedenen Stellung der Technik zum Betrieb in der Roh- 
zuckerfabrik und der Raffinerie, war eine Separierung in den 
weitaus meisten Fällen nötig, um unter dem Eindruck der staat- 
lichen Maßnahmen den Stil des fabrikmäßigen Großbetriebs mit 
aller Entschiedenheit auszubilden. Die Abgliederung der Melasse- 
entzuckerung, der ausgeprägteste Fall für die Spezialisation in 
der Zuckerindustrie, war von dem Augenblick an eine Not- 
wendigkeit, als der aus der Melasse gewonnene Zucker den 
allgemeinen Abgabeverpflichtungen unterstellt wurde. Von nun 
an konnte die Verarbeitung der Melasse auf Zucker nur noch 
im Großbetrieb rentabel sein. 

Immerhin hat die Spezialisation im eigenen Arbeitsgang der 
Zuckerfabriken im Bereich kürzerer Produktionsakte hier und 
da Eingang gefunden, wenn auch viel häufiger nur andeutungs- 
weise Ansätze dazu anzutreffen sind. Durch die Beschränkung 
der Nachprodukte und Verbesserung ihrer Verarbeitung hat man 
mit Vorteil die Zahl der hergestellten Marken erniedrigen können, 
wobei die aus der Technik des Großhandels hergeleiteten Ten- 
denzen zur Standardisierung einen fördernden Einfluß ausübten. 
In den Raffinerien scheinen hier und da Bestrebungen im Gange 
zu sein, welche auf Vereinheitlichung der überaus zahlreichen 
Formen der Konsumware hinauslaufen, wie z. B. bei Herstellung 
des sog. Würfelzuckers in mehr als ein Dutzend Formaten. Die 
Herstellungskosten der Gewichtseinheit werden dadurch, obgleich 
die Maschinen dieselben sind, wenn auch nicht empfindlich, so 
doch merklich in die Höhe gerückt. Meist sind jedoch die für 
die Formgebung, Verpackung u. dergl. aufgewendeten Arbeits- 
kosten gegenüber den Gesamtkosten bei größeren Betrieben wenig 
ins Gewicht fallend und werden deshalb gegenüber den Vor- 
teilen größerer Anpassungsfähigkeit an den Markt bezw. die 
Wünsche der Kundschaft vernachlässigt. Gerade der Raffinerie- 
betrieb verlangt häufig dem kaufenden Publikum gegenüber sorg- 
fältiges Entgegenkommen, und besonders die deutschen Werke 
sind im Verkehr mit dem Ausland auf weitgehendes Eingehen 



142 Die Arbeiterverhältnisse. 

auf die Wünsche der Konsumenten angewiesen. Die Verschieden- 
artigkeit der Raffinerieprodukte in Technik und Güte läßt es 
vielfach vorteilhaft erscheinen, den Betrieb so einzurichten, daß 
er sich bequem von der Produktion einer Markenserie auf eine - 
andere bezvvr. mehrere gleichzeitig umschalten läßt, besonders 
dann, wenn nicht mit einem regelmäßigen Absatzgebiet ge- 
rechnet werden kann. 



3. Kapitel. 
Die Arbeiterverh&ltnisse. 

Jene gewaltigen Umwälzungen, welche die deutsche Zucker- 
industrie auf dem Wege zum fabrikmäßigen Großbetrieb und 
zur erstklassigen Großindustrie in Technik und Organisation 
durchgemacht hat, legen es nahe, die Wirtschaftsprinzipien zu 
analysieren, welche in ihr zu den verschiedenen Zeiten maß- 
gebend gewesen sind, um Anhaltspunkte für das System zu 
gewinnen, welches der Wirtschaftsbetätigung im Rahmen der 
einzelnen Wirtschaftsphase die charakteristischen Linien gibt. Die 
Entwicklung der herrschenden Grundsätze in den bezeichneten 
Perioden, von der Individualwirtschaft des Landbewohners an, 
der sich seinen Bedarf an Sirup selbst herstellt, bis zur letzten 
Stufe der Gesellschaftswirtschaft, der auf freier Lohnarbeit be- 
gründeten kapitalistischen Verkehrswirtschaft, würden wir im Be- 
reich der Rübenzuckerindustrie in wenigen Jahrzehnten finden, in- 
sofern der Obergang zwischen dem ersten und letzten Wirtschafts- 
stadium wie bei so vielen Industrien neuzeitlichen Charakters 
ganz unmittelbar erfolgt: Mit einem Schritt tritt die Wirtschaft 
aus dem Bereich der Individualbedarfsdeckung iii den des Erwerbs 
auf gesellschaftlicher Grundlage; aber welcher Anstrengungen 
bedurfte es immer, um diese letztere Erscheinungsform im Sinne 
einer fortschreitenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung umzu- 
bilden und auf die in stetem Fluß befindlichen Ziele unter einer 
wechselvollen Gesetzgebung auszurichten! 

Für unsere Betrachtung gewinnen die Wirtschaftsphasen erst 
Interesse von dem Augenblick an, in dem die Erwerbswirtschaft 
die Zuckerdarstellung okkupiert und sie industriellen Charakter 



Die Arbeiterverhältnisse. 143 

gewinnt. Der industrielle Oeist der ersten Hälfte des 19. Jahr- 
hunderts zeichnet sich deutlich in dem noch ganz auf persön- 
lichen Momenten beruhenden Erwerbsstreben. Der gewerbliche 
Kapitalismus, der, aus dem Mittelalter überkommen, im Raffi- 
nationsgewerbe vor dem Aufkommen der Rübenzuckerindustrie 
sein Wesen trieb, „lebt noch durchaus in den Formen handwerks- 
mäßiger Organisation weiter: wie er meistens in unmittelbarer 
Anlehnung an das vorkapitalistische Gewerbe entstanden ist, hat 
er dessen Existenzbedingungen auf sich selbst übernommen. 
Er ist gleichsam noch zufällig, seine Existenzweise ist traditionell, 
er ist noch bodenständig, seine Technik empirisch".^) Von diesem 
Kapitalismus ist die Zuckerindustrie in der vorkapitalistischen 
Epoche beherrscht. Da tritt die große Wendung um 1850 ein. 
Wenige Jahre vorher finden wir zuerst in der Raffinerie die große 
Revolution, in die sie mit der Entwertung ihres Privilegs gerät. 
Um nicht ganz an die Wand gedrückt zu werden, muß sie zur 
Einführung der Dampftechnik sich verstehen. Arg bedrängt wird 
sie von der neu erstandenen Rübenzuckerindustrie, für die sich 
alle Welt nun interessiert. Eine gewisse Nervosität ergreift das 
Unternehmertum, Gründungen kommen massenhaft zustande, oft 
ohne jede technische und wirtschaftliche Sorgfalt und Erwägung, 
im blinden Vertrauen auf goldene Berge wird gegründet, Zu- 
sammenbrüche erfolgen, abermals Neugründungen; vielleicht daß 
man nun etwas umsichtiger zu Werke geht oder den Fabriken 
größere Abmessungefn gibt: Neue Zusammenbrüche. Denn die 
besten Betriebe haben ihre Betriebsgröße inzwischen hinauf- 
geschraubt, ihre Technik verbessert und werfen mit ihren preis- 
werten und guten Produkten trotz erhöhter Abgaben immer 
wieder den Markt. Eine harte aber eine vortreffliche Schule 
ist dieses Auf- und Abfluten für den in vorkapitalistischen Grund- 
sätzen befangenen Wirtschaftsneuling. 

Das ist äußerlich das Bild der Genesis einer Großindustrie, 
welche die Fesseln des traditionellen Wirtschaftsgeistes zerbricht 
und durch die stufenweise erhöhten Lasten der Staatspolitik un- 
ablässig vorwärtsgetrieben wird. Die Technik wird hier wie 
ein gehetztes Wild rastlos vorwärts gepeitscht, bis man es vor- 
zieht, sie durch die Zuckerbrocken einer Prämienpolitik zu ihren 
höchsten Leistungen zu verlocken. Es ist in der Tat eine ganz 



^) W. Sombart, Kapitalismus, II. Bd., S. 423. 



144 Die Arbeiterverhältnisse. 

eigene Mischung von blutigem Zwang und süßer Lockung, welche 
den entfalteten Kapitalismus in der Entwicklung der deutschen 
Zuckerindustrie mit besonderer Reinheit und Schärfe frühzeitiger 
als in allen anderen Großindustrien hat erstehen lassen. Wollen 
wir in dem Werdegang der Zuckertechnik jenen Punkt namhaft 
machen, von dem aus der kapitalistische Geist über das Wesen 
der vorkapitalistischen Periode triumphiert, so kann kein Zweifel 
sein: Mit der Verwendung des Dampfes zu Kochzwecken im 
luftverdünnten Räume und zu motorischen Zwecken im Dampf* 
Zylinder ist das Schicksal des handwerksmäßig organisierten Be- 
triebs besiegelt. Der Dampf ist der eigentliche Träger des 
kapitalistischen Evolutionsgedankens, er trägt den neuen Stil in 
das Wirtschaftsleben. 

Wir können Werner Sombart beipflichten, wenn er sagt, 
daß die Zuckerindustrie neben der Spiritusindustrie „derjenige 
Zweig gewesen ist, an dem Deutschland sich zur kapitalistischen 
Großmacht entwickelt habe : etwa, wie die BaumwoU- und Eisen- 
industrie den Grund zu Englands Größe gelegt haf i) Das 
gilt natürlich nicht nur in bezug auf Massen- und Wertsteigerung 
der von diesen Industrien gelieferten Produkte. Wir möchten 
eine Erweiterung vornehmen: Die Spiritusindustrie steht nach 
der Seite großbetrieblicher Entfaltung durch das staatlich kon- 
zessionierte System der Betriebsgrößenverkümmerung unendlich 
hinsichtlich ihres inneren Wesensgehalts hinter der zu freieren 
kapitalistischen Regungen angereizten Zuckerindustrie zurück. 
Hier wurde die kapitalistische Wirtschaftsweise und ihre Technik 
im Großbetrieb prämiiert, und der komplizierte Produktionsprozeß 
ließ der kapitalistischen Technik einen hinlänglichen Raum zur 
Entfaltung, so daß heute die Zuckerindustrie in der gesamten 
deutschen Volkswirtschaft ein Beispiel eines der vorgeschritten- 
sten, wenn nicht den vorgeschrittensten Typ hochkapitalistischer 
Entwicklung darstellt. 

Als solcher umspannt sie vermöge der höchstmöglichen 
Steigerung des Erwerbsprinzips durch rationell-intensivste Be- 
triebsweise in der landwirtschaftlichen und gewerblichen Produk- 
tion in voller Schärfe alle jene Probleme, welche den neuartigen 
Stil in Technik und Organisation der Wirtschaft beleben, und 
die wir schon zum Teil aufgefunden haben. Sie stehen in innigstem 



^) W. Sombart, Kapitalismus, II. Bd., S. 87. 



Die Arbeiterverhältnisse. 145 

Ztisammenhang mit der revolutionären Wirkung, welche die 
kapitalistische Wirtschaft unausgesetzt auf die sozialen Schichtungs- 
verhältnisse ausübt Dem Konnex zw^ischen dem großindustriellen 
Charakter der deutschen Zuckerindustrie und der gewerblichen 
Lohnarbeit im Bereich derselben nachzuspüren, soll nun unsere 
Aufgabe sein. Die landwirtschaftliche Arbeiterfrage wird später 
in ähnlichem Zusammenhang zu erörtern sein. 



Der breite Strom der Wanderarbeiter, der sich seit Begründung 
des Rübenbaues alljährlich aus den östlichen Provinzen .Deutsch- 
lands, aus russischen und österreichischen Grenzgebieten in die 
intensiv bewirtschafteten, westlich gelegenen Distrikte zu ergießen 
pflegt, flutet mit Beendigung der Ernte wieder in den Osten 
zurück, regelmäßig aber lösen sich von ihm kleinere oder größere 
Trupps los, die in die Rübenzuckerfabriken wandern und hier 
für einen Teil des Winters lohnende Beschäftigung finden. Da- 
mit ergibt sich, daß die landwirtschaftliche Arbeiterfrage aufs 
innigste mit der Arbeiterfrage im Bereich der Rüben verarbeiten- 
den Industrie zusammenhängt, anderseits aber wird damit die 
Sonderstellung motiviert, welche die Kategorie der gewerblichen 
Lohnarbeiter im Raffineriebetrieb einnimmt. 

Es ist ein überaus buntes Gemisch von Arbeitskräften, das 
zum Beginn der Kampagne, Ende September oder Anfang Oktober, 
von fern und nah in den Rübenzuckerfabriken sich einfindet, 
nicht nur der Nationalität und dem engeren Heimatsbezirk nach, 
sondern auch nach seiner qualitativen Gliederung. Wenn jenes 
Wandervolk aus dem Osten heute in steigendem Maße das Haupt- 
kontingent unter der Zahl der Zuwandernden stellt, so ist immer 
doch noch ein starker Einschlag nationaler Elemente unter ihnen 
anzutreffen, Landproletarier, die aus minder kultivierten, nach 
Territorium und Klima wenig begünstigten Landstrichen stammen 
und nach dem Einbringen der eigenen Ernte für die )?7inter- 
monate auf Verdienst ausgehen. Ihre Scharen werden verstärkt 
durch zahlreiche gelernte und ungelernte Arbeiter der Industrie 
und des Baugewerbes, welche mif dem Eintritt kälterer Jahres- 
zeit freigesetzt zu werden pflegen. Die starke Absorptionskraft 
an Arbeitskräften, welche die überhandnehmende Industriali- 
sierung Deutschlands zeitigte, drückte schwer und schwerer die 
landwirtschaftlichen Unternehmer, welche angesichts der allge- 

Schuchart, Zuckerindustrie. 10 



146 Die Arbeitenrerhältnisse. 

meinen Landflucht dazu übergingen, immer größere Hilfstruppen 
zu mobilisieren und immer weiter ihre Bedarfsdeckungssphäre 
nach Osten vorzuschieben. CMe gewaltige Völkerwelle, die Jahr 
um Jahr nach Deutschland hereinflutete, wurde nicht nur der 
landwirtschaftlichen Produktion dienstbar, sie verschob auch 
wesentlich die Zusammensetzung im Arbeiterbedarf der Rüben- 
zuckerfabriken, in dem das deutsch-nationale Element fortgesetzt 
mehr dem russisch-polnisch-galizischen wich. 

Doch damit ist nur der Teil der Arbeiterschaft gekenn- 
zeichnet, der ausschließlich dem Bedürfnis der Kampagne dient. 
Mit der Ausdehnung des Großbetriebs wuchsen die Anforde- 
rungen an die Unterhaltung kostspieliger Maschinenanlagen und 
Apparate, Reparaturen und Änderungen galt es häufig vorzu- 
nehmen, die Räumung der Zuckerlager und die Ergänzung der 
Vorräte war zu betätigen. Dazu aber bedurfte es eines ge- 
schulten Personals für die Dauer des ganzen Jahres. Schon 
in den 50er Jahren entschloß man sich zu dem Schritt, auch 
wenn man die Raffination des Rohzuckers nicht selbst vornahm.^) 
Arbeit gab es ja damals, wo sozusagen jede Fabrik ihre eigene 
Technik pflegte und im wesentlichen auf Grund der eigenen 
Erfahrungen ihren Betrieb zu verbessern geneigt war, in der 
betriebsstillen Zeit des Jahres an Reparaturen und Neubauten 
immer in Menge. Diese Stammgruppe, die heute den vierten 
bis sechsten Teil der Saisongruppe in einer Rohzuckerfabrik aus- 
zumachen pflegt,^) besteht einesteils aus gelernten Handwerkern 
(Schlosser, Schreiner, Kupferschmied, Maurer), welche allerlei Aus- 
besserungsarbeiten, auch Neuanfertigungen vornehmen, sodann 
aus den mit der Überwachung von Maschinen u. dgl. betrauten 
Kräften (Maschinisten, Heizer, auch Batterieführer). Zu ihrer 
Unterstützung dienen schließlich eine Anzahl ungelernter Arbeiter, 
denen die Hof- und Lagerarbeiten obliegen.') Natürlich sind alle 



1) Die Zuckerfabrikation im Zollverein, Stuttgart 1861, S. 37. 

*) In gemischten Betrieben wächst der Anteil der Stammgruppe 
auf »/a bis */5 der Saisongruppe. 

3) Die Abgrenzung der Kategorien der gelernten und der unge- 
lernten Arbeiter genügt der Praxis nur in unzureichendem Maße. In- 
folgedessen bemüht man sich, die Zwischenstufe des angelernten Ar- 
beiters einzuschalten und löst diese wieder ihrerseits in Untergruppen 
nach äußeren Merkmalen auf. Vergl. H. Ehrenberg, Lage der Eisen- 
hüttenarbeiter im Ruhrrevier, 1906, S. 118. — Marshall, Handbuch der 



Die Arbeiterverhältnisse. 147 

diese Leute ortsansässig, zur Zeit der Kampagne werden sie 
auch wohl als Aufsichtspersonal verwandt, da sie mit allen Einzel- 
heiten vertraut sind. Vielfach sind sie im Dienste der Zucker- 
fabrik ergraut, die ihrerseits großes Interesse daran hat, aber 
einen Stab auf die tausendfältigen speziellen Betriebseigentümlich- 
keiten eingearbeiteter Leute zu verfügen, von deren Sorgfalt und 
Tüchtigkeit in hohem Maße die so hoch einzuschätzende Betriebs- 
sicherheit abhängt. 

Welche Wandlung hat die Entwicklung zum fabrikmäßigen 
Großbetrieb in dem Orößenverhältnis der beiden Arbeitsgruppen 
geschaffen? Diese Frage läßt sich auf Orund der hier einzig 
vorliegenden Statistik, der der Zucker-Berufsgenossenschaft, nicht 
beantworten. Wir können uns hier nur Vermutungen hingeben. 

Um überhaupt eine Vorstellung von der Arbeiterzahl zu geben, 
welche in der deutschen Zuckerindustrie (Rohzuckerfabrik, Raffi- 
nerie, Melasseentzuckerungsanstalt) in einer Betriebswoche durch- 
schnittlich beschäftigt zu werden pflegt, und um die Entwicklung 
dieser Zahl kennen zu lernen, führen wir die Statistik der Zucker- 
berufsgenossenschaft an, welche über die umlagepflichtigen Löhne 
und Gehälter sowie über die gezahlten Unfallentschädigungen 
Aufschluß gibt. (Seite 148.) Der größte Teil der im Betriebs- 
und Aufsichtsdienst beschäftigten Angestellten ist in diese Auf- 
stellung aufgenommen, die zwangsweise Versicherung schließt 
mit 6000 Mk. Jahreseinkommen ab, doch gehörten der Berufs- 
genossenschaft Ende des Geschäftsjahres 1905 noch 15, 1906 
18 Betriebsbeamte mit höherem Einkommen freiwillig an, wo- 
durch das Bild nur unwesentlich verschoben wird. 

Vergleichsweise sei angeführt, daß im Jahre 1848 in den 
50 Raffinerien Preußens, welche Rohrzucker verarbeiteten, 3463, 
in den 108 Rübenzuckerfabriken 9153, in der preußischen Zucker- 
industrie also 12616 Arbeiter beschäftigt waren, und daß für 
das Jahr 1852 die Zahl der im Winter in den Rübenzucker- 
fabriken des Zollvereins Beschäftigten auf 18000 geschätzt wurdet) 

Es kann angenommen werden, daß die Zahl der in nicht 
Rüben verarbeitenden Werken Beschäftigten in den letzten 20 
Jahren keine wesentlichen Änderungen erlitten hat. 

Volkswirtschaft, 1905, S. 241. — Zur Systematik der Arbeit und Arbeits- 
kräfte vergl. H. Deutsch, Qualifizierte Arbeit und Kapitalismus, Wien 
1904, S. 3 ff. 

») K. Siemens, a. a. O. S. 89ff. 



148 



Die Arbeiterverhältnisse. 





Statistik der Zuck«r>BerafsgeiioMeBMhaft. 




Jahr 


Zahl der in 
einer Betriebs- 
woche im 
Durchschnitt 
Beschäftigten 


Uffllasepfflcli- 

Uge LShne und 

Qebllter in 

Mk. 


Gezahlte Un- 

iallentschSdi- 

gungen In 

MIc. 


Durchschnitt- 
liches Jahres- 
einiconinien 
nach Sp. 2 u. 3 
InMk. 


An Raben 

wurden 

verarbeitet 

Mlll. dz •) 


1 


2 


3 


4 


9 


6 


1885/86') 


127200 


47712600 


34604 


375,10 


83,0 


1887 


106817 


33664679 


91751 


315,16 


69,6 


1888 


95420 


33411450 


151755 


342.94 


79,0 


1889 


97151 


35860062 


187787 


369,12 


98,2 


1890 


99953 


39658951 


249590 


396,78 


106,2 


1891 


99097 


41406749 


320861 


417,84 


94,9 


1892 


98331 


40544448 


354492 


412,33 


98,1 


1893 


97889 


40286517 


408356 


411,55 


106,4 


1894 


101164 


43418717 


462899 


429,19 


145,2 


1895 


100058 


43879034 


509683 


438,54 


116,7 


1896 


100655 


44251469 


565720 


439,64 


137,2 


1897 


100738 


45648544 


599797 


453,14 


137,0 


1898 


98219 


45 775 459 


642775 


466,05 


121,5 


1899 


97000 


45532715 


698218 


469,40 


124,4 


1900 


97141 


48 181 702 


738002 


495,99 


132,5 


1901 


99T74 


51684870 


807639 


518,01 


160,1 


1902 


97042 


47655519 


852734 


491,09 


112,7 


1903 


95645 


45607393 


874841 


476,84 


126,8 


1904 


94583 


43973869 


901567 


464,92 


100,7 


1905 


97158 


47773 534 


938248 


491,71 


157,3 


1906 


95581 


51798798 


966848 


540,94 


140,5 



Damit ist gesagt, daß die Schwankungen in dieser Zahlen- 
reihe nahezu vollständig aus der Bewegung der Arbeiterschaft 
in den Rohzuckerfabriken stammen, daß seit 1886 nur geringe 
Schwankungen aufgetreten sind, und daß sich hier abermals das 
bestätigt, was wir bereits anderweitig feststellten: Wahrend die 
durchschnittlich zu verarbeitende Rfibenmenge sich in der Zeit 



1) Umfaßt die Zeit vom 1. Oktober 1885 bis 31. Dezember 1886, 
infolgedessen nur beschränkt vergieichsfähig. 

>) Während sieh alle übrigen Zahlen auf das Kalenderjahr beziehen 
sind die der Spalte 6 auf das Betriebsjahr vom 1. September bis 
31. August bezogen. 



Die Arbeiterverhältnisse. 149 

rund verdoppelt hat, ist die Arbeiterzahl etwa dieselbe geblieben : 
Eine gewaltige Mechanisierung hat Platz gegriffen, ein Ersatz 
von Arbeit durch Kapital. 

Indem wir zu jener Frage zurückkehren, welche die Ver- 
schiebungen in der Stamm- und der Saisongruppe der Arbeiter- 
schaft in den Rüben verarbeitenden Betrieben behandelt, soll 
versucht werden, auf Grund der Bedürfnisse des aufstrebenden 
Großbetriebs einen Schluß bezl. der dort eingetretenen Ver- 
änderungen zu ziehen. 

Da ist zunächst daran zu erinnern, daß die technische Aus- 
stattung der Rohzuckerfabriken, seitdem sie zur Massenverarbeitung 
übergingen, große Fortschritte zumal auf dem Gebiete der Lasten- 
förderung gemacht hat. Die vorsintflutliche Technik des Hand- 
karrentransportes machte mit der Beschleunigung und der er- 
höhten Kapazität der für Massengüter rentabelsten Transport- 
und Beschickvorrichtung mit mechanischem Antrieb Platz. Der 
einst bei bescheidenen Rohstoffmengen von Menschen wimmelnde 
Fabrikhof, auf dem Muskelarbeit weitgehend zur Transportleistung 
herangezogen wurde, ist mittlerweile unter der Herrschaft der 
Kraftmaschine zum guten Teil verödet. Die dauernd mit an- 
nähernd derselben Intensität angewandte menschliche Kraftleistung 
ist ganz in den Hintergrund getreten, statt dessen benutzt man 
den menschlichen Motor möglichst da, wo eine beobachtende 
und überwachende Tätigkeit sich mit ihm verbinden läßt Denn 
der Unternehmer hat längst herausgefunden, daß menschliche 
Muskelkraft die weitaus kostspieligste Kraftquelle ist, über die 
er verfügt, und daß sich sein Betrieb günstiger meistens rentiert, 
wenn er die Kraftleistung von der menschlichen Tätigkeit aus- 
sondert und sie in möglichst geringen Mengen und nur in Zu- 
hang mit dem Intellekt des Inhabers beansprucht. Gerade auf 
dem Gebiete 'der Massenförderung ließ sich diese Trennung ver- 
hältnismäßig mit den einfachsten Mitteln und der besten Renta- 
bilität durchführen. 

Aber auch im eigentlichen Fabrikationsprozeß schritt die 
Mechanisierung und damit die Kapitalsinyestitur zu Gunsten der 
Menschenarbeit rastlos fort, und immer zahlreichere Arme wurden 
frei.^) Die Ausbildung einer ökonomisch richtigen Dampftechnik 
kam der steigenden Verwendung des gespannten Dampfes zu 



^) Bezogen auf die Gewichtseinheit Rohmaterial. 



150 Die Arbeiterverhälinisse. 

motorischen Zwecken zugute. Die elektrische Kraftübertragung 
redete der Zentralisation das Wort und ermöglichte und verbilligte 
die Verteilung mechanischer Energie unter schwierigen Um- 
ständen. Auch im inneren Betrieb der Werke machten die mo- 
dernen mechanisch betriebenen Einrichtungen zur Massengut- 
förderung glänzende Fortschritte. Alles dies und eine Fülle von 
Einzelmomenten, von denen nur der Fortschritt des Kontinuitäts- 
prinzips genannt sei, drängte dem großen Ziele der modernen 
kapitalistischen Entwicklung zu: Die teure, erniedrigende Ver- 
wendung des Menschen als Kraftquelle durch die mit Hilfe der 
Verbrennung der Kohle unter dem Dampfkessel erzeugte zu er- 
setzen und statt dessen in immer höherem Maße seine intellek- 
tuellen Fähigkeiten, die ihn über die Kreatur erheben, zur Ober- 
wachung von maschineller Arbeit zu entwickeln und nutzbar zu 
machen. 

So kam denn der Ersatz der Arbeit durch Ka^Htal zunächst 
der Qruppe der Saisonarbeiter zustatten. Ganz anders aber ge- 
stalteten sich die Dinge für die Leute der Stammgruppe. Da 
wo der Klein- und Mittelbetrieb sich ehedem gemüht hatte, unter 
Heranziehung selbständiger Handwerker, die vielfach vom Be- 
trieb der einzelnen Apparate nicht das geringste verstanden, bei 
jeder Betriebsstörung und Reparatur fertig zu werden, richtete 
man sich bei der noch mangelhaften Verbreitung technischen 
Verständnisses und Könnens und der Geheimnistuerei, die hier 
gang und gäbe war, bald darauf ein, Neueinrichtungen kleinerer 
Art und Änderungen u. dergl. in eigener Regie auszuführen. Der 
Großbetrieb schuf sich seine eigenen Spezialwerkstätten für Neu- 
anfertigung und Reparatur, er legte Wert darauf, einen Stamm 
gut geschulter Arbeitskräfte zu einer Handwerkerkolonne i) zu 
vereinigen, die den speziellen Aufgaben der Zuckerfabrik aufs 
sorgfältigste angepaßt war, in der die gleichen Leute zum Teil 
arbeiteten, welche in der Kampagne mit den betreffenden Appa- 
raten umzugehen hatten und sie bis in die feinsten Details ihrer 
Konstruktion und Wirkungsweise kannten. So schuf sich der 
Großbetrieb eine technische Hilfstruppe, die jeden Augenblick 
bereit war, in den Betrieb einzugreifen, welche alle vorkommenden 
Arbeiten als Spezialität betreiben konnte, und die in der Hand 



1) In der Rohzuckerfabrik besteht etwa der fünfte Teil der Stamm- 
arbeiter aus gelernten Handwerkern. 



Die Arbeiterverhältnisse. 151 

des Unternehmers das wirksamste Mittel darstellte, jede Betriebs- 
störung im Entstehen zu beseitigen. 

Ober das Maß der Betriebsgrößenzunahme wuchsen die Auf- 
gaben dieses Teils der Stammgruppe vornehmlich da, wo tech- 
nische Hilfe durch sachverständiges Personal nur mit Umständ- 
lichkeit zu erhalten war, in Gegenden zumal, welche vom Ver- 
kehr wenig begünstigt waren. Immer zahlreichere, größere und 
kompliziertere Apparate und Maschinen galt es während des Be- 
triebs zu überwachen, nach der Kampagne auseinander zu nehmen, 
in allen Teilen zu prüfen; schadhafte Teile mußten ausgewechselt 
und nachgearbeitet werden, und gerade bei diesen letzteren 
Arbeiten würde die Vornahme derselben an einem andren Ort als 
am Verwendungsort die Kosten oft ungeheuer verteuern, so daß 
zu dem Zweck ohnehin die Einrichtung einer mit den notwen- 
digen Hilfsmitteln ausgestatteten Reparaturwerkstätte selbst beim 
kleinsten Betrieb, falls er abseits lag, zur dringenden Notwendigkeit 
wurde. So war es nur ein Schritt, daß man von der Reparatur 
zur selbständigen Herstellung neuer Apparate und zu Umbauten 
größeren Stils überging. Während der Verkehr mit den Maschinen- 
und Apparatebauanstalten sich immer mehr auf die Beschaffung 
besonders komplizierter, qualitativ ausgezeichneter oder patent- 
rechtlich geschützter Artikel beschränkte, wuchsen Aufgaben und 
Leistungen der eigenen Werkstätten rapide, wo man mit teueren 
Frachten und umständlicher Beschaffungsmöglichkeit rechnen 
mußte. Vom Holzmodell des Gußstücks bis zum Einbau des fertig 
montierten Apparates, alle Arbeiten mit Ausnahme des Gusses 
und anderer schwieriger Operationen, für welche die Spezial- 
technik in Betracht kommt, nimmt der moderne Großbetrieb 
heute vielfach selbst vor, wobei er naturgemäß sein Augenmerk 
auf die Qualität des Produktes richtet besonders bei solchen 
Artikeln, welche bei Massenproduktion eine geringere Gewähr 
für ihre Güte bieten. 

Um die Gruppe der gelernten ständigen Arbeiter in ihrer 
Wirksamkeit zur vollen Ausnützung zu ergänzen, ist eine Zusatz- 
mannschaft notwendig. Diese wird von ungelernten, meist an- 
gelernten Arbeitern gebildet, welche jener zur Hand geht und 
dafür sorgt, daß die Differenzierung in ungelernte und Spezial- 
arbeiter möglichst in der Übernahme von Arbeiten zum Ausdruck 
kommt. Diese Leute finden auch als Hof- und Lagerarbeiter Ver- 
wendung, und von ihrer Zuverlässigkeit und Gewandheit hängt 



152 Die Arbeiterverhältnisse. 

manchmal für den Unternehmer mindestens ebensoviel ab als 
von den Eigenschaften der gelernten Handwerker. 

So leuchtet aus der Entwicklung der Oinge mit voller Klar- 
heit das Wesen der Verschiebung heraus, welcher der Groß- 
betrieb unter den beiden Gruppen zustande brachte. Die starke 
Freisetzung von Arbeitskräften der Saisongruppe durch die Ma- 
schine wird nahezu vollständig aufgewogen durch die Zunahme 
bei der Stammgruppe, welche über die Sicherheit des Betriebs, 
über die Arbeit der Maschine wacht, eine natürliche Folgeerschei- 
nung der zunehmenden Verdrängung des Menschen als Motor 
durch das Kapital. 

Damit ist zugleich die Antwort gefunden auf die wichtige 
Frage nach der Beeinflussung der Arbeitsqualifikation durch die 
Technik. Es ist gezeigt worden, wie die Sphäre der Verwendung 
reiner Muskelarbeit in der Rohzuckerfabrik entschieden stark ab- 
genommen hat und wohl auch noch künftig abnehmen wird. 
Dem gegenüber hat das Element des qualifizierten Arbeiters an 
Boden gewonnen. Zwischen ihm und dem markanten Typ des 
angelernten Saisonarbeiters wogt das Heer der angelernten Wan- 
derarbeiter und der ungelernten und angelernten Stammarbeiter. 
Weniger nach der Fertigkeit als der intellektuellen Fähigkeit 
scheint dabei der moderne Rohzuckerbetrieb zu differenzieren: 
Zum Heranschaffen der Rüben und Hilfsstoffe sowie zum Weg- 
schaffen von Abfallprodukten findet fast regelmäßig der auf nie- 
drigster Kulturstufe stehende russische oder polnische Arbeiter 
Verwendung, an den Apparaten im Innern der Fabrik hingegen die 
deutsch redenden Landproletarier, freigesetzte Arbeitskräfte aus 
der Industrie und den Gewerben; intelligentere von ihnen bezw. 
solche, die jahrelang auf derselben Station gearbeitet haben, 
pflegen wohl mit ihrer Überwachung betraut zu werden. Dann 
erst kommt die Gruppe der ständigen Arbeiter, der Heizer, 
Maschinenführer usw., die wohl zur Beaufsichtigung herangezogen 
werden und denen sich eine Kategorie niederer Auf Sichtsbeamter ^) 



*) Ober die wirtschaftliche Lage und die Funktionen dieser läßt 
sich wenig sagen; denn die Beschäftigung der einzelnen weicht in den 
verschiedenen Werken zu sehr voneinander ab. Da auch Wechsel der 
Aufsichtführenden auf den einzelnen Stationen während der Betriebs- 
zeit nichts seltenes ist, die letztere aber beim reinen Rohzuckerbetrieb 
heute recht kurz ist, fehlen charakteristische Merkmale für diese 
Kategorie. 



Die Arbeiterverhältnisse« 153 

überordnet So ist denn der Qroßbetrieb der RohzuckerfabrUc, das 
Resultat eines Verselbständigungsprozesses, durch eine reiche Dif- 
ferenzierung der Arbeit gekennzeichnet, die sich der Gestaltung 
der Lohnformen und der Lohnsätze natürlich mitteilt. 

Doch ehe auf letztere eingegangen werden soll, ist das Bild der 
von der Großtechnik umgebildeten Struktur der Arbeiterschaft 
in zwei Zügen noch zu ergänzen. 

Zum Kapitel der Frauen- und Kinderarbeit würde die Ge- 
schichte der deutschen Zuckerindustrie eine reiche Quelle schätz- 
baren Materials liefern, wäre das Verständnis dafür in den Kreisen 
der zeitgenössischen Autoren bis zur staatlichen Regelung der- 
selben nichj^ein durchaus mangelhaftes gewesen. In der Zeit der 
lebhaften Bevölkerungszunahme, in der die industrielle Entwick- 
lung erst zaghaft einsetzte, bei welcher die Rübenzuckerindustrie 
eine führende Stellung einnahm, als Scharen von Beschäftigungs- 
losen ihr verfügbar waren, wurde die weibliche Arbeitskraft, wenn 
irgend angängig, vor der männlichen bevorzugt. Vom Rübenbau, 
der seit seiner Begründung meist mit Frauen- und Kinderarbeit 
betrieben wurde ^), wanderte nun die Frau in die Fabrik; und so 
kam es denn, daß längst bevor die Entwicklung der Verkehrsmittel 
immer größere Scharen wandernder Landarbeiter im Osten mobili- 
sierte, die Frauenarbeit wegen ihrer notorischen Billigkeit ein 
Stützpunkt der ganzen Rübenzuckerindustrie, besonders aber der 
am wenigst leistungsfähigen Betriebe wurde. Daran vermochte 
das Vordringen der Maschine vorläufig nicht viel zu ändern. 
Während im Jahre 1882 in Deutschland von 100 in der Zucker- 
fabrikation Erwerbstätigen 84.7 männlichen, 15.3 weiblichen Ge- 
schlechts waren, wuchs der Anteil der Männer 1895 auf 92, wäh^ 
rend der der Frauen und Mädchen auf 8 sank. Vergleichsweise 
sei angeführt, daß in Österreich 1900 das Verhältnis noch 80.7 zu 
19.3 betrug. Die überaus beliebte Verwendung der Frauenarbeit 
wird uns deutlich durch einen Blick in den Betrieb einer Rüben 
verarbeitenden Fabrik zu Anfang der 70 er Jahre. Noch gab es 
keine Schwemmrinnen, und die Diffusion begann sich eben aus- 
zubreiten. Von der Rübe, wie sie auf den Fabrikhof kam, bis zum 
konsumfähigen Produkt, auf alle den Stationen, die damals Hand- 
arbeit erforderten, arbeitete- die Frau. Bei dem Heranschleppen 
der Rohstoffe war sie um die Zeit noch mancherorts beteiligt. 



1) K. Siemens, a. a. O. S. i 



154 Die Arbeiterverhflltnisse. 

atisschließlich aber fiel ihr die bei dem damaligen Stand der 
Technik und dem ^ngsamen Produktionstempo sehr wichtige 
Arbeit der Vorbereitung der Rüben zu. Man war gehalten, so- 
lange man mit den Pressen arbeitete, in denen der Saft unaus- 
gesetzt bei niederer Temperatur mit der Luft in Berührung kam, 
die faulen und beschädigten Stellen der Rübe sehr sorgsam ab- 
trennen zu lassen; und um nicht taubes Out durch den Arbeits- 
prozeß hindurchschleppen zu müssen, zumal der Raum unter der 
Presse äußerst kosti>ar war, ließ man außerdem die Rübenköpfe^ 
in einer Höhe, welche der Wirtschaftlichkeit entsprach, ab- 
schneiden, da sie ein erheblich geringwertigeres Material als die 
Rümpfe der Rüben darstellen. Das Füllen und Entleecgn der Säcke 
im Preßraum, fast die ganze Rohzuckerarbeit einschließlich der 
Zentrifugen- und Bodenarbeit in den übermäßig geheizten Räumen, 
alles das und manches andere wurde vielfach ausschließlich mit 
Frauenarbeit geleistet. Doch auch hier brachte die Technik einen 
gewissen Fortschritt. Mit der Herrschaft der Maschine wurde 
von dem Augenblick der Frauenarbeit eine Grenze vorgeschoben, 
in dem Muskelkraft und Geschicklichkeit gegenüber dem Ver- 
ständnis für technische Vorgänge einfachster Art in den Hinter- 
grund traten, d. h. da, wo es sich um die Bedienung einer Ma- 
schine oder eines Apparates handelte. Das illustriert z. B. die 
Verteilung der Arbeiten im Preßsaal. Das Füllen der Säcke, wobei 
es auf Geschicklichkeit ankommt, war da Sache der Frau, das 
kunstgerechte Einsetzen des Preßgutes in die Presse, die Be- 
dienung der Pumpen und die Überwachung des Saftgewinnungs- 
vorgangs blieb hingegen regelmäßig dem Manne überlassen. 

Die Kinderarbeit hat von jeher für die Zuckerindustrie nur 
untergeordnete Bedeutung gehabt, wohl deswegen, weil die hier 
vorkommenden Arbeiten einen meist gar nicht geringen Kraft- 
aufwand erforderten, der das Maß des im unerwachsenen Men- 
schen verfügbaren übersteigt. Es wurde deshalb die Industrie 
durch die Regelung der Kinderarbeit durch Reichsgesetz wenig 
berührt. Drückender wurden schon die staatlichen Bestimmungen 



^) Der Teil der Rübe, den man im modernen Betrieb als Rüben- 
kopf abzutrennen pflegt, umfaßt etwa IS^Jo des Gesamtkörpers. Er 
enthält 2— 2Va®/o weniger Zucker und 7— 8®/o weniger Saft, hingegen 
etwa 2 ^Iq mehr Nichtzucker. In den alten Betrieben kam es auf die 
genaue Bestimmung der Steile, an welcher der Schnitt geführt werden 
mußte, sehr an. 



Die Arbeiterverhflltnisse. 155 

über die Verwendung jugendlicher Arbeiter empfunden, welche 
meist den Unternehmer dazu trieben, diese Kategorie auf die 
äußerste MindestgröBe herabzusetzen. 

Ganz anders aber war es bei der Frauenarbeit^). Das Verbot 
der Frauennachtarbeit, welche durch besondere Bekanntmachung 
vom 24. III. 1892 (RQBl. 334) bis zum 1. IV. 1898 in Rohzucker- 
fabriken und Raffinerien jedoch in successiv immer beschränkterem 
Umfang zugelassen war, brachte für den Unternehmer eine Er- 
schwerung, insofern er gehalten war, einen Teil seiner Einrichtung 
dahin zu erweitern, daß in der Tagschicht der Bedarf für die Tag- 
und Nachtschicht vorgerichtet bezw. fertig gearbeitet werden 
konnte, fajls er es nicht vorzog, von männlichen Arbeitskräften 
diese Arbeiten verrichten zu lassen, wie die, welche einen Auf- 
schub ohnehin nicht gestatteten. Die Verordnung des Bundesrates 
vom 24. III. 1892 war für die Stellung der Frauenarbeit von den 
schwerwiegendsten Folgen begleitet. Wenn sie auch tatsächlich die 
Beschäftigung der Frau nicht gänzlich verbot (das Verbot bezog 
sich nur auf die Arbeit an der Rübenschwemme, der Rüben- 
wäsche und auf dem Zuckerboden und an den Zentrifugen), so 
kam sie doch einer Ausschließung der weiblichen Arbeitskraft 
nahezu gleich. Es kann nicht geleugnet werden, daß beide Teile 
dabei von empfindlichen Härten betroffen wurden. Noch pflegte 
damals der landwirtschaftliche Wanderarbeiter aus den östlichen 
Grenzgebieten nicht in der Massenhaftigkeit der ständige Winter- 
gast in den Rübenzuckerfabriken zu sein. Aus nahe gelegenen 
Ortschaften ließen sich auf dem platten Lande besonders da in 
ausgiebigem Maße Arbeiter für die Saisongruppe beschaffen, wo 
keine sonstige Industrie vorhanden war und die Zuckerfabriken 
weit verstreut lagen. So war es im deutschen Osten beispiels- 
weise, wo die Winterarbeit auf den Fabriken eine Art Reservat- 
recht für die umliegenden Ortschaften ausmachte und wo gerade 
rüstige Frauen und Mädchen der Landarbeiter Jahrzehnte hin- 
durch gern und regelmäßig die Gelegenheit ergriffen hatten, zu- 
sammen mit ihren Männern einen Teil des Winters, wenn es in 
der eigenen Wirtschaft nichts mehr zu tun gab, mit der lohnenden 
Arbeit in den Zuckerfabriken auszunützen. In der Tat .war das 
ein Faktor, mit dem zahlreiche Familien im Osten sowohl wie 
in den armen Gegenden des Eichsfelds, Hessens und der Mark 



^) Dr. Steph. Bauer, Die gewerbliche Nachtarbeit der Frauen, Jena 1903. 



156 Die Arbeiterverhältnisse. 

seit langem zu rechnen gewohnt waren. Die Zahl der so mit 
einem Schlage freigesetzten Arbeiterinnen, die in keinem anderen 
Erwerbszweig nutzbringende Beschäftigung erhalten konnten, hat 
man auf 5000 veranschlagt. Manche von ihnen mag deshalb der 
öffentlichen Armenpflege anheimgefallen sein. Aber auch für die 
Industrie bedeutete jene Verordnung eine harte Prüfung. Das 
Lohnkonto erfuhr eine sehr merkliche Mehrbelastung, für welche 
die Preise am Welt- und Inlandsmarkt keine Entschädigung boten. 
Den zahlreichen Eingaben um teilweise Aufhebung der Bestim- 
mungen gegenüber verhielt sich die Regierung streng ablehnend. 
Es blieben lediglich eine Anzahl Ausnahmen vom gesetzlichen 
Verbot der Frauennachtarbeit bestehen, welche ihre Existenz wohl 
vorwiegend der Rücksicht auf die Konkurrenz mit den Staaten zu 
verdanken haben, welche in ihrer Rübenzuckerindustrie die Nacht- 
arbeit begünstigen. Der einzige Ausweg, der den Betrieben blieb, 
war der, daß sie versuchten, durch Verbesserung der Betriebsein- 
richtung und Erhöhung der Leistungsfähigkeit einen Ausgleich zu 
schaffen, d. h. der Ersatz der Arbeit durch das Kapital. 

Das war aber nicht der einzige Fall, wo die technische Voll- 
endung einen wirtschaftlichen Mehraufwand kompensieren mußte. 
Ahnlich einschneidend wirkte eine Verordnung des Bundesrats 
vom 17. II. 1894, welche die Sonntagsruhe in der Rübenzucker- 
fabrik fixierte und eine ISsttindige Unterbrechung der Zucker- 
bodenarbeit brachte. ^) Nicht nur, daß die Betriebsdauer um 4 bis 



^) Vergl. die Bekanntmachungen des Bundesrats vom 5. Februar 
1895 über den Betrieb von Rohzuckerfabriken und Raffinerien an Sonrt- 
und Feiertagen. Das Gesetz vom 9. Februar 1849 erklärte für die 
preußische Monarchie, daß zu Sonntags- und Festtagsarbeit niemand 
verpflichtet sei, vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarung für dringende 
Fälle. Bezeichnend ist, daß die Regierung die Ansicht vertrat, man könne 
dem Steuerbeamten das Verwiegen der Rüben am Sonntag nicht zumuten. 
Von der Arbeiterschaft ist gar nicht die Rede. Die SpezialVerordnungen 
für die Rübenzuckeriabriken schlugen für den Sonnabend eine 18stün- 
dige Arbeitsschicht (von 6 Uhr früh bis 12 Uhr nachts) vor. Es sollte 
also der Betrieb an Sonn- und Feiertagen von 12 Uhr nachts bis 6 Uhr 
abends ruhen. — Vergl. C. G. Quarizius, Der Runkelrübenbau und die 
Runkelrübenzuckerfabrikation, Dessau 1853, S. 15 ff. — Der Erfolg jener 
Verordnung scheint indes unbedeutend gewesen zu sein. Während für 
den Schulbesuch gesetzliche Vorschrift bestand, lag es ganz im Be- 
lieben des Unternehmers, an Sonn- und Feiertagen arbeiten zu lassen. 
Es heißt zwar, daß Sonntagsarbeit „nur in den dringendsten Fällen'' 
vorkam. Da man umschichtig arbeitete, war jede Abteilung alle 14 Tage 



Die Arbeiterverhältnisse. 157 

5 Tage wenigstens erhöht und damit ein ganz respektabler Geld- 
verlust in Kauf genommen werden mußte, man lief auch Gefahr, 
an den im Betrieb befindlichen Teilfabrikaten einen Verlust durch 
verzögerte Fertigverarbeitung zu erfahren und trieb die Betriebs- 
kosten durch Unterbrechung der Betriebsintensität bezw. durch 
die Dauer und den Mehraufwand, welche die Herstellung des 
Beharrungszustandes des Betriebs verlangte, in die Höhe, In 
Gegenden, wo viele Feiertage üblich sind, wie z. B. in Säd- 
deutschland mancherorts, bilden diese häufigen Betriebsunter- 
brechungen eine Kalamität ärgster Art, welche das Wirtschafts- 
ergebnis in hohem Maße beeinflußt und den Widerstand der 
Werke einigermaßen begreiflich erscheinen läßt^). Wenn auch 
durch die regelmäßigen Unterbrechungen die Möglichkeit ge- 
geben war, die Betriebssicherheit während der Woche durch die 
an den Sonntagen vorgenommenen Revisionen und Reparaturen 
zu erhöhen, welche sich durch wenige Leute ausführen ließen, 
ohne einen Konflikt mit den gesetzlichen Bestimmungen, so 
wurde doch damit nur ein geringer Teil des tatsächlichen Ver- 
lustes wieder eingebracht. Der Rest konnte nur wettgemacht 
werden durch neue technische Verbesserungen. 

Der Ausfall an Gewinn, den die gewerbepolizeilichen Auf- 
lagen der Industrie brachten, wird von ihr auch heute noch 
als überaus drückend empfunden, und es ist eine regelmäßige 
Erscheinung, daß sie von Zeit zu Zeit eine rührige Agitation in- 
szeniert und durch ihre Organe vertreten läßt, welche auf Zu- 
lassung der Frauenarbeit auf einzelnen Stationen und Beschrän- 
kung der Sonntagsruhe abzielt. 

Damit haben wir dargetan, wie die Technik des Großbetriebs 
auf die soziale Struktur der Arbeiterschaft in den Rüben ver- 
arbeitenden Fabriken umbildend gewirkt hat. Sekundär mußte sie 
aber auch Rechnung tragen den Bedürfnissen dieser neu erstan- 
denen Arbeiterschaft, die einmal aus der allgemein gehobenen 
Lebenshaltung, der regelmäßigen Begleiterscheinung einer auf- 

schlimmsten Falls von 12 Uhr nachts bis 6 Uhr abends dienstfrei. Oft 
ruhte der Betrieb nur von 8 Uhr früh bis 4 Uhr nachmittags. Um die 
Arbeiterschaft angeblich vor Unsolidität zu bewahren, liefi man sie 
ausdrücklich von 4 Uhr an arbeiten. Vergl. Die Rübenzuckerfabrikation, 
ihr volkswirtschaftlicher Nutzen und ihre Besteuerung, Halle 1852. 

^) Vom Verfasser wurde ein Betrieb angetroffen, der mit rund 
90 Sonn- und Feiertagen im Jahre zu rechnen hat. Es handelte sich 
hier um eine Raffinerie, die mit einer Rohzuckeriabrik kombiniert war. 



158 Die Arbeiterverhältnisse. 

steigenden Wirtschaftskonjunktur, flössen, zum andern aus der 
Verschiebung in der qualitativen Mischung der Arbeitnehmer re- 
sultierten. Unter ihnen steht der Lohn obenan. 

So leicht es wäre, einige Daten über seine Bemessung in den 
verschiedenen Zeiten und Landesteilen beizuschaffen, so wenig 
aussichtsreich wäre es, eine wissenschaftlich genügende Übersicht 
zu geben, weil er sehr häufig in Naturalien gezahlt zu werden 
pflegt, über deren Bewertung die Schätzungen sehr auseinander- 
gehen. Übrigens würden wir damit den Rahmen der Aufgabe 
überschreiten. Wir begnügen uns deshalb damit, auf die Angaben 
der Berufsgenossenschaft über die umlagepflichtigen Löhne und 
Gehälter zu verweisen. Die Spalte 5 der Tabelle auf Seite 148 
weist die aus Spalte 2 und 3 berechneten Löhne aus, welche in- 
dessen nur ein ungefähres Bild von der Bewegung des wirklich 
gezahlten Lohnes geben. Übrigens sind in den Posten der Spalte 3 
Naturalemolumente inbegriffen.^) 

Es wurde schon bemerkt, daß auch Beamte mit Jahresein- 
kommen bis zu 6000 Mark versicherungspflichtig sind. Da diese 
Einkommen mit in der Lohnsumme (Spalte 3) enthalten sind, 
ist nach Abzug dieser Einkommen der an den Arbeiter durch- 
schnittlich gezahlte Satz etwas niedriger. Im entgegengesetzten 
Sinne wirkt indes wieder der Umstand, daß die wirklich zur 
Zahlung gelangten Löhne höher als die in Spalte 3 enthaltenen 
umlagepflichtigen sind. Denn nach § 10 des Qewerbe-Unfall- 
versicherungsgesetzes kommt bei Gewährung von Unfallrenten 
das 1500 Mark übersteigende Jahreseinkommen nur mit einem 
Drittel zur Anrechnung. ») Während im Jahre 1904 z. B. die Summe 
der umlagepflichtigen Löhne und Gehälter 43,97 Mill. Mark be- 
trug, beliefen sich die wirklichen Ausgaben auf 46.08 Mill. Mark. 
Im Jahre 1905 stehen 47.77 Mill. Mark 50.09 Mill. Mark gegenüber. 

Schließlich darf auch nicht bei Beurteilung der Spalte 5 (Ta- 
belle auf S. 148) außer acht gelassen werden, daß die Summe der 
gezahlten Löhne, Gehälter und Gratifikationen in hohem Maße 



^) Auch Prämien und Gratifikationen sind inbegriffen. 

*) Hat also ein Versicherter ein Jahreseinkommen von 2100 Mk., 

so wird bei der Rentenberechnung nur der Betrag von 1500 -\- — =z 

ö 

1700 Mk. zu Grunde gelegt. Dieser Betrag kommt auch bei der Um- 
lageberechnung, d. h. bei der Festsetzung der Jahresbeiträge für die 
einzelnen Fabriken in Betracht (Spalte 3). 



Die Arbeiterverhältnisse. 159 

von dem Ausfall der Ernte und der Dauer der Betriebsperiode 
abhängig ist, so daß von vornherein mit erheblichen Schwankungen 
in den jährlich so berechneten Sätzen gerechnet werden muß, 
um so mehr, als sich auch die in Spalte 2 angegebenen Zahlen nur 
auf die eigentliche Betriebszeit und, wenigstens bei den Roh- 
zuckerfabriken, nicht auf ein ganzes Jahr beziehen. 

Trotzdem also die Zahlenreihe Spalte 5 durch mancherlei 
Beeinflußungen sich von den im Durchschnitt gezahlten Löhnen 
und Gehältern ziemlich weit entfernen mag, zeigt ihre Entwick- 
lung trotz des Mangels an Kontinuität, welche wenigstens zum 
Teil auf die Veränderungen in der Berechnung zurückzuführen sein 
dürfte 1), eine entschieden aufsteigende Bewegung. Vergleichs- 
weise führen wir die Lohnbewegungen in verwandten Industrien 
für einige Jahre an, welche ebenfalls auf Grund der Aufzeichnungen 
der Berufsgenossenschaft berechnet sind.^) 

1896 1897 1898 1899 

Mk. Mk. Mk. Mk. 

Nahrungs- und Genußmittel . 648,99 650,12 648,68 704,24 

MüUerei-Ber.-Gen 600,91 612,05 710,05 739,61 

Nahrungsmittel-Ber.-Gen. . . 819,13 819,42 835,32 873,21 

Zucker-Ber.-Gen 439,64 453,14 466,05 469,40 

Brennerei-Ber.-Gen 689,27 689,42 689,92 729,49 

Brauerei- u.Mälzerei-Ber.-Gen. 950,48 971,66 1051,92 1068,62 
Tabak-Ber.-Gen 520,04 528,30 529,41 533,86 

Die in der Zuckerindustrie beobachtete Lohnsteigerung be- 
zieht sich, wie allgemein versichert wird, auf die Kategorien der 
ungelernten Wanderarbeiter sowohl bis hinauf zum Maschinen- 
führer. Und in der Tat, vergleicht man die reich differenzierten 
Löhne der Arbeiterschaft in den Rohzuckerfabriken mit denen 
ähnlicher Kategorien anderer in der Nähe gelegener Industrie- 
zweige, so vermag man nur selten wesentliche Differenzen fest- 
zustellen, soweit eine Feststellbarkeit überhaupt möglich ist. 

Was die Lohnzahlungsmethoden angeht, so hat man sich hier 
in industriell entwickelten Gegenden den in benachbarten ähn- 
lichen Industrien anzuschließen gesucht, natürlich mit besonderer 
Berücksichtigung der eigenen Verhältnisse. Schon in den 50 er 
Jahren wurde der Akkordlohn in den Rübenzuckerfabriken auf 



^) Richard Calwer, Handel und Wandel, 1901. 
«) Ebenda. 



160 Die Arbeiterverhälüiisse. 

einer Anzahl Stationen ausgebildet, sei es als Einzelakkord, wie 
z. B. bei den Zentrifugen, sei es als Oruppenakkord, so beim 
Abladen beladener Fahrzeuge. Aber auch hier mußte man erst 
^ eigne Erfahrungen sammeln und beobachten, ob z. B. der Akkord- 
lohn die Ausführung einer Arbeit in der Qualität trotz sorgsamen 
Aufsichtsdienstes zu benachteiligen imstande sei. Während es 
in kleinen Fabriken wegen der Mannigfaltigkeit in der Verwendung 
der einzelnen Arbeitskräfte vielfach nicht möglich ist, von dem 
Akkordsystem umfangreich Gebrauch zu machen, hat es der 
moderne Großbetrieb mit Virtuosität ausgebildet und bezeichnet 
vielfach die Akkordarbeit als eine ihrer wirtschafÜichen Existenz- 
bedingungen. 

Eine Eigentümlichkeit in der Entlohnung im Betrieb der 
Zuckerindustrie ist die weitverbreitete Prämienzahlung. Vom Hof- 
arbeiter bis hinauf zum Direktor wird umfangreich von einem 
Prämiensystem Gebrauch gemacht, welches dadurch gekennzeichnet 
zu sein pflegt, daß in Rohzuckerfabriken zu Ende der Saison, 
in Raffinerien zu Ende des Jahres eine Gratifikation ausbezahlt 
wird, welche sich in ihrer Bemessung einmal nach dem jeweiligen 
.Wirtschaftsergebnis, gleichzeitig aber auch nach dem Jahresarbeits- 
verdienst, d. h. nach der Leistung des Empfängers richtet. Dieses 
System, das eine Art Gewinnbeteiligung darstellt, motiviert sich 
aus dem Gesamtaufbau der Zuckertechnik und der Wichtigkeit, 
die selbst untergeordnete Funktionen für den wirtschaftlichen 
Effekt des Ganzen gewinnen, da ja eine Betriebsstörung ihn 
gleich in der lempfindlichsten Weise zu beeinträchtigen pflegt.^) 
Die starke Verbreitung dieser Methode, den einzelnen am Gewinn 
zu interessieren, spricht für die gute Erfahrung, die man mit 
ihr gemacht zu haben glaubt 

Eine gewisse Ähnlichkeit hat dies System mit einem andern, 
mit dem man es auch wohl kombiniert, das aber durch Zwang 
zu erreichen sucht, was jenes nebenher erzielt. Es besteht darin. 



1) Denselben Motiven verdankt das Prämiensystem seine Ent- 
stehung, welches sich beispielsweise in einer bedeutenden rheinischen 
Raffinerie findet. Hier wird Jedem Arbeiter am Jahresschlüsse für jede 
Woche, welche er ohne Versäumnis arbeitet, eine Prämie von 3 Mk. 
gezahlt. Zu dieser Prämie tritt dann noch eine Neujahrsprämie, welche 
sich nach den Leistungen des Arbeiters und dem Jahresabschluß des 
Unternehmens richtet. Mit diesem System ist man aufierordentlich 
zufrieden. 



Die Arbeiterverhältnisse. 161 

daß dem Wandergelfisten unterworfenen Arbeiter der Saison« 
gruppe in der Rohzuckerfabrik von dem kontraktlich festgelegten 
Arbeitslohn ein Bruchteil zurückbehalten und erst nach Beendigung 
der Kampagne ausbezahlt wird. Wenn auch nicht geleugnet wer- 
den soll, daß der Unternehmer damit vielfach den guten Zweck 
verfolgt, den an den Besitz von Bargeld oft nicht gewöhnten 
Arbeiter vor unnötigen Ausgaben zu bewahren und ihm ein 
schönes Stück Qeld für seine Heimreise aufzusparen, so liegt 
doch hierin ein überaus gefährlicher Angriff auf die Freiheit des 
Arbeitsvertrages, wenn der Arbeitnehmer die Verpflichtung^) ein- 
gegangen hat, bei freiwilliger oder erzwungener Abkehr vor Schluß 
der Kampagne auf einen Teil oder den ganzen einbchaltenen 
Betrag zu verzichten. Tatsächlich ist dieser Fall gar nicht so 
selten.^ — Es darf indessen nicht unerwähnt gelassen werden, 
daß die Sparsamkeit, die mancher Unternehmer sich gedrungen 
fühlt anzuregen, unter einem großen, wenn nicht dem größten 
Teil der Saisonarbeiter, namentlich wenn sie aus wirtschaftlich 
rückständigen Gegenden stammen, erfreuliche Ergebnisse zu zeiti- 
gen pflegt, indem die Leute, soweit ihr Lebensunterhalt nicht 
vom Unternehmer gestellt wird, mit ihrem Verdienst recht spar- 
sam zu wirtschaften verstehen, den geringsten Teil nur am Zahl- 
tag erheben und den Rest anstehen lassen, so daß sie vielfach 
mit einigen Hundert Mark in der Tasche die Kampagne beschließen 
können. 

Die Lohnsteigerung der in den Rübenzuckerfabriken beschäf- 
tigten Arbeiterschaft besteht bei dem größten Teil derselben, der 
Gruppe der Saisonarbeiter, nicht nur in Steigerung des Geld-, 
sondern auch des Naturallohns, und gerade darin liegt, wie sich 
zeigen wird, ein großer sozialpolitischer Fortschritt. Fast über- 
all müssen die Saisonarbeiter, soweit sie zugewandert sind, in 
unmittelbarer Nähe der Betriebsstätte untergebracht werden. Für 
Wohnung, Licht und Heizung, oft auch für einen Teil der Be- 
köstigung pflegt da die Fabrik zu sorgen, meist ohne daß sie 



1) Vereinszeitschrift 1899, II. Bd. S. 607. 

■) So z. B. lautet in dem Verpfiichtungsschein für galizische und 
russische Feldarbeiter, dessen sich der Arbeitsnachweis der Land- 
wirtschaftskammer für die Rheinprovinz im Jahre 1907 bediente, der 
§ 7: „Das Auslohnen geschieht wöchentlich. Je 3 Mk. des Lohnes der 
ersten zehn Wochen werden erst beim ordnungsmäßigen Abgang des 
Arbeiters fällig und ausbezahlt.* 

Schuchart, 2ttckerindu8trie. ^.— ..^^ ^ ^ 




162 Die Arbeiterverhältnisse. 

ein besonderes Entgelt beansprucht. Bei neuzeitlich eingerich- 
teten Großbetrieben liegen große kasernenartige Gebäude in mög- 
lichster Nähe, welche vielfach mit erheblichem Kostenaufwand 
nach hygienischen Grundsätzen zweckmäßig eingerichtet sind. Von 
den Arbeitern, die in Gruppen von 3 — 10 Mann in einem Raum 
untergebracht zu sein pflegen, verfügt jeder über ein Bett und 
ein verschließbares Spind, und durch Organisation einer Art Auf- 
sichtsdienstes, bestehend z. B. aus einem Vertreter von jeder 
Kammer und dem Schlafhausmeister, gelingt es meist, eine halb- 
wegs erträgliche Ordnung in diesen Häusern aufrecht *zu er- 
halten, was allerdings bei der bunt zusammengewürfelten Beleg« 
Schaft oft nicht ganz leicht sein mag. Diese Vorkehrungen werden 
ergänzt durch zeitgemäße .Wascheinrichtungen und durch eine 
Küche, in der entweder die Leute ihre Mahlzeit durch eine von 
ihnen oder der Fabrik bestimmte oder bezahlte Person herstellen 
lassen, falls nicht etwa die Frau des Maschinenmeisters oder eine 
ähnliche Person unter Aufsicht der Fabrikleitung die Lieferung 
des Essens gegen Bezahlung übernimmt. Vielfach leistet der 
Unternehmer in Bar oder Naturalien einen regelmäßigen Zuschuß 
zur Küche. Aber auch hier bestätigt die Erfahrung, daß nur die 
leistungsfähigsten, d. h. vielfach die größten Betriebe über den 
Rahmen dessen, was gesetzliche Verfügungen z. B. die Schlafräume 
betreffend vorschreiben, hinausgehen und sie am kulantesten er- 
füllen, daß viele Klein- und Mittelbetriebe das geforderte Mindest- 
maß der Fürsorge kaum aufwenden. Die Schlafräume machen 
da oft einen grauenerregenden Eindruck, die Wascheinrichtung 
ist mangelhaft oder fehlt gar u. dgl. 

Der Fortschritt, der unter der gewerblichen Gesetzgebung 
im Zeichen des Großbetriebs erreicht ist, bleibt indes in allen 
Fällen gegenüber den früher unter den Saisonarbeitern der In- 
dustrie herrschenden ein riesengroßer und unbestrittener. Dazu 
trägt allerdings eins ganz wesentlich bei, die stark beschränkte 
Frauenarbeit. In der Rohzuckerfabrik modernen Stils wird die 
Frau eigentlich nur noch beim Putzen und Aufräumen verwandt. 
Sie gehört da vielfach zu der Stammgruppe der Arbeiterschaft 
und wohnt im nahegelegenen Orte. Die Zeiten sind aber gar 
nicht so fern, daß die Saisongruppe auf den Fabriken unter 
den tiefsten sittlidhen und hygienischen Verhältnissen zu leben 
gewohnt war. Man stelle sich den ununterbrochenen und mit 
einmaligem Schichtwechsel aufrecht erhaltenen Betrieb vor, der 



Die Arbeiterverhältnisse. 163 

am Sonntag früh meist nur zum Instandsetzen wichtiger Betriebs- 
organe kaum für einige Stunden stillgelegt wurde, dazu die starke 
Heranziehung weiblicher Arbeitskräfte im Tag- und Nachtdienst. 
Kaum mit Hose und Rock bekleidet waren Arbeiter beiderlei 
Geschlechts und jeder Altersstufe in denselben schlecht gelüfteten 
und belichteten Räumen beschäftigt, in denen, wie auf dem 
Zuckerboden und bei den Zentrifugen, unerhört hohe Hitzegrade 
herrschten. Während der Arbeit mußte da oft die kärgliche 
Nahrung hinuntergeschlungen werden. War dann endlich die 
Arbeitszeit beendet, so drängte alles bald nach dem Schlafraum. 
Zu dem Zweck diente altem Herkommen gemäß der kaum ge- 
dielte Dachraum über den Dampfkesseln, der schon vom Tages- 
licht mangelhaft beleuchtet, nachts wegen der Feuersgefahr nicht 
mit Licht betreten werden durfte. Auf gemeinsamer Streu hausten 
hier Männer und Weiber, Junge und Alte bunt durcheinander, 
und es gehört wenig Phantasie dazu, um sich vorzustellen, welche 
Orgien sich in den Arbeitsräumen sowohl wie erst recht in 
diesen Schlafräumen abspielten. Es muß darauf verzichtet werden, 
die Maßnahmen auf ihren Wert zu prüfen, welche die Unter- 
nehmer ergriffen, um der ungeheueren Unsittlichkeit zu steuern,^) 
falls sie nicht in klügerer Einsicht vorzogen, jeden Eingriff zu 
unterlassen.«) Der Erfolg würde schwerlich an der Tatsache etwas 
ändern können, daß das Bild der Saisonarbeit in der Zucker- 
Industrie vor der Zeit staatlichen Eingreifens zu den düstersten 
Kapiteln zu zählen ist, welche die Geschichte der deutschen Lohn- 
arbeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufzuweisen 
hat und welches in manchen Zügen an die in den englischen 
Blaubüchern geschilderte Lage des Industriearbeiters der 20er 
und 30er Jahre erinnert. Während die Regierungen der Staaten 
des europäischen Kulturkreises von nun ab begannen, ihre Auf- 
merksamkeit auf die gewerbliche Arbeit in Betrieben streng in- 
dustriellen Charakters zu lenken, sah man in Deutschland die 
Rübenzuckerindustrie offenbar noch als ein rein landwirtschaft- 



^) Eine der härtesten hierhin gehörigen Bestimmungen des Arbeits- 
vertrages ist wohl die, welche alle unverheirateten Personen, welche 
schwanger werden, mit sofortiger Entlassung bedroht. Sie findet sich 
heute meist in den Verträgen der Rübenarbeiter. 

«) Allgemein verbreitet war die Ansicht, man müsse die Leute 
aufs äußerste anspannen, um sie dem unsittlichen Treiben abhold zu 
machen. 



164 Die Arbeiterverhältnisse. 

liches Gewerbe an, hielt sie für etwas Unantastbares und tröstete 
sich bestenfalls damit, daß diese Zustände nur einige Monate 
dauerten. Man hatte scheinbar eine unüberwindliche Scheu, der 
aufstrebenden Industrie, welche man durch die Steuererhebung 
schon belästigte, in sozial- und gewerbepolitischer Hinsicht irgend-' 
welche Auflagen zu machen, zumal sie schon frühzeitig vorzüg- 
lich organisiert war und bei einem drohenden Eingriff der Staats- 
autorität mit einer äußerst rührigen Gegenagitation geantwortet 
haben würde, an deren Erfolg bei der herrschenden Machtver- 
teilung im Parlament nicht zu zweifeln gewesen wäre. Schließ- 
lich aber, und das war wohl das Wesentliche, fürchtete man 
nicht mit Unrecht bei der relativ kurzen Zeit der Kapitalsaus- 
nützung der Industrie eine den Gewinn beeinträchtigende Wirkung, 
die man im Interesse der Staatsfinanzen dringend zu vermeiden 
Grund hatte. 

Aber noch einem weiteren sozialpolitisch wichtigen Bedürf- 
nis der Arbeiterschaft mußte der Großbetrieb Rechnung tragen, 
nicht ohne daß staatliche Maßnahmen auf dessen Erfüllung 
drängten. Die Hygiene außerhalb des Arbeitsprozesses konnte 
nur einen beschränkten sozialen Wert haben, so lange die Hygiene 
der Fabrikarbeit noch nicht durchgebildet war. In anderen In- 
dustriezweigen steht hier fast immer im Vordergrunde das Aus- 
maß der Arbeitszeit. Ende der 40er Jahre scheint man in Deutsch- 
land erst dazu übergegangen zu sein, den Tag- und Nacht- 
betrieb einzurichten, ein Beweis übrigens für die vorher noch 
fast kl^inbetriebsmäßige GrganisaticHi der Industrie. Damit pro- 
klamierte man den Zwölfstundentag. Aber es stellte sich heraus, 
daß nicht an die Länge der Arbeitezeit die Forderung der Hygiene 
anzuknüpfen hatte. In der Rübenzuckerindustrie tritt eben bis 
auf den heutigen Tag das Problem der Arbeitedauer nicht mit 
der gleichen Entechiedenheit auf, wie in der Textil-, Eisen-, 
Maschinen- und anderen Industrien. Die Gründe sind leicht auf- 
zufinden. Von der Tätigkeit der Hof- und Handwerker abge- 
sehen, beanspruchen sehr viele Fabrikationsvorgänge nur während 
eines Bruchteils der ganzen Arbeitezeit eine positive Arbeite- 
leistung, während der übrigen Zeit ist nur gelegentliche 
Prüfung, Beobachtung und Regulierung erforderlich, bei der die 
einfachsten sinnlichen Wahrnehmungen mitunter genügen, vor- 
übergehende Ruhepausen sind also von selbst gegeben. Die 
Handwerker, die regulär nur in der Tagesschicht arbeiten, und 



Die Arberterverhältnisse. 165 

bei denen hier und da eine Kürzung der Arbeitszeit gegenüber 
den Saisonarbeitern eingetreten ist, scheiden ohnehin aus. Bei 
ihnen wechselt die Intensität der Arbeit entsprechend den augen- 
blicklichen Bedürfnissen des Betriebs sehr stark. Bleiben also 
nur die Handarbeiter, welche mit dem Heran- und Wegschaffen 
der Roh- und Fertigstoffe zu tun haben. Wir müssen uns hier 
mit der Feststellung begnügen, daß die großindustrielle Entr 
Wicklung manchmal eher eine Verschlimmerung als eine Ver- 
besserung dieser Verhältnisse gebracht hat, zumal da, wo man 
bei den alten unvollkommenen Werkzeugen des Massentrans- 
ports verblieben ist.^) Der modern organisierende Fabrikant 
legt aber Wert darauf, sich so einzurichten, daß ein bequemes 
Arbeiten erzielt wird und die Fälle der Anwendung roher Muskel- 
kraft geschickt vermieden werden. Während früher in Tag- und 
Nachtschicht an den betreffenden Stationen gearbeitet wurde, 
ist man immer mehr dazu übergegangen, die Nachtschicht fallen 
zu lassen und dafür die Tagschicht auf 14 und mehr Stunden 
auszudehnen. So gelingt es, das für die Nachtarbeit notwendige 
Quantum vorzurichten, wobei allerdings für die Überstunden ein 
Zuschlag gewährt zu werden pflegt. Das Fehlen jeglicher Organi- 
sation unter der in Frage stehenden Arbeitergruppe und ihr 
meist sehr niedriger Kulturstand — die Leute dringen durchweg 
selbst auf Oberstunden — machen es den Unternehmern leicht, 
der Kürzung der Arbeitszeit hier bisher mit Erfolg aus dem 
Wege zu gehen, zumal die Ersparnis an Betriebskosten so eine 
ganz erkleckliche ist. 

Einen geradezu glänzenden Fortschritt erlebte hingegen die 
Hygiene der Fabrikarbeit in der Ausbildung der Vorrichtungen, 
welche die Person des Arbeiters vor Gefährdung durch die Art 
der Betriebsanlage, vor Unfällen hauptsächlich sichern. Die fieber- 
hafte Betriebsgrößenentwicklung hatte die Wirkung, daß unab- 
lässig die jeweils am schlechtesten eingerichteten Fabriken bezw. 
die, welche die ungünstigsten Produktionsbedingungen nicht durch 
verbesserte Technik zu paralysieren vermochten, zum Erliegen 
kamen und nach den neuesten Erfahrungen der Technik gebaute 
an ihre Stelle traten, wobei solche Umbauten alter Betriebe nicht 
selten waren, welche Neubauten gleichwertig waren. Insofern 
hier immer mehr auf eine Anordnung Wert gelegt wurde, welche 

*) P. Qöhre, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche, 
1891. Hier findet sich eine Bestätigung dessen. 



166 Die Arbeiterverhältnisse. 

vollkommenste Technik und höchste Betriebssicherheit vereinigte, 
welch letztere aber vielfach mit der Berücksichtigung hygienischer 
Grundsätze gleichbedeutend war, läßt sich hier unmittelbar der 
Zusammenhang zwischen der Technik und der Verbesserung der 
Arbeitsbedingungen freilegen. Denn indem der Unternehmer 
immer kostbarere neue Apparate in neue bezw. umgebaute Räume 
stellte, war er es seinem eigenen Gewinnstreben schuldig, der 
Bedienungsmannschaft ein reichliches Ausmaß von Raum, Licht 
und Luft zuzubilligen, wenn man von rein humanitären Regungen 
ganz absehen will, die sehr häufig hier hineinspielten. Nach 
den Resten, welche auf unseren Tag aus dem riesigen Ver- 
nichtungskampfe des Leistungsunfähigeren mit dem wirtschaft- 
lich und technisch Bessergestellten sich gehalten haben -— sie 
sind übrigens glücklicherweise ziemlich selten geworden — , 
müssen ehedem oft gerade menschenunwürdige Spelunken Be- 
triebsstätten der Rübenzuckerfabrikanten gewesen sein. Noch 
jetzt nach dem Eingreifen der Gewerbeinspektionen, denen es 
offenbar schwer gemacht wird, solchen Zuständen den Garaus 
zu machen, sind da bisweilen fast lichtlose Arbeitsräume anzu- 
treffen, in denen es nur möglich ist, sich in gebückter Haltung 
vorwärts zu bewegen, in denen Wände, Boden, Treppen usw. 
mit einer dicken, harten Kruste überzogen sind, welche aus 
Zucker und Schmutz besteht. Ein Gewirr von Balken und Eisen- 
schienen an der Decke läßt den Standort der Maschinen im 
oberen Stockwerk annäherungsweise erkennen, unter deren Be- 
wegungen der ganze Raum erzittert. Und noch heute arbeiten 
in diesen Gelassen inmitten surrender Maschinen, knatternder 
Riemen und zischender Dampfstrahlen Menschen, welche nur 
mit dem Notwendigsten bekleidet vor den glutheißen Zentri- 
fugen stehen und deren schweißbedeckte Haut beim Scheine 
einer jämmerlichen Lichtquelle gespenstisch unter dem Wirrwarr 
zahlloser Rohrleitungen und bewegter Maschinenteile hervor- 
schimmert. Diese Überreste einer vergangenen Wirtschaftsstufe 
sind zum Glück stark im Absterben begriffen. Der moderne 
Großbetrieb der Rübenzuckerfabrik tut hinsichtlich seiner An- 
lage schon im eigenen Interesse alles, was seinem Personal eine 
Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Sinne weitgehender Er- 
leichterung bieten kann.*) 

^) Bezüglich der sozialen Lage der im Beamtenverhältnis stehenden 
Arbeitskräfte ist sehr wenig Bestimmtes zu sagen. Mit dem Vordringen 



Die Arbeiterverhältnisse. 167 

Ein Gebiet, auf dem das staatliche Eingreifen die allgemeine 
Entwicklung beschleunigte, ist das der Sicherung des Arbeiters 
gegen Betriebsgefahren. Das bis zum Jahre 1884 bestehende 
allgemeine Unfall-Haftpflicht-Qesetz, welches den Unternehmer 
für den körperlichen Schaden seiner Arbeiter nur insoweit für 
haftpflichtig erklärte, als sein Verschulden nachweisbar sei, hatte 
in den Betrieben der Rübenzuckerindustrie einen ebenso mangel- 
haften Erfolg wie in den meisten übrigen Industrien. Nach dem 
Urteil von Augenzeugen müssen hier die Einrichtungen eine sehr 
geringe Sicherung gegenüber Unfällen gewährt haben, so daß 
bestimmte Fabriken der Zuckerindustrie geradezu berüchtigt waren 
wegen der Größe der Menschenopfer, welche sie in jeder Kam- 
pagne zu fordern pflegten. Auch hier ist ein entschiedener Wandel 
zum Guten eingetreten durch das System eines wirksamen Un- 
fallschutzes, über dessen Durchführung die Aufsichtsorgane der 
Zucker-Berufsgenossenschaft wachen; und damit wuchsen aber- 
mals die Lasten der aufsteigenden Großindustrie. 

Die Summe aller der Belastungen, welche durch die neu- 
zeitliche Regelung der Dauer- und der Saisonarbeit der Rüben- 
zuckerindustrie erwuchsen, sei es durch Verbesserung des Be- 
triebs, höhere Löhne, Einschränkung der Sonntagsarbeit und 
durch die Aufwendungen, welche die Arbeiterschutzgesetzgebung 
dem Arbeitgeber auferlegte,^) haben keinen Augenblick die Technik 

des wissenschaftlichen Elementes im Verwaltungsapparat stiegen natür- 
lich seine Kosten. Von einer schulmäßigen fachtechnischen Vorbildung 
der Unterbeamten ist sehr selten die Rede. Bei der hervorragenden 
Rolle, welche die persönliche Erfahrung in der Zuckertechnik spielt, ist 
das ja auch keineswegs zu verwundern. Die Unterbeamten sind durch- 
weg vom Facharbeiter aufgestiegen. 

Über die Summe der Entlohnungen, welche die deutsche Zucker- 
industrie an ihre Beamten zahlt, vermag man nur Oberschlagsberech- 
nungen aufzustellen. So hat man neuerdings veranschlagt: 

Rüben verarbeitende Fabriken: Bei 400 Betrieben mit durchschnitt- 
lich 10 Beamten und einem Jahreseinkommen von 2000 Mk. Summe 
der Gehälter im Jahre 8 Mill. Mk. 

Raffinerien: Bei 50 Betrieben mit durchschnittlich 20 Beamten und 
dem gleichen Jahreseinkommen 2 Mill. Mk. 
In Summa wären danach 10 Mill. Mk. aufzuwenden. Das Durchschnitts- 
jahreseinkommen dürfte sich indessen wesentlich höher stellen. Setzt 
man es mit 2500 Mk. ein, so berechnet sich der Jahresaufwand auf 
12,5 Mill. Mk. 

^) In den Jahren 1886—1906 wurden von der Zucker-Berufsgenossen- 
schaft 11,36 Mill. Mk. Entschädigungen an die Versicherten bezahlt. 



168 Die Arbeiterverhältnisse. 

der Industrie in ihrem Siegeslaufe aufzuhalten oder gar zu ver- 
kürzen vermocht. Das Gegenteil war eher der Fall. Der Faktor, 
der ganz besonders daran beteiligt war, und der es ermöglichte, 
alle diese Lasten zu tragen, war die Technik. Allerdings brauchte 
sie zu ihrer Entfaltung einen immer größeren Spielraum, nicht 
unter allerlei Gerumpel in einem Schuppen des Bauers konnte 
sie groß werden, sie forderte EUbogenfreiheit, die Möglichkeit, 
die Zusammenhänge zu anstoßenden Wirtschaftskreisen zu ent- 
wickeln und ihren Zwecken entsprechend auszugestalten. Um 
sich zu vertiefen, brauchte sie lineare Ausdehnung, eine Zu- 
sammenballung des Kapitals an relativ wenigen Stellen, die zu 
um so markanteren Formen sich auswuchs, als die Staatsdoktrin 
hier ausgiebig mit Peitsche und Zuckerbrot waltete. 

Jene Lasten, welche die Betriebsstätten der Zuckerindustrie 
zu immer höherer Leistungsfähigkeit in qualitativer und quanti- 
tativer Richtung treiben halfen, stellen das soziale Ferment dar, 
welches heute im Großbetrieb noch vielfach schlummert. Auch 
hier ist in der Zuckerindustrie schon einige Klärung eingetreten. 
Zu den Lasten, welche unter großen Seufzern ursprünglich un- 
freiwillig übernommen wurden, sehen wir in respektablem Aus- 
maß freiwillig aufgebürdete treten. Wenn auch das Studium der 
Wohlfahrtseinrichtungen nicht im Wesen unserer Aufgabe liegt, 
so läßt sich ihr Eindruck doch folgendermaßen wiedergeben: 
Bei weitem nicht in dem Maße, wie an den klassischen Stätten 
des Patriarchalismus, finden sich in der Zuckerindustrie Wohl- 
fahrtseinrichtungen, welche den Arbeiter in seiner Abhängigkeit 
bestärken, wenn sie auch zumal bei den Raffinerien einen breiten 
Raum einnehmen. Es wäre verfehlt, die wirklich guten und 
uneigennützigen Absichten mancher Unternehmer zu verkennen, 
welche ihren Arbeitern nach längerer Dienstdauer freiwillig Pen- 
sionen zahlen,^) ihnen den Eintritt in öffentlich rechtliche Ver- 
sicherungsgesellschaften erleichtern, vom Prämiensystem ausgiebig 
Gebrauch machen und ihnen bei Unglück in der Familie Unter- 
stützungen bewilligen. Alle diese Dinge geben Zeugnis davon, 
daß die Entwicklung zum fabrikmäßigen Großbetrieb nicht ledig- 
lich dem Unternehmer in einer höheren Rente, sondern auch 
dem Arbeitnehmer zugute gekommen ist. 



^) Rühmlichst sind hier die Bestrebungen zur Gründung einer 
Beamtenpensionskasse zu nennen. 



Die Arbeiterverhäitnisse. 169 

Es drängt sich da die Frage auf: Hat wirklich der Unter- 
nehmer steigenden Mehraufwand in frei- und unfreiwilligen Aus- 
gaben für das Wohl und die Hebung seiner Arbeiterschaft ge- 
leistet, lediglich von humanitären Gefühlen bewegt, ohne daß 
ihre Leistungen dafür irgend einen Ersatz zu bieten vermocht 
hätten.. So entschieden diese Frage bezl. der Saisonarbeiter 
von solchen Rübenzuckerindustriellen bejaht zu werden pflegt, 
die von renommistischen Anwandlungen bezl. der Erfassung 
ihrer Menschenpflicht nicht frei sind, so befriedigend ist in 
weiten Kreisen die Klärung der Ansichten und Erfahrungen 
hinsichtlich der Stammgruppe. Mag es sich hier um gelernte 
oder ungelernte Leute handeln: hier ist das Interesse des wirk- 
lich einsichtigen Unternehmers in starkem Maße darauf gerichtet, 
mit allen Mitteln den Mann an der Sicherung seines Betriebs 
zu interessieren. Denn trotz der sorgfältigsten Kontrolle wird 
in dem verwickelten und äußerst vielseitigen Betrieb der Rüben- 
zuckerfabrik immer nur ein geringer Teil aller Arbeiten gerade 
dieser Gruppe in allen Einzelheiten kontrollierbar sein. Die Arbeit 
des einzelnen ist hier sehr oft eine Vertrauenssache. Ein schlecht- 
gelohnter Arbeiter kann durch Nachlässigkeit im modernen Groß- 
betrieb, bei dem alles Hand in Hand arbeitet, hundertmal mehr 
verderben als dem Unternehmer die Interessiening am Betrieb 
jemals kosten kann. Es ist kaum anzunehmen, daß ein Arbeit- 
geber durch Herabdrücken der Löhne gerade dieser Gruppe zu- 
mal in der Kampagne eine Reduktion der Produktionskosten 
ernstlich versuchen wird, manchmal werden vielmehr für die 
eigentliche Betriebsdauer Zuschläge bewilligt; hingegen ist, ohne 
daß sich ein zahlenmäßiger Nachweis von uns führen ließe, mit 
Sicherheit zu vermuten, daß in der neuzeitlichen Wirtschafts- 
verfassung der Industrie der bestgelohnte Arbeiter der Stamm- 
gruppe sich nicht nur durch die Qualität, sondern im ganzen 
auch durch die Quantität seiner Leistungen besser bezahlt macht 
als der schlechtgelohnte. ^ 

Das Bild, welches sich bezl. Arbeitslohn und Arbeitsleistung 
der Stammarbeiter, zumal der gelernten ergibt, läßt sich, wenn 



^) Als Kuriosum sei erwähnt, daß sich der polnische » Verband 
der Industriellen* gelegentlich einer Enquete 1905 dahin äußerte, daß 
die Organisation der in der polnischen Zuckerindustrie beschäftigten 
Arbeiter „sehr wünschenswert sei. Vgl. E. Straßburger, Zur Entwick- 
lung der Arbeiterfrage im Königreich Polen, Warschau 1907. 



170 Die Arbeiterverhältnisse. 

auch in mehr verwaschenen Konturen und unterbrochener Linien- 
führungy entwerfen bezl. der Oruppe der Saisonarbeiter, aber 
die Messung der Leistung ist hier im ganzen weit schwieriger, 
wozu wesentlich beiträgt, daß die Kontinuität der technischen 
Leistung fortgesetzt durch den technischen Fortschritt gestört 
wird, welcher nicht nur den Produktionsapparat, sondern auch 
die qualitativen Eigenschaften des in Verarbeitung befindlichen 
Mediums beeinflußt. Gibt es doch vielleicht nur eine Anzahl 
Industriezweige, in denen sich dieser Nachweis der Wechsel- 
beziehung zwischen Arbeitslohn und Arbeitsleistung mit den bis 
heute bekannten Mitteln der wissenschaftlichen Beobachtung voll- 
ständig exakt führen läßt.^) 

Über den Einfluß der Technik auf die Arbeiterschaft in der 
Raffinationsindustrie ist noch einzelnes hinzuzufügen. Charakte- 
ristisch für sie ist der höhere Orad der Einheitlichkeit, der sie 
gegenüber den Verhältnissen in der Rohzuckerindustrie aus- 
zeichnet. Mit Entschiedenheit tritt hier die Erscheinung auf, daß 
die ungelernten Arbeiter, deren Muskelkraft lediglich ausgenutzt 
wurde, mit dem Größenwachstum und der fortschreitenden Mechani- 
sierung aller Teilprozesse immer mehr zurückgetreten sind gegen- 
über den angelernten und gelernten. Dazu hat allerdings der 
Umstand nicht wenig beigetragen, daß der Unterschied zwischen 
angelernten und gelernten Leuten fortdauernd hier wohl an Schärfe 
eingebüßt hat, eine Tatsache, die mit der Eigenart der Produktions- 
technik in Zusammenhang steht. Das meiste, was über die Ent- 
wicklung der Stammgruppe und ihrer Funktionen in der Roh- 
zuckerfabrik gesagt ist, läßt sich ohne weiteres auf die Raffi- 
neriearbeiter übertragen, ganz besonders entsprechen sich die 
Verhältnisse der Handwerker. Auch in der Raffinerie steht die 
Qualität ihrer Arbeit im Vordergrund, wenn hier auch eine aus- 
giebigere Kontrolle möglich ist, als bei der Rohzuckerfabrik mit 
ihrer kurzfristigen Betriebsperiode, in der alles, Mensch und 
Maschine, mit äußerster Anstrengung arbeitet, und wenn auch 
das technische Moment gegenüber dem kaufmännischen in der 
Raffinerie zurücktritt. 

Es gilt hier nur noch einiges zu sagen über die Verwendung 
der Frauenarbeit. Während die weibliche Arbeitskraft auf allen 



*) G. V. Schulze-Gävernitz, Der Großbetrieb, ein wirtschaftlicher 
und sozialer Fortschritt. 



171 Die Arbeiterverhältnisse. 

übrigen- Stationen unter dem Eindruck analoger Bestimmungen 
über den Arbeiterschutz, wie wir sie in der Rohzuckerindustrie 
kennen lernten, fast ganz auch in der Raffinerie verschwunden 
ist, macht diese ausgiebigen Gebrauch von ihr heute auf der 
Station, die sich mit der Herstellung von sog. Würfelzucker be- 
faßt, der sog. Würfelei. Entsprechend der Vorliebe, welche der 
Konsum in neuerer Zeit für diese Konsumform in steigendem 
Maße gefaßt hat, ist auch die Ausdehnung dieser Station vor- 
wärts geschritten. Es ist hier durch die Möglichkeit, die weib- 
liche Arbeitskraft in ausgedehnterem Maßstab zu beschäftigen, 
dem Unternehmer gewissermaßen ein Ersatz für den Ausfall 
gegeben, welcher ihn durch den Verlust der Frauenarbeit bei 
der ehedem im Vordergrund stehenden Bodenarbeit auf Brot- 
raffinade traf. Das ist bei Betrachtung des Prozentanteils, welchen 
die weiblichen Arbeiter unter der gesamten Arbeiterschaft der 
Zuckerindustrie in Deutschland bilden, nicht außer acht zu lassen. 
Beim Würfelzucker ist zwischen zwei Typen zu unterscheiden. 
Während der sog. Preßwürfel maschinell durch Einpressen der 
Zuckermasse in die entsprechenden Formen hergestellt wird — 
übrigens ein Artikel, der immer mehr Aufnahme findet — kommt 
der geknipste Würfel auf die Art zustande, daß die in Platten- 
form gebrachte, getrocknete Zuckermasse durch Maschinen in 
Streifen zersägt wird, welche alsdann ebenfalls maschinell in 
die sog. Würfel geknipst werden. Die Herstellung dieses Würfels, 
vom Einlegen der Platten, bis zum Einpacken und Verwiegen 
in Kisten usw. ist heute überall Frauen und Mädchen über- 
lassen. Bei der überaus stumpfsinnigen Arbeit des Packens, bei 
der die Würfel auf einer Fördervorrichtung an den Packerinnen 
vorüberbewegt werden, die sie in größeren Partien nach ihrer 
Schönheit auszusondern und in Kisten meist zu legen haben, 
kommt es auf einen hohen Orad von Geschicklichkeit an, und 
es wird behauptet, die leichte Hand der Frau durch nichts anderes 
ersetzen zu können. Doch schon sind dort, wo hohe Löhne 
zu zahlen sind, in neuester Zeit Maschinen in Tätigkeit, welche 
die Würfel gleich in ganzen Lagen in die Kisten zu bringen 
gestatten, die den Menschen von der geisttötenden Arbeit be- 
freien und die Produktionskosten ermäßigen, falls für eine recht 
gute Ausnützung gesorgt werden kann: gelingt es doch auch 
in diesem Falle sämtliche Würfel zu packen, während sonst der 
Teil von ihnen, der weniger glatt abgesprungen ist, zu billigerem 



172 Die ArbeiterVerhältnisse. 

Preise verkauft wird. Da solche Einrichtungen aber nur die tech- 
nisch vollendetsten Großbetriebe rentabel verwerten können, ist 
hier wieder einmal der Beweis dafür gegeben, daß er im Gegen- 
satz zum Kleinbetrieb die intellektuelle Fähigkeit des Arbeiters 
besser auszunutzen imstande ist, insofern hier zur Leitung einer 
maschinellen Vorrichtung ein höheres Maß von Intelligenz ge- 
hört als dann, wenn derselbe Vorgang durch Betätigung des 
menschlichen Muskelspiels zustande kommt. 

Wie weit gerade auf dieser Station die Ausnützung der weib- 
lichen Arbeitskraft zu rein mechanischen Funktionen getrieben 
wird, zeigen die überaus verschiedenen Anforderungen, welche 
die verschiedenen Werke an die Leistungsfähigkeit einer Arbeiterin 
zu stellen pflegen. Eine Detailuntersuchung wäre hier deshalb 
leicht durchzuführen, weil die verwendeten Maschinen und Vor- 
richtungen sehr wenig in Konstruktion und Abmessung vari- 
ieren, die zu packenden Kisten regelmäßig dieselben Formate 
und Gewichte haben und lediglich in der Form und Größe des 
„Würfels" Verschiedenheiten bestehen. Das ungleiche Maß der 
Anforderungen drückt sich natürlich in dem Akkordsatz aus,. der 
für die Kiste bezahlt wird. Bei gleichem Format, Gewicht und 
Maschine und derselben Art von Arbeitsteilung, bei gleichzeitiger 
Lieferung des Arbeitsanzuges durch die Werke wurden Schwankun- 
gen des Akkordsatzes pro Kiste zwischen 6 und 11 Pfg. fest- 
gestellt, das entspricht, wenn ein höchster Tagesverdienst der 
besten Arbeiterin von 3 Mk. zugrunde gelegt wird,i) einer ab- 
soluten Höchstleistung von 50 und 27 Kisten. Wenn auch in 
die Lohnfrage eine Menge Unterfragen hineinspielen, so soll 
damit nur fes^estellt sein, daß der Lohn, mit dem diese Arbeits- 
leistung gemessen wird, in der Industrie ein ganz auffallend ver- 
schiedener ist. 

Im ganzen bestätigt aber auch die Entwicklung der Fabrik- 
arbeit in der Raffinerie das, was die Rohzuckerfabrik lehrte. 
Nur bestehen hier wie dort Abweichungen in der Schärfe, mit 
denen sich Einzelzüge aus dem Gesamtbild herausheben, was 
ja ohne weiteres aus der inneren Wesensverschiedenheit der 
Wirtschaftskreise folgt. Der Mechanisierungsprozeß hat den An- 
teil der menschlichen Arbeit an der Einheit des Produktes enorm 
herabgesetzt. Der steigende Ersatz der Arbeit durch Kapital 



^) Wie es sehr häufig geschieht. 



Die Arbeiterverhältnisse. 173 

läßt auf den Menschen als Motor immer entschiedener verzichten. 
Anstelle des Arbeiters, der mit seiner Muskelkraft dem Unter- 
nehmer dient, tritt der moderne Typus, der selbst Kräfte leitet. 
Hier hat der Großbetrieb mit seiner Technik den Menschen 
nicht zu einem tieferen Niveau hinabgedrückt, sondern im Be- 
dürfnis nach Qualitätsarbeit hat er ihn dem Menschheitsideal 
ein Stück entgegen geführt. Freilich war dieser Wachstums- 
vorgang wie alles Wachsen von mancherlei Schmerzen begleitet 
Eine reichliche Differenzierung der qualitativen Leistung nach 
war eine unausbleibliche Begleiterscheinung. Die Scheidelinie 
zwischen Ungelernten, Angelernten und Gelernten wird im ganzen 
immer deutlicher markiert. So spricht es denn für das steigende 
Kulturniveau und die fortschreitende Volkswirtschaft unseres 
Volkes, daß der Großbetrieb der Zuckerindustrie in neuerer Zeit 
an den Stellen, wo er die reine Muskelarbeit heute noch nicht 
entbehren kann, Arbeitskräfte mit niederer Lebenshaltung an- 
setzt, welche er sich für den Saisonbetrieb aus dem Osten 
zumeist verschreibt, um die nationale Arbeitskraft höheren Auf- 
gaben dienstbar zu machen, welche den Trägern und Leitern 
derselben einen höheren Grad von Rentabilität in Aussicht 
stellen können. 



IL Abschnitt. 

Die zuckerindustrielle Entwicklung: und die deutsche 
Landwirtschaft 

1. Kapitel. 
Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Es ist ein bezeichnendes Merkmal der Rübenzuckergewinnung, 
daß der Komplex, den sie in der nationalen Produktion einnimmt, 
sich aus zwei Teilgebieten zusammensetzt, aus der Sphäre der 
landwirtschaftlichen Produktion und der der industriellen Ver- 
arbeitung des von ihr gelieferten Erzeugnisses. Dementsprechend 
ist den bisherigen Ausführungen das unerläßliche Korrelat die 
Untersuchung der Wirkungen, welche das fortschreitende Orößen- 
wachstum und der technische Fortschritt der Industrie auf den 
landwirtschaftlichen Betrieb ausübten und aus ihnen für die natio- 
nale Wirtschaft erwuchsen. 

Manches, was den Entwicklungsgang der verarbeitenden 
Technik berührte, ist für die Urproduktion von derselben Wichtig- 
keit, und es bleibt nur noch die Aufgabe, es ihrem Beziehungs- 
bereich einzuordnen, anderseits sind aber die davon losgelöst 
erscheinenden spezifischen Folge- und Begleiterscheinungen für 
die landwirtschaftliche Produktion, soweit sie auf Zuckerrüben- 
kultur zurückgehen, auf ihre volkswirtschaftliche Tragweite zu 
untersuchen. Da dabei Detailschilderungen und -Untersuchungen 
aus dem Rahmen unserer Aufgabe ausscheiden müssen, muß 
im Einzelfalle der Hinweis auf Spezialarbeiten genügen. 

Der natürliche Zusammenhang mit der in ihrer Entfaltung 
zur Großindustrie rapide fortschreitenden Rübenzuckerindustrie 
richtet die Betrachtung auf die Ausdehnung der Rübenkultur, 
welche diese parallel jener Entwicklung nehmen mußte. Seit 
etwa 10 Jahren ist bezl. der Größe der Rübenanbaufläche in 
E)eutschland ein Beharrungszustand eingetreten, die Schwankungen 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 175 

von der Durchschnittsgröße nach oben und unten machen dabei 
etwa 70/0 aus. Legt man die durch die letzte deutsche Berufs- 
und Qewerbezählung von 1895 für die gesamte Erntefläche aus- 
gewiesene Größe von 28726986 ha zugrunde, so macht die 
als Rübenanbaufläche ermittelte Größe aus: 1894/5 441441 ha 
= 1,570/0 der Gesamterntef lache, dagegen im Jahre 1903/4 
416877 ha = 1,45 0/0 und 1901/2 478749 ha = 1,67 0/0 dieser 
Größe. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß die noch zu 
erörternden allgemeinen Vorteile der Rübenkultur einer viel be- 
deutenderen Fläche zugute kommen. Da nach allen Erfahrungen 
der Anbau auf demselben Acker nur in drei- bis vierjährigem 
Wechsel tunlich ist, werden sie sich auf etwa 5 0/0 der Oesamt- 
emtefläche verteilen. 

Viel größere Bedeutung als diese allgemeine Feststellung 
gewinnt für den vorliegenden Zweck die morphologische Ge- 
staltung der Rüben bauenden Wirtschaften. Hier sind die Ent- 
wicklungsetappen mit ziemlicher Deutlichkeit zu erkennen. 
Während die Fabriken zur Zeit der Wiederbegründung der In- 
dustrie in Deutschland ihr Entstehen dem kaufmännischen Unter- 
nehmungsgeist vorwiegend verdankten und in der Weise be- 
trieben wurden, daß der Kaufmann den Landwirt zum Rüben- 
bau anhielt, ihm das Rohmaterial abkaufte und die Verarbeitung 
auf eigene Rechnung und Gefahr vornahm, gliederte sich sehr 
bald der landwirtschaftliche Großbetrieb der Zuckerfabrik an. „Da 
die gekauften Rüben gemeinhin von schlechterer Beschaffenheit 
sind als die selbstgezogenen, so verbinden die Zuckerfabrikanten 
mit ihren Fabriken den landwirtschaftlichen Betrieb und pachten 
nicht bloß einzelne Morgen auf ein oder mehrere Jahre, sondern 
nehmen ganze Bauernhöfe auf6— -15 jährige Pacht, auf denen sie voll- 
ständig Landwirtschaft treiben."^) Schon in den 50er Jahren 
beginnen sich Aktiengesellschaften zu etablieren. Aber noch 
macht die Gesetzgebung in Preußen vor allem die Gründung 
derselben umständlich.^) Erst im Jahresbericht 1883/4 des statisti- 
schen Bureaus von F. O. Licht ist zu lesen, daß „die Aktionäre 



1) Friedrich Wilh. Schubert, Handbuch der allg. Staatskunde, Königs- 
berg 1847, Bd. 7, S. 60. 

^) Im Braunschweigischen kam man weit früher zur Aktienzucker- 
fabrik. Die preußische Regierung suchte die Entstehung von Fabriken 
auf kollektivistischer Grundlage zu hintertreiben und legte Wert darauf, 
daß nur ein Besitzer vorhanden war. 



176 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

sich vielfach zum Anbau einer gewissen Anzahl Hektar nach 
bestimmten Vorschriften verpflichtet haben und außer einem ge- 
wissen Rübenkaufpreis auch noch eine Dividende vom Fabrik- 
reingewinn nach Maßgabe ihres Aktienanteils oder der gebauten 
Rüben erhalten/' Die weitere Entwicklung ist schon genügend 
gekennzeichnet worden in dem Sinne, daß sich die Aktienzucker- 
fabrik als Interessengemeinschaft der Rohstoff- und Fabrikat- 
produzenten als überaus fruchtbar für den Aufschwung der In- 
dustrie erwies. Die Verselbständigung des industriellen Teils 
der Zuckergewinnung bedeutete die vollständige Aufgabe des 
kleingewerblichen Charakters, auf den man auch in Deutsch- 
land zunächst große Hoffnungen gesetzt hatte, für dessen Pflege 
sich aber die Staatsregierung Preußens, die sich wiederholt mit 
der Frage beschäftigt hatte, nicht gewinnen ließ.i) Von dem 
Augenblick an, in dem sich das kaufmännische Element, so- 
weit es sich in der Industrie hielt, dem landwirtschaftlichen 
näherte, und, gedrängt von der Erkenntnis der Aussichtslosig- 
keit des kleingewerblichen Betriebs, an Ausdehnung der beider- 
seitigen Wirtschaftssphäre zu gewinnen suchte, hat der tech* 
nische Fortschritt mit jener geradezu ungewöhnlichen Energie 
eingesetzt, welcher in den Jahren der im ersten Stadium stehen- 
den industriellen Erschließung die Rübenzuckerindustrie zumal 
in Norddeutschland ihrer technisch-wirtschaftlichen Bedeutung 
nach unmittelbar neben die Eisenbahnunternehmungen stellte, 
eine Position, welche ihr erst in den 50er Jahren in Verwirk- 
lichung der neuartigen Technik von den nun massenhaft ge- 
gründeten Erwerbsgesellschaften der Eisen- und Montanindustrie 
strittig gemacht wurde. Gerade in der überaus glücklichen Ver- 
mählung der mannigfachen Interessengruppen, zu der die juristi- 
sche Form der Aktiengesellschaft ein günstiges Mittel bot, in 
der Periode des zum Leben erwachten, entfalteten Kapitalismus 
und in der restlosen Übertragung des Anreizes, welche die Steuer- 
und Zollgesetzgebung bot, auf die Landwirtschaft liegt nicht 
nur ein Ausgangspunkt für den Fortschritt der verarbeitenden 
Technik, sondern der Kardinalpunkt für den der Urproduktion, 
ja sogar der deutschen Landwirtschaft überhaupt. 

In welcher Weise hat die großindustrielle Entwicklung ihren 
Einfluß auf die Morphologie der Rüben bauenden Landwirtschaft 

^) W. Schwarzwäller, Die Rtibenzuckerfabrikation und der Anbau 
der Zuckerrübe, Hamm 1865, S. 15. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 177 

ausgeübt, und welche Folgen entsprangen aus der Verschiebung? 
Leider ist es nur möglich, hier einige Andeutungen zu machen, 
da die deutsche Berufs- und Gewerbestatistik des Jahres 1882 
über die Stellung des Rübenbaus in der Landwirtschaft un- 
genügende Auskunft gibt. Erst die Aufnahmen von 1895 geben 
einige Anhaltspunkte. 

Es kommen auf die einzelnen Größenklassen von 100 land- 
wirtschaftlichen Betrieben mit 

Zucker- Stärke- Mfihlen- 



fabrikation Brennerei fabrikation 


anlagen 


Brauerei 


unter 2 ha 44,00 


11,63 


7,52 


18,78 


17,73 


2—5 ha 9,72 


6,55 


6,61 


24,15 


18,57 


5—20 ha 14,86 


17,58 


10,25 


44,30 


41,86 


20—100 ha 9,71 


17,60 


13,21 


11,29 


19,70 


über 100 ha 21,71 


46,46 


61,41 


1,48 


2,14 



100,00 100,00 100,00 100,00 100,00 

Die vorstehende Tabelle bestätigt, daß die Eigenversorgung 
mit Rohmaterial in der Zuckerindustrie der neueren Zeit eine 
ziemlich untergeordnete Rolle spielt, da die Hälfte aller Fabriken, 
die selbst Landwirtschaft betreiben, ganz unbedeutende Flächen 
bewirtschaften, übrigens sehr im Gegensatz zu anderen land- 
wirtschaftlichen Nebengewerben. 

In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens waren die An- 
sprüche der aufstrebenden Industrie hingegen fast ausnahmlos 
auf die Quantität gerichtet. Da lange Zeit nicht daran zu denken 
war, daß die Mehrzahl der Rübenbauer sich zu einer kontrakt- 
lichen Verpflichtung auf die Lieferung unter Beobachtung be- 
stimmter Kulturvorschriften gebauter Rüben sich herbeiließ, blieb 
als einziger Ausweg der Anbau in eigener Regie. Überdies ist 
nicht zu bezweifeln, daß eines der Haupterschwernisse bei An- 
legung und Betrieb einer Zuckerfabrik in den ersten Jahren der 
Rübenbau bot,i) da der Bruch mit der alten Anbauweise und 
ihren Fruchterfolgen sich wegen des Mehrbedarfs an Arbeit und 
Kapital nicht so glatt vollziehen konnte und mit Fehlschlägen 
noch eine Weile zu rechnen war. In den 50 er Jahren lernte der 
norddeutsche Durchschnittsbauer erst einsehen, welche Vorteile 
der Rübenbau vor allem indirekt bietet. Er begann entgegen- 



*) Ein Wort, über die Rübenzuck'erfabrikation, von einem Fach- 
mann, Berlin 1842, S. 53. 

Schuchart, Zuckerindustrie. 12 



178 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

kommender den .Wünschen des Fabrikanten gegenüber zu treten» 
zumal er immer mehr selbst dabei seine Rechnung fand. Dann 
aber stand die Landwirtschaft ohnehin im Begriff, in einen 
Zustand intensiveren Betriebes zu geraten, der zum guten Teil 
erst durch die Gesetzgebung des Jahres 1850 und die fortschrei- 
tende Separation möglich geworden war. Aus dem beiderseitigen 
Streben des Fabrikanten, der seinen Betrieb fortgesetzt zu ver- 
größern gehalten war, und des Rübenbauers, der gefügiger ge-- 
worden war, resultierte eben jene Bindung des Lieferanten als 
Aktionär als der einzig aussichtsreiche Weg, die Znckerfabrikation 
vom Wankelmut des Landwirts unabhängig zu machen. Dazu 
gab sich aber nur der landwirtschaftliche OroBbetrieb her, und 
in der Tat lag in dessen Händen die Rübenlieferung zunächst 
fast ausschließlich. Wie die Tabellen S. 96—98 zeigen, wuchs 
in der Zeit der sprunghaft fortschreitenden Produktion um 1880 
das Kontingent der Kaufrüben, und zwar nicht so sehr auf 
Kosten der Aktien-, als auf die der Eigenrüben. Und damit ist jener 
Zeitpunkt scharf markiert, von dem ab der Großbetrieb auf eine 
entschiedene Verselbständigung des technischen Anteils dringt» 
Andrerseits ist aber auch die Aufgabe des landwirtschaft- 
lichen Großbetriebs, an dem die Fabriken oft beteiligt waren, 
im ganzen von nun ab als gelöst zu betrachten. Es ist nicht 
zu bezweifeln, daß das Vorbild zur Rübenkultur für den mittleren 
und kleinen Grundbesitz der größere und größte landwirt- 
schaftliche Betrieb gewesen ist, ein wichtiges Argument gegen die 
Anschauung derjenigen, welche in der historischen Entwicklung 
den pädagogischen Wert des landwirtschaftlichen Großbetriebs 
zu übersehen geneigt sind. Wenn bei diesem Wachstumsvor- 
gang der Industrie, der plötzlich das Kontingent der Kaufrüben 
ansteigen ließ, auch seine Zunahme nicht lediglich auf den An- 
bau kleinerer und kleinster Parzellenbesitzer zu schieben ist, da 
ein großer Teil der Kaufrüben sog. Oberrüben der Aktionäre 
waren, welche bei der guten Konjunktur den Rübenbau weit über 
ihre Beteiligungsziffer forcierten, so steht doch fest, daß als Kauf- 
rübenlieferant der mittlere und Kleinbesitz Fortschritte machte 
und daß der züchterische und kulturelle Fortschritt der im Groß- 
betrieb erprobten Kulturen in steigendem Maße auf jene nun 
wachsende Gruppe der freien Rübenlieferanten überging; und 
darin liegt für die Landeskultur ein zweites nicht minder wert- 
volles Verdienst des landwirtschaftlichen OroßBetriebs. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 



179 



Wie sich die Rübenlieferanten nach ihrer Anzahl und Be- 
triebsgröße in Deutschland verteilen, zeigt auf Grund der stati- 
stischen Aufnahme von 1895 die folgende Tabelle. Vergleichs- 
weise sind die analogen Werte für Braunschweig aufgeführt, 
den Gebietsteil, in welchem die Rübenkultur die stärkste Aus- 
dehnung in Deutschland damals hatte. Dazu muß bemerkt 

Landwirtschaftliche Betriebe mit Anbau von Zuckerrfiben. 

Berufs- und Gewerbezählung 1895. 

L Deutschland. 



Cröfienklasse 


Zahl der £ 
Anbau von: 

im Ganzen 


betriebe mit 
Zuckerrfiben 

in Prozent 
der Betriebe 

rfiben 


Rfiben 

im Ganzen 
ha 


fläche 

in Prozent 
der gesam- 
ten Rfiben- 
fliche 


Von 100 
landwirt- 
schaftlichen 
Betrieben 
bauen 
Zucker- 
rfiben 


Von 100 ha 
landwirt- 
schaftlich 
benutzter 
Fliehe sind 
mit Zuckerr 
rfiben be- 
baut 


1 


2 


3 


4 


5 


6 


7 


unter 2 ha 


10781 


9,5 


3781 


1,0 


0,3 


0,2 


2-5 ha 


21413 


18,9 


12693 


3,2 


2,1 


0,4 


5-20 ha 


47145 


41.6 


48213 


12,2 


4,7 


0,5 


20-50 ha 


20776 


18,3 


54819 


13,8 


8,7 


0,8 


50-100 ha 


5867 


5,3 


42963 


10,8 


14,0 


1,6 


über 100 ha 


7262 


6,4 


233820 


59,0 


29,0 


3,0 


Überhaupt 


113244 


100,0 


396289 


100,0 


2,0 


1,2 



II. Braunschweig. 



1 


2 


3 


4 


5 


6 


7 


unter 2 ha 


2016 


24,1 


383 


1.6 


4,5 


2,1 


2— 5 ha 


1275 


15,2 


630 


2,7 


23.8 


3.7 


5— 20 ha 


3193 


38,2 


4841 


20,4 


52,1 


7.8 


20-50 ha 


1374 


16,4 


6280 


26,4 


73,1 


11.1 


50-100 ha 


342 


4.1 


4482 


18,9 


91,0 


18.1 


Ober 100 ha 


164 


2,0 


7101 


30,0 


91,0 


17.0 


Oberhaupt 


8384 


100,0 


23697 


100.0 


14,4 


10.7 



werden, daß Braunschweig das klassische Land der Aktienzucker- 
fabrik ist, ein Mjoment, welches dem Anbau in kleinen und 
kleinsten Betriebsgrößen entschieden entgegen wirkt. Trotzdem 
ist die Beteiligung der kleinen Größenklassen eine recht an- 
sehnliche. 



180 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Übrigens gibt die moderne kontraktliche Verpflichtung des 
Nichtaktionärs — denn irgendwie bedeutende Mengen werden 
regelmäßig auf Onind eines Lief erungsv^rtrages erworf)en — 
einen Maßstab für das Vordringen und die Entwicklung der aus- 
gesprochen kapitalistischen Methode zu wirtschaften. Es sei bei- 
läufig erwähnt, daß der Bauer, der mit der Zuckerfabrik zu 
tun hat, immer mehr in ein kapitalistisches Fahrwasser getrieben 
wird, insofern er beispielsweise gezwungen ist, sich über die 
mitunter recht umständlichen und verwickelten Bedingungen ver- 
schiedener Rübenlieferungsverträge, ihre Vor- und Nachteile, klar 
zu werden und auf Grund der Kursberichte von landwirtschaft- 
lichen Produkten und seinen individuellen Produktionskosten usw. 
zu entscheiden, ob er nach Lage der Konjunktur beim Rüben« 
bau verbleibt, oder ob er zur Kultur anderer Feldfrüchte oder 
zu einem anderen Wirtschaftsplan übergeht. Mit besonderer Präg- 
nanz verdeutlichen die Auflagen des Rübenlieferungsvertrags'), der 
vielfach die Möglichkeit eines tiefen Eingriffs in den landwirt- 
schaftlichen Betrieb dem Rübenabnehmer einräumt, den kapi- 
talistischen Zug, den der Industriebetrieb in den Landwirtschafts- 
betrieb hineinträgt. So umfaßt meist der Rübenlieferungsvertrag 
außer Abmachungen über die Größe der jährlich mit Rüben zu 
bebauenden Fläche, den Preis, die Verteilung der Frachtkosten, 
die Abnahmebedingungen, die Menge und Beschaffenheit der 
zurückzuliefernden Schnitzel, Festsetzungen über den geringst 
zulässigen Zuckergehalt. Falls die Lieferung letzteren unter- 
schreitet, findet entweder Zurückweisung oder ein empfindlicher 
Abzug im Verhältnis des Mankos statt. Eventuell wird festgesetzt, 
daß die Preisberechnung jedes gelieferten Rübenquantums nach 
dem Zuckergehalt stattfindet. Da die Zuckerfabrik ein hohes 
Interesse an einem sehr zuckerreichen Rohmaterial hat, das ihre 
Selbstkosten aufs günstigste beeinflußt, andrerseits die Größe 
des Zuckergehalts den * Rübenertrag pro Flächeneinheit leicht in 
Mitleidenschaft ziehen kann, so wäre es nicht mehr als billig, 
daß der Rübenproduzent für eine Ware, die den Fabrikanten 
hinsichtlich des Zuckergehaltes sehr befriedigt, ihm aber durch 
das geringe Gewicht einen Ausfall bringt, eine Prämie erhielte. 



1) Dieser wird meist auf drei Jahre abgeschlossen. 
•) Beispiel eines solchen bei H. Claassen und Hartz, Die Zucker- 
fabrikation, 1905, S. 16 ff. 



Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 181 

Über diesen Punkt enthält dann auch der Vertrag Abmachungen. 
Dazu kommen dann vielfach Vereinbarungen betr. die Über- 
wachung der Rübenkultur durch eine Schaukommission, ihre Zu- 
sammensetzung muß geregelt werden und Grundsätze über die 
Durchführung der genau präzisierten Kulturvorschriften seitens 
derselben müssen vertragsmäßig festgelegt sein.^) Das ist ein 
recht wichtiger Punkt, denn, der Fabrikant hat nicht nur Inter- 
esse an hohem Zuckergehalt, sondern erst recht an einer guten 
Verarbeitungsfähigkeit der Rübe, die aber ihrerseits nur durch 
Fernhalten bestimmter, die chemische Zusammensetzung der Rübe 
stark beeinflussender Düngemittel gewährleistet werden kann. 
Eventuell wird in beiderseitigem Interesse die Lieferung des Saat- 
gutes, die leihweise Überlassung landwirtschaftlicher Maschinen, 
kostenloser Verabfolgung von Abfallprodukten der Rübenver- 
arbeitung, welche als Düngemittel wertvoll sind, u. dgl. vom 
Fabrikanten übernommen. So ist also die Qesamtwirkung der 
vertraglichen Verpflichtung des Rübenbauers, mag er Aktionär 
oder freier Lieferant sein, die folgende: Die Verschmelzung der 
Interessenssphäre zwischen Fabrikant und Landwirt, wie sie in 
der kapitalistischen Unternehmungsform der Aktiengesellschaft 
ihren Ausdruck findet, entwickelt sich im Zeichen einer 
fortgeschrittenen kapitalistischen Entwicklung in Richtung einer 
Separierung in zwei Wirtschaftskreise, die scharf voneinander 
geschieden sind und welche dem Lieferanten und dem Fabri- 
kanten ein Höchstmaß gegenseitiger Bewegungsfreiheit in den 
großen prinzipiellen Entschließungen zwar einräumt und die An- 
passung an die wechselnden Produktions- und Konjunkturver- 
hältnisse nach Maßgabe der individuellen Urteilsfähigkeit der 
Wirtschaftsleiter gestattet, die eine Schädigung der Rübenkon- 
sumenten durch den -Produzenten und umgekehrt auszuschließen 
sich bemüht, aber auf vertragsmäßigen Rechten und Pflichten 
fußend die Wirtschaftsleiter zwingt, ihre Rechte mit unerbitt- 
licher Strenge bis zur äußersten Konsequenz wechselseitig aus- 
zukämpfen, alles zur Verwertung eines Sachvermögens, d. h. 
zum Zweck einer Reproduktion mit einem höchsterreichbaren 
Aufschlag. 

Im Banne dieser durch das kapitalistische Ferment erzeugten 
Wirtschaftsenergie haben sich denn auch die Erscheinungen ein- 



Sie fallen bei Bezahlung der Rüben nach dem Zuckergehalt weg. 



182 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

gestellt, welche das neueste Wirtschaftsstadium fast aller In- 
dustriezweige charakterisieren, Bewegungen, die auf die Aus- 
schaltung der inneren Konkurrenz hinauslaufen. Nicht die geringe 
Zahl der Verbraucher ist es, die sich gegenüber den Produzenten 
zusammenschließt. Während, soweit in Erfahrung gebracht wer- 
den konnte, die Rübenzuckerfabriken über Verabredungen, denen 
der bindende Charakter fehlt, noch nicht hinausgekommen sind 0, 
haben sich z. B. in der Rheinprovinz die zahlreichen Rübenbauer 
zwecks Festsetzung des Einheitspreises zusammengetan, ein 
Beweis für die Zähigkeit und das Oeschick, mit welcher der 
modern wirtschaftende Landwirt sein Erwerbsstreben auf die neu- 
zeitlichen Formen des Konkurrenzkampfes einzurichten gelernt 
hat. Übrigens liegt dafür, daß die Rübenabnehmer sich noch 
nicht in analoger Weise koaliert haben, kein deutlicher Grund 
vor. Immerhin mögen sie mit der Möglichkeit rechnen, daß eine 
zu. starke Drückung des Preises der Produzenten eine ihnen sehr 
unerwünschte Einschränkung des Anbaus veranlassen kann, bei 
der sie selbst angesichts der schweren Realisierbarkeit der in- 
vestierten Kapitalien entschieden mehr aufs Spiel setzen als die 
Produzenten, die für ihre Produktion anderseitig leichter Ersatz 
finden können. Schon gegenwärtig bedrohen in manchen Gegen- 
den, in denen der Verselbständigungsprozeß der Industrie am 
weitesten vorgeschritten ist, dunkle Schatten die Zukunft der 
Industrie. Nur für kurze Zeit und unter schweren Opfern wird eine 
Überschreitung jener oberen Grenze der zulässigen Verselbstän- 
digung möglich sein. Die Grundlage für den Fortbestand beider 
Sphären der Produktion wird die Pflege des naturgemäßen Zu- 
sammenhangs zwischen ihnen sein, die eine wird nur blühen 
können durch die andere, und einseitige Interressenpolitik dürfte 
beide in ihrem Bestände schwer gefährden. In diesem Sinne wird 
die Tendenz zur Verselbständigung ihre Begrenzung finden. 

Aus dieser Darlegung geht hervor, daß der mittlere und kleine 
Landwirtschaftsbetrieb mit steigender Betonung kapitalistischer 
Grundsätze sich in zunehmendem Maße manche Vorteile größerer 
Betriebseinheiten zu sichern imstande ist, sofern er überhaupt 
über die dazu notwendige Energie verfügt. In dieser Erkenntnis 
dürfte ein Grund dafür zu erblicken sein, daß der Rübenbau immer 



^) Eine Ausnahme davon ist nur die Festlegung von Demarkations- 
linien, die sich zuweilen findet. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 183 

mehr die Tendenz hat, die kleinen und kleinsten ländlichen Wirt- 
schaften zu okkupieren, wie sich das in manchen Gegenden be- 
obachten läßt. Seit dem Betriebs jähr 1892/3, dem Jahr, seit dem 
es möglich ist, statistisch den Ertrag pro Hektar bei Eigen-, 
Aktien- und Kauhüben festzustellen, läßt sich mit genügender 
Deutlichkeit erkennen, daß die Kaufrfiben, welche zum großen 
Teil von kleinen und kleinsten Landstellenbesitzern stammen, 
im ganzen befriedigende Erträgnisse lieferten (vgl. Tabelle S. 137), 
zumal wenn man sie mit denen früherer Jahre vergleicht, wie 
sie auf den Äckern der den Fabrikanten verpflichteten Lieferanten 
erzielt wurden: Es wurden geerntet hier durchschnittlich 1872—75 
234 dz, 1876—80 272 dz, 1881—85 316 dz, 1896—90 296 dz pro 
Hektar. Wenn auch nicht zu vergessen ist, daß die Quantität nur 
ein Kriterium für den Stand des Rübenbaus darstellt, so ist doch 
nicht zu übersehen, daß die Zahlen der Tabelle S. 137 aus einer 
Zeit kommen, in der die Bedingungen rationeller Rübenkultur in 
Norddeutschland wenigstens schon Gemeingut aller in Betracht 
kommenden mittelbäuerlichen Betriebe waren, in der der Fabrikant 
längst einen Einfluß auf die Kulturmethode sich gesichert 
hatte. Der Rückgang des Eigenrübenkontingents ist nicht nur 
ein Symptom für die Fortentwicklung des Verselbständigungs- 
prozesses bis in die neueste Zeit und liefert einen Beitrag zum 
Problem der Spezialisation, sondern gibt einen Beweis dafür, 
daß der erziehliche Einfluß des landwirtschaftlichen Großbetriebs 
auf den Mittel- und Kleinbetrieb von weitgehendem Erfolg ge- 
wesen ist, insofern die Industrie in steigendem Maße ihr Produkt 
verarbeitet. ^ 

Freilich sind hier gewisse Einschränkungen zu machen, welche 
die volkswirtschaftlich wünschenswerte Beteiligung kleiner Land- 
stellenbesitzer am Rübenbau keineswegs unbedingt für die In- 
dustrie vorteilhaft erscheinen lassen. Dafür liefern die Verhält- 
nisse in Süddeutschland das klassische Beispiel. Es liegt im 
Interesse unserer Untersuchung, auf dasselbe näher einzugehen. 

Oberblickt man die geographische Verbreitung der Rüben- 
zuckerfabriken in den Jahren der Begründung des Industrie- 
zweiges, so trifft man eine sporadische Verteilung in fast allen 



^) Daß der Kleinbesitz vorzügliches bei der Rübenkultur zu leisten 
vermag, zeigen die Detailschilderungen Auhagens, in den Landwirt- 
schaftlichen Jahrbüchern, 1896, S. 4. 



184 



Zuckerrübenbau und Lamiwirtschaft^betrieb. 



deutschen Gebietsteilen, während sich heute in Mitteldeutschland 
und in Schlesien eine deutsche Akkuniulation vorfindet. Es steht 
fest, daß die Länder südlich der Mainlinie seit Bestehen der 
Rübenzuckerindustrie für diese das lebhafteste Interesse an den 
Tag gelegt haben. Bestand doch schon 1808 in Augsburg die be- 
rühmte Rübenzuckerfabrik des Herrn v. Qrauvogl, der sich die 
Einrichtung viel Geld und Mühe kosten ließ und allerlei Erfah- 
rungen sammelte.!) Die Jahresproduktion betrug 1810 immer- 
hin schon 20000 Pfund bei einer Ausbeutezahl von 3.5 bis 4. 
Eine der bedeutendsten Fabriken iii der ersten Hälfte der 30 er 
Jahre war die v. Ützschneiders in Obergießing bei München, von 
der berichtet wird, daß sie in 24 Stunden Rohzucker herzustellen 
vermöge, eine im Jahre 1835 allgemein angestaunte Leistung.^ 
Der Erfolg dieses Unternehmens führte 1836 zur Begründung drei 
weiterer Fabriken in unmittelbarer Nähe Münchens. Also an 
Interesse und Unterstützung seitens der Regierung^) fehlte es 
in Bayern durchaus nicht. Und doch zeigen die Tabellen S. 96 
bis 98, 111 — 113, daß die süddeutsche Rübenzuckerindustrie bis 
auf den heutigen Tag weit hinter der analogen Entwicklung in 
Norddeutschland zurückgeblieben ist.^) Die Anzahl der Betriebs-. 
Stätten in den einzelnen Landesteilen betrug: 





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32 


43 



^) über die Zuckerfabrikation in Bayern, von Rieh. v. Grauvogl, 
1810. Derselbe, Über die Zuckerbereitung aus Runkelrüben, 1811. 

*) Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe des In- und Aus- 
landes, herausgegeben von C. C. Becher, 1836, S. 14. 

') H. A. Hofmann, Anleitung zum zweckmäßigen Anbau der Runkel- 
rüben für Zuckerfabrikation, 1826. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 185 

Worin sind die Ursachen für diese auffallende Erscheinung zu 
suchen ?0 Nicht etwa in den Absatzverhältnissen, denn das Zoll- 
parlament regelte nach einheitlichen Gesichtspunkten die Zölle. 
Auch war der süddeutsche Markt seit langer Zeit die Domäne 
der norddeutschen Fabriken, und erst in jüngster Zeit entbrannte 
auf ihm ein äußerst heftiger Konkurrenzkampf zwischen ihren 
Produkten und denen der sich aufraffenden süddeutschen Werke. 
Also müssen in den Produktionsverhältnissen schwerwiegende 
Divergenzen bestehen. Sind diese etwa in der physikalischen 
Beschaffenheit des Bodens oder in den klimatischen Verhält- 
nissen zu suchen? Was erstere angeht, so wird von Autoritäten 
bestätigt, daß in zahlreichen Landstrichen die Qualität des Bodens 
mit der bester Böden Norddeutschlands mit ausgezeichneter 
Rübenkultur konkurrieren könnte. Außerdem wäre es in neuerer 
Zeit wohl möglich gewesen, eine Rübe heranzuzüchten, welche 
den spezifischen Eigenschaften der in Süddeutschland verbreite- 
ten Bodenarten angepaßt wäre. Hinsichtlich der klimatischen Ver- 
hältnisse wird ebenfalls eine mindere Begünstigung der Rüben- 
kultur in Abrede gestellt, wenn es auch nicht an Stimmen fehlt, 
die in der oft warmen und zu feuchten Herbstwitterung Süd- 
deutschlands ein Hemmnis für das Reifen der Rüben sehen. ^) 
Es müssen also Widerstände bei den Produktionsfaktoren be- 
stehen, bei denen die Tätigkeit des Menschen als Individuum oder 
im gesellschaftlichen Verbände eine Rolle spielt. 

Die Agrarverfassung Süddeutschlands ist durch ein starkes 
Überwiegen des landwirtschaftlichen Mittel- und Kleinbesitzes aus- 
gezeichnet, daraus folgt wegen der schwierigen Beschaffung von 
Maschinen in Zusammenhang mit vielfach rückständiger Bewirt- 
schaftungsmethode eine gewisse Mangelhaftigkeit der Boden- 
bearbeitung, wenn auch gerade in dieser Hinsicht die genossen- 
schafüiche Organisation in neuerer Zeit mit sehr großem Erfolge 
gearbeitet hat. Die Tiefkultur, die erste Bedingung eines rationel- 



*) Jac. E. v, Rieder, Die verbesserte Kultur der Zuckerrunkeln und 
das Ganze der Fabrikation, Augsburg 1840. Dort heißt es: „Es hat 
sich bestätigt, daß die fabrikmäßige Erzeugung des Zuckers dem Lande 

gar keinen Nutzen bringen könne Man hat es noch nicht so 

weit gebracht, aus Runkelrüben solchen Zucker zu bereiten, der dem 
Rohrzucker gleichkommt." Das Vermischen des Rübenzuckers mit Rohr- 
zucker war üblich. 

^) „Die deutsche Zuckerindustrie'' 1901, S. 1950 ff. 



186 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

len Rübenbaus, ist wenig Sache des kleinen Mannes, der nur über 
den Besitz meist Veralteter Werkzeuge und eines Rindvieh* 
gespanns verfugt, sie erfordert Anwendung bester Technik in 
technisch-ökonomischem Sinne, d. h. moderne Beackerungsgeräte 
und -Methoden, und reichliche Anwendung von Maschinenarbeit 
Ähnlich wie beim Kleingewerbe rentiert die Maschine selbst bei 
genossenschaftlicher Verwendung nur bei Überschreitung einer 
bestimmten MinimalgröBe des Betriebs, wobei hier beim Vor- 
handensein von Streubesitz eine MinimalgröBe der zu einem 
Betrieb gehörigen Etnzeiparzellen eine weitere Grenze setzt.^) 

Dazu kommt die starke Viehhaltung, welche weitre ungünstige 
Einflüsse ausübt, insofern sie eine einseitige Stickstoffdüngung 
involviert, die bei der bekannten Abneigung des kleinen Land- 
wirts gegen künstliche Düngemittel verhängnisvoll wird. Die Ver- 
teilung des Viehstandes auf die einzelnen Größenklassen nach 
der deutschen Berufs- und Gewerbestatistik von 1895 zeigt für 
die süddeutschen Bezirke namentlich beim Parzellen- und klein- 
bäuerlichen Besitz außerordentlich hohe Zahlen. Vgl. Tabelle 
S. 187. 

Greift wirklich einmal der kleine Landstellenbesitzer zu 
einem künstlichen Dünger, so ist es meist der Chilisalpeter, 
den er bevorzugt; damit aber ist dem Fabrikanten wegen der 
höchst nachteiligen Folgen desselben für die Verarbeitung sehr 
wenig gedient. 

Im ganzen läuft so die Rübenwirtschaft des Kleinbauern darauf 
hinaus, auf einem Boden, dem die entsprechende Zufuhr an Kali 
und Phosphorsäure fehlt, ein gewichtiges, an Zucker wenig reich- 
haltiges Produkt zu ziehen. Es wird behauptet, daß dies Material 
1— 2o/o Zucker weniger zu enthalten pflege als das von den Fa- 
briken selbst gebaute. Die allgemeine Ansicht geht dahin, daß 
erst eine wirksame Kontrolle der Fabrik hier Wandel schaffen 
kann. Aber abgesehen von der gewaltigen Schwierigkeit für den 
Fabrikanten, eine Einflußnahme auf die öfters nach Tausenden 
zählenden Rübenlieferanten und ihre Kulturen zu organisieren, 
ist ihnen eine wirkliche Kontrolle erst möglich von dem Augen- 
blick an, in dem der Rübenbau sich regelrecht eingebürgert hat, 
d. h. nachdem der Landwirt seinen direkten und indirekten Nutzen 
zu schätzen gelernt hat. Es hat aber den Anschein, als ob die 

*) Freilich stehen dem wichtige Vorteile des landwirtschaftlichen 
Kleinbetriebs gegenüber, vergl. David, Sozialismus und Landwirtschaft. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 



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188 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Zuckerrübe in der Tat für kleinere Wirtschaften infolge der 
Konkurrenz mit anderen Gewächsen weniger aussichtsreich sei 
als für mittlere und große. Oie Rübenkultur will systematisch 
betrieben sein, das entspricht aber nicht der Arbeit des Klein- 
betriebs. Cyoch am häufigsten ist die Klage, daß der Kleinbauer 
für die Rübenkultur bei weitem nicht das tiefe Interesse bisher 
gezeigt hat, das er z. B. dem Hopfen und Tabakbau seit altersher 
entgegenzubringen pflegt. Während er hier jede Kulturvorschrift 
zu befolgen strebt, wenn sie ihm nur einleuchtet, verlangt er von 
der Zuckerrübe, daß sie gepflanzt und sich selbst überlassen einen 
hohen Zuckergehalt bringe. Solange der Bauer sich nicht beson^ 
ders interessiert fühlt, seine Rübenkulturen sorgsam zu hegen 
und zu pflegen, wozu ihm allerdings unter den heutigen Verhält- 
nissen der Rübenpreis ^) von 1,70 bis 1,90 pro Doppelzentner 
wenig Verlockung bieten mag, müssen die Fabriken, besonders 
diejenigen, welche in hohem Maße auf Kaufrüben angewiesen 
sind, immer mit der Möglichkeit rechnen, daß bei zu empfindlicüer 
Belästigung der Bauer den Rübenbau überhaupt aufgibt und 
sich dem Anbau anderer Feld- oder Gartenfrüchte zuwendet. 
Ist so dem süddeutschen Kleinbauer an sich schon eine gewisse 
Rückständigkeit in der Anwendung moderner agrikulturtechnischer 
Grundsätze eigen, so wird die Wirkung dessen gegenüber dem 
Rübenbau noch erhöht durch eine Rückständigkeit der Agrar- 
verfassung. In einem großen Teil der südlich von der Mainlinie 
gelegenen Länder ist heute der Streubesitz noch stark verbreitet, 
d. h. es herrscht Flurzwang. Wenn die Regierung auch eifrig 
dabei ist, durch die Flurbereinigungskommission hier Besserung 
zu schaffen, so sind tatsächlich die Fälle noch überaus häufig, 
in denen der Bauer nur über das Grundstück seiner Anlieger 
auf sein Besitztum gelangen kann und die kleinen und kleinsten 
in der Gemengelage liegenden Parzellen die Anwendung von 
Maschinen zur Unmöglichkeit machen. Diese Gebundenheit muß 
gerade bei einer Wirtschaft, wie sie der Rübenbau zur Voraus- 
setzung hat, eins der allerärgsten Hemmnisse intensiverer Be- 
wirtschaftung sein und zwingt geradezu die mittleren und kleine- 
ren Betriebsgrößen zu Betriebsformen, welche anderswo für ver- 
altet gelten. 

^) Der Rübenpreis war in Süddeutschland immer höher als in Nord- 
deutschland. Vergl. Die Zuckerfabrikation im Zollverein, Stuttgart 
1861, S. 24. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 189 

Daß der Rübenbau Süddeutschlands im Gegensatz zu dem 
der norddeutschen Tiefebene immer mehr verkümmerte, dafür 
ist die Gesetzgebung aber auch ganz besonders verantwortlich 
zu machen, welche in der Materialsteuer die weniger zucker- 
haltige süddeutsche Rübe mit denselben Sätzen belegte wie beste 
norddeutsche Ware.^) Es kam so eine relative Mehrbelastung 
des Zuckers der Rübe im Süden zustande, für welche das nahe- 
gelegene Absatzgebiet nur zum geringen Teil eine Entschädi- 
gung bieten konnte, die um so wertloser wurde, je mehr der 
Norden lernte, aus der Ausfuhrvergütung Nutzen zu ziehen. Es 
zeigen sich hier die Schattenseiten der Politik, die den Betrieb 
prämiiert, welcher das beste Rohmaterial mit der vollkommensten 
Technik bearbeitet, und welche die Lebensfähigkeit aller der 
Fabriken aufs schwerste bedroht, welche außerhalb des so ge- 
schaffenen natürlichen Monopols stehen. 

Über die Zusammensetzung des Rübenkontingentes in Sfid- 
deutschland vergl. die Obersichten S. 96 — 98. 

Es ist nunmehr unsere Aufgabe, der Frage näher zu treten, 
in welcher Weise die Rübenzuckerindustrie bezw. der Rübenbau 
auf die Technik der Landwirtschaft eine Wirkung ausgeübt hat 
und welche Forderungen sich daraus für die Stellung der Rüben 
bauenden Landwirtschaft im Rahmen der deutschen Volkswirt- 
schaft ergeben. 

Es kann nicht im Bereich unserer Aufgabe liegen, den Ent- 
wicklungsgang in einer detaillierenden Behandlung aller an sich 
bedeutsamer Einzelphänomene festzustellen, über welche die 
Fachliteratur sich mehr oder weniger ausgiebig verbreitet hat. 
Hier kommt es nur auf die Markierung der Richtlinien an, in 
denen sich der deutsche Rübenbau von Zeit seiner Begründung 
an bewegt hat, und auf die Erkenntnis der Zusammenhänge 
mit allgemeinen wirtschaftlichen Momenten. >) 



Unter minderwertigem Material leidende rheinische Fabriken 
hatten 1883 vorgeschlagen, die Rübe nach ihrer Qualität zu besteuern. 
Vgl. Jos. Görtz, Zur Zuckersteuerfrage,' 1883. 

2) Ober die Epochen der deutschen Landwirtschaft im 19. Jahr- 
hundert, vergl. W. Funke, Die Entwicklung der deutschen Landwirt- 
schaft während der letzten zehn Jahre und der gegenwärtige Stand der 
Landwirtschaftslehre, Stuttgart, 1865. — J, G. Elsner, Die Fortschritte 
der deutschen Landwirtschaft vom letzten Jahrzehnt des vorigen Jahr- 
hunderts an bis auf unsere Zeit, Stuttgart 1866. — K. Joh. Fuchs, Die 
Epochen der deutschen Agrargeschichte und Agrarpolitik, Jena 1898. — 



190 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

,,Noch am Beginn des 18. Jahrhunderts stand unsere Land- 
wirtschaft auf einer Stufe, welche im allgemeinen weit niedriger 
war als diejenige, welche vor 1800 Jahren die Römer bereits 
erreicht hatten. Zum großen und vielleicht zum größten Teil 
lag die Ursache in den vielen Beschränkungen, welchen sowohl 
die ländliche Bevölkerung wie die Benutzung der Qrundstücke 
unterworfen waren und welche viel nachteiliger auf den Be- 
trieb einwirkten als die Sklavenwirtschaft des alten Rom es ver- 
mochte."!) Dieses Urteil des so hervorragenden Kenners der 
deutschen Landwirtschaftsgeschichte hat auch noch für den Aus- 
gang des 18. Jahrhunderts Bedeutung, wenn auch mancherorts 
eine Milderung der bäuerlichen Lasten eingetreten war. Noch 
stand die deutsche Landwirtschaft im Zeichen der durch tausend- 
jährige Tradition geheiligten Dreifelderwirtschaft, welche den 
Bedürfnissen des Mittelalters vollauf genügt hatte, die aber bei 
zunehmender Bevölkerungsdichte und vermehrtem Umbruch von 
Futterflächen zum Kornbau die Ursache geringerer Erträge, zu- 
nehmender Verunkrautung und Verarmung der Bevölkerung ge- 
worden war.^) Mit elementarer Gewalt drängte die Entwicklung 
zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaft, die 
ganz besonders unter mangelhafter Viehhaltung litt, da es an 
Futter fehlte. Um die Jahrhundertwende bürgerte sich von Eng- 
land her in den Nord- und Ostseeländem die verbesserte Drei- 
felderwirtschaft ein, die Besömmerung der Brache, für deren 
Bebauung mit Klee Schubart von Kleefeld eifrig warb. Wenn 
damit auch der Charakter der Brache wesentlich geändert wurde, 
so verschwand sie doch lange nicht. Noch war die wichtigste 
damals bekannte Hackfrucht, die Kartoffel, eine Pflanze, die man 
behutsam in irgend einem Gartenwinkel anbaute, die man zum 
Feldanbau heranzuziehen sich nicht getraute. Albrecht Thaers 
großes Verdienst war es, sie in den ersten Jahrzehnten des 



Wilh. Kirchner, Die Entwicklung der Landwirtschaft im 19. Jahrhundert, 
1899. — Max Delbrück, Die deutsche Landwirtschaft an der Jahrhundert- 
wende, 1900. — Traugott Mueller, Deutschlands Landwirtschaft, in „Die 
deutsche Landwirtschaft auf der Weltausstellung in Paris«, 1900. — 
Werner, Der Betrieb der deutschen Landwirtschaft am Schlüsse des 
19. Jahrhunderts, Beriin 1900. — Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der 
deutschen Landwirtschaft, 2 Bde., 1903. 

1) Th. Frhr. v. d. Goltz, Die heutigen Aufgaben des landwirtschaft- 
lichen Gewerbes und seiner Wissenschaft, 1870. 

2) A. Orth, Die Landwirtschaft zur Zeit Thaers, Festrede 1906. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 191 

19. Jahrhunderts zur allgemeinen Einführung zu bringen und 
zu einer landwirtschaftlichen Kulturpflanze ersten Ranges zu er- 
heben. Er leitete damit die ersten Schritte zu der gewaltigsten 
Entwicklungsepoche ein, welche die deutsche Landwirtschafts- 
geschichte überhaupt kennt. 

Vom wirtschaftspolitischen Standpunkt aus war der zähe 
passive Widerstand, den weite Kreise der ländlichen Bevölkerung 
einer ernstlichen Intensivierung des Betriebs entgegensetzten, 
durchaus begreiflich. AUe Agrarreformen, bis zur Mitte des 
17. Jahrhunderts zurückreichend, waren trotz energischer Ver- 
suche einer wohlwollenden, aber etwas tyrannischen Politik der 
Aufklärung ohne durchschlagende Ergebnisse verlaufen. Noch 
herrschten Oemeinland und Weideservituten und erschwerten bei 
der zunehmenden Parzellierung immer ärger die Kultur der Acker- 
fläche, die, als Streubesitz unter dem Flurzwang stehend, einen 
enormen Aufwand an Zeit und Kosten bei geringer Grundrente 
verschlang; noch seufzte der deutsche Bauer unter den wenn 
auch gemilderten, so doch entehrenden und drückenden Lasten 
der grundherrlichen Verfassung, des Zehnt, der Scharwerke usw. 
Die Initiative des Einzelnen, die Seele des Fortschritts, blieb 
ungeweckt. 

So stellt sich das Bild der Landwirtschaft dar zu der Zeit, 
als Achard die ersten umfassenderen Anbauversuche mit der 
zur Zuckergewinnung ausersehenen Rübensorte machte. Die alte 
Methode zu wirtschaften war unhaltbar, und die sehr schwere 
Krise um die Mitte der 20er Jahre ließ auch den hartnäckigsten 
Zweifler die wirtschaftliche Notwendigkeit des resoluten Bruchs 
mit der Dreifelderwirtschaft erkennen. Nun erst begann eigent- 
lich Thaers Lehre bei der großen Zahl der Praktiker Boden zu 
fassen, welche jeder Änderung alter Wirtschaftsgrundsätze mit 
äußerster Skepsis gegenüberstanden, und der Grundgedanke seiner 
Wirksamkeit begann sich durchzusetzen, daß die Landwirtschafts- 
lehre keine Sammlung kunstfertiger Methoden, den Boden zu 
bewirtschaften, sei, sondern eine angewandte, unpersönliche 
Wissenschaft darstelle, deren Zweck die Erzielung des dauernd 
höchstmöglichen Reinertrags sei.^) 



1) Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der deutschen Landwirtschaft, 
1903, n. Bd. S. 23. — Ähnlich J. v. Liebig in seiner 1861 in der Aka- 
demie der Wissenschaften in München gehaltenen Rede. 



192 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Ganz besonders gut schnitt bei der verbesserten Dreifelder- 
wirtschaft die Viehhaltung ab. Nun begann der Bauer auf Ver- 
edlung der einheimischen wenig leistungsfähigen Schläge und 
auf Vermehrung des Oesamtbestandes mit Eifer hinzuarbeiten, 
indem er mit der mittelalterlichen Anschauung brach, welche 
das Vieh vornehmlich nur als Zugvieh kennt und demgemäß 
den Viehbestand als ein notwendiges Übel des landwirtschaft- 
lichen Betriebs betrachtet. Oie folgende Zusammenstellung^) gibt 
über das Wachstum des Rindviehbestandes in Preußen Aufschluß. 

Es kamen 100 Stück Auf 1 Quadratmeile 

Rindvieh auf Menschen kamen Stück Rindvieh 

1816 258 800 

1819 257 853 

1825 281 859 

1831 293 878 

1837 291 953 

1843 307 992 

Trotz des sichtlichen Aufschwungs war unter den bestehen- 
den Verhältnissen an einen Massenanbau der zur Gewinnung 
des Zuckers bestimmten Rübe vorerst durchaus nicht zu denken, 
wenn man auch sich daran machte, den Kartoffelbau in größerem 
Maßstabe zu betreiben, wozu die günstige Lage der Kartoffeln 
verarbeitenden Brennereien einen Anreiz bot. Es empfiehlt sich 
darum, die Grundzüge des Rübenbaus, wie sie Achard postulierte, 
sich einmal zu vergegen>yärtigen. 

Ganz abgesehen von Achards Arbeiten über die fabrikmäßige 
Gewinnung des Rübenzuckers wird in der deutschen Landwirt- 
schaftsgeschichte seine Leistung immer eins der glanzvollsten 
Blätter füllen wegen der verblüffenden Sicherheit, mit der er auf 
Grund mehr als 20 jähriger, überaus mühevoller Anbauversuche 
die Bedingungen des rationellen Rübenbaus formulierte. In seiner 
im Jahre 1809 erschienenen Schrift: „Die europäische Zucker- 
fabrikation aus Runkelrüben" gibt er 48 Erfahrungssätze an, 
zu denen ein Fachmann^) bemerkt: „Das Werk Achards läßt 
klar erkennen, daß der Begründer der Rübenzuckerindustrie mit 
einem ganz staunenswerten Scharfblick in die Fundamental- 



») Fr. Wilh. Schubert, Handbuch der allgem. Staatskunde, Bd. 7 
S. 119. 

•) Dr. Bittmann in der Vereinszeitschrift 1880, S. 327 ff. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 193 

Wahrheiten der Rül>enkultur eingedrungen ist, hat doch fast ein 
jeder einzelne seiner Sätze durch die Epigonen nicht allein keine 
Widerlegung, sondern allseits glänzende Bestätigung gefunden." 
Die meisten Ergebnisse der modernen Versuchsanstalten stellen 
nur die wissenschaftliche Vertiefung der Forschungsresultate 
Achards dar, und „alle Fortschritte der Erkenntnis von Kultur- 
prinzipien beziehen sich lediglich auf die Wirkung künstlicher 
Dünger." 

Es kann somit jene Frage erweitert werden : Worunter werden 
die Grundlagen des modernen Zuckerrübenbaus begriffen? Wir 
können uns hier auf die allermarkantesten Merkmale beschränken. 
Außer bestimmten Anforderungen an die physische Beschaffenheit 
des Bodens, dessen chemische Zusammensetzung sich durch ge- 
eignete Wahl von EXingstoffen heute mit eminentem Erfolg be- 
einflussen läßt, sowie anderseits an die klimatischen Verhältnisse 
ist eine möglichst tiefgehende Auflockerung der Ackeilcrume und 
peinliches Fernhalten aller perennierender Unkrautpflanzen unter 
häufiger Auflockerung der Erdkruste durch Behacken das oberste 
aller Gebote. Weitere reihen sich an: Das Abblatten bis zur 
Ernte ist zu vermeiden, ebenso die Bestellung nach unmittelbar 
vorhergegangener Düngung und der Anbau der Pflanze auf dem- 
selben Boden innerhalb kürzerer als dreijähriger Wechselfolge. 
Ein letzter hochwichtiger Punkt ist die sorgfältige Auswahl des 
Saatgutes. 

Diese Kulturbedingungen deuten schon an, daß der Zucker- 
rübenbau als Feldbau ein bisher unerhörtes Maß von Arbeits- 
aufwand zumal für die Bodenbearbeitung erfordert. Und nicht 
nur dies, sondern beste Geräte und Arbeitsmethoden sind not- 
wendig, dazu ein hohes Verständnis für die physiologischen 
Prozesse des Kulturobjekts, unterstützt von bedeutendem Kapitals- 
mehraufwahd. 

Das waren aber alles Dinge, die im Wirtschaftsbezirk der 
gutsherrlichen oder bäuerlichen Besitzer zu Anfang des 19. Jahr- 
hunderts entweder vollständig fremd oder nahezu unbekannt 
waren. Man braucht sich zum' Oberfluß nur den Geist, der 
diese Wirtschaft alten Stils trug, vorzustellen. Die gutsherrliche 
Wirtschaft wollte sich vollkommen selbst genügen. Ihr Besitzer 
verlangte von der Scholle, daß sie ihm und seiner Familie einen 
anständigen gutbürgerlichen Lebensunteriialt ohne einen sonder- 
lich gesteigerten Aufwand von Fleiß und Intelligenz garantiere, 

Schuchart, Zuckerindustrie. 1^ 



194 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

daß sie ihn nähre, wie sie unter den gleichen Wirtschaftsgrund- 
sätzen seine Altvordern genährt habe. Der Bruch mit dieser 
alten „Nahrungsidee",0 wie ihn eine ausgedehntere Viehhaltung 
schon anbahnte, fiel ihm deshalb so ungeheuer schwer, zwang 
er ihn doch, sich auf einen neuen mehr auf den Erwerb ge- 
richteten Betrieb einzurichten, bei dem Kalkulation und Organi- 
sation eine hervorragende Rolle spielten. Mochte auch manchmal 
die geistige Qualität des in Traditionen befangenen Landwirts 
nicht zur Lösung dieser neuen schwierigen Aufgabe ausreichen, 
fehlte doch auch die Organisation, welche die Erfahrungen des 
einzelnen der breiten Masse zugänglich und verständlich macht, 
so lag doch in den meisten Fällen der Kernpunkt anderswo. 
Es fehlten die zu intensiver Bewirtschaftung notwendigen Kapitals- 
mengen. Das trat mit vollkommener Deutlichkeit nach den 
schweren Krisenjahren hervor in dem lebhaften Oüterübergang, 
der aus der Hand der Orundherren in die des kapitalskräftigeren 
und an Initiativen reicheren Bürgertums vielerorts sich vollzog. 
Und dennoch lag das Haupthemmnis für den Massenanbau 
der Zuckerrübe anderswo. Der löbliche Versuch der preußischen 
Staatsregierung, die Befreiung von allen Hemmnissen wirtschaft- 
lich-traditioneller Natur und die Erweckung und Entwicklung 
aller Staatskräfte durch ein liberales Reformwerk großen Stils 
in die Wege zu leiten, vermochte nicht, zur durchgreifenden 
Reform auszureifen : jene berühmten von Hardenberg eingeleiteten 
Maßnahmen der Jahre 1809 und 1811 gewannen keine Lebens- 
fähigkeit und verschwanden in der Versenkung, bis daß das 
eine Verfassung heischende Volk die Regierung zwang, sie 
wieder ans Ucht zu bringen und zu wirklichem Leben zu er- 
wecken. Nun ist aber der Rübenbau eine Kultur, bei der das 
alte auf der Unfreiheit der Person aufgebaute Wirtschaftssystem 
ein glänzendes Fiasko erleidet. In Anlehnung an österreichische 
Verhältnisse spricht sich Jak. Christ. Rad in einer 1848 er- 
schienenen Schrift über diesen Punkt mit außerordentlicher Deut- 
lichkeit aus :2) „Der Rübenbau verträgt sich nicht mit dem Robot, 
sondern verlangt freie Arbeiter. Hierin liegt das Geheimnis, 
warum in Frankreich und Norddeutschland der Ertrag zwischen 

1) W. Sotnbart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert. 

•) Jakob Christoph Rad, Der Rübenzucker in national-ökonomischer, 
finanzieller, industrieller und landwirtschaftlicher Bedeutung, 1848. — 
Ähnlich J. G. Eisner, a. a. 0. S. 18. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 195 

175 und 200 dz, bei uns in Österreich aber nur zwischen 100 
und 150 ist. . . . Durch den Robot ist der Bauer seit Jahr- 
hunderten gewissermaßen in der Faulheit und nachlässigen Arbeit 
förmlich eingeschult.^^ Und ähnlich sprechen sich deutsche Schrift- 
steller aus. Solange der Bauer nicht sah, daß er zu seinem 
persönlichen Vorteil arbeitete, mochte ihm dieser nun in einer 
entsprechenden Entlohnung oder in den gesteigerten Erträgnissen 
des eigenen Wirtschaftsbetriebes zuteil werden, ließ sich trotz 
und wegen der härtesten Zwangsmittel nie seine volle Leistungs- 
fähigkeit dienstbar machen. Immer nur konnte der Unternehmer 
ihm einen Bruchteil derselben abpressen, der durch ein sehr 
niedriges Maß von qualitativen Eigenschaften regelmäßig sich 
auszeichnete. 

Erst die politischen Wirbelstürme von 1848 fegten in Deutsch- 
land die Überreste der mittelalterlichen Beschränkungen hinweg, 
welche auf dem Bauer lasteten. In der Gesetzgebung des Jahres 
1850 wurden ihm die Garantien seiner persönlichen und wirt- 
schaftlichen Freiheit und Gleichberechtigung mit dem Gutsherrn 
geschaffen. Damit war mit einem Schlage dem Rübenbau freie 
Bahn geöffnet, indem eine Kategorie von Arbeitskräften verfügbar 
wurde, die der Rüben bauende Landwirt vermöge ihrer Eigenschaft 
als persönlich freie Lohnarbeiter für den Massenanbau zu inter- 
essieren vermochte. Wenn die Gewinnung des freien Land- 
arbeiters deutscher Herkunft später nur noch zum Teil möglich 
war und der Wanderarbeiter der östlichen Grenzdistrikte in die 
Bresche treten mußte, so hat das seine Ursache in besonderen 
Verhältnissen, die von außen in das Problem hineinspielen, den 
.Wesenskern aber nicht berühren. 

Danach erscheint es unbestreitbar, daß. in letzter Reihe die 
auf wirtschaftlich-psychologischen Gründen beruhende mangel- 
hafte (Qualifikation der verfügbaren Arbeitskräfte den Massen- 
anbau der Zuckerrübe überall mit Ausnahme weniger Landstriche, 
welche eine höhere Wirtschaftsstufe bereits inne hatten, während 
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Unmöglichkeit machten. 
Die Proklamation der persönlichen Freiheit hat in der Befreiung 
des Bodens ihre notwendige Ergänzung, ohne deren Erfüllung 
der ungehinderten wirtschaftlichen Entfaltung noch immer Ein- 
schränkungen drohen. Es ist das Verdienst der preußischen 
Regierung, in dieser Hinsicht sehr prompt die notwendige Ver- 
vollständigung ihrer Maßnahmen angestrebt zu haben, indem 



196 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

sie sogleich sich energisch die Beseitigung der Oemengelage, 
des Flurzwangs und die Beschränkung der Oemeinländereien 
angelegen sein ließ. So machte sie den Bauer erst wahrhaft 
zum freien Herrn auf seiner Scholle. 

Ahnlich wie in dem gewerblich-industriellen Werdegang 
Deutschlands bedeutet der Obergang von der ersten zur zweiten 
Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Markstein in der landwirtschaft- 
lichen Entwicklung, wenngleich auch dieser Umschwung sich 
nicht niit annähernd derselben Geschwindigkeit als dort vollzog. 
Das liegt ja im Wesen des landwirtschaftlichen Fortschritts. Von 
nun ab stellt die Entwicklung der Kultur der Zuckerrübe die 
erste Anwendung großen Stils der neu erstehenden Landwirt- 
schaftswissenschaft in Deutschland dar. Man kann sagen, daß 
sie an der Zuckerrübe vornehmlich groß geworden ist. Die 
Geschichte des Rübenbaus steht von nun an in innigstem Konnex 
mit der Geschichte der deutschen Landwirtschaft. 

Nach alle dem Gesagten ist jetzt klar erkennbar, von welcher 
Seite dem Rül>enbau das gewaltige Agens zum Massenanbau 
kommen mußte. Von den wirtschaftlichen Existenzbedingungen 
war eine bisher noch in unzureichendem Maße meist erfüllt, 
erst von dem Augenblick an, in dem sie sich verwirklicht, er- 
starkt das von Achard gepfTanzte Reis zum starken Baume. Es 
ist die Befruchtung der Landwirtschaft mit Kapital. 

Das legt die Untersuchung der Frage nahe, wie es kam, 
daß schon vor 1850 in gewissen Teilen Deutschlands der Zucker- 
rübenbau tief Wurzel gefaßt hatte und sehr gute Erfolge erzielt 
werden konnten. Es wurde gezeigt, wie sich der Schwerpunkt 
der Industrie von Mitteldeutschland immer mehr zum Norden 
vorschiebt, wie diese sich um 1850 auf einen Komplex des nord- 
deutschen Tieflandes, der die Provinz Sachsen, Anhalt, Braun- 
schweig und Brandenburg umfaßt, konzentriert, daneben eine 
Agglomeration der Betriebe Schlesien zeigt. Allen voran schritt 
aber die Provinz Sachsen nicht nur hinsichtlich der EMchtigkeit, 
sondern auch der Größe der Betriebe.^) Im Betriebs jähr 1850/1 
machten der Zahl nach die Zuckerfabriken dort über 55 o/o aller 
in den Landern des Zollvereins vorhandenen aus, während in 
ihnen über 65 o/o der überhaupt zur Zuckerdarstellung verwendeten 
Rüben zur Verarbeitung kamen. Es dürfte von Interesse sein, 
dieser sehr auffallenden Erscheinung einmal nachzuforschen. 

») Vergl. die Obersicht S. 111—113 und die Tafel 2. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 197 

E)er als hervorragender Landwirt bekannte preußische Amts- 
rat Koppe beschäftigt sich mit dieser Frage in einer 1841 er- 
schienenen Schrift.^) und gibt als die Ursachen des schnellen 
Aufblühens der Zuckerindustrie in der Provinz Sachsen folgende 
Punkte an: 

1. Den großen Reichtum flüssigen Kapitals in den Händen 
unternehmender Leute. 

2. Die Bekanntschaft mit der Anbaumethode, da man längst 
hier den Zichorienbau betrieb. 

3. Die Möglichkeit, aus der Rübe Zucker zu gewinnen, war 
bei vielen Landbewohnern noch aus der Zeit bekannt, 
in der die französische Regierung in der Gegend von 
Magdeburg Versuche hatte anstellen lassen. 

Für unsere Untersuchung ist es überaus bezeichnend, daß 
Koppe den Kapitalsreichtum an die erste Stelle setzt. Es kann 
nicht unterlassen werden, nachdem jene Entwicklungsperiode 
heute abgeschlossen vor uns liegt, und sich im Zusammenhang 
übersehen läßt, zu diesem Punkte einige Erweiterungen zu machen. 

Der große Reichtum an Anlage suchendem Kapital war nur 
ein Kriterium für die fortschreitende Volkswirtschaft Sachsens. 
Die tiefen Wunden, welche der 30jährige Krieg Deutschland ge- 
schlagen hatte, waren hier am frühesten vernarbt, und während 
in den meisten übrigen Landesteilen die Landwirtschaft sich 
kümmerlich durchschlug, da die freie Initiative nicht zur Ent- 
faltung kam, trat sie hier in ein Stadium des Fortschritts ein, 
dadurch daß eine Befruchtung durch das Kapital zustande kam. 
Daß diese sich so früh vollziehen konnte, dazu vereinigten sich 
eine ganze Anzahl Umstände. Die überaus günstige geographische 
Lage brachte der Provinz als Hinterland Hamburgs einen kolossalen 
wirtschaftlichen Vorsprung vor allen übrigen preußischen Staats- 
gebieten, der um die Wende des Jahrhunderts und auch in 
späteren Jahren um so höhere Bedeutung gewann, als der Ruin 
des Amsterdamer Großhandels 1795 eine Anzahl tüchtiger und 
kapitalkräftiger Kaufleute nach Hamburg gelockt hatte und ander- 
seits die hohen Zölle, mit denen Holland die Durchfuhr belegte, 
die direkte Zufuhr insbesondere überseeischer Produkte über 



^) J. G. Koppe, Die Erzeugung des Rübenzuckers in ihren staats- 
wissenschaftlichen und gewerblichen Beziehungen, Berlin 1841, S. 25 ff. 



198 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Hamburg in steigendem Maße zur Entwicklung kommen ließen. 
Magdeburg war zum ersten preußischen Hafen und zu einem 
erstklassigen Oistributionszentrum für alle zur See eingeführten 
Waren geradezu von Natur bestimmt, denn bei der mangel- 
haften Verkehrsentwicklung und den primitiven Mitteln der 
Massengutförderung war es selbstverständlich, daß der natür- 
lichen Wasserstraße eine eminent größere wirtschaftliche Be- 
deutung inne wohnte als in der späteren Zeit, als die Eisenbahn 
als eine wegen ihrer Schnelligkeit vielfach bevorzugte Konkurrentin 
auftrat. Ober die Elbe, die großartigste natürliche deutsche Zu- 
fuhrstraße, nahm ein Teil des aufblühenden hamburgischen Handels 
seinen Weg nach Sachsen, dessen Hinterland von der Elbe aus 
in den Jahren 1816—1836 durch Staatsstraßen erschlossen wurde. 
Die folgende Tabelle zeigt, daß in dieser ersten großen Periode 
des preußischen Staatsstraßenbaues besser als die meisten übrigen 
preußischen Landesteile gerade Sachsen abschnitt, trotzdem es 
von Natur aus vor jenen bevorzugt war. 

Es entfielen auf 100 Quadratmeilen Fläche folgende in Meilen 
gemessene Längen der Staatsstraßen : ^ 

in 1816 1826 1831 1836 

Ost- und Westpreußen 0,106 1,63 7,4 10,0 

Posen — — 5,3 6,9 

Pommern — 0,82 2,4 11,9 

Schlesien 12,3 19,9 24,1 26,9 

Brandenburg .... 3,8 8,7 13,7 19,7 

Provinz Sachsen . . 13,5 21,7 30,7 35,2 

Westfalen 24,9 41,4 43,7 51,7 

Rheinland 30,0 38,0 40,9 49,4 

Und mit dem regen Verkehr, der von der Elbe aus das Land 
durchflutete, kam ein gut Stück des hamburgischen Qeschäfts- 
und Unternehmungsgeistes ins Binnenland und wirkte befruchtend 
auf die gewerbliche Tätigkeit. Aber auch die Landwirtschaft erwies 
sich gerade hier in hohem Maße für eine Wirtschaftsweise nach 
kapitalistischen Gesichtspunkten aufnahmefähig. Das war auf die 
große Ausdehnung des fiskalischen Grundbesitzes zurückzuführen, 
welche im Reg.-Bez. Magdeburg allein etwa lOo/o aller I>omänen 
des preußischen Staates umfaßte, die der öffentlichen und 

») Berechnet nach C. F. W. Dieterici, a. a. O. III. Forts. S. 597. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 199 

meistbietenden Verpachtung regelmäßig anheimfielen. So waren 
denn hier schon durch das wirtschaftliche Milieu eigenartigster 
Mischung die Vorbedingungen gegeben für die Entwicklung einer 
Industrie, welche das landwirtschaftliche wie das kaufmännisch- 
spekulative Element in gleicher Weise an sich zu fesseln genötigt 
ist, will sie wirtschaftlichen Erfolg zeitigen, und die wegen ihrer 
natürlichen Dezentralisation ganz besonders von einem Netz guter 
Verkehrsstraßen abhängig ist, zumal sie ohnehin zu einem enormen 
Aufwand an Kosten für die häufigen und schweren Transporte 
gezwungen ist, wie sie die Masse ihrer Roh- und Hilfsstoffe, 
Halb- und Fertigfabrikate mit sich bringt. 

Ergeben sich daraus schon gewisse Perspektive für die volks- 
wirtschaftliche Mission des Zuckerrübenbaus im allgemeinen, so 
erweitern sie sich in spezifisch landwirtschaftlicher Richtung im 
Hinblick auf den an zweiter Stelle von Koppe namhaft gemachten 
Punkt, den Zichorienanbau. Ganz ähnlich, wie man sich um die 
Wende des 18. Jahrhunderts mit der Beschaffung von Surrogaten 
für den Zucker überall eifrigst beschäftigte, geschah es auch in 
sehr ausgiebigem Maße beim Kaffee, und unter den wohlfeilen 
Ersatzstoffen, die zur Verwendung kamen, war einer der edelsten 
die Zichorienwurzel. Sie erfreute sich in der Zeit der Kontinental- 
sperre besonderer Wertschätzung, was in Anbetracht dessen, daß 
Achard sich damals sogar getraute, aus den Schnitzeln seines 
ursprünglichen Saftgewinnungsverfahrens ohne weiteren Zusatz 
ein Kaffeesurrogat herzustellen, durchaus begreiflich erscheint. Der 
Anbau der Zichorie, der seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahr- 
hunderts in dem schweren fruchtbaren Boden der Magdeburger 
Börde eine Pflegestätte gefunden hatte, stellte ganz ähnlich wie 
der der Zuckerrübe hohe Anforderungen bezl. der Auflockerung 
des Erdreichs. Häufiges Hacken war notwendig, und da die 
Zichorie die Bodenkräfte in einem höheren Maße beansprucht als 
die Kornfrüchte, war eine starke Düngung notwendig. Ende der 
20 er Jahre fing aber der Zichorienbau an, unter dem Eindruck 
der gewaltig steigenden Kaffeezufuhr nach Hamburg in der 
Magdeburger Gegend unrentabel zu werden, und die Landwirte 
begannen, sich nach einer auf ähnlichen Bedingungen beruhenden 



*) Die Entwicklung und Bedeutung der Landwirtschaft in der Pro- 
vinz Sachsen. Jahrbuch der deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, 
1889, S. 15 ff. 



200 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Kultur anderer Handelsgewächse umzusehen. Ihre mit Zichorien 
bestandenen Felder waren durch die Spatenkultur, die hier ein- 
geführt war, für alle eine tiefe Krume erfordernden Feldfrüchte 
jedenfalls in einem vorzüglichen Kulturzustande, wie man ihn 
in anderen Landstrichen damals noch vergeblich suchte. Sehr 
wichtig für die Weiterentwicklung war zudem, daß nicht nur 
auf dem ausgedehnten Domanialbesitz, sondern auch in den 
übrigen ländlichen Betrieben der Bauer durch die Reformen der 
preußischen Agrarverfassung von 1809 und 1811 in der Tat fast 
allgemein in den Besitz der Freiheit gekommen war und eine 
Kategorie Landarbeiter schon nach kurzer Zeit existierte, welche 
als Taglöhner mit der für die Zichorie notwendigen Tiefkultur 
vollkommen vertraut war, die im Akkordsystem entlohnt wurde 
und bei der sich Sätze für die Einzelarbeiten ausgebildet und 
„reguliert" hatten. So kam es denn, daß dem Unternehmer, 
der seinen Betrieb auf eine intensivere Bewirtschaftung längst 
eingerichtet und zu rechnen gelernt hatte, nun der Anbau der 
Zuckerrübe sehr erwünscht kam, der seiner Arbeit gute Gewinn- 
chancen bot; und auch der landwirtschaftliche Arbeiter fuhr nicht 
schlecht dabei, da ihm die Akkordarbeit, auf die er sich verstand 
und bei der er zweifellos besser wegkam als bei der Beschäftigung 
im Taglohn, in der Weise erhalten blieb, wie er sie gewohnt war. 

Was schließlich jenen unter 3 genanntefi Orund angeht, so 
darf nicht übersehen werden, daß in einer Zeit, in der jedermann 
in Deutschland nur den Rohrzucker kannte, und bei der damals 
noch recht schwierigen Nachrichtenübertragung aus fremden 
Ländern in die Behausung des weltabgeschieden lebenden kleinen 
Landwirts das Bekanntsein jener Tatsache, daß genau derselbe 
Zucker aus der Rübe darstellbar sei, eine gewisse Bedeutung 
nicht abgesprochen werden kann.i) 

Aus den bisherigen Betrachtungen haben wir schon eine 
ganze Reihe Ausblicke genommen auf die Stellung, welche der 
Rübenbau in spezifisch landwirtschaftlichem und allgemein volks- 
wirtschaftlichem Sinne sich erobert hat. Indem wir uns nun der 
letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuwenden, sind wir gehalten, 
an den Kreis der praktisch-positiven Einzelleistungen heranzu- 



1) Die Runkelrübe war, wie Nöldechen berichtet, zu Anfang des 
18. Jahrhunderts »im Magdeburgischen und Halberstädtschen als ein 
sehr gesundes und nahrhaftes Viehfutter häufig gebaut und wurde daraus 
ein Sirup zur Konsumtion des Landmanns bereitet.'' 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 201 

treten, durch welche die Rübenzuckerindustrie bezw. der Rüben- 
bau das Qesamtgebiet der landwirtschaftlichen Technik in ihre 
Machtsphäre gezogen hat. Wir müssen uns vorstellen, daß der 
Rübenbau bis 1850 immer noch in einer mehr gartenmäßigen 
Anbauweise betrieben wurde, oft noch als Spatenkultur, und 
daß nun erst mit dem überwiegend feldmäßigen, d. h. Massen« 
anbau die Zuckerrübe die landwirtschaftliche Kulturpflanze ersten 
Ranges wurde, als die sie die moderne Landwirtschaft zumal in 
Deutschland betrachtet. 

In dem Moment, in dem der deutsche Zuckerrübenbau in diese 
neue Entwicklungsphase trat, hatte er noch eine Klippe zu 
passieren, die ihm ziemlich gefährlich hätte werden können. Wohl 
nicht ganz ohne Beeinflussung durch die Ende der 40 er Jahre auf- 
tauchenden Lehren Liebigs, manchmal auch wohl auf Grund 
mangelhafter Ergebnisse, die auf unsachgemäße Behandlung der 
Kulturen, auf unbekannte Rübenschädlinge oder Fehler in der 
fabrikativen Verarbeitung zurückzuführen waren, verdichtete sich 
der Widerstand, gegen den die Rübe schon frühzeitig hatte an- 
kämpfen müssen, zu besonderer Heftigkeit in einer Bewegung, 
welche durch kaufmännisch und wissenschaftlich gebildete Kreise 
Deutschlands um 1850 ging. Sie erklärte den Rübenbau für den 
Ruin der deutschen Landwirtschaft, ganz besonders aber bringe er 
dem Staat große Einbußen an Zöllen, ohne sonstwie dafür zu 
entschädigen, und den Zielpunkt bildete das Projekt, die Re- 
gierung möge mit Hilfe eines größeren Geldaufwandes alle 
Rübenzuckerfabriken in ihren Besitz bringen und stillsetzen. Eine 
ganz ähnliche Forderung war übrigens 1842 von der französischen 
Regierung bei den Kammern eingebracht worden, i) Der Jenenser 
Universitätsprofessor Schulze 2) vertrat diese Anschauung in 
Deutschland mit besonderem Eifer, und er hielt einen Betrag von 
10 Mill. Taler, den er aus einer Erhöhung der Abgaben des Zuckers 
bezw. des Rohmaterials decken wollte, für den Ankauf der 213 
deutschen Fabriken und zur Entschädigung der in ihnen be- 
schäftigten Arbeiter für ausreichend. Besonders interessieren die 
Motive, aus denen heraus man zur Verurteilung der Rübenzucker- 
industrie kam. Bei allen denen, welche aus dem allgemeinen Inter- 



Nach E. v. Lippmann, Geschichte des Zuckers (S. 407) wurden 
50 MiU. Frs. zur Einlösung der 389 Rübenzuckerfabriken verlangt. 

^) Fried. G. Schulze, Die deutsche Zuckerfrage, Jena 1850 (in den 
deutschen Blättern für Landwirtschaft, Nationalökonomie und Politik). 



202 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

esse des Staats in der Diskussion zu dieser Frage Stellung nahmen, 
steht der finanzpolitische Gesichtspunkt im Vordergrund der Argu- 
mentation. Wenn auch die Berechnungen Schulzes, der die Ver- 
luste und Opfer des Staates während der Jahre 1834 — 49 auf 
etwa 58 Mill. Taler veranschlagt, keineswegs einwandfrei er- 
scheinen, so kann man diesem und vielen ähnlichen Ergebnissen 
eine gewisse Berechtigung keineswegs absprechen, da sich der 
Staat die durch die hohen Zölle gesicherte privilegierte Stellung 
der Raffinerien in der Tat schweres Geld kosten ließ und ihre 
Bevorzugung trotz der Konkurrenz durch die Rübenzucker- 
fabrikation sich zum guten Teil auf diese übertrug. Jedenfalls 
aber erkannten damals alle diese Kritiker noch nicht die un- 
geheuere Entwicklungsfähigkeit der Industrie, welche ermög- 
lichte, ohne ihr Schaden zu tun, die Steuerschraube immer fester 
anzuziehen. Schließlich unterschlugen sie in der Regel alle die 
indirekten Vorteile, welche der Rübenbau für die Hebung des 
Kulturzustandes der Ackerflächen, für die Verbesserung des Land- 
baus im allgemeinen und besonderen involviert, Werte, welche 
sich überhaupt nicht geldmäßig in eine Bilanz einstellen lassen. 
Bei den Praktikern, welche dem Rübenbau gegenüber Skrupel 
hatten, wird in jener Zeit vielfach betont, daß diese Kultur die 
Bodenkräfte auf die Dauer ruiniere, eine Anschauung, zu der 
Liebigs wenig ermutigende Äußerung über die Zukunft des Rüben- 
baus nicht unwesentlich beigetragen haben mag.^) 

Das alte Vorurteil, der Rübenbau schädige den Getreidebau, 
war denn auch das erste, dem die Praxis energisch zu Leibe 
rückte. Hier war es am ehesten möglich, dem Ungläubigen den 
indirekten Vorteil der Rübenkultur plausibel zu machen, wenn- 
gleich der wissenschaftlich einwandfreie Beweis eigentlich noch 
recht lange auf sich warten ließ. Seitdem man die hohe Bedeutung 
der Auflockerung und der Durchlüftung der tieferen Boden- 
schichten für den Getreidebau zu erkennen begann, machte man 
allenthalben die Erfahrung, daß die Bestellung der ehemaligen 
Brache mit Zuckerrüben eine recht ansehnliche Steigerung des 
Halmfruchtertrages involviere. Humbert, wohl der erste, der dies 
exakt nachwies, stellte auf Grund eingehender Untersuchungen 



^) Just. v. Liebig stellte insofern dem Rübenbau ein ungünstiges 
Prognostiken, als er wenig Vertrauen zu der Möglichkeit hatte, die ge- 
schwächte Energie der Bodenkräfte durch künstliche Düngstoffe voll- 
kommen zu ersetzen. Vergl. Chem. Briefe XXIIL 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 203 

von 32 in der Provinz Sachsen gelegener Wirtschaften mit und 
ohne Rübenbau fest, daß bei allen Fruchtarten die niedrigste 
Ernte in den Rübenwirtschaften höher als der Durchschnittsertrag 
in den Nichtrübenwirtschaften sei, wobei die Bodenqualität der 
Nichtrübenwirtschaften im ganzen noch etwas besser war als 
in den Rübenwirtschaften. Es kam zu dem Ergebnis, daß die 
Reinerträge mindestens in demselben Verhältnis stiegen als die 
Roherträge 1). 

Aber nicht nur trat niemals bei richtiger Wirtschaft ein Rück- 
gang der Getreideernte pro Flächeneinheit ein, sondern die Rüben- 
kultur brachte neben einer Erhöhung des Ertrages an Kornfrüchten 
überhaupt keine Einschränkung des Anbaus derselben. Nur hier 
und da resultierte eine geringfügige Abnahme des Futterbaus, 
wodurch die Viehproduktion indes kaum berührt wurde, da die 
Abfälle der Zuckergewinnung bezw. der Rüben diesen Ausfall 
überkompensierten. Es bildete danach die mit Rüben bestellte 
Brache ein vollständig neues Wirtschaftsaggregat, das zusätzlich 
zu dem bisher vorhandenen gefügt wurde, dadurch, daß ein 
bisher nicht genutztes Produktionsvermögen seinem natürlichen 
Zwecke zugeführt wurde. ^) Es ist also der Ertrag an Zuckerrüben 
und anderen Hackfrüchten nahezu vollständig als zusätzlicher 
Gewinn der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts zu betrachten, 
eine Tatsache, welche die eminente Bedeutung des Obergangs 
zur verbesserten Eh-eifelderwirtschaft und Fruchtwechselwirtschaft 
erst in ihrer ganzen Größe in die Augen springen läßt») 

In der Tat berührt diese fortschreitende Intensivierung auch 
in keiner Weise die Viehhaltung, deren Einschränkung man ebenso 
wie die des Getreidebaus zunächst allgemein befürchtet hatte. 
In dieser Richtung hat die neue Technik bedeutsame Fortschritte 
gezeitigt, indem sie das Trocknen der entzuckerten Schnitzel auf 
billige Weise ermöglichte und dadurch ihre Versendungsfähig- 
keit und Haltbarkeit verbesserte, andererseits in neuester Zeit 
dadurch, daß sie zur Konservierung der Rübenköpfe und -Blätter 



*) G. Humbert, Agrarstatistische Untersuchungen. Conrad'sche 
Sammlung 1877—93. 

^) Delbrück, Ober die Zukunft der deutschen Landwirtschaft, Festrede. 

») W. Lilienthal, Die Bedeutung des Hackfruchtbaus, namentlich 
des Zuckerrübenbaus für die Steigerung der Getreide- und Viehpro- 
duktion in Deutschland. Diss. Heidelberg 1895. — Woge, Der Einfluß 
des Zuckerrübenbaus auf die Landwirtschaft. Diss. Leipzig 1892. 



204 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

eine den Bedingungen der Wirtschaftlichkeit entsprechende Me- 
thode lieferte, so daß die Ausnutzung aller Abfallprodukte des 
Rübenkörpers heute von Raum und Zeit wesentlich unabhängiger 
und auf vollkommnere Weise möglich ist So wird in der Tat 
heute schon ein Teil der mit der Verwendung der Abfallprodukte 
in Zusammenhang stehenden Vorteile des Rübenbaus solchen 
^Wirtschaften bis zu gewissem Grade zugänglich, welche sich nicht 
mit der Rübenkultur befassen. 

Die Bedeutung, welche die Schnitzel im Wirtschaftsplan des 
Rüben liefernden Landwirts inne haben, verdient besonders her- 
vorgehoben zu werden. Sie erhellt aus der Tatsache, daß in Jahren 
schlechter Konjunktur des Zuckermarktes, in denen die Fabriken 
den Preis für die Rüben besonders tief herunterdrücken und die 
Produktionskosten für das Rohmaterial manchmal nicht einmal 
gedeckt werden, der Bauer sich öfters trotzdem zur Beibehaltung 
der Rübenkultur versteht, selbst wenn keine vertragsmäßige Bin- 
dung vorliegt. Er weiß eben, daß er in den Schnitzeln ein vor- 
zügliches wohlfeiles Viehfutter erhält, für das er ohne Verluste 
keinen Ersatz zu schaffen vermag. Nur dadurch gelingt es eigent- 
lich, daß für manche Fabriken so die Möglichkeit vorhanden 
ist, sich ausschließlich auf die Verarbeitung von Kaufrüben zu 
beschränken, jso daß das landwirtschaftliche Nebengewerbe da 
zur rein industriellen Unternehmung wird, welche ihren Rohstoff 
ohne langfristigen Vertrag erwirbt Welche Einflüsse in dieser 
Hinsicht bei der steigenden Bedeutung der Fleischproduktion ein 
allgemeiner Übergang der Fabrikation zum Brühverfahren aus- 
üben wird, ist vorläufig noch nicht abzusehen. Ausgeschlossen 
ist nicht, daß der Verselbständigungsprozeß der Industrie, wie 
wir ihn beobachten konnten, durch die hochprozentigen sog. 
Zuckerschnitzel im Fortschreiten gefördert wird. 

Für den deutschen Rübenbau bis zur Mitte der 50 er Jahre 
ist es bezeichnend, daß die verdienstvollen Lehren Achards und 
seine Leitsätze gänzlich der Vergessenheit anheimgefallen waren 
und daß jeder Rübenbauer seine eigenen .Wege ging. Soweit er 
eine Ehirchschnittsbildung besaß und an der Zuckerfabrikation 
nicht selbst beteiligt war, stand er mit voller Verständnislosig- 
keit und Teilnahmlosigkeit den vielfachen und recht verschieden- 
artigen Regeln gegenüber, welche der Fabrikant für den Anbau 
der Rübe zu befolgen forderte. Als man nun Achards Anbau- 
methode Punkt für Punkt zu rekonstruieren begann, leistete der 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 205 

Rübenbauer vielfach energischen Widerstand. Von alters her war 
er gewohnt, mit den Augen unmittelbar die Güte seines Produkts 
zu beurteilen, und so konnte er sich nur schwer zu der An- 
schauung entschließen, falls er es überhaupt für nötig befand, 
sich auf die lästigen Wünsche des Fabrikanten einzulassen, daß 
eine gutgewachsene dicke Rübe meist keineswegs ein für die 
Zuckergewinnung geeignetes Produkt darstelle, daß vielmehr eine 
leichte Rübe mit kleinem Kopf den Ansprüchen der Fabrikation 
durchweg eher genüge. Solange die Zuckerfabriken sich nicht 
strenge Kontrollrechte für den Rübenbau vorbehielten oder die 
Preise ausschließlich oder zum Teil nach dem Zuckergehalt be- 
rechneten — beides trat erst sehr spät ein — , solange andrerseits 
eine Verschmelzung der Interessen des Rübenbauers und des 
Fabrikanten in der Aktiengesellschaft oder Genossenschaft mit 
Lieferungszwang nicht zustande kam, mußten alle Versuche, die 
Qualität des in fremder Wirtschaft gezogenen Produktes zu heben, 
im Sande verlaufen. Daher denn die harte Notwendigkeit, den 
Rübenbau selbst in die Hand zu nehmen, wie es seit den 40 er 
Jahren in allen den Gebieten, wo die Zuckerindustrie Verbreitung 
fand, die Regel war. 

In seiner eignen rein empirischen Technik wurde auch der 
intelligentere Rübenbauer bestärkt durch manche Schriftsteller, 
welche die Verdienste Achards um die Rübenkultur von An- 
fang an in Zweifel zogen, alle seine Anbauregeln, das Resultat 
langjähriger Studien, für Charlatan erklärten und behaupteten, 
ohne sie könne man gleichwertige Zuckerrüben bauen.*) Der 
Deutsche verfiel auch hier wieder seinem alten Hang, alles Gute 
beim Ausland zu suchen, in diesem Falle bei Frankreich. Im 
besten Falle verlegte er sich auf das sinnlose Kopieren der fran- 
zösischen Anbaumethode, ohne zu bedenken, daß die Boden- 
und Vegetationsverhältnisse dort wesentlich andre Anforderungen 
stellten, so daß in den ersten zwanzig Jahren sich nach v. Lipp- 
mann's UrteU der deutsche Rübenbau „in rein empirischen, Täu- 
schungen und Irrungen in hohem Grade ausgesetzten Bahnen" 
bewegte. 2) 

Der Rübenbau im engeren Sinne, die Bodenbearbeitung und 
der Anbau unterscheiden sich von allen anderen Feldfrüchten 



G. A. Nöldechen, Ober den Anbau der sog. Runkelrüben, 1799. 
«) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 42. 



206 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

durch den gewaltigen, stark periodischen Arbeitsbedarf. Dieser 
muß in ganz bestimmten kursiristigen Zeitgrenzen geleistet wer- 
den, da eine nicht rechtzeitige Ausführung der Arbeiten schwere 
Schädigungen im Gefolge zu haben pflegt. Den Arbeitsbedarf 
für eine 60 ha-Wirtschaft hat man berechnet^) bei der 

auf Arbeitstage 
überhaupt Sommerbedarf ^) 
alten Dreifelderwirtschaft .... 712 262 

Norfolker Fruchtwechselwirtschaft. 1615 1199 

Fruchtwechselwirtschaft mit starkem 
Rübenbau 3159 2608 

Daraus geht hervor: Die Schwierigkeit des Massenanbaus 
der Rübe beruht in der Beschaffung der Arbeitsmittel. Damit 
ist einesteils der innige Zusammenhang des Rübenbaus mit der 
ländlichen Arbeiterfrage dargetan, andrerseits aber auch die Be- 
deutung und Größe des Kapitals in der Rübenwirtschaft. 

Wenn irgendwo, so tritt hier die fundamentale Verschieden- 
heit in der Entwicklung des französischen und des deutschen 
Rübenbaus hervor. Frankreich, das Land des vorwiegenden Klein- 
besitzes, hat von jeher die landwirtschaftliche Handarbeit bevor- 
zugt. Nie trat dort der Mangel an Landarbeitern so lähmend auf 
wie in Deutschland. Unablässig trieb hier von einem bestimmten 
Punkte ab das Gespenst der Leutenot zu selbständiger Leistung: 
Ersatz der Menschenarbeit durch die Maschinenarbeit überall, 
einmal, um jene außerordentliche Periodizität im Arbeitsbedarf 
durch ausgiebige Verwendung die Arbeitszeit verkürzender Ma- 
schinen zu mildern, sodann aber, um die einen hohen Kapitals- 
aufwand benötigende Arbeitermenge bestmöglich auszunutzen und 
zu reduzieren. Nach diesen Gesichtspunkten normierte sich im 
deutschen Rübenbau die Wahl der beweglichen Produktionsmittel. 

Kein Zweig der deutschen Landwirtschaft bediente sich so 
frühzeitig und in solcher Ausdehnung der maschinellen Arbeit 
und neuer nach Sonderzwecken gefertigter Geräte. Nachdem ein- 
mal das Vorurteil, das hinsichtlich Güte und Wirtschaftlichkeit 



^) Fr. Bensing, Der Einfluß der landwirtschaftlichen Maschinen auf 
Volks- und Privatwirtschaft. Diss. Heidelberg 1897, S. 42. 

•) Werden die nur im Winter für das Dreschen und Reinigen des 
Getreides nötigen Arbeitskräfte in Abzug gebracht, so erhält man den 
Sommerbedarf. 



Zuckerrflbenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 207 

der Maschinenarbeit in weiten Kreisen der Praktiker bestand, 
besiegt war, wurde die Maschine in unverhältnismäßig kurzer 
Zeit ein integrierender Faktor der Rübenwirtschaften. 1866 war 
hier die Maschinenarbeit schon überwiegend. Der Sä- und Hack- 
maschine der 50 er Jahre folgen bald Drill-, Pflanz- und Jät- 
maschinen, und es entbrennt ein mit riesiger Zähigkeit geführter 
Kampf, diese Maschinen unablässig nach den besonderen An- 
forderungen der Rübenkultur und den neuesten Erfahrungen um- 
zugestalten und zu verbessern. Die tiefgreifenden Wandlungen, 
welche die Maschinen des Landbaus im Laufe ihrer Entwicklung 
durchgemacht haben, haben von ihrer ursprünglichen Erschei- 
nung oft nichts andres als den Zweckgedanken unberührt gelassen. 
Unzuverlässige und schwerfällige Kolosse, deren Bau unförmige 
Holzmassen meist recht undurchsichtig machten, sind gewichen 
unter dem Eindruck der fortschreitenden Technik und unter 
starker Beeinflussung durch englische und amerikanische Modelle 
leichten, aus Eisen gearbeiteten, übersichtlichen, nach verschie- 
denen Anforderungen einstellbaren Konstruktionen kolossal ge- 
steigerter Leistungsfähigkeit, zu deren Betrieb ein Mindestmaß 
von Kraft ausreicht und mit denen auch der ungelernte Arbeiter 
spielend fertig wird. Mit besonderem Vorteil lernte der heimische 
Landwirt die amerikanischen Maschinentypen schätzen, welche 
speziell für die kontinentalen Böden sich geeignet erwiesen, und 
welche der zu Anfang der 90 er Jahre mächtig aufblühenden in- 
ländischen Industrie landwirtschaftlicher ' Geräte und Maschinen 
die besten Vorbilder gaben. 

Eine Erfindung verdient besonders genannt zu werden, die 
einen sehr tiefen Einfluß ausübte. Im Jahre 1868 fand zum 
ersten Male auf dem Kontinent ein Dampfpflug Verwendung und 
zwar auf einem sächsischen Rübengute. Damit war ein Ackergerät 
geschaffen, welches bei hinreichendem Ausnutzungsgrad den Land- 
wirt in die Lage versetzt, auf einen großen Teil der tierischen 
Spannarbeit unter gleichzeitiger Verbilligung der Kosten für das 
Umbrechen der Ackerkrume und Erhöhung der Furchentiefe zu 
verzichten. Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Furchen- 
tiefe 10 cm betrug, reißt der Dampfpflug 40—45 cm tief den 
Boden auf und ermöglicht so, den in ihm aufgespeicherten Fonds 
von Produktionskräften in einem erklecklich höheren Maße der 
Wirtschaft dienstbar zu machen und nicht nur die praktisch über- 
haupt erreichbaren Bedingungen der Bodenvorbereitung für den 



206 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Rübenbau zu erfüllen, sondern auch die damit in engstem Zu- 
sammenhang stehenden indirekten Vorteile dieser Kultur sich 
vollständig anzueignen. 

Vorsichtig rechnende Landwirte Mitteldeutschlands veran- 
schlagen den Wert, welcher durch die Tiefkultur, Unkrautreinigung 
und den verstärkten Düngungszustand des rationellen Zucker- 
rübenbaus in den Acker gebracht wird, auf 1200 Mark für das 
Hektar. 1) 

Die starke Verwendung der Maschinenarbeit, die bei Wahl 
richtiger Wirtschaftsgrößen in der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle nicht nur einen Ersatz der menschlichen und tierischen Arbeit, 
sondern auch eine Ersparnis erreichen ließ, über deren Höhe 
allerdings die wissenschaftliche Untersuchung*) bisher die ver- 
schiedensten Werte zu Tage gefördert hat, brachte die Freisetzung 
eines großen Teils latenter Produktionskräfte des Bodens, wo- 
durch in vielen Fällen allein schon eine Verbilligung der Pro- 
duktion gegeben war. Immer war aber die Maschine der un- 
mittelbare Anlaß zu erhöhter Kapitalbenutzung und eine der 
ersten Vorbedingungen intensiverer Bodennutzung. 

Die steigende Heranziehung der Maschinenarbeit bezweckte 
neben einer Einschränkung der Menschenarbeit zum Teil die 
der Spannviehleistung. Nichts wäre aber verfehlter, als daraus 
eine die Wirtschaft ungünstig beeinflußende Einschränkung der 
Viehhaltung zu folgern.. Im Gegenteil erwies sich trotz einer Re- 
duktion der Oespanne dort, wo stabile Verhältnisse und große 
Leistungen in Frage kamen, die Maschine in der Regel in höherem 
Grade wirtschaftlich, wobei ihr allerdings ihre ausgedehnte Ver- 
wendungsfähigkeit zu Hilfe kam. 

Gegenüber den Nichtrübenwirtschaften schneidet die Rüben- 
wirtschaft hinsichtlich der Qualität des Viehbestandes wesentlich 
besser ab. Wenn auch manchmal die starke Spannviehhaltung 
der Rübenwirtschaften einen gewissen nachteiligen Einfluß aus- 
üben mag, so läßt dieser sich bei Wahl der richtigen Rassen voll- 



^) Der Betrieb der deutschen Landwirtschaft am Schlüsse des 
19. Jahrhunderts. Bearbeitet im Auftrage der deutschen Landwirtschafts- 
gesellschaft von Dr. Werner-Berlin und Dr. Albert-Halle a. S., S. 57. 

•) Es seien hier genannt: F. Bensing. a. a. O.; Gusl. Fischer, Die 
soziale Bedeutung der Maschine in der Landwirtschaft (Staats- und 
sozialwissenschaftliche Forschungen) 19Q2; Alex. Lang, Die Maschine 
in der Rohproduktion, II. Teil, 1904; E. David, a. a. O. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 209 

ständig ausgleichen, insofern es gelingt, die zur Spannarbeit ver- 
wendeten Tiere in sehr kurzer Zeit unter höchster Ausnutzung 
der Abfallprodukte der Zuckerindustrie zu mästen. So wird es 
möglich, nicht nur eine größere Menge tierischer Produkte im 
weitgehendsten Veredelungsprozeß aller Feldprodukte hervorzu- 
bringen, sondern vor allem auch einen schnelleren Umsatz zu er* 
zielen, also eine Verdichtung der Produktion relativ und absolut.*) 

Die unausgesetzte Verbesserung der Viehhaltung quantitativ, 
ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der vieharmen Wirtschaft 
zu Anfang des Jahrhunderts, ist deshalb von so großer Tragweite, 
weil nun erst große Dungermengen frei verfügbar wurden, die 
vermöge zweckmäßiger Erzeugung, sorgsamer Konservierung und 
richtiger Verwendung sich mit einem immer höheren Wirkungs- 
grad verwenden ließen. Wenn trotzdem die Erfolge, welche die 
Praxis hier erzielt hat, noch ungewöhnlich weit hinter dem tat- 
sächlich erreichbaren nach dem Urteil von Fachleuten zurück- 
bleiben, — Prof. Dr. V. Soxhlet berechnete beispielsweise für 
1890 den materiellen Verlust, den die ba3nrische Landwirtschaft 
infolge mangelhafter Konservierung alljährlich erleidet, auf etwa 
54 Mill. Mark^) — so hat das wahrscheinlich einen tieferen Grund. 

Manches scheint darauf hinzudeuten, daß diese Art Rück- 
ständigkeit der wahrhaft grundstürzenden Wandlung zuzuschreiben 
ist, welche die deutsche Landwirtschaft in ganz neue Bahnen warf 
und deren Einzelerscheinungen eine Kette ununterbrochenen Fort- 

^) H. Paasche, Zuckerindustrie und Zuckerhandel der Welt, 1891, 
S. 32: . . . ,,Die höheren Erträge aus den Nachfrüchten und der Vieh- 
haltung haben die Landwirte oft mehr als die ungewisse Aussicht auf 
hohe Dividenden der Fabrik zur Begründung einer solchen veranlaßt.* 
•) Denkschrift des Ministeriums des Innern vom Jahre 1890, Artikel 
Düngung, — Wochenblatt des landwirtschaftlichen Vereins in Bayern, 
1897, Nr. 47. — Prof. Dr. v. Soxhlet: Die landwirtschaftlichen Versuchs- 
stationen und ihre Aufgaben. Abgedruckt im Bericht der Zentralver- 
sammlung des landwirtschaftlichen Vereins in Bayern am 29. September 
1902. Es heißt dort: „Bei einem Rindviehbestand von rund 19 Millionen 
Stück beträgt ... der Wert des alljährlich im Deutschen Reich in 
das Luftmeer abdunstenden Ammoniakstickstoffs nach der niedrigsten 
Schätzung Vs Milliarde Mark. Hingegen kaufen wir jetzt jährüch zehn 
Millionen Zentner Chilesalpeter für 85 Millonen Mark, ersetzen also 
nur ein Viertel des Verlustes durch Zukauf. Ist es schon ein Übel, daß 
wir jährlich 85 Millionen nach Amerika tragen müssen, um unsere 
jetzigen Ernten überhaupt erzielen zu können, und daß wir diese Ernten 
unnötig um ebensoviel zu teuer produzieren, so liegt doch der Haupt- 
schaden im Ernteausfall.'' 

Schttchart, Zuckerindustrie. 1 ^ 



210 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

Schritts darstellen, deren Ende sich heute noch gar nicht absehen 
läßt. Die moderne E>ungertheorie Just. v. Liebigs ist eine wissen- 
schaftliche Errungenschaft von solch eminenter volkswirtschaft- 
licher Tragweite, daß Werner Sombart ihr nichts annähernd be- 
deutsames im Werdegang des 19. Jahrhunderts an die Seite zu 
stellen hat trotz der riesenhaften Entfaltung des Mechanisierungs- 
prinzipSy welche die fabelhafte Konzentration von Kapital und die 
wissenschaftliche Leistung im modernen Wirtschaftsleben zu Wege 
gebracht hat.^) Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß das 
Interesse des Landwirts häufig auf die rationelle Verwendung 
künstlicher Düngemittel weitaus mehr gerichtet wurde als auf die 
der natürlichen. 

Die Zuckerrübe, bei deren Kultur von Anfang an die Dünger- 
frage*) eine hervorragend wichtige Stellung eingenommen hat, 
drängte intensiver nach wissenschaftlicher Befruchtung als irgend 
eine andere Kulturpflanze. Es kann darüber kein Zweifel mehr 
bestehen, daß sie die klassische Trägerin des nun zum Leben er- 
wachten wissenschaftiichen Geistes der Landwirtschaft geworden, 
ist. Aus der resflosen Übertragung der naturwissenschaftiichen 
Errungenschaften, unter der die deutsche Landwirtschaft im letzten 
Viertel des 19. Jahrhunderts eine riesenhafte Steigerung der Er- 
träge erzielen konnte, hat der unter der Verlockung der Steuer- 
bezw. Ausfuhrprämie stehende Rübenbau zuerst und am weit- 
gehendsten das wirtschaftiiche Fazit gezogen. CHe in der Kultur 
am fortgeschrittensten CMstrikte bildeten in den Rübenwirtschaften 
zuerst die Ersatzwirtschaft aus, welche dem modernen rationellen 
intensiven Landbau das charakteristische Gepräge gibt. Hier kam 
man am schnellsten und am gründlichsten zu dem Bruche mit dem 
alten wirtschaftlich unübersichtiichen Schlendrian, der von ein paar 
Musterbetrieben abgesehen überhaupt keine zahlenmäßige Er- 
fassung von Wert und Gegenwert in der Landwirtschaft kannte, 
wie sie jedem Kaufmann geläufig ist. Die Übernahme von Grund- 
sätzen der in der Industrie längst anerkannten rationellen Wirt- 
schaftsführung war hier ebenso wie dort eine der ersten Be- 
dingungen des wirtschaftlichen Fortschritts. Der hohe Kapitals- 
aufwand mußte, sollte er eine sichere Rente liefern, mit einer 



^) W. Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, 
S. 173. 

•) E. V. Lippmann, Festschrift, S. 46. 



Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 211 

bis ins einzelne gehenden Kontrolle aller Wirtschaftsfaktoren ge- 
paart sein, trotz der Schwierigkeit, welche in dieser Hinsicht 
gerade der landwirtschaftliche Betrieb bietet. Hier galt es, sich 
nicht nur Rechenschaft zu geben über die aufgewandten Kosten 
und den Erlös der Produkte, wobei eine Selbsttäuschung mit 
einiger Sicherheit noch auszuschließen ist, sondern man mußte 
es darauf anlegen, daß man die im Boden aufgespeicherten ver« 
brauchten und unverbrauchten Produktivkräfte wenn auch nur 
näherungsweise und unter bestimmten Hypothesen in den Kreis 
der Berechnung ziehen und in ihrer Zu- bezw. Abnahme ver- 
folgen konnte. Das war ein unabweisbares Bedürfnis in erster 
Linie bei dem modern wirtschaftenden Rübenproduzenten, ein 
ungeheurer Fortschritt gegenüber der althergebrachten, noch heute 
weit verbreiteten Methode, welche sich auf den Jahresausfall und 
die Empirie vollständig verläßt.^ Dem Erfolg der Rübenwirt- 
schaften, welche die Grundsätze kapitalistischer Wirtschafts- 
führung mit zäher Energie und Oeschick den Bedürfnissen der 
landwirtschaftlichen Produktion anpaßten, ist es vornehmlich zu 
verdanken, daß heute nicht nur der landwirtschaftliche Großbetrieb, 
sondern auch schon Teile des Mittelbetriebs in intensiv bewirt- 
schafteten Gegenden trotz der gerade hier wirksamen außerordent- 
lichen Widerstände sich zu einer peinlich strengen Beachtung des 
Wirtschaftlichkeitsprinzips auf Grund richtiger Buchführung durch- 
gekämpft haben, wobei die glänzende Entwicklung des land- 
wirtschaftlichen Vereins- und Unterrichtswesens wie das Auf- 
kommen eines wissenschaftlich geschulten, kapitalkräftigen 
Pächterstandes das ihrige dazu beigetragen haben. 

In der Tat lieferte in dem schweren Kampf, welcher der 
deutschen Landwirtschaft nach Jahrzehnten glän^nder Kon- 
junktur durch die ungeahnte Entwicklung des Verkehrswesens 
aufgezwungen wurde, die den Bezug und den Absatz landwirt- 
schaftlicher Erzeugnisse von der Beschränkung auf den Inlands- 
markt befreite und den deutschen Bauer mit einem Schlage in die 
Weltmarktskonjunktur verstrickte, die eben gegründete Land- 
wirtschaftswissenschaft der Praxis die Waffen des Erfolgs, wenn 
sie auch unter der Schutzzollpolitik noch nicht auf ihre volle 
Leistungsfähigkeit bisher erprobt werden konnten. Wie die Grund- 
sätze kapitalistischer Wirtschaftsführung aus der Ersatzwirtschaft 



W. Waltz, Vom Reinertrag in der Landwirtschaft, 1904, S. 1 ff. 



212 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

heraus kristallisierten, so stand auch hier die I>üngerfrage im 
Vordergrund. Die fundamentale Lehre Liebigs gab die unmittel- 
bare Basis für die neue Landwirtschaftswissenschaft ab. Erst 
als sich Liebigs Theorie hinreichend konsolidiert hatte, was um 
1862 der Fall war, wurde für wissenschaftliche Agrikulturforschung 
die Bahn frei. Nun machte man sich von allen Seiten daran, „die 
von Thaer gelassene Lücke auszufüllen, d. h. für die technische 
Handhabung des Betriebs eine feste naturwissenschaftliche Grund« 
läge zu gewinnen und auf dieser die Lehre vom Ackerbau und der 
Viehhaltung neu aufzubauen oder doch in wesentlichen Punkten 
umzugestalten^'^). Naturgemäß konzentrierte sich das wissen- 
schaftliche Interesse zunächst auf die durch Liebig ausgelösten 
Fragen des Acker- und Pflanzenbaus. Indem man die fioden- 
analyse, wie sie in den 50 er Jahren betrieben würde, auf sichereren 
Orundlagen zu stellen suchte, geriet man in den Geist der Liebig- 
schen Lehren und tat damit den ersten Schritt in der Unter- 
suchung der Einflüsse, welche bestimmte chemische Körper für 
den Aufbau der Pflanze haben. Ein Punkt, über den man am 
frühesten ins Reine kam, war die Frage der Wertung der Rück- 
stände und Abfälle der Zuckerfabrikation, deren hohe Bedeutung 
als Futter- bezw. Düngemittel anerkannt wurde. 

Die deutsche Zuckerindustrie darf sich rühmen, aus ihren 
Reihen damals eine Anzahl erstklassiger Forscher hervorgelwacht 
zu haben. EMe Frage, die für den Praktiker wie für den Theo- 
retiker zunächst von höchstem Interesse war, knüpfte an die 
theoretische Beurteilung des Düngungsversuchs an : War es möglich, 
aus Düngungsversuchen sogleich allgemein gültige Schlüsse zu 
ziehen? Vorerst war man geneigt, diese Frage in positivem 
Sinne zu entscheiden, und die Folge war, daß man sich sehr 
bald in ein Gewirr der widerspruchvollsten Maximen verwickelt 
sah, aus denen man keinen Ausweg fand und welche die im 
Entstehen begriffene Anschauung vom praktischen Wert wissen- 
schaftlicher Versuche schwer bedrohte. Es ist das unvergängliche 
Verdienst Scheiblers, des ersten allen wissenschaftlichen An- 
forderungen entsprechenden Zuckerchemikers, hier eine Lösung 
gefunden zu haben. Er postulierte, „daß die einschlägigen Fragen 
nicht schematisch, sondern nur individuell lösbar seien, daß man 



1) Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der Landwirtschaft, 2. Bd., 
S. 301. 



Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 213 

meteorologische, klimatische und Bodenverhältnisse zu berück- 
sichtigen habe, aus der Bodenanalyse allein aber keine Schlüsse 
ziehen dürfe, um so mehr, als sie nicht einmal die Formen an- 
gebe, in denen die einzelnen Stoffe voriianden seien" i). Dieser 
prinzipiellen Ansicht traten andere Forscher bald bei, und daraus 
ergab sich die von nun ab grundkgende Erkenntnis über die 
Relativität und die vollständige Unbrauchbarkeit aller bisherigen 
Düngungsversüche. Nun erst kam man zu einer einwandfreien 
Basis für dieselben. 

Damit wurde immer mehr die Zuckerrübe das erste Versuchs- 
objekt unter allen Kulturpflanzen. In den 60er Jahren gewann 
man bei ihr schon eine Vorstellung von der hohen Bedeutung 
der Phosphate und Superphosphate, aus den 70er Jahren datieren 
die ersten Studien über den Einfluß der Kalidüngung. Diese 
beweisen, daß man nach Auffindung der Staßfurter Lager den 
Vorzug der leichtlöslichen Form und den der hochprozentigen 
Anwendung erfaßte, doch nicht, ohne daß es an Mißgriffen und 
Beispielen unrentabler Verwendung fehlte. Maerckers grund- 
legende Arbeiten schafften Ende der 70er Jahre Klarheit über 
die von den Zuckerfabrikanten so gefürchtete Verwendung des 
Chilisalpeters, indem er zeigte, daß bei richtiger Anwendung 
vorzügliche Wirkungen ohne Benachteiligung der Rübenqualität 
zu erzielen seien. Aber auch in dieser zweiten Periode in der 
Behandlung der Dungerfrage fehlten, trotzdem eine Anzahl erst- 
klassiger Forscher mit verzweifelter Energie Versuche betrieben, 
immer noch durchsichtige, einwandfreie Resultate, aus denen 
man allgemein gültige Orundsätze für den Aufbau des Pflanzen- 
körpers aus den mineralischen Bestandteilen des Bodens hätte 
entwickeln können. 

Hierzu kam man erst in der dritten Periode, in der man 
die Notwendigkeit erkannte, auf welche Scheibler 1866 schon 
hingewiesen hatte, nämlich, die Ernährungsgesetze der Zucker- 
rübe mit Hilfe wissenschaftlicher Kulturversuche systematisch zu 
ergründen."*) Indem die Zuckerindustrie die Errichtung einer 
allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden Versuchs- 
station in Bernburg in die Wege leitete und man sich entschloß, 
alle bisherigen Forschungsergebnisse über den Haufen zu werfen 



Vereinszeitschrift 1860, S. 267. 
«) E. v. Lippmann, Festschrift, S. 52. 



214 Zuckerrfibenbatt und Landwirtschaftsbetrieb. 

und speziell die Kultur der Rübe wissenschaftlich noch einmal 
von Grund auf aufzubauen, beschritt man den einzig aussichts- 
reichen Weg d^r wissenschaftlich exakten, individuellen Forschung, 
auf dem denn auch die für die heutige Rübenkultur maßgebenden 
Grundsätze des Nährstoffersatzes zur Reife gediehen sind. Die 
Anwendung der Phosphorsäure in Form der gemahlenen Thomas- 
schlacke gewann nun steigend an Ausdehnung, auf Kosten der 
Kalidüngung einmal, welche bei zu hohen Gaben die Qualität 
schädigt und die den Rübenbau unrentabel machen kann, dann 
auch auf Kosten der Stickstoffdfingung, wekhe in bestimmten 
Formen der Verwendung die Verarbeitungsfähigkeit des Roh- 
material stark beeinträchtigt.^) 

Hat schon die Dfingungsfrage gezeigt, in welch hohem Maße 
die von der Wissenschaft modifizierte Technik des Rübenbaus 
den allgemeinen Kulturzustand beeinflußt, so gilt das ähnlich 
auch von den Problemen, die in jene Frage hineinspielen. In 
innigem Konnex mit ihr geriet man in das Studium der pflanzen- 
physiologischen Erscheinungen, aus denen sich wichtige Schluß- 
folgerungen für die Kultur, Aufbewahrung und Verarbeitung der 
Rübe ergaben. Hier trat schrittweise das Studium des Ernährungs- 
problems in den Vordergrund, dessen wissenschaftlich befriedigende 
Lösung nach Prof. v. Lippmann erst durch die Tätigkeit der 
Bernburger Versuchsanstalt unter Hellriegel in die Wege geleitet 
werden konnte. Die erfolgreichste Entdeckung, welche in dieser 
Richtung gemacht wurde, ist wohl die Feststellung der Auf- 
nahme freien Stickstoffs seitens der Leguminosen, eine Tatsache, 
welche der Kultur der Rübe auf leichten Böden, wie die bahn- 
brechenden Arbeiten von Schulz-Lupitz dartaten, ganz ungeahnte 
Perspektive eröffnete. 

Hat hier die Technik des Rübenbaus unter dem Einfluß 
der wissenschaftlichen Forschung schon einen viel unbestritteneren 
Erfolg als bei der I>üngerfrage errungen, so wuchsen sich die 
wissenschaftlichen Ergebnisse in der Praxis zu geradezu phänome- 
nalen Erfolgen aus auf dem Gebiete der Rassenzüqhtung. 
Während die schon seit den 30er Jahren berühmten englischen 



1) Daß auf dem eingeschlagenen Wege praktisch greifbare Resultate 
sich zu Tage fördern ließen, beweisen u. a. die Arbeiten von Roemer und 
Wimmer: Ober die Beurteilung der Dfingebedürf tigkeit nach der äußeren 
Erscheinung. Mitteilungen der landwirtschaftlichen Versuchsstation 
Bemburg, Nr. 42. Vereinszeitschrift 1907, S. 1 ff. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 215 

Züchter sich fast ausschließlich mit der Verbesserung der Qe- 
treidesorten beschäftigten, stand in dem landwirtschaftlich hoch- 
entwickelten Frankreich die Zuckerrübe schon in den 40er Jahren 
im Mittelpunkt der züchterischen Bestrebungen. Der französische 
Züchter Vilmorin hat das Verdienst, hier bahnbrechend gearbeitet 
zu haben, indem er 1851 den Satz aufstellte, daß in der Selektion 
nach dem Zuckergehalt die Basis für die Individualzucht der 
Zuckerrübe zu suchen sei. In dem Kampfe um das schwierige 
Rassezuchtproblem, der mit der Ausbreitung der Industrie und 
der steigenden Steuerbelastung an Heftigkeit unablässig zunahm, 
stellte sich nach Jahren intensiver Arbeit die Richtigkeit dieses 
Satzes heraus. Es hat den Anschein, als ob der deutsche Land- 
wirt, ehe er auf ertragsreiche und eine höhere Ausnutzung der 
Produktionsmittel sichernde Züchtungen Wert zu legen begann, 
sich erst die durch Liebig formulierten Bedingungen für das 
bessere Fortkommen des Pflanzenkörpers anzueignen hätte lernen 
müssen. Immerhin nahmen Rabbethge und Qiesecke in Klein- 
wanzleben bereits Ende der 50er Jahre die Individualzucht der 
Rübe nach Vilmorins Beispiel auf und machten damit die Zucker- 
rübe zum ersten Objekt landwirtschaftiicher Rassezüchtungen in 
Deutschland. Mit der Einführung der polarimetrischen Unter- 
suchung der zunächst nach äußeren Merkmalen ausgewählten 
Mutterrüben übernahm Deutschland die. Führung auf dem Ge- 
biete der Piflanzenzüchtung.^) Die glänzenden Erfolge, die auf 
diesem ^Wege von nun ab erstritten wurden, bekehrten auch 
die Widersacher dieses zeitraubenden, mühsamen und kost- 
spieligen Verfahrens 2), welches 1850 schon der unermüdliche Ver- 
besserer des Polarisationsinstrumentes Ventzke für den allein aus- 
sichtsreichen Weg erklärt hatte, so daß 1882 Professor Maercker 
den so erzielten Fortschritt als einen „sichtiichen, großartigen 
und alle Erwartungen übertreffenden" bezeichnen konnte.») Es 
ist schwer möglich, eine Vorstellung zu gewinnen von der über- 
aus mühevollen Arbeit und Intelligenz, welche in Deutschland 
die Rübensamenzucht absorbierte, ehe sie das heutige Niveau 
erreichte. Eine Fülle von Einzelproblemen gruppieren sich um 



^) K. V. Rfimker, Die Rassezüchtung landwirtschaftiicher Kultur- 
pflanzen. In der Festschrift zum 70. Geburtstage von Jul. Kühn, 1895. 

') Vilmorin nahm die polarimetrische Untersuchung 1874, die andern 
deutschen Züchter 1878 auf. 

*) Vereinszeitschrift 1882, S. 159; 1885, S. 166. 



216 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

das Zentralproblem: Die Erhöhung des Zuckergehalts ohne Be- 
nachteiligung der Anbau- und Verarbeitungsfähigkeit sowie der 
Ertragsmengen. Man erkannte so den Einfluß der Fremd- 
bestäubung und Bastardierung, und stellte fest, daß einfache 
Fortzucht aus bestem Samen wegen der lebhaften Neigung zum 
Zurückschlagen und der eminenten Variationsfähigkeit der Sorten 
mit Sicherheit auf Abwege führte, von der Beeinflussung durch 
die Behandlung des Samens, dem Studium der komplhderten 
Keimungsvorgänge gar nicht zu reden. Was die Steigerung des 
Zuckergehalts angeht, so wird diese sehr gut illustriert durch die 
Anbauversuche^ welche Maercker 1891 zum Abschluß brachte.^) 
Die Tabelle umfaßt den Durchschnitt aus allen Einzelversuchen. 





Zucker 


Zucker 


Zentner Zucker 


Zentner Rfiben 


*i 


f, in der Rfibe 


«/, im Salt 


pro Morgen 


pro JMorgen 


1880 


— 


13,6 


— 


— 


1881 


— 


13,8 


— 


— 


1882 


12,4 


13,6 


27,2 


220,5 


1883 


14,1 


15,8 


28,43 


198,8 


1884 


14,4 


15,4 


28,63 


204,2 


1885 


13,92 


15,4 


29,51 


212,6 


1886 


14,97 


16,2 


28,82 


192,6 


1887 


15,61 


17,7 


27,15 


174,1 


1888 


14,91 


17,0 


27,64 


185,6 


1889 


15,04 


16,8 


32,70 


218,6 


1890 


— 


— 


— 


— 


1891 


15,92 


17,7 


29,88 


189,1 



Damit ist gesagt, daß der Anreicherung des Zuckergehalts 
eine Verbesserung der Säfte parallel ging, während kein Rück- 
gang in der geernteten Rübenmenge zu beobachten war. 

Und in der Tat lehrt die Erntestatistik, daß die Rübenernten 
quantitativ bis in die 80er Jahre sich kontinuierlich gebessert 
haben. Während Koppe i) 1841 den Ertrag vom Hektar auf 
den besten Ackerklassen auf 300 dz angibt, eine Zahl, auf der 
er sich lange hält, sinkt sie unter dem Eindruck zweckentsprechen- 
der Anbaumethoden, welche Hebung des Zuckergehalts zum Ziel 



Nach K. v. Rümker, a. a. O. 

«) J. G. Koppe, a. a. O., S. 26. — Kögel, Die landwirtschaftlichen 
Verhältnisse der Rübenzuckeriabnkation und deren Steueriähigkeit, 
1853, S. 5 u. a. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 217 

haben^ in den 60er und 70er Jahren, um sodann unter fort- 
gesetzter Besserung des Zuckerertrags abermals deutlich anzu- 
steigen. Es betrug die Durchschnittsrübenernte in den Jahren 



1872/75 


234 dz pro ha 


1876/80 


272 „ „ „ 


1881/85 


316 „ „ „ 


1886/90 


296 „ „ „ 


1891/96 


297 „ „ „ 


1896/1900 


305 „ „ „ 


1901/1906 


295 „ „ „ 



Über die Entwicklung der Erntemengen in den einzelnen 
Landesteilen, die recht unterschiedlich ist, gibt die Obersicht auf 
S. 99 Aufschluß. 

Auf einen Punkt, der aus den Tabellen (vgl. Obersicht auf 
S. 111—113) weniger scharf hervortritt, muß besonders verwiesen 
werden. Hand in Hand mit der Rassezüchtung machte die 
Wanderfähigkeit der Rübe eminente Fortschritte. Während bis 
in die 70er Jahre die Ansicht allgemein ist, daß die Zuckerrübe 
befriedigende Erträge nur auf sog. geborenen Rübenboden, wie 
er sich im Magdeburgischen und Braunschweigischen findet, 
zu liefern imstande sei, wandert sie in den 70er und 80er Jahren 
aus in die östlich gelegenen Landesteile, in wenigen Jahren 
ist der Rübenbau über alle Bundesstaaten und alle Provinzen 
Preußens verbreitet und bewährt dabei eine geradezu glänzende 
Anpassungsfähigkeit an alle Boden- und Vegetationsverhältnisse.i) 
Ähnlich wie die gratifikatorische Behandlung der Ausfuhr für 
die Landwirtschaft den Anreiz gegeben hatte zu allen kultur- 
technischen und züchterischen Fortschritten und zu dem innigen 
Zusammenarbeiten mit der Wissenschaft, so gab jetzt die Be- 
seitigung der Materialsteuer die gesunde Basis für die Begründung 
der Industrie in allen irgendwie geeigneten Lkudesteilen. Heute 
gilt die Zuckerrübe als eine der sichersten Kulturpflanzen. 

Bis heute muß die Zuckerrübe als die landwirtschaftliche 
Kulturpflanze betrachtet werden, welche das klassische Vorbild 
für jede Rassenzüchtung darstellt. Auf keinem Gebiete hat die 
Pflanzenveredlung auch nur annähernd einen solchen Triumph 
gefeiert, nach dem Urteil der Fachgelehrten*) deswegen, „weil 



H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt, S. 6. 
«) K. V. Rümker, a. a. O. 



218 Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

die Oetreidepflanze mit ihren Sonderheiten der Züchtung größere 
Schwierigkeiten entgegenstellt als die Zuckerrfibe'^ obgleich die 
Qetreidezfichtung an drei Jahrzehnte älter ist als die der letzteren. 

I>och um den Erfolg des Rübenbaus zu sichern, mußte die 
landwirtschaftliche Wissenschaft schwere Hindernisse der Praxis 
aus dem Wege räumen. Es galt hier, der schwergefährdeten 
Praxis die Repressiv- und Präventivmaßregeln gegen das Heer 
der Rübenkrankheiten und tierischen Schädiger an die Hand 
zu liefern. Während der Erfolg fast überall ein befriedigender 
war und die Sicherheit des Ernteerträgnisses fortdauernd gehoben 
werden konnte, steht die Wissenschaft bis heute einem tierischen 
Schmarotzer ziemlich machtlos gegenüber, der dank seiner außer- 
ordentlichen Zähigkeit radikaler Bekämpfung äußersten Wider- 
stand entgegensetzt und allgemein als der weitaus gefährlichste 
Feind des Rübenbaus angesehen wird. Es ist die Rübennematode, 
der Erreger der sog. Rübenmüdigkeit, einer Erscheinung, die 
sich darin äußert, daß bester Rübenacker nach wiederholtem 
Anbau mit Zuckerrüben plötzlich in seinem Ertrage trotz bester 
Bearbeitung und Düngung zurückgeht, ja für Rübenkultur voll- 
ständig wertlos wird. 

Die Rübenmüdigkeit, die man bei ihrem ersten Auftreten 
mit einer Erschöpfung des Bodens zunächst zu stützen suchte, 
wurde zu Anfang der 60er Jahre erst öfters beobachtet. J. Kühn 
war damals der erste, der die Ansicht aussprach, daß die Nematoden, 
weiche Schacht 1859 schon beobachtet und beschrieben hatte, 
„in vielen Fällen da, wo man von Rübenmüdigkeit des Ackers 
rede, die alleinige Ursache der Abnahme der Erträge seien."*) 
Mittlerweile gewann die Rübenmüdigkeit eine geradezu er- 
schreckende Ausdehnung, von der man eine Vorstellung durch 
die Äußerung Rimpau's auf der Generalversammlung des Vereins 
für die Rübenzuckerindustrie des Jahres 1868 erhält, die besagt, 
daß in nächster Umgebung Magdeburgs von 25 Zuckerfabriken 
24 infolge gänzlichen Mißratens der Ernten auf Grund der Rüben- 
müdigkeit ihren Betrieb einstellen mußten. Eine starke Depression 
in den beteiligten Kreisen der Industrie und Landwirtschaft war 
die Folge. Da gelang J. Kühn durch umfangreiche Versuche 
1876—84 der Nachweis, daß tatsächlich die Nematode als Erreger 



^) Vereinszeitschrift 1879, S. 96. — O. Liebscher, Ober die Be- 
ziehungen von Heterodera Schachtii zur Rübenmfidigkeit, Diss. Halle 1879. 




Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 219 

der Rübenmiidigkeit zu betrachten sei, anderseits fand er auch 
eine Reihe von Anhaltspunkten für die Bekämpfung dieser un- 
heilvollen Erscheinung, die allerdings mehr auf vorbeugende als 
auf hindernde Maßnahmen hinausliefen. Durch 5 jährige An- 
wendung gewisser Fangpflanzen glückte es ihm, vollständig rüben- 
müden Äckern wieder zur alten Ertragsfähigkeit zu verhelfen, 
so daß er konstatieren konnte, „daß die von ihm übernommene 
Aufgabe im wesentlichen als gelöst anzusehen sei.^'^ Ober den 
gegenwärtigen Stand der Nematodenfrage äußert sich Rümpler') 
etwa so: Man vermag bisher nicht, den Übelstand ganz zu be- 
heben, doch kann man den Schaden mildern, indem man zu- 
nächst Sorge trägt, daß sich die Nematoden nicht verschleppen. 
Besserung ist möglich durch starke Düngung mit Kalk, lang- 
jähriges Ausschalten des Rübenbaus und aller anderen Nematoden- 
nährpflanzen, dafür Anbau solcher Pflanzen, welche dem Parasit 
keine Nahrung geben. — Aus den Durchschnittserträgnissen ein- 
zelner Provinzen läßt sich Nematodenschaden heute kaum nach- 
weisen. (Vgl. Tabelle auf S. 99.) 

Reiche Fundgruben wissenschaftlicher Forschung, deren Aus- 
beutung den praktisch-wirtschaftlichen Betrieb der Rüben bauen- 
den Landwirtschaft in günstigster Weise bejeinflußte, gaben die 
Fragen der Rübenkonservierung, der wirtschaftlich rentabelsten 
Verwertung der Abfallprodukte aus der Rübenwirtschaft und der 
Zuckerfabrik, und andere, auf die auch nicht andeutungsweise 
hier eingegangen werden kann. Gerade diese Untersuchungen 
unterstützten aber sehr wesentlich den wissenschaftlichen Fort- 
schritt auf dem Gebiet, welches von der neuen Wissenschaft 
lange Zeit im Gegensatz zur Pflanzenphysiologie etwas stief- 
mütterlich behandelt worden war, die Tierphysiologie. Die Rüben- 
wirtschaften waren es, aus denen heraus bald das Bedürfnis 
und Verständnis für die chemische Untersuchung der einzelnen 
Futterstoffe und ihre Nutzbarmachung im tierischen Körper, Auf- 
stellung von Futtertabellen u. dgl. erwuchs, während sie gleich- 
zeitig mit der Rassezüchtung zur Verbesserung der einheimischen 
Nutzviehschläge mit Erfolg vorgingen. In manchen Distrikten 
ist deutlich zu erkennen, wie auch in dieser Hinsicht die Rüben- 
wirtschaft geradezu vorbildlich für alle anderen Betriebe gewirkt hat. 



Vereinszeitschrift 1884, S. 140. 
«) Dr. A. Rümpler, a. a. O., S. 137. 



220 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

So sind denn alle die Einzelzüge, welche wir im Wesen 
und in der technischen Entwicklung des Rübenbaus zu erkennen 
vermochten, auf einen einheitlichen Orundton gestimmt: Die Ein- 
führung und die Entfaltung der Zuckerrübenkultur in Deutschland 
hat den unmittelbaren Anstoß und die fruchtbarste Pflegestätte 
gegeben für die Begründung des wissenschaftlich-rationellen Ver- 
fahrens anstelle des empirischen. Wie im Werdegang des agri- 
kulturtechnischen Fortschrittes manche Züge wahrnehmbar sind, 
die eine Art Wiederschein sind von den Konturen und Richtungs- 
linien, welche der Entwicklungsgang der Technik der Rüben- 
verarbeitung offenbarte, so besteht auch in beiden Fällen in 
dem Effekt der Leistung eine gewaltige innere Ähnlichkeit: Hier 
wie dort hat die durch die Wissenschaft modifizierte Technik 
zweifellos in den Qrundsätzen der Wirtschaftsführung den kapita- 
listischen Einschlag kräftig in den Vordergrund geschoben. Der 
Grundsatz des Erwerbsstrebens nach höchstem Gewinn, der nicht 
immer mit den in der gewerblichen Produktion gültigen Mitteln 
in der Landwirtschaft vertreten zu werden vermag, gewinnt be- 
sonders durch die Rübenwirtschaft ein Heimrecht in der land- 
wirtschaftlichen Produktion. Ehirch eine Annäherung an kapita- 
listische Tendenzen in Ausdrucksformen, wie sie der Eigenart 
des landwirtschaftiichen Betriebs entsprechen, wird in der Rüben- 
wirtschaft in der Tat ein neuer Stil der Bodennutzung geschaffen, 
der fermentartig auf andere Teile der landwirtschaftlichen Ur- 
produktion im Sinne einer Intensivierung wirkt. Es kann des- 
halb wohl der Rübenbau in Deutschland als einer der wirk- 
samsten Faktoren betrachtet werden, welche den zerstörenden 
Wirkungen der landwirtschaftiichen Krise im letzten Viertel des 
19. Jahrhunderts am besten widerstanden und den t'Jbergang 
zu einem neuen Status begünstigt haben. Es ist ein eigenes 
Schauspiel, daß die Technik, welche an jener Krise gewiß nicht 
unbeteiligt war und welche gerade in den ersten Jahren der 
wirtschaftlichen insbesondere auch landwirtschaftlichen Depression 
auf dem Gebiete der Zuckerverarbeitung mit äußerster Energie 
im Großbetrieb vorwärts drängte und sich gegenüber der Sphäre 
der Rohproduktion immer eifriger — zunächst durch die Form 
der Aktiengesellschaft mit Verpflichtung der Aktionäre zur Rüben- 
lieferung — verselbständigte, daß eben diese Technik auch die 
Mittel lieferte, um jene Kluft, die sie gerissen hatte, zu über- 
brücken, indem nun in den Rübenwirtschaften, durch sie dann 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 221 

In dem ganzen Bereich der Landwirtschaft jener neue Qeist 
des Wirtschaftens mit neuen durch die Wissenschaft umgestalteten 
oder gar erst geschaffenen Mitteln einzieht. Dem innersten Wesen 
nach stehen sich in der Räbengewinnung und der Rübenverarbeitung 
deutlich zwei Welten gegenüber, die zwar eine jede in ihren 
eigenen Bahnen rollt, um die sich aber trotzdem ein gemein- 
sames starkes Band knüpft: Ihr Evolutionsgedanke sucht in 
einer einheitlichen Richtung seinen Weg. Diesen aber sehen 
wir in der Technik, welche aus einer tiefen wissenschaftlichen 
Erkenntnis von Kraft und Stoff und aus dem Begreifen des wirt- 
schaftlichen Seins, dem Blick und dem Instinkt für die höchsten 
Formen der Ökonomie heraus geboren wird. 

Aber auch nach der anderen Seite erkennen wir einen Zentral- 
punkt. Wir wissen, daß die Auslösung des höchsten technischen 
tWoUens und Vollbringens in der Rübenverarbeitung zunächst 
zustande kam. Die Steuer, später der gratifikatorische Charakter 
der Ausfuhrbehandlung war die Grundsäule des Vergewaltigungs- 
prozesses, der den Schwachen zermürbte, den Starken stärkte, 
um neue Steuerzuschläge von ihm zu erpressen. Der engste 
Anschluß der Verarbeitung an die Rohstoffgewinnung woirde 
zur Existenzfrage und damit die Lockung des Gesetzes auf die 
Rohproduktion folgerichtig ausgedehnt. Der Fabrikant scheute 
sich selbst nicht, hinzugehen und der Landwirtschaft neue Vor- 
stellungen von Wert und Unwert ihrer Leistung zu imputieren, 
bis sie stark genug und in wissenschaftlicher und kapitalistischer 
Erkenntnis reif genug war, um sich auf eigene Füße zu stellen 
und eine neue Ära der Wirtschaftsführung auch hier herauf- 
zuführen. 

Läßt sich schon aus dem Gesagten auf die allgemein volks- 
wirtschaftliche Bedeutung des Zuckerrübenbaus ein Ausblick ge- 
winnen, so fordert die Würdigung seiner volkswirtschaftlichen 
Tragweite eine Ergänzung sowohl in privat- wie in staatswirt- 
schaftlicher Richtung. Zunächst ist auf die Steigerung der Boden- 
produktivität hinzuweisen, deren Hebung der Bruch mit der Drei- 
felderwirtschaft eingeleitet hatte. Sie fand ihre Fortsetzung in 
der Fruchtwechselwirtschaft, auf den sich die Rübenwirtschaften 
stützten, und endete bei der freien Wirtschaft. Verstimmt durch 
die häufigen Mißerfolge, welche der Kartoffelbau solange brachte, 
bis es glückte, auf dem Wege der Rassezüchtung widerstands- 
fähige und ertragsreiche Sorten 4ieranzuziehen, anderseits auch 



222 . Zttckerrabenbatt und Landwirtschaftsbetrieb. 

wegen der vorzäglidien Chancen, welche die Rübenkultur dem 
Landwirt bot, fing man an, auf schweren Böden die Rübe als 
Hackfrucht vor der Kartoffel zu bevorzugen, so daß auf ihr 
Konto in vielen Landstrichen der überwiegende Anteil an der 
Ertragssteigerung gesetzt zii werden verdient. Die Steigerung 
der Qualität und der Quantität der geernteten Rübenmengen und 
Hand in Hand damit der Fortschritt in der fabrikmäßigen Ver- 
arbeitung, Momente, welche die Menge der pro IHächeneinheit 
gewonnenen Zuckermenge stark wachsen ließen, machen nur 
einen Teil der Steigerung der Produktivität des Bodens aus, auf 
die möglicherweise die Produktivität der Arbeit nicht ohne Ein- 
fluß gewesen ist. Mindestens ebenso hoch ist die so bewirkte 
indirekte Förderung der Bodenkultur zu veranschlagen, die in 
der intensiven Bodenbearbeitung und der reichlichen Verwertung 
mineralischer Dungstoffe beruhend, sich in einer unerhörten 
Steigerung der Ernteerträgnisse insbesondere der Kornfrüchte und 
der Kartoffel ausspricht i) E>en Oesamteffekt dieser allgemeinen 
Verbesserung des Landwirtschaftsbetriebs, der zum größten Teil 
auf Konto des Rübenbaus zu setzen ist, veranschlagt Professor 
Delbrück für das 19. Jahrhundert bei der Körnerernte allein 
schon auf das Doppelte. „Wird hinzugefügt der Hackfruchtbau, 
ein reiner Zuwachs und in der Substanzmenge der Körneremte 
gleich, so ist das Ergebnis, die landwirtschaftliche Erzeugung 
hat sich yervierfacht."*) 

Wir wollen uns auf wenige Daten beschränken, welche ein 
Bild geben von dem Tempo, mit dem der Prozeß der Intensi- 
vierung bezw. Produktionssteigerung sich durchsetzte. 

Nach einer Notiz im Korrespondenzblatt des Bundes der 
Landwirte wurden auf dem Oute Friedrichshof jährlich im Durch- 
schnitt geerntet:») 

1782—1791 1010 Scheffel Getreide 

1801—1811 2232 

1821—1831 3214 

1841—1851 3951 



1) Sehr interessante Punkte bringt der Bericht einer Studienkom- 
mission aus Malchin: ^Betrieb der Landwirtschaft in Sachsen und An- 
halt«. Abgedruckt in der Vereinszeitschrift, 1879, S. 764 ff. 

«) Delbrück, a. a. O. — Vergl. auch S. 202. 

*) Vgl. Backhaus, Zur Verbilligung der landwirtschaftlichen Produk- 
tion. In der Festschrift zum 70. Geburtstage von Jul. Kühn, 1895. 



Zuckerrfibenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 



223 



1861—1871 5076 Scheffel Getreide 

1871—1881 5044 

1881—1891 7645 
Seit 1851 wurden ferner noch bedeutende und immer steigende 
Massen von Kartoffeln und Futterrüben geerntet; »^seit 1893 wurde 
Mineraldung angewendet, der zeigte, daß 1895 schon die Er- 
träge von Getreide bequem auf 10000 Scheffel zu steigern waren/' 
Daß gerade in den letzten 30 Jahren der Fortschritt besonders 
glänzend in der deutschen Landwirtschaft war, zeigen die in 
den Landwirtschaftlichen Jahrbüchern niedergelegten Forschungen 
Thiels.^ Danach hoben sich im Deutschen Reich die Weizen- 
erträge von 1880—90 um 10 o/o, die des Roggens um 4 o/o, 
1891—1900 dagegen die des Weizens um 10 o/o, die des Roggens 
um 19 o/o, der Gerste um 3 o/o, der Kartoffeln um 25 o/o.«) Ferner 
stellte Thiel hinsichtlich der Roherträge') in der Provinz Sachsen 
für 1880 und 1900 folgende Zahlen fest Auf 1 ha wurden 
geerntet: 



Winterweizen 
Winterroggen 
Hafer . . . 
Kartoffeln . . 
Zuckerrüben . 
Zuckergehalt derselben 



er. 1880 
2400 kg 
2000 „ 
2400 „ 
14000 „ 
30000 „ 
12,5 7o 



er. 1900 

3600 kg 

3000 „ 

3600 „ 

20000 „ 

36000 „ 

16% 



Es ist schon angedeutet worden, daß mit den beschränkten 
materiellen Mitteln der Landwirtschaft alten Stils sich diese be- 
deutenden Ertragswerte nicht erzielen ließen. Der ungewöhnlich 
hohe Arbeitsaufwand pro Flächeneinheit ist der Hauptgrund für 
die hohe Steigerung des Wirtschaftsaufwandes in den Rüben- 



^) Vergl. auch die Gutsgeschichte von Schlanstädt bei Dr. Trau- 
gott Mueller, Die deutsche Landwirtschaft auf der Weltausstellung in 
Paris 1900, S. 31 ff. 

*) Beim Roggen wird die stärkere Steigerung kn letzten Dezennium 
damit begründet, daß die Hochkultur auf die Roggenanbaugebiete sich 
erst später fibertragen hat. Bei der Gerste stand nicht die Gewichts- 
zunahme, sondern die Verbesserung der Beschaffenheit als Braugerste 
im Vordergrund. Bei der Kartoffel hingegen ist die Ertragserhöhung 
als ein unmittelbarer Erfolg der Verbreitung ertragsreicher und gegen 
Krankheit widerstandsfähiger Sorten zu betrachten. 

') Vergl auch Th. Frhr. v. d. Goltz, Geschichte der deutschen 
Landwirtschaft, IL Bd. S. 255 ff. und S. 337 ff. 



224 ZuckerrQbenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

wirtschaften. Thiel berechnete diesen um 1900 unter Voraus- 
setzung der Stallmistdüngung für die verschiedenen Fruchte, je 
nach den Bodien-, Klima- und Wirtschaftsverhältnissen ohne Be- 
rechnung der Bodenrente, aber einschlieBlich der Verzinsung auf 
ein Hektar zu folgenden Näherungswerten: 

Aufwand in Mk. 

größter kleinster mittlerer 

Weizen 430 275 325 

Roggen 350 200 300 

Gerste 370 200 250 

Hafer 370 180 235 

Hülsenfrüchte und Mähklee 200 150 175 

Weideklee 70 40 60 

Zucker- und andere Rüben 750 350 550 

Kartoffeln 650 400 450 

Der Zuckerrübenbau steht in der Tat im Mittelpunkt der 
am intensivsten bewirtschafteten Landwirtschaftsbetriebe Mittel- 
europas. Eine Vorstellung von dem gegenüber weniger inten- 
siven Anbaumethoden riesig gesteigerten Aufwand^) an Be- 
triebskapital gibt die beigefügte Übersicht 

Für 1900 wurde für ein Hektar Ackerland veranschlagt 

das Oesamtbetriebs- davon umlaufen- 
kapital zu Mk. des Kapital zu Mk. 

in sehr intensiven Betrieben . . . 600 250 

in intensiven Betrieben zwischen . 400—600 200 

in mittelintensiven Betrieben zwischen 300—400 150 

in mittelextensiven Betrieben zwischen 200—300 1 00 

in extensiven Betrieben unter . . . 200 50 

Mit der gewaltigen Kapitalsverdichtung auf die Flächeneinheit 
bebauten Landes ging eine Steigerung des Reinertrags Hand 
in Hand, wie viele Untersuchungen dargetan haben. Für seine 
Entwicklung kann als annähernder Maßstab die Bewegung der 
Kauf- und Pachtpreise der Güter angenommen werden, deren 
seit 1830 etwa kontinuierlich ansteigende Tendenz für die Ent- 
wicklung der deutschen Landwirtschaft als bezeichnend angesehen 
werden kann und die nur zum Teil durch die allgemeine Preis- 
steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse pflanzlicher und 

1) Vergl. auch H. Roth, Ober den Einfluß des Zuckerrübenbaus auf 
die Höhe der landwirtschaftlichen Kapitalien. Diss. Leipzig, 1892. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 225 

tierischer Natur motiviert zu werden vermag. Alle Autoren be- 
richten, daß nicht nur in der Gründerzeit der Rübenzuckerindustrie, 
sondern auch in den folgenden Jahrzehnten vorzüglich in den 
eigentlichen Rübengegenden abenteuerliche Preise bei Pacht und 
Kauf bezahlt wurden, welchen langsam erst mit zunehmender 
Intensivierung die in Nichtrübengegenden gezahlten Sätze nach- 
hinkten. Es betrug der jährliche Pachtzins auf den kgl. preußischen 
Domänen auf den Morgen^ 

1849 1,19 Tlr. 

1864 1,89 „ 

1867 2,11 „ 

Steinbrück») gibt die Bodenpreisgestaltung pro Hektar in 
Mark wie folgt an: 

Prov. Sachsen 

Landgüter Rittergüter 

1801—1820 488,07 736,50 

1821—1840 602,09 839,79 

1840—1860 1151,44 1216,55 

1861—1880 2199,73 2134,71 

1881—1898 3467,32 2944,78 

Nach dem Jahresbericht der Landwirtschafts-Kammer der 
Provinz Posen für 1900 zahlte die Ansiedlungskommission im 
Durchschnitt 814 Mk., im Jahre 1899 824 Mk. pro ha. Das 
entspricht etwa dem SOfachen Qrundsteuerreinertrag. In den 
eigentlichen Rübengegenden, besonders in den Kreisen Inowrazlaw 
und Strelno, wo die .Wirtschaften auf derselben Höhe stehen 
wie in Sachsen, konnte n^n 1903 kein Rittergut unter 1320 Mk. 



Prov. 


Posen 


Mittelbesitz 


GroBbesitz 


232 


268 


171 


149 


303 


307 


592 


538 


687 


539 



Aug. Meitzen, Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhält- 
nisse des preußischen Staates, III. Bd. S. 420. — Meitzens Ausführungen 
gipfeln in der Bemerkung (S.423): „In der Gesamtbeurteilung der Stei- 
gerung der Guts- und Pachtpreise stimmen alle Meinungen und Er- 
fahrungen darin über ein, daß die Preise seit dem niedrigen Stand der 
zwanziger Jahre sich bis 1830 nur allmählich zu heben begannen, von 
da an im raschen Aufsteigen blieben, welches zwar in den Mißjahren 
1846/47 und durch die besonders auf die ländlichen Verhältnisse zurück- 
wirkenden Unruhen 1848 auf kurze Zeit unterbrochen wurde, durch die 
Umgestaltung der Wirtschaftssysteme aber, durch Rüben- und Lupinen- 
bau und durch den Einfluß der Eisenbahnen einen immer lebhafteren 
Fortgang nahm.* 

«) C. Steinbrück, Entwicklung der Preise des städtischen und länd- 
lichen Immobilienbesitzes zu Halle und im Saalekreis. 

Schuchart, Zuckerindustrie. 1^ 



226 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

pro Hektar kaufen. „Die Bodenpreise beim Mittelbesitz sind 
noch höher."!) 

Für dije Richtigkeit der Behauptung, daß die allgemeine 
Preissteigerung für landwirtschaftliche Erzeugnisse die hohen 
Pacht- und Kaufpreise nicht durchweg zu begründen imstande 
ist, spricht der Umstand, daß trotz der schweren Krise, in welche 
die deutsche Landwirtschaft mit dem Einbruch ausländischer 
Konkurrenz auf den von ihr bis dahin fast konkurrenzlos aus- 
gebeuteten Markt geriet, die Pachtschillinge ihre Aufwärtsbewegung 
meist noch fortsetzen konnten und erst in neuester Zeit ab- 
bröckelten. 

Freilich hat die gar zu optimistische Voraussetzung der hohe 
Preise zahlenden Käufer, welche während der landwirtschaftlichen 
Hochkonjunktur weit verbreitet war, daß sich nämlich die Renta- 
bilität der Bodennutzung noch eine Weile mit relativ geringer 
Mühe steigern lassen werde, mit dem Eintritt der großen Krise 
Ende der 70 er Jahre in sehr vielen Fällen ein klägliches Fiasko 
erlitten, und es muß gesagt werden, daß gerade die für den 
Rübenbau in Betracht kommenden Ländereien schon in den 
40er Jahren, erst recht aber nach Eintritt der gratifikatorischen 
Steuerrückvergütung außerordentlich überkapitalisiert wurden. 
Mancher Landwirt mußte so später Schiffbruch leiden, schon 
deshalb, weil es an der unter dem Steuerdruck unablässig wachsen- 
den Kapitalsmenge sehr bald fehlte, welche die Etablierung einer 
mit gesteigerter Intensität betriebenen Wirtschaft notwendig machte, 
ein Mangel, dem durch Verbesserung und Verbilligung des land- 
wirtschaftlichen Kredits nur teilweise abgeholfen werden konnte. 
Anderseits ging der schwierige Prozeß, dem kleinen Landwirt 
die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung plausibel und 
für seine Verhältnisse anwendungsfähig zu machen, wegen des 



:*) B. Amrogowicz, Die Zuckerindustrie in der Provinz Posen. Diss. 
München 1903, 8.51.—^ Die Rolle, welche die Rübenindustrie in der Ent- 
wicklungsgeschichte der Provinz Posen spielte, ist durch eine ganze 
Reihe Arbeiten meist neueren Datums klargestellt worden. Es mögen 
hier genannt sein: Joh. Graf Szoldrski: Die landwirtschaftliche Ent- 
wicklung der Provinz „Großherzogtum Posen« 1772—1900, Diss. München 
1903. — J. v.Trzinski, Russisch-polnische und galizische Wanderarbeiter im 
Großherzogtum Posen, 1906. — B. v. Brodnicki, Beiträge zur Entwicklung 
der Landwirtschaft in der Provinz Posen, 1893. — K. Kärger, Die Sachsen - 
gängerei. Jahrbücher der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, 1890. — 
Festschrift d. Handelskammer Posen, 1901.— Frankfurter Ztg.,22. Sept. 1906. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 227 

ungeheuren .Widerstandes der notorisch hier höchst zähen Tra- 
dition trotz aller Fortschritte auf dem Gebiete des landwirtschaft- 
lichen Vereins- und Unterrichtswesens nur langsam von statten, 
so daß es oft genug an der unerläßlichen Vorbildung für die 
Organisation eines den neuzeitlichen Verhältnissen angepaßten 
Wirtschaftsbetriebs fehlte. Schließlich aber wurde die Lage des 
Landwirts, der zu teuer gepachtet oder gekauft hatte, durch einen 
Machtfaktor offensichtlich verschlechtert, dessen hervorragende Be- 
deutung für den Betrieb im Zeitalter des Verkehrs und der zu- 
nehmenden Industrialisierung er in den wenigsten Fällen vor- 
ausahnen konnte, der allein genügte, seinen auf moderne Be- 
dürfnisse zugeschnittenen Wirtschaftsplan tief zu beeinflussen, 
wenn nicht gar über den Haufen zu werfen. Es war die steigende 
Schwierigkeit, ländliche Arbeiter zu beschaffen, und das damit 
stark belastete Lohnkonto. Der intensiver gestaltete Betrieb hat 
regelmäßig eine Steigerung des Arbeitsaufwandes zur Folge. 
Dieser aber kann nur zum Teil trotz rationellster Anwendung durch 
Maschinenarbeit geleistet werden. Gelingt es auch, die Zahl der 
Arbeiter zu reduzieren, so wird doch die relative Erhöhung des 
Lohnkontos besonders drückend empfunden, da bei ausgiebiger 
Verwendung der Maschine für ihre Tilgung und Verzinsung bei 
ihrer recht mangelhaften Ausnutzbarkeit ein erklecklicher Teil 
des Bruttogewinnes zu reservieren ist. 

Die mit dem Abflauen der landwirtschaftlichen Hochkon- 
junktur in Deutschland sich einstellenden verhängnisvollen Folgen 
der Überkapitalisation sind zweifelsohne zu sehr großem Teil 
auf Konto der maßlosen Erwartungen zu setzen, welche der 
Landwirt für den Rübenbau hegte. Trotzdem kam er bei der 
immer bedenklicher um sich greifenden Verschuldung im ganzen 
noch besser weg, als der lediglich auf Kornfruchtbau angewiesene 
Landwirt, der das Anziehen der Pacht- und Kaufpreise ganz 
ebenso zu fühlen bekam und der den Übergang zu intensiverer 
Wirtschaftsweise erst bewerkstelligen mußte, welche der Rüben- 
bauer in wirtschaftlich günstigerer Zeit sich hatte zu eigen machen 
können. Ähnlich wie zur Zeit der gratifikatorischen Steuerrück- 
vergütung immer der Zuckerproduzent, der mit der besten und 
rationellsten Technik arbeitete, einen größeren Gewinn erzielte 
als sein Nachbar, der bei der rückständigeren Methode verblieben 
war, und dadurch eine wesentlich höhere wirtschaftliche Stoß- 
kraft gewann als dieser, so ging es nun dem Landwirt, der sich 



228 Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 

bei Zeiten auf den Rübenbau verlegt und der den mit erhöhter 
Kapitalsinvestierung erreichten großen wirtschaftiichen Vorsprung 
vor den Nichtrübenwirtschaften mit Vorteil zu nutzen verstanden 
hatte. Er hatte ^inen Ruckhalt an den angesammelten oder im 
Betrieb liegenden Reserven, die er zur Zeit der glänzenden Kon- 
junktur hatte anlegen können, die ihm über eine Anzahl Jahre 
des Rückschlags hinweghelfen konnten.^) Dabei traf ihn der 
Preissturz der Kornfrtichte, hervorgerufen durch den Import^ 
lange nicht so hart, da die Mannigfaltigkeit seiner Erzeugnisse 
dem wirtschaftlichen Gesamtergebnis eine höhere Stabilität 
sicherte. Dann gab auch der glänzende Erfolg der Samenzüchtung 
und der damit gesteigerte Sicherheitsgrad des Ernteausfalls neben 
der durch sachgemäße mineralische Düngung und bessere Boden- 
bearbeitung erzielten Ertragssteigerung und der erhöhten Aus- 
nutzung der Abfallprodukte der Fabrik dem Rübenbauer die 
Möglichkeit, der Verschuldungsgefahr durch eine höhere Ertrags- 
quote zu begegnen. Eins der wertvollsten Schutzmittel gegen 
die unheilvollen Folgen der Dberkapitalisation ist aber vielleicht 
darin zu suchen, daß der so mit höchster Intensität wirtschaftende 
Landwirt vor allen andern mehr extensiv arbeitenden Wirtschaftern 
dazu angehalten war und gelernt hatte, sich zahlenmäßig über 
den Erfolg des Betriebs Aufschluß zu verschaffen: seine Orga- 
nisation fußte auf dem Boden der Berechnung, einer gerade bei der 
landwirtschaftlichen Produktion oft mühevollen, kalkulierenden 
Überlegung, während der Durchschnittslandwirt bis auf den heu- 
tigen Tag seine Gestehungskosten überhaupt nicht oder nur in 
sehr oberflächlichen Überschlagsrechnungen festzustellen gewohnt 
ist. In der möglichst exakten Erfassung aller im landwirtschaft- 
lichen Produktionsprozeß auftretenden Faktoren beruht ähnlich 
wie in der Industrie eine vorzügliche Möglichkeit, die .Wirtschaft 
zu verbessern und in ihrem Bestände zu sichern. 

Heute liegen die Dinge so, daß im Kernpunkt der landwirt- 
schaftlichen Krise die Verschuldungsfrage steht. Zwar haben dazu 
auch mancherlei Fehlschläge beigetragen, welche sich aus der 
Tatsache ergeben, daß die Frage der Ersatzwirtschaft heute zu 
einer reinen Geldfrage geworden ist. Erst in der neuesten Zeit 
scheint man sich wieder darauf zu besinnen, daß bei Käufen, 



*) Die Betriebe waren keineswegs selten, welche trotz und wegen 
fortgesetzter Neueinrichtung jahrelang mit 50 bis 100 »/o rentierten. 



Zuckerrübenbau und Landwirtschaftsbetrieb. 



229 



Teilungen usw., wo die ausschließlich landwirtschaftliche Be- 
nutzung außer Zweifel steht, der Reinertragswert zu Grunde zu 
legen ist, wenn anders keine Spekulationszwecke verfolgt werden. 
Für die Verschuldung des ländlichen Grundeigentums hat man für 
Preußen eine ganz bedeutende Zunahme nachweisen können: 
Während auf 1 Mark Grundsteuerreinertrag 1883 eine durchschnitt- 
liche Schuldenlast von 23,59 Mark entfiel, stellte sie sich 1893 
auf 29,24 Mark, gleichbedeutend einer Zunahme von ca. 24o/o. 
Eine Untersuchung über die Frage wäre sehr verdienstvoll, wie 
sich die Verschuldung in Distrikten vorwiegenden Rübenbaus 
entwickelt hat. Eine Ausgliederung nach Provinzen liefert aller- 
dings Anzeichen dafür, daß hier der Grad der Verschuldung 
ein erheblich niedrigerer ist als da, wo extensive Bewirtschaftungs- 
arten vorwiegen, daß also trotz der sehr hohen auf die Flächen- 
einheit entfallenden Kapitalsgrößen sich die Verschuldung in be- 
deutend engeren Grenzen bewegt. Vgl. die folgende Tabelle. 

Verschuldung im Verhältnis des Schätzungswertes. 

Gruppe II Besitzungen von 500 u. mehr Thaler Orundsteuerreinertrag 
„ III „ „ 100-500 

„ IV ., „ 30—100 



Von je 100 Gütern sind in der Besitzgruppe 
II 111 IV 



'i 



&8 

1 'S 



IS 

•M CO 

6« 






des Schätzungswertes verschuldet 



Ostpreußen 

Westpreußen . . . . 
Brandenburg . . . . 

Pommern 

Posen 

Schlesien 

Sachsen 

Schleswig-Holstein 

Hannover 

Westfalen 

Hessen-Nassau . . . 
Rheinland 

Preußen 



38,83 
44,13 
61,64 
37,57 
32,35 
57,93 
87,50 
75,45 
81,82 

94,11 
nur 11 
94,03 



61,17 
55,87 
38,36 
62,43 
67,65 
42,07 
12,50 
24,55 
18,18 

5,88 
Güter 

5,97 



79,92 
70,68 
94,27 
80,21 
79,27 
76,25 
96,43 
80,52 
90,68 
95,24 
97,79 
94,03 



20,08 

29,32 

5,73 

19,79 

20,73 

23,75 

3,57 

19,48 

9,32 

4,76 

2,21 

5,97 



88,97 
80,76 
91,45 
77,42 
92,38 
80,12 
94,33 
83,79 
88,02 
85,37 
91,26 
92,62 



11,03 
19,24 

8,55 
22,58 

7,62 
19,88 

5,67 
16,21 
11,08 
14.63 

8,74 

7,36 



57,10 



42,90 



85,31 



14,69 



87,67 



12,33 



230 Die Arbeiterverhältnisse. 

2. Kapitel. 
Die ArbeitarverUltnlsse. 

Wie die Verschuldungsfrage den einen Angelpunkt in der 
großen durch allgemeinen Preisrückgang charakterisierten Ent- 
wicklungsphase der deutschen Landwirtschaft neuesten Stils dar- 
steIlt,so bildet den andern die ländliche Arbeiterfrage. Wie die 
Verhandlungen des preußischen LandesökonomiekoUegiums be- 
weisen, stehen diese Probleme seit Jahren im Vordergrund des 
allseitigen Interesses. Sie stehen in engster Wechselbeziehung 
zueinander, und das eine ist in gewissem Sinne nur eine Er- 
scheinungsform des andern. 

Daß beide Probleme zu unserer Zeit in der äußerst beäng- 
stigenden Weise für die deutsche Landwirtschaft akut geworden 
sind, hat seinen Orund in der revolutionierenden Macht der 
Alleinherrscherin Technik. Sie war es, deren Triumph zu schweren 
und immer schwereren Phasen der Überkapitalisation des Bodens 
als Produktionsmittel führte und ein Übermaß spekulativer 
Momente in jene ursprünglich solider fundierten Unternehmungen 
brachte. Sie ist es auch, welche ganz ähnlich, wie in den Formen 
der industriellen Unternehmung im Zeichen der Orößenentwicklung 
wahrnehmbar war, in der landwirtschaftlichen Produktion eine 
Separierung der Intercssens- und Arbeitsgruppen zustande bringt, 
eine radikale Zersetzung der in der alten Feudalwirtschaft noch 
vollständig geschlossenen gutsherrlichen Wirtschaftsgemeinschaft. 

Es ist angedeutet worden, unter welchen Verhältnissen wirt- 
schaftlicher Natur jene alten Formen der Gutswirtschaft zerbrachen 
und eine neuartige Arbeiterkategorie aus ihren Trümmern her- 
vorwuchs. Ihr Auftreten ist für die Gegenden, in denen der 
Rübenbau seine erste Pflegestätte fand, von ganz besonderer 
Bedeutung. Der periodisch gesteigerte Arbeitsbedarf drängt über- 
raschend früh dazu, aus abseits gelegenen Ortschaften Hilfs- 
kräfte zu requirieren. Er ist es, der in Zusammenhang mit der 
enormen Güterpreissteigerung und dem kolossalen Aufschwung 
der Industrie auf die wirtschaftliche, nationale und gesellschaft- 
liche Struktur der für die Landwirtschaft verfügbaren Arbeiter- 
massen eine grundstürzende Wirkung ausübt. 

Dieser Prozeß hat große Ähnlichkeit mit dem bezeichnenden 
Wandlungsvorgang, welcher die Einführung des Zuckerrohrbaus 



Die Arbeiterverhältnisse. 231 

auf den westindischen Inseln hinsichtlich der Arbeitsverfassung 
begleitete.^) In den Rahmen des auf mittelalterlichen Anschau- 
ungen beruhenden Kolonialsystems, dessen Grundsatz die rück- 
sichtsloseste Ausbeutung lebender und toter Produktionsmittel 
verkörperte, fügte sich die Sklavenarbeit ohne das geringste Wider- 
streben als integrierender Bestandteil ein, und damit war eine 
vollständige Umwälzung der Arbeitsverfassung gegeben. Die 
Zuckerrohrplantage wurde die erste im großen Stil angelegte 
Domäne des kolonialen weißen Großunternehmertums, das, 
skrupellos wie es war, sich hier vollständig zwanglos bewegen 
konnte, im Sinne kapitalistischer Wirtschaftsgebahrung, insofern 
es sein Ziel war, den geistig minderwertigen Schwarzen unter 
erbarmungsloser Durchsetzung des Zweckgedankens größtmög- 
lichen Gewinns vollständig zu tyrannisieren. Die Analogie mit 
der Begründung des Rübenbaus ist leicht zu erkennen: In beiden 
Fällen der Triumph des Kapitalismus über eine andere Wirtschafts- 
organisation, aber während hier die persönliche Freiheit des In- 
dividuums es ist, die eben erweckt, ihn trägt und groß macht, 
siegt er in den Tropenländern bis in seine äußerste Konsequenz 
und beugt die Arbeiterschaft unter das Joch der Unfreiheit. 

Die Ausgangspunkte der Arbeitsverfassung in den nord- 
deutschen Rübendistrikten sind schon gestreift worden. Das, was 
die allgemeine Aufmerksamkeit zuerst und am nachhaltigsten 
fesselte, waren die in kurzer Zeit unerhört gestiegenen Güter- 
pacht und -Kaufpreise überall in den Gegenden, in denen sich 
der Rübenbau etabliert hatte, ganz besonders in der Provinz 
Sachsen. Die glänzenden Wirtschaftsabschlüsse der dortigen 
Zuckerfabriken, denen ein sehr gutes Rohmaterial zur Verfügung 
stand, reizten den kalkulatorisch arbeitenden Rübenwirt und 
Zuckerfabrikanten zu möglichst ausgedehntem Anbau dieser hoch- 
rentablen Kulturpflanze. Die Folge war, daß mit den Resten der 
Gemeindeländereien, mit Wiese und Wald in kurzer Zeit gründlich 
aufgeräumt wurde und das kapitalkräftige Bauerntum in einen 
fabelhaften Wetteifer geriet, jeden irgendwie durch Kultur ver- 
besserungsfähigen Streifen Landes, mochte er auch nach land- 
läufigen Begriffen zu teuer bezahlt sein, zur Bebauung mit Zucker- 
rüben umzubrechen. Das leicht begreifbare Bestreben der kaum 
gegründeten Rübenwirtschaften, die eingesprengten oder an- 



^) P. Leusch, a.a.O. S.44ff. 



232 Die Arbeiterverhältnisse. 

stoßenden Landstellen landwirtschafflicher Taglöhner und ehe- 
maliger Gutsleute zur Vergrößerung und Arrondierung ihrer 
Ackerflächen aufzusaugen ^)y war für die Entwicklung der länd- 
lichen Arbeiterfrage von schwerwiegenden Folgen begleitet: Eine 
große Zahl kleiner Landstellenbesitzer, die einen Teil ihres 
Unterhalts auf dem Outshof zu verdienen pflegten, verkauften 
ihre Scholle um einen günstigen Preis, und damit wurde die alte 
Bindung an den Boden radikal durchtrennt, welche für den Betrieb 
der Gutswirtschaft so überaus wertvoll war. „In der Tat in 
Gegenden, wo kaum noch ein Streifen Wald und Buschwerk, 
.Weide und Brachland geduldet wurde, wo der Gutsherr für den 
Morgen 800—1000 Mark Kaufgeld und 40—60 Mark Pacht rechnen 
durfte, würde es als verwerflicher Leichtsinn gegolten haben, 
wenn man auch nur einen Teil dieses Landes weiter an die Ar- 
beiterfamilien zu vorsintflutlichem Gemüse- oder Kartoffelbau aus- 
geliefert hätte'^ und indem Weide, Hutungen und Brachland 
verschwanden, „hatten die Dienstleute nicht einmal die Möglichkeit 
mehr, sich eine Kuh, ein paar Gänse oder Ziegen zu halten. 
Meistens wurde ihnen das ausdrücklich verboten. Auch der Wald- 
bestand wurde auf das äußerste reduziert, so daß von freier 
Feuerung keine Rede mehr sein konnte. Die Landarbeiter wurden 
grundbesitzlos, die Naturalbezüge zu reinem Geldlohn." So^ 
schildert M. Schippel die Entstehung des norddeutschen Land- 
proletariers 2), und Zug um Zug finden seine Angaben Bestätigung 
bei den Agrarschriftstellern jener Zeit. 

Es war gründliche Arbeit, welche die gewaltige Zentripetal- 
kraft des Kapitalismus der deutschen Landwirtschaft leistete. So 
kam der Typus des Landproletariers zustande, welcher bei der nun 
machtvoll einsetzenden Industrialisierung Norddeutschland den 
integrierenden Bestandteil des nun erstehenden Industriearbeiter- 
volks abgab. Mit dem Wachstum der Industrie schwoll die Flut 
der Landflüchtigen, so daß wir auf dem Punkt angelangt sind, 
daß die Konjunktur der Industrie als der für den Arbeitsmarkt 
der Landwirtschaft entscheidende Faktor angesehen werden muß.*) 

In ihrer wirtschaftlichen Wirkung potenziert wurde die Frei- 
setzung der ehedem bodenständigen Landarbeiter, soweit sie durch 



F. 0. Schulze, a. a. O. S. 67. 

^) Max Schippel, Zuckerproduktion und Zuckerprämien. S. 100. 

8) Nach Prof. Sering. 



Die Arbeiterverhältnisse. 233 

Auskauf in jenen Landstrichen intensiver Bewirtschaftung erfolgt 
war, durch die sehr starke Bevölkerungszunahme innerhalb dieses 
Teiles des Volkskörpers. Abgesehen von der baren Unmöglich- 
keit, diesen anschwellenden Volksmassen durch Anstellung in 
den landwirtschaftlichen Betrieben zu einer der aufsteigenden 
Volkswirtschaft entsprechenden existenzfähigen Beschäftigung zu 
verhelfen,, verfehlten die Lockungen der Industrie nicht ihre Wir- 
kungen, zumal sie allein schon vermöge eines höheren Grades 
der Differenzierung in ihren Arbeitskräften höhere Löhne zu zahlen 
imstande ist. Bei ihr fand nun der auch in der ländlichen Bevölke- 
rung erwachsende Sinn fortschrittlichen Strebens die Erfüllung 
vieler seiner tiefinnersten Wünsche: Der radikale Bruch mit dem 
' Herkommen, die Anerkennung des unverfälschten Utilitäts- und 
Äquivalenzprinzips, die bessere Entwicklung und lukrative Ver- 
wendung intellektueller Fähigkeiten; das waren die Gesichts- 
punkte, aus denen heraus der kümmerlich gelohnte Landproletarier 
die belebende Hoffnung auf eine besser bezahlte Stellung schöpfte, 
für welche die wirtschaftliche, wenn auch nicht die soziale Auf- 
steigemöglichkeit wenigstens nicht von vorn herein ausgeschlossen 
war. 

Naturgemäß hätte die lawinenartig um sich greifende Land- 
flucht sich nicht in so kurzer Zeit zu den gewaltigen Dimensionen 
auswachsen können, wäre der allgemeinen Industrialisierung nicht 
die ungeahnte Entwicklung des Verkehrs zu Hilfe gekommen, 
welche den Kulturfortschritt mit überraschender Schnelle in die 
entlegensten und rückständigsten Winkel des Landes tnig und 
den bisher abgeschieden vom Weltverkehr lebenden Bauer 
durch den in verblüffend kurzer Zeit hergestellten internationalen 
Austausch von Massengütern unmittelbar an die Weltwirtschaft 
anschloß und seine Produkte den Gesetzen unterstellte, welche 
für die Preisbildung am Weltmarkt maßgebend sind. Diese Wand- 
lung konnte sich nicht ohne tiefgehende Störungserscheinungen 
angesichts der fabelhaften wirtschaftlichen und intellektuellen Dif- 
ferenzierung und des zähen Festhaltens am Überkommenen in 
der Landwirtschaft abspielen. 

Daß die nun eintretende .Wohlfeilheit des Verkehrs bei der 
einbrechenden Agrarkrise die Massen der ländlichen Proletarier 
mit Macht in die Städte und die im Aufblühen begriffenen In- 
dustriezentren trieb und den Zersetzungsprozeß der landwirt- 
schaftlichen Eigentums- und Arbeitsverhältnisse beschleunigte, ist 



234 Die Arbeiterverhältnisse. 

ebenso einleuchtend wie die Tatsache, daß sich für die arbeiter- 
bedürftige Landwirtschaft zunächst ungeahnte Möglichkeiten er- 
gaben, für das zur Industrie abwandernde Kontingent anderweitig 
Ersatz zu schaffen. Aus der Mobilisierung in der Kultur rück- 
ständiger, in Gebieten extensiverer Bewirtschaftung beheimateter 
Volksschichten und ihrer Indienstnahme für die heimische Land- 
wirtschaft erwuchs die Institution des Wanderarbeiters. Während 
die Reste der grundbesitzlosen eingeborenen Landarbeiter auf 
den Gütern meist die dauernd besetzten Posten inne hatten, die 
eine gewisse Vertrautheit mit den individuellen Verhältnissen 
und Gepflogenheiten zur Voraussetzung hatten, wurde der .Wan- 
derarbeiter die regelmäßige Erscheinung überall da, wo ein perio- 
disch gesteigerter Bedarf an Arbeit vorlag, und wo für eine auf 
Geschicklichkeit, Ausdauer, dagegen weniger auf Intellekt be- 
ruhende Spezialisation Raum gegeben war, vor allem also bei 
den Feldarbeiten. 

Der starken Abwanderung der ländlichen Bevölkerung zur 
Industrie stand also der im Verhältnis zu allen anderen landwirt- 
schaftlichen Betriebswirtschaften enorm gesteigerte Arbeitsbedarf 
der Rübenwirtschaften gegenüber. Da bei ihnen die Sicherung 
des notwendigen Arbeiterbestandes für bestimmte, durch das Wachs- 
tum der Rübe gegebene Perioden Vorbedingung eines günstigen 
.Wirtschaftsabschlusses war, da andererseits trotz der vollkom- 
mensten Technik und starker Verwendung von Maschinen die 
Schwierigkeit beständig stieg, den im Verhältnis zur Rübenmenge 
relativ abnehmenden Bedarf an Arbeitern aus dem lokalen Land- 
proletariat zu decken, war der Rübenbauer mittleren und großen 
Stils vor allen anderen weniger intensiv wirtschaftenden Land- 
wirten gezwungen, die systematische Heranziehung jener dem 
Saisonbedürfnis angepaßten Zusatzkräfte in die Wege zu leiten. 
Diese fand er da, wo der Intensitätsgrad der Bodennutzung ein 
wesentlich geringerer war, und wo keine zahlungsfähigere In- 
dustrie den Arbeiterzustrom in sich aufnahm. So wuchs denn 
aus den Bedürfnissen der Rübenwirtschaft, welche relativ bessere 
Löhne zu zahlen vermochte als die in rückständigerer Verfassung 
meist verbliebenen Nichtrübenwirtschaften, und unter dem Einfluß 
der fortschreitenden Industrialisierung die Wanderarbeit als 
Massenerscheinung hervor. 

Nach der Provinz Sachsen richtete sich zuerst jener alljähr- 
liche Wanderstrom, und nichts markiert deutlicher seine Genesis als 



Die Arbeiterverhältnisse. 235 

die ursprüngliche Bezeichnung jener Innenwanderung. Die 
Sachsengängerei wurde eine immer regelmäßigere, immer massen- 
hafter auftretende Erscheinung. Weiter und weiter schoben sich 
die Rekrutierungsgebiete dieser Wanderscharen nach Osten vor, 
und längst sind an Sachsens Stelle als Konsumländer für jenen 
periodischen Zusatz an Arbeitskraft nahezu alle Gebiete intensiver 
^Wirtschaft mit vorwiegendem Mittel- und Großgrundbesitz ge- 
treten. Aus der Innenwanderung im Zirkel einer nationalen Wirt- 
schaft ist eine regelmäßig sich einstellende, keine Grenzlinie re- 
spektierende Völkerwelle geworden, deren Massenverhältnisse sich 
nicht nur riesig vergrößert haben, sondern deren Einflußsphäre 
sich über den größten Teil von Ost- und Mitteleuropa erstreckt, i) 
Die ehedem zutreffende Bezeichnung dieser Wanderbewegung 
rechtfertigte sich aus der schon sehr früh weit vorgeschrittenen 
Entwicklungsstufe der Bodenkultur, umfaßte doch die Rüben- 
verarbeitung in der Provinz Sachsen gemessen an der Gesamt- 
menge der im Deutschen Reich einschl. Luxemburg verarbeiteten 
Rübenmenge : 

1850/51 53,6 Vo 1890/91 31,3 Vo 

1860/61 52,7 „ 1900/01 27,6 

1870/71 50,7 / 1905/06 26,8 

1880/81 46,4 „ 
Es stellte sich eben hier am frühesten die Unmöglichkeit 
heraus, mit den der Landwirtschaft verfügbaren Arbeitskräften 
der umliegenden Ortschaften' den riesigen Arbeitsaufwand der 
Rübenkultur zu decken, so daß man schon in den 40 er Jahren 
gezwungen war, Zusatzarbeiter aus den nächsten Landstrichen 
niederer Wirtschaftsstufe und Lebenshaltung zu entnehmen .2) Das 
Eichsfeld, der Thüringer Wald, dann Hessen und gewisse Teile 
der Mark waren die Gebiete, aus denen sich die ersten Sachsen- 
gänger zu rekrutieren pflegten. Diese industriearmen Gegenden 
mit zum Teil sterilem Boden, dem der Bauer mit den überkom- 
menen Mitteln nur unsichre, kärgliche Erträge abzuringen ver- 
mochte, litten schwer unter den Folgen der Übervölkerung. Sie 



» 



^) Prof. Sering schätzte 1905 die als Wanderarbeiter in der deutschen 
Landwirtschaft beschäftigten Russen und Polen auf 150000—160000, 
während v. Stojentin die Gesamtzahl des ausländischen Zuzugs auf 
300000 beziffert. (Landwirtsch. Wochenschrift für Pommern). 

*) Die Zuckerfabrikation, ihr volkswirtschaftlicher Nutzen und ihre 
Besteuerung, Halle 1852. 8.8. 



236 Die Arbeiterverhältnisse. 

vermochten erst unendlich langsam die Nutzanwendung der Liebig- 
sehen Theorie der Ersatzwirtschaft auf die Praxis und die sich 
anlehnende größere Konzentration von Arbeit auf die Flächen- 
einheit des Ackerlandes in neuerer Zeit zu mildern, falls über- 
haupt das notwendige Kapital verfügbar war. Hier war der kleine 
Bauer froh, der mit einer vielköpfigen Familie sich von einigen 
Fetzen Land, wenigen Stücken erbärmlich genährtem Großvieh und 
etlichem Kleinvieh erhalten mußte, wenn ein paar lästige Esser, 
von deren Beschäftigung er nur unbedeutenden Nutzen zog, von 
seinem Tisch wenigstens für die Dauer der Feldarbeiten des 
Rübenbaus verschwanden, noch lieber war es ihm aber, wenn sie 
nach Beendigung der Getreideernte aus jenen unter günstigeren 
natürlichen Verhältnissen arbeitenden Rübenwirtschaften für ein 
paar Wochen heimkehren konnten zur Bergung der eigenen spär- 
lichen Ernte, um dann zu Anfang oder Mitte Oktober in jene 
fruchtbaren CMstrikte zur Rübenernte und zur Arbeit in den Zucker- 
fabriken zurückzukehren. Im Februar traten dann diese Zugvögel 
den Weg in die Heimat wieder an, falls sie nicht die Industrie zu 
besser bezahlter Tätigkeit verlockte oder sie zu freien Berufen 
übergingen. So war es früher und so ist es noch heute, nur daß 
die Industrie die Siegerin blieb und einen großen Teil jener 
Wanderscharen in ihrem Schoß aufnahm. 

Mit dem Rücktritt in den Familienverband bringt der Wander- 
arbeiter dieses Schlages gerade das mit, was dem kleinen Land- 
wirt regelmäßig am meisten fehlt, ein schönes Stück Bargeld, 
mit dem er Schulden bezahlt, im besten Falle kommt so der ewig 
landhungrige Kleinbauer dazu, ein Streifchen Land zur Abrun- 
dung oder Vergrößerung seines Wirtschaftskomplexes zu er- 
werben. Es ist nicht zu bezweifeln, daß Rübenbau und -Ver- 
arbeitung auf diesem Wege, dadurch daß sie die Wirkung einer 
Lohnausgleichung zustande bringen, an der materiellen und auch 
an der geistigen Hebung der Bevölkerung kulturell zurückgeblie- 
bener Landstriche ganz hervorragenden Anteil nehmen. Aller- 
dings spielt diese Kulturleistung mehr in der Vergangenheit, 
denn für die Zukunft ist, wenigstens soweit nationale Elemente 
in Betracht kommen, in dieser Hinsicht wenig zu erwarten, zumal 
sich die industrielle Entwicklung ja auch immer mehr des platten 
Landes bemächtigt. 

Und doch erheischt dieses Moment ganz besondere Be- 
achtung, nachdem jene .Wanderbewegung längst auf den Osten 



Die Arbeiterverhältnisse. 237 

hinübergegriffen hat, zuerst auf Brandenburg, die Oder- und 
Warthebrüche, die deutsch-polnischen Grenzmarken, dann auf 
Russisch-Polen und Nordgalizien, und als die Wanderzüge nur 
noch zum kleineren Teil sich nach Sachsen wandten, dafür aber 
sich in alle mitteldeutschen Rübengegenden ergossen, im Westen 
bis in die französischen Grenzlande, im Süden bis tief nach Baden 
vorstießen. Und nicht mehr die Rübenkultur lediglich ist es, 
die jene fluktuierenden Massen an sich zieht, und nicht mehr 
iWestelbien allein: In der Zeit allgemeiner Intensivierung macht 
sich die Ländwirtschaft allenthalben die Wanderarbeit zu nutze, 
und mit dem Vordringen der Rübenkultur in die ostelbischen 
Provinzen werden von den dortigen Großbetrieben, deren eigene 
Landarbeiter sich immer mehr dem industriereichen Westen zu- 
wenden, kolossale Arbeitermengen des über die Grenze herein- 
brechenden Alenschenstroms absorbiert. Es ist ein gewaltiges 
Stück Kulturarbeit, welches der deutsche Rübenbau an der Wander« 
arbeiterschaft neueren Stils alljährlich leistet, welches aber für 
das deutsche Volkstum einen unwiederbringlichen Verlust dar- 
stellt. Der volkswirtschaftliche Gewinn jener Leistung kommt 
heute in starkem Maße fremden Nationen zugute. 

Sind auch die nationalen Gegensätze zu groß, um eine Hinaus* 
Schiebung der deutschen Sprachgrenze gegen Osten möglich er- 
scheinen zu lassen, so hat doch die weitgehende Anerkennung 
des Äquivalenzprinzips in der Lohnarbeit, jenes Bewußtsein, im 
Verhältnis zu der geleisteten Arbeit gelohnt zu werden, trotz 
aller Mißstände, die dem „freien" Arbeitsvertrag noch anhaften, 
einen hohen Einfluß auf eine Bevölkerungsschicht, die vielleicht 
Jahrhunderte hindurch ohpe die Initiative freier Wirtschafts- 
entfaltung in wirtschaftlicher Knebelung durch ein Herren- 
geschlecht als inerte Masse dagelegen hat. Ist es doch eine regel- 
mäßige Beobachtung, daß die temporäre Verpflanzung der unter 
den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zuständen ihrer Heimat 
nie zur vollen Leistungsfähigkeit angestachelten Arbeiter in einem" 
fortschrittlich entwickelten Wirtschaftsbereich bis dahin latente 
Qualitäten zum Vorschein bringt, welche für die Nutzbarmachung 
der Arbeitskraft in hervorragendem Maße beachtenswert er- 
scheinen, i) Aus jenem Äquivalenzprinzip, das in dem Gedanken 



1) K. Kärger, Die Sachsengängerei. Jahrbücher der deutschen Land- 
wirtschaftsgesellschaft 1890. . 



238 Die Arbeiterverhältntsse. 

des freien Arbeitsvertrages zumal bei Entlohnung im Akkordsystem 
enthalten ist, fließt andererseits aber auch unmittelbar das Streben 
nach Ausnutzung der vollen Fähigkeit, womit ein höherer Wir- 
kungsgrad der Arbeit erzielbar wird, der im Interesse des Arbeit- 
gebers, aber auch des Arbeitnehmers liegt Der Arbeiter lernt 
bewußt, durch Hebung der Beschaffenheit seiner Leistung unter 
Nutzbarmachung seines Intellekts auf die materielle Verbesserung 
seiner Position hinzuarbeiten. 

Wesentlich schneller, als sich der erzieherische Einfluß für 
die Hebung des Kulturzustandes der Wanderarbeiter entsenden- 
den Landstriche auf die Volksgesamtheit zu übertragen pflegt, 
stellen sich die für die Entwicklung der Konsumtions- und 
Produktionskraft nicht zu übersehenden Konsequenzen wirtschaft- 
licher Natur ein, die sich in einem Hinaufschrauben des Niveaus 
der Lebenshaltung manifestieren. Der längere Aufenthalt in einem 
wirtschaftlich gehobenen Lande, in dem Produktion und Kon- 
sumtion oft ganz anderen Wirtschaftsgesetzen unterliegen, und 
die Industrie eine Verbilligung vieler wichtiger Massenartikel zu- 
wege bringt, mehrt die Zahl der Bedürfnisse einer rückständigen 
Volksschicht. Zusammen mit dem Bewußtsein höherer Leistungs- 
fähigkeit verbleibt der Wunsch nach Aufrechterhaltung jenes 
Standard of life, auch nach Rückkehr in den heimischen Wirt- 
schaftsbetrieb. Damit ist aber für die Hebung der Arbeitsqualität 
der wichtige Übergang von der materiellen Wirkung zur im- 
materiellen gegeben: Der Mensch, der Bedürfnisse hat, die er 
in einer rückständigen Volkswirtschaft unter legalen Umständen 
nicht von seinem Lohn zu befriedigen vermag, wird durch qualita- 
tive Erhöhung seiner Leistung einen besseren Lohn sich zu ver- 
schaffen streben, was dadurch möglich ist, daß er eine Be- 
schäftigung wählt, welche neben der physischen intellektuelle 
Fähigkeit beansprucht. Es kann so die Masse der Wanderarbeiter 
dem Heimatland zu dem unschätzbaren Sauerteig werden, welcher 
den gesamten Wirtschaftskörper durchsetzt und auf einen höheren 
Grad der Produktivität drängt.^) Es ist aber auch die Möglichkeit 
dabei nicht ausgeschlossen, daß dieser Weg zu wenig aussichts- 
reich erscheint. Um nicht wieder zu einer tieferen Lebenshaltung 
herabsinken zu müssen, wandert der Mann für immer weg, meist, 
indem er die Position des Landarbeiters mit der des Industrie- 
arbeiters vertauscht: Es ist die typische Erscheinung der Landflucht. 

E. David, a.a.O. S.317ff. 



Die Arbeiterverhältnisse. 239 

So ist denn der wirtschaftliche Gesamteffekt der modernen 
Saisonwanderung der, daß zunächst eigene, dann immer mehr 
fremde Volksbestandteile zu rationeller und lohnender Ausnutzung 
ihrer Arbeitskraft herangezogen werden. Hinsichtlich der ge- 
leisteten Erziehungs- und Kulturarbeit ist die wirtschaftlich auf- 
geschlossene Wirtschaftssphäre für die Fruktifizierung und Ver- 
edlung der rohen Kraft der gebende Teil. Es ist vom Stand- 
punkt der nationalen Wirtschaft zu bedauern, wenn jene Elemente, 
auf die jene Arbeit verwandt wird, dem nationalen Wirtschafts- 
körper entzogen werden. Anderseits leisten jene kulturell minder 
entwickelten Gebiete reichliche Entschädigung für jenen Aufwand, 
wenn es gelingt, die fluktuierenden Volksmassen bei steigender 
Zahlungs- und Leistungsfähigkeit seßhaft zu machen und in den 
Verband der eigenen Volkswirtschaft dauernd aufzunehmen. 
Freilich soll das ohne" Gefährdung und erste Schädigung des 
gesamten Wirtschaftskörpers geschehen, so ist die geschickte Aus- 
schaltung aller politischen Widerstände die unerläßliche Vor- 
aussetzung. 

Aus der Entwicklung der Wanderarbeit in Deutschland läßt 
sich deutlich die Richtung feststellen, in welcher dieser Erziehungs- 
prozeß fortschreitet.^ Die kolossalen im Osten auf die Beine 
gebrachten Massen haben längst die Bedeutung der mittel- 
deutschen Ausfuhrgebiete der Wanderarbeit herabgemindert, wo- 
bei die fortschreitende Industrialisierung und Intensivierung 
starken Einfluß übte. Die Mitteldeutschland in östlicher Richtung 
zunächst beheimateten Wanderscharen versorgten dann in steigen- 
dem Maße die mitteldeutschen Rübendistrikte, um mit Hebung 
ihres Kulturniveaus bald weiter nach Westen abzuwandern. Uiti 
für den Ausfall und für den gleichzeitig gesteigerten Arbeits- 
bedarf Deckung zu schaffen, der durch die Ausbreitung der 
Rübenkultur im deutschen Osten entstanden war, wurde die 
Werbetätigkeit auf immer weiter östlich gelegene Gebiete aus- 
gedehnt. Während die deutschen Wanderarbeiter des Ostens 
einen unwiderstehlichen Zug zum Westen empfinden, infolge 
ihrer engen Beziehungen zu den Arbeitern der Industrie ihren 
Standard of life in die Höhe zu schrauben suchen und vielfach 
von der Industrie absorbiert werden, sind die ostelbischen intensiv 



^) L. Brentano, Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeits- 
zeit zur Arbeitsleistung, 1893, S.28lf. 



240 Die Arbeiterverhältnisse. 

wirtschaftenden Großbetriebe gezwungen, trotzdem es Wander- 
arbeiter in ihrer unmittelbaren Nähe gibt, weit im Osten ihren 
Bedarf an Saisonarbeitern zu decken. Aber auch unter den hier 
mobilisierten Scharen herrscht der Drang, in möglichst weit 
westlich gelegenen Gebieten ihre Arbeitskraft zu verkaufen, wo 
höhere Löhne locken, so daß in der Tat im Osten wie im 
Westen die Landwirtschaft von der Leutenot in ganz gleicher 
Weise bedrückt wird. 

Durch den so hergestellten Austausch vermittelt also die 
Rübenwirtschaft dem Landproletarier den Obergang zur Industrie* 
arbeit. Daß der Betrieb auf den Rübengütern — urii sie handelt 
es sich ja bei der Verwertung der Wanderarbeit heute noch 
vorwiegend — wirklich mit dem Industriebetrieb gewisse Ähnlich- 
keit hat und eine Zwischenstellung zwischen den Produktions- 
betrieben einnimmt, die einerseits auf extensiverer Boden- 
benutzung, durch Getreidebau z. B. basieren, die anderseits in 
industrieller Betätigung beruhen, der höheren Form der Kapitals* 
und Arbeitskonzentration auf die Einheit der Bodenfläche, fließt 
schon aus dem hier wie dort bewußten Vorherrschen des ökono- 
mischen Prinzips und der im Zeichen des Kapitalismus rastios 
betriebenen Verfeinerung seiner Anwendung. Die grundsätzliche 
Einführung von Gesichtspunkten einer hochkapitalistischen Wirt- 
schaftsführung spiegelt sich wieder in dem Arbeitsvertrag, der 
die Kreise von Pflicht und Recht zwischen Unternehmer und 
Saisonarbeiter abgrenzen will. Es kann nicht unsere Aufgabe 
sein, wollten wir die häufig einseitig festgesetzten Bedingungen 
des üblichen Vertragsverhältnisses feststellen und ihre Wand- 
lungen im Zeichen des wirtschaftiichen und sozialen Fortschritte 
verfolgen. Daß diese letzteren im ganzen in einer Wendung 
zum Besseren bestehen, kann wohl als sicher angenommen werden, 
wenn auch noch unendlich viel zu tun bleibt, bis sich hier unter 
Wahrung- ihrer beiderseits berechtigten Interessen Arbeitgeber 
und -nehmer im Arbeitsvertrag gegenübertreten. Worauf es hier 
ankommt^ ist die Führung des Nachweises, daß in der Tat dje 
Arbeitsverfassung auf den Rübengütern starke Ähnlichkeit mit 
der im Industriebetrieb heute üblichen hat, und daß demzufolge 
idic Saisonarbeit auf den Rübengütern eine Art Vorschule für 
Oie industrielle Arbeit ist. 

Wir wissen, daß seit den ersten Jahren eines lebensfähigen 
Rübenbaus in Deutschland das Entiohnungssystem in den Rüben- 



Die Arbeiterverhältnisse. 241 

wirtschaften herrschte, das heute in der industriellen Produktion 
dominiert: Das Akkordsystem. Es mag für die Landwirtschaft, 
bei der die im Feldbau vorkommenden Arbeiten im hohen Maße 
vom Wetter abhängen, kein leichter Sprung gewesen sein, als 
sich für sie die Notwendigkeit ergab, den Taglohn des länd- 
wirtschaftlichen Arbeiters mit dem Akkprdlohn zu vertauschen. 
Welche Umstände drängten gerade hier zur Akkordarbeit? Es 
Ist gesagt worden: Das Charakteristische des Rübenbaus ist 
der periodisch enorm gesteigerte Arbeitsbedarf. Ist z. B. ein 
Umschlag in der Witterung eingetreten, der das Pflanzenwachstum 
stark beschleunigt, so kann durch eine zu spät vorgenommene, 
mit einem Male dringend notwendige Operation der Ausfall der 
Ernte hinsichtlich Qualität und Quantität aufs empfindlichste be- 
einträchtigt werden, ohne daß durch weitere Behandlung etwas 
gut zu machen wäre. Bei solcher Gelegenheit muß die Rüben- 
arbeit mit aller verfügbaren Intensität betrieben werden, ohne 
daß die Qualität der Leistung in Mitleidenschaft gezogen werden 
darf, um dann wieder nach kürzerer oder längerer Zeit in ein 
gemäßigteres Tempo zu geraten. Bei solchen Anforderungen 
würde der im Taglohn bezahlte landwirtschaftliche Lohnarbeiter 
vollständig versagen, da eine Kontrolle des einzelnen, wie sie 
für ihn notwendig zu sein pflegt, bei der Massenhaftigkeit der 
Individuen und der natürlichen Dezentralisation der Arbeitsstätten 
unausführbar wird. Hier ist nur der von allen Anwandlungen 
der Tradition freie Arbeiter das einzige Rettungsmittel, der ge- 
wohnt ist, einen nach der individuellen Leistung bemessenen 
Lohn als Gegenleistung zu beanspruchen, der deshalb schon 
zur Hergabe seiner vollen Leistungsfähigkeit angereizt wird, weil 
ihm dafür ein der Mehrleistung mindestens entsprechendes Äqui- 
valent in Aussicht gestellt wird. Wenn auch keine Beteiligung 
am Erfolg seiner Arbeit wegen der äußerst mannigfaltigen Ein- 
wirkung der Witterung stattfinden kann, so kann doch jene 
vom Arbeiter als lästig empfundene Kontrolle auf ein Mindest- 
maß beschränkt werden. So entwickelte sich auf großen Gütern 
der Rübenarbeiterkontrakt in seiner neuzeitlichen Form. Hier 
übernimmt der Wanderarbeiter in Kolonnen die eventuell vorher 
genau vereinbarten Rübenkulturarbeiten zu einem für die Flächen- 
einheit festgesetzten Satz^), und zwar gemäß dem vom Vorarbeiter 



J. V. Trzcinski, a. a. O. S. 130ff. 
Schuchart» Zuckerindustrie. Iß 



242 Die Arbeiterverhältni^se. 

und dem Gutsherrn entsprechend dem jeweiligen Stand der 
Felder und der Witterung festgestellten Arbeitsplan. Bisweilen 
wird dem Vorarbeiter die generelle Aufsicht über die ganze 
Kolonne eingeräumt, und ist dieser dann dem .Wirtschaftleiter 
in gewisser Weise verantwortlich *). 

Während auf der einen Seite wegen der Streikgefahr ver- 
mieden wird, Arbeitsverträge auf kollektivistischer Grundlage zu 
schließen, ist auch in der intensivsten Rübenwirtschaft die Ent- 
lohnung im Taglohn weit verbreitet. Die Gründe dafür liegen 
in der Eigenart der landwirtschaftlichen Produktion. So kommt 
es, daß in den Vertrag mit den Wanderarbeitern Abmachungen 
über den Taglohn und über den Akkordlohn neben denen über 
die Deputatmengen aufgenommen zu werden pflegen. 

Das nach kapitalistischen Wirtschaftsgrundsätzen ausgebildete 
Entlohnungssystem, welches sich in neuester Zeit in den Rüben- 
wirtschaften im speziellen und dann auch in der deutschen Land- 
wirtschaft allgemein entwickelte, hat zweifelsohne die Wirtschafts- 
leiter mit dazu befähigt, daß sie bessere Löhne für eine bestimmte 
Arbeitsleistung bewilligen und damit zum Teil der Leutenot ent- 
gegenwirken konnten. 

Anderseits aber leistete so indirekt der Rübenbau der In- 
dustrie den wertvollen, von ihm allerdings schmerzlich empfundenen 
Dienst, daß er das rohe Menschenmaterial an planmäßige, mit 
Einsatz des vollen Arbeitsvermögens geleistete Arbeit gewöhnte 
und so ^ne Arbeiterkategorie schuf, die nach ihrer dauernden 
Verpflanzung in die industrielle Produktionsstätte in hohem Maße 
die Aufsteigefähigkeit zum besser bezahlten Arbeiter besaß. Auch 
ist nicht zu übersehen, daß den Übergang von der Rüben bauenden 
Landwirtschaft zur Industrie die wenn auch intermittierende Be- 
schäftigung in der Zuckerfabrik in äußerst geschickter Weise 
vermittelte 2). Hier hat wirklich der deutsche Rübenbau ein ge- 



^) Vielfach erhält der Vorarbeiter denselben Tage- und Akkord- 
lohn, wie die übrigen erwachsenen männlichen Arbeiter. Es wird ihm 
aber außerdem ein sogenannter Aufsichtslohn gezahlt. Die Höhe des*- 
selben richtet sich nach der Größe des ihm unterstellten Trupps. Meist 
übt der Vorarbeiter auf die Festsetzung der Löhne keinen Einfluß aus. 

«) Den außerdeutschen Polen ist die Abwanderung von der land- 
wirtschaftlichen Saisonarbeit dadurch wesentlich erschwert, daß sie^ 
nach der Entschließung des preußischen Ministeriums, in der Industrie 
nicht beschäftigt werden dürfen. Über den praktischen Wert dieser 
Verordnung sind die Ansichten geteilt. 



Die Arbeiterverhältnisse. 243 

waltiges Stück Volksveredlungsarbeit geleistet, indem er eine 
wirtschaftlich und kulturell niedrig entwickelte Volksschicht zu 
einem höher zu wertenden .Wirtschaftsfaktor erzogen hat und 
ihr eine Durchgangsstufe zu einer höheren wirtschaftlichen Organi- 
sation, besserer Lebenshaltung und einer durch Nulzbarmachung 
intellektueller Fähigkeiten gesteigerten Produktivität der Arbeits- 
kraft bot. 

Auf eine ^Wirkung der .Wanderarbeiter verdient noch hin- 
gewiesen zu werden* I>er Rübenarbeiter erhält in Bargeld seinen 
Lohn ausbezahlt. Von diesem werden in der Regel nur ge- 
wisse Abzüge für Verköstigung gemacht, falls diese nicht, wie 
oft das Entgelt für die gewährte Unterkunftsgdegenheit, vor- 
weg am Lohnsatz gekürzt resp. überhaupt nicht berechnet werden. 
Oft mehr als Zugabe als zur Kompensation einer Geldsumme 
werden bestimmte Naturalien auch heute noch von den Quts- 
wirtschaften vertragsmäßig verabfolgt. Das liegt in dem Wesen 
des Landwirtschaftsbetriebs. Jedenfalls aber ist der überwiegende 
Bestandteil der Löhnung bei der Wanderarbeit immer Geld, und 
das bedeutet einen Fortschritt gegenüber der in rückständigen 
Landstrichen noch weit verbreiteten und weitgehenden Entlohnung 
in Naturalien. Es scheint, daß in dieser Hinsicht der Rübenbau 
vorbildlich gewirkt hat. Darin liegt für die Organisation der 
Volkswirtschaft eine hohe Bedeutung. Denn inden^ dem Arbeiter 
die Möglichkeit gegeben ist, mit Hilfe von Bargeld jedes im 
Preis ihm erreichbare Bedürfnis zu befriedigen, wird sein Wirt- 
schaftssinn geweckt, und durch den so geschaftenen Spielraum 
für eigene Initiative wird der Grund gelegt für eine freie individu- 
elle Wirtschaftsbetätigung. 

So ist denn der Effekt jener gewaltigen Umwälzung, 
welche der Rübenbau der Landarbeiterschaft gebracht hat, im 
kWesen gatfz ähnlich dem, wekhen die Technik der Zucker- 
darstellung und ihre Entwicklung erkennen ließ: Die Erziehung 
des Individuums zu hochwertigerer Leistung unter Gewährung 
einer besseren Bezahlung. Dabei ist es die Technik eigentlich 
ganz allein, die diesem Evolutionsgedanken das Leben gibt. Sie 
ist die Dienerin, welche die Intelligenz des Menschen den Stoff 
meistern hilft, mit starken Armen greift sie zu, wo es des 
Menschen Willen nur bedarf, ihre Funktionen auszulösen. Dieser 
grandiose Wachstums- und Veredlungsprozeß identifiziert sich 
graktisch mit einem steigendea jErsatz der. Arbeit durch Kapital 



244 Die Arbeiterverhältflisse. 

Und dieser Umstand ist es» der die Erfailung jenes Menschheits- 
Ideals mit so überaus heftigen Vl^iderständen umgibt Sie geben 
für Unternehmer und Arbeiter den Anreiz, mit den radiicalsten 
Mittehi ihre .Wünsche der Erfüllung näher zu führen, die dantt 
auf beiden Seiten Enttäuschungen und Erbitterung herauf- 
beschwören. Die Richtlinie jener Entwicldung vermögen alle 
Auswüchse und Verirrungen aber nicht zu zerstören, wie die 
deutsche Zuckerindustrie zeigt, die sie mit lichtvoller Deutlichkeit 
gerade deshalb erkennen läßt, weil die Staatsdoktrin ihren Werde- 
gang Entwicklungsgesetzen unterstellte, wie sie nur in künsfllch 
geschaffenen, treibhauskuHurähnlichen Zuständen sich auszu- 
bikien vermögen. 



UI. Abschnitt 
Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 

Nachdem die beiden Produktionsabschnitte des Rübenzuckers 
in Beziehung auf die volkswirtschaftliche Tragweite ihrer tech- 
nischen Entwicklung abgehandelt sind, bleibt als Ergänzung noch 
die Aufgabe, die Beziehungen zwischen Technik und Volkswirt- 
schaft auf dem Gebiete aufzudecken, welches den Obergang von 
der Produktion zur Konsumtion vermittelt und beherrscht, im 
Zuckerhandel. 

Nach äußeren Merkmalen betrachtet vereinigt der Handel 
in Zucker zwei verschiedene Aufgaben in sich: 

1. Es liegt ihm die Verteilung der konsumfähigen Ware 
an die Verbraucher ob, also hier handelt es sich um den 
Handelsverkehr zwischen Produzent und Konsument der 
fertigen Ware. 

2. Er umfaßt den Austausch in dem wichtigsten Halbfabrikat 
der Industrie, dem Rohzucker. Dieser Handelsverkehr be- 
schränkt sich auf ganz bestimmte Wirtschaftsgruppen. Auf 
der einen Seite treten als Lieferanten regelmäßig die Roh- 
zuckerfabriken auf, während ihnen gegenüber die Raffi- 
nerien als Käufer stehen. Bei den gemischten Werken 
sind beide Fälle zutreffend. 

Von beiden Funktionen steht heute die letztere im Vorder- 
grund des Interesses. Das leitet sich zum guten Teil wohl aus 
der Zeit her, als der Rübenzucker noch nicht existierte und 
der Rohrzucker den europäischen Markt beherrschte. Da in den 
Kolonialländem die Verarbeitung des Rohsaftes zu konsumfähiger 
.Ware in unsinniger Weise erschwert oder gar verboten war, er- 
schien der Rohrzucker auf den Handelsplätzen als Halbfabrikat, 
in reicher Differenzierung nach seiner qualitativen Beschaffenheit, 



246 Die zuckerindustrielle Endwicklung und der deutsche Handel. 

regelmäßig aber in Form einer Rohzuckerffillmasse, welcher der 
Sirup noch mehr oder weniger anhaftete. Als dann der Rüben- 
zucker aufkam und auf dem kontinentalen Markte der erste 
wütende Konkurrenzkampf ausbrach, War es für den Rüben- 
zuckerfabrikanten notwendig, mit der herkömmlichen Form an 
den Markt zu treten, zumal seine Ware die für importierten 
Zucker üblichen qualitativen Bedingungen zu beanspruchen suchte. 
Mit der steigenden Aufnahmefähigkeit des Weltmarktes verschärfte 
sich die Konkurrenz, so daß eine Umschaltung der Rübenzucker- 
beteiligung auf einen Typ der zahlreichen Fertigprodukte eine 
schwere Gefährdung ihrer Position gebracht haben würde, um 
so mehr, als der Export sich im Anfang nur in Rohzucker 
bewegte. 

Viel wichtiger aber waren die technischen Momente, welche 
den Rübenrohzucker, seitdem "überhaupt größere Mengen um- 
gesetzt wurden, zum vorherrschenden Marktartikel machten. Wir 
wissen, daß ' die Darstellung vorzüglich der besseren Marken 
genußreifer Ware aus dem Rohmaterial einen vielteiligen ver- 
wickelten Produktionsprozeß umfaßt. Einmal drängte das Roh- 
material auf Steigerung der Produktionsdichte, zumal die Ent- 
wicklung auf Verarbeitung der größtmöglichen Rübenmenge 
deutlich hinauslief. Das Tempo der Verarbeitung ließ sich aber 
nur unter hohem Kapitalsaufwand auf die Raffinerierung über- 
tragen, und je mehr die handwerksmäßige Form des gemischten 
Betriebes dem fabrikmäßigen Großbetrieb sich näherte, desto 
mehr nahm die Rentabilität des ersteren ab. Der immer un- 
verhüllter auftretende Zug zur Massenverarbeitung war der innere 
Grund für die Tendenz, den Produktionsprozeß in Richtung des 
Produktionsganges einzuschränken und auf eine Ausweitung des 
Betriebs in Richtung der Spezialisation hinzuarbeiten. Demgemäß 
ließ die überwiegende Mehrzahl der an der Ausfuhr beteiligten 
Werke bald die Darstellung raffinierter Ware fallen und sicherte 
sich damit die Chance, ihre Produktionskosten pro Gewichts- 
einheit durch weitgetriebene Spezialisierung günstig zu beein- 
flussen. 

Aber auch die Mehrzahl der nicht für den Export arbeitenden 
Fabriken folgte immer mehr dem Zuge der Zeit. Denn mit 
dem Größenwachstum der Betriebseinheiten verschärften sich die 
aus der Eigenart des Betriebs resultierenden Divergenzen zwischen 
der Gewinnung des Halbfabrikats und der raffinierten Ware. 



Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 247 

Die Gewinne der kleineren Betriebe an der Raffination pflegten 
ohnehin immer bescheidener zu werden, da auch die Raffinerien 
nicht untätig geblieben waren und vermöge der verbesserten 
Technik die Spannung zwischen Rohzucker und Raffinade herab- 
drückten. Manchmal zehrte da die Raffination von dem Ge- 
winn der erfolgreich betriebenen Rohzuckerfabrik. 

Der Trieb zur Spezialisation zur Rohzuckerfabrik war also 
in der Entwicklung der Technik und der gewaltigen Steigerung 
der Produktionsmengen tief begründet. Und doch ging die 
stärkste aller Pressionen, die auf die Entwicklung des Rohzucker- 
marktes hinzielten, wohl von den Raffinerien aus. Machten sie 
doch den überkommenen Bestandteil der deutschen Zuckerindustrie 
aus; ihr kapitalkräftiger Betrieb blieb zunächst ganz intakt, als 
die Rübenzuckerindustrie noch in den Anfängen steckte. 

So geriet denn Rübenrohzucker als Handelsartikel mit der 
Steigerung der Produktion in eine ganz ähnliche Position, wie 
sie der Rohrzucker an den großen kontinentalen Handelsplätzen 
seit Jahrhunderten inne hatte. In dem Jahresbericht der Ältesten 
der Kaufmannschaft von Magdeburg werden am Schlüsse des 
Jahres 1853 zum erstenmal Preise für Rohzucker angegeben. 
Doch erst von 1858 an finden sich spezialisierte Preise.^) 

In jener Position wuchsen die Umsätze in Rohzucker auf 
den deutschen Märkten ins Kolossale, und der Handel in Fertig- 
ware geriet ins Hintertreffen. Auf dem Wege dahin aber gab 
es ein Hindernis zu überwältigen, von dem die durch den Groß- 
betrieb und Großhandel angestrebte Vereinfachung des Handels 
in Zucker und seiner Technik in hohem Maße abhing und dessen 
Überwindung eine Voraussetzung für den Eintritt des Zuckers 
in die nur wenige Güter umfassende Reihe der Weltmarkts- 
artikel war. Diese Schwierigkeit lag in der individuellen Be- 
schaffenheit jeder Partie, mochte auch die einzelne Fabrik aufs 
peinlichste ihren Produktionsgang unter Berücksichtigung aller 
Eigenarten des Betriebs, wie sie die Praxis und die individuellen 
Verhältnisse ausgebildet hatten, überwachen. Jede Fabrik ist 
noch heute gezwungen, Produkte sehr verschiedener Qualität 
zu produzieren. So war denn der Mangel an Standardisierung 
die Ursache für den Handel nach Probe, als das Bedürfnis für. 
eine börsenartige Organisation des Zuckerhandels längst vorlag 
und die übrigen Voraussetzungen für denselben erfüllt waren. 

O. Filet, Der Zuckerhandel, 1906. S.25. 



248 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 

Ein bezeichnendes Bild von der Zerfahrenheit, die zur Zeit 
der unbedingten Rohrzuckerherrschaft im Handelsartikel Zucker 
herrschte und die im großen und ganzen in der ersten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts die Regel bildete, gibt ein Blick auf den 
Hamburger Zuckermarkt. In den 20er Jahren, in denen in Hamburg 
ein hochbedeutsamer Rohrzuckerhandel herrschte, nennen Waren- 
preiszettel nicht weniger als 10 Typen Rohzucker, daneben finden 
sich 22 verschiedene raffinierte Zucker.^ Hier kamen die Zucker- 
sorten aller Lander und Gattungen an den Markt Übrigens 
gewann dieser Umstand für die damals in Hamburg noch im 
Stile des Kleingewerbes betriebenen Zuckersiedereien besondere 
Bedeutung, insofern jeder kleine Sieder an Ort und Stelle schnell 
und sidier diejenige Qualität Rohzucker fand, die er gerade nötig 
hatte und die zu kaufen ihn die Marktlage ermunterte. 

Eine Aufgabe jener reichen Differenzierung, für die ent- 
schieden Bedürfnis vorhanden war, ließ sich aber nicht in die 
Wege leiten, denn die Möglichkeit fehlte, auf den Produktions- 
prozeß einzuwirken. Man konnte dem Pflanzer in irgend einem 
Tropenlande doch unmöglich Vorschriften machen, z. B, darüber, 
wie weit er seine Ware von dem anhaftenden Sirup zu befreien 
habe. So mußte sich denn der Geschäftssinn der europäischen 
Importhäuser einen Ausweg suchen, um von der ungeheueren 
Erschwerung durch den Handel auf Probe loszukommen. 

Die Holländer, welche in dem Handel bezw. Import von 
indischen Zuckern seinerzeit die führende Rolle inne hatten, hatten 
ein System der Wertbemessung ausgebildet, dem eine Differen- 
zierung nach den äußeren Merkmalen zugrunde lag. Sie stellten 
auf Grund einer Farbenskala, welche die dem Rohzucker eigen- 
tümlichen Nuancen vom reinen Weiß, über gelblich-braune 
(blonde) Farbentöne bis zum Dunkelbraun umfaßte, eine Muster- 
sammlung auf, welche die holländische Zollbehörde durch ihre 
Überwachung und Verwendung sanktionierte*). Da in diesem 
System dem Rübenzucker bestimmte Klassen angewiesen wurden, 
so konnte Goertz noch 1884 behaupten, daß diese Standardmuster 
die Basis des gesamten Zuckerhandels der Erde bildeten^). In- 



») C.W. Soltau, a.a.O. — Vergl. auch Th. Tocke u, W. Newmarch, 
Geschichte und Bestimmung der Preise 1793—1857. 1863, S.204. 

') Ober Wesen und Bedeutung dieses Systems näheres bei R. v. 
Kaufmann, a. a. O. S. 82 ff. 

') Jos. Goertz, Handel und Statistik des Zuckers, 1884, S.6!f. 



Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel, 249 

dem man sich nun anschickte, in diese Skala alle im Handel 
vorkommenden Rohzucker unterzubringen, und die Farbe i) — 
um sie handelte es sich hier vornehmlich — zum Gütekriterium 
zu machen, schied man alle anderen für den Gütegrad bezeichnen- 
den Merkmale aus. In dieser einseitigen Erfassung der tatsäch- 
lich viel zahlreicheren Qütekriterien liegt die ganze Mangel- 
haftigkeit dieses Hilfsmittels.^) 

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Unsicherheit dieses System^ 
den individualistischen Geist hat stärken helfen, welcher in der 
Geschäftsführung der deutschen Zuckerindustrie vom Zeitpunkt 
ihrer Konsolidierung festen Fuß faßte. £>er Rohzuckerkauf war 
vielfach Vertrauenssache. Es gab kein Mittel vorläufig, sich ab- 
solute Klarheit über den Wert eines Quantums zu verschaffen, 
denn alle äußeren Merkmale geben nur ungenügende Anhalts- 
punkte für die Gütebeschaffenheit. Diese konnte man nur durch 
die Ausbeute des Raffinationsprozesses genau ermitteln, wollte 
man sich nicht zu komplizierten chemischen Untersuchungen ver- 
stehen.8) Da aber über die Wertbestimmung nach äußeren Merk- 
malen unter den Fachleuten keine annähernde Obereinstimmung 
zu erzielen war, erfand jeder sein eigenes System, und darin liegt 
offenbar eine Motivierung für die regelmäßig beobachtete Tat- 
sache, daß alle die, welche mit dem Rohzuckerhandel in Be- 
ziehung standen, sich mit erheblichem Mißtrauen begegneten 
und befehdeten, daß in den Betrieben der Zuckerfabrikation eine 
allgemeine Geheimniskrämerei^) sich einnistete, die zumal bei 
den Raffinerien bis heute noch nicht geschwunden ist, obgleich 
die technischen und chemischen Vorgänge der Fabrikation schon 



Bei der primitiven Fabrikatiönsmethode hatte der Zucker fast 
gar kein Korn. Auch konnte man das Korn des Musters selbst gar 
nicht prüfen und mit der Ware vergleichen, da sich die Muster in amt- 
lich verschlossenen Glasflaschen befanden und der Verschluß natürlich 
nicht verletzt werden durite. 

') Seit 1840 gab die holländische Regierung alle zwei Jahre neu 
festgestellte Standardmuster heraus. 

*) Erst 1871 gelangte man durch Scheibler in den Besitz eines 
exakten Verfahrens zur Bestimmung des Raffinationswertes des Roh- 
zuckers. 

^) Das hinderte nicht, daß man sich über technischen Neuerungen 
und ihre Details verständigte. Denn das Wesentliche ist die Einord- 
nung derselben in den Betrieb und ihre rationelle Verwertung, wobei 
es zumeist auf Kunstgriffe, Erfahrung und tieferes Verständnis ankommt 



250 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 

fast alle wissenschaftlich durchgearbeitet und den Fachleuten be- 
kannt sind. 

Die Technik war es, die auch hier Mittel und Wege fand. 
Zunächst ordnete die holländische Zollverwaltung i), welche durch 
Färben hochwertiger Zucker um enorme Zollbeträge Jahr für 
Jahr geschädigt wurde, da dunkle Sorten einen wesentlich 
niedrigeren Einfuhrzoll zahlten, für verdächtige Fälle eine Unter- 
suchung der Zucker nach einem besonderen Verfahren 2) an. Das 
war das erste offizielle Eingeständnis der Mangelhaftigkeit der 
Wertung nach äußeren Merkmalen. Inzwischen aber hatte die 
Ent^\icklung der deutschen Zuckerindustrie ihre charakteristische 
Form im Großbetrieb gefunden, und während man auf allen 
Stationen in dem Streben nach Vereinheitlichung wetteiferte, kam 
im Zeichen der neuen wissenschaftlich und wirtschaftlich moti- 
vierten Technik eine Vereinheitlichung der Produkte zustande. 
Man begann, sich auf die Herstellung möglichst weniger Sorten 
größtmöglicher Gleichartigkeit zu verlegen. 

Doch ganz so glatt, wie es auf den ersten Blick den An- 
schein hat, vollzog sich die Vereinfachung des Rohzuckermarktes 
nicht. Mit dem Streben in Richtung der Spezialisation hatte 
das wissenschaftliche Verfahren sich in der Zuckerindustrie eine 
Heimstätte erworben, und eine seiner größten Leistungen war 
die sorgfältige Ausbildung des Polarisationsinstrumentes, mit 
dessen Hilfe allein eine völlig exakte Wertbestimmung des Zuckers 
möglich ist. In seiner wissenschaftlich einwandfreien Konstruktion 
urid Handhabung liegt der Schlüssel für die nun eintretende 
schrittweise Verbesserung der Wertbestimmung und der Ver- 
einfachung des Rohzuckerhandels. Im Jahre 1869 war die wissen- 
schaftlich-exakte Untersuchungstechnik soweit vorgeschritten, daß 
der Großhandel ihre Ergebnisse zu seiner Grundlage machen 
konnte. Der Jahresbericht der Ältesten der Kaufmannschaft von 



^) Au! Grund der chemischen Untersuchung normaler Zucker kam 
die holländische Zollverwaltung zu einer Teilung der 20 Klassen des 
Standardmusters in 4 Hauptklassen. Für die Klassen 

unter Nr. 7 nahm man 67<^/o Rendement an 
von Nr. 7-10 „ „ 80% 
„ Nr. 10-15 „ „ 880/, 
„ Nr. 15-20 . , 940/, 
demnach war z. B. für Rohzucker Nr. 12 an Zoll 88% des für raffinierten 
Zucker zu entrichtenden zu zahlen. 
*) Verfahren Scheibler-Gunning. 



Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 251 

MagdeBurg berichtet 186Q/70 zum jerstenmal von einer Preis- 
notierung nach der Polarisation, vorläufig unter Beibehaltung 
derjenigen nach den Standardmustern.i) Aber schon 1871 trägt 
die Polarisation den entscheidenden Sieg davon; darin liegt ein 
Beweis dafür, daß die deutsche Zuckerindustrie ihre Produktions- 
technik auf wissenschaftlich-methodische Untersuchung aufzubauen 
gelernt und damit endgültig den Bann der individualistisch- 
empirischen Methode gebrochen hat 

Wie entwickelte sich nun der Handel auf Grund der polari- 
metrischen Untersuchung? Bei der Mannigfaltigkeit der Roh- 
und Hilfsstoffe und der Kompliziertheit der Technik ist es bis 
heute unmöglich, Fabrikate von ganz gleichartiger Zusammen- 
setzung im Großen herzustellen. Um Verschiedenheiten aus- 
zugleichen, mischt man den Zucker in größeren Partien. Natürlich 
sind deshalb die Zucker ein und derselben Marke noch nicht 
völlig identisch. Um nun allen Varianten im Preise gerecht zu 
werden, schuf man eine Berechnung nach der Polarisation.») 
Um eine Vorstellung von den noch recht verwickelten und wandel- 
baren Verhältnissen zu erhalten, die sich hier einstellen, zitieren 
wir Pilet:3) 

„Im Jahre 1872 notierte man (in Magdeburg) Rohzucker I. 
Produkt Basis Q2, 93, Q4, Q5o/o Polarisation und daneben Korn- 
zucker*) Basis Q6— Q7V2 o/o Polarisation.») Nachdem das I. Produkt 
immer mehr als Kornzucker hergestellt wurde, ward von 1875 
ab notiert: Kornzucker Basis 98, 97, 96 und 95 o/o Polarisation, 
Rohzucker I. Produkt blond Basis 94, hellgelb mittel Basis 93 



^) O. Filet, Zuckerhandel, S.25. 

*) Der Handel nach Polarisation spielte sich in der Weise ab, daß 
beim Angebot die Analyse der Partie, die Polarisation, mitgeteilt wurde. 
Danach und nach der Farbe, ev. auch nach dem Korn, beurteilte der 
Käufer die Ware. Der Preis war nicht veränderlich, wenn auch die 
Polarisation nach oben oder unten abwich. War die Differenz zu groß 
nach unten so bemängelte der Käufer wohl die Ware, und der Fall 
wurde dem Syndikat zur Entscheidung vorgelegt. Fiel der Zucker bei 
der Lieferung besser aus als die Probe angab, so war das der Vorteil 
des Käufers. So hielt es der Magdeburger Handel bis 1871 etwa. 

») O. Pilet, Zuckerhandel, S. 26. 

^) Zucker, der auf Korn gekocht ist. 

^) Bei dem Handel auf Basis ist es selbstverständlich, daß der für 
die Basis vereinbarte Preis nur für diese gilt, daß in jedem Falle also 
der Mehr- oder Mindergehalt den Preis veränderte. Dabei rechnete 
man nach Zehnteln. 



252 Die zuckerindustrielle Entwidmung und der deutsclie Handel. 

und gelb dunkel Basis 92 o/o Polarisation 0» Nadiprodukte von 
89—940/0 Polarisation. — 1879 war die Herstellung von Korn* 
zucker auch in geringer Qualität aligemein geworden, und es 
gibt demnach nur eine Notiz für Kornzucker I. Produkt Basis 97^ 
96, 95 und 94 o/o Polarisation, daneben eine Notiz vom II. Produkt 
Basis 91—95 0/0 und von Nachprodukt Basis 91—94 und 88— 90 o/o. 
— Im Jahre 1882 wird die Notiz für II. Produkt eingestellt^ 
da dessen Hersteilung vollständig aufgehört hatte. 1883 wurde 
die 1879 getrennte Notiz für Nachprodukte wieder zusammen* 
gezogen und nur Basis 88— 92 o/o notiert" 

1883 aber genügte auch dies System der Wertbestimmung- 
nicht mehr. Es hatte sich längst herausgestellt, daß der polari- 
metrischen Untersuchung gewisse Fehler anhafteten, die bei den 
immer gewaltiger anschwellenden Rohzuckermengen, welche die 
Raffinerien verschlangen, und bei der immer exakteren Betriebs* 
weise für das Ausbeuteergebnis eine sehr erhebliche Rolle spielten. 
Das Polarimeter stellt zwar den absoluten Zuckergehalt fest, 
gibt aber keinen Aufschluß über die melassebfldenden Bestand- 
teile. Schon um 1850 waren es charakteristischerweise französische 
Forscher, welche behaupteten, ein Teil Salze mache durchschnitt- 
lich fünf Teile Zucker unkristallisierbar, und welche empfahlen, 
den Wert der Rohzucker für eine bestimmte Raffinerie aus dem 
Aschengehalt dieser Rohzucker zu berechnen, und zwar auf Orund 
des Verhältnisses zwischen Asche und Zucker in der Melasse 
der betreffenden Raffinerie.^) Auf Grund tieferer Studien formu- 
lierte Sostmann 1867 den Satz: Wenn man in der Melasse das 
Verhältnis Asche : Zucker = 1 : 5 als normal annimmt, so gibt 
die um den Sfachen Aschengehalt verminderte Polarisation die 
beim Raffinieren wirklich gewinnbare Zuckermenge an.^) Dem- 
entsprechend war man in Frankreich zu Werke gegangen, und 



Bei Komzucker, der selbstverständlich nur I. Produkt war und 
auf Basis gehandelt wurde, war der Gehalt das maßgebende, die Farbe 
war nebensächlich, wenn sie auch die Einschätzung des Käufers mit- 
beeinflußte. Die Farbe als Bedingung bei der Notiz für Rohzucker 
I. Produkt hat neben der Basis der Polarisation keine besondere Be-^ 
deutung. Denn es wurde stets die Probe vorgelegt, die zwischen 
Käufer und Verkäufer maßgebend war. Es ist eigentiich nur mehr eine 
nähere Bezeichnung der Ware, wie sie für den notierten Preis ent- 
standen ist. 

») E. V. Lippmann, Festschrift, S.295. 

«) Ebenda. 



Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 253 

schon 1870 war das sog. Titragesystem trotz des Widerstandes 
der Rohzuckerfabriken, welche durch die neue Berechnung gegen- 
über den Raffinerien benachteiligt wurden, an der Pariser Zucker- 
börse das allein maßgebende. 

Ganz anders entwickelten sich die Dinge in Deutschland. 
Die Berechnung nach dem Aschenrendement, d. h. nach der 
Zahl, die nach Abzug des fünffachen Aschengehaltes von dem 
durch Polarisation festgestellten Zuckergehalt verbleibt i), ent- 
fesselte hier eine erbitterte Fehde, an der sich Vertreter der 
Theorie und der Praxis beteiligten. Hier war das Bedürfnis, den 
Raffinationswert des Rohzuckers im Kaufpreis zum Ausdruck zu 
bringen, auch längst vorhanden. Wenn der deutsche Rohzucker- 
handel erst 1886 den großen Schritt tat und die Polarisations- 
basis für Nachprodukte und 1887 für Erstprodukte fallen ließ, 
so liegt darin nicht so sehr ein Beweis für die Inferiorität des 
wissenschaftlichen Geistes, welcher dazumal die Zuckertechnik 
Deutschlands beherrschte, als für die kolossale Aufnahmefähigkeit, 
welche der Weltmarkt für deutschen Zucker damit zeigte, daß er 
trotz dieser mangelhaften Wertbemessung für 150—200 MiU. Mk. 
Zucker aufnahm. Die Rohzuckerfabriken, welche den heftigsten 
Widerstand gegenüber der Rendementberechnung geleistet hatten, 
welches die Raffinerien in die Lage versetzte, wesentlich sicherer 
zu kalkulieren, änderten erst unter Einfluß der gegenseitigen 
Konkurrenz ihre Haltung: sie fügten sich den Wünschen der 
Raffinerien und suchten im Aschenrendement nun ihren eigenen 
Vorteil. Das gelang ihnen vollkommen, indem sie sich darauf 
verlegten, einen Zucker von niederem Aschengehalt zu liefern, 
der aber einen hohen Gehalt an organischen Substanzen besaß, 
womit den Raffinerien ebensowenig Gerechtigkeit widerführ. 
Diese forderten darauf ein neues Rendement, welches 1893 im 
Herbst vom Handel akzeptiert wurde, ohne daß die alte Be- 
wertungsmethode aufgegeben wurde. Dieses auf einen Kom- 
promiß hinauslaufende Rendement beruht auf dem Abzug des 
2,25fachen Betrages der ermittelten Asche zuzüglich der organischen 

1) Danach berechnet sich der Preis für den dz eines Zuckers von 
^%Polprisation und einem Aschengehalt von 0,87% hei einem Grund- 
preis von 10.20 Mk. auf Basis 88Vo wie folgt: 

Onmdpreis 10.20 Mk. 

^-(5X0^ — 88 = 1.65« Oberrendement (1« zu 12,5 Pfg .) 0.21 , 

Sa. 10.41 Mk. 



254 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 

Substanzen von dem durch Polarisation ermittelten Zuckergehalt, 
es heißt das Raffinerie- oder Nichtzuckerrendement. Nun wieder- 
holt sich dasselbe Schauspiel : Die Rohzuckerfabriken treten wieder 
in die Opposition und erklären, auf einen Vorteil verzichten 
und eine allzu große Unsicherheit in dieser Berechnungsart in 
Kauf nehmen zu müssen. Bi$ heute hat sich der Handel noch 
nicht für das neue Rendement gewinnen lassen, hingegen hat 
er die Notierungen immer mehr zusammengedrängt Seit 1897 
wurden alle Rohzuckerqualitäten nur auf Grund einer Notierung 
für Erstprodukt Basis 88 o/o und einer für Nachprodukt Basis 75 o/o 
Rendement gehandelt. Bei dieser Vereinfachung ist es bisher 
geblieben, wenngleich auch die offiziellen „Bedingungen für den 
Handel mit Rohzucker'', vom 1. Jan. 1901 wirksam, lediglich 
die Preisbasis für reines Erstprodukt 88 o/o Rendement enthalten. 

Überblicken wir einmal den ganzen Vereinheitlichungsprozeß, 
so ist wohl nicht zu bezweifeln, daß aus dem Handel heraus 
das Bedürfnis nach Zusammenfassung hervorgewachsen ist. 
Seinem Drängen kam die Technik entgegen: Die Wissenschaft 
im allgemeinen, das Polarisationsinstrument im besonderen, gab 
ihr die Führung auf diesem Wege. Sie ließ den Gedanken 
der Vereinheitlichung der Preisbasis bis zu der hier überhaupt 
erreichbaren Konsequenz ausreifen. EXirch diese Zusammen- 
fassung gewann nicht nur der Handel eine unmittelbare Förderung, 
insofern er im Zeichen der sinkenden Produktionskosten der 
iWare seine Spesen und seinen Nutzen an der Gewichtseinheit 
reduzieren und seine Stoßkraft gegenüber ausländischer Kon- 
kurrenz, soweit sie nicht eine ähnliche Entwicklung durchmachte» 
um einiges erhöhen konnte. Sondern umgekehrt wirkte die Ver- 
einheitlichung der Preisbasen auf die Produktionstechnik und 
zwar in Richtung einer Art Spezialisation, dadurch, daß die 
Technik aller Betriebe auf einen einheitiichen Zielpunkt aus- 
gerichtet wurde. Der wirtschaftliche Vorteil stellte sich zum 
Jeil darin ein, daß auf Grund der von einer Anzahl der Be- 
triebe gemachten Erfahrungen für die weniger leistungsfähigen 
das Herumtasten im Ungewissen und das kostspielige Experimen- 
tieren immer überflüssiger wurde, wodurch für die Gesamflieit 
sich ein höherer Grad der Sicherheit des wirtschaftlichen Aus- 
falls erreichen ließ. 

Wenn man von einer „Gerechtigkeit im Handel" reden darf, 
so ist diese nach der Zentralisation der Preisbasen unter der un- 



Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 255 

. endlich verfeinerten Großtechnik heute wohl weitgehender erfüllt 
als zur Zeit der holländischen Standardmuster und der Wertbe- 
rechnung auf Grund des durch Polarisation gefundenen Zucker- 
gehaltes, .Wenn auch die Basis des Handels noch nicht absolut 
befriedigt, wie sie im Rendement sich herausgebildet hat, so läßt 
doch die zugrunde gelegte Fiktion nur noch sehr geringen Spiel- 
raum. Das heutige Inlandgeschäft in Rohzucker hat zwar aus 
guten Gründen das Muster noch beibehalten, sowohl beim Han- 
del in Loco-Ware als auch beim Lieferungsgeschäft und bei Ver- 
käufen für die nächste Kampagne, doch sind gewisse Abwei- 
chungen von ihm zulässig. Hier handelt es sich heute nicht mehr 
um eine Probe, die man analysieren läßt, sondern um nichts mehr 
als ein Muster. Die definitive Preisfestsetzung geschieht dabei 
auf Grund der bei Abnahme durch vereidigte Beamte gezogenen 
Proben, Die Abnahme der Probe wie ihre Analyse, die von ver- 
eidigten Chemikern vorgenommen wird, ist durch einen Kreis 
allgemein gültiger Festsetzungen, welche in den „Bedingungen 
für den Handel in Rohzucker" niedergelegt sind, vor jeder Willkür 
vollkommen geschützt. Sie bilden den Kernpunkt der Preis- 
berechnung und schließen jede Obervorteilung bezw. Schädigung 
gewissenhaft aus. 

Im Anschluß an die ununterbrochene Verbesserung der Wert- 
bestimmung und Vereinheitlichung der Preisbasen im Inland- 
geschäft und bei dem Anwachsen der Umsätze erhob sich das 
Bedürfnis, allgemein gültige Festsetzungen für alle überhaupt 
regelmäßig beim Rohzuckerhandei mitwirkenden Faktoren zu 
schaffen, so für die Zahlungsbedingungen, Verpackung, Verladung 
usw.^ Der Erfolg war eine außerordentliche Vereinfachung des 
Geschäfts und eine weitere Reduktion des Händleraufschlags in- 
folge der so erzielten höheren Sicherheit vor Ausfällen und Er- 
mäßigung der Spesen.«) 



^) Ober die Usancen des Hamburger Rohrzuckerhandels vergl. 
Busch, a.a.O. 

') Bezüglich des Zuckerterminhandels genügt der Hinweis, dafi sein 
Zustandekommen ohne eine aufs äußerste vereinfachte Basis für die 
Preisberechnung schlechthin unmöglich war. Der Terminhandel spielt 
hinsichtlich der Sicherung aller am Markt beteiligten Wirtschaften eine 
eminente Rolle. — Vergl. A. Ehering, Entwicklung und Technik des 
Magdeburger Zuckerhandels, sowie die Zuckerterminbörse und der 
Zuckerterminhandel unter dem Einfluß des Börsengesetzes. Diss. 
München 19Q2. 



256 Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutscbe Handel. 

Bisher war nur vom Rohzuckerinlandhandel die Rede. Der 
Einfluß, den der technische Fortschritt in den Untersuchungs- 
methoden mehr mittelbar als unmittelbar hier geübt hat, tritt noch 
schärfer hervor beim Exportgeschäft. Es ist unzweifelhaft, daß 
dies erst aller Fesseln ledig wurde von dem Augenblick an, in 
dem der Zuckerhändler den Käufer des Auslands rasch und gut be- 
dienen konnte, d. h. aber, daß er ohne Vorlage eines Musters 
oder gar einer Probe seinen Ansprächen zu entsprechen vermochte. 
Hier hat er es in der Tat fertig gebracht, den Handel nach Type 
mit voller Exaktheit auszubilden, so daß damit die Gewähr für 
Sicherheit und Schnelligkeit bei Kauf und Verkauf gegeben ist, 
Eigenschaften, welche den Eintritt des Rübenzuckers in die Reihe 
der Welthandelsartikel sehr erleichtert haben. Die heute im deut- 
schen Zuckerexporthandel gültigen Bestimmungen beschränken 
die Preisfeststellung auf die Notiz für Erstprodukt Basis 880/0 
Aschenrendement. Die Feststellung des leteteren findet durch 
einen vereidigten Chemiker im Ursprungsland statt Die sehr 
detaillierten Einzelabmachungen, welche in den „Schlußschein- 
bestimmungen des deutschen Zuckerexportvereins zu Magdeburg'' 
niedergelegt sind, haben die Handelsusahcen zur Grundlage, wie 
sie sich zwischen der Gruppe erster englischer Importhäusern 
und den beteiligten deutschen Organisationen herausgebildet 
hatten. Pilet bezeichnet ihr Zustandekommen als den „größten 
Fortschritt und einen unendlichen Gewinn für den deutschen 
Zuckerexporthandel." Man wird nicht fehl gehen, wenn man 
es zum Teil auf Konto der vom Handel angeregten Vereinheit- 
lichungsbestrebungen in der Produktionstechnik setzt. ^ 

Der Großhandel in raffinierten Zuckern, der eigentlich nur 
noch im Ausfuhrgeschäft heute besteht, zeigt viel schärfer die 
Spuren der nach Einheitlichkeit ringenden Technik. Für den Roh- 
zuckerhandel stand immer die mutmaßliche Raffinadeausbeute 
im Brennpunkt der Handelsinteressen, ihr konnte man praktisch 
nur durch Näherungswerte nahekommen. Diese Schwierigkeit 
fiel hier weg. Die Wertbestimmung nach äußeren Merkmalen hatte 



') Interessante Einzelheiten über Entwicklung des deutschen Zucker- 
handels, sowohl über das Export- wie über das Termingeschäft, schil- 
dert 0. Pilet in seiner Schrift „Ein Rückblick auf mein Leben, insbe- 
sondere auf die Entwicklung des Handels in den letzten fünfzig Jahren*. 
Magdieburg 1900. — Vgl. auch A. Pohlman, Die Bedeutung des Zuckers 
im Welthandel, in „Patria«, Jhrb. der „Hilfe« 1903. 



Die zuckerindustrielle Entwicklung und der deutsche Handel. 257 

keine großen Schwierigkeiten. Es fiel ins Gewicht daß der Pro- 
duktionsprozeß der Raffinerie weit weniger von individuellen 
Verhältnissen in seiner Technik berührt wird, wegen seiner Kürze 
sowohl wie auch infolge der geringen Zahl in den Produktions- 
prozeß eingreifender Faktoren. Hier war einer Systematisierung 
Tür und Tor geöffnet, wenigstens soweit die reine Raffinerie in 
Betracht kam, so daß aus dem Bedürfnis des Handels heraus sich 
die Produktion ohne viele Umstände auf bestimmte Marken ein- 
richten ließ. Diese Standardisierung entsprach auch durchaus dem 
eignen Bestreben, den immer kleineren Preisunterschied zwischen 
Halb- und Fertigfabrikat und den damit gedrückten Unternehmer- 
nutzen an der Gewichtseinheit durch Spezialisation wett zu machen, 
zumal man sich damit nicht der Möglichkeit zu begeben braucht, 
auf wesentlich verschiedene Marken den Produktionsgang um- 
zuschalten. Dies ist aber deshalb bedeutungsvoll, weil trotz zu- 
nehmender Ausschaltung des Großhandels die Raffinerie im all- 
gemeinen nicht mit einer regelmäßigen Versorgung bestimmter 
Konsumkreise zu rechnen vermag. An Verschiebungen im Ab- 
satzgebiet durch Zollmaßnahmen, Frachtvergünstigungen, Schleu- 
derkonkurrenz, auch wohl durch Wandlung der vom Konsum 
bevorzugten Formen ist der Zuckerraffinadeur durch die Er- 
fahrung gewöhnt und verlegt sich deshalb meist darauf, den Be- 
dürfnissen des Marktes durch eine Anzahl nicht nur der Qualität 
nach und technisch einander subordinierter, sondern auch koor- 
dinierter Marken Rechnung zu tragen. Das beiderseitige Bestreben 
zu vereinheitlichen, hat dahin gewirkt, daß sich der Handel in 
Raffinationsprodukten heute ohne Probe oder Mustervortage bei 
Abschluß des Geschäftes abspielt Am Magdeburger Markt werden 
täglich zur Zeit 6 Notierungen für Raffinationsprodukte vorgenom- 
men, zu denen noch 5 wöchentliche Preisfeststellungen treten. 
So hat denn auch hier die Technik den Zug nach Vereinheitlichung 
soweit zum Durchbruch gebracht, wie es die Vielseitigkeit des 
Konsums gestattete. 



Schucbart, Zuckerindustrie. 17 



Anhang. 
Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft 

Produktionskosten. 

Um überhaupt eine Vorstellung davon zu erhalten, wie an den 
Rohzuckergestehungskosten die Hauptfaktoren der Produktion be- 
teiligt sind, hat E. Glanz für eine Anzahl Jahre auf Grund der 
im Reichsanzeiger veröffentlichten Bilanzen von etwa 30 Fabriken 
Berechnungen angestellt, i) Die betreffenden Werke gehören den 
allerverschiedensten Größenklassen an und liegen in ganz E)eutsch- 
land verstreut. Da die Größenklassen etwa in der Weise berück- 
sichtigt sind, wie sie tatsächlich in der Industrie vertreten sind, 
so darf man annehmen, daß das sich so ergebende Bild für 
den ganzen Komplex der Rohzuckerindustrie einigermaßen zu- 
treffend ist. 

Der Durchschnitt der 33 Fabriken gab folgendes Bild von den 
Rohproduktionsverhältnissen : 



Rpfrfikhtt« 


Schwankungen 


Durchschnitts" 


Rfibenertrag 


Rohertrag*) 


Jahr 


im Rlibenpreis 


preis 


fOr 


fQr 


für 50 kg in Mk. 


fCrSOkglBMk. 


1 ha int 


1 ha in Mk. 


1 


2 


3 


4 


5 


1897/g8 


0,70-0,97 


0,89 


31,3 


557 


1898/99 


0,78-1,11 


0,965 


28fi 


550 


1899/00 


0,77—1,11 


0,965 


29,2 


563 


1900/01 


0,85-1,14 


1,014 


29,6 


600 


1901/02 


0,69-1,09 


0,88 


33,4 


588 


1902/03 


0,73-1,12 


0,955 


26,4 


504 


1903fO4 


0,71—1,09 


0,883 


30,4 


540 


1904/05 


0,94—1,39 


1,111 


24,2 


538 


1905/06 


0,77—1,12 


0,944 


33,4 


631 



Vereinszeitschrift 1907, S.45ff., auch 1900, S. 14, 402; 1902, S.31; 
1903, S.119; 1905, S.35. Auszugsweise auch abgedruckt bei H, Ciaassen, 
Die Zuckerfabrikation, 1904. 

«) Es darf nicht tibersehen werden, daß die entzuckerten Schnitzel 
durchweg kostenlos der Landwirtschaft geliefert werden. 



Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft. 259 



Die Kosten der Verarbeitung auf Rohzucker beliefen sich pro 
Doppelzentner bei den Fabriken mit einer Rübenverarbeitung 





1902/03 


1903/04 


1904/05 


1905/06 


bis zu 0^ Mill. dz auf . . . 

» » ^fi n » » • • • 

» » 1,0 . „ „ ... 

» » ^W n » j» • • • 


1,150 Mk. 
0,888 , 
0,826 . 
0,652 , 


0,92 Mk. 
0.82 . 
0,66 „ 
0,58 , 


1,038 Mk. 
0,886 , 
0,765 , 
0.68 , 


0,91 Mk. 
0,738 „ 
0,648 , 
0,570 . 



Daraus wird der außerordentliche wirtschaftliche Vorteil der 
Massenverarbeitung ersichtlich. Der Unterschied in der Höhe der 
Betriebskosten findet seinen Ursprung in den wechselnden Ernte- 
ergebnissen (vgl. die vorhergehende Tabelle Spalte 4). 

Die Hauptposten der Verarbeitungskosten weist die folgende 
Übersicht aus, Angaben in Mark: 



Im 

1 




Verarbeitungs- 

kostea 
fOt 1 dz Rfiben 


Rohmaterial- 

und 

Veraibeitung«- 

kosten 


1 


Arbeitslobn und 

Oehalt 
ffir 1 dz Rfiben 


13 


Prel» 

der gestflrzten 

Kohle Dortmund 

ab Werk pro t 


1897/96 


1,78 


0,80 


2,58 


2,68 


0,210 


0,150 


9,4 


1898/99 


1,93 


0,846 


2,776 


3,02 


0,234 


0,158 


9,7 


1899/00 


1,929 


0,906 


2,835 


3,00 


0,245 


0,175 


10,0 


1900/01 


2,028 


0,846 


2,874 


3,08 


0,234 


0,189 


13.6 


1901/02 


1,76 


0,774 


2.534 


2,572 


0,220 


0,187 


14,0 


1902/03 


1,91 


0,994 


2,904 


3,062 


0,270 


0,194 


1^3 


1903/04 


1,766 


0,794 


2,560 


2,682 


0,220 


0,170 


12,1 


1904/00 


2,222 


0,906 


3,128 


3,510 


0,255 


0,167 


11,8 


1905/06 


1.888 


0,752 


l 2,64 


2,740 


0,210 


0,162 


11,8 



Nimmt man an, daß die so ermittelten Produktionskosten für 
die gesamte Rohzuckerproduktion zuträfen, so erhalten wir von 
der Bedeutung der deutschen Zuckerindustrie, soweit sie Rüben 
verarbeitet, folgendes Bild: 

(Siehe Tabelle auf nSchster Seite.) 

Den Wert der den Lieferanten zurückvergüteten Schnitzel 
hat man auf 25 Mill. Mark veranschlagt. 

Über die Verteilung des Gewinnes der Zuckerproduktion 
zwischen Industrie und Landwirtschaft hat man vielfach Berech- 
nungen angestellt. Da ihnen eine ganze Anzahl Fiktionen zu- 
grunde gelegt werden müssen, welche dem Wechsel der Zeit unter- 
liegen, erscheinen ihre Ergebnisse wenig einwandfrei. 



260 Die Zttckerindustrie im Rahmen der deutschen Vollcswirtschaft 



Jahr 


VcnitMltete 
RSbeamence 


AfbeiMoha 

und 

Ocliait 


Aufwand 

»r 

Bftoanatarial 


FOrRObea 
wurden 
gcaaUt 


Ocsamtuaiaatz 

der 

RObea- 

xuckerfatolkeB 




laMill. dl 


laMitt-Mk. 


iaMm.Mk. 


iaMlU.Mk. 


in MiU. Mk. 


1897/98 


137,0 


28,77 


20,55 


243,8 


367,1 


1898/99 


121,5 


28,43 


19,20 


234,5 


366,9 


1899/00 


124,4 


31,10 


21,79 


23^0 


373,2 


1900/01 


132,5 


31,01 


25,08 


266,8 


408,2 


1901/02 


160^1 


35,23 


29,9S 


281,8 


411,5 


1902/03 


112,7 


30,43 


21,87 


215,3 


345^1 


1903/04 


127,1 


27,95 


21,60 


224.4 


340,6 


1904/05 


100^7 


25,68 


16,78 


2233 


353,5 


1905/06 


157,3 


33,04 


»,49 


297,1 


431,1 



Einwirlcung auf verwandte Wirtschaftsgebiete. 

Die Einwirkung, welche die deutsche Zuckerindustrie auf 
verwandte .Wirtschaftsgebiete ausgeübt hat, so z. B. auf die 
Maschinenindustrie, läßt sich auch nicht approximativ zahlenmäßig 
erfassen. In einzelnen Gegenden, wie im Magdeburgischen und 
Braunschweigischen, kann man einen innigen Zusammenhang mit 
der dortigen Eisen verarbeitenden Industrie und ihrer Entwicklung 
nachweisen.^) Hinsichtlich der Einwirkung der Rübenzucker- 
industrie auf die Ausgestaltung des Verkehrs ist zu sagen, daß sich 
wegen der überaus verschiedenartigen, zahlreichen Einflüsse die 
Wirkung, welche auf diesen Industriezweig sich zurückführen 
ließe, im allgemeinen nicht aussondern läßt.') Mit einiger Sicher- 



Die Zuckerfabrikation im Zollverein. Stuttgart 1861. 

*) Mit dem Einfiufi des Zuckermarktes in Magdeburg auf die Ent- 
wicklung des dortigen Telegraphen- und Fernsprechwesens beschäftigt 
sich ein Aufsatz im »Archiv für Post und Telegraphier, Beiheft zum 
Amtsblatt des Reichspostamtes, 1906, S. 721 ff. Auf Qrund durchschnitt- 
licher Verkehrszahlen aus den Jahren 1905 und 1906 wird berechnet, 
dafi beim Telegraphenamt in Magdeburg von den 80 dortigen am 
Zuckerhandel beteiligten Firmen 38®/o aller aufgelieferten Telegramme 
und 48% der Oesamtgebühreneinnahme stammten. Ffir das Jahr 1905 
berechnet, sind das 81000 Mk. Aus den Darlegungen ergibt sich, daß 
in Magdeburg im Laufe eines Jahres mindestens 120000 Mk. an Tele- 
graphen- und Fernsprechgebühren allein aus dem Zuckerhandel ver- 
einnahmt werden. Ebenda wird ferner nachgewiesen, dafi die bessere 
Verkehrslage Hamburgs, sowie seine vorzüglichen Telegraphen- und 
Fernsprechverbindungen ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dafi 
Mt^deburgs Bedeutung ffir den Terminhandel in Zucker seit dem !n- 



— ^-l 



Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Vollcswirtschaft. 261 

heit ist dies seither nur bei der Provinz Posen gelungen. Wir 
beobachteten hier den ungewöhnlichen Fall, daß die Industrie als 
Großindustrie in ein industriearmes und verkehrstechnisch wenig 
entwickeltes Gebiet ihren Einzug hielt. Man hat hier die von 
den 20 Fabriken in der Zeit von 1876 bis 1900 gemachten Auf- 
wendungen für Wegeausbesserungen und Eisenbahnbauten auf 
fast 5,7 Mill. Mark berechnet, das macht pro Jahr und Fabrik 
eine Ausgabe von 20000 Mark. Während sich die Löhne, welche 
in diesen 25 Betriebsjahren zur Auszahlung kamen, auf 26,7 Mill. 
Mark beliefen, wurden bei einem Aufwände ffir Rüben von 
262,2 Mill., für Kohlen von 17,8 und für Kalksteine von 
2,8 Mill. Mark im ganzen für Eisenbahnfrachten 34,7 Mill. Mark 
ausgegeben entsprechend einer Ausgabe von 123400 Mark pro 
Jahr und Fabrik.^) Aus diesen Zahlen läßt sich eine Vorstellung 
von der eminenten Bedeutung gewinnen, welche die Zucker- 
industrie für die Erschließung wirtschaftlich unentwickelter Ge- 
biete noch in neuester Zeit hat, und es läßt sich ein Schluß machen 
auf die hervorragende Rolle, welche sie in der Verkehrsentwicklung 
Deutschlands in älterer Zeit gespielt hat.') Es kann keinen Augen- 

krafttreten des Börsengesetzes außerordentlich abgenommen hat, da- 
gegen die Hamburgs bedeutend gestiegen ist Eine Besserung scheint 
indes seit 1904 eingetreten zu sein. 

*) B. Amrogowicz, a. a. O., S. 48ff. 

«) Vergl. 0. Pilet, Ein Rückblick auf mein Leben, S. 38, 50 u. ft., 
78 u. ff. — Ober den Einfluß der Zuckerindustrie auf die Entwicklung 
Posens äußert sich die Festschrift der Handelskammer Posen 1901: 
«Man kann ruhig behaupten, daß, soweit in der Provinz in der Land- 
wirtschaft treibenden Bevölkerung aus neuerer Zeit herrührender Wohl- 
stand anzutreffen ist, dieser in den meisten Fällen durch die Zucker- 
industrie begründet ist. Ebenso verhält es sich mit den Fortschritten 
in der Bewirtschaftung des Grund und Bodens; die Ausbreitung der 
Drainage ist nicht am wenigsten auf die Zunahme des Rübenbaus 
zurückzuführen. Hand in Hand mit dem Erstarken der Zuckerindustrie 
ging die Vermehrung und Ausbesserung der Wege, Bildung von Zu- 
und Abfuhrstraßen, Bau von Bahnlinien, Anlegung von Haltestellen an 
bereits bestehenden Bahnen und Regulierung der Wasserstraßen. Ge- 
rade so wie im besondern die Schiffbarmachung derWarthe die Zucker- 
industrie in unserem Bezirk förderte, indem dadurch die Zuckerfrachten 
verbilligt und dem Posener Zucker eine gewinnbringende Konkurrenz 
auf dem Markt ermöglicht wurde, ebenso haben die Zuckerverladungen 
die Regulierung der Warthe gefördert und die Einrichtung eines regel- 
mäßigen Dampfschleppschiffahrtsverkehrs und damit eine allgemeine 
Verbilligung der Frachten hervorgerufen. Dadurch, daß viele Arbeiter 
im Winter in den Zuckerfabriken Arbeit fanden, sind sie auch für den 



262 Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutsciien Vollcswirtscliaft. 

blick bezweifelt werden, daß der wirtschaftliche Nachteil, den 
das Aufkommen des Rübenzuckers fOr manche Zweige des Han- 
dels und Gewerbes brachte, so z. B. für die Rhederei, und der 
einst ein Argument war für eine stärkere Belastung der einhei- 
mischen Produktion 1), überreichlich kompensiert wurde durch die 
Belebung des Inlandsverkehrs und der mit ihm verknüpften Ge- 
schäftszweige. Oberdies fand der Außenhandel sehr bald Ersatz 
für den Ausfall am Rohzuckerimport in den Artikeln, welche mit 
der Entwicklung der internationalen Verkehrsbeziehungen und 
des Weltmarktes Güter internationalen Austauschs wurden. 



Fiskalische Bedeutung. 

Es ist dargelegt worden, wie die Entwicklung zu den Formen 
des fabrikmäßigen Großbetriebs in der deutsehen Rübenzucker- 
industrie als eine Folge der Belastungen mit Steuer bezw. Zoll 
zustande kam. In der Zahlenreihe, welche den Reinertrag der 
Abgaben versinnlicht, spiegelt sich deutlich die \K%kung der je- 
weils gültigen staatlichen Bestimmungen wieder. Er t>ezifferte sich 
auf die folgenden Beträge in Millionen Mark: 



1871/72 45,2 

1872/73 54,8 

1873/74 60,6 

1874/75 49,7 

1875/76 63,2 

1876/77 48,6 

1877/78 49,8 

1878/79 50,6 

1879/80 54,2 

1880/81 46,1 

1881/82 56,9 

1882/83 67,3 



1883/84 
1884/85 
1885/86 
1886/87 
1887/88 
1888/89 
1889/90 
1890/91 
1891/92 
1892/93 
1893/94 
1894/95 



47,8 
39,7 
24,5 
33,6 
14,7 
30,1 
80,6 
75,6 
72,0 
52,5 
82,8 
85,7 



1895/96 
1896/97 
1897/98 
1898/99 
1899/00 
1900/01 
1901/02 
1902/03 
1903/04 
1904/05 
1905/06 



103,7 
86,9 
100,9 
109,2 
126,7 
115,7 
103,6 
117,6 
129,7 
121,7 
147,6 



In Zusammenhang mit der Verbilligung des Zuckers hat 
sich der Konsum pro Kopf in neuester Zeit gut entwickelt, ob- 



Sommer an die heimische Scholle gefesselt worden. Daher wären 
ohne die Zuckerindustie die Arbeiterverhältnisse wahr- 
scheinlich noch schiechtere. 

^) C. Stölzei, Ober Entstehung und Fortentwicklung der Rfiben- 
zuckerfabrikation, 1848. Berlin. S. 101 ff. 



Die Zuckerindustrie im Ralimen der deutsclteo Vollcswirtscliaft 263 



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264 Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft. 

gleich die Sätze^ welche Amerikaner und Engländer erzielen, vom 
Deutschen bisher auch nicht entfernt erreicht wurden. (Vgl. 
S. 263.) Über den Zusammenhang zwischen Konsum pro Kopf ^) 
und dem Preis für die Gewichtseinheit gibt die graphische Dar- 
stellung (Tafel 3) Aufschluß. Das Streben der Industrie ist an- 
gesichts des durch Zölle gedeckten Rohrzuckers, der am Welt- 
markt seit Abschluß der Brüsseler Konvention sehr merklich 
an Boden gewinnt, darauf gerichtet, den Inlandskonsum vor allem 
zu entwickeln, um an ihm eine Kompensation für den Rückgang 
der Ausfuhr zu erlangen. Der Wert der Zuckereinfuhr und -aus- 
fuhr Deutschlands betrug in Mill. Mark im Jahre 





Einfuhr 


Ausfuhr 




Einfnbf 


Ausfuhr 


1 


ünftihr 


Ausfuhr 


1872 


29,1 


9,5 


1884 


1,4 


184,3 


1896 


0,4 


236,4 


1873 


15,6 


8,9 


1885 


1,4 


157,0 


1897 


0,5 


229,9 


1874 


13,0 


11,7 


1886 


1,1 


141,2 


1898 


0,4 


212,4 


1875 


13.1 


11,9 


1887 


1,5 


180,9 


1899 


0,4 


203,6 


1876 


93 


38,6 


1888 


1,9 


158,9 


1900 


0,5 


216,3 


1877 


5,9 


34,2 


1889 


1,4 


162,8 


1901 


0,7 


202.8 


1878 


3,6 


71,5 


1890 


2.1 


216,1 


1902 


0,6 


159,4 


1879 


3,8 


79,6 


1891 


1,8 


227,8 


1903 


2,1 


186,7 


1880 


2,6 


110,6 


1892 


1,8 


179,8 


1904 


1,9 


178,7 


1881 


2,5 


144,1 


1893 


0,6 


221,2 


1905 


0,7 


182,8 


1882 


2,6 


156,9 


1894 


0,5 


209,2 


1906 


— 


236,6 


1883 


2,0 


208,7 


1895 


0,4 


192,9 









Prozentanteil an der Ausfuhr: 





■ 


19U3 1902] I<i0l|ig0oil899| 1898 


1897 'lügel 1895 1894 '1893 


BaumwoUenwaren . 


6,2 


6,5 


6,3 


5,9 


5,4 


4,9 


5,2 


4,7 


4,5 


4,7 


4,4 


5,4 


4,7 


4,8 


Wollenwaren . . . 


4^ 


5,0 


4,7 


4,8 


5,5 


4,7 


5,0 


5,0 


5,0 


5,5 


5,8 


6,5 


6.1 


6,7 


Maschinen aller Art 


5,4 


5,0 


4,7 


4,5 


4,1 


4.4 


4,8 


43 


3,7 


3.4 


3,1 


2,5 


2,6 


2,0 


Steinkohlen . . . 


4.0 


4,0 


4,3 


4,3 


4,3 


4,6 


4,6 


4,1 


4,0 3,5 


3,3 


3,1 


3,3 


3,2 


Zucker . . . . , 


3,7 


3,1 


3,4 


3,6 


3,3 


4,5 


4,6 


4,7 


5.3 


6,1 


6,3 


5.6 


6,9 


6,8 


Sei den waren , , , 


2,9 


2,ß 


2,7 


3,2 


3,0 


3,0 


2,9 


3,3 


3.2 


3,0 


3,3 


3.7 


3,4 


4,7 


Eisenwaren, grobe . 


2,1 


2,4 


2,8 


3,4 


3,4 


3,2 


2,9 


3,2 


2,9 


2,7 


2,5 


2,3 


2,2 


— 



In diesem Falle sind die Konsumzahlen der amtlichen Statistik 
zu Grunde gelegt. 

*) Vergl. auch Th. M. Cords, Die Bedeutung der Binnenschiffahrt 
für die deutsche Seeschiffahrt. Stuttgart 1906. 



Die Zuckerindustrie im Ralimen der deutsclien Vollcswirtochaft 265 

Die abnormen Umstände, unter denen die deutsche Zucker- 
industrie gro6 geworden ist, ließen in ihrer Entwicklung zürn 
fabrikmäßigen Großbetrieb schärfer und früher charakteristische 
Formen ausreifen als in andern unter weniger treibhauskultur- 
ähnlichen Verhältnissen aufgewachsenen Industriezweigen. .Wir 
sahen, wie bei ihr im Jahre 1865 das Problem akut wurde, welche 
in den Karteüierungsbestrebungen in den letzten 15 Jahren eine 
so große Rolle spielt: Die Forcierung der Ausfuhr auf Kosten 
einer Mehrbelastung des Inlandkonsums. Es hat den Anschein, 
als ob der Regierung der Zollvereinsstaaten diese Frage in ihrer 
prinzipiellen Bedeutung nicht deutlich geworden wäre. Vielleicht 
hat die Entscheidung, die damals getroffen wurde, der Ent- 
wicklung der schutzzöUnerischen Bestrebungen in gewissem Sinne 
Vorschub geleistet. 

Heute liegen beim Zucker die Dinge so, daß auf die Ent- 
faltung des Exports in der Zukunft gewisse Schliisse zulässig 
sind. Der Ausfuhrhandel hat mit wachsenden Schwierigkeiten zu 
kämpfen gegenüber dem Rohrzucker, der insbesondre durch die 
Zollbehandlung der Vereinigten Staaten bevorzugt schon jetzt 
Schritt für Schritt in den Rübenzuckerexportgebieten vordringt. 
Noch steht die Rohrzuckerindustrie in den meisten Ländern tech- 
nisch auf einer tiefen Stufe. Aber auch hier sind Anfänge einer 
Evolution deutlich bemerkbar trotz der ungeheuren Widerstände, 
welche aus dem sozialen und wirtschaftlichen Aufbau der pro- 
duzierenden Staaten resultieren.^) Während die Rübenzudcer- 
Industrie in Deutschland längst alle wirtschaftlichen Kräfte in 
ihren Dienst gestellt hat und eine Steigerung des Zuckerertrags 
pro Flächeneinheit für die Zukunft nicht zu erwarten ist, liegen 
in der Rohrzuckerindustrie noch enorme Kräfte brach und harren 
der Befruchtung durch wissenschaftliche Arbeit und Kapital. Frei- 
lich^ marschiert Deutschland hinsichtlich der Zuckererzeugung auf 
der ^Flächeneinheit bisher entschieden an der Spitze. Denn es 
erzeugten Zucker auf dem Hektar in Doppelzentnern:») 

1) H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt. 1906. S. 260ff. ~ 
Vergl. auch Jul. Wolf, Der deutsch-amerikanische Handelsvertrag 1906. 
— K«^ Jentsch, Zucker, in der „Zukunft«, Wochenschrift Jan. 1907. — 
Vereinszeitschrift 1907, S. 228. — Jul. Wolf, Das Deutsche Reich und 
der Weltmarkt. Jena 1901. — Brückner, Zuckemot und Abhilfe, .Deutsche 
Stimmen" 1902, Nr. 1, 2 und 3. — C. Meyer, Ober die Lage der Zucker- 
industrie, 1902, S. 18. 

*) H. Paasche, Die Zuckerproduktion der Welt. 1906, S.265. 



286 Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volicswirtschaft 



Jahre 


Deuttch- 
Und 


Fraak- 
reicli 


Oster- 
reicli- 
Ungani 


RnBUuid 


Bcigicii 


HotUad 


Diaeaiark 


1895/96 


43.1 


32,2 


27,0 20,7 


39,3 


29 


40^4 


1896/97 


4%9 


30,1 


26,6 


20,2 


42,3 


33 


— ■ 


1897/96 


42,2 


35.1 


27,2 


17,7 


39,0 


32 


26,3 


1898/99 


42,4 


32,9 


33,8 


17,0 


45,0 


34 


28,4 


1899/00 


42,1 


34,5 


33,8 


18,2 


45,2 


36 


34,9 


1900/01 


44,2 


36,3 


32,0 


17,1 


46.7 


— 


38.7 


1901/02 


48,1 


35,5 


35,7 


18,7 


39,2 


42 


25,2 


1902/03 


41,8 


33,1 


34,3 


19,8 


33,2 


32 


34,2 


1903/M 


47,3 


33^5 


37^ 


17,7 


38,0 


30 


32,0 


1904/05 


37,1 


31,5 


28,0 


19,7 


38,0 


37 


32,0 


1905/06 


50,1 


35,5 


39,0 


25,6 


46,8 


43,2 





Bei gleicher Behandlung des deutschen Rübenzuckers mit 
dem fremder Staaten dürfte woM die deutsche Zuckerindustrie 
von vornherein am wenigsten deshalb bedroht sein. Von keiner 
Seite aber wird es ernstlich bestritten werden können, daß bei 
der Rohrzuckerindustrie heute die grö&ere Evoluiionsfahigkeit 
und wirtschaftliche Stoßkraft zu suchen ist. 

Eine andere Frage ist es allerdings» in wekher Zeit die Ent- 
faltung der Robrzuckerindustrie zustande kommen wird» und ob 
die Rüberizuckerindustrie sich nicht bei Versdiietmngen unter 
den nationalen und internationalen Wirtschaftskreisen und in der 
dynamischen Wirkung ihrer Kräfte airf eine ganz neue Basis 
zu gründen imstande ist. Eine Möglichkeit dazu ist zweifels- 
ohne in der rationellen Ausgestaltung des Brüh Verfahrens zu 
suchen. 

Die durch die Preise im Inlandskonsum kunstlich hochgehaltene 
Ausfuhrquote Deutschlands bewegt sich deutlich auf absteigender 
Bahn. Wenn sie im letzten Jahre eine Besserung aufweist, so 
ist das auf das Zusammentreffen einer Anzahl günstiger Um- 
stände zurückzuführen.^) Das Sinken hat eine tiefe Bedeutung. 



Vergl. die Eingabe des Vereins der deutschen Zuckerindustrie an 
den Reichstag betr. Herabsetzung der Zuckersteuer (18. März 1907). 
Sie setzt eingehend auseinander, welchen Umständen das Anschwellen 
der Zuckerausfuhr im Jahre 1905/06 zuzuschreiben ist. Es wurden da 
1145314 t exportiert gegen 766521 und 873623 t in den beiden Vor- 
jahren. Ihr Ergebnis Ist, daß f&r ein dauerndes Wiederanschwellen der 
Ausfuhr sehr geringe Aussichten vorhanden sind. Zur Stärkung der 
deutschen Konkurrenzfähigkeit am Weltmarkt vertongt der Verein eine 
Herabsetzung der Verbrauchsflbgabe auf 10 Mk. 



Die Zuckerindustrie im Rahmen der deutschen Volkswirtschalt. 267 

Die wirtschaftliche Erlösung kann nur in Richtung der Ent- 
wicklung des Inlandkonsums liegen. In der Zuckerindustrie ist 
die Verschleuderung des nationalen Gutes in ruinöser Konkurrenz 
im Begriff, durch den gesteigerten Inlandskonsum im Verbrauch 
der Massen abgelöst zu werden. Ist doch nicht die Ausfuhr 
an sich begrüßenswert» sondern es handelt sich darum, ob an 
derselben ein Profit erzielt werden kann. Der hypertrophische 
Zustand der Dberausfuhr, wie er aus sozialen Mißverhältnissen 
heraus hervorgewachsen ist, ist für die soziale Reform ein Hemm- 
schuh; denn sie wirkt nicht nur auf die Technik als ein 
retardierenders Moment, sondern schwächt auch die eigene Kon- 
sumkraft.^) 

So nähert sich denn die Evolution der Industrie dem idealen 
Ziel aller menschlichen und technischen Arbeit, der Veredlung 
der Menschheit, zumal der arbeitenden Klassen in der Entwicklung 
ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Konsumkraft. 



^> H. Herkner, Die soziale Reform als das Gebot des Wirtschaft* 
liehen Fortschritts. 1891,5.81. 







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