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PRESENTED
The University of Toronto
. /^3i<^ö!2tl (k^^
GERMANISCHE MYTHEN,
FORSCHUNGEN
WILHSLM MAXXHABDT.
It
BERLIN,
VERLAG VON FERDINAND SCHNEIDER.
Lenuestrafse 3.
1858.
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Die "Wahrheit ruht in Gott, uns bleibt das Forschen.
J. V. Müller.
JACOB UND WILHELM GRBBI
GEWEIHT.
Digitized by the Internet Archive
in 2010 witii funding from
University of Toronto
littp://www.arclijve.org/details/germaniscliemytlieOOmann
Vorwort.
Di
'ie germanische Mythenforschung wird trotz der grofsarti-
gen Schöpfungen der Brüder Grimm noch manchen Schritt
zu treten haben, ehe es gelingen wird, ihr die Stellung einer
wirklichen, auf untrügliche Methode gegründeten Wissen-
schaft zu erobern. Zur Lösuno; dieser Aufirabe einige um-
fangreichere Versuche anzustellen, Vorarbeiten zu liefern,
war der Vorwurf des vorliegenden Buches; wie schwach
und unzureichend der gemachte Anfang noch ist, weifs der
Verfasser am Besten. Die Quelle der germanischen, wie
jeder anderen wahren Mythologie ist einzig und allein die
Volksüberlieferung, die von den höchsten Gipfeln urwelt-
lichen Menschheitslebens herabsteigend, noch immer jugend-
lich und frisch in tausend Bächen durch unsere Berge,
Täler und Ebenen dahinströmt und manches Urgestein,
aber auch so viele junge und jüngste Bildungen in ihrem
Bette mit sich fortrollt. Ein Hauptirrtum des hergebrach-
ten Verfahrens war es, zwischen diesen nach Alter und
Wesen so verschiedenen Gebilden keinen durchgreifenden
Unterschied zu machen, in den jüngeren höchstens den ge-
ringeren oder stärkeren Abschliff der äufserlichen Forma-
tion zu beobachten und jede Volksüberlieferuug, die sich
auf deutschem Boden fand, ohne Weiteres für mythisch und
zwar für deutsch -heidnische Mythe zu erklären. Mythisch
sind nun allerdings die meisten Volksüberheferungen, wenn
es gestattet ist, unter diesem Worte zu verstehen, dass in
ihnen einst lebendige Anschauungen, flüssige Ideen ver-
steinert, kristallisiert fortleben, der Mythologie aber brin-
gen nur diejenigen Traditionen Gewinn, welche Gedanken
über Gott, Welt und Menschheitsleben und ihre wechselsei-
tigen Beziehungen zum Inhalt haben 0- Welche Unter-
schiede nun vollends tun sich auf, wenn wir das Alter und
die verschiedenen Arten der Ueberlieferung blicken. Da
haben sich in dem heute noch geltenden Volksglauben
Schichten von Vorstellungen abgelagert, welche der indo-
germanischen Urzeit angehören, andere sind in der Zeit
des späteren germanischen Heidentums entstanden; mit
dem Untergang der Ansenreligion hörte die mythenbildende
Kraft des Volkes nicht auf, sie beschränkte sich nicht auf
die Weiterbildung und Umgestaltung der einmal vorhan-
denen Traditionen; das Christentum trieb, in den Gemü-
tern Wurzel schlagend, seine eigenen Sagenknospen, und
von dieser Seite weit mehr, als durch den Nachweis der
Umkleiduug heidnischer Mythen mit kirchlichem Gewände
wird die Legende ihr tieferes Verständnis finden; endlich
erzeugten und erzeugen sich bei dem naiven Jäger, Sennen
und Landraann von Tag zu Tag neue mythische An-
schauungen und Mythenansätze, die den Gebilden der Ur-
zeit oft zum Verwechseln ähnlich sehen, weil der Volks-
geist, der sie erschuf, im innersten Kerne derselbe geblie-
ben ist, der er vor 3000 Jahren w^ar ^). Schon hieraus
1) In der Betrachtung dieser Beziehungen stimmt die Wissenschaft der
Mythologie mit der der Keligionsgeschichte überein; der Unterschied beider
Disciplinen aber beruht darin, dass jene die Betrachtungen der sinnlichen
Hülle und ihre zeitliche Entwickelung zum Ausgangspunkt macht, woher es
hier hauptsächlich auf die Erklärung der Symbole , der mythischen Bilder-
sprache oder vielmehr bildlichen Naturauffassung der Völker ankommt; bei
jener bildet die historische Entwickelung der ethischen und in engerem Sinne
religiösen Ideen als solcher (Gottheit, Sünde, Erlösung, Unsterblichkeit), den
leitenden Faden. Dass um diese sich in der Tat der Kern der in den My-
then verkörperten Gedanken dreht, glaube ich zunächst in Bezug auf die Un-
sterblichkeit in höherem Grade, als bisher angenommen wurde, nachgewiesen
zu haben.
2) S. hierüber vorläufig die treß'lichen Progianune von Schwartz ,,Der
VII
ergiebt sich, dass die vaterländische Volksüberlieferung
(mithin alles das, was mit dem regsten und wärmsten Ei-
fer seit zwei Jahrzehnten als Material für die Wodanreli-
gion zusammengelesen wurde, insoweit es mythisch ist)
den Stoif für sehr getrennte Disciplinen in sich birgt; alle
aber (um nur die hauptsächlichsten Gruppen hervorzuhe-
ben: die indogermanische Urreligion, germanische Heiden-
mythologie, Legendenlehre und Mythologie des neueren
Volksglaubens) werden als auf demselben Grunde erwach-
sen, eine von der andern zu lernen haben. In den ver-
schiedenen Arten der Ueberlieferung (Sitten und Gebräu-
chen, Sagen, Märchen, Volks- und Kinderliedern u. s. w.)
sind die bezeichneten Schichten von Vorstellungen in sehr
verschiedenen Mischungsverhältnissen enthalten und auf je
eigentümliche Weise, zu verschiedenen Zeiten und in ver-
schiedenem ümfans haben sie alle neben deutschem Erb-
gut vielen fremden, wenn auch meist engverwandten Stoff in
sich aufgenommen. Sie sind deshalb nicht gleichmäfsig als
Quellen für die deutsch-heidnische Mythologie zu verwen-
den. Um herauszufinden, was auf diese bezogen werden
darf, ist es nötig, dass die Untersuchung von der Volks-
überlieferung ausgeht, von jeder einzelnen Tradition die
Verbreitung und so die ursprüngliche Heimat feststellt, so
weit zunächst es möglich ist, den innewohnenden ursprüng-
lichen Gedanken herausfindet und allen innerlich und äu-
Iserlich übereinstimmenden Sagenstoff zusammenzulesen be-
müht ist. So scheiden sich einzelne Gruppen von Ueber-
lieferungen heraus, für die man einen gemeinsamen Ur-
sprung und Grundgedanken voraussetzen darf. Nunmehr
tritt die historische Kritik in ihr Recht ein. Um zu er-
kennen, welcher Zeit die gefundenen Anschauungskreise
ihre Entstehung verdanken, ist es nötig, sie mit den erhal-
tenen Resten mythischer Traditionen aus älteren Perioden
der Geschichte unseres Volkes oder der zunächst verwand-
Volksglaube und das alte Heidentum. Berlin 1850." „Die altgriechisclien
Schlangengottheiten. Beilin 1858."
teil Stämme zu vergleichen. Für die letzte Zeit des ger-
manischen Heidentums ist uns in der skandinavischen My-
thologie ein vrertvoller Mafsstab erhalten, der viele Sagen
und Gebräuche und mit ihnen den ganzen Mythenkreis,
in welchem diese ihre feste Stelle haben, als in vorchrist-
licher Zeit entstanden erkennen lehrt. Nur darf man kei-
nen Augenblick vergessen, dass die Mythen Petrefacten
einst lebendiger Anschauungen und Ideen sind, welche in
sehr verschiedenen Formen sich krystallieren. Es war der
Fehler Wolfs und vieler Anderen, in der deutschen Ueber-
lieferung: fast überall die verderbten und um gestalteten
Reste der nordischen Mythenformen nachweisen zu wol-
len ^), während die einst flüssige Mythe meistenteils in bei-
den ihr selbständiges, nur in den Hauptsachen übereinstim-
mendes Gewand gefunden hat -). Ueberdies ist uns die
nordische Mythologie nicht in der Form ursprünglicher
Volksanschauung, sondern in der Gestalt aufbewahrt, wei-
che sie im Munde höfisch gebildeter Dichter angenommen
hatte; der heutige Volksglaube der skandinavischen Län-
der weist die Mythen der Edda oft in weit roherer
und ursprünglicherer Gestalt auf, und gerade mit dieser
stimmen die Traditionen der südgermanischen Stämme, wie
fast aller indogermanischen Völker Nordeuropas in so merk-
würdiger Weise überein, dass — wo nicht auf irgend ei-
ner Seite Entlehnung dargetan werden kann — , eine ältere
gemeinsame Quelle vermutet werden muss. Reicht schon
bei den mit der Edda übereinstimmenden Mythen die Ana-
logie der nordischen Götterlehre wegen der allzu abge-
schliffenen Form derselben zur Erklärung des Ideeninhalts
nicht aus, wenn derselbe nicht offen auf der Hand liegt,
so wird hier erst recht die Vergleichung einer nah ver-
wandten, aber älteren und noch flüssigen Mythologie not-
1) S. hierüber vorläufig W. Müller, Kiedersächs. Sagen S. XII fgg.
2) Vergl. z. B. die von Müller a. a. O. S. XIII hervorgehobene Mythe
von der geschlachteten und wiederbelebten Kuh in Deutschland und Thors
Wiederbelebung der Böcke nach Wolfs Erklärung mit der unsrigen S. 62 fgg.;
ferner die Entwickelung der nordischen Isömentheologie im Vergleich mit den
Sagen von den deutschen Schicksalsjungfrauen.
wendig. Diese liegt uns in den Vedenhymnen des ver-
schwisterten Indervoliies vor, das mit seinem ganzen Gei-
stesleben dem gemeinsamen indogermanischen Muttervolk
noch sehr nahe stand, als jene Lieder gesungen wurden.
Schon Kuhn und Andere haben den Nachweis unternom-
men, dass viele Mythen bereits bei dem Urvolke vorhan-
den waren, welche wir in späterer Zeit bei den verschie-
denen indogermanischen Stämmen wiederfinden. In dem
Aufsatze über die Gewitter gottheiten S. 1 — 242 ver-
suchte ich diesen Nachweis auf zwei ganze gröfsere My-
thenkreise auszudehnen, indem ich der Ansicht bin, dass
nicht die Uebereinstimmung einzelner Züge, sondern nur
ganzer Anschauungsgruppen nach Kern und Ausführung,
mitunter bis in das feinere Detail hinein, zu dem Schlüsse
auf historische Identität der Mythen berechtigt '). Hiemit
soll jedoch keinesweges behauptet werden, dass alle ver-
glichenen und als übereinstimmend bei Germanen und ve-
dischen Indern nachgewiesenen Züge schon vor der Sprach-
trennung ausgebildet waren, nur ganz gleichartige aber
noch vielfach flüssige Mythenansätze, die bereits ihren Mit-
telpunkt in einer göttlichen Persönlichkeit fanden, erachte
ich in Bezug auf die Gewittersage dargetan. — Als we-
sentlich ist das Zusammentreffen in folgenden Punkten her-
vorzuheben. Beide Götter, Thunar wie Indra, tragen den
flammenden Feuerbart, beide führen den von Eiben (resp.
Ribhus) verfertigten Donnerhammer, der geworfen in ihre
Hand zurückkehrt. Die Trinklust (der Durst auf das Him-
melsgewässer) ist ihnen gemein. Kuhn teilt mir nunmehr
mit, dass wie Thorr bei Thrymr einen Ochsen und acht
Lachse verzehrt, Indra als Gott des verzehrenden Blitzes
nach einer Vedenstclle 7 Rinder aufisst. Wie Indra melkt
Thunar Wolkeukühe; von Eiben und wildem Heer (wie
Indra von den sprachlich und sachlich entsprechenden Ri-
bhus) geleitet, stellt er die getötete Wolkenkuh (den Bock)
1) S. übrigens Kuhns Aufsatz „lieber die wciisen Frauen" Zeitschr. f.
D. Myth. III, 368 — 392 und sein vorzügliches Programm „Die Mythen von
der Herabholung des leuers bei den Indogermanen. Berlin 1858. '•
aus der Haut wieder her. Beide befreien Sonne ^ Mond
und Wasserfrau aus der Gewalt himmlischer Dämonen, die
sich bei Germanen und Indern identisch zeigen und führen
nach Besiegung derselben den Schatz des Sonnengoldes
wieder herauf. Vereinzelt würde man selbst diese concre-
ten Züge aus ähnlicher Entwickelung auf gleichartiger Na-
turanschauung ohne gleiche historische Grundlage erklären
können. In ihrer Gesammtheit sprechen sie die letztere
entschieden an; sie müssen dem gemeinsamen Urvolk be-
reits angehört haben. Was die weitere Ausbildung der
Thunarmythologie betrifi't, die sich, soviel ich sehe, in al-
len uns aus der germanischen Gewitterssge bekannten
Stücken ') mit indischer Sage vergleicht, so wird hier bei
den Uebereinstimmungen eine selbständige Entwickelung
aus gleichen Keimen anzunehmen sein. — Die zweite
Abhandlung „Holda und die Nörnen" S. 242 — 736 beschäf-
tigt sich vorzugsweise mit Mythen, deren Ausbildung ei-
nem weit späteren Zeitalter angehört, als die Thunarsagen.
Ich durfte mich hier mitliin der Hauptsache nach auf ganz
anderes Material stützen als dort. Während jene Unter-
suchuno; vorzu2:sweise in Gebräuchen uralte Anschauungen
nachwies, standen mir hier eine Anzahl von Liedern zu
Gebot, von denen einige dem Kultus der noch nicht er-
storbenen Ansenrcligion selbst, andere dem Fortleben heid-
nischer Sage im Christentum ihre Entstehung verdanken.
Die Bedeutsamkeit dieser Lieder für die Mythologie darf
ich als festwstellt betrachten. Die Er2i;ebnisse, welche ich
aus ihnen zog, sind einfache, oft genug noch dem Irrtum
ausgesetzte Beobachtungen; ich übergebe sie der Prüfung
urteilsfähiger Forscher. Mag es bald gelingen eine feste
Regel für die kritische Behandlung der Lieder zu gewin-
neu; bis dahin hielt ich es für Pflicht, das Material eher
zu umfangreich als zu knapp vorzulegen. Das Hauptergeb-
1) Für die noch nicht besprochene Mythe, dass Thorr Baldrs Scheiter-
haufen mit dem Mjöhiir weiht, werde ich Zeitschr. f. D. Myth. IV, H. 3 eine
indisclie Analogie in einem Hymnus des Atharvaveda aufweisen, wonach der
llolzstofs des Sclieiterhaufens durch den Vajra entzündet wird.
XI
nis der ersten Untersuchung für das Ganze der germani-
schen Mythologie, dass Naturanschauung, mit ethischen
Ideen verknüpft, der Ausgangspunkt der mythischen Ge-
bilde war, wird durch den zweiten Aufsatz gekräftigt und
durch einige tatsächliche Beweise (s, vorzüglich S. 253.
652) jedem Zweifel entrissen. Dieselben typischen Gestal-
ten, welche die vedische und germanische Gewittermythe
uns kennen lehrte, treiben auch in dem Sagenkreise der
Göttinnen ihr Wesen, nur begegnen uns hier sehr viele
spätere, der nachasiatischen Zeit entsprossene, eigentümlich
germanisch ausgestattete Gebilde. Die einfachen Urtypeu
aber, auf welche sie sich zurückführen lassen, finden sich
— wie am Schlüsse zu zeigen versucht ist — bei den
ostarischen Brüdern wieder, und sind für gemeinsames Erb-
gut zu halten.
Hiemit hätte ich in gedrungenster Weise die Haupt-
grundsätze bezeichnet, die mich bei vorlieo-ender Arbeit
leiteten. Es wird in Kurzem gestattet sein, an einem an-
derem Orte mich ausführlicher darüber auszulassen, und
den Mitstrebenden meine Ansichten darüber darzuleo-en, in
welchem Verhältnis unsere Quellen zu einander stehen, auf
welche Weise, mit welchen Mitteln und nach welchem
Ziele hin in nächster Zukunft das Studium der Volksüber-
lieferung bei allen europäischen Völkern einheitlich zu be-
treiben sein wird.
Nicht ohne Besorgnis entlasse ich diese Untersuchun-
gen aus der stillen Hut meiner Arbeitstube. In Stunden
befriedigten Schaffens geboren sind sie unter mannigfachen
Mühen und Entbehrungen, inneren und äulseren Kämpfen
grofs gezogen und ehe sie zu vollkommener Mannesgestalt
heranreifen konnten, treibt eine gebieterische Notwendi^r-
keit sie auf den Markt und ins Leben. Möo-en sie auch
so trotz ihrer Mängel nicht ganz unwillkommen und nutzlos
sein, zunächst aber den Freunden in Süd und Nord in
Deutschland und anderswo einen warmen Grufs und Hände-
druck bringen, die (jedes Blatt dieses Buches ist Zeuge)
schon ihre Wiege mit Patengebinden schmückten. Ein
XII
besonderer Dank gebührt Ludwig Erk, dem treuen Hüter
des Volksliedes, dessen umfassender handschriftlicher Samm-
lung ich mehrere schöne Kinderlieder entnehmen durfte,
welche im Text unter dem Namen der Aufzeichner auf-
geführt sind. Ich hoflPe, dass eine gesunde und unpartei-
ische Kritik sich nicht verdriefsen lassen wird, die Fehler
in meiner Untersuchung zum Besten der Sache aufzudek-
ken, der Fleifs befähigter Forscher das Brauchbare wei-
terzubilden. Will's Gott, werden wir in einigen Jahren
besser ausgerüstet und durch gemeinsame Anstrengung um
ein gutes Stück dem Ziele näher gekommen sein.
Berhn im April 1858.
Wilhelm Mannhardt.
Inhalt.
A. Gewittergottheiten S. 1 —242.
Der vedisclie Gewittergott Indra vergleicht sich dem germanischen Thu-
nar-Thorr.
a) Indra ursprünglich Himmelsgott
im Allgemeinen (Divaspati) 1.
b) Schon vor der Trennung vorzugs-
weise zum Gewittergott geworden,
melkt mit dem Blitzstrahl die als
Kühe gedachten Wolken imd trinkt
von ihrer Milch, dem Regen. Ihm
sind die Rinder heilig 3. 4.
c) Indra als Stier gedacht 36. 37.
d) Indra von Maruts und Ribhus be-
gleitet. Diese melken die Wol-
kenkuh und maclien aus der Haut
der getöteten Wolkcnkuh eine neue
SR— 43.
aa) Thunar-Thörr ein alter Him-
melsgott 2.
bb) Melkt die Wolkenkühe. Dieser
Mythus setzt sich aus vier Teilen
zusammen 4. 1) Auch den Germa-
nen galten die Wolken als Kühe
4 — 7. (Daher der Mythus von den
Elfrindem 7. 8, deren Ursprung in
finnischer Sage noch deutlich her-
vortritt 9. 10). 2) Der Donnergott
steht in engem Verhältnis zum Rind-
vieh 10 — 28, ursprünglich zu den
Wolkenrindern, deren Milch Tau und
Regen ist. ( Der Tau steht auch
sonst zum Gewittergott in enger Be-
ziehung 28 — 33). 3) Einzelne Spu-
ren ergeben , dass Thunar mit dem
Blitzhammer die Kühe melkte, und
4) von ihrer Milch trank 33 — 36.
cc) Thunar = Stier 37. 38. (In der
Anmerkung Excurs über die ver-
schiedene Bedeutung ein und der-
selben Symbole 37 — 41.)
dd) Den Maruts entsprechen die Gei-
ster des wilden Heers und die Mä-
ren 43 — 46, den Ribhus die Elbe
47. 48, die unter sich ursprünglich
identisch sind. Sie alle stehen in
enger Verbindung mit dem Donner-
gott 48. 49. Sie melken die Wol-
kenkuh .50. 52. (Alle Elbe lieben
e) Der Dämon Vritra, der Umhül-
ler, raubt die Wolkenkühe, die oft
als himmlische Frauen (Devapat-
nis) gedacht sind. Indra tötet ihn.
Er sinkt als Regenschlange, Dra-
che (Ahi) zur Erde nieder 75 — 78.
f j Indra trinkt den himmlischen Soma,
das Wolkengewässer, um sich zum
Kampfe zu stärken 9 6 — 99.
g) Indra schwingt die bald goldene,
bald steinerne, bald eherne Don-
nerwaffe Vajra, die geschleudert
stets in seine Hand zurückkehrt
105 — 107, von Tvashtri und den
Kibhus sammt andern Götterklei-
noden geschmiedet ist 107 (111.
42). Der Donnerhammer als
Mudgala personificiert 108. 109.
h) Indras Gürtel Himmel und Erde
114.
daher die Milch 52 — 56). Sie ma-
chen aus der Haut der getöteten
(Wolken-) Kuh eine neue Kuh 57
— 62. Identisch ist die Wiederbe-
lebung des Bocks (= Wolke) durch
Thorr 62. 63. (Auch tote Menschen
■werden auf ähnliche Weise wieder-
belebt 64—67.
ee) Auch die gennanischen Wolkenkühe
wurden zugleich als Frauen ge-
dacht 78 — 80. Sie werden von ei-
nem Dämon gefangen, geraubt, der
dem indischen Ahi identisch ist und
unter den Namen Agi , Uoki = Oe-
gir ( von dem die MiÖgarösschlange
nur eine andere Form ist) Ecke
der deutschen Sage erhalten ist 81
— 92. (Loki ist nur eine weitere
Gestalt dieses Dämons 84 —88 Anm.)
Auch der treue Ekhart ist ursprüng-
lich dem Ahi-Agi gleich 92 — 96.
ff) Thunar labt sich am Wolkengewäs-
ser, daher seine unmäfsige Trinklust
99 — 102. Erklärung der Hymirmy-
the 102 — 105.
gg) Thunar führt den Donnerhammer
Mjölnir, der (golden, steinern oder
ehern) stets in des Gottes Hand zu-
rückkehrt; von den Svartälfar mit
andern Götterkleinoden geschmiedet
ist 109 — 112. Personification des
Donnerhammers 112 — 114.
hh) Thors Kraftgürtel MegingjarSr 115.
i) Der Donner als Indras Stimme, ii) Der Donner Thunars Bartruf 115.
oder als lauttöuendes Heerhorn Ihm eignet ursprünglich das Gjallar-
(Muschel) Devadatta gedacht 114. hörn (Unibos) 115 — 120.
115.
k) Indra fährt auf donnerndem Wa- kk) Thon- fahr ender Gott 121. 122.
gen, den die Blitzrosse zieheii 120. Spuren der Blitzrosse im Thunar-
121. mythus 123. 124.
1) Indra trägt goldenen Bart, den er 11) ThoiT schüttelt im Zorne seinen
im Zorne schüttelt 124. 125. roten Bart 125.
m) Indra Kraftgott. Seine Waffen mm ) Thorr Kraftgott. Hammer und
erhöhen die ihm angeborne Stärke. Gürtel erhöhen seine Stärke. Vater
HeiT der Kraft, Gemahl der Kraft der Kraft. Kraftherscher der Göt-
125. 126. ter 120. 127.
n) Indras Zom 127.
o) Indra Lebensgott, Ehegott, Fami-
lienbeglückei- 129.
p) Indra in späterer Zeit phallisch
(mit der Yöni, dem weibl. Glieds)
gedacht 130.
q) Indra Schützer des Stammes, des
Hauses, der Wohnungen, des Herd-
feuers 131.
r) Indra Heilgott 133. Befreit vor-
züglich von Hautkrankheiten und
bösen Würmern im Körper 134.
135 Anm. 3.
s) Pflanzengeber 136. Viele Ge-
wächse nach Indra und dem Don-
nerkeil benannt 137. Indra giebt
Speise 137.
t) Indra führt das Licht der Ge-
stirne am Himmel herauf 139 —
141.
u) Indra Sturmgott 143.
v) Indra Regengott 143. 144.
■w) Gräbt den Flüssen ihre Bahn 144,
lässt aus himmlischer Milch die
Ströme zusammenfliefsen 145.
x) Macht die Flüsse durchwatbar
146. 147.
y) Indra durchschifft den Himmels-
ocean 147.
z) Indra Schatzgott 148.
a) Indra kämpft im Osten mit den
Dämonen; Herr des Ostens 154.
ß) Indras Gegner sind einer oder
mehrere Dämonen, welche in der
Wolke (die als Berg) gedacht
ist, den Regen zurückhalten (Kühe
und Frauen rauben), die Sonne
und das Gestirnlicht verhüllen, das
Gold, den Schatz der Sonne ver-
bergen 154. 156, oder die Schat-
ten der Nacht heraufftihrcn. Pi-
9Äcas, Druhyus und die raenschen-
fressenden riesigen Räkshasas 156
— 160, die Tiergestalt annehmen).
nn) Thors Zorn (Äsmogr) 128.
oo) Thunar Lebensgott. Spender des
Familienglücks, Ehegott 129. 130.
pp) Thunar phallisch 130. 131.
qq) Thunar Herdgott, Schützer des
Stammes (Gemahl derSif), des Grund-
eigentums 131 — 132.
rr) Thunar Heilgott 134. Heilt Haut-
ausschlag und vertreibt Würmer =
Elbe aus dem Körper 135. Art der
Heilung = der Heilung durch Indra
135. 136.
ss) Thunar Spender des Pflanzenwachs-
tums 137. Nacli ihm benannte Kräu-
ter und Bäume 138. 139. Er spen-
det Nahrung 139.
tt) Thunar giebt Sonnenschein 141,
befestigt die leuchtenden Gestirne am
Himmel (Örvandill- und Thiassimy-
the) 142. 143.
uu) Thunar Sturmgott 143.
vv) Thunar spendet Regen 144.
ww ) Thunar macht aus himmlischer
Milch die Bäche und gräbt den Flüs-
sen das Bett 145. 146.
xx) Thunar durchwatet das Gewässer
(des Himmels) Wato in der Helden-
sage 147.
yy) Thors Schiflahrt 147. 148.
zz) Thunar Schatzgott 149 — 154.
a«) Thors Ostfahrten 154.
ßß) Thors Feinde Riesen und Schwarz-
alfen sind alte Himmelsdämonen 1G8
— 213. Die Riesen heifseu Jötnar
d. h. Esser = skr. atrin 169 (vgl.
S. 162) und Thursar die Durstigen
(weil sie das Regenwasser verschlan-
gen). Die Thursen ursprünglicli
(himmlische) Wasserwesen 169; ihr
Wohnsitz vom ( Iiimmlisclien) Ge-
wässer umgeben 170. Rauben (Wol-
ken-) Rinder 170 und CWasscr-)
frauen 171—174. Rauben und be-
XVI
Endlich bauen sie die 7 Burgen
des Herbstes , sie frieren in den
7 TVintermonaten die Wolke ein
161. Indra Burgenzerstörer (Pu-
randara). Den riesigen Räkshasas
stehen die zwerghaften Panis ge-
genüber 161. Die Dämonen ge-
fräfsig 162. Indra tötet sie schla-
fend 161; kämpft mit ihnen Blitz
gegen Blitz 162 — 164, stöfst sie
mit dem Fufs ins Gewitterfeuer 162,
fesselt sie 165, zerstört ihren Trug
166. Sie wohnen hinter dem himm-
lischen Gewässer 167, sind Gei-
ster böser Verstorbenen 168. In-
dra nimmt die Gestalt der Was-
serfrau an, um den Dämon zu tö-
ten 165. 166.
y) Indra der Wassergebome (Äptva)
213 stirbt, oder flieht nach dem
Siege über die Dämonen 214. Be-
kämpft als Trita die siebenschwän-
zige Schlange 215.
S) Indra Beschützer der Menschen
223, lässt sich von Helden (Hy-
postasen himmlischer Phänomene)
auf seinen Fahrten begleiten 224.
t) Indra Kriegsgott 225. Ihn rufen
die kämpfenden Geschlechter an
226.
sitzen den Schatz (des Sonnengol-
des) 175. 176. Als Wolkenwesen
charakterisiert sie der Besitz eines
Goldbocks, Goldpelzes und ähnlicher
Kleinode, die Abbilder des Blitzes
und der blitzdurchzuckten Wolke
sind 175 — 178, Donnerriese Thrymr
raubt die Wasserfrau Frejja, Thorr
verwandelt sich (wie Indra S. 165.
166) in die Gestalt der Wasserfrau
um ihn zu töten 179. Thunar und
die Riesen kämpfen Blitz gegen Blitz
(Äsmoör und JötunmoSr 179). Beil-
werfende Riesen 180.
Berggestaltete Riesen = Dä-
monen, die mit der Wolke Regen,
Sonne und Mond zurückhalten ver-
decken 181 — 184.
Riesen = Winterdämonen
184. Hrimjjursen. Der jötunische
Baumeister 184 — 186. Riesen füh-
ren die Schatten der Nacht her-
auf 187 — 189. Thorr zerstört der
Riesen Trug (Ütgargaloki) 189. Rie-
sen Seelen Verstorbener 190. 191.
Menschenfresser 191. Hymirmythe
191 — 193. Thiassi 194 — 196.
Iguns der Wasserfrau Raub 196.
Riesen führen Tiergestalt 197. 198.
GeirröSr Gewitterriese 199 — 202.
Thorr tötet die Riesen im Schlaf
203. 204. Die Naturbedeutung der
Riesen war noch lange flüssig 205.
206. Drachen und böse Zwerge sind
ursprünglich mit den Riesen iden-
tisch und Thunars Gegner 207 — 210.
Etymologische Uebereinstimmung der
indischen und germanischen Dämo-
nengestalten 210 — 213.
yy) Thunar aus dem Wasser geboren
216, bekämpft nach dem Märchen
den siebenköpfigen Drachen, wird
nach dem Siege getötet 217. Wei-
tere Erklärung des Märchens 217
—223.
öd) Thimar Freund der Menschen 224,
hat Thiälfi und Röskva, und Örvan-
dill f Blitzpersonificationen) auf sei-
nen Wanderungen als Gefolge um
sich 224. 225.
ii) Thorr Kriegsgott 227 — 231. In
den Kampf ziehend singt das nach
Stämmen und Geschlechtem geord-
nete Heer ihm Loblieder 232.
XVII
t) Indra Jüngling und Greis 232. t^) Thorr Jüngling und Greis 233.
tj) Angerufen erscheint Indra plütz- rjrj) Thors plötzliches Erscheinen 233.
lieh 233. 234.
,9-) Dem Indra -wird auf Bergen luid {)■&) Thunars Kultus auf Bergen und
in Wäldern geopfert 235. in Wäldern 235.
(,) Indra ist der Opferpfeiler heilig u) Thunar sind die Türsäuleu geweiht
236. 236. 237.
y.) Indi-a eignet der Kukuk. Er führt y.y) Thunars heiliges Tier der Kukuk
Widdergestalt. Kinnbackendonner 237. Sein Symbol der Klapperbock
237. mit knirschender Kinnlade 238.
A) Indra Todesgott, empfängt die See- H) Thunar Todesgott nimmt die See-
len Abgeschiedener 238. 239. len bei sich auf 239. 240.
Indra und Thunar gehen auf eine Grundgestalt historisch zurück. Die
Identität Indras mit Wodan ist abzuweisen 241. 242.
B. Holdca und die Nörnen S. 242—736.
§. 1. Der MarienJcüfer 243 — 255. Die Namen und Anrufungen des Ma-
rienkäfers (coccinella) beweisen, dass dieses Insect im Norden Frej'r
und Freyja 242 — 253, in Deutschland der Holda heilig war. Sein
Wohnsitz ist der himmlische Brunnen (d. h. das Wolkengewässer),
der zugleich Kinderbrunnen ist 254. 255.
§. 2. Ilolda 255—273. Untersuchung der Holdamythen. Holda ist
Wasserfrau, ist eine in Wind und Sonnenschein, vorzüglich aber
in Regen und Schnee waltende Gottheit, die in oder hinter der
als Berg, Brunnen oder Waldhaus gedachten Wolke wohnt.
Hier empfängt sie die als Luft hauch ( Spiritus) dem Leichnam
entschwebenden Seelen, die sie verjüngt zu neuer Geburt auf die
Erde zurückschickt. (Wildes Heer; Bergentrückung ; Kinderbrun-
nen; Jungbrunnen).
§. 3. Frrm Rose, Gode, Sole 273 — 321. Im Kinderspiel von Frau Rose
(Gode, Sole) ist ein Chorrcigen erhalten, welcher darstellt, wie
die Seelen vom Schofs der in der Wolke weilenden Göttin (füi*
welche die noch unbekannten Namen Ilrösa [Rose] und Sole sich erge-
ben) abgeholt werden, um sich in menschlichem Körper wiederge-
bären zu lassen.
§. 4. Enrielland 321 — 524. Die Wohnung Holdas, des Marienkäfers
und der Seligen hinter der Wolke ist ein himmlisches Lichtland
= ViÖbläinn mit dem goldenen Palast Gimill 321—336. In
*2
XVIII
Deutschland hat sich eine Erinnerung daran unter dem Namen
Engelland (Land der Engel) in mehreren Volksliedern erhalten.
1) Schwan und Kranich fahren nach Engelland, das zuge-
schlossen ist 328. 329. Dieses Engelland = dem Glasberg
der Märchen 330 — 339; der Glasberg aber ist das lichtblaue
Himmelsgewölbe = ViÖbläinn als Seelenaufenthalt 333 — 338
und als solcher und als dem Kinderbrunnen der Ilolda iden-
tisch noch in Kinderreimen bewahrt 338 — 340. Der Schwan
Psychoporap 341 — 343.
2) In Engelland sind die Mären = Seelen zu Hause 344
—346.
3) Dieses Engelland ist ein coelestischer Sitz. Der Marien-
käfer hat dort seine Heimat 346 — 353. Engelland brennt
(von himmlischen Dämonen bekriegt = blitzdurckzuckte
Wolke, oder im Abendrot glühender Himmel 353 — 355).
Marienkäfer = Mär 355. 356, zieht auch wie die Mären
= Seelen über das (himmlische) Gewässer, um nach Engel-
land zu gelangen 356. Seelenüberfahrt 327—364. Seelen-
reich = Insel (GliS) 365. 366. Käfer und andere Insec-
ten Seelen 367 — 370. Kinderseelen kommen übers (himm-
lische) Gewässer zur Menschenwelt 370; fliegen vor der Ge-
burt mit den Insecten herum 370. 371.
4) Schmetterlinge Seelen 371. 372. Schmetterling fährt als
Seelengeleiter nach Engelland 373, bringt Kinderseelen
373. 374.
5) Engelland Land des Lichtes, woher die Gestirne ihren
Glanz empfangen 375 — 382 (vergl. S. 423) in Sonnenliedem
nachgewiesen. (Weitere Ausführungen über die Sonnenlie-
der. Margareta = Schicksalsgöttin 382 — 385. Katharina
Sonnenheilige 385 — 388.) Die Sonne weilt hinter dem Wol-
kenbrunnen im Lichtlande 389 — 394. (Sonnenlieder aus Spa-
nien, Piemont, Hellas, Böhmen u. s. w. 395 — 397.)
6) Käfer und Schwan fliehen beim Gewitter nach Engelland
397 — 400.
7) Die Wolken werden nach Engelland gewiesen. Dieses En-
gelland Totenreich 400—404.
8) Im Winde fährt die Seele ins Totenreich Engelland 404.
405.
9) Hase (Esel) Seelengeleiter nach Engelland. Hasen (und
Esel) = Elbe, Seelen, Seelengeleiter, Kinderbringer 406
—414.
10) Das kunstvoll gefügte Ei (von Eiben) in Engelland ge-
fertigt 414—419.
11) Nach En gellau d fahren Formel für „vergnügt sein", be-
sonders von der Frühlingsfreude gebraucht 419—424. In
Frau Hollas Seelensitz (hinter dem Himmelsgewässer), im
Lichtreich (Engelland) blühen die herlichsten Gewächse, be-
sonders im Winter 424 — 429. (Märchen von den drei
XIX
Haulemännem 429 — 449. Die Hacldingsage bei Saxo 441
— 444.) Alle Seeleusitze der germanischen Sage sind von
blühenden Pflanzen erfüllt 444 — 446 ; vor allem der Glas-
berg und die Aufenthaltsorte der Eiben = Seelen, in wel-
chen allen das strahlendste Licht leuchtet 447 — 449. Er-
gebniss dieser Untersuchung, dass hinter dem Wolkenbrun-
neu ein himmlisches Seelenreich liegt, das von wunderbarem
Lichte erfüllt ist. In diesem Liclitreich duften die lieblich-
sten Blumen, reifen die schönsten Früchte 455. Analogien
in der keltischen Mythologie 456 — 463. Gewächse in En-
gelland 464 — 467. Aus dem Lichtreich kommt der Pflan-
zenwachstum im Frühling zur Erde und kehrt im Winter
dahin zurück 467 — 472. Die Elbe (Seelen) stellen die Blü-
ten her, oder füllen selbst Pflanzenleib aus 472 — 482. Pro-
totj'pe von Tieren im Seelenreich 482 — 491.
12) Engellands Verschlossensein 491. 492. Im Winter halten
die Dämonen Holda sammt den Seelen und dem ganzen Licht-
land in Verschluss. Ein Chorrreigeu, der davon handelt
492 — 519. Engelland noch in anderer Weise verschlossen
519-523.
Allgemeine Bemerkungen über Engelland. Die Heimat aller
darauf bezüglichen Lieder ist Niedersachsen; die Vorstellun-
gen welche sich daran knüpfen, sind allgemein germanisches
Erbgut 523—524.
§. 5. Holda und die Nomen 524 — 541. Lieder von drei Schicksals-
jungfrauen , welche sich an die Sonnenlieder §. 4. No. 5 anschlie-
fseu und auf das engste mit den Holdamythen in Zusammenhang
stehen.
§. 6. Die nordischen Schichsalsjungfrauen 541—606.
A. Die Nornen als Wasserfrauen 541 — 576. Unter
der Esche Yggdrasill, die sich über dem Ur'Sarbrunnen,
Mimirbrunuen imd dem Brunnen Hvergelmir erhebt, woh-
nen die drei Nornen 541 — 543. Der Uröarbrunnen 543
— 545 sowol als der Mimirbrunuen 545 — 548 und Hver-
gelmir 548. 549 sind H}'i30stasen des himmlischen Ge-
wässers, dem Baume Yggdrasill liegt die Naturbedeutimg
der Wolke zu Grunde 550 — 553. Die iinter demselben
wohnenden Schicksalsgöttinncn sind gleichfalls ursprüng-
lich Wolkenwesen. Zeugnisse dafür aus ihrer Mytholo-
gie 553. 554. Sic sind aus einer gi-öfscren Schar (der
der Wasserfrauen) difiereuziert , aus der sammt ihnen zu-
nächst tlie Valkyren, mit denen sie einst identisch waren,
hervortraten 555. 556. Grundzüge der Valk3Tensage
557 — 560. Aus der genauen Uebereiustimmuug aller con-
creten Sagenzüge bei Nornen und Valkyren geht ihre ein-
stige Identität hervor 560 — 563. Die historische Zer-
gliederung der Valkyrenmythen ergiebt, dass die Schlacht-
jungfrauen einst himmlische Wasserfrauen waren, mithin
auch die Nomen 563 — 568. Dieses Ergebnis befestigt
sich durch die Analogie der Sage von den Völen 568
*2*
— 569, den slavischen Vilen 570—572, den Fylgjen
572 — 574; und von den indischen Lakshmis 574. 575.
B. Die Nornen als Göttinnen des Todes, der Ge-
burt und der Heirat 576 — 594. Aus der Schar der
Wasserfrauen trat zunächst die Göttin der dunkeln, ver-
derbenschwangern Gewitterwolke als tötende Frau hervor.
Indische und griechische Analogien. MoJqu = Mogia
die Tötende 576 — 584. Die römische Morta 584. Norn
bedeutet ebenfalls die Tötende 585. 586. Die tötende
Norn 586. 587. Air den Tod reihte sich die Geburt.
Die geburtfördemde Norn 587 — 593. Schicksalsgöttin
der Heirat. Dreizahl der Nomen 594. 594.
C. Die Nornen als Urteilerinnen beim Götterge-
richt 594 — 601. In späterer Zeit die Weltordnung nach
dem Muster menschlicher Staats- und Rechtsverhältnisse
gedacht. Göttergericht 594 — 597. Die Nomen Urteile
rinnen am Göttergericht 598 — 602.
D. Die Nornen als Göttinnen der dreigeteilten
Zeit 602 — 606.
§. 7. Die südgermanischen SchicTcsalsgöttinnen 606 — 674. Von der jüng-
sten Periode an rückwärts betrachtet.
A. Als Göttinnen der dreigeteilten Zeit 606. 607.
B. Die Schicksalsgötttinnen als Urteilerinnen am
Göttergericht 607 — 609.
C. Die Schicksalsjungfrauen als Göttinnen des To-
des, der Geburt und der Heirat 609 — 637. For-
meln aus der ältesten Poesie 609. 610. Der Schlafdorn
= Schicksalsnagel in der Hand der tötenden Schicksals-
göttin 611 — 615. Noraaspor, die weifsen Flecke an den
Nägeln = Zeichen der mit Krallen in den Tod dahiurei-
fsenden Schicksalsgöttiuuen 615 — 629. Verwandter Volks-
glaube von den Nägeln 629 — 631. Die Schicksalsgöttin
als Geburtshelferin 631 — 637, als Göttin der Heirat 637.
D. Die Schicksalsgöttinnen als Wasserfrauen 637
— 674. Gewebe der Schicksalsgöttinnen 637 — 640, ur-
sprünglich = Wolke. Oberdeutsche Sagen von den Schick-
salsjungfrauen 640 — 643. Held 644. Wilbetta, Warbetta,
Einbetta 644 — 647. Die Schicksalsgöttinnen = Wasser-
frauen 647 — 655. Lieder von den tötenden Schicksals-
jmigfrauen und weifsen Weibern = Wasserfrauen 656 — 661.
Binka 661—604. Frau Sonne (Sole) in Verbindmig mit
den Schicksalsgöttinnen 064. Baum der Schicksalsgöttiu-
nen, Baum der Elbe, Kinderbaum, Frau Hollen Baum =
Wolke 665—670. Die drei Mulimen 671—673.
§. 8. Das Nornenseil. Das Nornenseil umhegt schützend den Landbe-
sitz 674. 675. Goldene Kette von gleicher Bestimmung in deut-
schen Sagen 676; in Kinderliedem 677 — 681; in Segenssprüchen
682; in Rechtsgebräuchen 684. 685. Hochzeitsseil 685. Braut-
XXI
band 686. Goldenes Wiegenband 687, kommt aus Engelland
687 689. Kind im Brunnen der Holda mit goldenem Band um-
wunden 680. 090. Dieser dient dazu die Verbindung zwischen Seele
und Körper zu festigen G90. Körper auszielibares Gewand (liamr,
lih-ham, Wolfsliam, Schwanhemd) 690 — 693. Goldenes Seil =
Wolfsring, Schwauring, Scliwankette 693. Angebinde 696 — 700.
Tötende Halskette, Brisingamen 701 — 703.
§. 9. Noch einmal die Nornenlieder 703 — 709. Vergleichung der
Lieder S. 524 fgg. mit den Ergebnissen der Untersuchung über die
Schicksalsgöttinnen. Ein Lied aus Bremen 708.
§. 10. Schluss 709 — 736. Hauptergebnisse der ganzen Untersuchung:
1) Natur der Seele 709. 2) Seelen = Elbe, Elementargeistcr.
Wütendes Heer 709 — 711. Mären = wütendes Heer und Was-
serfrauen 711 — 715. Alb, Schrätlein, Heimchen u. s. w. 715.
Zwerge 716—719. Kobolde 719 — 720. Wasserelbe 721 — 722.
3) Eiben- und Totenspeisuug und Opfer 722—726. 4) Göttinnen
aus den Wasserfrauon hervorgegangen bald gute, bald böse Elc-
mentarweseu. Holda, Rose im Kampf mit bösen Mären 726 — 728.
5) Aufenthaltsorte der Seelen (Elbe), Wolke (Berg, Brunnen),
Lichtreich (Engelland) 728. 729. G) Totenstrom 729. 7) Wie-
dergeburt 729. 730. Uebereinstimmungen mit der vedischen Theo-
logie 730—736.
GERMANISCHE MYTHEN.
Gewittergottheiten .
Unter allen Vedengottheiten ist keine welche so entschie-
dene Verwandschaft, und Uebereinstimmung mit germani-
schen bekundete, wie der Gewittergott Indra, der in den
meisten Mythenzügen sich auf das genaueste mit unserm
Donnergott (altsächs. Thimar, althochdeutsch Donar, im
Norden Thorr genannt), deckt ' ), so dass die Uebereinstim-
mung mit Wuotan, welche Kuhn festhält, eine andere wei-
terhin zu berührende Deutung nötig macht.
a) Indra erscheint in den Veden, wie öfter nachgewiesen
ist, ursprünglich als der Gott der blauen Luft, ein Him-
melsgott im Allgemeinen, der dem Djaus-Zsvg sehr nahe
steht und vielleicht in älterer Zeit mit demselben eins war.
Wir werden weiter unten sehen, wie ihm die Herrschaft
über alle himmlischen Naturerscheinungen, Eegen, Sonnen-
schein und Wind, gehörte, ein Umstand der an und für
sich schon beweist dass seine Bedeutung über die eines
1) Diese Uebereinstimmung liegt so anf der Hand, dass sie bereits von
früheren Forscliern , welche nur Weniges von Indra und auch dieses nur aus
der späteren Mythologie der Inder wussten, erkannt ist. Ich nenne AVesten-
dorp , Noordsche Mythologie S. 477 (in den nieuwe Werken van de Maat-
scliappij der Necderlandsche Letterkunde te Leyden 1830), Schrader (Germ.
Mythologie S. 147, Anm. 1), neuerdings Leo Zeitschr. f. D. Myth. I, 52; Leo,
Zur Geschichte des deutschen Reiches und Volkes 1854. I. S. 24; Wuttke,
Geschichte des Heidentums II, 243. Am eingehendsten handelte darüber Finn
Magnussen Lexicon Mytliolog. 948. 949. Eine nähere Begründung vom heu-
tigen Standpunkte der AVissenschaft aus ist meines Wissens noch nicht ver-
sucht.
1
blofseu Gewittergottes hinausgeht. Er heifst gradezu di-
vaspati Herr des Himmels (vgl. diespiter) ' ), sein Haupt-),
oder vielmehr nach vedischer Ueberlieferung, sein ganzer
Körper hatte 1000 Augen, die leuchtenden Sterne,
aa) Dasselbe war bei Thunar der Fall. Auch von diesem
werden die folgenden Blätter den Beweis liefern, dass er
nicht allein im Strahl des Gewitters, sondern ebensowohl in
Regen, Wind und Sonnenschein sein göttliches Walten den
Menschenkindern offenbarte. Seine Natur als Himmelsgott
geht aber noch besonders aus einer nordischen Ueberliefe-
rung hervor, welche ihm den Himmel Bilskirnir zur Woh-
nung giebt, ein Wort das nach Finn Magnussen „den Sturm
durch Heiterkeit vertreibend", „durch den Sturm erheitert,
klar" oder „bald windig, bald heiter" bedeutet^). Thors
Palast Bilskirnir, heifst es, hat 540 Stockwerke. Er ist
das gröfste von allen Gebäuden, die je gemacht
wurden*). Ist hier der ganze Himmel und zwar nicht
allein der regenh altige wolkenumzogene, sondern auch der
hellglänzende blaue Aether als Thors Wohnung unverkenn-
bar bezeichnet, so zeigt das deutsche Wort „donner-
grau" dass man auch bei uns von dem Gedanken an den
Donnergott die Erscheinung des graubewölkten Himmels-
gewölbes nicht trennen konnte ^ ). In der Tat erklären
sich viele Züge der Thunarmythe nur durch die Annahme,
dass Thunar ursprünglich die allgemeinere Bedeutung eines
Himmelsgottes hatte, ehe er auf die Herrschaft über das
Gewitter eingeschränkt wurde.
b) Vor der Sprachtrennung muss jedoch schon bei bei-
den Himmelsgöttern Indra wie Thunar die Beziehung zum
Gewitter den hervorragendsten Bestandteil ihres Mythos
1) Lassen, Indische Alterthumskimde I, 755.
2) Manu III, 86; IV, 39.
3) Lex. Myth. 305.
4) Grimuismäl 24. GylfaginHiug 21.
5) Anders geht „blitzblau" auf die mitunter bläuliche Farbe des
Blitzes. Myth. 2 161. Grimm D.W. II, 131 Zs. f. D. Myth. III, 386 ; vergl.
„das Blaue, das vor dem Donner herläuft" der Blitz. Agricola Sprichwörter
1529. II, 92a.
ausgemacht haben, was die genaue Uebereinstimmung der
darauf bezüglichen Sagen bei Indern und Germanen be-
weist. Die Wolken sind als Indras Kühe gefasst, die er
mit dem Blitz, seinem himmlischen Hammer, melkt, so
dass sie ihre Milch den Regen auf die Erde erquickend
niederträufeln lassen. Vedische Lieder drücken sich wört-
lich so aus: „Indra, der aus der Wolke Dunkel mit schim-
merndem Blitzstrahl rinnende Wasser melkt" ' ). Ein Bei-
name ludras ist daher döhan der melkende oder gaväm
gopati der Kühe Hirt ^). Wie der Mensch au dieser himm-
lischen Milch sich labt, so trinkt der Gott selbst in vollen
Zügen vom herrlichen Nass „du trankst von den Kühen,
du trankst vom Söma, o Held'"^). Mitunter galt auch die
Auffassung der Wolke als Stier. In einem Hymnus an In-
dra und Vayu heifst es „Unsere (Erden)kühe haben ihre
Milch gegeben, die Gerstenkuchen sind gekocht. Deine
himmlischen Kühe sollen nie schwach werden, nimmer sol-
len sie dahinschwinden. Die Luft mit ihrem Gebrüll er-
füllend kommen herbei deine starken gewaltigen Stiere. Man
sieht sie bald unbeweglich, bald mit reifsender Schnellig-
keit über die Weiten des Himmels sich verbreiten wie Son-
nenstrahlen und eine Kraft entfalten, die nichts zu bändi-
gen vermag". Darum sind auch die irdischen Rinder Indra
heilig, ihm fallen sie als Opfer'*) und er gewährt den From-
men kühereiches Besitzthum^) sammt viehnährender Weide '^).
„Der du die leuchtenden die in den Wolken sind, herbei
die Kühe uiederschiefsen liess't mit Macht, du deh-
nest uns stier-rossereiche Heerden aus"''). Hievon heilst
er gödah, Kuhspender. Er füllt die ausgetrockneten Euter
der Himmelskühe ^), von ihm kommt auch dem Euter der
1) Rig\-eda cd. Rosen h. XXXIII, 10.
2) Rigv. Rosen h. CI, 4.
3) Rig\'. Rosen XXXII, 12.
4) Rigv. Rosen CXXI, 7.
5) Rigv. Rosen IX, 7; LXXXIII, 1.
6) Rigv. Rosen XXX, 13.
7) Samav. Benfey I. C, 2, 4, 8.
8) Rigv. Langlois sect. V. lect. I, h. 11, v. 4.
irdischen Kuh die Milch'). „Den Kühen, die noch nicht
gekalbt hatten", heifst es in einem andern Hymnus an In-
dra, „schwarzen wie roten gabst du weilse Milch" '^). Aus
diesem Grunde wird Indra süfse oder dicke Milch als Opfer-
speise dargebracht^), nicht minder Butter*).
bb) Thunar melkte, wie Indra, die Wolken, seine himm-
lischen Kühe mit dem Blitzstrahl und stärkte sich durch
den Genuss der Milch. Ich glaube diesen Mythus mit Si-
cherheit aus vier Bestandteilen zusammensetzen zu können.
Zunächst galten auch bei den Germanen die Wolken als
himmlische Kühe. Ihre Milch war der niederfallende Tau
oder Regen. Ein Rest dieser Anschauungsweise lebt in
goth. DAGGVUSmPf?, altn. döggr, ags. deäv, ahd. touwi,
mhd. tou, nhd. tau, scliwed. dagg, dän. dugg, nl. dauw,
engl, dew fort, das nach Kuhns Vermutung zu skr. döha,
die Milch, von duh, ziehen, gehört^). Der Tau also hätte
1) Rigv. Rosen XXX, 11.
2) Rigv. Rosen LXII, 9.
3) Rigv. Rosen V, 5.
4) Rigv. Rosen LIV, 7.
5) Bei Weber Ind. Studien I, 327. Gestützt wird seine Ansicht durch
das altschwed. döggja lactare Ihre 318 aus dauggja, goth. DAGGVJAN, das
ich des Vocalismus wegen nicht mit J. Grimm (Diphthonge nach ausgefallenen
Cousonanten 221) zu goth. daddjan aus dandjan stellen kann. Dieses Wort
niüsste altschwed. dcggja lauten; goth. dauddjan, worauf döggja führen würde,
ist sprachlich unmöglich (vgl. altn. veggr = YANGJS, tveggja = TVANGJA,
egg = ANGJ mit goth. vaddjus = VANDJUS, tvaddje = TVANDJE, addi
= ANDJ). Die Sanskr. Media entspricht sehr häufig mit unterbliebener
Lautverschiebung der germanischen z. B. tandh = iindan, Sudhna ^ nd.
ioddera, ahd. ^jotam, c/ruh = (Zriugan. So bewahrte dauhtar den Anlaut
von duhitri (die Melkerin, die Tochter) döggja, melken machen den von duli
lat. ducere, ziehen, während daneben goth. tiuhan, ahd. ziohan die Verschie-
bung zur Tenuis ausführte. Irrig stellt Kuhn a. a. O. nd. dank, starker See-
nebel, zu döha. Es gehört zu altn. boka aus buka, dän. taage caligo (vgl.
draabe, altn. drop, aag altn. ok, laag altn. lok) und setzt eine Sanskritwurzel
tugh, tuh voraus. Diese ist in tuh, glänzen, erhalten, weher tuhina pruina,
nix gelu, neben tushära pruina, nix (Bopp gl. Sanscr. 155) kommt. Verwandt
ist die Sippe [jAGGVUS? [lAGGVJV altn. j^eyr ventus egelidus, ags. pavan
regelari, ahd. doan, döwan regelari, tepere, nhd. auftauen (mit unorgani-
scher Verschiebung Gramm. I ^ 479. J. Grimm Diphthonge nach ausgefallenen
Cousonanten 201) schwed. tö regelatio, dän. töe, hoU. doi (vgl. 6i, höi, stroi =
avi, havi, stravi). Während obiges döggja von wrz. duh, melken, abzuleiten ist,
gehört goth. daddjan zu -«tz. dha, Milch geben, mit dhenu, die milchge-
bende, säugende (Kuli) öt^P.i^-, ziOtiV}], üriXri.
dem Germanen himmlische aus den Wolken geflossene Milch
bezeichnet. Der Volksglaube bestätigt diese Etymologie.
In Ostfriesland sagt man, die Hexe könne dem Vieh da-
durch schaden, dass sie auf der Weide den Tau vom Grase
streicht^). Daher heifsen in Holstein die Hexen dau-
striker (Tauabstreifer). Wenns Maimorgens getaut hat,
giebt es ein gutes B u 1 1 e r j a h r. An einem solchen Mor-
gen ging eine Hexe vor Sonnenaufgang auf die Felder ih-
rer Nachbarn, nahm den Tau mit grofsen Linnenlakeu auf,
wrang dann die Tücher aus und sammelte die Flüssigkeit
in eine Kruke. Davon tat sie, wenn sie buttern wollte,
jedesmal einen Löflfel ins Fass, indem sie dabei sprach : „üt
elk hus en läpel vuU". Damit nahm sie den Leuten, de-
nen die Felder gehörten, so viel von ihrer Butter. Ihr
Knecht musste kamen. Als er einst allein butterte, nahm
er auch einmal aus der Kruke, sagte aber, weil ers nicht
recht verstand: „üt elk hüs en schäpel vull". Dann fing
er an zu kamen, und da gab es so viel Butter, dass sie
durch das ganze Haus lief und die Leute nichts damit an-
zufangen wussten-). Eine Bäuerin in der Oberpfalz ging
jedes Jahr am Tage Walburgis vor Sonnenaufgang
mit einer Sichel in ihre Felder, schnitt damit drei Gras-
halme ab und sprach: „O du guter Walberntau, bringe
mir, so weit ich schau, in jedem Hälmchen ein Tröpflein
Schmalz". Sie hatte dann das ganze Jahr Schmalz d. i.
Butter genügt). Durch die Uckermark, Priegnitz, Meck-
lenburg bis südlich ins Göttingische hinein, zieht sich die
Sitte am ersten Pfiugsttag, wenn die Kühe zuerst zur Brach-
weide getrieben werden, der vordersten einen Maibusch
an den Schweif zu bhiden. Dieser Busch heifst dauslei2)e
(Tauschleife) und die Kuh daufäjer oder dauslöpper*).
1) Myth'CLIX, 1118 aus westphäl. Anzeiger 1810, GS fgg.
2) Müllenlioff, Schleswigholst. Sag. S. 5G5 No. DLXXIII.
3) Panzer, Beitrag zur deutschen Mythologie II, 301.
4) Kuhn, Märkische Sagen 31G. Kuhn, NuriUl. Sag. 379. 380. Grcnz-
hoten 1855 S. 33G. In einigen Gegenden der Altmark heilst der, dessen
Pferd zuerst zur Weide kommt, Tauschlepper. Kuhn, Märli. Sag. 317.
Auch bei den Iren soll man durch Einsammlung einiger
Tropfen Tau von einer Viehweide am ersten Maitag den
Kühen die Milch benehmen können. Geht aber der Wirt
oder Besitzer so zeitig aus, dafs er zuerst den Tau sam-
meln kann, so bleiben die Tiere vor Zauber bewahrt. Liegt
den angeführten Gebräuchen der Glaube zu Grunde, dass
der Tau als himmlische vom Grashalm oder Laub aufge-
fangene und bewahrte Butter oder Milch die irdische im
Butterfass oder Euter der Kuh mehrt — denn wie sollte
ein wenis: Tau sonst eine Tonne Milch schaflten oder zum
Buttern fähig sein?') — so spricht ein alter beim Milch-
stehlen ano-ewandter Zaubersegen den himmhschen Ur-
Sprung der Milch unverholen aus^). Man nimmt Weih-
wasser, sprengts im Stall umher; dazu bringt man Gun-
reben, Meerlinsen und Salz und ruft: „ich gib dir
gunreben, merlinsen und salz, gang üf durch die wöl-
ken und bring mir schmalz, milich und molken".
Die Anrede galt wol dem im Stall bei Rindern und Pfer-
den geschäftigen Hauskobold ^), der das Opfer Thunar sei-
1) Während der Holsteinische Gebrauch diese Anschauung ganz deut-
lich und rein erhält, lassen die Oberpfälzische und die Altmärker Sitten, die
zu einer Zeit ihre jetzige Form erhalten haben, als man das alte Symbol des
Taus als himmlischer Milch nicht mehr recht verstand, die Himmelsmilch
durch Vermittelung des Laubes imd Grases in den Euter der Kuh kommen.
Dass aber in der That jene Auffassung die ursprüngliche war, zeigen ein
paar weiter unten anzuführende Gebräuche (s. S. 27). In Frankreich (Cha-
rente) ist der Gebrauch des Tauabstreifens ebenfalls rationalistisch mit der
nahe liegenden Vorstellung verbunden, dass der Tau den Pflanzenreichtum
mehrt. Wenn man am ersten Mai in aller Frühe hingeht und ein Stück
Leinwand in den Tau der Wiese des Nachbarn taucht, bekommt man dop-
pelt so viel Heu als sonst und der Nachbar behält nichts. De Nore mythes
coutumes et traditions des provinces de France 153.
2) Myth.* CXLH, XXXVH., Mone imd Aufsess Anzeiger für Kunde des
deutschen Mittelalters 1834. HI, 278. Aus der Pfalz. Hs. No. 212 des
16. Jahrh. Bl. 53 b. fgg.
3) Vielleicht der Sonne, wie Menzel meint. Pfeiffers Genuania I, 79.
Die blaublühende Gunnrebe ahd. gundereba, nhd. Gundelrebe, Gunderebe,
Gundermann (hedera terrestris) war wegen ihrer dem Blitz ähnlichen Farbe
s. S. 2. Anm. 5 Thunar heilig (Mnh. ^ 1162) und wird deshalb seinem Bo-
ten, dem Kobold, dargereicht. Sie hiefs auch Donnerrebe. Beim ersten
Austrieb auf die Weide werden die Kühe durch einen Kranz von Gunde-
reben gemolken. Wer einen solchen auf dem Kopfe trägt, vermag die
Hexen zu erkennen. Dem Letten hiefs der Gundermann Pehrkones nach
nein Herrn in den himmlischen Wolkensitz hinauftragen
soll. Ein Kinderspruch lautet:
Blaue, blaue Wolken!
Maria hat gemolken
Sieben Küh' in einem Stall,
Jungfer Katharina ' ).
Vielleicht ist auch das oldenburgische Regenlied:
Et rägent melk un stüten
Dem büren op de snüten'^)
nur eine rationalistische Umbildung eines älteren Spruches,
welcher den Regen gradezu als himmlische Milch ansah.
Wie dem auch sei, ist der Regen himmlische Milch, so
müssen die Wolken als himmlische Kühe betrachtet sein.
Ein Volksrätsel aus Kalmar -Län in Schweden fasst sie
noch geradezu als solche^): En svartböglig kö gick öfver
stängalösa bro, ingen man i detta land denna köen mota
kan. d. i. : eine schwarzrandige Kuh ging über eine pfei-
lerlose Brücke; kein Mensch in diesem Lande die Kuh auf-
halten kann. Auflösung ist „die Wolke" (molnet)*).
Aus diesen Wolkenrindern ist der Mythus vom Elf-
stier und den Elfkühen (waterbuU, tarroo-ushtley) erwach-
sen, welcher Germanen und Kelten gemeinsam gehört. Aus
dem Blitzgott Pehrkoii. Die Meerlinse, paucratium maritimum , heifst
auch Machtblume, Machtlilie, Kraftlilie. Dies erinuert an Thors
Beinamen Thrüöaräss, Kraftgott. Das Salz dient dazu, die verzauberten Wol-
kenkühe zu vermögen, ihre Milch der Erde zu spenden. Vgl. den norman-
nischen Aberglauben: De peur, qu'une vache qu'on vient d'acheter n'ait re9u
un sort, qui Tempeche de donner du beurre on lui met du sei fondu au pis
et h, la naissance de la queue ainsi, que dans le vase oü on doit la traire
pour la premiere fois. De Nore mythes coutumes 270. Ebendas. : Wenn
man Milch verkauft, oder verschenkt, wirft man vorher etwas Salz hinein,
um die Kuh, von welcher sie kommt, vor Zaubereien zu schützen. Auch
bindet man der Kuh etwas Salz an die Ilörner. De Nore 265.
1) Sirarock, Kinderbuch * 213, 869 Katharina ist Sonnengöttin. Die
Zahl 7 ist aucli inylhiscli. Wir kommen auf dieses Lied ziu-ück.
2) Thöle und Strakerjan aus dem Kinderleben 98.
3) Dybeck Runa 1849 No. 4. Zeitschr. für deutsche Mythologie III,
353 97.
4) Man vgl. oben S. 3 die Vedenstelle vom unaufhaltsamen Lauf der himm-
lischen ^^'olkcnküho. — Als Ochsennanüe wird Skftldskaparm C. 75 Sn. E. 587
himinrjotr, Ilinnuelsschnavclier (?) oder liiminnhjörtr, llimmelsliirscli, himin-
hrjöSr, der den liinuuel (durch Kegen?) ausleerende gen.-innt.
dem Meer, einem See oder Sumpf, glaubte man, steige
ein mausfahler oder apfelgrauer Stier hervor, der sich un-
ter die Heerden der Menschen mischt, mit den Kühen rie-
senstarke Kälber zeugt und auf wunderbare Art sich un-
sichtbar machen kann'). Auf den Foeroeer glaubt man,
dass grofse fette Kühe unsichtbar unter dem übrigen Vieh
•weiden, die dem See oder Meer entsteigen (sseneyt, sjekyr).
Man trifft sie besonders iu der heiligen Dreiköniscsnacht.
Durch ein Kreuz, das man auf ihren Rücken ritzt, wer-
den sie fest gemacht und an die Stätte gebunden. Sie
sind viel milchreicher als irdische Kühe und werden
von den Bauern gern gesehen. Unverwandt blicken sie
nach dem Wasser^). Zwar scheidet hievon die Foeroeische
Sage die Kühe des Hulduvolkes (hulduneyt), welche stets
landeinwärts schauen und, obwol auch sie sehr milchreich
sind, von den Bauern nicht gern gesehen werden, da das
Hulduvolk sie zurückfordert. Allein mit Recht stellt
Grimm ^) mit dem Elfstier die blauen oder gestreiften Kühe
der norwegischen Huldre*) zusammen, welche mit den im
Berg heimischen goldgehörnten Kühen der Zwerge und
Elfen übereinkommen ^ ). Eine Foeroeische Sage lehrt, dass
der Hulduochse auf einem Eiland sich aufhält und man,
um zu ihm zu kommen, übers Wasser setzen mufs®). An-
1) Myth. 2 458. Russwurm Eibofolke II, 253 §. 382, 5. 6, Thiele Danske
folkesagn 1843 S. 36. 255. 257. Eyrbyggjasaga c. 63. Büsching, Wö-
clicntl. Nachrichteu III, 90 fgg. Grimm, Deutsche Sagen I, 59. Harrys,
Sagen Niedersachsens I, 47. Kuhn, Hagens Germania IX, 97. Brand, Po-
pulär antiquities III, 313 fgg. Grimm, Irische Elfenmährchen XL VI. CXXI.
Aus irischen IlL-iligenlegeuden weist den Elfstier nach Wolf, Zeitschr. f. deut-
sche Myth. I, 353 fgg.
2) Antiquarisk tidskrift 1849—1851 S. 200.
3) Irische Elfenmährchen CXX.
4) Faye, Norske Sagn S. 39. 42. Sagabibliothek, übers, v. Lachmann
I, 274: „Zuweilen bei rauhem Wetter treibt Hulda ganze Heerden schwarz-
grauer Kühe und Schafe in die Wälder", wie Simrock, Handbuch der deut-
schen Myth. 248, bereits richtig bemerkt „offenbar vom Wind gejagte
Regenwolken ".
5) Steffen, Märchen und Sagen des Luxemburger Landes S. 105. Dy-
beck, Runa 1845 S. 50. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachwissensch. IV, 99.
Beehstein, Sagenschatz des Thüringer Landes II, 137, 30. Conway, Journey
fhrough Norway S. 240. Faye, Norske Sagn 37. Essendrup over Lier S. 30.
6) Antiquarisk Tidskrift 1849—1851 S. 328.
dererselts beschreibt Finn Johannsen die Kühe der im Berg
wohnenden Isländischen älfar gradeso wie die Foeroeischeu
saBk}r: Armeuta eorum, si uon quidem numero sunt per-
multa, tamen quaestuosa, quae pariter ac domini invisibi-
lia sunt, nisi quando apparere placet, quod sereno aere et
splendente sole plerumque fieri solet ' ). Kein Zweifel
über die ursprüngliche Einheit beider Fabeltiere sowie über
ihre mythische Grundlage kann obwalten, wenn es uns wei-
terhin gelingt zu zeigen, dass die bald als Berg, bald als
See oder Brunnen gedachte Wolke der ursprüngliche Wohn-
sitz aller Elbe war und dieser erst später auf der Erde lo-
calisirt wurde.
Bestätigend greift hier ein, dass die Finnen schon sehr
früh die Darstellung der Gewitterwolken, Seen und
Quellen als E-inder von den Germanen entlehnten. So
wandert ein See in Gestalt eines grauen Rindes durch die
Luft aus seiner früheren Heimat^). Maie, eine junge Frau,
hat ihren Gatten erschlagen und flieht vor den Verwandten
desselben und ihren eigenen Gewissensbissen, bis sie den
Tod in den Fluten findet:
Maie ging zu flehn den Farren:
Eile mir zu Hilf, o Farre.
Hört's der Farre, gab zur Antwort:
„Steig' auf meinen Nacken nieder,
Rück' zurecht auf meinen Rücken,
Weg dich führ' ich weit ins Wasser,
Trage fort dich unters Ufer.
Dahin nahn der Netze Männer,
Nahn der Netze junge Männer,
Alte Garnenauserbeuter,
Werden die dich dort entdecken" ^ ).
Ein anderes Lied beschreibt „die Fahrt zur Stadt" :
1) Finnus Johannaeus historia ccclesiastica Islandiac. Havniae 1771.
t. II. period. IV. Sect. II. Cap. I. §. 18. S. 309.
2) Das Inland, eine Wochcuscbrift für Liv-, Ehst- und Kurlands Ge-
schichte, Geographie, Statistik und Literatur. Dorpat 18'17. No. 43. S. 1021.
3) Neuss, Ehstnische Volkslieder S. 5-5.
10
Ruderten das SchiflP zur Stadt hin,
Von der Stadt fort unter Riga,
Fort von Riga nach Fellin hin
Brüllte des Meeres schwarzer Bulle' ).
Toüra = toüras, Rind, ist eine Bezeichnung des Quell-
gottes und der aus den Dünsten des Wassers aufsteigen-
den Gewitterwolke-). Da dem Finnenstamm in seinen al-
ten Sitzen das Rindvieh unbekannt war^), so ist wol kein
Zweifel, dass er die durchaus characteristische Vorstellung
der Wolke als Rind von den Germanen übernommen hat,
vielleicht schon zu einer Zeit, als die Localisirmig der
himmlischen Gewässer auf der Erde bei diesen begonnen
hatte.
Der zweite Umstand, welchen ich für das Vorhanden-
sein jener vedischen Sage bei den Germanen geltend ma-
chen darf, ist ein aus mannigfachen Zeugnissen erhellendes
enges Verhältnis des Donnergottes zum Rindvieh. Stiere
fielen Thörr zum Opfer •*). Wie Thörr selbst hiefs der
Stier Vingnir^). Beim ersten Weidetreiben legt man eine
Holzaxt mit rotem Weiberstrumpf überzogen auf
die Stallschwelle, damit jedes Stück Hornvieh darüberschrei-
tet®). „So man ein chue an die waid treibt, so grebt man
ein ekkl unter den gatern und treibt das viech darüber,
1) Neuss a. a. O. 232, 18.
2) Kreutzwald und Neuss, Mythisclie und magische Lieder der Eh-
sten 116.
3) Dies wird u. a. dadurch bezeugt, dass die meisten finnischen Benen-
nungen für das Rindvieh aus dem Germanischen entlehnt sind. Vergl. finn.
nauta = altn. naut, läpp. Truohsa = altn. oxi, finn wasikka = skr. vaska.
Finn. ehstn. härg bos bedeutete ursprünglich, wie noch heute das lappische
herke, Eennthier.
4) Tliorgils Oerrabeinsfostri opfert Thörr einen Stier. Lex. myth. 947.
Man weihte nach der Eyrbyggyasaga Thorr Kälber, die man aufzog und ihm
als Ochsen schlachtete. Aehnlich erzählt Procop de beUo Gothico III, 14
von den slavischen Slovenen und Anten: &töv fih' ydo tÖi' t ij g rlaroa-
nri^ dr}tii,ovQyov (ctäi'vcjv y.voiov iiövov alxov vofiCQovaiv ilvcii, xul 6h v-
ovan' ai'To) ßoaq t£ y.al iioflct artarra.
5) Skäldskapann. C. 75. Sn. E. I, 587. Wie Thorr der himmlische
Schmied ist (Myth. ^ 165) heifst der Stier auch smiör.
6) Myth. '"CVIL 929.
11
so mag man sew nicht zaubern" '). In Hessen führt man
ein nengekauftes Stück Vieh stillschweigend mit zurückge
haltenem Atem in den Stall, nachdem man zuvor ein Beil
unter die Schwelle gelegt hat. Es schreit dann nicht ^).
Dasselbe geschieht an einigen Orten am Harz"^). In Bunz-
laus Umg-egend bindet man den Kühen beim ersten Wei-
detreiben ein rotesFlickchen um den Schwanz, so kön-
nen sie nicht behext werden*). In der Provinz Preufsen
legt der Hirt beim ersten Weidetreiben eine Holzaxt in
jeden Torweg und lässt die Heerde darübergehen ^). In
der Mark muss das Vieh über eine Hühnerei und einen
roten Rock gehen"). Wenn am Mai tag, demselben
Tag, an welchem der Tau gestrichen wird die Kühe aus-
getrieben werden, legen einige Leute in der Altmark ein
frisches Ei sammt einem Beil unter die Schwelle und
bedecken beides mit einem Rasenstück. Das schützt vorHexe-
rei'). In Osterrode legte man Beil und Feuerstahl in
eine blaue (S. 2. Anm. 5) Schürze gewickelt inwendig vor die
Stallschwelle, um die Kühe darüber schreiten zu lassen®).
In der Wetterau lässt man ein neugekauftes Stück Vieh über
dreierlei Stahl (gewöhnlich eine Sichel, einen Feuerstahl
und ein Messer) gehen^). In Niederbaiern teilt man ein
geweihtes Gründonnerstagsei, wickelt jede Hälfte in
Leinwand und legt davon die eine in den Pferdestall, die
andere in den Kuh st all. Zu Passau backt man zwei
über Kreuz gelegte längliche Nudeln und tut sie mit einem
Gründonnerstagsei am Sunewendtag, der Thuuar hei-
1) Papiercod. des XIVten Jalirluinderts zu St. Florian. Myth. ' XL VII,
19. Ekel bedeutet Stahl, das schneidende Werkzeug. Gatere ist hier das
Hoi'tor.
2) Wolf, Beiträge zur deutschen Myth. I, 219, 206.
3) Mitteilung Proehles.
4) Myth.' CLVIII, 1098.
5) Neue Prculs. Provincialbl. VIII, 190. Tettau und Temme, Preufs.
Sagen 2G3.
6) Kuhn, Mark. Sagen 380. No, 5.
7) Temme, Sagen der Altmark 85.
8) Journal von und für Deutschland 1788. II, 425.
9) Wolf, Beiträge I. 219, 205.
lig war, dem Vieh in den Barn '). Für die Hut zu Ro-
dershausen mussten die Bauern von Parenseu den Herrn
von Plesse jährlich ein Paar rote Hosen als Zins geben ^).
Wenn in Bels^ien ein Stück Vieh «riftio-e Kräuter s:eo;essen
hat, siedet man rotes Garn in Asche und bindets ihm
warm um den Hals ^). In England : To eure blisters in a
CO WS muth, cut the blisters then slit the upper part of
tail insert a clove of garlic and tieapiece ofred cloth
round the wound ^).
In Skandinavien trieb der Knecht, wenn er seine Früh-
lingsarbeit auf dem Acker begann, sein Zugvieh über eine
Axt^). Bei den luselschweden auf Worms macht mau,
wenn das Vieh zuerst im Frühjahr ausgetrieben wird, in
der Pforte ein Feuer an, oder legt ein Beil hin. Wenn
dann ein Stück Vieh hineintritt, glaubt man (auf Nuckoe)
dass ihm in dem Jahre ein Unglück bevorstehe '''). Diese
Gebräuche sind von den Germauen auf benachbarte Volks-
stämme übergegangen. Für Frankreich bezeugt eine ähnliche
Sitte Thiers in seinem Traite des superstitions Paris 1697^):
Enfouir une — ®) sousle sueil d'une ecurie ou d'une eta-
ble ou pendre dans l'une ou dans l'autre des briques en croix
pour empecher que les chevaux et les autres bestiaux
ne soient malades ou maleficies et que les vaches ne
tarissent. Die Ehsten stellen in der Nacht auf den er-
sten Mai Sensen und Beile vor ihre Viehstalltüren, da-
mit die Hexen nicht eindringen und dem Vieh schaden
können ^). Auch legen sie ein E i vor die Stallschwelle
1) Panzer, Beitrag II, 213.
2) Meier, Pless. Ursprung 18-4. Müller und Schambach, Nietlersächs.
Sagen 330, 20.
3) Wolf, Beitr. I, 220. 224.
4) Notes and queries I, 349.
5) Kirchner, Thors Donnerkeil S. 87 nach Nielsson, Skandinav. urinvaneme.
6) Russwurm, Eibofolke. Pieval 1855. II, 102. §. 299.
7) Bei Liebrecht, Gervasius von Tilbury S. 243, 296.
8) Hier ist das Wort, worauf es vorzüglich ankommt, ausgelassen, weil
der Verfasser, der den Aberglauben als verderblich bekämpft, die Gelegenheit
abschneiden will, ihn nachzuahmen.
9) Kreutzwald -Boeder der Ehsten abergläubische Gebräuche und Ge-
wohnheiten S. 86.
13
und geben Acht, ob ein Stück Vieh dasselbe zertritt. In
diesem Fall erlebt es den nächsten Winter nicht ^). Kreutz-
wald erkannte bereits, dass diese Gebräuche den Deutschen
entlehnt sind. Bei den slavischen Kassuben in Westpreu-
fsen wird beim ersten Weidetreiben eine Scherbe mit
Feuer, worin sich geweihte Kräuter befinden, unter die
Stallschwelle gesetzt und die hinausschreitende Kuh damit
beräuchert -), gerade so, wie man in einigen Landschaften
Schwedens das zum erstenmale im Frühjahr ausgetriebene
Vieh über brennenden Zunder oder anderes Feuer
leitet 3).
Alle angeführten Gebräuche zeigen eine entschiedene
Beziehung auf Thunar. Dieser führte das Beil als gött-
liche Waife*), ebenso ist der Feuerstahl sein Symbol^).
Nicht minder eigneten ihm Hulin^) und Ei, auch das
rote Tuch, wie überhaupt rote Farbe war ihm ge-
weiht'). Das Feuer ist Abbild des Blitzbrandes, den
Thunar entzündet^). Unter den Vögeln war ihm vor-
züglich das Rotkehlchen, Schweiz. Rötele (rubecula)
und Rotschwänzchen heiligt). Wo ein Rotkehlchen ni-
stet schlägt das Wetter ein '"), sagt man im Ausbachischen,
während man in andern Gegenden, z. B. in Baiern und der
Schweiz das Haus dadurch vor dem Blitz geschützt glaubt ").
1) Kreutz-vvald- Boeder a. a. 0. 117.
2) Fl. Ceynowa de terrae Pucensis incolarum snperstitione in re medica.
Berolini 1851. 'p. 11, 6.
3) Myth.' CXII, 108.
4) Mytli.2 773. Zeitschr. f. D. Myth. III, 105.
5) Zeitschr. f. D. Myth. II, 297.
6) Zeitschr. f. D. Myth. II, 327.
7) Zeitschr. f. D. Myth, II, 303. Vergl. noch: Am Himmelfahrtstage
(schwed. llelig Thorsdag, norweg. Helgi Thorsdag, engl, holy Thursday)
tragen die Frauen rote Kleider, Lex. myth. 955. Auf dem Vliet zu
Lieuwarden steht eine Mühle, auf welclie man sich hüten soll rotes Segel-
tucli zu legen, sonst brennt sie ab, Zeitschr. f. D. Myth. I, 37. Siehe auch
AVolf, Beiträge I, 64. 71. 72. 79. 80. Zeitsclir. f. D. Myth. III, 105.
8) Zeitschr. f. D. Myth. II, 331.
9) Myth.2 167. Wilh. Miüler, Altdeutsche Religion 249. Kuhn, Ha-
gens Germania VII, 431.
10) Myth.« XCVI, 704.
11) Panzer, Beitrag I, 265. No. 144. Rocholz, Schweizersageu aus dem
Aargau I, 213.
14^ _
Wer nun ein Rotschwänzchen tötet, dem stirbt das
liebste Haustier*). Wenn man ein Rotkehlchen plagt,
geben die Kühe rote Milch ^). Mau soll kein Rotkehl-
chennest ausheben, sonst giebt die Kuh rote Milch, oder
das Wetter schlägt ins Haus ^). Auch bei den Ehsten
herrscht der Glaube, dass wenn das Rotkehlchen unter dem
Leibe einer Kuh durchfliegt, bei ihr Blutharnen entstehe.
Setzt der Vogel sich zufällig aufs Milchgefäfs, so ist die
Milch verhext * ). Dieser Aberglaube ist wiederum den
Schweden entnommen. Die Inselschweden auf Worms mei-
nen, dass wenn ein Rotschwänzchen (restert) , welches sich
gern in Ellerngebüschen aufhält, unter einer Kuh durch-
fliegt, diese rote Milch bekommt, oft so rot als Blut.
Dagegen bricht man aus drei Ellern die Spitzen aus, nimmt
sie unter den Arm, so dass die Spitzen nach vorne stehen,
melkt dann die rote Milch auf die Blätter und vergräbt
sie mit den Spitzen nach unten ^). Diese Rotschwänzchen,
welche die Milch in Blut verwandeln, sind oft Hexen, die
des Vogels Gestalt angenommen haben "). Der nach dem
Zeugnis der Edden Thors heilige Vogelbeerbaum oder
Ebereschen bäum (sorbus) Thors björg'^), dessen Blät-
ter u. a. im Norden dazu dienten, die Schäden des Bocks,
1) Woeste, Zeitschr. f. D. Myth. II, 85.
2) Tobler, Appenzellischer Sprachschatz, 281. Vergl. Myth.' XCVIII,
758. Zeitschr. f. D. Myth. IV, 47, 3.
3) Myth.« XCII, 629. Wolf, Beitr. I, 232. 283.
4) Kreutzwald und Neuss, Mythischen, magische Lieder der Ehsten S. 87.
5) Russwurm, Eibofolke II, '§. 358, 8. S. 198.
6) Russmirm, a. a. O. §. 364, 6. S. 218.
7) Wolf, Beitr. I, 79. Kulm, Hagens Germania VII, 430. Altnord,
heifst er reynir, engl, rowantree. In England rief man ehemals den Blitz an:
strilte elm, strike rowan,
not the oak alone.
Ein andermal werden als die drei heiligen Bäume (Thunars), die man nicht
abhauen soll, genannt:
the aik, the ash, the elmtree,
they are hanging a' three.
«.Hiambers pop, rhymes of Scotland p. 43. ,,Kowan cross above the door"
hilft gegen Hexen, d. i. böse Elbe, Thunars Feinde. The pop. superstit. of Scotl.
Edinb. 1823. S. 157 Black luggie, lammer bead,
rowantree and red-thread,
put the witches to their speed.
Chambers pop. rh. 34. Auch im Norden scln-eibt man besonders solchen Vo-
15^
des dem Donnergott geweihten Tiers zu heilen, wird zu
Stierjochen angewandt, ohne Zweifel, um das Gedeihen
der Rinder zu fördern. In der Gegend von Landau und
Etzendorf in Niederbayern, schneidet der Rinderhirt schon
zu Martini die Birkengerte, welche mit Eichenlaub') und
Holkmderzweigen -) zu einem Busch verbunden im Früh-
jahr dazu dienen soll, damit das erstemal die KüBe aus-
zutreiben. Bei Ueberreichung dieser Gerte an die reiche-
ren Bauern sagt der Hirt ein Lied her, worin St. Petrus
der Heilige, welcher Thunar meistens ersetzt, handelnd auf-
tritt. In diesem Liede heifst es:
Steckt man den Busch hinter den Kühbarn,
So gehn das Jahr keine Küh' verlarn;
Steckt man ihn hinter die Stalltür,
Treibt man sie aufs Jahr mit Freuden herfür ^).
Christliches Verbot heidnischer Gewohnheit ist, dass mau
Mittwochs, d. i. am Vorabend*) des heiligen Don-
nerstags nicht mit Vieh handeln, auch keins in den Stall
führen soll ^). Zumal am Aschermittwoch, darf kein Vieh
angebunden werden, weil es sonst seine Kraft verliert, auch
wird keins ausgetrieben oder verkauft. Man hat kein Glück
dabei. Nicht einmal den Stall auszumisten ist an diesem
Tage erlaubt^). Desgleichen glaubt man in Tirol, dass die
gelbeerbäumen Trollen vertreibende Kraft zu, welche aus einem andern Baum,
vermittelst einer hineingefallenen Beere hervorwachsen (flogrogn, flograagn,
flouraagn). Ifvar Aasen pröver af landsmaalet i Norge S. 7. Auch bei den
Inseischweden wird das Vogelbeerholz gegen Hexen angewandt. Russwurm,
Eibofolke II, §. 364, 10. S.^219. Vgl. Afzelius Sagohäfder I, 19.
1) Auch die Eiche war Thunar heilig; s. Wolf, Beitr. I, 67. 68.
2) Woeste fragt brieflich: „Sollte der Hollunder Thunars heiliger
Baum sein, weil sich nach imserer Sage Judas daran erhängt hat, weshalb er
auch stinkt? Grade wie man abgenutzte Besen nicht zu gemeinem Feuer ver-
wendet, giebt es bei uns einen Bauern, der durchaus nicht leidet, dass seine
Leute das Geringste vom HoUunder auf den Ileerd bringen." Nach dem Brem.
Niedersächs. ^^■örterbuch I, 706 heilst Judasor der auf HoUunderbäumen
wachsende Schwamm.
3) Panzer, Beitr. II, 41, 45. 46. Ein gauz entsprechender Gebrauch
sammt einem ähnlichen Liede ist Zs. f. D. Myth. IV. S. 27 aus Niederöster-
reich von Wurth mitgeteilt. Eine andere Variante s. Älyth.' CXXXVII, XIV.
4) Nee dierum numerum ut nos sed noctium computant — nox ducere
diem videtur. Taeiti Germania XI.
5) Wolf, Beitr. I, 221, 241.
G) Wolf, Beitr. I, 228, 329.
16
Kälber, welche am Mittwoch geboren werden, schnell zu
Grunde gehen. Man treibt an diesem Tage das Vieh nicht
auf die Alme, noch mistet man den Stall aus *). Auch in der
Altmark und in der Gegend von Mürow bei Angermünde
trägt man Donnerstags keinen Mist aus ^). Dagegen
hält man in Schweden den Donnerstag für die geeignet-
ste Zeft, krankem Vieh Heiltränke einzugeben ^). Weil die
heidnischen Verehrer Thunars am Vorabend seines heiligen
Tages vorzugsweise der Milchwirtschaft oblagen, gilt am
Mittelrhein ein Vt^eib, das Mittwochs Butter plumpt, für
eine Hexe*). Noch Weier erzählt, wie Thunars Ham-
merzeichen bei Viehkrankheiten angewendet wurde ^}:
+ Non percuties eos qui signati sunt hoc signo thau T".
Istud praescriptum valet pro hominibus et pecoribus, qui
sunt per pythonicam infecti et debet dari in ferculis aut poti-
bus eorum videlicet in chartula scripta ^). "Wie schon er-
wähnt, stellt es sich immer mehr heraus, dass im deutschen
Volksglauben Petrus an Thunars Stelle trat. Am Petri-
tage, wiederum im Frühling, klopft man in Westphalen
mit Hämmern an die Haustürpfosten, um das Ungezie-
fer zu vertreiben. Wer dies unterlässt, dem erkrankt
das Vieh'). Thunar war Ehegott. Damit hängt zusam-
men was Christoph Männling berichtet : damit die Schwan-
gere kein totes Kind zur Welt bringe, soll sie sich tägHch
mit Kuhmist beräucheru lassen ^).
In ganz besonderer Weise sorgt der Donnergott für
den Milchreichtum. Ein rotes Tuch hilft die Butter
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 238, 34.
2) Kuhn, Norddeutsche Sagen. Gebr. 357. 371.
3) Lex. mvthol. 680.
4) Myth.' 'XC, 567.
5) Wierus, De praestigiis daemonum 1577. col. 649.
6) Mit Unrecht bezieht Simrock, Handbuch der Deutschen Mythologie
S. 320 das T auf Tyr, da dasselbe ein blofses Sj-mbol (signum) das Haiu-
raerzeichen, nicht den Anfangsbuchstaben des Göttemaraens, die Rune T\t "^
welche Todeszeichen M-ar (Müllenhoff, Zur Pameulehre 36) bedeuten soll.
Vgl. Wolf bei Haupt, Zeitschr. f. Deutsch. Alterth. YII, 528.
7) Woeste, Volksüb erlief erungeu aus der Grafschaft Mark S. 24.
8 ) Christoph Männling, Denckwürdige Curiositäten derer abergläubischen
Albertäten. Frankfurt und Leipzig. S. 175.
17
vermehren'). Um viel Butter zu erlangen, legt die Hexe
einen roten Lappen unter das Butterfass, den sie vom
Teufel empfangen ^). Schlägt der Blitz ein, so lässt sich
der Brand nur mit Milch löschen^), Montanus, der zu-
gleich aus dem Bergischen den Glauben anführt, dass es
in einem Kuh stall, oder in einem Hause, das mit dem
Kuhstall verbunden ist, nicht einschlagen könne, führt Mi Ich,
K u h h a a r e , eine K u h haut und Kuhmist als Löschungs-
mittel eines durch Einschlagen des Blitzes entstandenen
Feuers auf*). Li und um Erfurt hält man die Jauche
von Kuhmist für allein wirksam bei Blitzbränden ^). Um
die Hexen zu vertreiben, legt man in Lancashire einen
brennenden Peuerbrand in den Lahm").
Zweige des schon oben erwähnten Vogelbeer baums
wurden in Norwegen und Dänemark, wiederum in der Mai-
nacht, auf Ställen und Misthaufen aufgesteckt').
Ebenso in Deutschland. Der Vogel beerba um heifst
auch Drachenbaum. Aeste davon auf Walpurgis über
Haus und Stalltür aufgehangen, hindern die Einkehr
des fliegenden Drachen ^). Man hat Glück beim Butter-
1) Wolf, Niederländische Sagen 489. No. 408.
2) Bänder, Badisclie Sagen 96. No. 107. Zeitschr. des Vereins für hes-
sische Geschichte und Alterturaskunde VI. 1854 371. Wolf, Beitr. I, 227.
318. Vgl. auch Pröhlc, Harzsagen S. 52 fgg.
3) Myth.' CLIV, 1001. CLIX, 1122. Zeitschr. f. D. Myth. 111,30,23.
Woeste, Volksübcrlief. 57, 38. Auch die Russen glauben, dass ein durch
Blitz entstandenes Feuer nur durch Milch und Kvas gelöscht werde. Er-
mans Archiv für Kunde Rufslands I. 1844 627.
4) Die deutschen Volksfeste, Volksgebräuche und Volksglaube I, 39.
5) Mitteilung der Frau Nuthmann in Haiborstadt.
6) Notes and queries III. 1851 S. 56.
7) Pantoppidan everriculum fermenti veteris p. 80.
8) Myth.' CLII. 971. Statt des Vogelbcerbaums treten mitunter auch
andere Baumarten ein. Sprenger giebt im Malleus maleficarum p. II. quacst.
II. cap. VII (remedia contra grandines et super jumcnta nialeficiata) ed. Fran-
cofurti MDXII. p. 462 an: Et etiam in partibus Sueciae plurimum practica-
tur, quod prima die Maji ante er tum Solls mulieres villanae exeunt et
exsylvis vel arboribus deferunt ranios de salicibus aut alios frondes et
ad modum circuli plectententes in introitu stabuli suspenditnt; asserentes
quod per integrum annum jumcnta cuncta illaesa a maleiicis remanent et prae-
servantur. Cf. Thiers, Traite des superstitions bei Liebrecht Gervasius von
Tilbury 228, 116. Im Welzheimer und Gschwender W.ald zwischen dem Ko-
cher und Remsfluss in Schwaben werden auf dem Misthaufen vor dem Kuli-
2
18
stofsen, wenn das Stofsholz aus dem Stamme eines Vogel-
beerbaums gemacht ist '). Nimmt man dazu anderes Holz,
so kann man sicher sein, niemals Butter zu bekommen -).
Prätorius erzählt von den Hexengebräuchen am zweiten
Mai (Walpurgis): „Vor allem andern haben sie zum öfte-
ren besondere Zweige, so man bei uns Wolborgsmay
nennet, von einem Baum oder Staude, der sonsten viel rote
Beerlein träubleinsweise traget und dessen Blätter klein
sind, sonsten sorbus terminalis, Ebereschbaum, Vogelber^)."
stall nnd Kälberstall Maibüsclie von Birken, vor dem Pferdestall dagegen
Tannen am ersten Mai gepflanzt. S. Gräter Bragur VI. 1798 S. 121. In
wieweit auch die Birlce Tluinar geweiht war, wage ich noch nicht zu unter-
scheiden. Bedeutungsvoll ist, dass fast alle bisher für den Zusammenhang des
Rindviehs mit Thunar geltend gemachten Gebräuche am ersten oder zwei-
ten Mai tag statthaben, zu AValpurgis, wann der Kulvuk Thuuars heiliges
Tier zuerst erscheint, s. Zeitschr. f. D. Myth. III, 211. 395. Schon Pröhle
suchte zu erweisen, dass der Walpurgistag Thunar heilig war. De
Bructeri nominibus et fabulis S. 42. Er hat ohne Zweifel Recht. Nach den
fränkischen Capitularien standen die Donnerstage als heidnische Feiertage
bei den Franken das ganze Jahr hindurch in hohem Ansehen, besonders fest-
lich wurden sie aber im Mai begangen. Mone, Geschichte des Heidentums
im nördl. Europa ll, 135. Vgl. Vita Sancti Eligii: NuUus diem Jovis absqiie
festivitatibus sanctis nee in Majo nee ullo tempore observat (Rössig, Alter
tümer der Deutschen, 192). In einigen Gebräuchen tritt der Himmelfahrts-
tag oder Pfingsttag als christliche Verlegung des Maitages auf. Man vergl.
z. B. am ersten und zweiten Pfingstfeiertage gehen die deiliughofer Mädchen
zu Kraute in deu Jüberg, um Maiblumen zu suchen. Diese werden mit
Donnerkraut (sedum telephium) zu Kronen geflochten und am Bühn auf-
gehängt , wo sie das Jalir hindurch verbleiben. Mitteilung Fr. Woestes. —
Die Bursche, welche in der Priegnitz mit der Tauschleife, s. oben S. 5,
am ersten Pfingsttag umreiten, tragen Kränze, deren mit Eichenlaub um-
wundener Bügel diese Gestalt hat: ^. Am Himmelüihrtstage werden in
Schwaben zwei Blumenkränze von den weifsen und roten Mausöhrlein (auri-
cula muris et pilosella) gewunden und in den Ställen über dem Vieh
aufgehängt, damit der Blitz nicht einschlage. Gräter, Bragur 1798
VI, 126. In Frankreicli rieb man den Milcheimer mit Kräutern, die in
der St. Johannisnacht, während man die None läutete, gepflückt waren.
Mau legte diese Kräuter auch unter die Tür des Kuhstalles und sprach:
„Que Dieu les sauve et saincte Bride." Dann gaben die Kühe reichliche
Milch. Les e'vangiles des quenouilles, cinquifeme journee, chapitre VI. — Bei
den Wenden in der Lausitz gilt es für schädlich, am AValpurgistage von der
Viehnutzung zu verkaufen. Das Vieh würde dadurch der Behexung ausge-
setzt. Haupt und Schmaler, Volkslieder II, 259. Ist dieser Glaube von den
Deutschen entlehnt?
1) Lex. Mythol. 897.
2) Kiestrup in Nordschleswig. MüllenhofF, Schleswigholsteinische Sagen
S. 224, No. 305.
3) Prätorius, Blockesbergesverrichtimg. Leipzig 16G9 p. 460.
19
Leider sagt Prätorius nicht, zu welchen Dingen man den
Vogelbeerzweig zu seiner Zeit am Walpurgistage anwen-
dete. Die heutige Volksiiberlieferung hält noch Folgendes
fest. In Westphalen schneidet der Hirt am ersten Mai
dasjenige Vogelbeerbäumcheu (Quieke, ags. vice),
auf welches die ersten Strahlen der Sonne fallen, mit „ei-
nem Ratz" ab. Im Beisein der Hausleute und Nachbarn
schlägt er damit diejenige junge Stärke, welche „gequiekt"
werden soll, zuerst auf das Kreuz und sagt dabei:
Quiek, quiek, quiek!
brenk miälke in den striek (Zitze des Euters).
de säp es en den biärken,
en nämen kritt de stiärken.
quiek, quiek, quiek,
brenk miälke en den striek.
Zum zweitenmal schlägt er die junge Kuh unter Hersa-
gung einer ähnlichen Strophe auf die Hüfte, zuletzt ans
Euter, wobei er spricht:
Quiek, quiek, quiek!
brenk miälke en den striek.
im namen der uiliken Graiten,
(Goltblaume) sastu haiten.
quiek, quiek, quiek,
brenk miälke en den striek ').
In hessischen Hexenprocessacten bekennt eine Frau 1596:
„Wenn sie auf den Walburgstag eines nachbarn kue mit
einem rüdtlein in teufeis namen geschlagen, habe sie das
ganze jähr über obige kue melken können. Solches rüdt-
lein habe sie in ihrem stall stehen gehabt." Von wel-
chem Baume die Rute war, wird nicht gesagt^). Wenn
in Schweden das Jungvieh Namen bekommt, erhält es,
wie in Westphalen, drei Schläge mit einem Zweige des
1) Woeste, Volksüberlieferungen aus der Grafschaft Mark S. 25. Zeitsclir.
f. D. Myth. II, 85.
2) Zeitschr. f. D. Myth. II, 72. In der Normandie schlägt man die
Kuh, um sie milchreich zu machen, dreimal mit der ebenfalls Thunar geweih-
ten Haselgerte (Zeitschr. f. D. Myth. III, 104) anf die Seite. De Nore
coutumes mythes et traditions 270.
2*
20
Vogelbeerbaums '). Von den Schweden ist auch diese Sitte
auf die Ehsten übergegangen. Am Himmelfahrtstage —
suurel risti pääwal — liefs man in Wierland das Vieh zuui
erstenmale nach Hause kommeu. Die Wirtin trug, als sie
dem Vieh entgegenging, ein kleines Stöckchen unter ihrer
Schürze, stachelte mit dem Stöckchen die Kuh und sprach :
„siit wöid, siit piima," „von hier Butter, von hier Schmand*)."
Dieses Stäbchen hat offenbare Verwandschaft mit dem Hir-
tenstab (karjatse warjo kepid), einem aus dem Holz des
Vogelbeerbaums geschnitzten und mit allerlei Zauber-
zeichen verzierten Stab. Auf Gütern pflanzt der Hirt den
Ebereschenstab mitten auf der sogenannten Viehburg auf,
bevor er das Vieh aus den Ställen treibt. Dann tut er sei-
nen Hut auf den Stab und geht dreimal, Sprüche murmelnd,
um die Tiere herum ^). Die Jemten halten Rinden und
Blätter des Vogelbeerbaumes (sorbus aucuparia) für ein be-
sonders gutes Viehfutter. Sie machen Wasser warm und
mischen es mit Nesseln, dem genannten und anderm
Blätterwerk zu einem Brei zusammen, den die Kühe sehr
gerne fressen und wonach sie sehr milch reich werden
sollen *). Beim Kälberquieken soll die heilige Donnerrute
Milch in den Euter der Kuh bringen. Die Skälda erzählt,
1) Dybeck, Rvma 1845 S. 63.
2) Krcutzwald- Boeder 86. Dass der Eliste seine Heerden durch Stäbe
des Vogelbeerbaums schütze, führt Russwurm, Eibofolke II, §. 364, 11 S. 220
aus der Zeitschrift Inland 1837 No. 42 S. 704 an, ohne Näheres darüber
beizubringen.
3) Kreutzwald -Boeder 116.
4) Arndt, Keise durch Schweden III, 283. Dass die Finnenvölker diese
Gebräuche entlehnten, geht aus dem Umstände hervor, dass ihnen nicht al-
lein das Rindvieh, sondern auch der Vogelb eerb aum erst in ihrer neuen
europäischen Heimat, iu der Nachbarschaft der Schweden, bekannt wurde.
Deshalb erborgten die Lappen von den Normannen für den Yogelbeerbaum
das Wort raudn = altn. reynir. S. Dietrich bei Höfer, Zs. f. Wissensch.
d. Spr. III, 37. In Finnland freilich trägt der Baum einen einheimischen
Namen pihlava, pihlaja; ehstn. pihlapu, pihlakas, pihlaka-pu, pihlikas; ungar.
berkenye-fa. Dieser Name hatte jedoch wahrscheinlich ursprünglich die all-
gemeinere Bedeutung Baujui. Die Nymphe df j Yogelbeerbaums heifst in der
Kalevala R. 32, 27 Pililajatar, das kleine Mädchen (pieni piika). Sie wird
mit andern Waldbäumeu angerufen, die Heerde zu schützen, wenn der Hirt
sie vernachlässigen sollte; aber nur ganz im Allgemeinen, ohne Beziehung
zur Fruchtbarkeit. Diese zu verleihen ruft Ilmarinens Hausfrau die Som-
mertochter Suwetar an.
21
dass Thörr, als er durch den Vimurfluss watete, an einem
Vogelbeerbaum sieb festhielt. Da bereits bewiesen ist, dass
unter diesem Vimurfluss die Wolke zu verstehen sei '), so
wird Kuhns Vermutung ^) nicht unwahrscheinlich sein, dass
unter dem Vogelbeerbaum der Blitz gemeint ist. Mit die-
ser himmlischen Vogelbeerrute geschlagen, ergiefsen die
Wolkenkühe ihre Milch, den Regen. Das Kälberquieken
ist nur ein irdisches Abbild dieses göttlichen Vorgangs.
Unsere Auffassung unterstützt ein schwedisches Rätsel,
welches eine verwandte Naturerscheinung, den Regenbogen,
mit dem Ebereschenbaum vergleicht „twe wärde raunträ"
„Ueber die Welt ein Vogelbeerbaum '')." — Noch deutli-
cher weist auf die eben erläuterte Vorstelluno; der Gebrauch
hin, den Euter der Kuh mit dem Donnerkeil zu be-
streichen, um reichliche Milch zu erzielen^), woher die
Donnerkeile in Schweden Smördubbar, Butterschläge,
heifsen ^). Aehnlich werden in der Schweiz ausgehölte
Feuersteine, die dem Gewitter enstammen sollen, vom Volk
Kuhsteine genannt'"'). Wenn die Kuh rote Milch giebt,
melkt man sie durch das Loch des Kuhsteins und die Milch
bessert sich '). Aus Hessen berichtet vom Kuhstein C. P.
Wolfart**): „Quis in patria ita hospes, ut ignoret et no-
ötris annis prob dolor! inveniri adhuc mulierculas haud
paucas quae simulac vaccas lac cum cruore reddere ani-
madvertunt, per foramen lapidis fulminaris, quem ea
propter etiam den Kuhstein appellare solent eas mul-
gere vel cunis infantum impouere solent, ne f ulmine
1) Zeitsehr. f. D. Myth. II, 298.
2J Ebendas. III, 390.
3) Worms. Russwurm, Zeitsehr. f. D. Myth. III, 350. Auch dieses Rät
sei haben die Ehstcn in ihre Sprache mit hiuübergenommcn: ,, ÜUe ihna püh-
helgas" über alle. Welt ein Ebereschbaum, d. i. der Regenbogen. Gutsleff,
Anweisung zur chstnischen Sprache. Halle 1732 S. 369 No. 123.
4) Kirchner, Thors Donnerkeil 63. Wolf, Beitr. I, 67.
5) Kil. Stobaei opera Dantisci 1753 p. 121 annot. C.
6) J. Wagner, Historia naturalis Ilelvetiae Tigiiri 1680 p. 320. Scheuch-
zer. Metereolog. et oryctogr. Helvet. p. 128.
7) Wagner, a. a. O.
8) Historia naturalis Hassiae iuferioris s. tab. 22 No. 10. tab. 23. No.
1. 2. 3. 4.
__ 22
tangantur, et quae sunt alia quibus etiam longe dlffici-
lius talem lapidem, praepriiiiis si conveniat cum
figura 3 et 4 (»1 *x. Abbildern der Donneraxt) ab utra-
que facie delineatis, quam fortissimo Herculi clavam e ma-
nibus extorseris. Im bairischen Lecbrain legt man durch-
löcherte Steine kranken Stalltieren in die Krippe, um sie
gesund und milchreich zu machen'). In Suffolk hän-
gen die Landleute dergleichen durchlöcherte Steine im Stall
auf, damit der Mahr (nightmare) die Thiere nicht reite ■^).
In Schweden heifsen diese durchlöcherten Steine Elfquär-
nar Elfenmühlen. Man unterscheidet sie von den Donner-
keilen (tordenstene, Thörviggar). Diese hängte man auch
in Schweden im vorigen Jahrhundert im Stall auf oder
band sie dem Vieh um den Hals ^). Um auf das Bestrei-
chen mit dem Donnerkeil zurückzukommen, so wendet man
es in Hessen auch an, wenn die Kuh durch Behexung ihre
Milch verloren hat ^) ; in der Gegend von Quedlinburg, wenn
das Euter derselben entzündet ist ^). Auch zu diesem Be-
huf dienen die Donnerkeile in Hessen: man „bäht damit
das geschwollene Gemelk der Kuh, damit die Geschwulst
vergehe ''j." In Schleswig legt man den Donnerkeil neben
das Butterfass, um Behexung zu verhüten ''\. Wenn man
die Striche am Memm (Euter) mit einem Donnerstein streicht,
springen diese nicht auf*^ , Die Inselschweden legen den
Donnerkeil in die Tränke der Kühe, so wird beim Gewit-
ter die Milch nicht sauer ^). Während des Gewitters darf
das Gefäfs, aus welchem das Vieh trinkt, nicht ohne die-
sen Donnerkeil sein; sonst leiden die Tiere durch den
Schreck beim Donner ;, und die Milch, welche sie geben,
1) Leoprechting aus dem Lechrain p. 93.
2) Notes aud qiieries IV, 53.
3) Kil Stobaei opp. (Ceraunü baetulique lapides) 133.
4) Archiv f. hessische Geschichte uiul Altertumskunde I, 108.
5) Zeitschr. f. D. Myth. I, 202.
G) Kaut, Hessische Sagen. Offeubach 1846 S. 96.
7) Olearius, Gottorfische Kunstkammer p. 53.
8) Wolf, Beitr. I, 219. 215.
9) Russwurm, Eibofolke. Dorpat 1852 S. 29 Anm. 28.
23
wird ganz kraftlos, hat auch keinen Rahm '). Umgekehrt
wird der Donnerkeil durch Bestreichen mit Butter geehrt.
Auf einem Gut in Telamarken, Meeaas, wurden zwei solche
Steine von mittlerer Gröfse aufbewahrt und bis auf neuere
Zeit abergläubisch verehrt. An jedem Donnerstags-
abend und zu hohen Festzeiten wusch man sie und salbte
sie am Feuer mit Butter und anderem Fett. Dann wur-
den sie getrocknet und auf dem Hochsitz des Hauses auf-
gestellt. Diese abergläubische Verehrung hielt man für
das Glück des Hauses notwendig^). An einem andern
Orte derselben Landschaft zu Qualseth, wurden zwei Don-
nerkeile auf ganz ähnliche Weise noch bis zur Mitte des
vorigen Jahrhunderts in hohen Ehren gehalten. Man be-
wahrte sie auf dem Hochsitz, eine Lage glänzend reines
Strohs lag stets unter ihnen ausgebreitet. Häufig wurden
sie in Buttermilch gebadet''). Die Salbung der Götter-
bilder und Göttersymbole ist eine altnordische Sitte. Als
einst w^ährend des Disenopfers Fridthiofr in den Tempel
Baldrs in Baldrshag an der Sognebucht tritt, brennt Feuer.
Die Könige safsen herum und tranken zum Opfer, indess
ihre Frauen das Götterbild am Feuer wärmten (bökuöu
goöin), schmierten und mit Tüchern abtrockneten^). Den
Symbolen Thors scheint die Salbung mit Buttermilch
eigentümlich zu sein.
Wir bemerkten schon vorhin, dass die Eiche Thunar
heilig war. Hierauf gründet sich die folgende Sitte. Ist
die Milch der Kuh blutig, so melkt mau sie in drr Alt-
mark durch einen eichendopp, d. i. ein Stück Eichenholz,
welches eine natürliche Oefiuung hat ^). „So aiu chue ain
erst chalb trait, so nympt die peyrinn ain aichenlaub
1) Russ^vurm, Eibofolke. Reval 1855 II, §. 379 S. 249.
2) Lex. Mythol. 961.
3) Ebeiulas. Bei den Kelten scheint der Donnerkeil in einem engern Be-
zug Zinn Scliaf gestanden zu haben. In der Montagne Noire heilsen die
altkeltischeu Streitäxte (Donneräxte), peyros de picoto, Blatternsteine. Man
hängt sie in den Schafställen auf, um die Heerde vor Schafblattern zu schüt-
zen. De Nore coutunies mythes et traditions 103.
4) Fridthiofssaga c. 9. Fonialdarsög. II, 86.
5) Kuhn. Mark. Sag. 379 No. '29.
24
und stekcht eumitten ain nadel darin und legt es enmitten
in den sechter (Milcheimer) und nympt dan das uberrukh
mit dem hör vnd spindel ab dem rokchen vnd stekcht es
auch inmitten in den sechter, so mag man der chue nicht
nemen die milich, vnd des ersten milcht sy in den sechter,
do das ding inn stekcht dieselb chue (am ersten) die weil
das dinkch dar inn stekcht ')."
Ein Symbol des germanischen Gewittergottes war das
Zeichen des Hammers, seiner göttlichen Waffe, das wir
vorhin schon erwähnten und worüber wir weiterhin einge-
hender sprechen w^erden. Dieses Hammerzeichen -f ging
in christlicher Zeit begreiflicherweise in das Kreuz -f über.
Hieraus erklären sich wiederum die folgenden Sitten und
Gebräuche. Damit die Fairies der Kuh die Milch nicht
benehmen, zieht man zu St. Andrews unmittelbar nach dem
Kalben eine brennende Kohle kreuzweis über ihren
Rücken und unter dem Bauch durch ^). Einige Weiber
legen die Wurzel des Kreuzkrauts (groundsel) in den
Rahm, um die Verhexung der Butter zu verhüten^). In
Schweden macht man am Mai abend Kreuze auf die Tü-
ren des Viehstalls'*), ebenso am Osterheiligabend (för
trollkäringar) '"). Dasselbe geschieht auf Fünen ''). In
einigen Gegenden Norwegens zeichnet man Kreidekreuze
an die Decke des Wohnzimmers über den Esstisch, und
an alle Viehställe zu Weihnachten, Ostern, Pfing-
sten''). Nach Rühs ^) werden in Finnland am Kreuzer-
höhuugstage (31. September) die Stalltüren und die Kühe
bekreuzt. Auf den Faeroeern setzt man zur Abwehr von
von Gespenstern unter Absingung eines bestimmten Zau-
berspruchs (neytakonu versiS oder dreygaversiS) ein Kreuz
1) Papiercod. des XIV. Jahrh. Myth. ' XLVJL 18.
2) Playfair bei Braud, Populär antiquities III, 318.
3) Braud, a. a. O. 318.
4) Arndt, Reise iu Schweden III, 20.
5) Myth.' CX, 60. Erik Feruow beskrivelse over Wärmeland 259.
6) Oldenburg om Gjenfaerd eller Gjengengare Kjebenhavu 1818. S. 115.
7) Hoffmaun, Beskrivelse over Idde-Praestegjeld. Topographisk Journal
for Xorge 8 d. Ide haelfde S. 9. 10.
S) Finnland und seine Bewohner.
25
von Milch auf den Rücken der Kuh'). Praetorius
erzählt^): „Unsere Leute haben einmal ein gut Vertrauen
zu den Kreitkreuzen und lassen solches jährliches Ge-
kritzel ihnen nicht aus dem Sinn schwätzen, solten sie auch
für einen Dreyer Kreite darzu abnützen und zu unnütze
an die Truhen, Kammern, Gefäfse und Thüren schmieren,
indem sie sicherlich des gäntzlichen Wahns seyn, die Un-
holden werden ihre Behausung und Stallung, wann sie
so verwahret, ungehudelt lafsen. Ja sie besehen darauff'
den folgenden Tag als den ersten Maji die Thüren au-
fserhalb, ob sie nicht etwann mögen vermerken, dals ein
Spänlein heraufsgeschnitten sei, sintemal die Hexen der Art
sein sollen, dass wann sie ja sonsten nichts können mitneh-
men, doch soviel den andern abzwacken und ihrem Teufel
auf dem Blocksberg präsentiren und mitbringen sollen, son-
derlich damit Feuer anzumachen bei dem bevorstehenden
Jubel- und Humraelfeste." Dass hier überall das Kreuz
aus dem Donnerhammer erwuchs, scheint mir aus einem
friesischen Gebrauch zu erhellen. Auf Wangerooge nimmt
man, wenn eine Hexe der Kuh die Milch, dem Fass die
Butter entzogen hat, vom Rahm am Butterfass, macht
davon auf jeden der 4 Ständer ihrer Haustür ein Kreuz
in Form eines Kleeblatts und spricht: „Jüzü näuien, du
hast min büter nimin, breng det uk uider." Kommt mau
zu Hause, so ist die Butter wieder da ^). Die Form des
Kleeblatts -^tp weist entschieden auf den B 1 i t z h a m m e r.
In Franken tragen die auf den Stall gezeichueten Kreuze
mitunter diese Form : ^ *).
In der Eifel hauen die Weiber am Donnerstag vor
Fastnacht den schönsten Baum im Walde um (in dem ent-
sprechenden Gebrauch zu Weilheim in Schwaben ist es eine
Eiche), versteigern ihn, kaufen für das Geld ein Fässchen
Wein zum vertrinken und fahren es auf einem von Kü-
1) Antiquarisk tidskrift 1851 S. 315.
2) Blockesbergesverriclitung p. 437.
3) Ehrentiaut, Friesisches Archiv 1854 II ,S. 13. 14.
4) Keynitscli, Truliten und Tnihtcusteine 75.
26
heil gezogenen Wagen durchs Dorf zum Wirtshaus ')
Unter christlichem Einfluss entstand das Verbot, am Don-
nerstag nicht zu buttern. Die Rose stand, wie schon
Wolf aussprach, wegen ihrer roten Farbe zu Thunar
in Beziehung. Wer am Johannistage^) Milch mit
Flieder (Hollunder, s. oben S. 15) trinkt, hat das ganze
Jahr keinen Anstofs von der Rose ^). Sonst bötet man,
um die Rose zu vertreiben mit Räuchern oder dreimali-
gem Feueranschlagen *) , oder man bestreicht sie mit dem
Donnerkeil ^).
Geht aus diesen Gebräuchen und abergläubischen Mei-
nungen, welche die Donnersjmbole Beil, rotes Tuch,
Yogelbeerholz, Eichenholz, Kreuz, Feuer, Rot-
kehlchen, Rose, Donnerstag und nur diese in enger
Verbindung mit dem Rindvieh und dem Milchreichtum auf-
weisen, ein sehr intimes Verhältnis des Gewittergottes zu
den Kühen hervor, ein Verhältnis, das in Bezug auf die
irdischen Kühe als solche unbegreiflich bliebe, so kann kein
Zweifel darüber obwalten, dass hier überall, wie in so vie-
len anderen Erscheinungen altdeutscher Religionsübung das
Irdische als Abbild des Himmlischen betrachtet ist, und
ursprünglich die Wolkenkühe es waren , zu denen Thunar
in vertrauter Freundschaft stand. In der Schweiz sagt
man noch heute vom Gewitter; „Gott Vater rollt d "Brenta
(Milchkübel) über die Kellerstiegen ^)." Könnte noch irgend
ein Zweifel obwalten, dass das Taustreifen, d. i. die
Einsammlunsr der himmhschen Milch, welche au dem-
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 80. Vergl. Schade, Ursulasage 89.
2) Vergl. Zeitschr. f. D. Myth. III, 104 fgg. Wo im Hause ein Jo-
hannes -n-ohnt, soll der Donner nicht einschlagen, oder doch keinen Scha-
den tun, Franck, De impositioue nominum §. 26. D. Philipp Müller, De
dicto Luc. X, V. 20. Die am Johannistag geptiückten lii-äuter (midsummars
quastar) hängt man in den Ställen auf, so können die Kühe nicht behext
werden. Arndt, Reise in Schweden III, 74.
3) Mänuling, Denkwürdige Curiositäten 211. Die Rose heifst wegen
ihrer Beziehung zu Thunar auch „dat hillige (heilige) ding."
4) Kuhn, Mark. Sag. 377. Vergl. Russwurm, Eibofolke II, §. 366, 1
S. 223, Kreutzwald und Xeuss, Mythische und magische Lieder 85.
5) Zeitschr. f. D. Myth. I, 202.
6) J. Grimm, Lieber die Namen des Donners S. 17.
27
selben Tage geschieht (dem 2. Mai), an welchem
die meisten so eben namhaft gemachten Bräuche
statthaben, und daher die himrahsche Milch (Regen oder
Tau) Beziehung zu Thunar habe, so hebt ihn der skandi-
navische Hexenbrauch am Gründonnerstag in den Quel-
len das Wasser mit einem Stocke auf dieselbe Weise,
wie die Milch im Butter fass umzurühren, um den
Butterbauern zu schaden und Milch zu stehlen ').
Als Ansammlungen der himmlischen Milch, des Regens,
haben die Quellen dieselbe Kraft, wie der Tau. Einst liat-
ten einige Leute^ die über Feld gingen grofse Lust, frische
Butter zu prüfen. Als sie zufällig an einen Fluss kamen
sprach einer von ihnen: „Wartet ein wenig, ich will euch
frische Maibutter besorgen." Er zog seine Kleider aus, ging
ins Wasser und setzte sich selbst mit dem Rücken gegen
den Strom gewendet; die übrigen sahen erstaunt zu. Er
sprach einige Worte, rührte mit den Händen im Was-
ser hinter seinem Rücken und es dauerte nicht lange, so
brachte er einen Klumpen Butter, in der Form wie sie
die Bauern zu macheu pflegen, zum Vorschein und nach
weniger Zeit noch mehrere, und als seine Gesellen davon
kosteten, fanden sie, dass die Butter ganz kostbar war ').
In Schleswig ging ein Mann in der Frühe von Jägerup
nach Hadersleben. Als er bei Woiensgaard vorbeiginer,
horte er, dass da Jemand auf dem Hofe butterte, zugleich
aber bemerkte er, dass eine ihm bekannte Frau an dem
vorbeilaufenden Bache stand und mit einem Stock im
Wasser karnte. Später sah er sie an demselben Tage
in Hadersleben ein grofses Stück Butter verkaufen. Als
er Abends wieder bei Woiens vorbeikam^ karnte man da
noch. Da ging der Mann auf den Hof und versicherte,
dass das unnütze Arbeit sei; die Butter sei schon in Ha-
dersleben verkauft^). Hiermit stimmt der irische Brauch.
1) Lex. myth. 953. 954.
2) Jacob Sprenger, Mallcus maleficarum ed. Francof. IGUO ii. II. fiu. I.
c. XIV. p. 355. AVolf, Niederläiul. Sag. S. 491. No. 40(3.
3J MüUenhotr, Sagen 224. No. 103.
28 _
Will es mit dem Buttern nicht gelingen, so gebt man au
einen Markungsbach (d. i. einen Fluss oder Bach, der zwei
Kirchspiele von einander scheidet), holt einen Mund voll
von dem Wasser, speit ihn auf den Boden unter dem But-
terfass, und die Butter kommt sicher ').
Noch ein anderes Zeugnis spricht dafür, dass der Tau
mit dem Gewittergott in Verbindung stand. Thunar war
Lebensgott, der Leibes Gesundheit und Schönheit spendete,
wie weiter unten auszuführen sein wird. In England sam-
melt man den Tau am ersten Maitag oder zu Pfingsten,
um sich damit das Gesicht zu waschen und will dadureh
eine schöne Hautfarbe erlaugen. Gervasius von Tilbury
berichtet im Jahre 1211 in seinen Otia imperialia-) : Plu-
rimos quoque vidimus potentes, qui sancto die pentecostes
cibum non sumerent, donec rorem de coelo hausissent vel
super se descendisse sensissent, quod quandoque citius,
quandoque tardius eveniebat." Pepys erzählt in seinem
Tagebuch'^): „My wife away dowMi with Jane and W. He-
wer to Woolwich in order to a little ayre and to lie there
to night and to together maydew to morrow-morning, which
Mrs. Turner has taught her is the only the world to wash
her face with." Andere gingen Frühmorgens in Schaaren
auf die Felder und badeten ihr Gesicht im betauten Grase,
um dadurch Schönheit zu erlangen^):
Vain hope! No more in choral bands unite
her virgin votaries, and at early dawn
1) K. V. K. Erin VI, 2. 1849 S. 445. Da sich die Beziehung des Rind-
viehs zu Thunar durch so reichliche Zeugnisse bestätigt hat, dürfte es klar
sein, weswegen der grofse Hirschkäfer ( hicanus cervus) neben den Namen
Donnergueg, Donnerguge, Doiinerpuppe auch die Benennung Eich-
ochse und £kox führt. Er hiefs so nacli dem gröfseren Tier, das demsel-
ben Gotte geheiligt war. Nur aus dieser Stellung im Cnltus wUfste ich ei-
nen abergläubischen Gebrauch zu erklären , der in AVestphalen geübt wird.
Wenn die Hirtenknaben wissen wollen, wohin sich ihre Kühe verlaufen ha-
ben, nehmen sie zwei Höruer (Kinnladen) vom Hirschkäfer (jegemsener) in
die Hand und sagen: ,, Jegemseners ha?rn ba sind mine käu?" Dann öffnen
sie die Hand und sehen, wohin die Spitze des rechten Horus weist; dort su-
chen sie ihre Kühe. Woeste, Volksüberlieferungen S. 56, 23.
2) Ed Liebrecht S. 2. cap. XH.
3) Bei Brand, Populär antiquitics HI, 218.
4) Morningpost, May 2d 1791.
29
sacred to May and Loves mysterious rite
briish tbe light dew-drops from the spangled lawn ').
In Edinburgh geht man am Maimorgen auf Arthurs Seat,
um den Tau zu sammeln -) „Deawbitter = dewbeater one,
who has large feet, or wbo turns bis toes out, so that he
brusbes tbedewofthe grass in Walking^)." In Groningen,
im Zütphenschen Teil von Gelderland und in Südbolland
versammelt man sich im Mai oder am Morgen des ersten
Pfingsttages vor Sonnenaufgang („vor dag en daauw")
im Feld und bekränzt sich mit Laubvrerk und Blumen,
das nennt man daauwtrappen (Tautreten) oderdaauw-
slaan (Tauschlagen) *). Nach siebenbirgischen Hexenacten
von 1673 erschienen zauberkundige Weiber vor Sonnen-
aufgang im blolsen Hemd und blofsen Haar und schöpf-
ten den Tau aus^)." Zu welchem Zwecke dies geschah,
entgeht uns. Unter den Slaven begeben sich die Weiber
im Sommer, besonders am Johannistage frühzeitig vor Son-
nenaufgang aufs Kornfeld, schleppen hinter sich ausgebrei-
tete Leintücher über die Saat und sammeln auf diese Weise
den Tau. Zu Hause wird das Tuch stark ausgewunden,
der Tau in Fläschcben getan und an die Jugend verteilt.
Mit diesem Tau öfter gewaschen, sollen die Gesichter wun-
derschön werden " ). Derselbe Gebrauch fand aber auch
1) Brand, a. a. O. a. Loveybouud „the tears of old may-day."
2) Chambers, Edinburgh Journal, April 1842. No. 535.
3) Ackermann, Wiltshire glossary bei Kuhn, Norddeutsche Sagen 512.
Der Name Dewbeater hängt mit einem EA. 91. 630. Diutisca I, 2. 335 er-
läuterten Ausdruck zusammen. Bei den Alamannen wurde die Höhe des Wer-
geids für einen gelähmten Fufs danach bestimmt, ob er den Tau vom Grase
streifte: „Si quis in geuiculo transpunctus fuerit aut plagatus ita ut claudus
pcrmaneat, ut pes ejus ros tangat, quod Alamanni tautragil dicunt. Tre-
gil heifst Lastträger, toudragil ist daher, was sich im Tau schleppt. Altn.
döggskör, schwed. doppsko, Tauschuh bedeutet die Schwertscheide, die
gewöhnlich den Tau streift. Myth.* 359. Verwandte Rechtsausdrücke füh-
ren uns von der heilsamen Kraft des Tauabstreifens für den IMenschen un-
mittelbar auf das Rindvieh zurück. Der Frühlingsanfang, wenn die Kuh zu-
erst zur Weide geht, wird durch die Formel bezeichnet: ,,Wcnn die Sonne
siegreich hervorbricht und die Kuh die Klauen niedertut (diu ku kle-
wen dene dcth)-' RA. 36.
4) P.uddingh, Verhandeling over hct Westland 76. 78. 351.
5) Müller, Hexenglauben in Siebenbirgen S. 59.
6) Hanus, Slav. Mythol. 284. Caplowic im Hesperus 1820 p. 19.
30
in Deutschland statt. „Vom Vollmond im May an fangen
an zu fallen die rechten und gesunden und balsamirten Him-
melsthau (welche etlich aus dem Paradiese herzu-
rühren vermeynen). Die soll man, wenn die Nacht
zuvor klar und helle gewesen, in subtilen Tüchern oder
Leinwand auffangen, besonderlich auf den guten Kräu-
tern und Getreidig oder Weitzen, weil es im Schossen noch
stehet, dass man die Tücher drüber herziehe und
in irdene oder gläserne Gefäfs aufswinde, wel-
che über das Jahr zu behalten sind. Dieser Tau
ist unsers Landes Manna, das in vielen Krankheiten
sehr heilsam und zuträglich ist')." Gräter bringt
aus einem alten Calendarium die Stelle bei ! „Im Majo sollen
die Alchemisten Reo-enwasser in o;rofse steinerne Krüo;e
sammeln, dass sie das ganze Jahr durch wann sie es
bedürfen, sich behelfen können. Denn es ist gezehlt unter
die besten Wasser, die man in der Arzeney gebrauchen
kann-)." Zu Steinau im Hanauischen sammelte man den
Pfingsttau auf der Pfingst wiese, trank denselben und
wusch sich damit, weil man ihm heilende Wirkung zu-
schrieb ^). In Schweden und Island badete man sich in
der Johannisnacht im Tau „Ut morbi corporis miraculose
sanentur^)." In England glaubt man Anschwellungen im
Nacken damit vertreiben zu können, dass der Kranke, ist
es ein Mann auf dem Grabe des zuletzt im Kirchspiel ver-
storbenen Mädchens, ist es ein Weib auf dem Grabe des
zuletzt verstorbenen Jünglings am !Morgen des ersten
Maitages vom Kopf bis zum Fufseude den Tau auf-
streicht und damit die Geschwulst befeuchtet*). In Laun-
caston hält man dafür, dass Kinder, die ein schwaches
Kreuz haben, dadurch geheilt werden können, wenn man
1) Schnurr, Calendarium opconomicum p. 174. 175. bei Praetorius,
Blockesbergesverrichtung 559.
2) Idunna und Hermode 1812 Xo. 29.
3) Lyncker, Hessische Sagen S. 248. No. 329.
4) Lex. myth. 672. vgl. 1088.
5) Xotes and queries II, 474.
_ 31
sie am Morgen des ersten, zweiten oder dritten Maitages
durch das taubenetzte Gras zieht *).
AVestendorp erwähnt, dass man sich in einigen Gegen-
den des Reichs am Maimoro^en in lebendio;en strömenden
Gewässern bade, um von allen Hautkrankheiten zu ge-
nesen oder dagegen gesichert zu sein ^j. „Der Mayenthau
ist grindichten schabichten Leuten gesund, wenn sie sich
frühe nackend innen weltzen, oder sonsten damit waschen
und bestreichen'^)." Die Rossmucken (Sommersprossen)
vergehen, wenn man sie im Monat Mai mit Tau vom
Roggen wäscht*). Junge vor Sonnenaufgang gepflückte,
also betaute Maiblumen verhindern, wenn man sie ins
Gesicht reibt, die Sommersprossen ^). Wer an Walburgis
vor Sonnenaufgang sein Gesicht mit Tau wäscht, kann
sich die Rossmucken damit vertreiben ^). Die Sommer-
sprossen sind, wie auch ihr Name, Rossmucken (Pferde-
mücken) oder Sommervögel'), beweist, entschieden als
böse Elbe gedacht, welche in Gestalt von Insecten dem
Menschen Krankheit verursachen. In Pommerellen heifst das
sonst sogenannte Elberdrötschjagen, Trilpetritsch-
jagen^) „Rossmuckenjagen." Um Neujahr wird ein
noch Uneingeweihter, den man zum Besten haben will,
Abends mit einem geöffneten Sack vor die Treppe gestellt,
indess die Andern mit Schreien und Toben durch das Haus
laufen und sich geberden, als wenn sie die bösen Geister
aus allen Ecken und Winkeln in den Sack treiben wollten.
Endlich giefst Jemand dem Wartenden einen Eimer Was-
ser über den Kopf. Die Sommersprossen sollen vom Ku-
1) Notes and queries IT, 474.
2) Westendorp, Over het gebruik der Noordsche mythologie 275.
3) Gräter, Idunna und Hermode a. a. O.
4) Meier, Schwäbisuhe Sagen 509. No. 405. Liebrecht, Gervasius von
Tilbury S. 57.
5) Myth. ' CLVir, 1075.
6j Panzer, Beitrag zur D. Myth. I, 259. 38. Vgl. Wenn es auf ein Kind
regnet, ehe es ein Jalir alt wird, bekonnnt es Kossnuicken, a. a. O. 200, 70.
vgl. Meier a. a. O. 509, 404. Am CharlVcitag in einem fliefsenden Wasser
gebadet, vertreibt die Krätze, Panzer a. a. O. 258, 36.
7) Meier, Schwäbische Sagen 509. 404.
8) Zeitschr. f. D. Myth. II, 19G. III, IIG.
32
kuk, der der Vater der elbisclien lusecten ist'), herrüh-
ren ^j. Thunar steht diesen bösen Eiben feindhch gegen-
über. Das von ihm an seinem Festtage gespendete Was-
ser, der Tau diente dazu die Eiben zu vertreiben. Oder
dachte man sich auch hier den Tau als himmlische Milch?
Wie mit Maitau waschen sich unsere Frauen mit Milch,
um eine schöne Gesichtsfarbe zu erzielen. Auch bei Vieh-
krankheiten wandte man den Walburgistau an. Am
zweiten Mai soll man vor Sonnenaufgang die Hände
im Tau reiben und dreimal dabei sprechen:
Jetzt wasch' ich meine bände in walberntau,
Das gilt fürs gab, fürs bläh, fürn unflat ^).
Wenn nun ein Stück Vieh im Jahr eine dieser Krankhei-
ten bekommt, darf man nur die Hände dreimal auf dasselbe
legen und es auf die Wampe schlagen. Dabei spricht man;
Ich habe meine bände gewaschen in walberntau,
Das hilft fürs gab, fürs bläh, fürn unflat.
Von den Germanen sind die zuletzt genannten Gebräuche
mehrfach zu den Romanen übergegangen. In der Norman-
die badet man am Johannistage im Tau, um vor der Krätze
und andern Hautkrankheiten geschützt zu sein *). In der
Bretagne badet man an demselben Tage gegen das Fie-
ber in einem betauten Hafer felde^). In den Pyrenäen
geschieht dasselbe, doch erwartet man hier wieder davon
Genesung von Hautkrankheiten •*). Die Synode zu Ferrara
erliefs 1612 das Verbot: „Prohibemus ac vetamus, ne quis
ea nocte, quae diem S. Johaunis Baptistae nativitatis sacrum
praeit filices filicumve semina colligat, herbas cujusvis ge-
neris legat, succidat, evellat, earumque vel aliarum semina
terrae mandet neve pannos linneos aut laneos nocturno
aeri aut rori excipiendo exponat, inani superstitione
1) Zeitschr. f. D. Myth. III, 273.
2) Ebendas. III, 246^.
3) Panzer, Beitrag II, 301. Bläh bedeutet Geschirulst. Das Gah ist
die auch Gschoss oder Schlag genannte Krankheit.
4) De Nore, Coutumes mythes et traditions 262.
5) De Nore, a. a. O. 231.
6) De Nore, a. a. 0. 127.
33
ductus fore, ut tineae aliave animalcula ea ne attin-
gant aut corrodant ')." Liebrecht bringt auch eine Stelle
aus einem portugiesischen Gedicht bei, worin der Heilig-
keit des Johannistaus Erwähnung geschieht ^). Eine Eigen-
tümlichkeit der romanischen Gebräuche besteht darin, dass
sie den St. Johannistag für den ersten Mai setzen.
Auch in Aegypten herrscht ein den vorher angeführten
Traditionen ähnlicher Glaube: „The nucta or miracu-
lous drop falls in Egypt precisely on St. John's daj in
June and is supposed to have the eifect of stopping the
plague ^).^
Wenn, nach den vorhergehenden Erörterungen zu
schliefsen, Thunar zu den Wolkenktihen in enger Beziehung
stand, so ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass
er sie melkend gedacht wurde*). Er wird dies, wie In-
dra, mit seinem Blitzharamer getan haben. Dafür spricht
1) Tit. de superstit. etc. No. 7. Thiers, Traite des superstitions etc.
132. Bei Liebrecht, Gei-vasius von Tilbury S. 230. Den Zusammenhang die-
ser Superstition mit der vorhin erläuterten vom Rossmuckenjagen zeigt die
in unserer heutigen Medicin noch gangbare Benennung einiger Arten des Haut-
ausschlages eczema capitis, exantliema capitis, tineae; man unterscheidet ti-
nea granulata, tinea furfuracea, tinea amiantacea, favosa, lupina u. s. w. Die-
ser Name findet auch ohne die M^'thologie seine Erklärung in der Aehnlich-
keit einer abgelegten und vertrockneten Mottenhaut mit dem abgetrockneten
Bläschen des Exanthems, doch darf gefragt werden, ob er nicht, in hohes Al-
tertum zurückreichend, auf den Glauben an die Verursachung der Krankhei-
ten, zumal der Hautkrankheiten, durch Elbe in Insectengestalt zin-iickgehe.
2) Donna Branca ou a conquista do Algarve. Paris 1826 c. VI. p. 176.
Liebrecht, Gervasius v. Tilbury S. 57. Liebrecht, Hagens Germania VHI, 373.
3) Liebrecht, Gervasius a. a. 0. Nach einer Anmerkung Thomas Moo-
i-es zu Lala Rookh (the paradise and the Peri).
4) Es wird keineswegs zufällig sein, dass beim Maifest in einigen Ge-
genden Englands grade die Milchmädchen die Hauptrolle spielen. Die
schönsten imter ihnen gehen tanzend und in Begleitung ihrer Genossinnen,
eines Dudelsackbläsers und eines Fiedlers in ihrem besten Anzüge von Haus
zu Haus. Auf dem Kopf tragen sie eine mit blauen Bändern und Blumen
geschmückte PjTamide von Silbergerät. S. Misson, Travels in England tians-
lated by Ozell 307. Brand a. a. O. I, 217. Zu London tanzten die Milch-
mädchen vor den Türen ihrer Kunden mit sil bor verzierten Milchei-
mern auf dem Kopf (with their palls dressed up with plate). British Apollo
1708 I, No. 25. Brand a. a. 0. I, 247. Diese Tänze geschahen sogar vor
der königlichen Familie in St. Jamcshousc. Reed weekly Journal 1733. Die
Milclniiädcheu führten dabei eine Kuh mit vergoldeten Hörnern herum,
die sie mit verschiedenfarbigen Bändern in Form von Bogen und Kosen und
mit Kränzen von Eichenlaub geschmückt hatten. Strutt the sports and
34
die Sitte, das Euter der Kuh mit dem aus dem Blitz
gefallenen Donnerkeil zu bestreichen, um sie milch-
i'eich zu machen. Auch in der Vogelbeerrute, mit wel-
cher am ersten Mai die Kuh gequiekt wiid, erkannten wir
ein Abbild des Donnerharamers , mit dem das Euter der
Wolkenkuh geschlagen und seine Milch zu ergiefsen ge-
zwungen wird. Eine weitere Spur scheint mir in Hexen-
acten erhalten. Gewisse Hexen schlagen nämlich eine Axt
(d. i. die spätere Form des Hammers) in die Türsäule
und melken aus dem Axthelm (d. i. dem Axtstiel,
Grimm, D. Wörterb. 1047). Geiler von Keysersperg hielt
am Freitag nach Mittfasten 15(^8 eine Predigt darüber:
„Wie das die Hexen Milch aus einem Axthelm melken')."
„Nun wolan du fragest zuerst," fäugt er an, „was sol ich
daruff halten, künnent die hexen die kue verseihen vnd inen
die milch nemen das sie nicht mer milch geben vnd kün-
nen sie die milch aufs einer alen oder aufs einer axt-
helm melken?" Geiler bekennt sich dann zu der von
pastimes of the people of England Ide ed. 358. Auf diesen Umzug bezieht
sich wohl das Kinderlied:
Cushycow bonny let down thy milk
and J will give thee a gown of silk
a gown of silk and a silvertee,
if thou wilt down thy milk to me.
Halliwell nursery rhymes 83, 158. Verhexte Kühe werden in Schottland an
geredet :
Bonnie ladye, let down your milk
and m gie yoii a goon o silk,
a goon o silk and a ball o twine.
bonnie ladye thy milk's no mine.
Chambers, Pop. rhymes of Scotland S. 35. Aehnlich den englischen Milch-
mädcheu laufen im Unterinnthal in Tirol die jungen Bursche am ersten Mai
im Dorf herum mit Kuhglocken läutend. Man nennt diese Sitte das
Grasausleuten. Zeitschr. f. D. Myth. III, 339.
1) Stöber, Zur Geschichte des Volksglaubens im Anfang des XVI. Jahr-
hunderts 62. Geilers Omeis. Predigt XVII. Dabei ist ein alter Holzschnitt.
Rechts im Vordergründe vor einer Haustüre prasselt ein gewaltiges Feuer aus
einem Kessel oder Topfe empor und schlägt an einen Pfosten an; in diesen
Pfosten hat eine vor einem Kübel knieende Hexe eine Axt geschlagen, aus
deren Stiele sie Milch zieht zur grofsen Freude und Venvunderung zweier
neben ihr stehender "Weiber. Links im Hintergrunde ist eine Kirche nebst
einem Hause, bei welchem eine ganz abgemagerte Kuh sichtbar wird. Zwi-
schen der Kirche und dem Hause fallen aus einer Wetterwolke Ha-
gelsteine lierab.
35
Sj)renger im Malleus maleficarum aufgestellten Auffassung,
des Vorgangs: „Die Hexen stofsen ein Messer in die
Wand, nehmen zwischen die Knie einen Milcheimer und
rufen den Teufel, er möchte ihnen von der Kuh, die die-
sem oder jenem gehört, die Milch verschaflfen. Der Teu-
fel melkt nun geschwind die Kuh und bringt der Hexe die
Milch, wo es dann aussieht, als wenn sie dieselbe aus dem
Messerstiel herausziehe, womit der Teufel die Hexe nur
täuscht, der die Milch durch die Luft brachte')." Eine
Hexe rühmt bei Hans Sachs ^) :
Die gschofs kann ich segnen und heylen
vnd melcken milch aufs der thorseulen.
Beispiele ausBüdinger Hexenprocessacten bringt Crecelius''):
„1562 nimmt eine hexe nachdem sie das kraut grofufsgen
in wein genofsen ,ein axthelm', dasselb hab sie inn jres
bulen namen getzogen, do sey aufser dem axthelm milch
von der khue, uff welche sie damals jre sin vnd gedancken
geschlagen, kommen," 1596 ward eine Frau beschuldigt
„sie solle ein karsthelm jn die wandt im khuestall
schlagen vnd daraus jn des teuffels namen deren leutt khuen,
auff welche sie ihre gedanken habe, melken." — Auf die
Hexen war mancher Glaube übergegangen, der sich ursprüng-
lich an die Elbe, Thunars Diener und diesen selbst knüpfte *).
1) Uebersetzung der Stelle ans Euuemosev, Geschichte der Magie 806.
2) Wunderliches gesprech van fünf vuholden. Ausg. von Götz II, 44.
3) Zeitschr. f. D. Myth. II, 72.
4) Belgischer Aberglaube versichert sogar von den Hexen: „Foudre leur
ob^it et se met, disent les campagnards, ä genoux devant elles." Eman-
cipation 1837 173. Die Stöcke und Besen, auf denen die Hexen zum
Blocksberg reiten, sind wohl Symbole des Blitzes (vergl. Zeitschr. f. D. Myth.
11,86. 111,390). Dunuerbessem ist eine ■wcstphälische Verwünschung.
Wie die Kuh mit dem Vogelbeerzweig gequiekt wird, werden im Lü-
denscheidtschen den Kühen am ersten Pfingsttage weifse Besen mit
weifsem Stiel, welche mit Stechpalmen und Eichenzweigen ge-
schmückt sind, ans Hörn gebunden. Nachdem damit das Haus gekehrt
ist, hängt man sie im Kuhstall auf. Diese Sitte bezieht sich auf den Aber-
glauben, dass die trockenen Kühe die Milch in den Hörnern haben.
Woeste a.a.O. An der Mosel stellt man am Walpurgistage Abends zwei
Besen kreuzweis auf, ebenso die Feuerzange und Feuerschüppe.
Die Salbe, mit denen diese Stöcke gesalbt wurden, bedeutet die himmlische
Butter, das Regenwasser. Wenigstens spricht dafür die Zusammensetzung der
Hexensalbe. Nach Voltaire (Dict. bist, et phil.) besteht sie aus Kuhmist
3 *
36
Auch der Umstand, dass die Axt in die Torsäule geschla-
gen wurde, weist auf Thunar hin. Denn, wie weiter unten
zu besprechen ist, spielten grade die Torsäulen eine
grofse Rolle in Thors Cultus.
Endlich darf die Mythe, dass Indra an der Milch der
Kühe sich labte, wiederum in Hexenacten ihr Gegenbild
suchen. In einem Process, der uns umständlich berichtet
wird, kehrt mehremale ^) der Zug wieder, dass der Teufel,
der sehr oft an die Stelle des Donnergottes trat, die Hexe
eine Kuh melken heifst und dann selbst die Milch austrinkt.
„Er hätte aus dem Melkstotze gesoffen." Erst das
Zusammentreflfen aller im Vorhergehenden nachgewiesenen
Züge macht uns gewiss, dass die Germanen dieselbe
Vorstellung vom melkenden Donnergott, wie die vedischen
Inder, aus der Urzeit gemeinsamen Zusammenlebens bewahr-
ten. Fänden sich nur einzelne Züge, so bliebe immerhin
die Möglichkeit einer späteren selbständigen Production ein
und derselben Auschauunof aus gleicher Naturgrundlao-e be-
stehen , so wie z. B. die arabischen Dichter ganz analog
der indisch-germanischen Darstellung als Kuh die lichten
Wolken (Schäfchen) als Karaeele bezeichnen, die beim
Regen gemolken werden.
c) In einigen Stellen heifst Indra selbst Stier-) als be-
saamende Kraft ^) , weil er es ist , der aus der Wolke als
seinen Saamen Regen ergiefst. Er heifst in dieser Eigen-
schaft Vrishan der Regnende von vrish regnen. Vrishan,
vrisha und vrishabha sind wiederum von derselben Wurzel
abgeleitete Wörter für Stier, die man gewöhnlich „semine
irrigans" erklärt, „ihn den Indra erstarken wir zu den ge-
waltigen Vritra Mord, er sei der Stier, ein wahrer Stier.
Du o Indra, der durch Kraft der Stärke und der Macht
(bouse de vache) und Geisenhaar (poil de chevre) ; nach Michelstädter
Hexenacten im erbachschen Archiv (fasc I, 71 — Wolfs Papiere) aus giftig
Gallenkraut mit drei gelben Blättern mit blauen Blumen (vgl. oben
S. 2, Anra. 5) einem ungetauften Kinde und frischer Butter.
1) Uhu oder Schatzgräbergeschichten. Erfurt 1788 pact. II, 82. 83. 9G.
2) Rigveda Eosen XXXII, 3.
3J Benfey, Chrestomathia Sanscr. gloss. 178.
___37
entspross, du wahrlich Stier, du bist ein Stier ').'' „Wahr-
haftig ja, du bist der Stier, du bist der stierstüraiische
Hort! denn Stier, o wilder, warst du fern von uns genannt
und Stier heilst du in unsrer Näh' ^). — Vrisliapatni den
Stier (Indra) zum Gemahl habend ist ein Beiwort des Was-
sers, der Wasserfrau '')." Mitunter nimmt Indra auch Kuh-
gestalt an: „Heute flehe ich dich an als eine verehrungs-
würdige Kuh, eine himmhsche, die uns die Flut ihrer
nahrungsreichen Milch sj)endet*)."
ec) In Schwaben und Baiern scheint St. Niclas an
Donars Stelle getreten zu sein. Er erscheint in der Klöpf-
leinsuacht, klopft am Klausenabend fürchterlich an
die Türen und ist in Erbsen st roh gehüllt, das Donar
heilig war ^). Die Bauern von Irrsee stellen ihn dar als
einen in eine Kuhhaut mit Hörnern gehüllten Mann").
1) Sämaveda Benfey I, 2. 1. 3. 5. 6.
2) Sämav. I, 3. 2. 3. 1.
3J Sämav. II, 2. 2. 18. 3.
4) Rigv. Lauglois V, 7. 5 10.
5) Ueber die Erbsen als Thunars Festspeise, s. Kuhn, Nordd. Sagen.
Gebr. 352; Sag. Anra. 13. — Zeitschr. f. D. Myth. III, 105.
6J Panzer II, 117. No. 85. Hier kann ich nicht unterlassen, eine An-
merkung einzuschalten. Nicht überall sind die Kühe Persorificationen der
Wolke, sondern auch anderer Naturerscheinungen und Wesen, z. B. des Lichts
und der Erde. Die Symbole des Lichts, der Wolke und der Erde sind über-
haupt fast immer die nämlichen. 1) Das Schiff ist gewöhnlich Bild der
Wolken. Diese heifscn in den Vedenliedena Schifte des himmlischen Meeres
und ihre Wasser ,,Nävyäh die zum Schiffe gehörigen" = Kaicci, JVtjuc^
Quell- ursprünglich Wolkengöttin ( vergl. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf.
I, 536). Athene ist als Wolkengöttin und Besitzerin des Iiimmlisclien Schifis,
Schützerin der Seefahrt. Lauer, System der griech. Myth. 155. 357. Dem
Skandinavier hiefs Vindllot (navigium venti) die Wolke; als Schiff der ho-
hen Göttinnen bei den Germanen weist sie Schade, Ursuhisagc 71 fgg., nach.
Wenn aber Herakles in einem vom Apollon entliehenen Goldbeclier mit
den Rindern des Geryön über das Meer setzt, so ist darunter der Sonnenball
zu verstehen. Ebenso muss das Schiff, dessen sich die indischen A^vinau, die
Personificationen der beiden ersten Lichtstrahlen des Morgens, wie die ihnen
entsprechenden griechischen Diosküren bedienen, um dem Jleerfahrer zu Hilfe
zu eilen, Symbol der Lichtstrahlen sein. Im deutsclicn Mythus begegnet das
Boot, auf welcliem Skeäf der Sonnengott (MüUcnhüff, Zeitsclir. f. D. Altert.
VII, 418 fgg.) von Osten nach Westen über das Meer fahrt. Freys Schiff
Ski'Sbladnir könnte aucli die "Wolke bedeuten. Nach Dappcr, Asia et Arabia
p. 143, ghiubtcn die Sabcer, die Sonne fahre in einem Schiff, worin statt des
Mastbaums ein Kreuz sich befinde. Denselben Glauben hegten sie vom Mond.
Ein Engel war zum Wäcliter über die Fahrt der Gestirne gesetzt. 2) Rosse
sind die Wolken in vielen Sagen. Saraivyu, die in ein Ross verwandelte Gc-
38_
d) Indra's Begleiter sind die Maruts und Ribhus. Die
Maruts sind Personificationen der Sturmwinde. Sie heifsen
Söhne der Pripni und des Rudra, der ebenso wie Indra von
witterwolke, entspricht der von Poseidon als Stute umarmten Demeter Erinys
(Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 452). Das Pferd hiefs den späteren
Indern Cribhrätri, Bruder der Cri (Lakshmi), weil es gleich ihr aus den Mee-
reswellen, d. i. dem Wolkenmeer, kam. Pott, Etymol. Forsch. II, 407. Myth.^
1221. Daher berühren sich Eoss und Schiff. Schon Odyss. XIII, 81 wird
das schnellsegelnde Schiff der Phaiakeu einem Viergespann von Hengsten ver-
gliclien, welche, von der Geifsel getrieben, ihren Weg in gröfster Eile vollen-
den. Ueber das Ross als Symbol der Wogen vergl. Gerhard, Griech. Myth.
I, 19. §. 40, 7. In der nordischen Skäldensprache heifst das Schiff der Wel-
len Ross, wie nicht minder dafür den Angelsachsen die Ausdrücke merehen-
gest, sifiheugest, vaeghengest, fearodhengest, saimearh, zu Gebote standen.
Odhinn der Sturmgott reitet auf seinem Ross Sleipnir, der eiligen Wolke. Die
Rosse der Valkyreu, von deren Mähnen der Tau in die Täler fällt, sind eben-
falls Wolken. Andererseits wird in den Veden die Sonne häufig als Ross ge-
dacht. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 119. Indras falbes Ross be-
deutet die Tageshelle oder den Blitz; der A9vinen weifse Pferde, wie das des
Agni Lichtstrahlen. Im Mahabhärata wird erzählt , dass Aurva seine Zomes-
flamme ins Meer entlud, damit die Welt nicht zu Gnmde gehe und dass diese
Flamme sich in ein Rosshaupt verwandelte, das noch im Meere weilt.
Lassen, Indische Altertumsk. I, 765 Anm. Das Ross Chrysaor bei den Grie-
chen ist Personification des Blitzes. Selene fährt Ovid fast. V, 16. mit zwei wei-
fsen Rossen. Alsvigr und Arvakr sind germanische Sonnenrosse, wohin auch
die heiligen Rosse des Freyr zu rechnen sein werden. 3) Der Schwan ist
das Bild der Wolke in der ValkjTeusage, wie bereits Stuhr, Nordische Altei--
tümer S. 99, richtig erkannte. Apollöns Schwan war nach Preller, Griecli.
Mythol. I, 159, die schimmernde Wolke, welche vor dem Sonnengott herzieht.
Ueber den Sch\van als hellenisches Sj'uibol der Wolke s. auch Lauer, System
155. 176. Die Veden kennen einen Vogel Garudha mit schönen goldenen
Flügeln, den mau am Himmel fliegen sah als Boten des Varuna (Uranos).
„Ein hoher Gandhar^-a stand über dem Himmel, buntfarbige Waffen tragend.
Den duftenden glänzenden Saft anziehend gebar er die geliebten Gewässer.
Wenn er Tropfen ausgiefsend, mit dem Blicke des Geiers in der Luft
umherschauend zum Meere geht, wirkt die Sonne in reinem Lichte glänzend
im dritten Luftgebiete. (Sämaveda II, 11, 1, 13. p. 160; Stephenson p. 278).
Nach Lassen, Ind. Altertumsk. I, 787 ist der Garudha das der Sonne voran-
eilende Gewölk. Diese Deutung scheinen die Namen des Vogels Vajratunga
und Vajrajit (Donnerkeilseroberer) und die daran sich knüpfenden Sagen zu
bestätigen. In der epischen Sage der Inder befinden sich die Garudhas in
beständigem Kampf mit den Schlangengeistem (vergl. Sömadeva übers, von
Brockhaus II, S. 99 fgg.). Wie Lassen a. a. 0. nachgewiesen hat, rührt diese
Feindschaft daher, dass der Garudha als Vogel des Indra, wie dieser den
Schlangendämon Ahi und seine Sippe bekämpft ( s. darüber unten unter e.
und eej. Roth dagegen will den Garudha als Symbol der Sonnenkugel be-
trachtet wissen (Nirukta 107), wofür sprechen würde, dass in der Hindureli-
gion der Garudha das Reitpferd des Vishnu, eines ursprünglichen Sonnengot-
tes ist (s. Pattcrson, Of the origiu of the Hindureligion. Asiatic researches
VIII. 1808 S. 48). Auch ward der Garudha mit dem Göttervogel, ,,dem
Asuratöter, dem Indrafreund" Tärkya identifizirt. Früher dachte man sich
39
ihnen besfleitet wird. Man dachte sie sich reich mit ^ol-
denen Armspangen, hellen WaiSPen und leuchtenden Panzern
geschmückt auf rehbespannten Wagen durch die Luft fah-
diescs mythische Wesen, eine Personification der Sonne, in Rossgestalt. Roth,
Nirukta 142. In vielen Vedenstellen heifst die Sonne Schwan (vgl. Kuhn,
Zeitschr. f. vergl. Sprachf. V, 120) hansa, oft unbestimmt Vogel (patanga),
sehr häufig aber auch Geier oder Falke (Weber, Indische Literaturgesch.
195), was auf den Gedanken führen könnte, dass das Falkeukleid (fjagrharar,
valshamr) Frevjas, der Schwester des Sonnengottes Freyr, hiemit in Verbin-
dung stehe. Aeschylos nennt Suppl. 213 die Sonne Zrjvn^ öoiti'. Wiederum
ergiebt die mythische Stammtafel, Fornaldarsög. II, 7 :
Sol (Sonne) _ Dagr (Tag)
Svanhilldr Gullfjögr (Schwanhild Goldfeder)
Svanr hinn RauQi (Schwan der Rote)
die Auffassung des Schwans als Sonnenstrahl. Nach Saxos Bericht (ed. P. E.
Müller I, 41) erobert Hading (Njör'ör) die Stadt Duna, indem er durch Vo-
gelsteller allerlei Vögel, die in der Stadt nisteten, einfangen und ihnen glim-
mende Erdschwämme unter das Gefieder binden, sie so zurückfliegen und
die Stadt anzünden lässt. Dieselbe Sage erzählt Saxo von FriSlef in Bezug
auf Duflyn (Dublin). Jedenfalls durch Normannen ist diese Uuberlieferung
auch zu den Kelten gekommen. König Gormund belagert Caredig von Bri-
tannien in der Stadt Caer-Vyddin (Cirencester zwischen Oxford und Bristol)
und erobert sie, indem er eine grofse Anzahl Sperlinge einfängt und ihnen
mit Pech und Schwefel gefüllte Nussschalen unter die Flügel bindet. Die
Sperlinge fliegen in die Stadt zurück; das Feuer in den Schalen wird durch
die Bewegung angefacht und am nächsten Tage steht Caer-Vyddin in Flam-
men (Brut Tysylio. San Marte Gotfried v. Monmouth S. 440. Girald Cambr.
topogr. Hibern dist. 3. c. 39, 40). Snorri schreibt dieselbe Kriegslist Haralldr
Haidraöi zu, der mit einigen Warägern im Dienste des byzantinischen Hofes
eine Stadt in Sicilien belagert. Er lässt den Vögeln mit Wachs und Schwe-
fel bestrichene Kienspäne auf den Rücken binden. Unzweifelhaft sind Wa-
räger auch die Urheber der von Nestor erzählten Sage, dass die russische
Fürstin Olga der Stadt der Drewier Korosten (Iskorost a. d. Usha in Volhy-
nien), die sie lange vergeblich belagert hatte, gegen die Abgabe einer Taube
und dreier Sperlinge von jedem Hof, Frieden verspricht. Sie wolle die Vö-
gel auf dem Grabe ihres von den Drewiern getöteten Gemahles opfern. Der
Tribut kommt ein. Da wird jedem Sperling und jeder Taube in einem klei-
nen Tuch Schwefel und Feuer angebunden.- Sie fliegen in ihre Nester zurück
und zünden die Häuser an. E. Pabst, der (Bunte Bilder, d. i. Geschicliten,
Sagen und sonstige Denkwürdigkeiten Ehstlands, Livlands und Kurlands. Rc-
val 1856 I, S. 10 — 19) diese Sagen bespricht, stellt daselbst S. 10 Anm. die
nicht unwahrscheinliche Vermutung auf: ,,Die feuertragenden Vögel
sind die Sonnenstrahlen, die dem Regime nte des Winters ein
Ende machen." Fri'ölef ist Hypostase Freys des Sonnengottes, Ha-
ding ein anderer Name für dessen Vater Njörör. Als fliegender Vogel
erscheint die Sonne in dem Zs. f. D. Myth. III, S. 19. 129 besprochenen altger-
nianisclien Rätsel: ,,Es flog ein Vogel federlos u. s. w." Audi den Finnen flog
die Sonne. Lemminkainens Mutter will die im Tuonifluss zerstreuten Stücke ih-
res Sohnes zusammenharken. Sie bittet die Sonne, mit ihren Strahlen das
Volk von Tuonela einzuschläfern:
Die von Gott geschaffne Sonne,
Die lier vorgebracht der Schöpfer.
40
ren. Sie lassen lauten Gesang, das Sturmgebraus ertönen,
wobei Himmel und Erde erbeben , die Berge zittern , die
Bäume stürzen und die Wolken zerstieben.
Flog, wie ohne Kopf ein Hühnchen,
Wie ein Vogel ohne Flügel.
Flog zur Hölung einer Birke,
Auf die Krümmung einer Erle;
Scheint ein Weilchen voller Hitze,
Scheint ein zweites, dass man schwitzet.
Scheint ein drittes voller Schärfe,
Schläfert ein das Volk Manalas.
Schwebend fliegt sie drauf von dannen.
Fliegt hinauf zum höchsten Himmel,
An die alte Stätte wieder.
An die längst gekannte Stelle.
Kalevala R. XV, 222 fgg. Wainämoinen spricht zu Sonne und Mond, als sie
aus der Gefangenschaft in Pohjola befreit sind:
Frei bist Goldmond, du, des Felsens,
Frei o Sonne du geworden.
Gleich dem gold'nen Kukuksvogel,
Gleich der sanften Silbertaube
Stiegt ihr zu den frühern Sitzen,
Fandet ihr die frühern Bahnen.
Kalevala R. XLIX, 407 fgg. Bei den americanischen Rothäuten erscheint der
grofse Geist Kitschi Manitu in Gestalt eines Vogels; blickt er spähend um-
her, so entsteht der Donner. Müller, Americanische Urreligionen S. 120. Die
Hundsrippeniudiauer und die Chepewyans lassen die Erde ursprünglich mit
Wasser bedeckt sein. Kein lebendiges Wesen gab es aufser einem gewaltigen
Vogel, dessen Blick Blitz, dessen Flügelschlag Donner war. Einst tauchte
derselbe ins Wasser hinab und holte die Erde hervor. Klemm, Kulturge-
schichte H, 155. 160. Nach der Fassung dieses Mj-thus bei den Mönitaris
hatte der Vogel ein rotes Auge, was wohl auf die Sonne weist. M. v. Wied,
Americanische Reise Coblenz 1839 — 41 II, 221. Auch die Karaiben stellen
sich ihren Donnergott Sawaku als einen Vogel vor, der — echt karaibisch —
den Blitz dadurch veranlasst, dass er durch ein gi-ofses Rohr Feuer anbläst.
De la Borde, Nouveau voyage aux iles de l'Amerique, übers, von Fr. Schade
I, Anh. 385. 388. Müller, American. Un-eligion 222. Vergl. Aehuliches von
den Brasilianern, Müller a. a. O. 271. — Bei den Deutschen erscheint auch
die Erde als Vogel. Myth.'* 635. 4) Ebenso oft wie als Wolken werden
die Rinder des Indra von indischen Commeutatoren als Sonnenstrahlen er-
klärt. Siehe auch schon Rigv. Langl. II. 4, 6, 5. „Mit derselben Kraft die
dich beschwingt, Indra, zu erheben die ewigen Morgenröten, die preislichen
Kühe." Auch der Blitz wird mit der Kuh verglichen. Rigv. Rosen XXXVIII,
8. Des Helios Heerde auf Thrinakia, welche die glänzenden Nymphen Phae-
thüsa und Lanipetie, Neairas Töchter vom Helios, hüten ; die Sonneuheerdeu
auf Tainaron iu Elis und der korinthischen Kolonie Apolloniä sind Bilder
von Lichtstrahlen. Preller a. a. O. I, 292. Selenes Wagen ziehen weifse
Kühe (Nitidos stupefaeta juveucos Luna premit. vergl. Auson ep. V, 1. Nitsch,
WB. II, 165). 16 wird als die am Himmel wandelnde Mondgöttin ge-
fasst. Preller a. a. O. II, 27. Den die Europe raubenden Zeus erklärt Prel-
ler a. a. 0. II, 79 als Sonnen stier, Euröpe, bei der schon J. Grimm, Myth.'
Ihre Schar ergänzt sich aus den Geistern der Ge-
storbenen (Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 102). Die
Ribhus sind ihnen nahe verwandt, ebenfalls Geister selig
verstorbener Menschen, deren Naturelement vorzüglich das
Gebiet der Sonnenstrahlen und des Blitzes zu sein scheint.
Sie stehen zu Indra in fast ebenso nahem Verhältnis wie
die Maruts. Andererseits preist man sie als bedeutende
Schmiedekünstler, welche den Göttern wunderbare Kleinode,
z. B. Indra den Donnerkeil verfertigt haben. Als solche
stehen sie unter der Herrschaft des Tvashtri und sind seine
Gesellen. Himmlische Geister von der Art der der Ma-
ruts und Ilibhus, Seelen frommer Menschen sind auch die
Angirasen, welche sich von jenen hauptsächlich dadurch
unterscheiden, dess sie zu Agni gesellt, ihre Tätigkeit vor-
314, Kuhgestalt annahm als Mondgöttin = 16. Die Untersuchung ist noch
nicht abgeschlossen. Es wird bei ihrer weiteren Fortsetzung in Betracht zu
ziehen sein, dass Here bei Hesych s. v. Euröpiä heifst. Auch Demeter führt
bei Pausan. IX, 39, 4. den Namen Europe und J. Grimm machte bereits
Mji;h.'* 631 darauf aufmerksam, dass der Name Europe an iv^ila das Bei-
wort der Erde erinnert. Das indische Epos kennt eine Sage, wonach Dyaus,
der griechische Zeus die Kuh des Ueberflusses Nandini, unsere Wolkenkuh
raubt. Holtziuaun, Indische Sagen III, 100 fgg. — Ein Goldstier (GuUin-
horni) , nach Freys Opferfarren selbst FrejT genannt, ist S3mibol des germa-
nischen Sonnengottes. Ein Stierhaupt von Gold fand sich im Grabe Childe-
richs zu Doomyk. Es trug auf der Stirn das Sonnenrad mit 9 Speichen.
Auf die Sonne bezüglich waren unzweifelhaft auch die Kälber und Hir-
sche, in welche sich die Burgunden am Neujahrstage vennummten. Mone,
Geschichte des Heidentums II, 167. lu dieser Weise ist auch wol die rote
Kuh, welche in Holdas Brunnenreich, der Wolke (s. weiter unten) oder dem
Himmelsmeer gemolken sein will KIIM. III.- 42. Panzer, Beitr. I, 190. No.
210. Keynitsch, Truhten und Truhtensteine 128 fgg., so Mde die rote Kuh,
welche beim Weltuntergange über die Seelenbrücke, d. i. die Milclistrafse
Kaupat oder den Regenbogen geführt werden soll (Müllenhoff, Schleswig-
holst. Sagen 509. Menzel, Odin 11. Kuhn, Nordd. Sagen S. 497) als Blitz
aufzufassen. In Indien war die Kuh auch Symbol der Erde. Als Kuh ge-
staltet klagte sie nach dem Rämäyana den Göttern ihr Leid, als der hundert-
köprige Riese Rävana von Lanka (Ceylon) aus die Welt bezwungen hatte
und weder Mensch noch Gott Hilfe zu schaffen vermochte. Aus dieser Kuh-
gestalt der Erde erwuchs die Wunschkuh (^avalä, Kämaduh, Kämada, Käma-
dughä, Surabhi (Bopp, Conjugationssystem 167. Pott, Zeitschr. f. vergl.
Sprachf. IV, 427). Ueber die Berührungen von yjj imd skr. gö s. Myth.'^
631. Auch bei den Germanen finden sich Spuren einer ähnlichen Vorstellung.
J. Grimm hält Myth.^ 631 die Erdgöttin Kindr mit rinta cortex und rind
arnientum, sowie der Urkuli Audhumbla zusammen. Analog sagen die Tür-
ken, die Welt ruhe auf einem Ochsen. Joh. Andr. Büttner, Turca religiosus
p. 171.
42
züglich im Element des Feuers (ursprünglich des Gewit-
terfeuers) offenbaren. Von den Maruts heifst es nun an
mehreren Stellen, dass sie die himmlischen Wolkenkühe
melken. „Die Maruts ergiefsen das Regenwasser, Butter
giefsen sie aus, wie opferbereite Priester, rossschnell lehren
sie die Wolke regnen, sie melken die Donnerwolke
die unverkürzte ')." »Der Blitz lacht, wenn er die Ma-
ruts die Butter der Ge wölke über die Erde ergiefsen
sieht-)." Den Angirasen wird der Besitz der Wolken-
kühe in mehreren indischen Sagen zugeschrieben^). Von
den Ribhus heifst es, sie hätten die himmhsche Kuh ge-
macht. Ein Hymnus erzählt, dass die Ribhus von Agni
zum Opfer der Götter (Devas) herbeigerufen und aufgefordert
werden, dem Indra sein falbes Blitzross, den Apvins einen
Wagen zu schmieden, die getötete Opferkuh wieder
ins Leben zurückzurufen, und zweien Greisen die Jugend
wiederzusreben, Sie tun dies und nun erhebt sich ein Preis-
gesans zu ihren Ehren. „Aus der Haut habt ihr die Kuh
hervorgehen lassen durch eure Lieder, die Alternden habt
ihr jung gemacht, o Söhne des Sudhanvän, aus einem Rosse
machtet ihr ein (anderes) Ross ■*)." Auf diese Tat beziehen
sich mehrere Gesänge, z. B. Rigv. Langl. f. L 1. VII, 5. 8:
„Ribhus mit der Haut habt ihr die Kuh umklei-
det und mit dem Kalbe die Mutter wieder verbunden,
Söhne des Sudhanvän, den greisen Vätern habt ihr die Ju-
gend wiedergegeben." In einer Hymne des Vamadeva wird
die Belebung als jährlicher Vorgang geschildert: „Weil die
Ribhus ein Jahr die Kuh behüteten, weil sie jedes Jahr
die Kuh bildeten, weil sie jedes Jahr ihr Glanz verliehen,
haben sie die Unsterblichkeit erlangt ^)."
Ich kann mich nicht mit Neve einverstanden erklären,
wenn er meint, dass die hierin ausgesprochene Anschauung
1) Rig%-. Roseu LXIV, 6.
2) Rigv. Langlois s. II. 1. IV, h. 3, 8.
3) Rosen Rigv. pag. XXI.
4) Rigv. Langl. s. II, 1. III, h. IV.
5) Rigv. Iir. 7. 1. 4.
43 _
nichts als dichterische Vervielfältigung einer einmal gesche-
henen Tatsache sei ^) , mir scheint vielmehr dieser Mythe
die Erneuermig der durch anhaltenden Regen im Winter
aufo-ezehrten Wolke zu Grunde zu liegen. Diese Deutuno;
wird auf das erwünschteste durch die Wahrnehmung be-
stätigt, dass in den Veden sehr häufig die Wolke als Zot-
te n fe 1 1 aufgefasst wurde -), Ein kleines am Himmel übrig
gebliebenes Wölkchen (die Haut der Kuh) wird durch die
Gunst der Ribhus zur ganzen, Fruchtbarkeit spendenden
Regenwolke wieder erneut. — Wie Indra werden die Ribhus
auch angerufen, eine Kuh mit weifser Milch zu spenden ^).
Unter ihren Wundertaten wird auch aufgezählt, dass sie
aus einem Rosse ein ganz ähnliches hervorgebracht haben "*).
Grade wie den Ribhus verjüngende und belebende Kraft
beiwohnt, steht sie auch Indra zu: „Auch hast du geheilt,
o Vritrasieger, zwei Unglückliche, einen Blinden und
einen Lahmen. Eine gleiche Gunst wird dem zu Teil,
der dich preist ^) "
dd) Wenn im vedischen Glauben die Ribhus und Ma-
ruts bereits getrennte, obschon verwandte Geisterscharen
bilden, so zeigen reichliche Spuren, die sich im vedischen
Mythus erhalten haben, dass nicht allein sie sondern auch
noch eine dritte Klasse von seligen Geistern die Pitris (Pa-
tres, Väter), die Seelen der frommen Voreltern ursprüng-
lich eine und dieselbe Geisterschar bildeten und die sehs
Verstorbenen überhaupt bezeichneten, welche man sich in
allem Leben der Natur als Elementargeister tätig dachte ").
Von ihnen bildeten die Angirasen, welche Weber als die
Geister der gemeinsamen iudo- persischen Vorväter nach-
1) Neve, Essai sur le raythe des Ribhavas. Paris 1847 S. 190. Anin.
2; 272 fgg.
2) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. V, 146.
3) S. d. Hymne des Vamadeva v. 1. Ich schicke mein Lied zu den Ri-
bhus empor, wie einen Boten, ich flehe sie an um eine Kuh mit weil'ser Milch
beim Ausbreiten der Opferstreu.
4) Ni3vc, Essai 272.
5) Rigv. Lang. s. III, l. VI, h. 12. 19.
f>) Kuhn, Zeitschr. f. vergl. .Sprachf. IV, 102 fgg., besonders S. 115.
44
wies '), nur eine besondere Abteilung. Sie hatten ihren Sitz
in einem hoch über dem Wolkenhimmel gelegenen Licht-
lande, das durch den Luftstrom und das Wolkengewässer
von der irdischen Welt geschieden ist. Deshalb erschien
nach anderer Auffassung auch das Wolkenmeer als der
Wohnsitz und der Schauplatz ihrer Tätigkeit. Erst spä-
ter trat eine Sonderung und Scheidung zwischen diesen
Geisterscharen ein nach der besonderen elementaren Func-
tion, welche man einzelnen Gruppen derselben zuwies. Im
griechischen und germanischen Mythus sind nun diese Gei-
ster ebenfalls nachweisbar; sie führen denselben Namen wie
die vedischen, ihre Verrichtungen aber sind, zum Beweis
für ihre einstige Identität, häufig unter einander vertauscht,
so dass z. B. diejenigen Taten, welche der Inder den Ma-
ruts zuschreibt, bei den Germanen den den Ribhus entspre-
chenden Geistern zukommen und umgekehrt. Der Name
der Maruts, von mr, mar, zermalmen gebildet, bedeutet die
Zermalmenden oder die Austrocknenden. In der deut-
schen Sage entsprechen den Maruts einmal die Geister der
Gestorbenen, welche im wütenden Heer, oder der wil-
den Jagd mit Wodan einherfahren ^) ; Wodan selbst ist
dem indischen Sturmgotte Rudra wesensgleich, der als der
Vater der Maruts genannt wird und mit ihnen, wie Wo-
dan mit dem wütenden Heer durch die Luft daherfiihrt,
unbeschadet ihrer auf der andern Seite feststehenden Ver-
bindung mit Indra ^). Gleich dem Zuge der Maruts be-
steht das wütende Heer aus Seelen, die in der Luft daher-
fahren, eine wunderbare Musik ertönt aus ihrer Mitte,
das Sturmlied ; Bäume wanken, Felsen brechen wo es durch-
zieht; der Mensch, der ihr Nahen merkt, muss sich platt
auf die Erde werfen, um nicht mit hoch in die Lüfte ge-
rissen zu werden. — Eine andere Gestalt, in welcher die
Maruts in der deutschen Mythe erhalten sind, sind die
Märten oder Mären, welche bis auf den Namen den ve-
1) Weber, lud. Studien I, 2t)[>. Ind. Literaturgesch. 144.
•2) S. darüber Kuhn, Zeitschr. f. D. Altertum V, p. 488 fgg.
3) Zeitschr. f. D. Myth. I, 54 fgg. Ebendas. II, 326.
45
disclien Geistern ähnlich sind. Der Volksglaube stellt sich
darunter Seelen verstorbener oder lebender Menschen, die
zeitweihg den Körper verlassen, vor, welche verwünscht
sind Bäume, Wasser oder Menschen nächtlich zu
drücken, oder zu reiten. Hier ist deutlich die niederdrük-
kende, zermalmende Sturmgewalt personifizirt , was noch
deutlicher aus zweien Segen gegen die Märt erhellt:
Märte er de mik wutt berien,
saste erst alle bärge und däler 6 wer Strien,
alle grasspire inknicken,
alle lofbläre afflicken,
alle Stern am himmel teilen,
jindefs werd wol dag sin *).
In Belgien:
O Maer gy gelyk dier,
komt doch dezen nacht niet weer,
alle waters zult gy waeyen,
alle bloemen zult gy blaeyen,
alle Spieren gerst zult gy teilen,
komt my doch dezen nacht niet kwellen ^).
Im Aargau: Trottenkopf
Ich verbiete dir Haus und Hof,
Ich verbiet' dir mein Ross- und K übst all.
Auch verbiete ich dir mein Bettstatt,
Dass du nicht über mich tröstest,
Tröste in ein anderes Haus,
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 198. Lcrbach im Oberharz.
Märte, ehe du mich willst reiten,
Sollst du alle Berge und Täler überschreiten,
Alle Grashalme einknicken,
Alle Laubblätter abpflücken,
Alle Sterne am Himmel zählen,
Gegendess wird es wol Tag sein.
2) Belgien. Wolf, Niederländ. Sagen G89.
O Mär, du tiergestaltete,
Komme doch diese Nacht nicht wieder.
Alle Wasser sollst du bewehen,
Alle Blumen sollst du aufblasen,
Alle Gerstenhalme sollst du zählen.
Komme doch diese Nacht nicht wieder mich quälen.
46
Bis du alle Berge steigest,
lieber alle Zaunstecken eilest,
Ueber alle Wasser reitest,
So kommt der liebe Tag wieder in mein Haus').
In einer pommerellisclien Sage, die Wolf nach meiner
Aufzeichnung (Beitr. 11, 200) mitgeteilt hat, wird als Ge-
schäft der Mahren angegeben: „Baumspitzen, Dornsträu-
cher und Eis" zu drücken. Eine Mär oder Drüt bei
Panzer drückt sich an einem Schindelbaum '^). Dass der
Mahrendruck in der Bewegung (des Sturmgesauses ) ge-
schieht, spricht ein bairischer Segen aus: „bis du alle
Berge steisjest und alle Zaunstecken zählest und über
alle Wasser steigest '')," Wie Rudra, der Vater der
Maruts von den im Knaul geballten Wolken, die der Wind
vor sich her treibt, Kapardin der Flechtentragende, Locken-
tragende heifst; werden nach den Mären die zusammenge-
ballten verfilzten Hare bei uns Märklatt, Mären-
locke, Wichtelzopf, Weichselzopf benannt. Wir kommen
später auf die Mären zurück. Den Ribhus entsprechen die
germanischen Eiben, ahd. alp, plur. elpir, elpi, mhd. alp,
elbe, ags. ylfe, altn, älfar, schwed. elfvar. Diese Wörter
kommen etymologisch mit dem indischen Ribhu überein ").
Die spätere germanische Mythe teilte die Elfen oder Elbe
in Lichtelbe, Dunkelelbe und Schwarzelbe oder Zwerge
(liosälfar, döckälfar, svartälfar), machte unter diesen noch
wieder einen Unterschied und eine Abteilung in mannigfache
1) Zeitschr. f. D. Myth. IV, H. 2. Vergl. Kuhn, Nordd. Sagen p. 461.
Xo. 458. M'i'th.* 1195. Leoprechting, Aus dem Lechrain p. 26. Meier,
Schwab. Sagen p. 172.
2) Beitrag I, 88.
3) Panzer a. a. 0. 269, 202.
4) Ribhu entstand aus Arbhu und der Wechsel von r und l ist eine
häufige Erscheinung, so dass wir auf eine gleichbedeutende Form Albhu schlie-
fsen dürfen. Die zu Grunde liegende Wurzel enthält gleicherweise den Be-
griff des Nährens wie des Leuchtens, woher älrpöq {Xevy.al xal dXfol. Plato,
Tim. 85a weifse Hautflecken"), albus, aber auch üJ.rfiTOv sich erklären. Un-
ser liban (leben) gehört vielleicht zur selben Wurzel ribh, so dass in altn.
älfr, goth. ALBS, ahd. alp, ags. älf von vornherein die Bedeutung des glän-
zenden Lebensgeistes steckt. S. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 110.
Schweitzer, ebend. I, 562.
I
47
Klassen: Holden, Gütchen, Kobolde, Hausgeister, Nixen
u. s. w., und legte ihnen verschiedene Wohnsitze im Him-
mel, auf der Erde und unter der Erde zu. Eine unbefan-
gene Untersuchung lehrt aber, dass alle diese Unterschiede
nicht ursprünglich waren, dass alle Elbe Seelen Ver-
storbener und zu sjleicher Zeit Elementaro-eister bedeu-
ten, dass ihnen allen ehemals ein himmlischer Wohnsitz
zustand, wovon die Sitze auf und unter der Erde nur Lo-
calisierungen waren; dass endlich ihre Verrichtungen teils
denen der Ribhus, teils denen der Maruts gleichkommen.
Wir werden im Verlauf unseres Buches näher darauf ein-
zugehen Veranlassung finden. Den Maruts gleichen sie be-
sonders durch ihren hinreifsenden Gesang, den AI bleich,
der alles umher, selbst Bäume und Felsen zu unwidersteh-
lichem Tanze hinreifst; den Ribhus durch ihre Fertigkeit
die wunderbarsten Kostbarkeiten zu schmieden, beiden
durch in grofsen Scharen gehaltene Umzüge. Mit allen
diesen Geistern, den den Ribhus sowol wie den den Ma-
ruts entsprechenden, stand unser Thunar in enger Verbin-
dung. Zwar ist es hauptsächlich Wuotan (Odhinn), der an
der Spitze des wilden Heeres daherfährt — grade wie in
Indien Rudra in noch engerem Verhältnis zu den Maruts
steht, wie Indra, allein auch Thorr fährt als Führer des
wilden Heeres (reiS) bei den Norwegern über Land und
Meer '). Auch in deutschen Sagen sind mehrere Spuren
davon erhaUen, dass an Stelle Wodans Thunar mitunter
an der Spitze des wilden Heeres stand. So deutet Wolf-)
gewiss richtig auf Thunar die Ueberlieferung, dass auf dem
Bergschlosse zu Kirnbach in den Adventsnächten eine Kut-
sche umfährt, die mit zwanzig Böcken bespannt ist und
woran zwei brennende Laternen hängen. Sie wird von
einem vormaligen Grafen des Schlosses gelenkt, der in vol-
ler Rüstung mit geschlossenem Helmgitter allein darin sitzt.
Ihm folgen mehr als hundert Knappen, deren jeder einen
1) Sopliiis Buggc, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. III, 29. Myth.' 898.
2) Beiträge II, 135.
48
Speer und eine angezündete Fackel trägt'). Wir
ersehen aus der Benennung der Heersclinepfe (seolopax gal-
linago), Donnerziege, Himmelsziege^), dass auch dem
deutschen Thunar die Ziege, der Bock ein geheilig-
tes Tier war. Andere Fingerzeige gewähren uns die mehr-
fach vorkommenden Sagenzüge, dass der als wilder Jä-
ger umreitende Geist die dem Thunar geweihte rote
Farbe trägt '^) Das wilde Heer zog stäts am Fastnachts-
dounerstag durch Eisleben. In der Schweiz zieht die
wilde Jagd unter dem Namen Posterlijagd am Donner-
stag vor Weihnachten um. Andererseits zeigen Thunars
Verbindung mit den den Ribhus entsprechenden Eiben
und zwar mit allen Arten derselben die zusammengesetzten
Namen Albdonar und Thorälfr^), so wie die Benen-
nung eines Zwerges Hans Donnerstag^), des Donner-
keils (den ja auch die Ribhus dem Indra schmiedeten)
Albschoss, Maresten (Märenstein)''), Vaettelius (Wichte-
licht), Dwarfsten '). Die Mär, in der wir oben die al-
ten Maruts erkannt haben, heifst in mehren oberdeutschen
Gegenden Trüthe, Drüt ^). Das entsprechende altnordische
Wort Thrüör ist der Name einer Tochter Thors ^). Was
am Donnerstag ohne Licht gearbeitet wird, bekommen
die Unterirdischen, diese kommen am Donnerstag aus
ihren Wohnungen hervor •"). Am Donnerstag soll man
sich nicht kämmen, damit die Läuse den Unterirdischen
1) Baader, Badische Sagen 79.
2) Myth.* 168.
3) Myth.2 892. Wolf, Rodenstein und Schnellert 59.
4) Myth.2 170. Grimm, Mythologica S. 3.
5) MüUcnhof, Sagen XLVIIl".
6) Stobacus ceraunü baetulique lapides 132.
7) Keysler, Antiquitates selectae 502. Quelil erzählt in seinem Buch
„Aus Dänemark 1856" S. 207 von den Bomholmer alfen: ,,Die Uuterjordiske
reiten zu Pferde, ihr Häuptling auf einem Ross mit 3 Füfsen. Sie tragen
blaue oder stahlgiaue Röcke vmd rote Mützen. Die Belemniten sind
ihre Kugeln und ein schwacher Ton, der aus der Feme gehört wird, der Laut
ihrer Trommeln. Sie helfen den Bonden gegen fremde Eindringlinge.
8) S. Panzer, Beitrag II, 88. Rejmitsch, Truhten und Truhtensteine.
9) S. Zeitschr. f. D. Myth. II, 332.
10) Russwurm, Eibofolke II, 256. §. 386, 2.
49
nicht in die Schüsseln fallen '). Man vertreibt den Haus-
geist (Tonitegubbe) damit, wenn man am Donnerstag Ar-
beiten verrichtet^). Um einen Kranken zu heilen, legt
man Donnerstag bei Sonnenuntergang etwas von ihm in
den Elfentopf, in welchem Opfergaben für die Elfen (Alfar)
beigesetzt wurden*^). Am Donnerstag opferte man im
Norden den Hausgeistern ( Toftevaetter ) und dem Was-
serelf (Fossegrim) *). Am Donnerstagabend setzt man in
Norwegen den Hauskobolden (Nissen) Grütze, Kuchen und
Bier hin ^). Diese Wesen leiden am Donnerstagabend
keinen Lärm oder Tumult in ihrer Nähe. *^). An Don-
nerstagen setzt man die Wechselbälge, d. i. von den El-
ben für menschliche Kinder eingetauschte Eibenkinder, an
Kreuzwegen aus '') , oder streicht sie mit Ruten ^ ). An
Donnerstagen werden Alraune, wiederum Hausgeister
belebt^). An Donnerstagen halten die Hexen^ welche,
wie schon bemerkt, aus alter Eibensage entsprangen, Um-
zug'''). An Donnerstagen isst man Erbsen "), die Lieb-
lingsspeise der Zwerge *'-).
Von allen diesen den Maruts und Ribhus der indischen
Sage entsprechenden Wesen meldet unsere Mythe einen
nahen Zusammenhang mit dem Rindvieh und der Milch-
bereitung. Von dem wilden Heer heifst es, dass es Kühe
zum Opfer verlangt '^). Wenn der Christabend kam, hat
man im Hellhause in Ostenholz, wo an diesem Tage Jahr um
1) Kuhn, Nordd. Sagen S. 323.
2) Myth.' CXII, 110 nach Odman Bahusläns Beskrifning. Stockli. 1746.
3) Afzelms, Schwed. Volkssagen, übers, von Ungewitter I, 40,
4) Lex. Myth. 951.
5) Faye, Norske Sagn 44.
6) Ebendas. 45.
7) Lex. Myth. 952.
8) Eibofolke II, 260. §. 386, 3.
9) Eibofolke II, 246, §. 377. Lex. Myth. 952.
10) Praetorius, Blockesbergesvemchtimg. Eibofolke II, 263. §. 387, 3.
— 265. §. 388, 11. 13. — 206. §. 361, 9. Aus Tirol, Zeitsclir. f. D.
Myth. I, 294.
11) Kuhn, Nordd. Sagen S. 445, 352.
12) Kuhn a. a. 0. S. 468, 13. vgl. S. 12. 13. Zeitschr. f. D. Myth. I,
197. III, 105.
13) Kuhn, Nordd. Sagen 276. No. 3.
4
50
Jahr der wilde Jäger (Helljäger) hindurchzog, jedesmal eine
Kuh hiuauslassen müssen. Die ist, sobald sie nur draufsen
war, verschwunden gewesen. Welche Kuh das aber sein
musste, hat man schon vorher ganz genau wissen können,
denn wenn es um Martins- oder Michaelistag kam, ist die
Kuh, welche au der Reihe war, zusehends fetter als alle
anderen Kühe geworden. Als man dies einmal unterliefs,
entstand ein fürchterliches Toben und Lärmen um das Haus.
Die Kuh, welche an der Reihe war, ward im Stall wie
rasend, sprang die Staken hinauf und beruhigte sich nicht,
bis man sie hinausliefs. Da war sie plötzlich verschwun-
den. Zu Lustnau in Schwaben wollte der wilde Jäger,
der dort Ranzenpuffer heifst, nicht leiden, dass man bei
einer Viehseuche ein sehr schönes Kalb schlachtete und
aufzehrte. Als die mit dem Töten des erkrankten Viehs
beauftragten Männer dies dennoch taten, kam ein grofser
schwarzer Hund und schnupperte eine Zeitlang um sie
herum. Als er fortging brach ein gewaltiger Sturm los.
Gleich darauf erschien RanzenpuflPer wieder selbst und for-
derte das Fleisch zurück, das ihm gehöre. Da man noch
nicht Folge leistete, schlug er nach einem, so dass er zu
Boden fiel und nach achttägiger Krankheit starb '). Im
Windgassi zu Pressburg wohnte eine Frau, die Maklerin,
die durch Milchhandel sehr reich wurde. Wenn Nie-
mand in der Stadt Milch hatte und überall die Kühe Blut
gaben, waren die ihrigen gesund und sehr ausgiebig. Da
sah man einmal den „schwären Wagen" d.i. die wilde
Jagd in ihr Haus ziehen und dort verschwinden. Die
Geister hatten ihren Viehstand gesegnet -). Als der wilde
Jäger Herodis in Struckhausen seinen Hund zurückgelassen
hatte und die Leute ihn ein Jahr laug gut verpflegten,
schenkte er dem Hause, dass es darin das Jahr
nachher sehr reichliche Butter und Milch gab.
Der Bauer ist dadurch einer der wolhabendsten der gan-
1) Meier, Schwab. Sagen 111.
2) Schröer, Zeitschr. f. D. Myth. II, 190.
51
zcn Gegend geworden '). Den Alpenhirten nimmt der Durst,
d. i. der wilde Jäger, Kühe fort und führt sie hoch in die
Wolken. Entweder kommen sie nie, oder am dritten Tage
halbtot und ausgemolken zurück^).
Dieselbe Erscheinung lässt sich bei allen Eiben beob-
achten. Da die Geister des wilden Heeres und die Eiben
Seelen sind, so gebe ich zunächst Beispiele von dem Vor-
kommen der Kuh bei Totenopfern. Im Pastorat zu Brits-
werth in Friesland wurde bis in den Anfang dieses Jahr-
hunderts eine eiserneKuh aufbewahrt. Wenn die Leid-
tragenden dem Geistlichen eine lebendige Kuh überga-
ben, damit er für das Seelenheil des Verstorbenen bitte, so
wurde jene eiserne Kuh vor oder hinter dem Sarge auf
den Kirchhof mitgeschleppt. Die lebendige Kuh wurde
unzweifelhaft früher am Grabe geopfert, dafür trat die ei-
serne als Symbol ein ^). Dieselbe Sitte hatte einst bei den
Inselschweden auf Worms statt. Sie schlachten jetzt bei
Begräbnissen entweder ein Schaf oder ein Huhn. Früher
aber gab man für die Beerdigung eines Bauerwirts dem
Pastor einen jungen Ochsen („will mau einen grofsen und
alten Ochsen geben, denselben verschmehet der Pastor auch
nicht," sagt ein Kirchenbuch von 1590), für die Beerdi-
gung einer Wirtin eine junge Kuh, wofür er dann dem
Leichengefolge eine Mahlzeit auszurichten verbunden war *).
In Sachsen finden sich Spuren davon, dass Tote mit Kü-
hen zum Grabe gefahren wurden^). — In Legenden, be-
sonders in fränkischen, kehrt der Zug wieder, dass des
Heiligen Leichnam auf einem mit Kühen oder Ochsen
bespannten Wagen liegt und von diesen an die Stätte ge-
fahren wird, wo er begraben werden soll. So sagt Seba-
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 101.
2) Bechstein, Deutsch. Sagenbuch 15. Wolf, Beiträge II, 149.
3) Schotanus, Beschr. von Friesland fol. 208. Buddingh, Verhandeling
over het Westland 146. Drcntsche Volksalmanach 1842, 133.
4) Inland 1855 Mai 23- S. 332. Eibofolke II, 94. §. 294. Russwurm
bemerkt sehr richtig: ,,AVahrscheinlich sollte das Blut der Rinder die Manen
beruhigen."
5) Pröhle, Magdeburger Correspondent 1850. 2tes Quartal. „Zur deut-
schen Altertumskunde." Pröhle, Harzsagen XXXI.
4*
52
stian Brand vom h. Sebald: „ Daruacher legt man sein
lychnam u& ein wagen vnd stehen zwen wild ochsen
daran, die zngen in do er noch ligt von in selber ')." Vergl.
die Legenden der h. Ginthüd '), Stilla^), des Fräuleins auf
der Kahnenmühle bei Waldnab"). In der nordischen Kor-
makssaga (saec XII.) wird erzählt, dass Alfar in einem
Grabhügel wohnten. Kormakr bereitet diesen ein Opfer,
indem er mit dem Blut eines geschlachteten Stiers den
Hügel besprengt und den Alfar vom Fleisch eine Mahlzeit
bereitet (veizla)^). — Wie die indischen Kibhus stehen
unsere Elbe in dem entschiedensten Bezug zur Kuh. Weit-
verbreitet ist der Glaube, dass die Elbe und Zwerge Kühe
zu erlangen suchen und ihnen die Milch aus dem Euter
ziehen. Dvergspeni heilst altn. das ausgeniolkene Euter
der Kühe"). Ein Zwerg kauft einem Bauer seine Kuh
um ein Fläschchen ab, das die Eigenschaften des „Tischchen
deck dich" besitzt, und versinkt mit der Kuh in die Erde').
Die Ulken, d.i. die Alten (die indischen Pitris) melken
die Kühe der Bauern, so dass die Mägde mitunter, wenn
sie auf die Weide kommen, dieselben schon ausgemolken
finden ^). Die Säligen Fräulein, lichte Elbe in Tirol hel-
fen den Bauerfrauen in der Wirtschaft. Wenn ein solches
Fräulein Butter schlägt, kommt noch einmal so viel aus
dem Kübelchen, und wenn eines die Kuh melkt giebt
das liebe Vieh mehr Milch, als zu andern Zei-
ten^). Ganz ähnliche Wesen, wie die Säligen Fräulein,
sind die Elfen(?;, zarte Geister im bairischen Hochland. Diese
melken auch die Kühe, wodurch diese doppelt
milchreich werden'"). An Donnerstagen belebt man
1) Passional bl. 129.
2) Feuerlein, De Miphlezete Emmenzheimensium. Yitemberg. 1700 §. IV.
3) Panzer, Beitrag zur D. Myth. I, 161, 185b.
4) Panzer a. a. O. 225, 256. vergl. 265, 150.
5) Kormakssaga 216. 218. Myth.^ 417. Für den Hügel besprengen
ist rioöa röten gebraucbt. So besprengte man die Götteraltäre.
6) Björn, Lex. Island. 160. Myth.^ 1026.
7) Meier, Schwab. Märchen S. 76.
8) Kuhn, Nordd. Sagen S. 288. No. 322.
9) Ziugerle, Kinder- und Hausmärchen. Insbruck 1852 S. 55.
iOj Schöppncr, Bairisches Sagenbuch II, 25, 489.
er
53^
in Dänemark hasengestaltige Alraune, w^IcLe ihren Herrn
d.e Mdch fremde. Kühe zutragen ■, Auf B rnto „
i't 7... . ;; '^'^ Butterbnnger % Ein ähnlicher Al-
gkratz, der se? '^«^^«^^^^^'^den an der Küste Russlands de
hen anderer Leute PJ^^^^'" MiJch bringt, die er den Kü-
die fffiroeischen Draugar meßvt.oder aussauo-t •*). Auch
Seischweden auf Nuckoe und Wichlevlje ^). Bei den In-
Mär (Mura) allnächtlich den Kühen die Milch «^n^jj ^^^^
Unnererschen stehlen gerne Milch. Eine shetländische lin-
fin, welche Milch gedieht hatte, liefs bei ihrer Flucht ein
schönes, aber seltsames Gefäls zum Ersatz zurück'). In
Schweden stellen besonders die Skogsrä, aber auch andere
Trolle den Kühen nach, um sie zu melken^). Das Wal-
sermäunle, ein Hauskobold in Vorarlberg, nimn^t den Kü-
hen im Stall die Milch ^). Milch ist das Opfer für die
Elbe, zumal dem Hausgeist wird eine Schüssel Milch in
einen Winkel gesetzt '"). Wenn man dem Ausgang der
Elbe kein Hindernis in den Weg stellt und ihnen eine
Schüssel Milch hinsetzt, lassen sie ein kleiues Geschenk zu-
rück "). Die nordische Eibenmutter Hyllemoer, Hyllefrü
besänftigte man in Blekingen, wenn sie erzürnt war, durch
Milch' "^j. Hiemit erklärt sich denn auch, weshalb das Hul-
dufölk, die Erdmännlein, Nixen u. s. w. Kühe besitzen, und
weshalb der Hauskobold Napfhans die Kühe auf den ge-
ftihrlichsten Stellen zur Weide führte, ohne dass je eine
1) Hammevich, Skandiuaviske Reisemiuder 281.
2) Lex. Myth. 952.
3) Skougard, Beskrivelse over Bornholm 111.
4) Eibofolke II, 242. §. 374.
5J Aiitiquarisk tidskrift 1851. S. 315.
6) Eibofolke II, 402. §. 3GH.
7) Grimm, Irische Elfenmärchen XCIl.
8) Arndt, Schwedische Reise III, 12. IS).
9) Steub, Drei Sommer in Tirol. München 1846 S. 86.
10) Grimm, Deutsche Sagen No. 38. 45. 75. 273. 298. Elfenmiirclieu
LXXIX.
11) Elfenmiirchen XCVI.
12) Dybeck. Kiina 1845 S. 56.
54
verunglückte •). Ihnen war, wie den indischen Augirasen,
ursprünglich als Seligen des Himmels der Niefsbrauch,
oder etwas anders ausgedrückt, der Bfc^Hz der göttlichen
Wolkenkühe verliehen. Ebenso hütete der 'ar.amaör, der
bei des Isländers Kodran Hof in einem Steine^^^oW'^^.^^es-^
sen Vieh^). Ein Bergmännlein wurde zur .^ y^^^^j^^^^^^
der Bärenweid, einem hoben J^l' freiwilliger Helfer beim'
sichtbar, bot sich den^J'darin sehr fleifsig, bis man ihn
Viehhüten ÄSiCnk eines grünen liöckchens vertrieb^).
durr-J-'^öüirt stieg einst im Winter auf seine Senne, um
emige Käsleibe zu holen und blieb über Nacht da. Da
kamen die Berggeister und begannen zu sennen, melkten
emige Geisterkühe und bereiteten Käse*).
üebertragung des alten Elbenglaubens auf die Hexen
findet statt in der weitverbreiteten Meinung, dass diese den
Kühen die Milch benehmen können oder Milch und Butter
auf zauberische Weise entwenden, woher die Hexe wie der
elbische Schmetterling (Buttervogel), der in der himm-
lischen Wolkenregion seine Heimat hat, Molken tö ver-
sehe, Milch dieb, Milchzauberin heifst^). Darumsind
die Hexen auch stets an den Milchschüsseln kennbar, die sie
wie Hüte auf dem Kopfe tragen. So tief wurzelte der Glaube
vom Zusammenhang der Milch- und Butterbereitung mit
den Eiben, dass in England eine Art Pilze Fairybutter
(Eibenbutter) heifst«), bei den Friesen Traalbutter ')
(Trollbutter, d. i. Butter böser Elbe), im Saterland Hexen-
butt er «). Die Inselschweden auf Worms bezeichnen ebenso
einen Holzschwaram (mucor unctuosus flavus L.) als Trull-
smer (Trollbutter) oder Trullskid (Hexendreck). Die
1) Grimm, Irische Elfeumärchen XCVII.
2) rornmauiiasög. I. cap. 131. Faye, Norske Sagn 46.
6) 8teub, ürei Sommer S. 82.
4) Steub a. a. O. 62.
5) Myth.2 1026. Eibofollve II, 218. §. 364, G.
6) Glossary of North county words. s.\-.
7] Kuhn, Nordd. Sageu, Gebr. Anm. 48. Mülleiihoff, Sagen 212.
8) Kuhn a. a. 0. Gebr. 48.
55
Hexen sollen ihn bei ihren nächtlichen Besuchen an den
Wänden der Ställe und Milchkammern zurücklassen. Legt
man ihn in das Loch eines Holzstücks vom Vogelbeer-
baum, vernagelt das Loch und verbrennt das Holz, so
muss die Hexe sich einfinden, und um ein Stück Brod oder
ein Glas Milch bitten, weil sie durch die Ceremonie er-
krankt und auf keine andere Weise geheilt w^erden kann').
In deutschen Hexenprocessen heifst Hexenbutter
eine durch Ausdünstung der Pflanzen entstandene Masse,
die sich besonders in Kohlgärten findet. Sie soll von
den zum Hexensabbat mitgenommenen Kindern, die sich
von den teuflischen Speisen übergeben, ausgespieen sein.
In Schweden nennt man bräunliche und gelbliche Ausdün-
stungen des Korns und der Blumen Trollsmör (Trollen-
butter) oder Bara. Waldgeister oder Hexen (Trollkärin-
gar) sollen sie ausstreuen. Man nimmt neunerlei Holz,
zündet es zu einem Scheiterhaufen an und wirft vom Troll-
smör hinein, oder man peitscht nur das Feuer von neuner-
lei Holz. Dann müssen die Trollkäringar, die man im
Verdacht hatte, sich ofienbaren ^). Den gleichen Namen
Trollsmör und Bare smör führt in Schweden aethahum
flavum, jener Holzschwamm. Man wendet ihn in glei-
cher Weise und zu gleichem Zwecke an ■^). Auf Island
heifst ein Kraut, und zwar eine Art der Treraella, Trold-
smoer*). Hexensmiter heifsen bei Iserlohn die Brom-
beeren. Ein Bauer aus Summern bei Iserlohn erzählte,
er habe als Kind nie Brombeeren gegessen, weil man sagte,
der Teufel brauche sie um seine Schuhe damit zu schmie-
ren ^). Jener Name Bare smör geht auf ein mythisches
Wesen Bära, BJära, Bare zurück, das in mehreren schwe-
1) Eibofolke II, 219. §. 364, 10. Auch sonst stehen die Elbe mit den
Pilzen in Verbindung. „De kwaede elfen" bereiten das Gift in den giftigen
Erdschwämmen. Emancipation 1837 No. 163.
2) Arndt, Reise in Schweden III, 75.
3) Is. Erici, Oeconomia 1643 II, 29. Dybeck, Runa 1845 p. 61. Suomi
1850 p. 240.
4) Mohr, Forsög til en Islandsk naturhislorie med adskillige oeconomisk«
anmoerkninger. Kjöbenh. 1786 S. 238.
5) Mitteilung Fr. Woestes.
56
dischen Landschaften bekannt ist. Dieses ist ein Alraun,
welcher seinera Besitzer Milch, Butter und andere Le-
bensmittel ins Haus bringt. Man redet ihn an:
Smör och ost skall du mig bringa,
ach derför (skall jag) i helvetet briuna.
d. i. : Butter und Käse sollst du mir bringen,
Und dafür (soll ich) in der Hölle brennen.
Die Finnen entlehnten, wie Castren nachweist'), diesen
Glauben von den Schweden. Sie nennen den Geist Para
und sagen zu ihm:
Bringe Butter, bringe Milch her.
Bringe Butter Bergesrautter,
Saure Milch o Teuf eis wirtin.
Saure Milch lass aus der Presse,
Süfse aus der Macht der Säure.
Dann hat die Hausfrau Ueberfluss an Milch und Käse^).
Para melkt die Milch fremder Kühe ab und trägt sie in
die Butterfässer seiner Wirtin ^). Der Holzschwamm heifst
finnisch Paranvoita, d.i. Paras Butter. Ihn pflegen die
Abergläubigen in Theer, Salz oder Schwefel zu brennen
und mit einer Peitsche zu schlagen, weil die Zauberin Mit-
leid bekommen und sich zeigen soll, um für ihren dienst-
baren Geist zu bitten. Trullsmer — ehstn. noia-woid,
nÖia-woi — heifst auch an der russischen Küste eine Salbe
aus Eibischblättern (althea officinahs), welche angewandt
wird, um damit durch Zauberei gelähmte Glieder zu be-
streichen *). Beiläufig ist unter den vielen Kräutern , wel-
che den Namen Butterblume u. dgl. im Schwedischen
tragen (z. B. smörfänga, mjölkblomma, trimjölksgras = cal-
tha palustris; smörört, smörbloma = ranunculus acris) be-
sonders sempervivum tectorum, hüslauk, hüslök, engl, hou-
seleek, niederd. hüslak hervorzuheben, gewöhnlich Sraöre,
1) Castren, Fimisk mythologi. Helsingfors 1853 S. 169. Schiefuer
165—168.
2; Leucquist, De superstitioue vcteruiu Ffunoruiii S. 53.
3) Ganauder, Mythologia Fennica 66. 67.
4) Eibofülke I, 222. §. 365, 3. Vgl. auch noch das Drachenschmal'/,
Panzer I. 201). 204.
57
im Norden von Bahuslän Smörebok genannt, da diese
Pflanze bei uns, in Scandinavien und England ') aufs Dach
gesteckt wird, um Gewitter vom Hause abzuhalten.
Die beigebrachten Beispiele sollten dazu dienen, die
Beziehung der Kühe zu den Eiben zu erhärten. Schon im
vorigen Abschnitt haben wir bewiesen, dass die eigenen
Kühe der Eiben die himmhschen Wolkenkühe waren. Wir
sahen ferner, dass Thunars Umgang mit den Wolkenkühen
auf die irdischen Tiere übertragen wurde. Folgerichtig
werden wir schliefsen müssen, dass dasselbe bei den Eiben
geschehen, und auch in Bezug auf diese das irdische Rind
an die Stelle des himmlischen getreten ist. Dann aber ist
bewiesen, dass das wilde Heer und die Elbe wie die Ma-
ruts und die Ribhus die Wolkenkühe melkten. Ebenso
bestimmt lässt sich die Wiederbelebung der Kuh durch
die Ribhus im germanischen Mythus von den den letzteren
entsprechenden Eiben und den mit ihnen ursprünglich iden-
tischen Geistern des wilden Heeres nachweisen. Vonbun
erzählt, dass das Nachtvolk (d. i. das wütende Heer,
in Bregenz Wuothas genannt) '^) unter der Messe in ein
Haus kam, die Mastkuh aus dem Stall zog, schlachtete und
unter lautem Jubel verzehrte. Die Kinder durften mitessen,
erhielten aber den Befehl^ keinen Knochen zu zerbeifsen.
Beim Abzüge Hest das Nachtvolk die Knochen zusammen,
findet aber ein &iöchlein nicht, das die Kinder verzettelt
haben. Darauf wickeln sie die begnagten Beine
in die Haut und sagen: „Wir können nicht helfen, das
Tier muss halt krumm geh'n." Mit einmal steht die
Kuh lebendig da, hinkt, aber auf einem Fufs'';.
1) Brand, Pop. antiq. III, 317. Bei den Ehsten heilst Hexenbutter
nöia-woi, eine aus faulen Eiem und andern Ingredienzien kunstgerecht be-
reitete Mischung, welche in der Johannisnacht an die Türen des Viehstalls
gestrichen wird, um Krankheiten darin hervorzurufen. Kreutzwald- Boeder
144. Findet ein Ehste diese Ilexenbutter auf dem Hofe an irgend einem Ge-
genstande haften, so lädt er seine Flinte mit Salz und schiefst hinein. In-
land 1856 XXI. No. 39. S. 630, 7.
2) Vonbun, Zeitschr. f. D. Altert. XI, 170.
3) Vonbun, Sagen aus Vorarlberg p. 27. Wolf, Zeitschr. f. D. Mytli.
I, 71.
58
Dieselbe Sage hörte Steub im Walsertal in Vorarlberg *).
Nach Jahn ^) sollen Zwerge im Pfaffenloch zu Bern hau-
sen, die von einer einzigen Kuh leben; das ihr zum
Verzehren tagtäglich ausgeschnittene Fleisch wächstje-
desmal in der Nacht wieder. Im Kanton Aargau
wohnte bei einer Salzquelle ein wohltätiges Zwergenvolk,
die Heidemannli genannt. Diese gingen Nachts in den Stall,
stachen den Ochsen und Kühen ein schönes Stück
Fleisch heraus, kochten und afsen es. Am andern Mor-
gen war alles wieder verwachsen und solche Kühe
wurden die schönsten und fettsten im ganzen Lande. Als
einst ein Stallknecht von dem durch die Zwerge gekochten
Fleisch ein Stückchen isst, fehlt grade dieses Stück
am andern Morgen^). Auf dem Freiburger Moleson
trifft ein Jäger in einer verlasseneu Sennhütte Geister beim
Käsen. Sie bieten ihm Kuh fleisch, wovon er sich mit
dem Taschenmesser ein Stückchen abschneidet. Beim Er-
wachen findet er sich auf einem Aschenhaufen. Sein Knabe
kommt mit der Meldung entgegen, der schönen Kuh Spie-
gel (Miroir) fehle ein Stückchen Fleisch am hnken
Schenkel von derGröfse einer Fingerspitze^}. Ein
emmenthaler Wirt lässt jeden Herbst für die Berggeister
eine Kuh auf der Alpe zurück, von der er dann im Früh-
ling nur das Gerippe wiederfindet, sonst erreicht er nicht
ungefährdet das Tal. Ein Sennknecht erbittet sich einst
die Erlaubnis, die oben gelassene Kuh nachholen zu dür-
fen. Er steigt hinauf und legt sich ins Heu. Da hört er,
wie Geister unten Feuer anmachen, Milch sieden und kä-
sen. Bald tritt Jemand zu ihm heran, giebt ihm kuhwarme
herrlich gute Milch und etwas Fleisch zu essen. Er beifst
jedoch nur hinein. Als es unten still wird, steigt der
Knecht vom Boden und führt, durch eine Kienfackel, ein
Brod und seinen groi'sen Hund geschützt, die Kuh glück-
1) Drei Sommer in Tirol S. 82.
2) Kanton Bern S. 243.
3J Rocholz, Schweizersagen aus dem Aargau S. 316.
4) Bridel, Couservateur Suisse 1825 No. 43. Rocholz a. a. O. 385.
59
lieh heim. Sie hinkt jedoch auf dem Hinterfufs, worin ein
schon vernarbtes Stückchen Fleisch fehlt, grade so grofs
wie der Bissen, welchen der Knecht lu dor Nacht geges-
sen hatte ^). Ein Jäger traf in einer Alpenhütte auf dem
Sonnenberg in Tirol Geister, welche einem Rind Fett
und Fleisch ausschnitten, dann die geschundenen Beine
zusammensteckten und das Vieh wieder laufen
liefsen. Das ^'^'ausgeschnittene Fleisch sotten sie an ei-
nem grofsen Feuer '^). Boten die vorhergehenden Sagen
Belege dafür, dass die Elbe und das wilde Heer Kühe
melkten und eine getötete Kuh wieder lebendig
machten, so kehrt in der zuletzt namhaft gemachten Ue-
berlieferuug der Zug wieder, den schon die erste Sage bei
Vonbun uns bot, dass die Wiederbelebung erfolgt, nach-
dem die Knochen des aufgezehrten Rindes in die Haut
gewickelt sind. Diesen Zug bestätigen auf das Erwünsch-
teste noch mehrere andere Ueberlieferungen. Vom wüten-
den Heer erzählt man in Kärnten, dass es einmal in ein
Dorf kam, auf dem Dorfplatz ein Feuer anmachte, aus dem
nächsten Stalle einen Ochsen zog, den es schlachtete,
briet und verzehrte. Die Knochen wurden dann
in die Haut zusammengelegt, mit Ruten gepeitscht
und das Tier wieder lebendig gemacht^). Bei einer
Hexenversammlung in Ferrara, welche durch das Beisein
der Herodias entschieden auf das wütende Heer zurück-
weist, „befiehlt Herodias alle Knochen des zum Mahl ge-
töteten Ochsen über seine ausgespannte Haut zusam-
menzuwerfen und diese nach 4 Seiten hin über die Kno-
chen wälzend und mit einer Rute schlagend, macht sie
den Ochsen lebendig^)." Ganz ähnlich belebte nach der
Legenda Aurea 124 der heilige Germanus ein Kalb, das
sein Hauswirt für ihn geschlachtet hatte. „Nach der Mahl-
1) Rocholz a. a. O. Aehnliche Sagen von Alpkülien, besonders aber von
einer trächtigen Geis s. bei Vonbun, Zeitsciir. f. D. Altert. XI, 171. 172.
2) Zeitschr. f. D. iMytb. II, 177.
3) Zeitschr. f. D. Myth. III, 34.
5) Wodana, Museum voor Nederduitsche Oudheidskunde XX VIII. Mytli.'
1208. Wolf, Beiträge I, 89.
60
zeit liefs er alle Knochen des Kalbes über die Haut des-
selben zusammenlegen und auf sein Gebet stand das Kalb
unverweilt wieder lebendig da 'j." Auch der Abt Wilhelm
von Villers belebte einen Ochsen, den er Tao-s zuvor
hatte schlachten lassen, um das Gelüst einer schwano-eren
Frau zu stillen. Ein Bruder fand das wieder auferstandene
Tier wie gewöhnlich im Pfluge gehen. Erstaunt eilte er
zum Kloster zurück und trat in das Z>u^^^^^ ^^^ ^^. j^s
Fleisch hingetragen hatte. Da» Fleisch war verschwunden,
mit ihm die Haut und selbst die kleinste Spur von Blut,
worüber sich Alle verwunderten'-;. Man sieht, die in-
dogermanische Urmythe ist wörtlich bewahrt.
Die den Ribhus und Maruts etymologisch und sachlich ent-
sprechenden Elbe und Geister des wilden Heeres bilden wie
jene indischen Geister aus der Haut der getöteten
Kuh eine neue Kuh. Nur tritt ein Bestandteil hinzu,
welchen die vedischen Lieder verschweigen, das in die Haut
gewickelte Knochengerüst. Im südgermanischen Gebirge
bei Alamannen und Bojoaren ist unser Mythus am reinsten
und vollständigsten erhalten. Er taucht daneben in Eng-
land auf, ohne dass für jetzt zu entscheiden wäre, ob er
erst durch die Angelsachsen nach Britannien gebracht
1) Wolf a. a. 0. Eine andere Fassung dieser Sage bringt Mone (Ge-
schichte des Heidentums im nördlichen Europa II, 459. Anm. 112) aus Nen-
nius ed. Gunu 63. 64 bei. Der heilige Garmon verzehrt mit seinen Gelahr-
ten ein Kalb: „Praecepit autem socius suis, ut nullum os frangereut de
ossibus vituli. Sequenti autem facto mane diel inventus est vitulus sanus
et incolumis." Darauf verbrennt himmlisches Feuer die Burg des walli-
sischen Königs Belin, der Garmon vorher ein Nachtlager verweigert hatte. Ob
diese Sage von den Germanen zu den Kelten übergegangen, oder bei beiden
Völkern aus der Urzeit erhalten ist, lässt sicli für jetzt um so weniger ent-
scheiden, als noch einmal in einer keltischen Heiligenlegende diese Mythe,
jedoch von einem Hirsche erzählt, sich wiederholt. S. Wolf, Zeitschr. f.
D. M}-th. I, 213. Post haec Sauctus Moehua jussit, cervos illos occidi om-
nes, ossa tarnen eorum usque in crastinum illibate conservari. Satiatis igi-
tur turbis pauperum atque aliis qui aderant de veuatione mirabili Sancti Mo-
chuae die crasiino oervorum ossa coram viris Dei c ollecta sunt. Qui-
bus ut iu propria resurgerent forma, S. Moehua in n. D. niaudavit. Et sta-
tim ossa illa arida carnem et pellem indueruut et spiritum vivificuui assu-
munt atque iu pri^^tiui vigoris motum niembra extendunt. — Vita S. Mochuae
Cuani ap. Bollandum I, 46. cap. V. Jan. 1.
2) Thomas Cantiprateusis, bonum universale de apibus p. 246. Wolf,
Niederlaud. Sagen 343, 371. Wolf, Beiträge I, 89.
_^1
wurde. Aber auch in Schleswig werden wir eine Erinne-
rung an ihn nicht verkennen können, wenn die dortige
Sage wiederholt berichtet, dass der Hausgeist eine Kuh
tötete, aber noch in derselben Nacht durch eine
andere lebendige wieder ersetzte').
Wie die liibhus nach indischer Sage ein Pferd schu-
fen, erzählt ein deutsches Märchen, dass ein Schweinejunge
dem Teufel aus einer Kuh ein Pferd machen soll. Er hat
sich Zwerge zu Dank verpflichtet. Diese kommen, fres-
sen die Kuh mit Stumpf und Stiel auf und ziehen dann
ein Pferdchen aus der Tasche, so grofs wie ein Spielpferd.
Dasselbe wächst von Minute zu Minute und hat bald die
Gröfse eines gewöhnlichen Rosses erreicht ^).
Wenn in Indien, so viel wir bis jetzt wissen, die Wie-
derbelebung nur den liibhus zugeschrieben wird, so steht
sie in der germanischen Sage auch dem Herscher der Elbe
Thunar zu^). An die Stelle der Rinder treten nämlich
in mehreren entsprechenden Sagen ein Hahn und ein Fisch,
welche aus den sorgfältig zusammengelegten Kno-
chen und Gräten wieder hergestellt werden*). Gleich
dem Rind ist der Hahn Thunars Tier, der Fisch erin-
nert an die Bedeutung des Gottes als Vorsteher der Fi-
scherei ^). Eine irische Heiligensage kennt auch die Bele-
bung des in der deutschen Sage dem Thunar geweihten
Rotkehlchens bei St. Servan, der, wie Thunar, als
Drachen töter erscheint: „Servan was a saint of approved
prowess and great good nature; he slew a d ragen in
Single combat, turned water in to wine and once when a ho-
spitable poor man killed bis only pig to entertain
1) Müllenhofif, Sagen S24 CDXXXVIII.
2) Pröhle, Märchen für die Jugend No. 6. S. 24.
3) Dem entspricht jedoch, dass Indra selbst Eibhu heifst. Zs. f. vgl.
Spr. IV, 108. Es lag daher nahe, ihm das Geschäft der Ribhus zu übertragen.
4) Pfaffe Amis 969 fgg. Kuhn, Nordd. Sagen S. 33. Myth.^ 1208.
In einer belgischen Legende von der h. Pharaildis (Bolland. Jan. 4. I, 172)
wird eine Gans verzehrt und nacliher von der Heiligen wiederhergestellt. ,,Avis
ossa plumasqne sibi reportari praecipiens, quae inde reperiri poterant coa-
dunavit et niirabili stupendaque compositionc avem paene perditam prorsusque
mortuam viviücavit eamque ad solita pascua relegavit."
5) Zeitschr. f. D. Myth. II, 327. II, 313 fgg.
62
him and h i s religious corapanions he supped upon the
pork and restored the pig to life next morning.
St. Servan had a tarne robin, who used to feed from
his hand, perch upon his head or Shoulder while he was
reading or praying and flutter its wings and sing, as if bea-
ring part in his devotions. The boys of the monastery one
day twisted its head of and accused Kentigern of having
killed it. To prove his innocenty he made a cross upon
the head, and put is on again and the bird was
noting the worst, for what it had undergone ')."
Wir wissen jedoch wiederum nicht, welche Stellung diese
Ueberlieferung zum germanischen Glauben einnimmt.
Dafür werden wir durch deutliche Beweise aus den germa-
nischen Ländern reichlich entschädigt. Die von der Hero-
dias, wie vom wütenden Heer in der kärntischen Sage zur
Belebung angewandte Rute erinnert an die zum Kälber-
quieken gebrauchte Gerte, in der wir schon oben ein Ab-
bild des Gewitterhammers nachwiesen. Nicht ohne
Wahrscheinlichkeit erklärte daher schon "Wolf den Stab
des Herodias für die Blitz waffe '^). Wie das wütende
Heer oder die wilde Jagd dazu kommen kann, dieselbe zu
schwingen (indem der Sturm sich mit dem Gewitter ver-
bindet), tat schon Schwartz in seinem berühmten Programm
>Der heutige Volksglaube und das alte Heidentum" dar.
Die nordische Sage erzählt von Thorr, dass er beim
Bauer Egill die beiden Böcke, welche seinen Wagen zo-
gen, schlachtete und verzehrte. Er bat auch den Bauern,
seine Frau und Kinder zu Gast. Thorr legte die Bocks-
felle neben den Heerd imd sagte, der Bauer und seine
Kinder möchten die Knochen auf die Felle werfen.
Thiälfi, des Bauern Sohn, schlug ein Schenkelbein
mit dem Messer entzwei, um zum Mark zu kommen.
Thorr blieb die Nacht da und am Morgen stand er auf
1) Mirror XXVI. p. 16 — 31. Kuhn, Hagens Germania VII 1846 p. 432.
Vergl. Zeitschr. f. D. Mj'th. I, 218 nach Bolland I, 815. Jan. XIII.
2) Bei den Polen kommt bozj' pr^tek (Gottes Rute) und piorunowi
pratek (Donnerrute) als Name des Blitzes vor.
63
vor Tag, kleidete sich, nahm den Hammer Mjölnir
und erhob ihn die Bocksfelle zu weihen. Da stan-
den die Böcke auf, aber einem lahmte das Hinter-
bein'). Diese Mythe enthält nicht, wie Wolf glaubte'},
eine ältere und echtere Gestalt^ als die deutsche Sage, wel-
che erst durch Verfälschung die Eiben an die Stelle des
Donnergottes, die Kuh als hörnertragendes Tier an die
Stelle des Bocks gesetzt hätte. Vielmehr haben wir in
der nordischen Sage eine selbständige, aber nah verwandte
Mythe zu erkennen. Der Bock hat dieselbe Bedeutung
wie die Kuh ; er ist Symbol der Wolke, die des Gewitter-
gottes Wagen zieht, aus der er seinen Regen entsendet.
Auch dieses Symbol reicht in die indogermanische Urzeit
hinauf. Denn schon Indra heifst in den Veden Widder,
mesha und vrishni (mingens) als der, welcher aus der
Wolke den besaamenden liegen ergiefst. Er verwandelt
sich in einen Widder, um Medhyatithi zum Himmel hinauf-
zutragen. Von der Wolke, die Indras Widder genannt
wird, heifst es: „Hoch erhebe o Indra den Widder, den
des leuchtenden Himmels Kundigen, von dem hundert Ströme
auf einmal hervorgehen''). Die Belebung der Böcke durch
Thörr ist also der Belebung der Kuh durch die Elbe iden-
tisch, beide Formen der Sage sind aber selbständig. Die
nordische Mythe beweist uns, dass die deutschen Sagen
auch schon im germanischen Heidentum vorhanden waren,
die Uebereinstimmung mit der genau entsprechenden vedi-
schen Ueberlieferung rückt ihr Alter in noch höhere Zeit,
d. i. vor die Trennuno; der indogermanischen Völkerstämme
1) Gylfaginning 44.
2) Zeitschr. f. D. Myth. I, 71.
3) Zeitschr. f. D. Myth. II, 310. Zeitschr. f. vcrgl. Spraclif. IV, 426.
V, 146. Hoefer, Zeitschr. f. Wissensch. der Spr. I, 282. Auch in der grie-
chischen Mythologie ist der Widder Symbol der WoUve. Als solches tritt
er besonders in den Hermes- und Athaniantidensagen hervor. Preller, Griech.
Myth. I, 78. 93. 233. 248. 249. 205. II, 211. Als Wolkengöttin reitet
auch Athene auf dem Widder, d. i. der Wolke. S. Lauer, Archäolog. Zei-
tung 1849 No. 3. System der gi-iech. Mytli. 402 fgg. vgl. S. 155 und Ger-
hard, Griech. Myth. I, 18. §.40, 5. Der Bock erscheint als Symbol der
Wolke im Kult des Zeus Aktaios. Lauer, System 198. Die Ziege = Re-
genwolke s. Gerhard, Griech. Myth. I, 19. §. 40, 6.
64
hinauf). Nicht allein Tiere, sondern auch tote Menschen
lässt unsere Volkssage (wie es scheint von Thunar) wie-
derbelebt werden. Wir können eine Besprechung dieser
Sagen hier um so weniger unterlassen, als sie uns interes-
sante Aufschlüsse über das in den Tiererweckungen vorkom-
mende Zusammenlegen der Knochen gewähren und
die Grundlage für weitere in unserm Buch zu behandelnde
Untersuchungen darbieten werden. Am bekanntesten ist das
Märchen vom Machandelböm K. H. M. No. 47. Brüder-
chen wird von seiner bösen Stiefmutter geschlachtet, ge-
kocht und dem Vater beim Mittag vorgesetzt. Schwester
Marlenichen sammelt die Knochen alle und legt sie
in ein seidenes Tuch unter den Machandelbaum (Hollun-
der), den wir schon oben S. 15 als dem Thunar geweiht
zu erkennen glaubten. Unter Donner und Blitz ersteht
das Brüderchen, während die böse Stiefmutter durch einen
Mühlstein^) erschlagen wird. In einer Variante, die ich
in der Mark aufzeichnete, ist das Tuch ausdrücklich rot-
seiden, nach einer hessischen Version ^) bindet Schwester-
chen die Knochen mit einem rotseidenen Faden zu-
sammen. Rot ist Thunars Farbe. Somit wird es kaum
1) Meine Erklärung wird gefestigt durch die Sage von der Ziege Hei8-
rün , welche auf Vallhölls Dach steht und den Einheriar täglich berauschen-
den Met spendet. Weinhold, Altnordisch. Leben S. 43. 152. bemerkt mit
Recht: „Gewiss war es Anfangs wirkliche Milch, was sie gab. Erst später,
als die Ansprüche sich steigerten, wandelte sicli Heiörüns Gabe in Met."
Sie ist eins mit der Kuh, von der die Maruts tranken. In frühfiv
Zeit schon scheint im Norden die Darstellung derselben als Geis eingetreten,
in Deutschland erscheint die Ziege an Stelle der Kuh in einer vorarlberger
Sage. Zeitschr. für D. Altertum XI, 171. Der späten Zeit des Systems ge-
hört dann die Ausbildung der ethischen Bedeutung HeiSrüns an, welche Mül-
lenhof (Zur Runenlehre 47) nachweist. Zu vergleichen steht die griechische
Amalthcia. Dass es im Norden auch Sagen gab , welche die Belebung der
Tiere den A 1 f e n zuschrieben, scheint die Skälda zu verraten. Als der Zwerg
Sindri den Eber Gullinbursti schmieden will, legt er eine Schweinshaut in
die Esse und bald stand unter seinen Hammerschlägen ein goldenes Schwein
lebendig da. Auch die Ribhus schmiedeten die Kuh. Dem Eber Sashrim-
nir liegt dieselbe Bedeutung zu Grunde wie HeiSvün, vergl. Rig\'. Langl. VI,
5, 10, 10: O Indra, lass den himmlischen Eber (Varäha) uns geben hun-
dert fruchtbare Ströme und Ueberfluss nahrreicher Milch. Varäha
(Eber) bedeutet geradezu die Wolke. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. V, 146.
2) Mjölnir? s. Kuhn, Nordd. Sagen, Mäi-ch. 2.
3) K. IL M. III.2 S. 77.
65
zweifelhaft sein können, dass der Gewittergott die Belebung
vollzog '). In einem andern Märchen, vom Bruder Lustig
(K. H. M. No. 81) macht der in den meisten Fällen Thu-
nar vertretende Heilige, St. Peter Kranke gesund und Tote
lebendig. Er schnitt alle Glieder des Toten los,
warf sie in einen Kessel mit Wasser, unter dem er Feuer
machte, und liefs sie kochen. Als alles Fleisch von
den Knochen abgefallen war, nahm er das weifse
Gebein heraus, legte es auf eine Tafel undreihte
es nach seiner natürlichen Lage zusammen.
Dann trat er hervor und sprach dreimal: Toter steh' auf!
und beim drittenmal erhob sich der (die) Gestorbene ge-
sund und schön. Im Fitchersvogel (K. H, M. No. 46)
sammelt die jüngste Jungfrau die zerstückten Glieder ihrer
zwei toten Schwestern aus dem Blutkessel hervor und leojt
Kopf, Arme, Rumpf und Beine nach ihrer natür-
lichen Ordnung zurecht. Als nichts mehr fehlt, regen
sich die Glieder und schliefsen sich an einander. Beide
Mädchen öflfnen die Augen und sind wieder lebendig. Ebenso
verfährt der Einsiedler, welcher der Gemahlin OflPas IL,
der schönen Hygd, die zerstückelten Söhne wieder ins Le-
ben zurückruft. Sie war in Folge von Verläumduugen in
den Wald hinausgeführt, um sammt ihren Kindern getötet
zu werden. Die Mörder schonten, von ihrer wunderbaren
Schönheit gerührt, ihr Leben, töteten aber die Knaben und
zerstreuten ihre Glieder. Ein Waldbruder fügt die zer-
streuten Glieder wieder zusammen und belebt sie durch
das Zeichen des h. Kreuzes und Gebet -). Derselbe Mär-
1) Schon Mone äufserte (Geschichte des Heidentums I, 408. Anm. 161)
über das Märchen vom Machandelbom: „Auch in dieser tiefgedachten Sage
geschielit die Belebung durch Feuer."
2) Vita Oflae II. p. 8. ap. Watts Mathaei Parisieusis opp. Londoni 1640.
vergl. Müllenhoff, Sagen 7. Sic igitur Sanctus istc Domini de fidei sui vir-
tute in domino praesumens et confidens inter orandujn membra praecisa
recolligens et sibi particulas adaptans et conjungens et in quan-
tum potuit redintegrans in partium quum plurimum scd in integritatem
potius delectatus Domino rei consunmiationem , qui mortificat et vivificat,
rommendavit. Mira fidei virtus et efficacia. Signo crucis vivificae et
orationis et ac fidei servi Dei virtute non solum matris orbatae animus repa-
ratur, sed et filiorum corpnscula in pristinum et integrum sunt re-
66
chenzug spielt in die Ueberlieferungen der Wallachen, Ma-
gyaren und Polen hinüber. Ein wallachischer Prinz wurde
von seinen Brüdern erschlagen. Bereits war sein Leib
verwest und nur noch das verbleichte Gerippe lag ne-
ben dem unglücklichen Meermädchen, das ihn über Alles
geliebt hatte. Da erschien der Jungfrau ein hilfreicher Wolf
und sprach: „Getraust du dich die Gebeine des
Geliebten genau so zu legen, wie sie im Leben
waren?" Das Mädchen bejahte dies und tat so. Gut,
sagte der Wolf, nimm jetzt Laubwerk und Blumen und
wirf sie darauf Als dies geschehen war, blies er über das
Ganze hin und vor der Jungfrau lag der geliebte Prinz in
ruhigem Schlummer. Sie weckte ihn durch einen Kuss ').
Den magyarischen Eisenlaci überwand ein zwölfköpfiger
Drache im Kampf, und zerhieb ihn in hundert Stücke.
Nach einem Versprechen jedoch, das er dem Gegner ge-
geben, band er die hundert Stücke in ein Tuch und
legte es auf dessen Ross, das damit pfeilschnell zum Schlan-
genkönig floh. Dieser legte alle Gebeine ordentlich
zusammen, und wusch sie mit Wasser, worin heilsame
Kräuter gekocht waren. Da erwachte Eisenlaci und war
siebenmal schöner, als ehedem. Das rechte Schul-
terbeiu war beim schnellen Ritt aus dem Bündel verloren,
darum verfertigte der Schlangenkönig ein neues von Gold
und Elfenbein ^). Die Polen erzählen von dem berüchtigten
Räuber Twardowsky, er habe sich in Stücke hauen las-
sen. Die kleinen Stücke wurden mit gekochten Salben be-
strichen und mit Kräutersäften begossen, dann zusammen-
gelegt und begraben. Nach 7 Jahren, 7 Monaten, 7
Tagen und 7 Stunden lag Twardowsky als allerliebstes Kind,
auf Veilchen sebettet im Sarge. In 7 Monaten war er
formata decorem, nee non et animae mortuorum ad sua pristina domicilia
snut reversa. — Ohne Vorgang der Vilcinasaga lässt Simrock (Wieland der
Sclimied S. 203) die getöteten Söhne des Königs Niöuör von Wieland aus
den einzelnen Knochen zusammengesetzt und wiederbelebt werden.
1) Schott, Wallachische Märchen 261.
2) Stier, Ungarische Sagen S. 105 fgg. Vergl. die Sagen von Florianu.
Schott a. a. 0. 276; von Frunse Wärdje. Ausland 1856. S. 2122.
67
schon wieder ein Jüngling ' ). Auch der Zauberer Virgi-
lius liefs sich in Stücke hauen und in ein Fass schlie-
fsen. Nach 3 Tagen sollte sein Diener das Fass öffnen
und er wäre verjüngt daraus erstanden. Inzwischen fand
der König, der von der Sache nichts wusste, die Gebeine
des Dichters und befahl den treuen Diener, der allein von
dem Geheimnis unterrichtet war, hinzurichten. So unter-
blieb die Auferweckung-). Dieselbe Geschichte erzählt man,
nur mit etwas anderer Wendung, in Siebenbirgen von Theo-
phrastus Paracelsus, der sich zerstücken und in Mist begra-
ben lässt. Sein Diener öffnet aber zu früh die Grube. Da
lag Theophrastus lebendig als ein schöner Jüngling.
Nur die Hirnschale war noch nicht zugewachsen. Dort
drang Luft hinein und er musste wieder sterben*^). Ein
junger Graf, der eine verzauberte Princessin erlösen will,
wird in einem Thüringischen Märchen von Geistern in
Stücke gehauen und in ein Fass getan. Als die
Princessin bald nachher das Fass öffnet, steigt er unver-
sehrt und weit schöner als zuvor wieder heraus*). Ein
Sohn Heinrichs des Löwen, der es unternimmt eine ver-
wünschte Königstochter zu erlösen, wird drei Nächte hin-
ter einander von Geistern zerhackt, welche die Kno-
chen rein abnagen. Dann kommt ein kleiner Hirsch,
der ein Oeliläschchen im Munde hat. Dieser sucht die
Gebeine zusammen, legt alle in die rechte Ord-
nung und bestreicht sie mit Oel, worauf sie sich wieder
zusammenschliefsen. In einer halben Stunde ist der Prinz
lebendig ^).
In den meisten dieser ineinander greifenden Ueberlie-
ferungen beruht die Wiederbelebung auf der Reinigung
der Knochen vom Fleische. Darauf werden die-
1) Woycicki, Polnisolie Sagen 94.
2) Sommer, Sagen, Märchen und Gebräuclie aus Sachsen und Thüringen
S. 178.
3) Müller, Beiträge zur Geschichte des Hexenglaubens in Siebenbürgen
1854. S. 26.
4) Sommer a. a. 0. 128. Vgl. Wolf, D. H. M. S. 210 u. 222.
5) Müller und Schambacli, Niedersächsische Sagen S. 254.
5*
68
selben in ihrer natürlichen Ordnung aneinander-
gereiht. Als Bruder Lustig dem h. Petrus eine Toten-
erweckung nachmachen will, weifs er die Ordnung nicht,
wirft die Gebeine verkehrt durch einander und sein Werk
misrät. Sogar im finnischen Epos Kalevala tritt der letz-
tere jener beiden Züge lebendig hervor. Lemminkainen,
der rasche Held, ist im Totenreich Tuonela umgekommen,
zerstuckt und in den Totenfluss geworfen. Seine greise
Mutter sucht ihn hier auf und tischt mit einer Harke die
zerstreuten Teile des Leichnams zusammen.
Ziehet nach mit frischem Mute
Durch das Wasser ihre Harke,
Nach der Läng' des Tuoniflusses,
Nach der Länge, nach der Breite;
Fängt die Hand, des Kopfes Hälfte,
Fängt des Rückenknochens Hälfte,
Fängt des Hüftbeins eine Seite,
Viele andre kleine Stücke,
Setzt daraus den Sohn zusammen.
Ihn den muntern Lemminkainen.
FügetFleisch dann zu demFleische,
Passt die Knochen aneinander,
Bindet ein Glied an das andre.
Drückt die Adern fest zusammen').
Darauf fleht sie die Aderjungfrau an, die Adern fest
zu verbinden und die Pulse fest zu verbinden; die Luft-
jungfrau durch die Adern zu fahren, durch der Knochen
Hölung zu rudern, Gott aber (doch wol Ukko den Ge-
wittergott):
Wo die Haut entzweigegangen.
Dort lass' neue Haut entstehen;
Wo die Adern durchgerissen.
Binde du sie fest zusammen.
Wo das Blut davon geflossen
Dort lass neues Blut du fliefsen.
1) Kalevala R. XV, 298 — 310. Schiefner S. 78.
69
Wo die Knochen sich zerschlagen
Dort lass' neue Knochen wachsen.
Wo das Fleisch sich abgelöset,
Binde fest das Fleisch zusammen.
Binde es an seine Stelle,
Setze es an seine Lage,
Bein an Bein und Fleisch zuFleische,
Füge Glieder an die Glieder.
Im Schofse der Mutter kommt Lemminkainen zu neuem
Leben und wundert sich, wie lange er geschlafen habe, nach-
dem er zuvor durch eine Honigsalbe die Sprache wieder
erhalten. Die letzten Worte des Segens finden sich in ei-
nem ehstnischen bei Verrenkungen eines Pferdes angewand-
ten Zauberspruch wieder:
Jesus ging dahin zur Kirche
Mit dem Rothross, mit dem Rappen,
Mit dem fleischfarb Mausefahlen.
Da verrenkte das Pferd den Fufs.
Nieder bei dem Rade Jesus
Zu besprechen des Pferdes Fufsr
„Hier ist ein Gelenk verrenkt.
Hier die Sehn' übergesprungen.
Hier ein Sprungbein ausgestemmet.
Geh' Gelenk an Gelenk hinwieder,
Gehe Sehn' an Sehn' hinwieder.
Gehe Sprung an Sprung hinwieder.
Gehe Fleisch an Fleisch hinwieder').
Dieses Lied ist, wie zwei andere an demselben Orte mit-
geteilte, eine Nachbildung und breitere Ausführung des ei-
nen der beiden heidnischen Zaubersprüche, welche uns die
Gunst des Schicksals aus der Zeit der vorchristlichen Re-
ligion in Thüringen vermittelst einer Handschrift in Mer-
seburg aufbehalten hat.
1) Kreutzwald, Mythische und magische Lieder der Ehsteu S. 97. 26 A.
70
Phol ende Wodan
»uorun zi holza:
do wart demoBalderes «?olon
sin viuoz birenkit:
thu biguolen Sintligunt,
Sunnä erä «uister;
thu biguolen Frijä,
Follä era suister;
thu biguolen fFodan
so he wola, conda,
söse öenrenki —
söse 61uotrenki
söse lidirenki.
ben zi bena,
bluot zi bluoda,
lid zi geliden,
söse eeliraidä sin.
Vol und Wodan
Fuhren zu Walde,
Da wart dem Balders Fohlen
Sein Fufs verrenkt.
Da besprach ihn Sinthgunt
(und) Sonne ihre Schwester,
Da besprach ihn Frija
(und) Volla ihre Schwester.
Da besprach ihn Wodan
Wie er wol verstand.
So die Beinverrenkung,
Wie die Blutverrenkung,
Wie die Gliederverrenkung.
Bein zu Beine,
Blut zu Blute,
Glied zu Gliedern
Als ob sie geleimt seien.
Die Deutschheit dieses Zaubersegens wird durch die
weite Verbreitung desselben in späteren Nachbildungen un-
ter allen germanischen Völkern gewährleistet ' ). Daraus
ergiebt sich, dass wie der ehstnische Zauberspruch, so auch
jene epische Ueberlieferung der Kalevala auf germanischem
Grunde beruht^). Zugleich aber erhellt, dass zwischen der
Heilung im Merseburger Zauberspruch und der oben be-
sprochenen Weise der Totenerweckung ein wesentlicher Zu-
sammenhang besteht, der aufs Neue den germanischen Ur-
sprung und das vorchristliche Alter der letzteren beweist.
Dieselbe ist jedesmal auch Verjüngung. Gradeso heifst
es in der Kalevala:
Lemminkainens Mutter wiegte
Drauf ihr Söhnchen unverdrossen
Wiederum zum frühern Leben,
1) S. Myth. 2 1181 fgg. MüUenhoff, Zeitschr. f. d. Myth. III, 1. No-
tes and qiieries III. 1851, 258. Kuhn, Hagens Germania VII, 425.
2) Nur dass einzelne echt finnische Züge hineinverwebt sind. S. Schief-
ner, Ueber den Mythengehalt der finnischen Märchen. Melanges Kusses t. II.
p. 621.
71
Wiegte ihn ins frübre Dasein;
Dass er um ein Stückchen besser,
Schöner noch als früher wurde*).
Diese Verjüngung stimmt mit der Verjüngung der Greise
durch die Ribbus, welche einen begrifflichen Zusammen-
hang mit der Belebung der Kuh nicht verläugnen kann.
Anfangs mögen unter den von ihnen verjüngten „alternden
Eltern" die im Frühling neu belebten Wesen Himmel nnd
Erde verstanden sein, wie Kuhn meint-), später übertrug
man diese Mythe auf menschliche Verhältnisse.
Nach dem Merseburger Zauberspruch könnte es schei-
nen, als sei „Petrus" im Märchen „vom Bruder Lustig"
an Wodans^) Stelle getreten. Allein, dass hier T hu na r
gemeint ist und dieser Gott vielleicht in der dem Merse-
burger Zauberspruch zu Grunde liegenden Mythe in an-
deren Gegenden das Geschäft verübte, welches hier Wodan
zugeschrieben wird, wird durch einen auf mythischem Grunde
ruhenden Schwank des Hans Sachs wahrscheinlich. Chri-
stus und Petrus kommen in eine Schmiede, wo sich auch
ein alter, von Gebrechen hart gedrückter Bettelmann ein-
findet. Der Herr erbarmt sich seiner und verspricht ihn
zu verjüngen. Er heifst Petrus Kohlen in die Esse legen
und die Bälge ziehen. Als das Feuer aufflammt, nimmt
er das alte Mäunlein, schiebts in die Esse mitten
ins rote Feuer, dass es darin glühte wie ein Ro-
senstock. Nachdem trat der Herr zum Löschtrog, zog
das glühende Männlein hinein, dass das Wasser über ihm
zusammenschlug und nachdem er es fein sittig abgekühlt,
gab er ihm seinen Segen. Zuband sprang das Männlein
heraus zart, grade, gesund und frisch, wie von
zwanzig Jahren. Als der Schmied nachher mit seiner
alten buckligen und balbblinden Schwester dasselbe versu-
1) R. XV, 603 fgg.
2) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 112.
3) Das Auftreten Wödan's im Merseburger Zauberspruche in einer dem
Geschäft der Ribbus entsprechenden Kolle hat sein Analogen in dem vorhin
nachgewiesenen oftmaligen Erscheinen der Gesellschaft Wodans, des wütenden
Heers, in Sagen, welche in Indien die Ribhus auftreten lassen.
72
chen will, verbrennt er sie'). Dieselbe Erzählung kehrt
bei Asbjörusen und Moe wieder-). Der mit dem Ham-
mer den Greis verjüngende Heiland, der den schmie-
denden Ribhus ähnlich ist, vergleicht sich unter den
germanischen Göttern nur Thörr-Thunar, den wir schon
in den Märchen vom Machandelböm und Bruder Lustig
als Beieber eines Menschen erkannten. Die Erzählung bei
Asbjörnsen und Moe enthält aber noch einen Zug, welchen
ich geneigt bin als einen Rest derjenigen Mythe zu be-
trachten, die der epischen Einleitung des zweiten Merse-
burger Zauberspruches zu Grunde liegt. Christus nimmt
einem Rosse, das beschlagen werden soll, das Bein ab,
legt es in die Esse und schmiedet das Hufeisen auf, wor-
auf er es unbeschädigt wieder ansetzt. In Deutschland
und Belgien haftet dieselbe Mythe am heiligen Eligius^).
Vermute ich recht, so war ursprünglich nicht von der Be-
schlagung des Hufs, sondern von der Heilung eines zer-
brochenen Fufses, der vom Gott wieder angeschmiedet
wurde, die Rede *). Die älteste deutsche Fassung der Sage
bei Sebastian Brand, läfst das „lid zi geliden" noch durch-
schimmern: „Darnach heifs in der künig sein pferd be-
schlahen mit silberin hufysin. So schneid sant Loy dem
pferd die füfs ab nach den gelidern und als er es be-
schlagen hett, da setzt er im die füfs wider an on allen
gebrechen." Wir dürfen uns bei dieser Mythe auch
daran erinnern, dass Indra einen Lahmen heilte, die Ribhus
ein Pferd verjüngten.
Einen entschiedenen Abstand von der germanischen
Verjüngungssage ^) zeigen die Ueberlieferungen des helle-
1) Hans Sachs Kempt. Ausg. IV, 3, 152. 153 KHM. No. 147.
2) Norwegische Vollismärchen, übers, von Bresemann No. 21. S. 148 fgg.
3) Wolf, Beiträge II, 55. Wolf, Deutsche Märchen und Sagen S. 77.
No. 17. Meier, Schwab. Sagen 293. No. 330.
4) Eine irische Sage, worin nach Wolfs Bemerkung der zerbrochene
Fufs eines Pferdes den zerbrochenen Bockschenkel in der Thormythe ersetzt,
s. Zeitschr. f. d. Myth. I, 215.
5) Hängt mit dieser Anschauung zusammen, dass mau im zwölften und
dreizehnten Jahrhundert Leichname aufschnitt , das Fleisch mit Wein oder
Wasser absott und ablöste und abgesondert von den gesammelten Kno-
_J3
niscben Altertums. Wenn bei uns die Wiederbelebung we-
sentlich auf der richtigen Ordnung des Knochen-
gerüstes beruht, tritt uns dort als die Hauptsache das
Kochen des Leibes im Zauberkessel ents^esfen. Pe-
lops wurde von seinem Vater Tantalos geschlachtet, ge-
kocht und den Göttern zur Speise vorgesetzt. Demeter
verzehrte eine Schulter. Klöthö liefs ihn aber mit einer
elfenbeinernen Schulter aus einem reinen Kessel wie-
der hervorgehen'). Medeia schlachtet und kocht den
chen begrub? Pabst Bonifaz VIII. untersagte diese Sitte. Nork, Kloster XII,
221. Dieser Gebrauch wurde hauptsächlich angewandt, wenn Jemand in der
Fremde starb und seine Freunde oder Verwandten die Knochen in der Hei-
mat bestatten wollten. Ausführlichere Nachrichten über diese Bestattungsweise
hat Jaffe in seiner Dissertation de arte medica saeculi XII. Berolini MDCCCLIII
p. 27 — 32 gesammelt. Nach der grofsen Pest, welche 1167 das Heer Kai-
ser Friedrichs I. in Rom ergriff, erzälilt der Anonymus Weingartensis (Hess,
Monum. Guelf. p. 46) von den dabei gestorbenen Bischöfen mid Fürsten
,,ossa, carnibus per excoctionem consumtis, ad propria reducta
esse". Aehnlich wird in der Chronik von Mailros (Fell rer. Angl. Scr.
p. 170) berichtet: ,,Coloniensis electus exstinctus est, et ut ossa a
carnibus disjungerentur et Coloniam deferrentur, totus in
aquam coctus est". Im Chronicon Siloense 1167 lesen wir: ,, Daniel
Pragensis episcopus ibidem mortuus est, cujus carnes ibi re-
conditae, sed ossa sunt Pragam delata" Kenricus Berchtolgadensis
in seiner Historia Salzburgensis ecclesiae p. 212 überliefert: ,,Cum tanta esset
strages in exercitu, multique amicos suos mortuos relinquere in terra hostili
erubcscerent, cadavera eorum coquere et sale aspergere ac sie secum
ad terram patrum suorum reducere cogitabant. Cumque frater quidam fra-
trem coqueret, alter pro caldario misit summopere rogando, ut sibi mittere-
tur ad opus simile necessarium, respondit ille: ,,,,fieri non posse eo quod,
fratre suo cocto, seipsum prius coqui necesse esset" ", quod et factum est".
Kaiser Friedrichs I. Leiche wurde nach dem Unglückstag am Seleph 1190
ähnlich behandelt. Benedictus Petroburgensis pag. 566: Tot um corpus
in frusta sciderunt et carnem ejus coxerunt et ossa ejus extraxe-
runt et carnes coctas sepelierunt in Antiochia cum cerebro et visccribus;
ossa autem ejus secum tulerunt usque ad civitatem Tyri et sepelierunt ea
ibi." Chronicon montis Sereni 1190: Translatus est autem a militibus in
civitatem Seleph, ubi et intestina ejus humata sunt, corpus vero Antiochiam
delatum ibique elixatum est et caro quidem in ipsa civitate terrae tradita
ossa vero Spiram reportata et tumulata sunt." (Cf. Vinisauf itinerarium regis
Anglorum Richardi ap. Gale hist. angl. Scr. II, 266. Rogerus de Hoveden
p. 371. Chronic. Holland 1190).
1) Pindar Olymp. 1 , 40 fgg. Wie verbreitet und allgemein geglaubt
die Sage von Pelops Wiederbelebung war, sieht man daraus, dass an mehre-
ren Orten eine angebliche Scluilter des Heros als vnöStiyiia diente. In Pisa
sollte sie in einer ehernen Lade bewalirt sein (über die Pisaner Pelopssage
s. Preller, Griech. Myth. II, 270). Auch zu Delphi rühmte mau sieh des
Besitzes. Ohne die Schulter des Pelops konnte Troja nicht erobert werden;
74^
greisen Aison') und ihren Gemahl läson^) in ihrem Zau-
berkessel, um sie verjüngt aus demselben hervorzuziehn.
Peliäs Töchter wünschen ihrem Vater ein gleiches Loos.
Nachdem sie ein Böckchen geschlachtet, gekocht und wie-
derbelebt gesehen, töten sie Peliäs, den Medeia zur Rache
für läsön unerweckt läfst. Wie die hellenische Sage hie-
nach die Wiederbelebung durch die heilsame Kraft des
Wassers und hineingeworfener Zauberkräuter geschehen
lässt*^), die deutsche (vgl. das Märchen vom Bruder Lu-
stig*)) das Kochen der Glieder nur zu dem Zwecke ver-
anstaltet, um das Fleisch von den Knochen abzulösen, so
weicht der Grieche auch darin von den nördhchen Ueber-
lieferungen (mit Ausnahme des Märchens von Eisenlaci)
ab, dass er die Mythe vom fehlenden Knochen, die
der Germane von wiederbelebten Tieren erzählt, von aus
dem Tode erweckten Menschen oder Heroen bewahrte. Ich
mache aufser der Pelopssage, ohne die Mythe vom hölzer-
nen Gliede des Osiris in Betracht zu ziehn, nur Jamblichs
Nachricht vom hyperboreischen ApoUönpriester Abaris, dem
Luftwandelnden (^ai&Qoßc(tr,g) namhaft, dem sich Pythago-
räs durch eine goldene Hüfte als Wiedergeborener
zu erkennen gab^). Wir werden sowol die Betrachtung
Philoctet, der sie holen sollte, scheiterte damit bei Euboia. Später fischte
sie Damarmenos von Eretria aus dem Meere wieder auf, worauf die Reliquie
nach Delphi zurückkehrte. Zu Pausaniäs Zeit fand sie sich hier nicht mehr
vor. Koch andere späte Sagen berichten, Abaris habe das Palladium daraus
gefertigt und nach Ilium gebracht. Dasselbe wurde in Rom im Vestatempel
in einem kostbaren Behältnis aufbewahrt.
1) Ovid Metamorph. VII, 262 — 269. Ovids Quelle sind die Nosten.
Beim Plautus (Pseud. II, 280) sagt ein Koch:
Quia sorbitione faciam ego te hodie manu
Item, ut Medea concoxit senem,
Quem medicamento et suis venenis dicitur
Fecisse rursus ex sene adolescentulum,
Ita ego te faciam.
2) Euripid. Medeae argum. Schol. Aristoph. equit. 1332. Jasons "Ver-
jüngung zeigt auch eine Hydria im British Museum. Sam. Birch the youth
of Jason renewed by Medeia. Classical muscum X, 417. Archaeolog. Zeit.
IV, 287.
3) Vgl. jedoch VaiTO, Marcipor s.v. puellus: Peliam Medeae permisisse.
ut se vel \'ivum degluberet, dummodo se redderet puellum.
4) S. jedoch auch Meiev. Märchen S. 216.
5) Jamblich, de vita l'vthagorae cap. 28.
75
der griechischen wie auch der deutschen Sagen später von
einer andern Seite aufnehmen.
Ich muss, um auf den Ausgangspunkt der Untersu-
chung in diesem Abschnitt zurückzukommen, noch erwäh-
nen, dass Kuhn die von den Ribhus wiederbelebte Kuh
für die Erde hält, weil dieselbe in zwei von ihm beige-
brachten Vedenstellen ein der Erde zustehendes Epitheton
vipvarüpa allgestaltig führt*). Dieses Beiwort führen je-
doch auch andere Wesen z. B. Väj. IX, 19 der Himmel,
sonst der leuchtende Sonnengott Tvashtri , der Meister der
Ribhus. Ebenso passend kommt der Wolke die Benen-
nung allgestaltig zu. Wir brachten schon oben S. 43 ein
Zeugnis dafür bei, dass die von den Ribhus belebte Kuh-
haut die Wolke bedeutete. Dass wirklich die himmlische
Wolkenkuh ursprünglich gemeint war (später mag bis-
weilen grade das Beiwort vi^varüpa die Auffassung der Kuh
als die im Frühling neu belebte Erde misverständlich ver-
anlasst haben) beweist der in den entsprechenden deutschen
Sagen mit Entschiedenheit ausgesprochene Zug, dass das
wilde Heer die Kuh mit in die Wolken fortreifst
und von dort ausgemolken zurücksendet. Dass aber
die vom wilden Heer und somit auch die von den Ribhus
belebte Kuh mit der von ihm gemolkenen identisch
ist, geht aus den S. 58 angeführten Schweizersagen zur Ge-
nüge hervor.
e) Wenn die Wolken lange regenlos am Himmel ste-
hen und nicht ihre belebenden Güsse zur Erde niedersen-
den, glaubte man in Indien, dass ein feindlicher Dämon
Vritra, der Umhüller, sie gefangen halte. Es hiefs, Vritra
habe die leuchtenden Kühe des Himmels geraubt und in
eine Hole verborgen. Da entsandte Indra die Götterhün-
din Saramä, um die geraubten Tiere wieder aufzuspüren.
Diese hört das Gebrüll der Rinder, auch zeigen sich die
Spuren ihrer Hufe erkennbar^}. Indra wird benachrichtigt
1) Zeitschr. für vergl. Sprachf. IV, 112.
2) Rigveda, Rosen h. VI, 5.
76
und befreit die Kühe aus ihrer Gefangenschaft. Oft sind
in diesem Mythus die Wolken nicht als Kühe gedacht, son-
dern als himmlische Frauen (gnä Frau, patni Herrin, deva-
patni Göttergemahlin sind ihre Epitheta), welche Vritra
fesselt und in seine finstere Bergeshöle oder Wolken-
burg einsperrt. Durch Vritras Tod befreit Indra die ge-
fangenen Göttinnen. „O Indra, den die falben Rosse zie-
hen, die himmlischen Frauen haben deine Gewalt geprie-
sen, da sie von Vritra gefesselt durch dich sich befreit sa-
hen und ihren Lauf fortsetzen konnten ' )." »Die Däsa-
patnis von Ahi (dem Drachen d. i. Vritra) bewacht stan-
den da, die Wasser eingesperrt wie die Kühe von Pani;
die Hole der Wasser, welche verschlossen war, auf hat er
(Indra) sie gethan, als er Vritra schlug." „Als du, o Stier
der Weisen (Indra), kräftiger Zerstörer der Feinde (vri-
tränäm) warst, da befreitest du die gehemmten Ströme, er-
siegtest die vom Bösen beherrschten^)." „Die Schlange
(Ahi), welche sich erhoben, sich über die Fluten gelagert,
die Gewaltige überwand mit Gewalten Indra." Den Zu-
sammenhang der beiden Personificationen der Wolke als
Kühe und Nymphen (Apsarasen) zeigt deutlich eine Stelle
aus Panini, welche Weber mitteilt^): „Die Gandharven
melkten die Apsarasen." Noch in dem späten Ge-
dicht liitusamhära werden die Wolken den Brüsten einer
schwangeren Frau verglichen*). Indras Reichtum ver-
leihende Kuh Kämadhenu oder Surabhi (die Wolke) wird
nach der jüngeren Mythologie der Inder mit einem weib-
lichen Menschenhaupt und drei Schwänzen abgebil-
det, wie sie einem Kalbe die Zitzen reicht^).
Die himmlischen Wassergöttinnen galten bald als die
Gemahlinnen der Götter, bald — weil Vritra sie dazu ge-
1) Rigv. Langl. III, 6, 4, 7.
2) S. Kuhii, Zeitschr. für vergl. Sprachf I, 465 fgg.
3) Väjasaneyisamhitae spec. I. p. 3. Vergl. Kuhn, Zeitschr. für vergl.
Sprachf. I, 529. "
4) Ritusamhära ed. Bohlen p. 53. Pott, Zeitschr. für vergl. Sprachf.
IV, 424."
5) Moore, Hindu-Pantheon 141.
77
zwungen hatte — als Gemahlinnen des Wolkendämons, wo-
her sie Däsapatnis „ die vom Feinde Beherrschten " oder
„die Gattinnen des Feindes" hiefsen'). Als solche stehen
sie mitunter auf Vritras Seite. Es wird von Vritras Mut-
ter gesprochen, die ihn vergeblich zu schützen sucht, von
Vritras Weibern , die er umsonst im Kampfe zu Hilfe ruft.
Es ist klar, wie man bei der Flüssigkeit, welche die my-
thischen Vorstellungen jener Urzeit noch hatten, den Kampf
des Indra gegen den die Wasser zurückhaltenden Dämon
mitunter zu einem Kampfe gegen die Wasser selbst als
Gattinnen des Feindes machen konnte. Entsprechend sind
bisweilen die Himmelskühe die Bekämpften, weil sie ihre
Milch zu spenden verweigern. „Mit der gewohnten Weis-
heit, o Indra, schlage du sammt den Maruts die Kühe,
welche ihre Milch zu spenden verweigern^)." Dieselbe
Vorstellung ist anders ausgedrückt, wenn es heilst, Vritra
umhülle sich mit der Wolke ja wenn das Wort vritra ei-
nigemale sogar appellativ als Bezeichnung der Wolke ge-
funden wird. Gegen den Dämon zieht Indra zu gewal-
tigem Kampfe heran. Vritra stirbt und sinkt als Regen
in Gestalt einer Schlange Ahis, griech. eyig, zur Erde
herab. Daher führt Vritra das Beiwort Ahis und beide
Namen wechseln in den Liedern ab. Der Kampf Indras
mit dem Wolkendämon müss als sehr hartnäckio- gedacht
sein. Vritra setzt Blitz, Donner und Regen mit Ge-
krach dem Gotte entgegen. Der Streit dauert einige Tage.
Endlich sinkt jener von des Gottes Donnerkeil getroffen
mit zerbrochener Schulter hin, wie ein Waldbaum
imter dem Axtschlag fällt '^). Ein andermal heifst es: In-
dra brach des Vritra Macht mit seinem Geschoss des
Vritra Geschoss besiegend, grofs ist seine Stärke"). In
dem Indra vijaya, einer Episode des Mahabhärata ^ ), wel-
1) S. Zeitschr. für deutsche Mvthol. III, 375.
2) Rigv. Langl. II, 4, 4, 8.
3) Rigv. Roseu h. XXXII.
4) Rigv. Rosen h. LXXX, 10.
5) Ed. A. Iloltzmaim, Karolsr. 1841.
78
eher uralte Ueberlieferungen zu Grunde liegen, wird erzählt,
dass Tvashtri zu Indras Vernichtung, weil dieser seinen
Sohn getötet, den Vritra erzeugte. Dieser verschlang
Indra, worauf die Götter die Grimbikä (das Gähnen) er-
schufen, mit deren Hilfe der Götterfürst aus Vritras Munde
entflieht. Der Kampf entbrennt von Neuem und führt zur
Vernichtung des Dämons. In den Veden ist es Tvashtri,
der dem Indra den Donnerkeil schmiedet. Wenn hier Vri-
tra als sein Sohn erscheint, so birgt sich darin eine Erin-
nerung der Sage daran, dass derselbe auch des Gewitter-
feuers mächtig war. Der Streit zwischen ihm und dem
Donnergott wurde Blitz gegen Blitz geführt.
ee) Auch im germanischen Mythus wechselte die An-
schauung der Wolke als Kuh mit der als Jungfrau oder
Weib. Zunächst weise ich darauf hin, dass die Elfen-
rinder, in denen wir die Wolkenkühe erkannten, als Elbe
selbst d. h. als von Hause aus eigentlich als menschlich
gestaltete Wesen gedacht wurden. Als Thörodds Amme
in der Eyrbyggjasaga das Gebrüll des Elfenkalbes ver-
nimmt, sagt sie: „Das ist das Blöken eines Elfen und
keines irdischen Wesens." ülafr Pa hatte einen schönen
apfelgrauen Bullen, Harri geheifsen, der vier Hörner trug.
Das vierte kam zwischen den Augen heraus und hiefs
brunnvaka (Brunneubrecheisen) '), denn er brach mit ihm
Brunnenlöcher durchs Eis. Als Harri 18 Jahre alt war,
fiel Brunnvaka ab und Olafr schlachtete den Stier. Nachts
darauf träumte ihm, eine grofse zornige Frau komme
zu ihm und schelte ihn, dass er ihren Sohn Harri habe
töten lassen, dafür solle er seinen eigenen Sohn im Blute
sehen. Das erfüllte sich auch^). Frotho HI. wurde nach
Saxo^) von einem in eine Meerkuh verwandelten Zau-
berweibe getötet. Bei Eisenach'') geht eine feurige Kuh
1) vaka bedeutet eiu Loch ins Eis schlagen.
2) Laxdaslasaga cap. 31.
3) Saxo ed. P. E. Müller V, 256. Vergl. Thiele Danske folkesagnM,
15 fgg.
4) Bechstein, Sagenschatz des Thüringer Landes I, 126.
79
um, welche sich m ein altes mit einer Ofengabel bewehr-
tes Weib verwandelt. In Iserlohn findet sich, in einem
Gässchen in den Weingärten, eine Kuhtrappe. Zur Zeit
der Sündflut, als die Steine noch weich waren, hat eine
Kuh, auf der eine Zauberin ritt, diese Trappe getreten').
Ein Zwerg erscheint mit einem Kuhfufs und einem Pfer-
defufs'). Das Alp, ein schlesisches Schimpfwort, wird
besonders für die Kühe gebraucht^). In der Stammsage
der Merwinge steigt ein alter Meermann als Stier aus
den Wogen des Meeres und überwältigt Clodjos königliche
Gemahlin"). Elfrinder verwandeln sich in Mäuse und
verschwinden im Berg^). Mäuse sind aber Elbe oder See-
len^). Hienach sind die Wolkenkühe als Gestalten zu be-
trachten, welche Elbe oder Seelen annehmen, eine Vorstel-
lung, deren Verständnis uns ofien liegt, wenn wir uns daran
erinnern, dass die ßibhus, Maruts und Pitris so wie die
ihnen entsprechenden Elbe und Geister des wilden Heers,
statt in dem himmlischen Lichtlande zeitweilig ihren Sitz
in der dasselbe von der Erde trennenden Wolkenschicht
aufschlagen. Somit erklärt sich, warum der Donnerkeil
ndd. maretett, Märenzitze, bei den Lithauern Laumes
papas, Brustwarze der Laume''), Laumes spengs, der
Laume Zitz, kauk spennis, Zitze der Alraun heifst ^).
Als drückende Mär erscheint die Kuh in der ostpreufs.
Redensart „die schwarze Kuh hat ihn gedrückt
1) Mitteilung Fr. Woestes.
2) Myth. 2 979.
3) Weinhold, Zeitschr. für deutsch. Altert. VIT, 13.
4) Grimm, Deutsche Sagen 11, 72, 419.
5) Faye, Norske Sagn 38.
6) Seelen als Mäuse s. Schambach und Müller, Niedersächs. Sag. S. 337.
No. 246. Grimm, Deutsch. Sag. I, 335. Wolf, Hessische Sag. 60. No. 95.
Praetorius, Weltbeschr. I, 40 fgg. Nork, Mythologie der Volkssagen 404.
Pröhle, Harzsag. S. 68. Vgl. Paul Diac. histor. Langob. HI, 34. Mär als
Maus s. Sommer Sag. 46. No. 40. Weifse Frau als Maus Schambach und
Müller S. 269. No. 7. Elbe halten zur Julzeit in Mausgestalt Umzug. Des-
wegen darf man in den Zwölften die Maus niclit beim rechten Namen nen-
nen, sondern muss bönlöpcr (Bodenläufer) sagen. Schwarz, Der heutige
Volksglaube S. 30. Hexen machen Mäuse d. i. böse Elbe.
7) Jordan, Neue preufs. Provincialblätter II, 380. No. 24.
8) J. Grimm, Namen des Donners S. 19.
80
d. i. er hat viel Ungemach ausstehen müssen'). Unsere
Volkssaire weifs sehr viel von weifsen lichten Frauen
oder Jungfrauen zu erzählen, welche in einem Brunnen,
Berg oder einer verfallenen verwünschten Burg
wohnen. Kuhn hat bereits überzeugend bewiesen, dass
diese weifsen Frauen keine anderen als die indischen Wasser-
frauen sind und B r u n n e n , Berg und Burg Darstellungen
oder Sj^mbole der Wolke waren '^). Aus diesen weifsen
Frauen haben sich in der germanischen Mythologie, wie
längst anerkannt ist, die meisten Göttinnen, ihre Beglei-
terinnen z. B. die Walküren (valkyriar) und ein Teil der
Elbe hervorgebildet. Somit gewinnt die Vermutung Finn
Magnussens Wahrscheinlichkeit, der auf die Göttin Freyja
bezieht, was von Maria erzählt wird, sie habe einmal aus
ihrer Mutterbrust Milch auf die Erde fliefsen lassen
und sogleich sei in allen Bergspalten das saftige Kraut po-
lypodium vulgare, Marie-bregne, Sireldrikk, Syrildrod auf-
geschossen'^). Zusammenhang hiemit wird haben, dass die
Göttin Perahta in Baiern Bertha mit der eisernen
Zitze heifst und dass in der Altmark die Roggen -
muhme mit ihren langen Zitzen ein kinderschrecken-
des Gespenst ist*). Eisenbertha geht auch in Baiern
noch mit der Kuhhaut um. Ebenso trägt die nordische
Göttin Huldra einen Kuhschwanz '") und derselbe Kuh-
schwanz ist das Kennzeichen der unterirdischen Berg-
frauen, der einstigen Bewohnerinnen des himmlischen Wol-
kenberges ''). Die der Huldra in Deutschland entsprechende
Göttin Holda wohnt, wie wir weiterhin darlegen werden,
im Kinderbrunneu, d. i. der Wolke, zu der die See-
1) Hennig, Preufs. Wörterb. 138. Vergl. die schwarzen Kinder der
Riesen. Vgl. auch Zeitschr. f. d. Mj'th. I, 271.
2) Zeitschr. für deutsche Mythol. III, 368 fgg.
3) Wille bescrivelse over Silleröds praestegjeld p. 123. Dybeck Runa
1850, 18. Lex. Mythol. 361. Syrildrod ist = SyrhillSarrödd, Syrhilds-
wurzel. Syr und Hillör sind Beinamen Freyjas. Siehe Zeitschr. für vergl.
Sprachf. V, 171.
4) Kuhn, Mark. Sagen 372.
5) Faye, Norske Sagn 39, 42.
6) Faye, Norske Sagn 24, II.
81
len als Lufthauch emporschweben, um auf dem Schofs der
Göttin zu weilen, bis sie der Storch den gebärenden Müt-
tern zu neuer Geburt auf die Erde zurückbringt. Wie wir-
hier die höchsten Göttinnen des germanischen Altertums als
Wasser fr aueu auftreten, zugleich aber meistens in eini-
gen Attributen die Kuhgestalt der Wolke bewahren se-
hen, heifst mit jener schon öfter beobachteten Uebertragung
des Himmlischen auf das Irdische der Stier Reginn d. i.
Gott'). Nach diesen Erläuterungen kann ich zu der Er-
klärung übergehn, dass die Vritrasage sich in verschiede-
nen Gestalten im germanischen Mythus erhalten hat. Schon
Zeitschr. für deutsche Mythol. II, 313 fgg. habe ich ausge-
sprochen, Ahis sei unserer Götterlehre unverloren. Er
findet sich in einem Wesen wieder, das den altgermani-
schen Namen Ägias, Ogias, goth. Ogeis, führte, woraus
altsächs. Agi, altnord. Oegir, ahd. Aki und Uoki wurde'*).
1) S. Skäldskaparm. . cap. 75. Sn. E. A. Arnamagn. I, 587. Die oben
besprochene teilweise Bedeutung der Elbe als Wolkenwesen ist auch bereits
von Lauer, System der griech. Mj^thol. 184 scharfsinnig erkannt, indem er
mit den elbischeu Katzen (Hexen), Heinzelmännchen, Katzenbutzen (vergl.
Myth. 2471, 473, 474. Zeitschr. für deutsche Myth. H, 197) die Ausdmcke
Bullerkater, Bullerluchs :=: Gewitterwolke vergleicht und dazu noch
den Namen der dunkeln Wolke pöpel bei Reinwald, Westerwäld. Idiotie.
II, 78 stellt.
2) Schon Kuhn wies nach (Zeitschr. für vergl. Sprachf. UI, 65), dass
Ahis aus einer älteren Form Anhis hervorging, woraus mit Ausfall des Na-
sals, Verlängerung des vorstehenden Selbstlauters und Erweiterung des Suffixes
i in ja die gennauische Form Ägias, Ogias erwuchs. Dass nach dem Zeugnis
der besseren Handschriften altnordisch nur die Form Oegir, nicht Aegir vor-
handen -war, zeigt P. A. Munch, Nordmajudenes «Idste gude og heltesagn
p. 36. Die Verschiedenheit des Themas tut der Identität der Namen Ahis
imd Agi durchaus keinen Eintrag, eine solche ist bei mythischen Namen in
der germanischen Sage sehr häufig. S. Zeitschr. für deutsche Myth. III, 144.
Gegen unsere Gleichstellung Oegirs mit Ahi, Anhi könnte sprechen, dass die
ags. Poesie die Worte eagorstreäm Andreas 258. 441, egstreäm Beov.
1148, Elene 66. 241 für Meer verwendet, deren erster Teil unmittelbar aiif
goth. agan, 6g, ogun, agans zurückzuführen scheint und die gleiche Etymo-
logie für Oegir wahrscheinlich machen könnte, so dass dieses Wort zwar noch
immer etymologisch mit der in Ähi zu Grunde liegenden W^urzel afili (Zs.
f. vergl. Sprachf. I, 152 zusammenhinge, aber einfach den Erschrecker, den
,, Fürchtenmachenden" bedeutete. Vgl. hviluni upastod of brimes bosme on
bätes fäöm egesa ofer yölid. Andr. 443. Ilärn eft onvand dr yöa ge-
blond, egesa gestilde vidfäSmc vieg, vaöu svederodon. Andr. 531. Ge-
genüber den oben besproclienen mythologischen Tatsachen jedoch wird es
6
S2_
Ursprünglich bezeichnete dieser Name bei uns ebenso wie
in Indien den als liegenschlange zur Erde niederstür-
zenden Wasserdämon'). Als die Germanen vom Binnen-
lande ans Meer vorrückten, sank der Wolkendämon Agias
zum Meergott herab, grade so wie in Indien der vedische
Gott des weltumgebenden Himmelsmeeres Varuna, der in
Griechenland als Himmelsgott Uranos fortbestand, in spä-
terer Zeit zum Herrscher des indischen Oceans erniedrigt
ist. Auch Ahis selbst erfuhr bei den Indern " diesen Nie-
derschlag. In einer Stelle in Yaskas Nirukta'^) z. B. be-
deutet ahi Wasser. Als Meergottheit spaltete sich Agi
in zwei Gestalten. Als erste ist der Meerriese Oegir, alts.
Agi zu nennen, nach dem die Eider Oegisdyr Agidora
(Türe zum Meergott) heifst. Dass Oegir nicht gött-
Hcher Abkunft war, weifs die altnordische Sage noch zu
berichten, sie zählt ihn dem Riesengeschlecht, den Fein-
den der Götter bei. Er wohnt in einem unterseeischen
Palast, wo Gold statt brennenden Lichtes diente.
wahrscbeiulich , dass eg, egor, eagor nur volksetymologische Umdeutungen
des nicht mehr verständlichen alten Namens £ge waren. Oder sind es selb-
ständige, von jenem späteren Verbum unabhängige Bildungen von ägi, agi =
ahi, Drache, Würger?
1) Zu skr. ahis, gr. l'^iq angiiis gehört durch Weiterbildung mit 1 griech.
^yXfXin;, lat. anguilla, deutsch äl, Aal, dem der ursprüngliche Sinn ,, kleine
Schlange" einwohnt. Wie der Regen als herabstürzende Schlange Ahis
gefasst wurde, sagt noch heute der niedersächsische Bauer vom Wasser-
lassen der Kinder ,,enen äl lopen läten." BR. NS Wb. I, 10. Der
Inselschwede sagt: Die Schlangen seien mit dem Aal verwandt und daher
essen die Schweden auf der Insel Wonns keine Aale. Als nämlich die
Schlange die Ureltern im Paradiese verführt hatte, richtete sie sich stolz em-
por. Da nahm Jesusvater (Gesfär) einen Stab irad schlug sie mitten durch,
so dass das Kopfende auf die Erde, das Hinterteil ins Meer fiel. Aus letz-
terem wurde der Aal, aus ersterem eine Schlange, von der alle lebenden ab-
stammen. Russwurm, Eibofolke II. §. 356, 8. S. 189. In mehreren nieder-
sächsischen Sagen (z. B. Köster Altertümer, Geschichten und Sagen von Bre-
men und Verden S. 217. 236) kehrt der Zug wieder, dass aus den Rissen
am Boden der Küche, oder aus den Aschen- und Feuerkuhlen grofse
Aale hervorkriechen, ihnen nach ein Wasserstrom hen'orquillt und eine ganze
Gegend unter einem See begräbt. Ganz analog heifst es in vielen ober-
deutschen Sagen, dass ein Drache im Berge sitze, dessen Hervorbre-
chen den Anfang einer grofsen Wasserflut bezeichne. Diese Züge sind,
wie einmal weiter auszuführen sein wird, irdische Localisienmgen der Regen-
schlange.
2) Ed. Roth 1852, S. 7.
83
Wenn dies nun auch eine spätere Ausschmückung der Sage
sein könnte, erfunden zur Erklärung, wie Oegirs Halle, zu
der der Sonnenschein nicht dringen mochte, Licht empfing'),
so scheinen doch Oegirs Diener El dir und Funafengr
(Feuer anmacher und Glutaschen aufFänger) auf eine Ge-
stalt des Mythus hinzudeuten, nach welcher Oegir mit
den Gewalten des Feuers zu tun hatte. Wohin anders
könnte die Vermutung leiten als auf den mit dem Gewit-
tergott Blitz gegen Blitz kämpfenden Wolkendämon? Eän
(Rahana?) ist Oegirs Gattin; man dachte sich ihren Sitz
als eine schöne unter dem Wasser gelegene Wiese, auf
der die Seelen spielen, wie Wolf sehr wahrscheinlich ge-
macht hat^). Eine solche Wiese befindet sich auch unter
dem Kinderbrunnen der Holda und dies veranlasste schon
Wolf Verwandschaft zwischen Holda und Ran anzuneh-
men. Er hat vollkommen Recht, denn Holda und Ran
sind nur verschiedene Spaltungen der einen himmlischen
Wasserfrau, welche in der Wolke die Seelen um sich ver-
sammelte; Ran ist Däsapatni, die vom bösen Dämon zur
Gemahlin gemachte Apsarä. Dass Ran früher als Wol-
kengöttin verehrt wurde, beweist der Umstand, dass ihr
Name, der isländisch Raun ausgesprochen wird, sehr frühe
durch die Karelier übernommen und zur Bezeichnung der
Akka, die die Gemahlin ihres Donnergottes Ukko war,
angewandt wurde: „Wenn Rauni, Ukkos Gattin, donnerte,
so donnerte auch Ukko selbst" ^). Diese Uebertragung
hätte natürlich nicht stattfinden können, wenn Ran nicht
einst in der Wolke oder wenigstens überhaupt in den Re-
gionen des Himmels ihren Sitz hatte*). Ihr Name Ran,
1) Doch erinnere man sich, dass auch Poseidon zu Aigai in goldener
Königsburg wohnt, goldmähnige Rosse anschirrt, eine goldene
Geissei schwingt und sich selbst in Gold hüllt, was nach Kuhns einge-
henden Untersuchungen Zeitschr. für vergl. Sprachf. I, 456 auf eine ursprüng-
liche Gestalt des Gottes hinweist, in der er mit dem im AVolkengewässer
wohnenden indischen Sonnengott Savitri verwandt war.
2) Beiträge I, 195. Vgl Zeitschr. f. deutsche Myth. III, 93.
3) Agricola über die Abgötter der Finnen im Daviden psaltari ed. 1551.
4) S. Finn Magnussen Eddalaeren og dens oprindelse cap. 4. S. 247.
Castr^n, Finnische Mvthologie, übers, von Schiefner S. 34.
6*
84
Raub, erklärt sich dann daraus, dass die Wolkengötter die
in menschliche Körper eingetretenen Seelen sobald wie
möglich wieder zu sich zu ziehen, zu rauben trachteten.
Thors Feindschaft gegen Oegir ist nur noch in schwa-
chen Spuren in der Edda bewahrt. Aber doch steht der
Donnergott in deutlichem Gegensatz gegen ihn, wie Indra
gegen Ahis. In der HymisquiSa 1 heifst es: ihm (dem
Oegir) sah in die Augen OSins Sohn (Thörr), der Unge-
stüme schuf Angst dem Riesen. Nach dem HarbaröshliöS
27 — 29 bekämpft Thörr auf Hlesey Riesenweiber, die
ihm mit Eisenkeulen trotzten. Hier ist Beiname Oegirs
und Pllesey sein Sitz, der ursprünglich himmlisch als die
Wolke zu denken ist'). Die Riesen weiber scheinen zu
Oegirs Sippe zu gehören, wie in den Kampf des Indra mit
Vritra oder Ahis dessen Mutter verwickelt ist*). Dem
1) Dies deutet auch eine dänische Sage bei Langebeck (scriptor. rer.
Danic. I, 225, 80) an, wonach Snio, Snfer, der Schnee ein Hirte des
Riesen Loe (Hier) auf Locsö (Hlesey) war. Möglicherweise indessen ist die
Sage ganz jungen Ursprungs und Uhland hat Recht, der (Mythus von Thorr 38)
in Snio hier das ,, Schneetreiben vom Meere her" erkennen will. Doch giebt
es selbst (a. a. 0. S. 101) zu: „Der Riese Snio war ein Wolken-
hirte."
2) Diese Mutter drängt mir eine Vennutung auf, die näherer Erwägung
wert scheint. In vielen Volkssagen und Redensarten (Myth. ^958 fgg.) ist
von des Teufels Grofsmutter die Rede, engl, the devils dam, wo unter dem
Teufel zweifelsohne Loki zu verstehen ist. Sollte diese Gestalt mit Vritras
Mutter identisch, Loki selbst aus einem dem Vritra entsprechenden Wesen
entwickelt sein, wie Oegir aus Ahis eutspross? Sein Name Loki, der Be-
schliefser, erklärt sich am einfachsten, wenn wir annehmen, dass er ursprüng-
lich die himmlische Wolkengöttin in seiner Burg einschloss, das Regenwasser
von der Erde zurückhielt. Nun erscheinen in denjenigen Märchen, welche
nach meiner Auseinandersetzung (Zeitschr. f. d. Myth. II, 337) Loki zu ber-
gen scheinen, statt der alten Grofsmutter ebenso oft geraubte Königs-
töchter, welche dem Teufel in seiner Hole die Wirtschaft führen müssen,
ja dieser führt Dracheng estalt, was auf Ahis hinweist; aber auch an
Lokis Benennung im Höstlöng öglis bam, Sohn der Schlange und Sohn der
Näl (nach Weinhold, Zeitschr. f. d. Altert. VII, 6 = ahd. nadala, Schlange)
erinnert. Sein Vater Farbauti, der ,, Fährmann, Ruderer", weist auf das
himmlische Gewässer. Dass dieses, welches, wie schon mehrfach erwähnt
wurde, Seelenreich war, gemeint ist, ergiebt auch der von W. Müller
(Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen 376) geführte Nachweis, dass
LiOkis Aufenthalt in den vorhin erwähnten Märchen das Totenreich sei. Wir
werden weiterhin sehen, dafs Vritra auch die Gestirne verbirgt , welche Indra
erst wieder leuchtend am Himmel heraufführt. Gradeso rät Loki Freyja,
Sonne und Mond den götterfeindlichen Riesen zu überliefern; ja er stiehlt
85
Oegir steht ein unsichtbar machender Helm zu, der den
Namen Oegishjälmr führt. „At bera Oegishjälm" heifst
Freyjas schimmerndes Halsband Brisingamene. Als Gegner Thors, wie
Vritra als Indras Feind, erscheint Loki bei jeder Gelegenheit. Auf seine
Veranlassung lahmt der Bock des Gottes (Hymisqu. 36). Nach einer andern
Gestalt der Sage stiehlt er ihn, wovon er j^jofr hafrs heifst (Skäldskaparm.
k. 75. Sn. E. I, 268). Er verlockt Thorr ohne Gürtel und Stärkehandscludie
nach GeirröSsgärör zu gehen. Thors Gemahlin, Sif, schneidet er das Haar
ab d. i. er verbirgt die Sonnenstrahlen (Zeitschr. f. d. Myth. II, 339).
Bei allen diesen Gelegenheiten mid bei Oegirs Gastmahl zwingt ihn Thorr,
vor dem er Furcht hat, zur Bufse.
Schweig unreiner Wicht (sagt Thorr),
Sonst soll mein Hammer
Mjölnir den Mund dir schliefsen.
Vom Halse hau ich dir
Die Schulterhügel,
Dass dich das Leben lässt.
Endlich fängt ihn Thorr im Franängurfors und fesselt ihn. Eine andere
Gestalt der Sage vom Gegensatz Lokis gegen den Gewittergott scheint sein
durchgehender Kampf mit Hoimdallr, von dem wir (Zeitschr. f. d. Mythol.
II, 309; III, 117) zu beweisen suchten, dass er in alter Zeit Herr des Blitzes
und Donners war. Dass Loki wie Vritra Blits gegen Blitz zu kämpfen ver-
stand, dürfte die nordjütische Redensart von Dünsten, die an heifsen Tagen
auf der Erde schweben: ,,Lokke driver idag med sine geder" (Loki treibt
heute seine Geifse aus) beweisen. Hiezu bemerkt schon Weinhold (Zeitschr.
f. d. Altert. VII, 85): „Letztere Redensart führt auf die Vermutung, dass
Loki gleich Thorr mit einem Bocksgespann fuhr, also Gewittergott war, wor-
auf schon der Speer Güngnir, den er für Odhinn von den Zwergen schmie-
den liefs, hindeutet." — Wie stimmt aber mit unserer Ansicht zusammen,
dass Loki Thors Gefährte, wenn gleich ein hinterlistiger ist? Dieser Zug ge-
hört, wie auch Weiuhold mit Recht bemerkt, einer sehr jungen Zeit an und
ist auf dieselbe Weise entstanden, wie in dem Indravijaya Tvasbtri, der dem
Indra ursprünglich gegen Vritra den Donnerkeil schmiedet, des letzteren Va-
ter wurde. In anderen Mythen der späteren Inderzeit trat das entgegenge-
setzte Verhältnis ein. Der Kampf Indras mit dem Wolkendämon Vritra, oder
wie er auch heifst Vala, Bala wurde andern Göttern, die stärker im Cultus
hervortraten, darunter vorzüglich dem Sonnengott Vishuu übertragen. Die
Sage, welche die Erinnerung festhielt, dass Indra einst der Bekämpfer war,
machte ihn nun aus Eifersucht zum Helfer der Dämonen (Moor, Hindu-Pan-
theon 187. 236). Als in Deutscliland die alte Gestalt des Wolkcndämons
sich in mehrere Personen spaltete, mufste diejenige Hypostase desselben, wel-
che am meisten von der Gewitternatur beibehielt. Gesell des Donnergottes
scheinen, während sein Kampf mit demselben sehr verdunkelt wurde. Mit
der angenommenen Grundbedeutung Lokis stimmt auch die Mythe , dass er
der Vater des Wolfes Fenrir, der dem leuchtenden Ilimmelsgott Tj-r (Tius,
Dyäus, Zfi'?, Jupiter) die rechte Hand verschlingt, der Tütengöttin Hei und
der Miögargsschlange, endlich Grofsvater der Sonne und Mond versclilin-
genden Wölfe SköU und Hati ist. Weiter unten wird bewiesen werden, dass
der MiögarÖswurm und Abis identisch waren. Hei scheint mir mit der See-
lengötlin llolda ursprünglich eins. Sic ist die geisterbergende Wolke als dä-
sapatui gedacht. Während Holda und Freyja die lichte freundliche Seite der
86
„überall Schrecken verbreiten." „Han er undir Oegis-
hjälmi" „er ist jedem furchtbar." Diesen Helm trug der
•
Vorstellung bewahrten, war Hei eine düstere Localisierung derselben, welche
eintrat, als das Bedürfiiis erwachte die verschiedenen Seelensitze nach ethischen
Rücksichten bestimmter zu scheiden. Als Dämon, der den Regen und die
Lichtstrahlen in ihrem Wege zur Erde aufhält, ist Loki den lichtfeindlichen
Wesen Fenrir, Sköll, Hati verwandt. Man erinnere sich, dass A. Kuhn ver-
sucht hat et^Tnologischen Zusammenhang zwischen Fenrir und den Panis nach
zuweisen (Zeitschr. f. d. Altert. VI, 134), dämonischen Wesen, welche nach
einigen Sagen an Vritras Stelle den Raub der Himnielskühe vollziehen —
Loki wird als Fisch im Franängurfors von Thors gefangen und verbirgt im
faerceischen Volkslied von Skrymsli einen verfolgten Knaben im Fischro-
gen. Auch heifst er der Vertraute des Walliisches mälunautr hvals (Skäld-
skaparm 120). Das weist auf Fischgestalt des Gottes. Zum Verständnis
dieses Mythus dürfte die von mir (Zeitschr. f. d. Myth. II, 313 fgg.) nach-
gewiesene Auffassung des Midhgardhswurms d. i. der Regenschlange als Fisch
dienen können. Ich weifs nicht, ob es geraten ist ein Siebenbirgisches Tier-
märchen aus Mühlbach herbeizuziehen (Haltrich, Zur deutschen Tiersage S. 70.
No. XL VII), das die Verzehrung einer Kuh (der Wolkenkuh?) durch einen
Fisch (Ahis?) erzählt. Die Büffelkuh kommt an ein Bächlein, in dem ein
klein winziges Fischchen wohnt, um zu trinken. Da sagt der Fisch, als die
Kuh viel getrunken, sie soUe nun einmal aufhören, sonst konome er aufs
Trockene und müsse sterben. Die Kuh trinkt trotzdem fort. Da springt der
Fisch zornig aus der Flut und verschliiigt die Kuh. — Wenn Loki als Stute
mit dem Hengst SvaÖilfari sich begattet und Odhins Ross Sleipnir gebiert
(Gylfag. 42) und wenn es an einer anderen Stelle von ihm heifst, dass er
8 Winter (die 7 oder 8 Wintermonate) unter der Erde als milchende Kuh
und als Weib zubrachte (Oegisdr. 23), so geht das auf die S. 38 fgg. nachge-
wiesene Kuh- und Rossgestalt der Wolke, welche als Regen niedergeströmt
in der Unterwelt weilte (vgl. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 466). Auch Vri-
tra heifst bisweilen Stier oder Kuh. — Dem Vieh verderbliche Kräuter
heifsen Lokis Hafer, iu Xordjütland polytrichum commune, in Dänemark
avena fatua und rhinantus christa galli (Myth. ^ 221. Weinhold a. a. O. 85).
Ursprünglich war Loki den Wolkenkühen verderblich. — Wenn die Sonne
Wasser zieht, also regenlose Wolken bildet, sagt man „Loki fer yfir
akra, Loki fährt über die Aecker oder Locke dricker vand" Loki trinkt
Wasser. Ins Gewicht fallen darf, dass Oegir der Einzige ist, dem Loki
beim Göttergastmahl, wo er alle Äsen beschimpft, nicht zu nahe tritt. Nach-
dem auch der fromme Baldr durch Lokis Ränke umgekommen ist, fesselt
diesen Thorr und bindet ihn in einer Hole über drei Felsen fest. Ueber
seinem Haupt befestigen die Götter einen Giftwurm, dessen Geifer ihm stets
ins Angesicht träulelt. Sein Weib Sig\Ti hält ein Becken unter die Gift-
tropfen. Wenn die Schale voll ist und überläuft, so dass das Gift ihm ins
Angesicht tropft, sträubt er sich so heftig, dass die ganze Erde erschüttert
wird. Das nennt man Erdbeben. So liegt er bis zum Weltende. Dami
kommt er los und fuhrt den Untergang der Götter herbei. Darum sagt man
von gefahrvollen Lagen im Norden ,,Loki er ur böndum-' Loki ist aus
den Banden, bei uns ,,der Teufel ist los". Grade so wird bei den Per-
sern der von Feridun besiegte Zohak oder Daliäka in einer Hole des Ge-
birges Demavend an den Fels genagelt. Sein Herzblut träufelt auf die Erde.
Wenn er zuckt, entsteht Erdbeben. Einst aber kommt er los und es geht
87 "
drachengestaltige Fafnir, von dem schon de Noorden er-
wiesen hat, dass er dem indischen Drachen Ahis entspricht,
die Rede: „Zohak ist los". Einen halben Tag lang richtet er sehr viel
Unheil in der Welt an, bis Qäma (Sam) ihn besiegt und zur Annahme des
wahren Glaubens zwingt. Persische Autoren erwähnen ein Fest, das zu Eh-
ren der Fesselung Zohaks gefeiert Avurde und der Engländer Morier hat das
selbe noch heute lebendig gefunden (s. Roth, Zeitschr. der morgenl. Gescllsch.
II, 216 fgg. Spiegel, Kieler Monatsschr. 1853, 191 fgg. Spiegel, Ind. Stud.
III, 402. Spiegel, Zeitschr. der morgenl. Gesellsch. III, 243). Zohak (ent-
standen aus ashi dehäk, ashi dahäka, feindliche verderbliche Schlange) ist
nun identisch mit dem vedischen Ahis (Däsaka), sein Besieger Feredün, in
älterer Form Thraetaouö, Traitana mit dem indischen Trita, einem Helfer In-
dras beim Dämonenkampf. Wenngleich nun Weiuhold mit Recht bemerkt,
dass das Erdbeben oft gefesselten Dämonen zugeschrieben wird, so ist die
Uebereinstimmung in den einzelnen Zügen zu grofs, als dass wir nicht histor.
Verwandschaft der pers. Zohak- und gennan. Lokimythe für wahrscheinlich
halten sollten. Leider enthält uns Morier, Second journey through Persia 357
die nähere Beschreibung der Gebräuche jenes am 30. August gefeierten Festes
vor. Er hebt nur den jubelnden Umzug auf Rossen und Mäulem und die
Anzündung von Freudenfeuem hervor, erwähnt aber dass noch andere Fest-
gebräuche vorhanden sind. Vielleicht ergäbe die genauere Aufzeichnung ei-
nen Zusammenhang mit den folgenden durch ihre weite Verbreitung rätsel-
haften Gebräuchen, deren Vervollständigung ich Dr. Reinhold Köhler in Wei-
mar verdanke. Nach der Mitteilung des Herrn Studiosus Moser in Salzburg
an der Bergstrafse pflegen die Schmiede in mehreren Tälern Tirols in Feier-
abenden, nachdem sie die Tagesarbeit beendet, drei Streiche auf den
blofsen Ambofs zu tun. Dies geschah, damit Lucifer immer
aufs Neue angeschmiedet werde. Denn käme er los, so würde
er die ganze Welt mit sich fortreifsen. Hin und wieder z.B. in
Wildschönau hängt dieser Gebrauch mit einer dunkeln Erinnerung an den
grimmigen Wolf zusammen. Derselbe ist hinter neun Eisentüren an
einer dreifachen Kette angelegt und weil er die ganze Zeit mit aller
Kraft daran reifst, um freizukommen, muss jene immer wieder zusammenge-
schmiedet werden. Sonst stürzte er die ganze Welt über den Haufen. Zu
Waldkirchen in Niederbayern macht ebenfalls der' letzte der Schmiede, der
die Werkstatt verlässt, mit dem Hammer einen kalten Schlag auf den Am-
bofs, damit Lucifer seine Kette nicht durchfeilen könne. Er feilt be-
ständig daran, so dass sie stets dünner wird. Am Tage Jacobi (25. Juli) ist
sie so dünn wie ein Zwirnfaden. An diesem Tage wird sie aber auf einmal
wieder ganz. Würde ein Schmied auch nur einmal den alten Gebrauch un-
terlassen, so könnte Lucifer die Kette ganz durchfeilen (Panzer, Beitrag II, 56).
Menzel fügt (Odin S. 81) der Mitteilung Panzers die Notiz hinzu: ,,In Smä-
land herrscht ganz derselbe Volksglaube, nur mit dem Unterschiede, dass hier
Lucifer die scliwere Kette mit seinen Klauen zerreifst, nicht abfeilt;
müniUich durch K. Russwurm." Diese Gebräuche weisen deutlich auf die
gefesselten Wesen Loki und Fenrir zurück. Dass sie deutsch sind, ergiebt
sich aus der angeführten Sage bei Panzer, welche in Uebereinstimmung mit
der Norncnsage vom Köterberg (Grimm, Deutsche Sagen No. 9. S. 11 — 13)
Lucifer (den Teufel) in einer Hole liinter neun Türen bei den drei
Schicksalsjungfrauen mit der Kette gefesselt liegen und einen rciclien
Schatz bewachen lässt. Wie wir weiterhin beweisen werden ist die Hole,
wiewol SigurSr sein Töter nicht Indra sondern einen der
andern Götter zu vertreten scheint (s. darüber das Capitel
über die Heldensage), welchen in den Veden der Kampf
mit Vritra und Ahis neben Indra zugeschrieben wird. Ebenso
tragen die schatzhütenden Drachen in der Torskfirdin-
gassaga (Sagabibliothek Lachmann S. 75) Helme auf den
Köpfen. Dass nun dieser Helm nichts anderes als die
dunkle Wetterwolke war, mit welcher Ahi sich umhüllt,
scheint der Ausdruck huliöshjälmr zu beweisen. So heifsen
„bei Hei die Wolken, welche sich mit Schauern mischen"
(sky er skürum blandask. Alvism. 19). Aus Heimskringla
ed. Havn. I, 268 ergiebt sich noch deuthcher die Bedeutung
„Wetterwolke". In Deutschland erkannte bereits Jacob
in der die Schicksalsjungfrauen wohnen, die Wolke, ihr Schatz das Sonnen-
gold. Der denselben bewachende Teufel ist daher gleich den die Wolke und
den Sonnenschein einschliefsenden Vritra, Ahi, Ashi Dahäka. Ein ganz ähn-
licher Glaube, wie in Deutschland, findet sich auch bei den Albanesen (Hahn,
Albanesische Studien I, 165). Sie sagen, dass der Teufel an einer Kette
liege, die um einen Felsen geschlungen ist. Er reifst das ganze Jahr daran.
Am grofsen Sabbat hängt sie nur noch mit einem dünnen Blättchen anein-
ander, aber am Ostermorgen erscheint der Heiland und fesselt den Teufel
mit einer neuen Kette. Bei den Armeniern von Edessa soll es hergebracht
sein, dass die Schmiede in der Neujahrsnacht dreimal mit einem Hammer
auf den Ambofs schlagen. Die Georgier haben die Legende, der Riese
Ämiran (ein kaukasischer Prometheus) liege in einer Hole der Elborus ge-
fesselt. Seine Ketten wären längst von seinem treuen Hunde, der ohne Un-
terlass daran nagt, durchbrochen, wenn nicht die Georgischen Schmiede durch
dreimaligen Hammerschlag am Griindonnerstagmorgen dem Band seine
frühere Dicke wiedergäben (Erman, Archiv f. Kunde Eusslands XV, 146.
Magazin des Auslandes 1855. No. 67). Xach der Revue de deux mondes
1852, Avril p. 254 kommt alljährlich ein Schmied aus der Erde, der die
Ketten Amirans wieder fest macht. Die Armenier gehören dem engeren
Stamme der Arier an, nah verwandt ist die kaukasische Völkerfamilie, die
sich an die Georgier schliefst. Bei diesen Stämmen liegt es daher nahe den
gefesselten Dämon auf den gefesselten Ashi Dahäka zu beziehen. Ein ent-
scheidender Spruch lässt sich noch nicht abgeben. Wir bedürfen noch ge-
nauerer Nachforschungen über die Verbreitung unserer Sitte im Orient. Die
aus allen diesen Dingen immer wahrscheinlicher werdende Verwandschaft Lo-
kis und Vritras oder Ahi's findet ihre Stütze auch noch durch Analogie, dass
Ahi ,,der Drache der Tiefe" in der späteren Vedenzeit göttliche Ehre genoss
in demselben Sinne, in welchem andere Religionen ihren bösen Göttern aus
Furcht Tempel bauen (Roth, Nirukta S. 14G). Von ähnlicher Art wird ur-
sprünglich die Göttlichkeit Lokis gedacht sein. Aus der Wesensgleicliheit
Lokis mit Vritra erklärt sich auch am ungezwungensten die von Weiuhold
(Zeitschr. f. d. Altert. VIT, 7 fgg. ) nachgewiesene Herrschaft dieses Gottes
über alle drei Elemente: Feuer, Wasser und Luft.
89
Grimm den Oegir im Riesen Ecke wieder, der durch Diet-
rich von Bern besiegt und getötet wird. Grimms Annahme
ist um so sicherer, als für Ecke neben der auf Aki, Agi
zurückleitenden Form die andere dem gothischen Ogeis
altn. Oegir genau entsprechende Uoki erhalten ist. Gleich
dem nordischen Oegir führt Ecke einen leuchtenden Helm
von wunderbarer Kraft. Diesen Helm unmittelbar mit dem
Oegishjälmr zusammenzustellen, berechtigt uns nicht allein
die sprachliche Identität des Ecke und Oegir, sondern noch
mehr die nicht zufällige Uebereinstimmung, dass noch ein
anderer von Dietrich bekämpfter Kiese, der auf dieselbe
mythische Grundlage, wie Ecke d. i. auf Vritra zurück-
geht, einen solchen Helm besitzt, dem ein Karfiinkel hel-
len Schein verleiht und in welchem schon Wilhelm Grimm
(Heldensage 386) den Oegishjälmr wiederfand. Nach der
ältesten Gestalt, in der uns diese Mythe überliefert ist
(Vilcinasaga cap. 17) bewachen Grim und Hilde, in de-
nen ich nicht anstehe, Bala oder Vritra und seine Mutter
wieder zu erkennen, in einer Hole einen reichen Schatz.
Dietrich von Bern überfällt beide, schlägt Grim das Haupt
ab und haut Hilde durch den Rücken in zwei Stücke.
Die auseinander gehauenen Körperhälften fügten sich wie-
der zusammen, bis Dietrich zwischen Hauptstück und Kopf-
stück trat. Der Tod der Hilde gleicht dem des Vritra
und seiner Mutter, denen Indra den Nacken spaltet. Die
Hole ist dieselbe, in welcher Ahis oder Vritra, wie wir
sehen werden, den Schatz des Regenwassers oder des Son-
nengoldes bewacht. Die Namen Hilde und Grim sind aus
dem Namen des Helms, welcher Hiltigrim heifst, von
der falsch etymologisierenden Sage geschlossen, nicht ent-
stand dieser aus jenen, wie die Vilcinasaga deutet (Hilldi
ok Grimi |jotti sva mikil gersimi, at boeöi ]?au villdu hiäl-
minn kalla lata af sinu nafni; ok het hann af ]>\i Hilldi-
grimr). Hiltigrim begegnet nämlich dem Helm Hilti-
göltr in der Hrölfs Krakasaga der Hilldr = Freyja zu-
gestanden haben muss, da den mythischen Ansätzen der
Hrolfssage Freyssagen zu Grunde liegen und Hiltigöltr (Hil-
90
deneber) ein anderer Name des der Freyja heiligen Ebers
Hildisvini ist. Abbilder dieses helligen Tieres liebte
unser Alterturn überhaupt auf Helmen zu tragen'). Warum?
Freyja war die in der Wolke weilende, mitunter vom Wol-
kendämon festgehaltene und gebannte Göttin, der daher
der HuliSshjälmr ebensosehr zukam, als jenem, wenn er
sich selbst mit der Wolke umhüllte. Andererseits muss
auch Thörr diesen Helm getragen haben, was noch die Be-
nennung der Pflanze Thörhialm, Thörhat (Thörshelm, Thörs-
hut) anzudeuten scheint.
Doch wir kehren zu unserem Ecke zurück. Dieser
schwingt auch ein zauberhaftes Schwert Eckesahs, Ecken-
sahs, franz. Ainsax, das an Vritras mit 100 Stacheln be-
setzte Wafie erinnert. Die angeführten Züge würden noch
nicht vollständig die Identität Eckes und Ahis beweisen,
zumal da in beiden das Thema nicht ganz genau überein-
stimmt, wenn nicht hinzukäme, dass Ecke durch die bei-
den Brüder Fasolt und Abentrot, mit denen der My-
thus ihn verbindet, als ein in der Luftregion waltender Dä-
mon auf das Bestimmteste gekennzeichnet wird. Fasolt
ist der Urheber schädlicher Stürme und verfolgt, wie der
wilde Jäger, ein Weib (die Wolkengöttin) ^) ; Abentrot
(crepusculum) hemmt den Sonnenstrahlen (wie sein Name
aussagt) den Weg zur Erde. Beide sind also vritraartige
Dämonen; der zu ihnen gehörige dritte Bruder muss ur-
sprünglich gleichfalls ein den segnenden Naturerscheinun-
gen in der Höhe feindliches Himmelswesen gewesen sein.
Hieraus ergiebt sich, dass die Lostrennung der Eckesage
von der des Oegir zu einer Zeit geschehen ist, als dieser
noch nicht zum Meergott herabgesunken war''). Steht es
1) Der durch sein Eberbild schreckende Helm heifst El. 260 Grim-
helm. In wieweit diese deutschen Hehnbilder mit den von den Kelten als
Feldzeichen auf Standarten gebrauchten Ebern, über welche IL Schreiber (Mit-
teilungen des histor. Vereins f. Steiermark h. 3. Gratz 1854. Hesse S. 49 fgg.)
Nachricht giebt, zusammenhängt, liegt noch nicht klar vor Augen.
2) Myth. 2 602.
3) Gleichwol haben wir für diesen letzteren Vorgang eine sehr frühe
Zeit anzusetzen. Castre'n hat die von Schott geteilte, höchst wahrscheinliche
91
nach den beigebrachten Zeugnissen fest, dass Ecke einst
dem indischen Ahis identisch war, so wird in seinem Geg-
ner Dietrich die alte mythische Gestalt eines dem Indra
entsprechenden Gottes nicht zu verkennen sein. Der Kampf
zwischen Ecke und Dietrich dreht sich wie der Straufs
zwischen Ahis und Indra um die Wasserfrau, um ein kö-
nigliches Weib und zwar nach dem deutschen Eckenliede
um die wahre Eigentümerin des wunderbaren Eckenhelmes
(Frouwa, Freyja). Dass der Kampf Dietrichs mit Ecke
nicht historisch, sondern durchaus mythisch sei, ist allge-
mein anerkannt ') und Wilh. Müller bemerkt in seinen neue-
sten Untersuchungen über Dietrich mit Recht: „dass für
dessen Kämpfe mit Riesen und Drachen Analogien vor-
zugsweise in der Thorssage zu suchen siud^)." Hiedurch
wird schon in hohem Grade wahrscheinlich, dass wenn ir-
gendwo, besonders in unserm Mythus, Dietrich an die Stelle
Thunars getreten ist und dieser Gott, wie sonst so auch
hier des vedischen Indra Stelle vertrat. Dass aber wirk-
lich in der altgermanischen Volksüberlieferung von einem
Streit zwischen Agi (Oegir, Ecke) und Thunar (Thörr) die
Rede war, von dem der Kampf Dietrichs mit Ecke nur
der spätere Nachhall ist, geht aus der Erwägung hervor,
Vermutung ausgesprochen, dass der Name des fimiischen Meergottes Ahti,
Ahto, der sich aus dem uralaltaischen Sprachschatz auf kehie Weise erklä-
ren lässt, aus dem Germanischen entlehnt sei (Castren, Finnische Mythol.
übers, v. Schiefner 73). Das t ist eine im Finnischen sehr gewöhnliche eu-
phonische Einschiebung nach h. Die Spaltung in den himmlischen "Wolken-
dämon und einen Meergott muss daher bei den Germanen schon vor der
ersten Lautverschiebung vollzogen sein und in eine Zeit fallen, als ihnen
Agias noch Ahi lautete.
1) Vergl. W. Müller, Altdeixtsche Religion 310. Müllenhoff, Zeitschr. f.
d. Altert. V, 438: ,,Wer wird wol den Kampf des ostgotischen Dietrichs
von Beni, der durch Verona-Bonn an den Unterrhein gelangte, mit Ecke und
Fasolt historisch deuten wollen?" Der von J. V. Zingerle neuerdings gemachte
Versuch (Pfeiffers Germania I, 120) den Schauplatz der Eckensage in Tirol
nachzuweisen, berührt unsere Frage nicht.
2) Henneberger, Jahrbuch f. deutsche Literaturgeschichte I, 178. Wei-
ter dürfen wir nicht gehen. Dietrich hat vorzugsweise aus der Thunarsagc
mythische Anflüge erhalten. Seine ganze Sagengestalt, in so weit sie un-
historisch ist, auf Thunar zurückzuführen, versuchte Cl. Meier, Historische
Studien 93. Sein Versuch ist jedoch als entschieden mislungen zu be-
trachten.
92
dass die den Erdkreis umgürtende Meerschlange, der MiS-
garSswurm, nichts anders als eine Tiergestalt Oegirs, eine
Spaltung des ursprünglich einen drachengestalteten Dämons
Ogi, Agi in den anthropomorphischen Dämon Oegir und
seine Tierform Jörmungandr war, während der den Oegis-
helm tragende Fafnir beide Gestalten bewahrte. Der MiS-
garSswurm wird noch in den Edden als Riese, als vernunft-
begabtes Wesen geschildert. Ihm steht Thörr als unver-
söhnlicher Feind gegenüber. Er kämpft mit ihm auf der
Fahrt zu Hymir; dieser Kampf wiederholt sich auf der
Fahrt nach Utgarör, wo der betrügerische Riesenkönig
Utgaröaloki dem äsischen Gast die MiSgarösschlange unter
der scheinbaren Gestalt einer Katze aufzuheben giebt*).
Beim grofsen Weltkampf endlich, zur Zeit der Götterdäm-
merung, töten sich Thörr und die Schlange gegenseitig"^).
Ein so oft in verschiedenen Formen wiederholter Mythus
muss zum eigensten Wesen Thors gehören und aus der
Grundbedeutung dieses Gottes hervor seine Erklärung su-
chen. Was hatte nun der Gewittergott mit dem Meer zu
tun? Wo ist der innere Gegensatz, welcher eine unver-
söhnliche Feindschaft zwischen beiden mythisch begrün-
dete? Ganz ungezwungen erklärt sich dagegen die Abnei-
gung Thors und der Weltschlange gegeneinander, wenn
wir als die Grundgestalt der letzteren den dämonischen
Wolkendrachen annehmen. Lag aber Thörr dieses ursprüng-
lichen Gegensatzes wegen mit dem MiögarÖswurra in Streit,
so muss er auch ursprünglich Oegir und Ecke bekämpft
haben und der obige Indramythus ist für Germanien nach-
gewiesen.
Wie in Ecke glaube ich auch im „treuen Eckart" ei-
nen Niederschlag des alten Agi = Ahis nachweisen zu
können. Der Name dieses Helden ist eine blofse Erwei-
terung des einfachen Ecke durch Zusammensetzung, ein
Vorgang, der bei mythischen Persönlichkeiten sehr häufig
1) Gvlfag. 46.
2) Gylfag. 51.
93
eintritt, sobald ihre ursprüngliche Bedeutung sieh verdun-
kelt'). Wie wenig schwer bei Eckart der zweite Compo-
sitionsteil wiegt, zeigt der Wechsel von hart in wart (Ecke-
wart) ^) im Gedichte von Dietrichs Flucht. Bekanntlich
zieht der treue Eckart vor dem wütenden Heere der Göt-
tin Holda einher als ein alter Mann mit weifsem Stabe,
der die Leute von der Berührung mit demselben abhält
und sie, wenn sie ihm begegnen, heimgehen heifst. Dö-
derlein bezeugt, es hätten einige Landeseinwohner ihn des-
sen gewiss versichert, dass sie das wilde Heer wollten ge-
sehen haben, davor den treuen Eckart „der warne die
Leute, dass sie aus dem Wege gehen und demselben wei-
chen, mithin der Gefahr entfliehen sollten^)." Der An-
hang zum Heldenbuch sagt: Man vermeynet auch, der ge-
treu Eckarte sey noch vor Frau Venus berg sol auch do
belyben bifs an den jungesten tag und warnet alle leute,
die in den berg gan wollen. Aventin: Den haben die
alten für ein richter vor das tor der hellen gesetzt, der
die leut' gewarnt und gelehrt, wie sie sich in der hell hal-
ten soUn , ist auch noch ein Sprichwort als der Troisch
Heccard*)." In Betreff dieser Sagen gestatte man mir zu-
nächst die Bemerkung, dass der Venus berg, in welchem
Frau Holda mit den Seelen Hofhaltung hält, nichts ande-
res als abermals eine irdische Localisierung der Wolke
ist^). Eckehart nun, der vor dem wütenden Heer wie dem
Veuusberge warnt, steht damit in einem erkennbaren Ge-
gensatz zur Göttin und ihrem Gefolge. Li diesem Ge-
gensatze lässt sich leicht der Kern der ganzen Mythe
erkennen; ihm werden wir ein sehr hohes Alter beizumes-
1) tS. meinen Aufsatz Zeitschr. f. vergl. Sprachf. V, 171.
2) In einem Meistergesang (s. Grimm, Heldensage 312) heifst Ecke:
Ecke von Eckenbarth. Ich halte dafür, dass das letztere Wort nur eine
Verfälschung von Eckewart ist und sehe darin ein Zeugnis fUr die Identität
Eckes und des treuen Eckewart.
3) Antiquitates Nordgavienses I, 396. I
4) Bairische Chronik S. 38a.
5) S. oben S. 80 und den folgenden Aufsatz: Holda imd die Nomen
§. 2.
94
sen haben. Jetzt ist Eckart als "Widerpart der durch christ-
lichen Einfluss als teuflische Dämonin gefassten Göttin der
treue, auf der Seite der Sittlichkeit stehende Mahner, der
die Menschen von dem Eintritt in den Zauberkreis des
Yenusberges zurückhält, oder dem wilden Heer zu nahen
verbietet. Ehe jedoch die milde mütterliche Göttin in das
Gegenteil sich verkehrte, muss Eckart die seinem jetzigen
Wesen entgegengesetzte Natur besessen haben. Es war
ursprünglich der die Wolkengöttin gefangen haltende von
dem Zugang zu den Menschen sie abschneidende Dämon,
den das Christentum, sobald ihm Holda als heidnische Gott-
heit zur Teufelin wurde, wegen seines Gegensatzes zu ihr
als woltätige Macht auffasste. Hiegegen könnte man den
Einwurf erheben, dass Eckart nicht blofs in denjenigen
Gegenden als Warner vor dem wütenden Heere voraufzie-
hen soll, wo man Holda als Führerin desselben annimmt,
sondern auch da, wo männliche Gestalten als Psychopompoi
genannt werden, dass er also in keinem Gegensatze zur
Wolke, sondern nur zu den Seelen gedacht sei. Dem
Wuotas- oder Muotasheer in Schwaben geht oder reitet
nämlich ein Mann vorher, welcher in einem fort ruft:
Aufsm weg, aufsem weg,
Dass niemand was gscheh*).
Geiler von Keysersperg sagt in seiner Emeis^) vom
wilden Heer „vnd lauft einer voraus der schreyt: fliehe ab
dem weg, das dir got das leben gebe." Dem wilden Heer
in der Lausitz, das Pan Dietrich oder Schümbrich (Diet-
rich von Bern) anfuhrt, fährt ebenso St. Bonifacius war-
nend voran ^). Dass aber auch in diesen Sagen das Haupt-
gewicht auf dem Verweilen der Seelen in dem Wolkenge-
wässer liegt, und dass dieser Zug den eigentlichen Kern
der Ueberlieferung bilde, geht aus dem von Meier*) ange-
führten Glauben hervor, „das Muotisheer bestehe aus lau-
1) Meier, Schwäbische Sagen S. 128 — 134.
•2) Ed. Stöber S. 22.
3) Gottlob Gräve, Volkssagen der Lausitz S. 55, XI.
4) A. a. O. 129.
95
ter Menschen, die statt der Füfse einen Fischleib hät-
ten und so durch die Luft flögen. Der gröfste Fisch
fliege voran und warne die Leute. Ueberhaupt hat das
wilde Heer seinen häufigen Verbleib in der Wolke, in wel-
cher Holda mit den Seelen zumal der Ungeborenen sitzt;
grade diese Seelen sind es eben, welche die Wolke ver-
lassend zu anderer Zeit als wütendes Heer umziehen. Von
diesem Verhältnis finden sich noch vielfache Spuren in
deutschen Sagen, wobei man festhalten muss, dass der
himmlische Kinderbrunnen der Holda auf der Erde locali-
siert ist. Im Wasser zu Elbingerode jagt der wilde Jäger
alle sieben Jahr herauf und herunter. Man sagt daselbst
auch, der wilde Jäger ziehe durch die Luft und ver-
schwinde mit Hundegekläff im Teichloch. Aus diesem
Teichloch kommen die Kinder^). Der wilde Jäger
zeisjt sich auch in einem Wässerchen bei Stolberg;. In
diesem Wässerchen haben sich an verschiedenen Stellen
kleine Kinder gezeigf^). Das wütende Heer und die
weifse Frau erschienen an ein und derselben Stelle^}.
Das wütende Heer fährt in Franken unsichtbar in einem
Nachen über den Main, gradeso wie die Zwerge, Heim-
chen oder sonstige Elbe in der Begleitung Berthas*).
Der Schimmelreiter auf dem Bielstein im Oberharz ver-
schwindet stets bei einem Brunnen^). Der Nachtjäger
badet im Fichtelsee"). Der wilde Jäger haust in einem
Unterharzischen Walde, welcher der Jenteich heifst, weil
sich daselbst zu katholischen Zeiten ein Fischteich befand'').
Das wütende Heer in Norwegen, das unter Anführung der
Gurrorysse oder Reisarova umreitet, fährt über Wasser
und Land^). Odhinn, der Anführer des wütenden Heers,
1) Pröhle, Unterharz. Sagen 207.
2) Pröhle a. a. 0. 205.
3) Rocholz, Schweizersagen aus dem Aargau 143 fgg.
4) Zeitschr. f. d. Myth. I, 18. Panzer, Beitrag I, 164.
5) Pröhle, Harzssagen S. 226.
6) Wolf, Beiträge II, 131. Bechstein, Deutsches Sagenb. 574.
7) Pröhle, Unterharz. Sagen 205.
8) Myth. 2 897.
96
trägt Haddingr nach Saxo über das Meer. Der wilde
Jäger zieht als Hund über den herrschaftlichen Teich zu
Stollberg ^). Das wilde Gjaid in Steiermark fährt in ei-
nem Schiff durch die Luff^). Die Lappen bewahren
einen alten von den Skandinaviern herübergenommenen Kul-
tusgebrauch. Sie opfern nämlich vorzüglich zu Weihnach-
ten dem durch die Luft ziehenden Julfolk d. i. dem wü-
tenden Heer, indem sie von allen Speisen etwas in ein
kleines Schiff aus Birkenrinde legen und dasselbe
vor ihren Zelten aufhängen^). Hieher gehört auch die
Sage von O'Donoghue, der jährlich in der Mainacht auf
milchweifsem Rofs von den Elfen umgeben aus der Flut
des Killarneysees in Irland steigt*) und von dem stil-
len Volk, das über die Wogen der Meerbucht von Glen
Gariff in Südirland zieht ^).
f ) Um zum Kampfe stark genug zu sein, trinkt Indra
das Wolkengewässer, den himmlischen Soma, an dessen
Genuss er sich berauscht. Die vedischen Lieder unterschei-
den einen doppelten Söma, den irdischen und himmlischen.
Der erstere ist ein aus den Stängeln der Asclepias acida
bereitetes, mit Milch gemischtes berauschendes Getränk,
das schon vor der Trennung der Inder und Medoarier zur
Opferspende diente ^ ), In den späteren Vedenliedern ist
die gewöhnliche Vorstellung, dass Indra von seinen from-
men Verehrern herbeigerufen in seinem von den falben
Blitzrossen gezogenen Wagen dem Hause des Opfernden
naht. Hier schirrt er die Rosse ab und trinkt die ihm
vorgesetzte Somaspende. Begeistert vom Tranke zieht er
in den Kampf und erschlägt Vritra. Nach den älteren
Hymnen geniefst Indra, bevor er in den Streit mit dem
Dämon geht, den himmlischen Soma d. h. die leichten an
1) Prölüe, Unterharz. Sagen 205.
2) Zeitschr. f. d. Myth. II, 32.
3) Rheen bei Scheifer, Lapponia S. 118.
4) Grimm, Irische EUenmärchen S. 193. 233. Myth. " 892.
5) K. V. K. Erin II, 160 fgg.
G) S. Windischmaun über den Söma- und Haomakult. Verhandl. der
Münchener Akad. 1844.
97
den Bergen hangenden oder am sich aufklärenden Himmel
sich hinziehenden Nebel wölken. „Sogleich als du geboren
wardst, o Indra, trankst du dir zum Rausche den Söma
im höchsten Himmel')." »Als du geboren wardst, an
dem Tage trankst du in Begehr nach diesem glänzenden
den auf dem Berge stehenden Göttertrank, ihn flöfste dir
die Mutter, die gebärende Frau, zuerst ein im Hause des
grofsen Yaters. " „Der Hymnenträufler , der Allsehende
ströme rein, Söma, der Tage- Morgen- Himmelsförderer,
der Flüsse Atem träufelt klingend in den Kelch in Indras
Herz eindringend durch der Weisen Werk. Von dreimal
sieben Kühen ist für ihn gemelkt wahrhaftes Opfer-
nass im höchsten Himmelsraum ^)." Indra geniefst
von diesem Söma im Uebermafs, „mit einem Zuge
trank er dreifsig Ströme auf einmal aus, Indra, aus
Begehr nach Söma^)." „Indras Bauch, des starken Söma-
trinkers, schwillt me er es gl eich auf." „Berggleich wächst
durch den Somatrank seine Stärke". Der himmlische Söma
ist das Amrita (außQooia), der unsterbliche Trank der Göt-
ter (Devas). Die spätere Mythologie der Puränen erzählt
von dessen Entstehung. Die Götter und die Dämonen ver-
einigten sich das Milchmeer umzurühren, weil sie wuss-
ten, dass sie aus diesem das Amrita gewinnen würden.
Sie benutzten dabei den Felsen Mandara als Umrührungs-
klöpfel und rührten 1000 Jahre daran. Endhch steigen
aus dem Milchmeer Värnni die Meergöttin, die Apsarasen,
die Kuh des Ueberflusses Surabhi, der Mondgott Candra,
der Paradiesbaum Pärijätaka und viele Kostbarkeiten, dar-
unter das Amrita hervor. Um diesen Göttertrank erneu-
ten sich die Kämpfe zwischen den Göttern und den Dä-
monen. Die Grundbedeutung dieser Mythe liegt klar vor
Augen. Aus dem Himmelsgewässer, das die Milch der
Götterkühe enthält, entstehen Väruni, Varuna's Gemahlin,
der in alter Zeit der Herrscher des weltumgebenden Ilim-
1) RigTcda III, 3. 3. 12. 2. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 521.
2) Sämav. Benfey I, 6. 2, 2, 6. 7.
3) Rijrv. VI, 5, 29, 4 = Nir. 4, 2, 5. 11. Kuhn a. a. O. f>22.
7
98
melsmeeres war (griech. Uranos), die Wayserfrauen (Apas,
Apsarasen), die Wolkenkub, der Mond und das göttliehe
Regennass, der Trank der Götter. Wie Tvashtri und seine
Gesellen die Ribhus die "Wolkenkuh verfertigt haben und
immerfort wiederbeleben, ist Tvashtri auch der Hüter des
himmlischen Somatranks, des Amrita. Er hat eine wun-
derbare Schale verfertigt, welche dazu dient, bei der Ver-
sammlung der Götter den himmlischen Soma aufzunehmen.
Später teilten die Ribhus dieselbe in 4 Schalen, worüber
Tvashtri sehr erzürnt war'). Wenngleich ich den letzte-
ren Zug nicht zu deuten weils, kann wol kein Zweifel
darüber obwalten, dass die von Tvashtri gefertigte Schale,
in der das himmlische Wolkeuwasser aufbewahrt vdrd, das
Himmelsgewölbe vorstellen sollte. Es heifst, dass In-
dra dem Tvashtri den Söma raubte. „Den Tvashtri gleich
bei der Geburt überwindend, den Soma raubend, trank
er (ludra) aus den Schalen-J." In Yäskas Nirukta be-
gegnen wir der Stelle: „Mit Seihen versehen umwerben
sie das Wort; der ewige Vater überwacht ihr Beginnen,
der grofse Varuna hält die (wahre) Somakufe ver-
borgen; nur Weise können den festen Boden fassen'')."
Diese Stelle gehört schon einem philosophierenden Zeitalter
an, ihr Sinn ist, dass nicht Jeder, welcher das (irdische)
Sömaopfer zu begehen sich anschickt, auch seine Früchte
geniefse. Das wahre Wort des Glaubens liegt nicht in
vielem Reden und die rechte Somakufe hat Varuna, der
verborgene Richter, nicht jedem zugänglich gemacht; nur
dem Weisen gelingt es aus dem Tasten und Versuchen
auf den festen Grund wahrer und verdienstlicher Gottes-
verehrung zu kommen. Das hier gebrauchte Bild aber,
die von Varuna, dem Gott des weltumgebenden Him-
melsmeeres hinter dem Wolkengewässer (eben dem himm-
lischen Somatrank) verborgene Kufe entspringt offenbar
aus der Mythe einer früheren Periode, und entspricht ge-
1) Keve essay sur le mythe des Ribhavas 276.
2) mgv. III, 3, 3, 12, 4. Kuhn a. a. O.
3) Koth, Yäskas Nirukta 166.
I
99
nau der griechischen Vorstellung, nach welcher Uranos der
Vater des leuchtenden blauen Himmels Zeus (skr. Dyaus)
und der Sohn des festen steinernen oder ehernenHim-
melsgewölbes Akmön (skr. Apman) ist').
ff) Thörr trinkt bei Ütgaröaloki das halbe Weltmeer
aus. Alle Riesen erschrecken vor seiner Stärke und als
dauerndes Denkmal seines gewaltigen Trunkes bleibt das
zurück, was die Menschen Ebbe und Flut nennen. Haben
wir bereits in dem von Thörr in Utgarör in die Höhe ge-
hobenen MiSgaröswurm einen Nachhall des Kampfes mit
Ahi gefunden, so, wird auch hier das irdische Meer an die
Stelle des himmlischen getreten sein, d. h. Thors gewalti-
ger Trunk ist Indras Sömagenuss zu vergleichen. In an-
dern Ueberbleibseln derselben Mythe entspricht dem ari-
schen Söma unser Met oder Bier. Bei Thrymr trinkt Thörr
3 Kufen Met'^), woraus das schwedische Volkslied 12 La-
sten Bier macht ^). Das dänische Volkslied sagt von dem
als Mädchen verkleideten Tord af Hafsgaard (Thörr);
Xn toender oell saa drack huu ud
foer hun künde törsten sloecke.
Nach der Bearbeitung bei Vedel und Sjv^)-
Vel tolff lester oell dem drack hun ud
foerend hun künde toersten sljcke:
end drack hun ud den Hancke ballie
saa tog hun til at hicke ''')•
Zu üreboe in Telemarken lagen zwei Gehöfte. Hier
gab es einst zwei Hochzeiten, bei denen man nach alter
Nordlandssitte fleifsig das schäumende Bierhorn umher-
reichte. Da fiel es Gott Thörr ein zur Erde zu fahren
1) S. Roth, Zeitsehr. f. vergl. Sprachf. II, 44 fgg.
2) Tbiymsqiiiöa 24.
3) Arfwidson Svenska fornsängor I, 3, 9.
4) Svend Grundtvig Danmarks gamle folkeviser I, 4, 17.
5) I. No. 22, 17. Svend Grundtvig a. a. O. 5.
6) Vgl. den streitbaren Mönch bei Arfwidson fornsängor I, 417, der nach
einem Riesenkampf das gesalzene Fleisch von 7 Ochsen, 15 Speckseiten und
300 Brode, endlich 12 Tonnen Bier verzehrt. S. a. Russwurm, Nordische
Sagen 278.
n ♦
100
und seine alten Freunde, die Telebönder, zu besuchen. Er
sprach zuerst in dem einen Gehöfte ein, wurde wol aufge-
nommen und eino;eladen. Der Bräutisram nahm selbst eine
ganze Biertonne, hob sie empor und trank Thorr zu,
der sie alsbald leerte. Sehr vergnügt und mit der gefun-
denen Bewirtung wol zufrieden, brach der Gott nachher
zu dem zweiten Hause auf, um auch hier vom Hochzeits-
bier zu schmecken. Aus Mangel an Aufmerksamkeit reichte
man ihm den Trank aber aus einer gewöhnlichen Schale.
Darüber ward er zornig, warf das Gefäfs heftig auf den
Boden, schwang seinen Hammer und ging davon. Er nahm
das Brautpaar, das ihn aus der Tonne hatte trinken las-
sen, sammt dessen Gästen mit sich auf einen Hügel und liefs
es ansehen, wie er das ungastliche andere Paar sammt Hof
und allem unter einem Bergsturz begrub '). Da in der ed-
dischen wie den jüngeren Recensionen der Thrymscj[uiöa
neben Thors gewaltigem Durst ebensosehr dessen Esslust
hervorgehoben wird und diese auch im Cultus Berücksich-
tigung fand, indem dem Thörsbild zu Löar nach der Olafs
Helgasaga täglich vier Brode und entsprechende Quan-
titäten Fleisch vorgesetzt wurden ^), könnte in jenem Lied
die Trinklust des Gottes vielleicht zum blofsen Ausdruck
seiner Stärke dienen ^) , oder die alles verzehrende Gewalt
des Blitzes bezeichnen. Das Austrinken des halben Welt-
meers gicbt sich jedoch dagegen bald als ein alter guter
Mythus zu erkennen, der nicht aus der blofsen Ausmalung
der riesisclien Gestalt des Gottes hervorgeht, und dadurch
noch weiteren Halt empfängt, dass öfter in der Snorraedda
Thors Trinkvermögen allein ohne irgend welche Beziehung
auf das Essen hervorgehoben wird. UtgarSaloki fragt Thörr,
welche Kunst das sei, worin er sich vor der Versammlung
in Utgarör hervortun wolle, nachdem die Leute von seinen
1) Faye, Norske Sagn 4. 5.
2) Fiorar leifar brau'ös eru höniim fan-dar hvern dag ok ]>ar vi?) slätor.
3) So verzehrt Herakles einen Ochsen und besiegt den Lepreäs im Trin-
ken. Aelian var. histor. I, 24. Thcocr. 22, 115. Eur. Ale. 756. Og isst
nach jüdischer Sage 1000 Ochsen und 1000 Stück Wild, dazu trinkt er 1000
Mafs Wein. Eiseumenger, Neuentdecktes Judentum I, 396. Paiss^vurm a. a. O.
101
Grofstaten so viel Rühmens gemacht. Dieser erwiedert,
am liebsten wolle er sich im Trinken messen, mit wem es
auch sei. Einen Wettkampf im Essen unternimmt er nicht;
dieser fällt Loki zu. Auch ist der Mundvorrat, den Thörr
auf seiner Fahrt für sich, Loki, Thiälfi und Röskva mit
sich führt, so gering, dass der junge Bursch Thiälfi allein
die gemeinsame Speisetasche tragen kann. — Als Hrüng-
nir nach Vallhöll kommt, legt er dadurch eine Probe sei-
ner gewaltigen Kraft ab, dass er die beiden grofsen Scha-
len, aus denen Thörr zu trinken pflegte, leert. Das hätte
ihm sobald keiner nachgemacht. Thörsteinu Bäarmagn (der
mythische Vertreter Thors in einer jüngeren Sage, die viele
gute, alte und echte Züge enthält) erhält von König Goö-
mundr (dem Herrscher im Lande der Unsterblichkeit) einen
Goldbecher für Olaf Helgi. Diesen Becher kann
aber aufser Thörsteinn Niemand leeren. Den bis-
her beigebrachten Zeugnissen für Thors Trinklust, die ich
aus der leidenschaftlichen Vorliebe des Gottes für den Him-
melsmet des Wolkengewässers ') erkläre, reihen sich andere
an, welche wahrscheinlich zu machen geeignet sind, dass
Thunar als Beschützer des Bierbrauens gedacht wurde. Die
zu Qualseth, einem Gut in Telemarken aufbewahrten Don-
nersteine wurden jeden Julabend mit frischem Bier
begossen^). Das dem Thörr heilige Holz des Vogelbeer-
baums wird in Schweden zu den Gefäfsen angewandt,
worin man Bier braut oder aufbewahrt '^). Wenn beim
Brauen ein Fremder eintritt versäumt der Schwede nie, ei-
nen Feuerbrand in die Braupfanne zu stecken^). In
Schlesien legt man einen Straul's grofser Brennesseln
aufs Fass, so schadet der Donner dem Bier nicht ^). In
Meklenburg kocht man Gründonnerstags Kohl von
Nesseln. Damit das frische Bier sich nicht brechen soll,
1) Diesen geniel'sen ja auch die Eiuhcriar, s. obeu S. 64.
2) Lex. myth. 961.
3) Lex. myth. 897.
4) Dybecki Runa 1845 S. 3.
5) RÖckenphilos. IV, 63. Myth.' LXXX, 336.
102
legt man Donnernesseln dazu, denn die Donnernessei
widersteht dem Bier ^). Aus dieser Beziehung Thors zur
1) David Franck, Meklenburg I, 59. Die Nesseln scheinen Tliunar hei-
lig gewesen zu sein. In Tirol legt man beim Gewitter Nesseln ins Feuer
um das Hexenwerk zu entkräften. Zeitschr. f. D. Myth. III, 338. Am Son-
nenwendabend (St. Johaunis: Thunars Tag) backt man Brennesselku-
chen. Zeitschr. f. D. Myth. III, 339. Am Gründonnerstag gepflückte
Nesseln schützen vor Gewitter. Vor Zauberei scliützt es, Brennesseln bei
sich zu tragen. Dodonäi herbarius 221. Dat kriit kenn ik, säd de düwel
un sett sik in de brennettel. Biernatzki, Schleswigholst. Volkskalender 1844
S. 57. Hoefer, Wie das Volk spricht S. 43, 497. Wie ich Zeitschr. f. D.
Myth. II, 327 nachzuweisen versucht habe, waren Thunar die Hüner heilig.
Wenn die Nesseln Samen geben, nimmt man die obersten Schüsse und giebt
sie den Hünern in Kleie, so legen sie den ganzen Winter hindurch (Enthüllte
Geheimnisse der Sympathie. »Schwäbisch Hall S. 5). Mit Thunar als Ehe-
und Lebensgott und Eibenherrscher hängen auch noch folgende aber-
gläubische Meinungen zusammen. Nesselsamen macht wollüstig und erleich-
tert die Geburt. Si quis in Urticas minxerit libidine afficietur. Pauliini, Zeit-
kürzende Lust 176. Virginitatis probandae causa puellam in Urticas etiam
virides mingere jube, quae amissa pudicitia exarescent. (Ein schön neu er-
fundenes Kunstbüchlein, darinnen 125 Stück vor Menschen und Vieh). An
einigen Orten schlägt man sich am Johannistage gegenseitig mit Brennes-
seln, die in Urin getaucht sind. Westendorp, Noordsche Mythologie 2 76. Im
Volkslied ist die Brennessel Symbol der Liebestrauer. S. Erlach II, 104:
Die höchste Freud', die ich gewann,
Ist mir zu Trauern kommen.
Der Unfall hat's mir angetan.
Die Freud' ist mir genommen.
Und das schafft nichts als Scheidens Not,
Muss meiden nun ihr Mündlein rot.
Ach, wie bringt das mir Leiden.
Das Nesselkraut, das sie mir bot,
Das wächst in ihrem Garten.
Sie spielt mit mir imd ich mit ihr,
Und lässt mich auf sich warten.
Doch als sie mir ihr Mündlein rot,
Ganz freundlich zu dem Kusse bot,
Erfreut ich mich der Liebe.
VergL Uhland 664. Simrock S. 216. No. 117:
Ei Baur lass mir die Röslein stehn,
Sie sind nicht dein.
Du trägst wol noch vom Nesselkraut.
Ein Kränzelein.
Das Nesselkraut ist bitter und herb,
Es brennet sehr.
Verloren hab ich mein feines Lieb,
Das reut mich sehr.
Es reut mich selir und tut mir
In meinem Herzen weli,
Dass icli die Herzallerliebste
Soll sehen nimmermeh.
103
Bierbrauerei wird nun auch ersichtlich, warum er zu Oe-
girs Gastmahl den Braukessel holen soll, ja warum die
Äsen sich bei dem Meergott, dem alten Wolkendrachen
versammeln. Der Braukessel ist das Himmelsgewölbe, in
dessen Hölung sich der himmlische Met erzeugt. Die Auf-
fassung des Himmels als eines Gefäfses ist unserem Volke
noch jetzt nicht ganz entschwunden. Der niedersächsische
Landmann sagt: „Wenn de heramel infallt, so krige wi
enen groten kikenkorf ')." Der Oberdeutsche imEIsass:
Diri diri daine,
s' rägnet dur e zaine,
s' rägnet dur e r u m b 1 e f a s s ,
alli biäweli werde nass ^).
Ein sympathetisches Mittel gegen fallende Sucht (atrophia extremitatum) be-
steht zum Hauptteil aus Eitternesselsamen (Buch der Geheimnisse. Ilme-
nau bei Vogt ISii S. 73). Wenn man grüne taube Nesseln in den Urin
des Kranken legt und sie nach 24 Stunden noch grün sind, so wird er wie-
der gesund (Buch der Geheimnisse 25). Gegen böse Träume hilft es, auf ei-
nem Schaffell schlafen und vor dem Zubettegehen einen Aufguss von Bren-
nessel wurzeln trinken. Auerbach, Dorfgeschichten III, 215 (Diethelm von
Buchenberg). Nach Albertus Magnus sichert Brennessel mit Schafgarbe zu-
gleich in der Hand gehalten vor aller Furcht und trüben Einbildung. Bech-
stein Sage, Mythe u. s. w. I, 111. Taube Nesseln mit Cypressensaft bereitet
ins Haus gelegt, lassen dasselbe voller Würmer scheinen (vergl. Zeitschr. f.
D. Myth. III, 274) und machen die, so es bei sich tragen, reich an Genuss
und Gnaden. Bechstein a. a. 0. I, 113. Als Thunars heiliges Kraut wird die
Brennessel auch zur Heilung von Viehkrankheiten angewandt. Wenn man
dem Vieh die Maden (böse Elbe) vertreiben will, brockt man vor Sonnen-
aufgang eine Brennessel, fasst sie mit beiden Händen und spricht:
Brennessel lass dir sagen,
Unsere Kuh hat (im Fufs) die Maden;
Willst du sie nicht vertreiben,
So will ich dir den Kragen abreiben.
Nun wird die Brennessel abgedreht und die beiden Stücke über den Kopf
geworfen. Das geschieht an drei auf einander folgenden Tagen. Panzer, Bei-
trag II, 299. Dieselbe Kraft zur Vertreibung böser Elbe äufsert die Nessel
im ags. Segen gegen Seitenstiche. Myth.^ 1192. Zeitschr. f. D. Myth. III,
107. Nicht von ungefähr wird in Shakespeares Hamlet IV, 7 die Nessel ne-
ben andern dem Thunar heiligen Pflanzen genaimt. Zeitschr. f. D. Myth. III,
263. Sie wurden miteinander vom Volk als zauberisch oder imheilvoU an-
gesehen, und dienen daher dem Dichter, ''den Kranz der unglückliclien Ophe-
lia mit unheimlichem Schauer zu umgeben. — Bedeutungslos ist in der
Sage vom Rockertweible (Auerbach, Dorfgeschichten III, 343) dass sie ein
Hemd von Brennesseln spinnt, da im Scliwarzwald der Stengel der Brennes-
sel sehr häufig wie Hanf und Flachs versponnen oder zur Papierfabrioation
angewendet wird, vergl. lUustrirtes Familienjournal 1855 III. 94.
1) BR. NS. WB. I, 7G9.
2) Stöber, Elsäss. Volkbüchlein S. 41. No. 81. Zaine geflochtener Korb,
104
In den Sagen von der weifsen Frau, d. i. der alten Wol-
kengöttin, wiederholt sich öfter der Zug, dass dieselbe
einen goldenen oder silbernen Eimer an der Seite trägt,
den sie voll Wasser schöpfen mufs '). Frau Holle hat
ein Fass ohne Boden; wenn sie dieses vollge-
schöpft hat, ist sie erlöst^). Dieses Fass ist das
Himmelsgewölbe, das die Regengöttin Holda vollschöpft.
So lange die Göttin verzaubert ist, so lange Agi-Ahis
(Oegir) sie sammt dem Göttertrank gefangen hält, kostet
Niemand etwas von dem himmlischen Bier. Da nahen die
Götter, um sie zu befreien, um in der heiligen Flut sich
berauschend ein Gastmahl zu halten ; sie suchen die heilige
Flut bei Agi (Oegir), der sie verschliefst,- aber der Brau-
kessel fehlt, Agi hat ihn verdeckt. Ihn herbeizuschaffen
ziehen Thörr, der im Gewitter das wolkenbedeckte Him-
melsgewölbe befreit und aufklärt und die Regenflut ergiefst,
Tyr (Tius, Zeus, Dyaus, Jupiter) '^) der Gott des klaren
sonnendurchleuchteten Firmamentes aus, und gewinnen ihn
im Kampf mit dem Dämon wieder. Wir werden weiter-
hin begründen, dass Hymir und Oegir nur zwei auseinan-
dergefallene Gestaltungen des einen Vrita-Ahi waren. Thors
Grofstat gab zu den Namen Thorketill, Asketill ^) Veran-
lassung. Ketill ist ein Freund der Döglinge, deren Ahn-
frau Thora ist ^). Finden wir auf diese Weise die indi-
rumblefass zerbrochenes Fass. Ueber eine ähnliche Auffassung des Him-
mels in der finnischen Mythe s. Schiefner, Kleinere Beiträge zur finnischen
Mythologie. Me'langes Kusses II, 1852 S. 230 fgg. — Sollte mit der eben
erläuterten Anschauung zusammenhängen, dass bei den Wenden in der Lau-
sitz die Braut, wenn sie von der Trauung kommt im Kuhstall ein bereit-
stehendes Gefäfs mit Wasser umwirft, um reichliche Milch zu erzielen
(vergl. oben S. 27)? Kommt sie aus dem Stalle zurück, so schenkt sie zu
dem nämlichen Ende den Zuschauern aus einer mit Bier gefüllten Milch-
gelte. Dies erinnert an die S. 64 nachgewiesene Berührung des himmlischen
Biers oder Mets mit der Wolkenmilch. Haupt und Schmaler, Volkslieder dtr
Wenden in der Ober- und Niederlausitz II, 258. 59.
1) S. Schambach und Müller No. 111. 112. 115.
2) Pröhle, Harzsagen S. 155.
3) Myth.'-* 175. W. Müller, Altdeutsche Religion 223.
4) S, Jacob Grimm, Mythologica S. 4. Tliorketill Thorskessel, Asketill
Äsenkessel. Äss ist xax iioxi'jv von Thorr gebräuchlich.
5) llyndluhljoö 19.
105
sehe Sömamythe in der germanischen Sage insoweit wie-
der, als Thunar unmäfsig vom himmhschen Bier, dem
Wolkengewässer, geniefst, und die Schale, den Braukessel,
worin dasselbe geborgen ist, mit Gewalt erobert, grade so
wie Indra von Tvashtri die Sömakufe erzwingt ') , so
möchte ich schliefslich für die weitere Untersuchung die-
ses Gegenstandes die Frage stellen, ob nicht vielleicht die
4 Zwerge Austri, Nordri, Sudri, Vestri, welche das Him-
melsgewölbe in 4 Teile abgrenzen, ein Analogon zu der
Mythe von der Vierteilung der Schale Tvashtris durch
die Ribhus bieten.
g) Zur Vernichtung der Dämonen schwingt Indra den
gewaltigen Donnerkeil vajra, hiraka, Indrapraha-
rana, bei dessen Anblick Himmel und Erde erbeben^).
Dieses Geschoss war von S t e i n ^) , doch wechselte damit
die Darstellung desselben als goldenes ^) Werkzeug. Ei-
nige Vedeustellen ^) und epische Ueberlieferungen nennen
Eisen als Material). Entweder dachte man sich den
A'ajra als einen aus den Wolken geschleuderten Keil, oder,
der ältesten Form menschlicher Waffen gemäfs, als Streit-
hammer (mudgala, mudgara, drughan), dessen Schaft durch
den Stein gesteckt war. Oft bedeutet gräbha (was man
in die Hand nimmt). Griff, Stiel, allein schon den Donner-
keil: „Ergreife Indra nun für uns den donnernden, den
Flammengriff, grofsarmig mit der Rechten';." Unter
den Zeichen der indischen Grammatiker für den Visarg:»
befindet sich vajrakritah, d. i. Donnerkeilsform, in Gestalt
eines aufrechtstebenden Kreuzes, gerade so wie y.sQctvviov
1) Auf einem andeni Grunde, den ich bereits Zeitschr. f. D. Mythologie
II, 331 nachgewiesen habe, beruht Thunars Beziehung zum Kochkessel. lu
Pommcrellen sagt man, unter dem Kessel dürfe kein Feuer über Nacht bren-
nen, es sitze ein Geist darin. Kocht man unnötig dai-in, so geht der Lieb-
ste verloren. Thunar ist Herd- und Ehegott, der Geist im Kessel sein
Diener.
2) Rig\-. Langlois s. II. 1. 1, h. XII, 6.
3) Kuhn bei Hoefcr, Zeitschr. f. AVissensch. der Sprache II, 15G.
4) Rigv. Rosen LVII, 2. LXXXV, 9.
5) Rigv. Rosen LXXXI, 4. CXXI, 9.
G) Arjunas Rückkehr IX, 14. X, 55.
7) Sämav. Bcnfcy I, 2, 2. 3, o.
106
bei Diogenes Laertios ein kritisches Zeichen zur Andeu-
tung verdorbener Stellen ist ^). Wilson führt Dictionary^
729 als Bedeutung von vajra Donnerkeil auch auf „a dia-
gram the figure of Avhich is supposed to be that of Indras
thunderbolt." Mitunter tritt für den Hammer die Keule
ein. Sie hat 100 Knoten und 1000 Spitzen '^). Eine an-
dere Form, in welcher in jüngerer Zeit Indras Waffe ge-
dacht wurde, ist der Speer. Derselbe hat die Eigen-
schaft, wenn er verschossen ist, stets in des Got-
tes Hand zurückzukehren. Einmal leiht ihn Indra an
Karna, um den Arjuna damit zu töten. Bei dieser Gele-
genheit spricht er:
Nie fehlt mein Speer, von Feinden schlägt
Er Hunderte, wenn er der Hand entflog,
Und kehrt dann wieder in meine Hand,
Wenn ich die Daityas niedergestreckt.
Er hier von dir mit der Hand gefasst.
Nachdem du einen Feind erlegt,
"nen starken, donnernden, drängenden.
Kehrt abermals zu mir zurück^).
Karna verschiefst die göttliche Lanze jedoch gegen Gatöt-
kaca, der von ihr getroflen zu Boden sinkt:
Nachdem der Sjieer der Kiesin Sohne
Das feste Herz gespalten hat,
Steigt er im Abenddunkel glänzend
Empor zur Höhe mitten unter
Die Sterne ").
Eine andere Eigenschaft der göttlichen Waffe Indras war,
dass sie nicht stumpf wurde: „Schreit vorwärts, schreit
eutficesen! drauf! nimmer wird stumpf dein Donner-
1) III, 66.
2) Benfev, Glossar, ehrest, h. 33, 4. Rigv. Langl. VI. 6, 1, 10.
3) Mahabhär. Vanap. 17201 (I, S. 882), vergl. Holtzmann, Ind. Sagen
II, 138: amöghä Lanti 9ata9ah yatrün mama karacyuta puna9ca pänim abh-
yeti mama daityan vinighnatah seyam tava karapräptä hatvaikam ripumür-
jitam garjantam pratapantaüca mamevaishyati südaja.
4) Mahabhär. Drönap. 8171 (II, 877). Holtzmann, Ind. Sagen 155.
Bhittvä gädham hridayam räkshasasya, ürdhvam dipyamänä ni9äyäm naksha-
träuäm antaräny ävive9a.
107
keil, Indra; männlich ist deine Kraft; schlage Vritra, ge-
winn das Nass, leuchtend im eigenen Keiche *)." Indra
führt auch Bogen und Pfeile. „Dein heilbringender Bo-
gen ist mit KuDst geformt, er tut zahllose Schüsse. Sicher
trefiend ist dein goldener Pfeil '-). " Bisweilen wurde als
Indras Bogen der Regenbogen bezeichnet, der davon Indra-
dhanus, Indrayudha, Indracäpa hiefs. Im Epos führt die-
ser Bogen den Namen Gandiva. Von ihm fliegen „schreck-
liche, schnelle, donnerkeilähnliche, wie Blitz zischende Ge-
schosse, welche augenblicklich Feuer entzünden, wo sie
hintreflen. Schlagen sie in eine Stadt, so wirbeln der Steine
Staubwolken wie Feuermassen empor ^)." Durch diese
Geschosse wird augenblicklich der herabströ-
mende Regen getrocknet^). Der Bogen Gandiva
wurde von den Meergöttern in ihren Fluten bewahrt.
Ein anderer in den Epen berühmter Bogen des Indra, mit
dem er „die Götterfeinde, die grausen Asuren schlug, die
vor des Bogens Schwirren floh'n,'' hiefs Vijaya, der Sieg-
reiche ^).
Indras Donnerwafie ist von Tvashtri, dem Meister der
schmiedenden Ribhus gefertigt. „Tvashtri hat die dir
zustehende Stärke (o Indra) vermehrt, er schmie-
dete den mit siegreicher Kraft ausgerüsteten Donner-
hammer'^)." Mehre Stellen sagen, dass die Ribhus die
Verfertiger gewesen seien, woher das Geschoss aya-
sam upanitam Ribhvä heilst '^). Der (S. 43 fgg. ) bespro-
chene Zusammenhang der Ribhus mit den Maruts tritt
wiederum zu Tage, wenn es auch von diesen heifst: „Ih-
nen verdanken wir Tag für Tag die grofsen Wasser, die
Sonne, ja den Blitz selbst ^)." Das Mahabhärata lässt den
1) Sämav. Benfey I. 5, 1, 3. 5.
■2) Rigv. Langl. VI, 5, 5, 11.
3) Ärj Ullas Rückkehr VIII, 3.
4) Ebendas. YII, 12.
5) Iloltzmaiin, lud. Sagen II, 157.
6) Rigv. Rosen LH, 7. Tvashtri heilst auch selbst Ribhu.
7) Neve essay sur le mythe des Ribhavas 274.
8) Rigv. Langl. V. 8, 3, 22.
108
Bogen Vijaya vom Himmelsschmiede Vi^vakarman für In-
dra mit Sorgfalt und Kunst verfertigt werden. Eine Stelle
des Samaveda enthält die Vorstellung, dass der Donner-
keil beim Kampf mit Vritra vom Stiele fliegt. „Der
sonder allen Schluss sein Beil, bevor er auf den Nacken
(Vritras) schlägt, festmacht — der Schätzereiche, vielen
Teure — und das gestumpfte wieder wetzt ')."
Höchst bemerkenswert sind einige Züge der späteren
Vedentradition, welche schon in den Nighantavas, einem
sehr alten Leitfaden für vedische Exegese, gefunden wer-
den. Indras Donnerhammer Mudgara ist nämlich perso-
nificiert und als Hypostase von Indra abgelöst zu einem
Helden Mudgala (Hammer) geworden, den die Legende zu
einem Sohn Bhrimyacvas macht. Hammer (Lludgala) trägt
nach der Anukramanikä mit Hilfe eines Stiers und eines
Hammers im Kampfe den Sieg davon. Die Brihadde-
vatä schmückte in der Folge diese Sage weiter aus. Mud-
gala wurden seine Binder durch Diebe gestohlen; da ihm
nur noch ein alter Stier übrig blieb, spannte er diesen
an den Wagen und zog zum Kampfe. Während er den
Dieben nachsetzte fand er irgendwo einen Hammer, warf
diesen zuerst und nahm den Dieben seine Herde wieder
ab "). „Der Stier, der zugleich mit dem Hammer erscheint,"
sagt Ivoth, „ist Lidra selbst, der oft genug so heilst und
unter denselben Bildern geschildert wird." (S. o. S. 36). Wie
aber in Mythen und Heldensagen göttliche Personen häufig
als Doppelgänger auftreten, wenn das Verständnis der ei-
nen Form erloschen ist, so finden wir in einem von Yäska
Nirukta IX, 23 erklärten Liede, v. 7 Indra neben dem
Stier. Von diesem wird v. 4 gesagt: „Er trank lustig
einen Teich Wassers (ganz so wie Indra den Söma trinkt,
ehe er zum Kampf geht), senkte sein Hörn und ging lustig
auf den Angreifer los; kampfeslustig hebt der brünstige
Hodenträi2;er rasch die Vorderfüfse." Daran schliefst sich
1) Säniav. Benfey I. 3, 2, 1, 2.
2) Roth, Nirukta S. 129.
109
ein anderer Vers: „Man liefs ihn brüllen beim Angriff,
liefs den Stier den Samen ausgiefseu mitten in der Schlacht,
mit ihm ersiegte hundertfach, tausend Kühe der Hammer
im Beutekampf." Indras Donnerkeil ward auch weiblich
personificiert als Mudgalani: „Der Wind machte flattern ihr
(Mudgalanis) Kleid, als sie tausend Wagenlasten ersiegte,
Mudgalani wurde Kämpferin im Kriege; Indrascna (Indras
Geschoss) machte Beute im Schlachtgetöse."
gg) Wie Indra den vajra, schwingt Thunar (Thörr)
seinen zermalmenden Hammer Mjölnir, der ursprünglich
wie jener Kreuzesform hatte, so dass der christliche Kö-
nig Hakon Adalsteinsföstri sich als er beim Vetrablöt zu
Hladir über das Trinkhorn ein Kreuz schlug, bei seinen
heidnischen Landsleuten damit ausreden konnte, er mache
Thors Hammerzeichen ^). Aus dem Hammer ging
später die Axt als Gestalt der göttlichen Wafie des Ge-
wittergottes hervor-). Saxo nennt an Stelle der Donner-
axt die Keule clava, schwed. heifst der Donnerkeil Tor-
dönskolf^), Tordöns vigge.
Die älteste Vorstellung, dass der Donnergott aus der
Wolke einen steinernen Keil, oder eine Kugel schleu-
dere, blieb in unserem Heidentum bis auf die letzte Zeit
lebendig, M'ie die Namen für den Donnerkeil Tordöns kolf,
Tordöns pilvigge , iiskievigge beweisen "*). Diese Vorstel-
lung wechselte ab mit derjenigen eines geschwimgenen
Steinhammers. In der Thörsteius Bäarmamissac^a erscheint
1) Heimskringla. Hakonar Goöasaga XVIII. — Liljegren, Runlära. Stock-
holm 1832 S. 143 Anm. entkräftet mit triftigen Giiinden die gewöhnliche An-
nahme, dass das Ilammerzeiclien zur Einsegnung des Bierhorns beim Minne-
triuken im Norden allgemein gebräuchlich war.
2) Zeitschr. f. D. ]Myth."lI, 2'JG. III, 105 fgg.
3) Stobacus, Ceraunü baetulique lapides p. 217.
4) IMytli.^ 163. Die Donnerkeile (Belemniten sowol wie Echiuiten) füh-
ren die Mamen Donnerhammer, Donneraxt, Strahlhammcr. Petr.
Wolfart, llistoria naturalis Ilassiac inferioris p. 52. Stoeber, Neujahrsstol-
len 1852 S. 43. Im Jahre 1721 bezeichnete der Lundenscr Professor Kilian
Stobaeus (Cer. baet. läpp §.1) als eine erst kürzlich antiquirte Untersuchung
„an in lapidc quodani intra nubes generato mira fulminis vis consistat, vel
an ceraunius sive cuneus fulminaris rovera talis detur. In Kärnten glaubt man
noch heute, dass beim Gewitter kleine Bergkrystallo duuderstandlan vom
Himmel fallen. Zeitschr. f. D. Mvth. III, 29, 11.
110
die Gewitterwaffe unter der Gestalt eines dreieckigen Feuer-
steins und eines Feuerstalils, woraus Blitz und Donner
mit fliegenden Funken entlockt wird. Man kann beide
werfen wohin man will, sie kehren stets in die Hand des
Besitzers von selbst wieder zurück ^).
Golden heifst die Donneraxt in einer deutschen, Zs.
f. D. Myth. 11,305 besprochenen Sage. Ebenso hat Thörr
von AsgarS (Tord af Hafsgaard) in einem dänischen Volks-
lied einen Goldhammer ^). Neben diesen Vorstellungen
muss jedoch schon in indogermanischer Urzeit jene andere
vorhergegangen sein, nach welcher der Gewitterhammer aus
B r o n c e oder Eisen gefertigt war. Dies geht aus der
bei Indern und Germanen übereinstimmenden
Sage hervor, dass die Donnerwaffe von den Eiben (Ri-
bhus, s.o. S. 46) geschmiedet wurde. Thors Mjölnir
ist das Werk des kunstreichen Schwarzalfen Sindri. Loki,
der von Thors Zorn bedroht war, weil er Sif das Gold-
haar abgeschnitten hatte, bewegt den Zwerg Brockr, den
Göttern Kleinode zu schmieden^ der Sif neues Haar,
dem Freyr das Schiff Skigblaönir, Ööinn den Speer Güng-
nir. Darauf wettet er mit Brocks Bruder Sindri und setzt
sein Haupt dagegen zum Pfände, er könne keine so guten
Dinge verfertigen. Sindri schmiedet darauf, trotz Lokis
arglistiger Störungsversuche, für Oöinn den wunderbaren
Ring Draupnir, für Freyja den Eber Gullinbursti. Zuletzt
legte er Eisen in die Esse und liefs seinen Bruder Brockr
blasen. „Alles sei vergebens, wenn er mit Blasen inue halte."
Trotz übler Störung durch Loki, der Brockr in Gestalt
einer Fliege sticht, gelingt das Werk und der Hammer
Mjölnir geht aus den Händen des Künstlers hervor. So
abweichend die deutsche und indische Sage im Detail sind,
können wir nicht umhin, ihren Ursprung in einer gemein-
samen Quelle zu suchen. Loki nämlich, der Sif das Haar
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 414. 415. II, 297 fgg.
2) Vedel og Sjv I. No. 22. Xyerup udvalg af Danske viser 1821 II,
188; der tabte band sin hammer af guld.
111
abschneidet, d. h. die Sonuenstrahlen mit dem Dmikel der
Wolke verhüllt, von Thörr aber gezwungen wird neues
Haar herbeizuschaffen, die Strahlen des Tagesgestirns wie-
der leuchten zu lassen, gleicht — wie wir vorhin zu erwei-
sen trachteten — dem das Sonnenlicht verdunkelnden Vri-
tra, der von Indra genötigt wird seine Beute fahren zu
lassen. Mit diesem Vorgang hängt die Verfertigung des
Gewitterhammers notwendig zusammen, wogegen Loki
naturgemäfs sich sträubt. Auch die Ribhus werden
von den Göttern aufgefordert, ihnen Kleinode
zu schmieden, dem Indra sein falbes Blitzross, den A9-
vinen einen leuchtenden Wagen, der ganzen Göttergemein-
schaft aus der Haut der Kuh eine neue. Dass in diesem
Mythus nicht mehr der Verfertigung des Gewitterhammers
gedacht wird, hat darin seinen Grund, dass dieselbe bei
den Indern der späteren Vedenzeit schon meistens auf
Tvashtri eingeschränkt wird. Andererseits ist bei den
Germanen die Belebuno; der Kuh aus dem Zusammenhans:
losgerissen. Doch bemerkte ich schon oben S. 64, dass
die Verfertigung des Ebers Gullinbursti dazu ein Analogon
bietet. Vgl. oben S. 42.
Was das Mahabharata von Indras Speer erzählt, dass
er von selbst in des Gottes Hand zurückkehrt, haji sich un-
zweifelhaft ursprünglich auf den vajra bezogen. Auch die Ge-
witterwaffe in Oöins Hand ist zu einem Speere (Güngnir)
geworden '). Mit der indischen Mythe stimmt die Beschrei-
bung von Thors Hammer Mjölnir fast wörtlich überein.
Er konnte damit werfen, wohin er wollte, mochte der Ge-
genstand noch so grofs und hart sein, ohne dass der
Hammer Schaden nahm. Derselbe verfehlte nie
das Ziel, wenn er geworfen wurde^) und kehrte
immer, wenn er auch nochsoweit davonflog, in des
Gottes Hand zurück''). Wenn dieser es wollte ward
1) Schwartz, Der heutige Volksglaube S. 15 fgg.
2) Ok ef hann vjTjn honum til, j)ä niundi hann aldri missa.
3) Ok (mundi) aldri fliugja svä längt, at eigi mundi hann soekja lieiiu
hönd.
112
er so klein, dass mcan ihn im Busen verbergen konnte').
Der Darstellung der Gewitterwaffe als Speer ist die von
uns S. 21. 62. erläuterte als Stab oder Rute ganz analog-).
Bogen und Pfeile in Thuuars Hand anzunehmen, ist
cew^aoft. Ausdrücke bei mittelhochdeutschen Dichtern, wie
„wilder pfil der üz dem donre snellet" „doners pfile" kön-
nen, wie J. Grimm mit Recht bemerkt, den y.ip^oig Jiog,
telis Jovis nachgebildet sein. Nicht mehr beweisen die
Namen dunresträle (Donnerpfeil), Wetter strahl, Schoss-
pfeilstein, Strahlstein , Tordönspil ^) , wenngleich ihnen ein
slavisches Piorunowa strzalka (Gewitterpfeil) begegnet, das
alt zu sein scheint. Dass der Donnerkeil beim Kampf
mit Vritra vom Handgriff fliegt, kehrt in einer holstei-
nischen Sage wieder, welche schon J. W. Wolf*) auf Thu-
nar bezogen hat. Ergrimmt über den Bau des Plöner
Schlosses warf der Teufel seinen silbernen Hammer
danach und hätte es zerschmettert, wenn nicht der Ham-
mer vom Stiel geflogen wäre. Der Hammer fuhr auf
einer Koppel in Pehmen so tief in die Erde, dass er
eine seitdem mit Wasser angefüllte Kuhle die Hammer-
kuhl bildete, ein daneben stehender Eichstamm warder
Schaft des Hammers gewesen. Den schloss- oder burg-
zerstörenden Thunar werden wir unter §• ßß. kennen
lernen.
In hohem Grade interessant ist die Beobachtung, dass
gradeso wie bei den Indern Mudgala als Hypostase von In-
dra sich ablöste, im germanischen Mythus der Hammer
personificirt ist. /^Dat di de hamer (sc. slä)," „dat were
de hamer!" „de hamer kennt se all," „i de hamer!"
„i vor den hamer!" „dat is verhamert!" „dass dich der
Hammer schlag" sind noch heute unter dem niedersächsi-
schen Volke landläufige Flüche, „in welchen man Hamer
mit Düwel vertauschen kann, die aber alle auf den mit
1) Skäldskapanii. c. 35. Sn. E. I, 344.
2) Yergl. den Mistiltciim und die Gerte, wodurch Vikarr umkommt.
3) Bruckmami, Thesaurus subterraneus p. 73 sqq.
4) Beiträge I, 66. vgl. Lex. myth. 928. Faye, Norske Sagu 5.
113
dem Hammer einschlagenden Gott zurückgeführt werden
müssen*)." Hemraerleiu, Meister Hämmerlein ist
der Teufel (Thunar). Zu der in der Mudgalasage vorkom-
menden Erscheinung Indras als Stier stimmt noch die Er-
zählung dänischer Kjaempeviser von St. Olaf, der stets
Thörr vertritt ^), dass er auf einem Schiff über Berge und
Täler gefahren sei, welches Namen und Gestalt eines
Stieres führte. Sein Gegner bediente sich eines dra-
chengestaltigen Schiffs und verwandelte sich schhefs-
üch selbst in einen Drachen. Olaf besiegte ihn nach
tapferem Kampfe '^). Auffallen müssen dabei die Anklänge
an die oben erläuterte Ahimythe. Eine noch schlagendere
Uebereinstimmung mit der Mudgalasage zeigt ein Märchen
aus Siebenbirgen *). Ein Knabe erhält bei seiner Geburt
von einem wunderbaren Alten ein mit ihm an einem
Tage gebornes Kalb mit einem goldenen Stern auf
der Stirn, das zu einem mächtigen Stier erwächst, wie
der Knabe zum kräftigen Jüngling, Wenn dieser auf der
Weide eingeschlafen ist, rennt der Stier wie der Blitz
auf die grofse Himmelswiese und frisst goldene Stern-
blumen. Einmal trägt der Stier den Jüngling zwischen
seinen Hörnern zum König, der ihm ein sieben El-
len langes Schwert giebt, womit der Bursch auszieht,
um die von einem zwölfhauptigen Drachen ent-
führte Königstochter zu befreien. Der Drache hat
sie in seine Flammen bürg eingeschlossen, welche durch
ein unübersteigliches Gebirg und ein stürmisches
Meer von der Menschenwelt geschieden ist. Der Stier
schiebt mit seinen Hörnern das Gebirge bei Seite
und trinkt das ganze Meer aus, dann ergiefst er
das aufgetrunkene Wasser in den Flammenwall,
worauf der Jüngling mit dem Schwert- den Drachen er-
1) Myth.2 1G6. Lex. mytli. 517. Bicm. NS. WB. I, 575.
2) Lex. myth. 966. Muucli, Nürdmiciulciies .^leiste g:ude og heltesagii 15.
3) Lex. myth. 967. Abrahamson Nyenip og Rahbeck udvalgte Daiiske
viser II, 8—18. 339 — 341.
4) Ilaltrich, Siebenbirgische Märchen S. 109. No. 21. Die Königstoch-
ter in der Flammenburg.
8
114 _
schlägt und die Königstochter befreit, der Stier aber auf
die Himmelsvviese zurückkehrt. Wie in den späteren §§.
ß und ßß bewiesen ist, gehören die Flammen bürg, ein
Berg davor und ein Meer ringsum zur Scenerie des
Aufenthaltes Ahis, Agis, der Wolkendrachen. Thunar,
der nach §. cc. als Stier erscheint, befreit daraus die Was-
serfrau. Es wird daher wol kein Zweifel sein können, dass
Thunar auch hier so wol in dem himmlischen Stier, wie
in dem befreienden Jüughng steckt. Zu Indras Sömage-
nuss und Thunars Trinklust stimmt dann auch der Zug,
dass der Stier (der Gewittergott) das (Wolken- )Meer
auftrinkt, und nachher in die Flammenburg d. i. das Blitz-
feuer des Dämons ergiefst. Wir haben hier wieder ein
sehr interessantes Beispiel von der Bildung fast bis zur
Gleichheit ähnlicher Sagen auf Grund gleicher Grundlage
doch ohne historische Identität. Die Uebereinstimmung
der Mudgalalegenden mit heimischer Mythe ist auch schon
Roth aufgefallen, der zu jenen bemerkt: „Für uns sind diese
Züge von besonderem Werte, sofern sie deutscher und nor-
discher Sage verwandt sind."
h) Indra trägt einen Gürtel. „Wenn mit Hoheit er
den Augen der Menschen sich zeigt, scheinen ihm Him-
mel und Erde als Gürtel zu dienen ').
hh) Zu Thors Waffenrüstung gehört der Kraftgürtel
(MeglngjarSr). Spannt er denselben um, so wächst ihm
die Asenkraft um die Hälfte ^). Wir sehen aus der ange-
führten Vedenstelle wenigstens die Grundlage, aus der die
Mythe von Thors Megingjargr sich entwickelte,
i) Der Donner ist Indras vieltönige wahrsprechende
Stimme^) Anders wird derselbe auch als Schall der weit-
hallenden Muschel Devadatta gefasst, auf welcher Indra
bläst ''). Im Mahabhärata führt Arjuna diese Muschel, ein
Sohn Indras, oder vielmehr der verkörperte Indra selbst.
1) Rigv. Langl. II, 4, 8, 6.
2) Gylfaginning 21.
3) Rigv. Rosen VIII, 8.
4) Kuhn, Nordd. Sagen 472.
1J5
Zu jenem sagen die Götter: „Diese Zierde der Muscheln,
womit du die Dänavas besiegen wirst, damit hat der grofs-
geistige Indra die Welt bezwungen." Vor der Asurenstadt
ergreift Arjuna die lauttönende Muschel Devadatta und
lässt sie langsam erschallen. „Dieser Schall aber gehemmt
am Himmel gebar er Widerhall und es zitterten und zer-
flossen in Furcht selbst die sehr grofsen Wesen ')." In Ri-
tusamhära wird die Beschreibung der Regenzeit mit fol-
gendem Bilde eingeleitet: „Der Wolken lauthallender Schritt
naht den Frommen ersehnt, wie ein König, der den Regen
als feurigen Elephanten, den Blitz als Banner, den Don-
ner als Trommel führt," wo nach Potts Bemerkung Indras
Bild nachhallt. Schon R. V. VI. 5, 2, 9 erscheint der Don-
ner unter dem Bilde einer Trommel.
ii) Der Donner als ludras Stimme entspricht Thors
Bartruf (skeggrödd, skeggröst). Er bläst oder ruft in sei-
nen roten Bart, dann hallt die ganze Welt vom Gewitter-
getöse wieder -). Die Muschel Devadatta kommt mit dem
Gjallarhorn überein, das ich bereits Zeitschr. f. D. Myth.
II, 309 fgg. für Thunar in Anspruch zu nehmen gewagt
habe. Dies ist ein sonst von einem andern Gewitterirott
Heimdallr geführtes Heerhorn, dessen Ton in allen Wel-
ten gehört wird. Einen neuen Beweis dafür, dass auch
Thunar einst dieses Hörn blies, glaube ich im Unibos (Ein-
ochs), einem Gedicht des elften Jahrhunderts, nachweisen
zu können. Unibos besitzt nämlich ein Hörn, durch wel-
ches er alte Frauen verjüngen, tote lebendig machen zu
können vorgiebt, gradeso wie St. Peter (Thunar) im Märchen
Greise wieder jung schmiedet. Um drei Gegnern zu ent-
gehen, die sein Leben fordern, heifst er seine Frau sich
tot stellen und mit Blut bestreichen:
1) Arjimas Rückkehr V, 23.
2) Thr.ym3qii. 1. Fornmannasög. I, 302. Myth.'* 161. Zeit.,«chr. f. D.
Myth. II, 305. ])eyt ]>u i mot jjeim skejiifrrödd jjina, blas ihnen deinen Bart-
ruf entgegen — J)6 gengu jjcir üt ok bles Thorr fast i kampana op j'eytii
skeggraustina, da gingen sie aus und Thorr blies in den Bart und orrogte
die f^timme seines Bartes.
8*
116
Ad cistam ciirrit ligneam
suinens saliguam bucinam.
lustrat cadaver conjugis
sub testibus erroneis,
bis lustrat, saepe bucinat,
horam surgendi praedicat ').
Die Frau ersteht und Unibos verkauft sein verjüngendes
Hörn um schweres Geld. Der Schwank von Unibos ist
uns in vielen neueren Fassungen erhalten. Die meisten ^)
entraten jenes Zuges, nur in wenigen Relationen ist er er-
halten. In Schumanns Nachtbüchlein I, 11 — 16 erwirbt
der pfiffige Bäcker durch folgende List Vermögen ^). Er
lässt sein Weib sich wie tot auf die Erde legen und mit
Kalbsblut beschmieren. Darauf erhebt er mit seinen Kin-
dern grofses Geschrei, er habe seine Frau erschlagen, so
dass die Nachbarn zusammenlaufen. Als ihn diese zur
Kede stellen, holt er eine alte Geige von der Wand und
spielt darauf ein Liedlein: „Hast du mich genommen, so
musst du mich haben." Er wolle sie wieder leben-
dig geigen, er habs oft vor thon. Nach einer Weile
hob die Frau an, ein wenig den Fufs zu regen. Er liefs
sich nichts anfechten, geiget immer sein Werk für sich.
Zuletzt fing die Frau an mit niederer und kranker (d. i.
schwacher) Stimme, gleich als ob sie vom Tod erwachet:
„Ach lieber mann, wie magst du mich also schlagen vnd
darnach wieder lebendig geigen, es wer besser du liefsest
mich also todt bleyben, so kern ich der marter abe!" „Nein,
nicht also," sprach der Mann, „warumb gibst du mir nur
1) Grimm und Sehmelier, Lateinische Gedichte des Xten und Xlten Jahr-
hunderts S. 364. Unibos 70 — 115.
2) KHM. I. No. 61. Das Bürle; KHM. IIP, 108 vom Bürger Rutschki,
vom Bauer Kibitz. Pröhle, Märchen für die Jugend No. 15: Der bunte Bauer;
Zingerle, KHM. aus Süddeutschland 1854 S. 5: Das Bäuerlein; Müllenhoff,
Schleswigholst. Sagen S. 461. No. XXIV.: Die reichen Bauern; Stahl, West-
phälische Sagen I, 34: Der Hick; Valten Schumanns, Schriftsetzers zu Leip-
zig, Nachtbüchlein (s. Hcyses Bücherschatz I, 16 fgg. , Gödecke bei Pfeiffer,
Germania I, 349) S. 66 fgg. „Vom Bauern Einhyrn."
3) Ein History von einem Becker, der sein Weib mit der Geygen leben-
dig macht und einem Kauflfmann.
117
so böse wort und lieltst dein geifermaul nicht still." Un-
ter solchen Worten stand die Frau auf ganz schwach und
kraftlos, die Nachbarn halfen ihr und legten sie auf das
Faulbett. Ein habsüchtiger Kaufmann kauft dem Bäcker
um schweres Geld die Geige ab, die dieser aus Neapolis
heimgebracht haben will. — Bei Müllenhoff ') hängt Vater
Strohwisch seiner Frau eine frisclie Blutwurst um den Hals
und ruft ihr dann, als seine Gegner eintreten, zu: Fhnk
setze Stühle her und bringe Pfeifen herein, meine Kauf-
leute sind da. Das wollte die Frau nicht. Aber Vater
Strohwisch sprang mit seinem Messer hinzu und sagte:
„Ich schneide dir den Hals ab, wenn du nicht gehorsam
bist," und schnitt ihr die Wurst entzwei, dass das Blut
herausströmte. Da fiel die Frau um, als wenn sie tot
wäre; aber Vater Strohwisch nahm eine kleine Pfeife
aus der Tasche und pfiff darauf dreimal ganz stark,
da stand die Frau wieder auf, setzte Stühle hin und holte
Pfeifen. Fragten die Gegner: Vater wie machst du das?
Vater Strohwisch antwortete: Ich habe da eine kleine Pfeife;
wenn meine Frau nicht hören will, reifse ich ihr die Kehle
aus; pfeife ich aber auf meiner Flöte, so wird sie wieder
lebendig und tut alles, was ich will. Meine Ansicht, dass
hier Hörn, Pfeife oder Geige auf das totenerweckende,
belebende Hörn Thunars zurückgehen, scheint Bestätigung
zu empfangen durch die bairische Variante des Eiuochs
bei Panzer ^) , wo ein Heiligenbildschnitzer in Gegenwart
der auf ihn erbosten Weber mit einem Knittel um den
Backofen läuft und dabei ruft: „Eselgung mach' mir
mein altes Weib wieder jung." Dabei drischt er auf
seine liebe Crispiua los. Unvermerkt kriecht diese in den
Backofen und statt ihrer kommt des Schnitzers jugendli-
ches Töchterlein, das dazu abgerichtet ist, zum Vorschein.
Die zornigen Weber kaufen den jungmachenden Prü-
gel um eine hohe Summe. Bald darauf dui'ch den Tod
1) Sagen S. 458 fgg. No. XXIII. Vater Strohwisch.
2) Beitrag zur D. Myth. I, No. HO. S. 90.
118
ihrer zu schänden geschlagenen Frauen von der Nichtig-
keit überführt, bestürmen sie mit gesteigerter Wut des Bild-
schnitzers Haus. Da streckt sich dieser wie tot auf ein
Brett und legt einen Stecken neben sich. Einer der We-
ber schlägt ihn damit und er stellt sich nun plötzlich durch
die belebende Kraft des Steckens erweckt an. Auch
diesen Stock zum Totenerwecken verkauft er um eine hohe
Summe. Der letztere Zug kehrt im entsprechenden Mär-
chen bei Zingerle wieder '). Als die betrogenen Metzger
den blinden Hansl zornwütend aufsuchen, liegt er zwischen
brennenden Kerzen unter einem Leichentuch mäuschenstill
in der Stube, während seine Frau mit lautem Geheul den
Toten beklagt. Bald bittet sie einen der Metzger mit ei-
nem alten Stock voll sonderbarer Figuren, den sie aus
einem Kasten hervorholt, dreimal gelinde auf Hansl zu
schlagen; das sei ein Zauberstock. Als dies geschehen,
springt Hansl wie vom Tode erweckt auf und erzählt wun-
derseltsame Dinge, die er im Jenseits gesehen. Dieser be-
lebende und verjüngende Stock ist deutlich Thunars Ham-
mer, den wir schon mehrmals (s. o. S. 34) unter der Ge-
stalt einer Rute antrafen. Mithin wird auch das belebende
Hörn, das auf dieselbe Naturbedeutung zurückführt, Thu-
nars Attribut gewesen sein. — Linne ^) sah im gothischen
Hofgerichtsgebäiide zu lonköping eine grofse Sammlung
von Hexensachen „alte falsche Recepte, Abgötterei, aber-
gläubische Gebete an den Teufel, meist in Reimen, ebenso
andere Kunststücke aus geknüpften Sachen (Zwirn, Seide,
Haaren, Wurzeln)." Darunter befand sich ein Hörn. „Wir
bliesen in das Zauberhorn ohne dass die Teufel
kamen und an dem Milchstocke melkten." Ein
Zauberhorn, das melkende Teufel herbeiruft, scheint
nach §. bb. doch wol mit Thörr in Verbindung zu stehen ^).
1) Zingerle, K. und HM. aus Süddeutschland 1854 S. 418-
2) Reisen dm-ch einige schwedisclie Provinzen I. Ocland und Gütbland.
Halle, Curt 1764 S. 349.
3) Nach rabbinisclier Tradition führt Elias, der sich mit Thunar vielfach
berührt (Myth.^ 157. 158. 772. Zeitschr. f. D. Myth. H, 3) und dessen
J19
Noch wahrscheinlicher wird unsere Ansicht, dassThunar
die lebenbriugende Pfeife oder ein solches Hörn, das Gjal-
larhorn, führte durch die Bemerkung von ßocholz '), dass
der Erlöser der weifsen Frau im Berge ein Pfeif-
chen führt, womit sie herbeigerufen wird^). Kuhn bereits
wies nach, dass der Befreier der weifsen Frau (der Da-
sapatni) aus dem Berge (d.i. der Wolke) Thunar sei ^).
Die Pfeife ist eben der Donnerhall, mit welchem der Gott
in den "VVolkenberg eintritt*). Zu dem kommt, dass ent-
sprechend dem ludischen der Donner auch bei Germanen
die „rote Trommel" genannt wird^), wie noch jetzt
Sage manchen Zug der Gewittermythe aufnehmen mochte, ein Hörn, dessen
Ton einst sämmtliche Juden iu der ganzen Welt hören und daraus vernehmen
werden, dass der Tag ihrer Erlösung gekommen ist. Ueber eine papierne
Brücke überschreiten sie den Ocean und versammeln sich im paradiesischen
Reich hinter dem Sabbatfluss. Dieses Hörn ist von dem "Widder, den Abra-
ham für Isaak opferte. I. Mos. 22, 13. S. Vulpius, Curiositäteu. Weimar
1815 IV, 53-1. Daraus ohne Angabe der Quelle Coutee, Schatten der Vor-
zeit oder Memorabilien merkwürdiger Abenteuer. Wien 1832 S. 111.
1) Rocholz, Sagen des Aargaus S. 244.
2) Eocholz a. a. O. 231. Stöber, Elsäss. Sagen S. 248. No. 190. Pröhle,
Unterharz. Sagen S. 109. No. 275. Zu letzterer Sage vergl. die Zeitschr. f.
D. Myth. in, 885 angeführte Stelle aus Alschjdos Eumeuid. 791. 92.
3) Zeitschr. f. D. Myth. IU, 387.
4) Der englische Riesentöter „Jack the giant-kiUer" (Tabart fairy tales
137), der viele Riesen tötet, gefangene Jungfrauen aus ihrer Gewalt
befreit und Schätze aus ihren Holen oder Bürgen erbeutet, naht dem
Riesen Kormoran mit einem Home, in das er ,,blew so loud and long a
tantivy, that the giant awoke" und tötet ihn dann mit seiner pic,k-axe.
Die Behörden von Cornwall beschenken ihn mit einem Schwert und einem
Gürtel, worauf mit goldenen Buchstaben stand:
This is the valiant Comish man,
M'ho slew the giant Cormoran.
Später (S. 151) findet er vor einem Eiesenkampfe unter dem Burgtor noch
einmal eine goldene Trompete, worauf beigeschrieben stand:
Whoever can this trumpet blow,
shall cause the giant's overthrow.
Hans bläst, dass die Türen aufspringen und die ganze Burg erbebt, und er-
legt den Riesen (vgl. KIIM. III.' 314 fgg.). Leider wissen wir hier wieder
nicht, ob die Sage germanischen oder keltischen Urspnings ist. Sie enthält
fast alle Elemente, welche der deutschon Thorsage eigen sind, sogar den Gür-
tel Megingjarör. Die Trompete liegt unter dem Burgtor, wie das Gjallarhora
unter der Esche Yggdrasill (s. Zeitschr. f. D. Myth. II, 310) oder wie Thors
Hammer von Thrymr 8 Rasten unter der Erde vergraben ist. Vor der Burg
des Riesen liegen Drachen.
5) Zeitsciir. f. D. Myth. III, 126. 128. Bei den Letten hicfs der Don-
ner Himmelstromraler debbess bungotais. Schwenck, Mythologie der Sla-
veD 71.
120
J)ruma (Getöse) bei den Isländern Blitz oder Donner be-
zeichnet. Trommel- und Paukenmusik als Abbild des
Donnergetöses können die Zwerge nicht vertragen ').
k) Ein weiteres Attribut des Indra ist sein himmli-
scher Wagen, der von den zwei falben Blitzrossen gezo-
gen wird. Ihn lenkt in den Veden noch Indra selbst, im
Epos der Fuhrmann Mätali. „Wenn Indra auszieht, um
in den Kampf zu gehen, schirrt er seine edelen Rosse an
und besteigt den Wagen, den er so wol zu lenken weifs ^).'*
Dieser Wagen ist die W^olke ^). Indra heifst davon ghana-
vähana, der Wolken zum Wagen hat. „O Maghavän,
fruchtbarmachend und herrlich sind deine Zügel, deine
goldene Peitsche, dein Wagen, deine beiden Rosse und
du selbst ^atakratu! *)'' Die Räder des Wagens sind nach
den Veden mit Metall beschlagen. Dieser Metallbeschlag
heifst pavi. Er wird als die Wolken zerschneidend,
den Donner hervorlockend, die Feinde zermal-
mend geschildert und ist deswegen in vielen Stellen mit
dem Donnerkeil verwechselt^). In den Epen ist Indras
Gefährt oft beschrieben. Im Indralokagamanam , einer
Episode des Mahabhärata heifst es: „Finsternis aus der
Luft scheuchend, alle Wolken erleuchtend. Zehn
tausend falbe Rosse ziehen den Wagen. Auf ihm befinden
sich Schwerter, Speere und Streitkolben schreckliches
Ansehens, himmhsche machthabende Spiefse, Blitze voll
grofses Glanzes und Donnerkeile diskus verbundene flie-
gende Bälle, winderregende, mit Windstöfsen verbun-
dene den Schall einer grofsen Wolke habende, so
wie die glanzvolle Standarte Vaijayanta (d. i. die siegrei-
che von vijayat), blauem Lotos an Farbe ähnlich, ein blaues
Rohr von Gold geziert." Arjuna erhält diesen Wagen von
1) Müllenhoff, Sagen S. 289. No. 39G.
2) Rigv. Langl. VI, 3, 14, 7.
3) Ueber Darstellung der Wolke als Wagen bei Hellenen und Hebräern
Lauer, System 358.
4) Rigs-. Langl. VI, 3, 2, 11. *
5) Roth, Nirukta 57.
121
Indra. Zu jenem reden die Götter: „Mit diesem Wagen
hat Magliavän (Indra) besiegt den Qambara, den Vala und
Vritra auch, den Prahläda und Naraka, auch viele Millio-
nen und Billionen von Daityas hat auf diesem Wagen be-
siegt Maghavän im Kampfe')." Das Rasseln dieses Wa-
gens tönt gleich dem des Donners am HimmeP).
Indras falbe Rosse bezeichnen ursprünglich den Blitz. Wie
wir aber schon oben S. 37 nachgewiesen haben, gehen die
Symbole des Lichts und der Wolke neben einander her
und in einander über; so vrerden die Rosse Indras in meh-
reren Stellen deutlich als Wolken charakterisiert. Indra
wird z.B. angerufen die mettriefenden Falben anzu-
schirren^).
kk) Den Thörr zeichnet ein Wagen aus, nach wel-
chem er selbst Oku]?6rr, ReiSatyr (Wagenthörr, Wagen-
gott), Einriöi (der Fuhrmann xar' k^o'/i']v), Hlörriöi (der
Erdfahrer), Vagnaverr (Wagenmann) heifst. Zwar haben
auch andere Götter ihren Wagen, namentlich üSiun und
Freyr, aber Thorr ist in eigentlichem Sinne der fahrend
Gedachte ■*). Unter dem nordischen Volk gehen die Re-
densarten: „Godgubben äker der gute Alte fährt, gof-
far kör der gute Vater fährt, wenn es gewittert. Thors
Beiname war Atli Väterchen. Das Rollen des Thorswa-
gens ist der Donner. Schwedisch heifst das Gewitter äska
aus äs-äka Gottesfahrt, altn. reiö Wagen, reiöarslag
Wagengeroll, reiöar}>ruma Wagendonner ^) , ags. j^unorräd
Thunarswagen ; altn. reiöarskjälf ist tremor e fulmine. Un-
ter den Rädern des Donnerwagens erzittert die
Welt:
Bald wurden die Böcke
Vom Berge getrieben,
Und vor den gewölbten
Wagen geschirrt.
1) Arjiiuas Kückkehr V, 20 fgg.
2) Ebendas. VI, 9.
3) Säinaveda Benfey I, 5, 1, 3, G.
4) Myth.^ 151.
5) Sopluis Buggo, Zeitsdir. für vcrgl. Spracht". III, 29.
122
Felsen brachen,
Brannt' in Feuer die Erde,
Da ÖSins Sohn (Thorr) reiste
Gen Riesenheim ^),
In Deutschland scheint dieser Wagen in einem merkwür-
digen Rechtsgebrauch fortzuleben. Wenn in Westphalen
Jemandem etwas von der Gemeinheit zum Privateigentum
übergeben werden soll, bestehe es in Holz oder Wiesen-
land, so geschieht das Befangen mit einem Hammer, der
aus dem Wagen unter dem linken Bein hergeworfen wird.
So weit nun der Wurf reicht, so viel wird einem als Ei-
gentum abgetreten^). Der Hammer wurf beim Lander-
werb geschah zu Ehren Thunars ^), auch der Wagen wird
hier als sein Symbol gebraucht sein. Schon Wolf*) be-
merkt: „Der vom Wagen aus den Hammer oder die
Donnerkeile werfende Gott blickt noch durch das Dit-
marsische: nu faert de olde all wedder da bäwen und
haut mit sin ex anne räd^)."
Thors Wagen ziehen zwei Böcke, während Indra mit
den beiden falben Blitz rossen fährt. Dies ist ein an-
scheinend wichtic-er Unterscheidungsscrund zwischen der in-
dischen und germanischen Mythe. Wir haben jedoch schon
oben S. 63 nachgewiesen, dass der Bock als Symbol der
Wolke in die indogermanische Urzeit hinaufreicht und auch
in Indien in entschiedener Verbindung mit Indra stand.
Wie leicht war da nicht eine Vertauschung der beiden
naheliegenden Naturerscheinungen des Blitzes und der
Wolke bei des Gewittergottes Gefährt möglich. Sahen
wir doch auch die Blitzrosse Indras in die Naturbedeutung
der Wolke übergehen. Zudem stellen die beiden Böcke,
welche Thors Wagen ziehen, nicht die Wolke an und für
sich dar, sondern gradezu die blitz durchzuckte Gewitter-
1) Tlirymsqu. 21.
2) Strodtmaun, Idiotie. Osnabnig. 80. Hannöv. Anzeigen 1753. Nu. 2.
3) J. Grimm, RA. 55 fgg. Grenzaltertümer, Abhandl. d. Berl. Akad.
1843 S. 121 fgg.
4) Beiträge I, G6.
5) MüUenhoff, Sagen 358.
123
wölke, wie ihre Namen Tanngniöstr (Zahnknisterer)
und Tanngrisnir (Zalinknirscher) beweisen*). In In-
dien standen die Rosse als Symbole des Blitzes unter In-
dras besonderem Schutz, ihm wurden Pferdeopfer gebracht.
Bei den Germanen ist die Beziehung dieser Tiere zu Thu-
nar sehr verdunkelt. Gleichwol sind noch einige gewich-
tige Spuren vorhanden, dass auch Thörr ehemals des Bos-
ses gewaltig war. Ich will kein Gewicht darauf legen,
dass der Svefneyer Codex des jüngeren Edda unter den
mythischen Rossnamen erwähnt: Blööughöfi het hestr, er
bera quäöu öflgan Einriöa^). EinriSi ist ein Beiname
Thors ^) ; aber die meisten Handschriften gewähren Atriöa ;
Atriör, Atrigi ist kenning Freys*). Bedeutsam dagegen
ist eine Sage bei Saxo Grammaticus ^). Bei diesem fallen
die Brüder Thörbiörn, Gerbiörn, Gunnbiörn, Stenbiörn,
Esbiörn, Arinbiörn undBiörn FriSlefVI an, der sich nur
mit List ihrer erwehrt. Diese Helden sind Hypostasen
Thors, der den Beinamen Biörn Bär führte, und zu Zei-
ten Bärgestalt annahm ^). Biörn hat ein Ross, auf welchem
er mit Schnelligkeit reifsende Ströme durchwatet.
Hie equura habuisse traditur praestantem corpore,
praecipitem velocitate, adeo ut caeteris amnem tra-
jicere nequeuntibus hie solus obstrepentera indefessus
vorticem superaret. Dieses Ross scheint Skaldskaparm. k.
58 zu kennen. Hier wird unter den Götterrossen aufge-
zählt: Biörn reiS Blakki. Die Stelle bei Saxo erinnert an
Thörr, von dem es heifst, dass er täglich die heiligen
1) Vergl. Zeitschr. f. D. Myth. II, 309. III, 117 und unten S. 125.
Ueber Thors Bocksgespann findet sich eine merkwürdige Notiz bei Buddingh,
Verhandeling over het Westland. Leyden 1844 S. 385. Er erwähnt ein Kin-
derspiel: ,,Het rijden op den bokkeuwagen." (Het wagcngespann
van den donderaar wiens worpen met donderstcnen door de kinderen worden
nagevolgd in het harde eijeren werpen.) Leider gibt er keine ausführlichere
Nachricht, so dass wir unser Urteil noeli zurückhalten müssen.
2) Sliäldskaparm. cap. 58. Sn. E. I, 480.
3) Skaldskaparm. cap. 75. Sn. E. I, 553.
4) Lex. myth. 291. 363.
5) Ed. P. E. Müller VI, 260.
6) S. Zeitschr. f. D. Myth. III, 145. Diese Brüder sind auch wie Tliörr
Iliesenbesieger ,, giganteis clari triumphis." Weiteres über die Sage ein
andermal.
124
Wasser der Himmelsburg durchwatet. (S. uuten §. xx).
Finden wir hier schon einmal bei einer Hypostase Thors
ein bedeutsames Ross, und zwar ein solches, welches —
wenn die Zusammenstellung Björns mit dem watenden
Thörr richtig ist — nur auf die Naturanschauung des
Blitzes zurückgehen kann, so finden wir das Blitzross noch
bei einer anderen mythischen Persönlichkeit wieder, welche
nichts anderes als ein blofser Ausfluss Thors ist. Thorr
nämlich schenkt seinem Sohne Magni das goldm ähnige
Ross Hrüngnirs (GuUfaxi;, welches Schwenck *) bereits
richtig auf den Blitz gedeutet hat (s. unten §. ßß). Bevor
Biörn und Magni von der Person Thors sich lostrennten,
muss diesem das Blitzross zugestanden haben. In deut-
schen Sagen erscheint öfter ein Reiter in rotem Man-
tel, mit rotem Banner auf rotem Ross u. s. w., den
man mit grofser Wahrscheinlichkeit auf Thunar deutef ).
Das Blitzross ist auch noch in einer Anzahl deutscher Sa-
gen erhalten, welche erzählen, dass eine belagerte Burg
nur eingenommen werden konnte, wenn man das Trinkwas-
ser derselben abzuleiten vermochte. Ein blindes Ross
scharrte die Wasserleitung aus. Die Burg ist, wie wir
sehen werden, meistenteils Symbol der von dem Dämon
eingeschlossenen Wolke, das Ross welches mit seinem Huf-
schlag die Wasserleitung öffnet, den Regen herabströmen
macht, kann kein anderes als das Blitzross gewesen
sein '').
1) Dem Indra schreibt die Mythe einen golden enBart
zu. »Wir ehren Indra, dessen Rechte den Blitz trägt.
Seine Rosse führen ihn zu mannigfachen Taten herbei.
Er bewegt seinen Bart, er richtet ihn grade,
wenn er mit seiner Schar den Schatz erobert*)." „Schüt-
telt Indra die Haare seines goldenen Bartes, dann
1) Mythologie der Germaneu 52.
2) Wolf, Beiträge I, 80. Myth.' 892. vergl. jedoch Lyncker, Hessi-
sche Sagen 4.
3) Vergl. die Mythe von Pegasos, Zeitschr. f. vgl. Sprachf. I, 460. 461.
4) Rigv. Langl. VII, 7, 5, 1.
125
wirft der Regen seine Geschosse nieder^)." „Er
hat den BHtz gemacht, um den Dasyu zu vertilgen, er mit
der leuchtenden Gestalt, mit dem goldenen Bart 2)."
„Wir weihen Ehrfiircht Indra der werkreichen Falben Wa-
genlenker, den Schnauzbart schüttelnd steh' er
hoch erhebend sich, durch Heere furchtbar und durch
Spende auch ^). Dieser Bart ist ein neues Sinnbild des
goldroten Blitzes.
11) Thorr und Thiraar, der deutsche und der nordische
Gewittergott, trug einen langen roten Bart. Als rot-
bärtiger Mann (rauöskeggjaSr) erschien Thörr dem schwe-
dischen Helden Styrbjörn in seinem Zelt, als dieser ihn
gegen Eirikr um Hilfe gebeten hatte. Als rotbärtiger
Jüngling tritt er vor König Olafr Tryggvasonr und er-
zählte ihm, wie er vor Alters von den Normannen ange-
rufen, die Riesen mit seinem Hammer bekriegte. Hilfsbe-
dürftige flehten Thors roten Bart an, in den der Gott
blies, um Blitz hervorzurufen. Donnerte es, so er-
regte er die Sprache seines Bartes, furchtbar schüt-
telte er ihn im Äsenzorn (skegg nam at hrista) *)•
m) Ausdrücklich wird Indras gewaltige Stärke bezeugt.
„Mit unermesshcher Kraft ist Indra geboren (amitaujä
ajäyata) ^).'' „Unbesiegbare Kraft besitzt der Ruhmvolle
im Körper")." „Grofs ist deine Macht, Indra, deinen Ar-
men ist eine Kraft verliehen, die deine Herrschaft verherr-
licht ')." Diese Kraft wächst vor und im Kampfe mit den
Dämonen. „Er wuchs an Kräften dem Berge gleich, der
unter Wasserströmen nicht wankt, der an tausend Hilfen
1) Ibid. VI, 7, 5, 4.
2) Ibid. VIII, 5, 11, 7.
3) Sämaveda Benfey I, 4, 1, 5, 3. Auch Agni der Feuergott, der im
Blitzfeuer wie im irdischen Feuer waltet, heifst hiri^ma^rnh goldbiirtig, Rigv.
5, 27, 7; daneben goldzahn ig 9ucidanu.
4) Thr3'msquiöa 1. vgl. Zeitschr. f. D. Myth. II, 304 fgg. — Wie Agni
goldzahnig heifst, wird Indra oft mit goldenen Kinnbacken dargestellt.
Dies erinnert daran, was wir über den goldzahnigen Gewittergott Heinidallr
(GuUintanni) Zeitschr. f. D. Myth. II, 309. III, 117 beigebracht haben.
5) Rig^-. Rosen XI, 4.
6) Ibid. LV, 8.
7) Ibid. LXXX, 8.
126
reiche Indra, da er den Vritra tötete, der die Wasser ge-
fangen hielt')." Seine angeborne Kraft erhöhen herr-
liche WaflPen. „Tvashtri vermehrte die dir zukom-
mende Kraft, er schmiedete das mit siegreicher Kraft
ausgerüstete Geschoss^)." Indra heifst daher Cakivat der
mit Macht Begabte, Qakra der Mächtige, ^atakratu der
hundertfach Mächtige (oder der mit hundert Opfern Ge-
ehrte?), Cacipati Herr der Kraft, Gemahl der I^aft (wo-
her man Indras Gemahlin Qaci Macht schloss), Qavasah
pati Herr der Kraft ^), und endlich Sohn der Kraft. Von
seiner Kraft teilt Indra seinen Verehrern mit; jede Kraft-
tat in der Welt, sogar was die Ameisen mit Kraft aus-
führen, ist des Gottes Werk und darum heifst indriya n.
(von Indra stammend) Mut*). „Ein Zerbrecher, ein Held
schätzebegabt, schatzreich, beschenkt er wol mit Hel-
denkraft; segnend ist deiner Arme Paar, Viel-
opfriger! welches nieder den Blitzstrahl wirft^)."
mm) Thörr war der Stärkste der Götter. Ihm kommt
daher vor allen Göttern die Äsen kraft, Asmegin zu.
Als Kind schon hob er zehn Bärenhäute in die Höhe ").
Seine Kraft erhöht sich stets, wenn er zum Kampf schrei-
tet, besonders durch Anlegung seiner Stärkehandschuhe
und durch seinen Donnerhammer. Dieser heifst daher
Thrüöhamarr Krafthammer. Als Thörr zum Riesen-
kampf ausziehend, vom Flusse Vimur aufgehalten wird,
sagt er:
Wachse nicht Vimur,
Nun ich waten muss
Hin zu des Joten Hause;
Wisse, wenn du wächsest.
1) mgv. Rosen LH, 2.
2) ibid. LH, 7.
3) Ibid. XI, 2.
4) Benfey, Sämav. glossar S. 25.
5) Sämav. Benfey II, 6, 3, 7, 2.
6) Su. E. formäli cap. VIII ed. Havn. I, 22. vgl. Zeitschr. f. D. Myth.
III, lib.
127
Wächst mir die Asenkraft
Ebenhoch dem HimmeP).
Wie Indra Sohn der Kraft heifst, wird Thorr Vater der
Stärke faSir Thrüöar genannt und sein Wohnsitz führt
den Namen Kraft wiese Thrüövängr, Kraft heim ThrüS-
heimr^;, Thors Söhne heifsen Mööi (der Mutige) und
Magni (der Starke). Beiwörter Thors selbst sind Kraft-
Sfott Thrüöaräss, Kraftherrscher der Götter Thrüö-
valldr goSa^), der kräftige Gott thrüSugr äss*), der
kraftmutige thrüSmoSgr), der kraftgerüstete thrött-
öflugr^), der tatkräftige däörakkr), der hartgesinnte
harShugaör *'). Von der Körperstärke, die er selbst besitzt,
teilt Thorr seinen Freunden mit. Deshalb rief man ihn beim
Ringkampf um Beistand an. Als der Isländer Thord,
der sonst sehr geübt im Ringkampf war, sich gegen seinen
gewandten Landsmann Gunnlaugr Ormstüngi erproben sollte,
rief er vorher Thorr an. Gunnlaugr schlug ihm gleich-
wol ein Bein unter und warf ihn zur Erde, renkte sich da-
bei aber selbst den Fufs aus dem Gelenk ').
n) Verzehrend ist Indras Zorn. Er spricht: „Maruts,
ich habe den Vritra getötet durch die blofse Gewalt mei-
nes Zornes, durch meine Indrakraft ^). " „In Zorn
durchbohrt Indra des zitternden Vritra Nacken ")." Him-
mel und Erde beben davor, „Bei deiner strahlenden Ge-
burt bebt der Himmel. Die Erde zittert in Furcht
vor deinem Zorn. Die Plimmelsberge öffnen, von dir
getroffen, ihren Schofs und die Wasser rauschen in Strö-
1) Skäldskaparm. c. 18. Sn. E. I, 286.
2) Zeitschr. f. d. Myth. II, 332 fgg.
3) HarbarSsl. 9
4) Thrymsqu. 17.
5) Ilymisqu. 39. 20.
6) Thrymsqu. 31.
7) Guunlaugs Ormstünga Saga 10. Bei den Deutschen im Böhmcrwald
hebt die junge Frau, wenn es während des Brautzuges donnert, einen
schweren Gegenstand. Das verleiht Stärke imd Gesundheit.
8) Rigv. Langl. U, 3, 8, 8.
9) Rigv. Rosen LXXX, 5.
128
men herab ')." „Ich setze mein Vertrauen auf deinen er-
sten Zorn, als du den starken Räuber schlugst^ die Flut
enthülltest, als beide Welten zu dir flüchteten vor Angst,
die Erde gar ob deiner Kraft, Blitzschleuderer ^)." „Alle
Stämme, die Menschen all neigen sich nieder seinem
Zorn, wie die Flüsse allsammt zum Meer^)." „Wenn er
erscheint, zittern in Furcht die festen Berge, Himmel
und Erde*).
nn) Thors Asenzorn (Asmoör) ist ebenso berühmt, als
seine Kraft. Er fasst im Grimm, seiner selbst nicht mäch-
tig, den Hammerschaft so hart an, dass die Knöchel weifs
werden und Alles vor ihm zu Boden sinkt ^). Besonders
wenn er sich den Riesen und Trollen gegenübersieht, ent-
brennt dieser Zorn. Beim Verlust des Hammers ") , beim
Mangel des Braukessels'') loht er hoch empor, ja er stei-
gert sich beim blofsen Anblick des Riesen Hrüngnir zur
höchsten Wut ^). Bei Thors Kämpfen erzittern dann die
Berge, brechen die Felsen, Himmel und Erde stehen in
Flammen:
Felsen krachten,
Klüfte heulten,
Die alte Fold
Fuhr ächzend zusammen ^).
„Der Mond weg tönte unter ihm" (Mänavegr dundi und
hanom), „die Himmelsgefilde brennen" (Ginnungave brinna),
„es brannte der über den Menschen ausgebreitete Himmel"
(upphiminn manna brann), „mit Hagel war die Erde be-
deckt" (grund var grapi hruudin) ''').
1) Rigv. Langl. III, 5, 13, 2.
2) Sämav. Benfey I, 4, 2, 4, 2.
3) Sämav. Benfey I, 2, 1, 5, 3.
4) Rigv. Rosen LXI, 14.
5) Gylfaginning 44.
6) Thrymsqu. 1. 2.
7) Hymisqu. 1. 2. Oegisdr. 45. Fornmannasög. 11, 154.
8) Skäklskaparm. c. 7 Sn. E. I, 270 fgg.
9) Hymisqu. 24. Fold, Erdgöttin. S. Zeitschrift für vergl. Sprachfor-
schung V, 230.
10) Aus Thors Kampf mit Hrüngnir in Thiodolfs Höstslöng.
o) Indra war Lebensgott. „Dies heldenhafte Werk,
o Tänzer, ward als erstes, Indra, und urältestes, von dir
im Himmel Rühmliches vollbracht, dass Leben du mit
Gotteskraft befördertest Flut förderend ')." „O,
der du Leben spendest, in dir sind tausend Hilfen -)." Ich
will, sagt Indra, dass alles zweifttfsige und vierfüfsige Ge-
schlecht von mir Leben empfange ^). Er verleiht den From-
men langes Leben ''). Er behütet den Körper vor Scha-
den ^). Die verlorne Männlichkeit des Asanga stellt er
wieder her''). Er ist darum auch Ehegott. Man ruft ihn
um Nachkommenschaft an ") , um eine reiche Familie und
viele Kühe. Dem alten Kakshivän verlieh er die junge
Vricayä zur Gattin ®). Vor allen andern Menschen ist er
den Familienvätern gnädig und gewährt ihnen hohes
Glück ^). Ebenso versagt er bisweilen zürnend Familien-
glück: „Verderbe nicht, Indra, unsere einstige Nachkom-
menschaft '")." „Sehre uns nicht, o Indra, gieb uns nicht
dahin, nimm uns nicht die süfse Lust, töte nicht Magha-
vän, ^akra unsere Geburten, töte nicht unsere noch auf
den Knieen kriechenden Kleinen ")."
oo) lieber Thors lebenspendende Tätigkeit habe ich
mich bereits Zeitschr. f. D. Mjth. II, 318. III, 210. 230
fgg. und o. S. 64 fgg. ausgelassen. Andere wichtige Seiten
werden im Verfolg dieses Buches Erläuterung finden. Nach
der Gautrekssaga bestimmt Thorr dem Starkaör, dass er
weder Sohn noch Tochter haben und so sein Geschlecht
beschliefsen solle („skapa ek Jjat Starkaöi, at hann skal hvärki
eiga son ne döttur, ok enda svä astt sina") '^). Er speu-
1) Sämaveda Benfey I, 5, 2, 3, 10.
2) Rigv. Langl. VIII, 5, 11. 11.
3) Ibid. VII, 7, 9, 10.
4) Ibid. V, 3, 11, 4.
5) Eigv. Rosen V, 10.
6) Rigv. Lang]. V, 7, 5, 34.
7) ibid. V, 1, 7, 5.
8) Kigv. Rosen LI, 13.
9) Rigv. Langl. IV, 6, 3, 10. 12.
10) Rigv. Rosen CIV, G. Vergl. Roth, Nirukta S. 38.
11) Ibid. CIV, 8.
12J Fornaldarsög. III, 32 fgg.
9
^30 _
det und versagt den Segen der Ehe'). Deutscher
Aberglaube weist dieselbe Spur. Niemand soll seine Ge-
vatterin ehelichen, denn so oft sie sich vermischen don-
nert es ^). Neumond am Donnerstag eintreffend, gilt
auf den Orkneys als die beste Heiratszeit ^), — Zeitschr.
f. D. Myth. III, 70 ist versucht auseinanderzusetzen, dass
die sogenannten Brautsteine, Steine in welche die Sage
an den verschiedensten Orten Deutschlands ein Brautpaar
verwandelt sein lässt, und die Brütkampe, Felder auf
denen im Heidentum den Ehegottheiten Opfer gebracht sein
sollen, alte Heiligtümer Thunars gewesen sind. Die schon
angeführte norwegische Sage aus E"'aje o. S. 100 bestätigt
diese Vermutung, indem sie erzählt, wie Thörr mensch-
liche Hochzeiten mit seinem Besuche beehrt. Von
einem Brautpaar schlecht aufgenommen, begräbt er dasselbe
unter einem Bergsturz. Noch bezeugen zwei Steine das
Andenken dieser Begebenheit „Brudestenene" genannt.
p) Indra wurde als Lebensgott j)hallisch gedacht. Die
Sage erzählt, dass Indra Ahalyä, die schöne Gattin des
Rishi Gautama, liebgewann imd verführte. Im Zorn ver-
fluchte derRishi ihn, auf seinem Körper tausendfach dasGlied
zu tragen, mit welchem er gesündigt, verwandelte jedoch
bald darauf in milderer Stimmung diesen traurigen Schmuck
in 1000 Augen, mit welchen Indras Körper nun besät
ist ^). Schon im Veda begegnet sahasräksha (mille ocu-
lis praeditus) als Indras Beiwort ^). Diese tausend Augen
bezeichnen Indra wie Varuna und bei den Griechen Argos,
den Wächter der 16, als Himmelsgott; sie sind die leuch-
tenden Sterne. Jene Mythe ist erst spät in die ältere vom
tausendäugigen Indra divaspati hineingedeutet.
pp) Gleichwol darf damit in Parallele eine phallische
Darstellung Thunars gestellt werden, worüber ich Zeitschr. f.
1) Wolf, Beiträge I, 80.
2) Myth." LXXIV, 163.
3) Lex. Myth. 954.
4) Asiatic researclies VIII, 1818, G8.
5) Rigv. Roseu XXIII, 3.
m
D. Myth. III, 86 — 107 gesprochen habe und wozu eben-
das. III, 246 zu vergleichen ist. Ohne historische Einheit
ist die phallische Natur des deutschen und des indischen
Gewittergottes aus derselben mythischen Grundlage hervor-
gewachsen.
q) Beschützer der Familie ist Indra teils als Lebens-
gott, teils als Genosse des Agni, der das heilige Herd-
feuer, die Quelle der Gesittung und des Familienglücks,
entzündet und mit ihm zusammen in zahlreichen Hymnen
angerufen wird. Von jener Tätigkeit heifst Agni sabhya,
Schützer des Stammes von sabhä, das in den Veden
„Versammlung, Saal, dann die Menge der erwachsenen, zu
Verstand gekommenen Mitglieder, die gens" bezeichnet ').
Entsprechend hat der Sup. sabheyishtha die Bedeutung
„der im Stamme Tüchtigste," „der Häuslichste" oder „der
Höchste der Sippe," womit, wie Kuhn neuerdings bewie-
sen hat ^) , der Name ' II^lijJI^TO^ oder "HcfaiGTog ge-
nau übereinstimmt. Ganz entsprechend heifst nun auch
Indra sadaspati (Hauses Herr) ^), du bist grofsen Schat-
zes, o Schatzgebietender; du bist der Schützer der Woh-
nungen; dich, diesen Indra, mächtiger Sanggepriesener,
rufen beim Sömapressen wir ^). Er gewährt seinen Ver-
ehrern Haus und Heim ^), und ist als Schützer der Woh-
nung, lar domesticiis ^). Er wird angerufen, das Haus vor
Dieben zu schützen.
qq) Dass Thörr es ist, von dessen Blitzstrahl die hei-
lige Flamme des Herdes stammt, und dass er dadurch
zum Gründer des Familienglückes wird, habe ich Zeitschr.
f. D. Myth. II, 331 bewiesen. Darum schlägt der Blitz
nicht ein , wenn Feuer auf dem Herde brennt "'). In bai-
risch Schwaben legt man beim Gewitter o;eweihtes Holz
1) Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, .S70 fgg.
2) Kuhn a. a. 0. V, 214 fgg.
3) Rigv. Kosen XXI, 5.
4) Sämav. Benfey II, 5, 2, 1 5.
5) Rigv. Rosen X, 4.
(5) Roth, Nirukta S. 137. Benfey, Gloss. Sanscr. 170.
7) Mvth.' LXXII, 126. Kuhn, 'XorcUl. Sagen S. 455, 411.
9*
132
auf den Herd '). Auch in Holstein lässt man beim Ge-
witter das Feuer nicht ausgehen, während man zugleich
eine Axt in den Ständer der Seiten türe schlägt und so
lange darin lässt, bis das Unwetter vorüber ist. Mit sa-
bhja stimmt nun etymologisch genau das germanische Wort
sif, sippia (Geschlecht, Sippe, Verwandschaft) überein.
Sifheifst Thors Gattin und ich habe schon Zeitschr.
f. D. Myth. H, 330—340. IH, 121 auseinandergesetzt, wie
der deutsche Gewittergott das Geschlechtsbewusstsein zur
Genossin erhalten musste, da um das dem himmlischen Ge-
witterfeuer entstammte Herdfeuer Haus und Geschlecht
sich auferbauen. Aus diesem Grunde und als Schützer
des Anbaus, indem er mit seinem Gewitterstrahl das harte
Felsgebirg urbar macht, ward er Verleiher und Erhalter
des Grundbesitzes. Thörr versagt dem Starkaör Land und
Grundbesitz (]?at skapa ek honum, at bann skal hvärki
eiga land ne läö). Landeigentum ward mit dem Wurf
des heiligen Donnerhammers in Besitz genommen -). Bei
Besitzergreifuno; hcrrnloser Gründe ward das erworbene
Land sehr häufig Thörr geweiht: helgaöi landnäm sitt ]>ör
ok kallaSi jjorsmörk (er heiligte seine Landnahme dem Thörr
und nannte sie Thörsmark, d. i. Donnerwald, oder Donner-
grenze) ^). Thunar waren deshalb auch die Grenzen ge-
weiht; die dem Gewittergott heiligen Eichen dienten häufig
bei Grenzbegängen zur Bezeichnung der Scheiden *). Thörr
selbst kämpfte mit dem Riesen Hrüngnir auf der Landes-
grenze (ä landamaeri ^). Diese Sorge Thunars für Haus
und Hof und das darin waltende sittliche Leben „der
Herdgenossenschaft" äufsert sich aber noch in ver-
schiedenen anderen Gebräuchen. An die Stelle des alten
1) Panzer, Beitrag zur D. Mytb. II. 2.12. 379.
2) J. Grimm, D. Grenzaltertümer. Abhandl. der Berliner Akad. 1843
S. 121 fgg. RA. 5ö fgg.
3) Landnämab. V, 2, S. 218.
4) Grenzaltertümer S. 128. Urivunden des Slavenvolks gewähren bei
Grenzfestsetziingen noch den bedeutsamen Ausdruck : ,,Do peronowa dutu"
bis zu Peruns Eiche.
5) Skäldskaparm. c. 17. Sn. E. I, 272.
133
Herdes trat später der Ofen, ja das Wort Ofen ist die
älteste germanische Benennung für den Herd selbst. Wie
Aufrecht dargetan hat *), entspricht goth. aühns Ofen, ahd.
ovan, das aus einer alten Form uknas, aknas hervorgegan-
gen ist, dem vedischen Worte a^an, a^na (apani, äpman)
steinern, apmanta steinerner Feuerherd, Ofen. AufThu-
nar, den himmlischen Geber des Herdfeuers, beziehen sich
daher jedenfalls die folgenden Gebräuche und Meinungen.
Kommt in einem Hause Feuer aus, so schleife man den
B a ck 0 f en hinaus. Dem schlägt die Flamme nach ^). Dienst-
boten sollen ihr erstes Mittagbrod auf der Ofenbank ver-
zehren, dann gewöhnen sie sich gut ein, sie werden wirk-
liche Mitglieder der Herdgenossenschaft ^). Beim Einzug
in ein neues Haus, bevor man in die Stube geht, gucke
man in den Ofentopf, um einzuwohnen. Dasselbe soll
jedes neu anziehende Gesinde tun "). Die Magd soll gleich
beim Eintritt in einen neuen Dienst nachsehen, ob Feuer
im Ofen brennt und es schüren; dann bleibt sie lange
im Hause ^). Zu Weihnachten oder Neujahr schauen die
Mädchen ins Ofenloch und gewahren darin ihren zu-
künftigen Bräutigam. — Nach den a. a. O. gepflogenen
Untersuchungen über Sif, ist es sehr wahrscheinlich, dass
erst eine späte Zeit den abstrakten BegriflP der „Sippe" zu
Thors Gemahlin erhob. Keinem Zweifel kann es jedoch
unterliegen, dass bereits vor der Zeit der Sprachtrennung
an die Person des Gewittergottes der Begriff eines Schützers
der Herdgenossenschaft geknüpft war.
r) Wir kehren zu Indras lebenspendender Tätigkeit
zurück. Aus dieser fliefst seine Geltung als Heilgott,
wofür schon Zeitschr, f. D. Myth. H, 319 ein Beleg bei-
gebracht ist. Einen anderen haben wir im Verlauf dieses
Aufsatzes S. 43 erwähnt. Ein Hymnus ruft Indra an:
1) Zs. für vergl. Sprachf. V, 133 fgg. Vergl. Schleicher ibid. V, 400.
2) Myth.' LXXXIV, 450.
3) Myth. ' cm, 862. Tliörr selbst heilst Arinbrauti Sifjar, Sifs Ilerdbesucher.
4) Myth.' LXXXVII, 501. LXXI, 95.
5) Myth.' XCIX, 777. In Norwegen war der Donnerstag Tag des
Wohnungswechsels, in Holland der Maitag.
134
Von unserm Gesaug entzückt heile unsere Gebrechen ').
Apäla, Atris Tochter, hatte eine Hautkrankheit, wel-
che Indra, dem sie opferte, ihr abnahm. Derselbe gab
zugleich ihrem Vater Atri die verlorenen Haare wieder -).
Ein gewisses Heilmittel heilst ludrahasta. Der heilkräf-
tige Baum vitex negundo ist nach dem Gott Indrasu-
rasa, Indrasurä benannt. Die vorhin erwähnte Heilung
der Apäla geschieht dadurch, dass Indra sie durch das
Wagenrad zieht:
Durch den Wagen und das Gespann,
Durch das Jochband, Allmächtiger,
Zogst Apäla du durch dreimal.
Und ihre Haut ward sonnenrein ^).
rr) Thunars Bedeutung als Heilgott ist schon Zeitschr.
f. D. Myth. H, 318 — 320 auseinandergesetzt. Adam von
Bremen bezeugt: „ Si pestis et famis imminet, Thor
idolo lybatur *y^ Es lässt sich noch vieles Weitere zu dem
a. a. O. Bemerkten dafür beibringen. Wer Gründonner-
stag fastet, bleibt das Jahr hindurch frei von Fieber, und
hat ers, so vergeht es °). Gründonnerstag fasten schützt
vor Zahnweh. Johannistag; vor Sonnenaufffano- still-
schweigend Eichenholz auf den Leib gestrichen, heilt
alle ofienen Schäden "), Wenn man im Frühjahr zum er-
stenmal donnern hört, so muss man dreimal rückwärts
niederfallen und den Rücken recht auf dem Boden reiben.
Dann ist man in diesem Jahr vor Kreuzschmerzen si-
cher''). Wenn man einem siebenjährigen Kinde Eichen-
mispeln in warmem Wein oder Milch zu trinken giebt,
so bleibt es frei von schwerer Krankheit ^). Kranke Frauen
werde;i in der Mark mit einem roten Garnfaden gemes-
1) mgv. Lang!. VIII, 5, 11, 8.
2) Ibid. VI, 6, 10, 1 fgg.
3) Riav. VIII, 80, 7, nach xUifrechts Uebersetzuiig Ind. Stud. IV, 2.
4) Gesta Haniaburgensis ecclesiae pontif. IV, c. 27.
5) Myth.' LXX, 84. veigl. dagegen Chemnitzer Eockenphil. 1,44. Isst
man Gründonnerstag Bretzelu, so bekommt man das Fieber.
6) Myth-' CLII, 970.
7) Panzer Beitrag zur D. M3'th. II, 303.
8J Wolf, Beiträge I, 209, 55.
135
seil'). In rote Uuterröcke hüllt dcas Schweizer Landvolk
Fieberkranke -). Besondere Uebereinstimmung mit der in-
dischen Sage zeigt es, dass Thnnars heiliger Vogel, der
Kuknk, den Hautansschlag der Sommersprossen (Jndas-
dreck, bran de Judas) wegzunehmen die Macht hat^), wie
der auch vom Donnergott gespendete Maitau (s. o. S. 31)
von Hautkrankheiten befreit. Heilquellen werden in Schwe-
den *) und Norwegen ^) am Donnerstag besucht. Bei
Diby und ebenso auf Herslätt bei Worms ist eine Quelle,
in welche die Inselschweden am Donnerstagabend nach
Sonnenuntergang stillschweigend einen Groschen werfen,
worauf sie Wasser aus derselben schöpfen, welches gegen
kranke Augen sehr heilsam sein soll. Wer das Geld
herausnimmt, bekommt alle Krankheiten, die dadurch ge-
heilt sind "). Auch die Art und Weise der Heilung stimmt
überein. Wie schon in einem früheren Kapitel dieses Bu-
ches besprochen ist, entspricht dem indischen Kriechen
durch das Wagenrad bei uns das Kriechen durch den Spalt
der Eiche, des dem Thunar geweihten Baums ''), der beim
1) Märkische Forscliuugen I, 247. Mytli.^ 1117.
2) Rocliolz, Schweizersageu ous dem Aargau I, 212.
3) Zeitschr. f. D. Mytli. III, 246. Kinder soll man in der Maser-
krankheit mit Brühe von den dem Thunar heiligen Erbsen waschen, so
werden die Stupfen flaclier und die Masern verwachsen. Rocholz, Allemann.
Kinderl. I, 334, 907. Andererseits straft Thunar diejenigen, welche in den
Zwölften unterlassen seine heilige Speise die Erbsen zu essen, mit der Krätze.
Panzer, Beitr. z. D. Myth. II, 306. vgl. Zs. f. D. Myth.III, 104. Myth. ' XCV, 687.
Wir erklärten diesen Zug daraus, dass die Hautausschläge böse Elbe in In-
sectengestalt sind, denen Thunar feindlich gegenübersteht. Wir wiesen ferner
Zeitschr. f. D. Myth. III, 274 den Zusammenhang Thunars mit den Insecten
nach. Atharvaveda II, 31, 1 wird Indras grofser Stein (Indrasya malii dri-
shat) als Töter alles schädlichen Insectengeschmeifses (krimur vi9vasya tar-
hani) genannt, das in Kopf Rücken und Eingeweide eingedrungen (ye asmä-
kam tanvam ävivi<juh) 5, b und 4. Vergl. Atharvaveda II, 31. 32, 1. Fer-
ner steht Indra auch sonst zu den Insecten im engen Verhältnis. Wie er
in jeder Krafttat wirksam ist, ist auch, was Würmer und Ameisen mit
Kraft ausführen, Indras Werk. Roth, Nirukta 105. Die Musquitolliege heifst
vajratuuga. Nach der späteren Mythe verwandelt sich Indra in die Mus-
quitomücke , um Vishuu zu stören, als er mit Bala kämpft. Moore Hindu-
Pantheon S. 187.
4) Pantoppidan everriculum fcrmenti vcteris p. 18.
5) Lex. myth. 951.
6) Eibofolkc II, S. 187. Indra gibt seiner blinden Tochter die Au-
gen wieder. Rigv. Langl. VII, 7, 9, 11. Vergl. oben S. 43.
7) Myth.'' 1118. Köstcr, Sag. v.Brem. u. Verden 206. Panzer, Bcitr. 11,201.
13G
Sieclitnm des Menschen wie beim Vieh angewandt wird,
oder durch eine Oeffnung der mit roten Früchten behan-
genen Hagedornhecke'), so dass mit einiger Wahrschein-
lichkeit auf eine Beteiligung des Gewittergottes bei dieser
Art der lieihmg geschlossen werden kann.
s) Durch den Regen, den er befruchtend auf die Erde
niederfallen lässt, durch den Blitzstrahl, mit dem er den
Boden lockert'^}, und als Lebensspender im Allgemeinen
übt Indra auch Einfluss auf das Wachstum der Pflanzen.
Die Erde heifst ludrarishabhä, d. i. Indra zum Stier oder
Befruchter habend. Indra wird ., Fruchtgeber " (saträda-
van)^), „Spender der Gerste" (durah yavasya) genannt").
„Du der du Nahrung giebst, der du aus dem regenbefeuch-
teten Halm, den du wachsen liefsest, Körner süfs wie Ho-
nig ziehst: der du, deine Herrlichkeit zu offenbaren, die
Blumen vmd heilsamen Pflanzen erzeugt hast — dir (In-
dra) müssen wir lobsingen ^)." „Indra hat die Pflanzen
und die Tage geschenkt, er hat die Bäume und die Luft
gegeben"}." Apälä, Atris Tochter, fleht Indra an:
Drei Stätten siehst du kahl und baar,
Verleihe diesen frischen Wuchs:
Des Vaters Haupt und seinem Feld,
Und, Indra, meinem siechen Leib.
Hier dieses Feld und meinen Leib
Und meines alten Vaters Haupt,
Sie alle siehst du kahl und baar,
Lass ihnen spriefsen Halm und Haar').
Wildwachsendes Kraut heifst Indrakrishta „von Indra ge-
pflügt." Nach dem Gott sind eine grofse Anzahl von
Pflanzen benannt. Indracibhiti, Indraparni, Indra-
1) Aus der Gfgeud bei Oxford. Aufrecht, Ind. Studien IV, 8.
2) Daher heifst Indra wie die Pflugschaar pavirava.
3) Rigv. Rosen VU, 6.
4) Ibid. LIII, 2.
5) Rigv. Langl. II. 6, h, 6. 7.
ij) Ibid. III, 2, 5, 10. Die Erklärung des Scholiasten, der die Bäume
für Opferbäunie nimmt, ist unzweifelhaft unrichtig.
7) Rigv. III, 80, 5, 6. Nach Aufrechts Uebcrtragung Ind. Stud. IV, 2.
137
pushpä, eine Pflanze mit blutroter Blüte metlionica
superba. Inclravarinaka Coloquintengurke. ludra-
bhesha getrockneter Ingwer. Indra^an Hanf, dessen
Spitzen getrocknet und als Berauschungsmittel gekaut wur-
den, und abrus precatorius. Indrayava Indrakorn, der
haferähnliche Same der wrightia antidysenterica. Indra-
dru, Indradruma termiualia Arjuna, pentoptera Arjuna,
wrightia antidysenterica. Indradauta ein Baum. Indra-
surä, Indrasurasa, Indranikä vitex negundo. Indra
echites antidysenterica. Vajrapushya die Blüte des se-
samum. Vajravalli eine Art Sonnenblume heliotropium.
Vajradru, vajradruma, vajrakangaka euphorbia.
Als Spender des Viehreichtums, des Getreidesegens und
als Lebensgott überhaupt wurde Indra um Speise angeru-
fen, wie aus unzähligen Hymnen des JRigveda erhellt, z. B. :
„Vielangerufener lass uns nicht in leerem Hause woh-
nen, wenn wir nach Nahrung verlangen gib uns Speise
und Trank i).«
ss) Wolf wies in seinen Beiträgen zur D. Myth. II,
70 — 80 nach, dass Thuuar der Saat Gedeihen spendete.
Sein heiliges Osterfeuer, in welches die roten Eichhörn-
chen gejagt oder geworfen wurden, brannte auf Getreide-
feldern, um diese fruchtbar zu machen, und wenn das
Korn seinen reichen Ernteertrag gespendet hatte, liefs man
den Böcken des Gottes in mehreren Gegenden zum Dank
die letzte Garbe, in Süddeutschland Halmbock, Ha-
berg eifs, in Niedersachsen Bocksthorn genannt, stehen.
Weitere sehr interessante Zeugnisse bespricht Panzer, Bei-
trag II, 504 — 514. In Gabiingen u. a. stellen die Schnit-
ter auf das letzte Ilaferfeld eine hölzerne Geifs. Zur
völhgen Bestätigung des Zusammenhangs dieser Erutege-
bräuche mit Thunar dient ein Gebrauch zu Loching in
Niederbayern ■^). Ein rotes Gründonnerstagsei, ein
Kränzl, geweihtes Holz, alles mit einigen Tropfen Jo-
1) Rigv. Rosen CIV, 7.
2) Panzer IT, 212.
138
hannisvveiu beofossen wird in die erste Garbe jxeleixt und
diese, wenn abgedroschen ist, ins Ofenfeuer geworfen.
Am Gründonnerstag warf man auf Seeland Aexte ins
Saatfeld'). Im Odenwald sät und pflanzt man am
Gründonnerstag, soviel man kann ^). Die Inselschwe-
den legen bei der Aussaat des Korns in das Külmit (kjolnit)
woraus sie streuen einen Donnerkeil (bisavigg), so scha-
det das Gewitter dem Korne nicht ^). Adam von Bremen
sagt ausdrücklich: Thor serena et fruges gubernat *). Wie
nach Indra sind nach Thunar viele Pflanzen benannt: an-
dere waren ihm heilisc ohne seinen Namen zu trao;en. Zu
den letzteren zählen die Eiche ^), die Hasel ^), der Vogel-
beerbaum (s. oben S. 14), die Nessel (S. 102), die Erbse').
Plinius berichtet ^) von einem Kraut, das die Römer herba
Britauuica nannten, weil sie es aus den zwischen Deutsch-
land und Britannien gelegenen Inseln holten. Florem vi-
bones vocant, qui collectus priusquam tonitrua au-
diautur, et devoratus securos a fulminibus in totum
reddit. Frisii qua castra erant, nostris demonstra-
verunt illam. Ags. Glossen übersetzen die herba Bri-
tannica hreven hyöele. Hajven bedeutet blau. Die dem
Donnergott geweihte gegen den Blitz schützende Pflanze,
welche vor dem ersten Frühlingsgewitter gebrochen wird,
trug also die blaue Blitz färbe (S. 2 Anm. 5). Dieselbe
kommt auch dem Gundermann, der Donuerrebe zu (S. 6).
Diese Pflanze gehört schon zur ersteren Art, ebenso die
folgenden: Semperviviun tectorum: Donnerbart, Don-
derbaard^), Joubarbe, Donnerblatt, Donuergrüu, Douner-
1) Lex. myth. 952.
2) Wolf, Beiträge I, 70.
3) Russwurm, Eibofolke 11, §. 379, p. 249.
4) Gesta eccl. IV, 26.
5) Wolf, Beiträge I, 68.
6) Zeitscbr. f. D. Myth. III, 95—107.
7) Kuhn, NorJd. Sagen 13. Anm. vergl. Gebr. 352.
8) Histoiia naturalis XXV, 3. Myth. ^ 447. Ueber die Pflanzen, auf
welche man die herba Britamiica gedeutet hat s. Buddingh, Verhandeling over
het Westland 392.
9) Fuchs, Nieuwe herbarius. Basel 1543. Math, de Lobel kniydboek.
139
kraut, Donnerwiirz. Sediirn telephium: Johanniskraut,
Donnerkraut, isl. dundarlaukr, nhd. Donnerbohne, Don-
nerwurz, Donnerbart. Corydalis bulbosa: Donnerfluch,
Donnerwurz, Hehiibusch. Lycopodium clavatum, Bärlapp:
Blitzkraut ^). Aristolochia, osterluzey: Donnerwurz.
Conyza squarrosa : D o n d e r w o r t -). Dianthus Carthusia-
norum: Donner näglein, Donner nelke. Lilium bulbife-
rum: Donnerlilie ^). Alpenrose: Donner rose'). Eryn-
gium campestre: Donnerdistel. Fumaria bulbosa: Don-
nerflug. Klette: dän. tordenskreppe; Alprute: Don-
nerbesen ^). Aconitum lycoctum: Thörhat, Thorhiälm '^).
Osmunda crispa: Thörböll, St. Olavs skJKgg'). Nach
dieser Beziehung Thors zum Pflanzenwachstum sind Orts-
namen wie Tb 6 rlöf, Thörslund (Thors Hain), in Nord-
jütlaud bei Aalborg (ein anderes Thörslunde liegt auf See-
land), Thörsakar, Thörsager, Thorseng (Thors
Acker, Wiese) geheifsen. Auf der dänischen Insel Thörs-
eng stand eine Kapelle St. Olafs, wahrscheinlich an der
Stätte eines ehemahgen Thörshofs. Jedes Jahr, sobald die
Saat bestellt war, wurde St. Olafs Bild (einst wol Thors)
in fieierlicher Procession um die Marken jedes Grundstücks
geführt, bis es einmal im Flecken Landeby durch Unacht-
samkeit eines Bonden verbrannte. Seit der Zeit verarmte
der Flecken^). Wie Indra um Speise angerufen wurde,
so Thunar. Adam von Bremen berichtet: „Si famis im-
minet Thor idolo lybatur."
t) Hinter dem Gewölk ruht die glanzvolle Sonne ver-
Antwei-pen 1581. — Conrad Gessner führt im Catalogus plautarum Tiguri
1547 p. 92 ein Kraut Herrgottsbärtlein au „polygalou berba dicta quod
lactis copiam äuget." „Pimpiuell wie etlicli aclitend.'' Eiue Art der barbu
Jovis, die ich nicht näher bezeiclinen kann, heifst bei uns Silberbart, engl.
Silverbush.
1) Fiiedr. lloll, Wörterbiieli deutscher Pflanzennamen. Erfurt 1833 S. 4.6.
2) Lobel en Dodocns kruvdboek. Antwerpen 1554.
H) Holl a. a. O. 72.
4) Zeitschr. f. D. Mytli. I, 75.
5) Myth.2 168.
6) Myth.2 1145. Lex. myth. 1)62.
7) Zeitschr. f. D. Myth. 11, 320.
K) Lex. myth. 966. '
140
borgen; indem ludra das Wolkeudimkel zerstreut, führt er
das helle Licht des Tages wieder herauf. „Du hast Sonne
und Morgenröte aufgerichtet, du hast die Finsternisse zer-
streut, du hast das grofse und gewaltige Gebirge geöffnet, das
die Kühe verbarg')." „Enthülle das Angesicht der Sonne,
vermehre unsern Wolstand, besiege deine Gegner und schicke
uns die Kühe '^)." „Indra, du hast die Heiterkeit der Tage
wiederhergestellt, du pflanztest deine glänzende Standarte
zum Kampf auf'^. " „Indra hat den Himmel und die
glanzvollen Welten geöffnet, indem er den Körper des
Vala zertrümmerte*)." Doch nicht allein die Vertreibung
des Wolkendunkels kommt Indra zu. Als Gott der blauen
Luft verscheucht er auch die Schatten der Nacht. Die
Sonne bricht dann hervor und daher scheint es, dass In-
dra die Gestirne am Himmel befestigt hat. „Wenn der
Himmel im ersten Lichte der Morgenröte glänzt, wenn
die Devas das Feuer der Sonne entzünden, ver-
treibt der edelste der Helden, Indra, die schwarzen
Schatten und seine Gegenwart verleiht den Menschen die
Gabe, die Gegenstände zu unterscheiden ^) " „In-
dra und Söma, ihr habt die Sonne und die Klarheit
des Himmels gegeben, ihr habt die Dämonen der Fin-
sternis und die Feinde der Götter getötet; Indra und Söma
ihr erweckt die Morgenröte und führt die Sonne mit
ihrem Lichte herauf^)." „Wenn du (Indra) die Sonne,
das leuchtende Gestirn am Himmel befestigt hast,
so zeigen sich dir die Welten unterworfen '')."
Als Indra du getrofien der Ahis Erstgeborenen
Vernichtetest du bald der Trügenden Trug,
Erzeugtest Sonne, Himmel und Morgenröte,
Dann fandest nirgends ringsum du einen Feind mehr ^).
1) Rigv. Langl. IV, 6, 1,
2) Ibid. IV, 6, 1, 3.
3) Ibid. V, 3, 11, 3.
4) Ibid. VI, 1, 3, 7.
5) Ibid. III, 5, 12, 4.
6J Ibid. V, 1, 11, 1. 2.
7) Ibid. VI, 1, 1, 30.
8) Rigv. Rosen XXXII, 4.
141
„Nicht besiegten (des Vritra Vasallen) den Indra, er
tiberwand seine Feinde durch das Sonnenlicht')"
(süryena). Daher wird Indra bisweilen mit der Sonne selbst
identificiert ^) und heifst wie die Sonne ^) allwissend'*).
Denselben mythischen Gedanken drückt die häufige Ver-
bindung Indras mit Vishnu aus. Vishnu ist nämlich Son-
nengott. In drei Schritten (Symbolen der Morgen- Mit-
tags- und Abendsonne) durchmisst er täglich den Himmels-
raum. „Als Vishnu durch dich, o Indra, gestärkt seine drei
Schritte tat, zogen deine schönen Rosse deinen Wagen her-
bei ^)." Vishnu wird Indras jüngerer Bruder Indrä-
nuja genannt. Er heifst auch Indrayätman. Varuna (griech.
Uranos) war der Gott des weltumgebenden Himraelsmeeres.
Am Nachthimmel glaubte man seine Gestalt am rein-
sten und schönsten zu schauen. Deswegen rief man ihn
besonders bei Nacht an, Indra im Tage (Morgens und
Mittags). „Indra^ ich rufe dich beim Erwachen der Sonne
an, ich rufe dich in der Mitte des Tages'')." „In diesen
Tagen o Indra, schicke uns deine Gaben, Die Feinde
wollen uns bestürmen. Der gute und weise Varuna befreit
uns am (frühen) Morgen, und Abend vom Unrecht das
uns bedroht "),"
tt) Adam von Bremen bezeugt: „Thor serena et fru-
ges gubernat." Thunars Hammer besafs auch die Kraft
Sonnenschein hervorzurufen. Wie Zeitschr. f. D. Myth.
II, 297 ausgeführt ist, findet Thors Donnerhammer sich
wieder in Thorsteins dreieckigem von Zwergen her-
stammendem Feuerstein, der nach jedem Wurf in die
Hand des Besitzers zurückkehrt. Schlägt man an
diesen Stein, wo er weifs ist, so entsteht solches Hagel-
wetter, dass Niemand dagegen ansehen kann; schlägt
1) Ibid. XXXIII, 8.
2) Sämaveda I, 2, 1, 4. I, 3, 2, 4. I, 5, 2, 3.
3) Kigv. Rosen XXXV, 9.
4) Säinaveda I, 4, 2, 2. v. 1 und 6.
5) Rigv. Langl. VI, 1, 1. 27.
6) Ibid. VI, 1, 2, 13,
7) Ibid. V, 3, 9, 4.
142
man daran, wo er gelb ist, so kommt sogleich so
heller Sonueuschein, dass aller niedergefallene
Schnee schmilzt nnd angenehmer Wolgeruch em-
porsteigt. Schlägt mau endlich auf die rote Seite, so
bricht Donner und Bhtz mit fliegenden Funken hervor ').
Als Olaf der heihge das Tempelbild Thors zu Löar in
Norwegen zerstören und die Bonden „christenen" will, for-
dern die Verehrer des alten Gottes den Christengott zu
einem Wettstreit mit T h 6 r r heraus. Sie legen ihm auf,
einen Tasc einen bewölkten Himmel ohne Regen (at veSr
se skyat i morgin enn regu eigi), den folgenden Sonnen-
schein und heiteres Wetter zu machen (at ä morgin
fyrar middagssöl läti haun vera heiö ok solskin). Diese
Dinge nämlich verlieh ihnen Thörr-). Thorr befestigt
die leuchtenden Gestirne am Himmel. So wirft er
Örvandils Zehe an den Himmel, wo sie als glänzender Stern
strahlt^). Thiassis Augen wirft er als Sterne an das Fir-
mament.
Ich tötete Thiassi
Den übermütigen Thursen.
Auf warf ich die Augen
Des Sohnes Olvalds
An den heitei-n Himmel.
Da wurden meiner Werke
Gröfste Wahrzeichen
Allen Menschen sichtbar seitdem '').
Wie in den Veden die Sonne das Auge der Welt, das
Auge Varunas, das Auge Varunas und Mitras,
des Sonnengottes heifst, wird auch bei den Germanen die
Sonne als Auge aufgefasst. Wenn Thörr die leuchten-
den Gestirnaugen Thiassis am Himmel befestigt, so
1) Thorsteins Bäarmagnssaga k. 3. 10. Zeitschr. f. D. Myth. I, 414. 424.
2) Heimskringla Olafs Helgass. c. 118.
3) Skäldskaparm. k. 7. Sn. E. I, 278. vgl. Zs. f. D. Myth. II, 322.
4) HarbarSsljog 19. Xach der kl. schwed. Eeimchi-onik trug Thors Bild
7 Sterne und den Karlswagen in der Hand. Aehnliches erzählen Er. Olaus
und Olaus Magnus. Eine übereinstimmende Malerei in der alten Upsalakirche
lässt diesen Bericht nicht als ganz unächt erscheinen. S. F. Magnussen, Nor-
disk archaeologie S. 135.
m
wird er auch zur Sonne in einem ähnlichen Verhältnis ge-
standen haben, wie hier zu den Sternen. Sichere Be-
weise wird der geneigte Leser in dem !'olgenden Aufsatz
über Holda §. 5 finden. Dass Thörr die Schatten der
Nacht vertreibt, ist unten unter ßß. nachgewiesen^).
u) Mit dem Gewitter ist oftmals Sturm verbunden.
Indra nimmt daher häufig den Wind zu Hilfe, um die
Dämonen der Finsternis zu vertreiben. Er ist der Her-
scher der Maruts d. i. der Winde. Auch tritt er in
enger Verbindung mit dem Windgott Väyu auf. „Indra
und Väyu, diese Opferspenden sind euch bereitet, kommt
mit Speisen, der Trank erwartet euch. Väyu und Indra,
seht die Spenden bereitet, kommt in Eile herbei, beim
Opfer verweilend^)." Väyu heifst Indrasärati, Indra zum
Kampfgenossen habend.
uu) Von Thörr bemerkt Adam von Bremen ausdrück-
lich, dass er auch den Wind beherrsche (ventos guber-
nat). Seinen Gegnern sendet er Sturm und Untergang
auf dem Meere"). Die Friesen kennen ihn unter dem Na-
men Uald (der Alte) oder Pitje von Skotland als Erre-
o-er der Nordweststürme, wodurch Sand- und Wasser-
fluten, Schifi"- und Uferbrttche bewirkt werden''). Als Her-
scher der den Maruts entsprechenden Geister haben wir
ihn bereits unter dd. besprochen, unter //. werden wir
diesen Zug noch fester begründen und beweisen.
v) Schon mehrfach ist bemerkt, dass Indra, den Schofs
der Wolke spaltend, den Regen auf die Erde herabströ-
men lässt. „Indra befiehlt den Wolken, den Regen vom
Himmel zu ergiefsen^)." „Da du den verschlossenen un-
vertilgbaren nährenden Regen hierhin und dorthin vom
Himmel austeiltest, nach jeder Himmelsrichtung hin, o tö-
1) Der lettische Gewittergott Perkun teilt die oben dargestellte Eigen-
schaft mit Thunar und Indra: die Sonne heifst seine Tochter, oder sein
Auge. S. Jordan, Litauische Volkslieder und Sagen. Berlin 1844. S. 71.
7.3 und Sommer, Jahrb. f. wissenschaftl. Kritik 1844. S. 475 fgg.
2) Rigv. Rosen II, 2, 1. 2.
3) Lex. Myth. 92G. Petersen, Nordisk mythologi 286.
4) Zeitschr" f. D. Myth. II, 313.
5) Rigv. Rosen LIV, 7.
144
tencler Held, da du im Kampfe aufjauchzend mit lebendi-
ger Kraft den Vritra erschlugst, da hast du der Wasser
Fülle ergossen')." „Den Lauf der Wasser zurückhaltend
stand der Nebel, um Vritras Weichen die Wolke, diese vom
Umhüller zurückgehaltenen Ströme hat Indra der Reihe
nach aufgestellt und in die Tiefe entsandt^)."
vv) Auch von Thunar ist diese Vorstellung nachge-
wiesen''). Es genügt hier daran zu erinnern, dass Adam
von Bremen ihm auch das gubernium über die imbres
zuschreibt (ventos imbresque gubernat). Dala Gudbrandr
antwortet zu Löar auf die Aufforderung, die Verehrung
Thors aufzugeben und sich christenen zu lassen, die Chri-
sten verehrten einen Gott, den Niemand sehe, sie (die Hei-
den) aber den, welcher täglich sichtbar werde, und von
ihm komme es, dass an dem Tage nasses Wetter sei
(at veSr er vatt)*). Martin berichtet, dass die Einwoh-
ner auf Boreira einen 5' hohen Stein in Kreuz es form
aufrichteten, wenn sie Regen haben wollten. Sie nannten
diesen Stein watercross ^).
w) Die aus den Wolken niederrinnenden Regengewäs-
ser werden der Ursprung der irdischen Quellen und ver-
einigen sich, von den Bergen niederfliefsend, später zu star-
ken Strömen. Indem Indra dem Regen den Weg öffnet,
gräbt er zugleich den Flüssen Bahn und giebt ihnen Schwung.
„Indra du giebst den Flüssen Schwung, dass sie gegen
das Meer wie Streitwagen rollen. Durch deine Hilfe stark,
haben sie einen unerschöpflichen Lauf, sowie die Kühe, die
Manu reichliche Milch geben, ja dem Menschengeschlecht
reichliche Milch ^)." „Zu Indras Ruhm häufen die Wogen
sich an und erweitern (ihr Bett). Man weifs, dass sie ge-
gen seine Feinde furchtbare Heldinnen sind"^)." Die Flüsse
1) Ibid. LYI, 5.
2) Ibid. LIY, 10.
3) Yergl. Zeitschr. f. D. Myth. II, 297.
4) Heimskringla Olafs Helgass c. 118.
5) Martin description of Western Island? p. 59.
6) Rigv. Langl. II, 1, 9, 5.
7) Ibid. V, 3, 15, 3.
145
sprechen: „Die Milch der Himmelskühe hat unsere
Flut vergröfsert und wir strömen insgesammt in das
Becken, das uns der Gott (Indra) bereitet hat^)." An-
dere Vedenstellen, welche sagen, dass Indra das Bett der
Flüsse gegraben habe, bedienen sich dabei des Wortes
aradat (cf. lat. rädere, rodere), desselben Wortes, welches
nacliKuhn dem poln.radlo, der Pflug, zu Grunde liegen soll,
ww) Dass auch Thorr das Zusammenströmen der Was-
ser zu Quellen begünstigte, zeigt das häufige Vorkommen
von Donnerquellen, Th örsbrunnen ^). Wie in der
zuletzt augeführten Vedenstelle das Flusswasser noch
immer als himmlische Milch aufgefasst wird, geschieht
dasselbe in den oben S. 27 erläuterten deutschen und nor-
dischen Gebräuchen. — Markgraf Hans in der uckermär-
kischen Sage^) tritt ganz wie Thunar auf (s. oben S. 61).
Von ihm erzählt man: „In der Neumark hat Markgraf
Hans einen grofsen Acker gehabt. Auf dem befand sich
ein Quell, der keinen Abfluss hatte und das ganze Land
versumpfte. Das ward dem Markgrafen endlich lästig.
Darum spannte er zwei schwarze Stiere vor seinen
Pflug und zog damit eine grofse Wasserfahre bis
in die Gegend von Niederkränig und Nipperwiese, wo er
mit Pfluor und Stieren über den dortis^en Eisbusch
durch die Luft fortfuhr und verschwand. Die so ent-
standene Wasserfahre ist das kleine Flüsschen Röhrike,
welches, da die Stiere des Markgrafen trockenen Boden
suchend unruhig kreuz und quer liefen, noch heute in
unaufhörHchem Zickzack läuft. Auf ähnliche Weise stellt
der Teufel den Teufelsgraben bei Rapperdorf in Nie-
1) Ibid. III, 2, 4, 4. Auch die Griechen bewahrten die Vorstellung
der irdischen Flüsse als Abkömmlinge der himmlischen Wolkenrinder, We-
nigstens glaube ich entschieden darauf die Tatsache zurückführen zu müssen,
dass sowol die Schlangenbildung wie die Stierbildung eine gewöhnliche
bei den Flüssen, ja selbst bei Poseidon und Okeanos war, so dass sie bald
ganz als Einder bald nur stiergchörut dargestellt werden. S. Preller, Griech.
Myth. I, 340. Den Indern heifst die Gangä bei ihrem Ursprung am Ilimä-
laya Gömukhi kuhmäulig. Pott, Zeitsehr. f. vergl. Sprachf. VI, 48.
2) Die Nachweisungen s. Zeitsehr. f. D. Myth. II, 324; III, 120.
3J Kuhn, Nordd. Sagen S. 33 fgg.
10
1 46 _
derschlesien her'). Der Teufel pflügt auch in der Nähe
von Hekelghem das Flüsschen Dender aus^).
x) Indra durchwatet die himmlischen Gewässer und
macht daher auch seinen Verehrern die Flüsse durchwat-
bar, „Sich selbst als König bewährend, hat er dem Tiir-
viti, seinem Verehrer den Lohn erteilend, da er in den
Wogen versunken war, eine Furt bereitet (^-'g^-
1) Grimm, Deutsche Sagen I. S. 438. No. 338.
2) Kuhn, Noi-dd. Sagen p. 473. Die Entstehung von Flüssen oder Quel-
len -wird in einigen Sagen darauf zurückgeführt, dass eine Frau ihr Was-
ser gelassen habe. So liegt in der Niederung bei Danzig das Städtchen
Neuteich au dem viel gekrümmten, zuletzt in eine grade Linie enden-
den Lauf des Flüsschens Schwente (d. i. der heilige Fluss von swiety
heilig. Dieses Flüsschen entstand, als der Teufel einmal seine Grofs-
rautter im Zoni an der Nase herumzog. Anfangs sträubte sich die Alte und
wich bald hier, bald dort zur Seite aus. Doch mit der Zeit bekam sie der
Teufel ganz in seine Gewalt vmd zerrte sie in grader Linie weiter. Aus Angst
liefs sie ihr Wasser und es entstand der Fluss. Auf der Höhe bei Dan/.ig
liegt der Ort Heiligenbrunn mit einem der Sage nach einst für heilkräf-
tig erachteten Quell, der besonders Blinden das Augenlicht wiedergab. Von
diesem Born sagt der Danziger Philipp Clüver in seiner berühmten Germania
antiqua 1603 p. 251: Est hodieque in patria mihi terra diiobus circiter pa^-
suum raillibus a Godania urbe cum amoenissimo luco fons vulgo accolis
,, he 11 ige Born" id est sacer fons dictus. Cui id cognominis ex nulla alia
re haerere puto, quam ex antiqua superstitione, alicui deorum dicata. Hodic
locus est cum villa justa sita aestivis oppidanoi-um exspationibus celeberri-
mus. Die älteste Erwähnung dieses Ortes finde ich 1483. In diesem Jahre
Jidi 16 gingen ,,die Güter Langcnfurt und Heiligen Brunn aus dem Be-
sitz Philipp Bischoffs an Philipp König, Burggi'afen und Bürgenneister von
Danzig über, der sie bis 1530 besafs (Archiv. Gedanens. Biblioth. A. I. B.
No. 30 p. 29). Ein alter Kaufinann erzählte mir von diesem längst versieg-
ten heiligen Brunnen, er sei entstanden, als die ersten Pilger zum Calvarien-
berg nach Neustadt zogen. Da sei die Mutter Gottes mitgepilgert. Au ei-
nem Ort, wo man Mittags East hielt, verrichtete sie im Gebüsch ihre Not
dürft und sogleich entsprang der heilkräftige Born, Der Sage nach erlosch
die Wunderkraft des Briumens, als 1734 Russen und Polen bei der Belage-
rung Danzigs ihre Pferde daraus tränkten. Ich wage nicht zu entscheiden,
ob diese Sagen deutsch oder slavisch sind. Der Zug mit dem Wasserlassen
erinnert an die vonWoeste, Volksüberlieferungen S. 61 No. 59 von St. Mag-
dalene beigebrachte, sonst von St. Margarete gebräuchliche Redensart, und er
ist jedenfalls ob slavisch oder deutsch auf die aus der Wolke regnende Was-
serfrau zu beziehen. Man vergl. was wir oben S. 36 über Indra als min-
gens gesagt haben. Da Kuhn bereits nachgewiesen hat (Zeitschr. f. D. Myth.
III, 385), dass die goldenen Schlüssel der weifsen Frauen der Blitz sind,
so stellt sich zu der häufig vorkommenden Mythe, dass Indra die sieben
Ströme fliefsen macht, d.h. die in den 7 Wintermonaten eingefrorenen Wol-
kengewässer niedeiTegnen lässt, als identisch die Sage bei Baader, Bad, Sag.
71, 80, dass der Brunnen zu Vörenbach entsprang, als eine heilige Märtyrer-
Jungfrau 7 goldene Schlüssel auf die Erde warf.
147
Kosen LXI, 11). „Du (Indra) hast für Sudäsa die Wogen
eines Flusses durchwatbar gemacht" (Iligv. Langl. V, 2,
17, 5). Nach den Scholien ist dieser Fluss Parushni, die
Wolke (Langl. Rigv. III, 230, 25). Nach einer andern
Legende wurde Vipvamitra, Priester des Königs Sudäsa,
von diesem zu seinem Vater Pijavana mit unzähligen Ge-
schenken gesendet. Beim Zusammenfluss der Vipäsä und
der Sutudri wurde er aufgehalten. Da opferte er Indra,
um die Macht zu erhalten ans andere Ufer setzen zu kön-
nen. Indra machte ihm eine Furt.
xx) Thunar, der mit seinem Blitz die Wolke durch-
zuckte, ward als die himmlischen Gewässer durchwa-
tend dargestellt. Wahrscheinlich führte er davon den Bei-
namen altn, Vaöi, alts. Wado, ahd. Wato und daher ent-
stand als Hypostase Thunars die Gestalt eines in der ger-
manischen Heldensage hochberühmten Heros. Ueber die-
sen Mythus habe ich Zeitschr. f. D. Myth. II, 296-328
ausführlich gehandelt. In ganz Schweden enthielt man sich
am Donnerstag -(Helga ]7Ör) abend des Schwimraens '),
wahrscheinlich deshalb, weil die Heiden, durch des Gottes
Hilfe sich sicher glaubend, diesen Tag vorzugsweise für
diese Leibesübung geeignet gehalten hatten.
y) Indras Fahrt durch die Gewässer des Himmels wird
auch als Schiffahrt dargestellt. „O Indra und Varuna,
wann ihr euer Schiff besteigt um das Meer zu befahren,
wenn ihr über die Spitze der Wogen schreitet, bewegt ihr
euch auf dem Vorderteil hin und her, in Glanz strahlend^)."
Nach einer anderen Stelle besteigt Indra mit den Maruts
das herrliche Schiff, das Ayu gemacht hat'').
yy) Auch Thörr besafs ein Schiflf. Ueber dasselbe
sind die nötigen Zeugnisse zusammengestellt Zeitschr. f. D.
Myth. II, 313 fgg. Das Schiff, welches Indra mit den Ma-
ruts besteigt, erinnert an das Schiff, in welchem das wilde
Heer fährt 0-
1) Lex. Myth. 952.
2) Rigv. Langl. V, 6, 8, 0.
3) Ibid. Vm, 5, 11, 9.
4) S. oben S. 90.
10*
148
z) Die dunkele, finstere Wolke verbirgt in ihrem Schofs
sowol den befruchtenden Regen, als die goldenen Sonnen-
strahlen. Das Gold der Sonne und die Wolkenkühe
wurden als ein reicher Schatz gefasst, welcher von den
Panis, die unsern Zwergen, insofern sie büse Dämonen sind,
entsprechen, oder vom Drachen Ahi im Berg d. i. der
Wolke gefangen gehalten wird. Indem Indra den Berg
spaltet d. i. Vritra tötet, erwirbt er den Schatz: „Als du
den Berg spaltetest, hat dir Saramä (die aufspürende Göt-
terhüudin) zuvor den Schatz gezeigt^)." «Du hast der
Wasser fr auen Schlupfwinkel zerbrochen, im Berge
hast du des Hassers Schatz erhalten, da du mit Kraft Vritra
tötetest, o Indra, den Ruchlosen. Da hast du auch so-
gleich die Sonne wieder am Himmel heraufgeführt, damit
sie gesehen werde ^).'* Aus diesem Grunde wird Indra als
ein Gott der Reichtümer verehrt. Unzählige Hymnen ru
fen ihn an, seinen Dienern Gold und Schätze zu spenden.
„Komm zu uns mit Kühen, Gold und Ueberfluss^)." „Du
bist, o Indra, speisereich, stierreich bist du, viel-
opfriger; du, o Gott, bist Goldes reich*)." „Der 99 Städte
mit seiner Arme Gewalt zerstört, ein Vritratöter die Schlang
erschlug; dieser Indra, ein segnender Freund, melk uns
wie eine strotzende Kuh, rossrinder- und gerstereiches
Gut ^). „Reichtümer erflehend sind dir die Weisen ge-
naht , o Sieger, Loblieder suchen dich wie liebende Gattin-
nen den liebenden Gatten, o Starker. In deiner Hand geht
ja der Reichtum nicht aus, noch vermindert er sich ^)."
Indra heifst „der Schätze Hortgebieter " (Vasöli va-
supati)'}, „Reichtumswächter"®) und „vieler wünschenswer-
ten Schätze Herr^)." Er herrscht zugleich über die Men-
1) Rig. Langl. III, 5, 12, 8.
2) Eigv. Rosen LI, 4.
3) Rigv. Langl. V, 3, 12, 3.
4) Sämav. Benf. II, 1, 2, 2, 3.
5) Sämav. Benf. II, 6, 8, 4, 3.
6) mgv. Rosen LXH, 11. 12.
7) Ibid. IX, 9.
8) Ibid. IV, 10.
9) Ibid. V, 2.
149
sehen und Schätze '). Dem König Sudasa schenkt Indra
den Schatz, den zuvor der Asure Anhu besessen^). Auch
als Gebieter der Wolkenkühe ist Indra reich: „Wenn, In-
dra, ich wie du es bist, alleiniger Herr des Reichtums war,
stierreich sollt' mein Lobsänger sein ^)."
zz) Das Vorhandensein derselben Mythe bei den Ger
manen lehrt der weitverbreitete Glaube, dass Schätze vom
Drachen gehütet werden. So liegt Fafnir auf dem Ni-
belungengold. Hat es damit seine Richtigkeit, dass Fafnir
dem indischen Wolkendrachen gleich und die in der Nibe-
lungeusage geraubte Jungfrau die von Ahi gefangene Was-
serfrau ist, so muss auch der Schatz das Sonnengold sein,
wie bereits Kuhn ausgesprochen hat * ). Als Schatzhüter
erscheint der Drache sehr häufig. Von Sigemund, Sigu-
frits Vater, heilst es im Beowulf:
— — — Sigmunden entsprang
Nach dem Todtage Ruhm nicht wenig.
Da der Kampf harte den Wurm fällte,
Den Horthüter (hordes hyrde). Unter grauem
Felsen
Der Edilingssohn einsam wagte
Die kühne Tat, nicht war Fitela bei ihm.
Doch glückte es ihm, dass das Schwert durchdrang
Den wunderbaren W urm, so dass im Wall es feststand
Das herrliche Eisen und der Drache starb.
Da hatte der Kummervolle mit Kraft erworben,
Dass er den Ringhort brauchen durfte
Nach eigenem Willen. Das Seeboot lud,
1) Ibid. VII, 9. Yah eka<; carshaninäm vasünäm irajyati Indrah.
2) Ibid. LXIII, 7.
3) Sämav. Benf. I, 2, 1, 3, 8.
4) Zeitschr. f. veigl. Spracht". III, 451. Vergl. noch:
Grolsmiiclitige Sunne, wie schön golist abe
O chönut i der au dis G u 1 d abschabe.
Kocholz, Alemannisches Kinderlicd und Killderspiel I. S. 192, 340. Das Sprich-
wort: „Morgenstunde hat Gold im Munde" hat erst später ethische Be-
deutung bekommen. Es beruht auf mythischer Naturanschauung. S. unten
unter Ilolda §. 5. Vergl. auch die Formeln jSIyth.^ 703 und Rigv. Kosen
XL VIII, 1; Komm zu uns mit dem Schatze Morgenröte.
150
In den Schiffsbauch trug die leuchtenden Zierden
Der Sprosse Wälses. Hitze den Wurm zerschmolz').
Auch Beowulf kämpft mit einem Drachen, der in einer
Erdhöle im Steinberge haust ^), Er bewachte daselbst
(in Säm eorSscrsefe) 300 Winter lang alte Schätze (£er-
getreona, horSwynne) glitzerndes gewundenes Gold
(wunden gold) Bauge, ein altes von Riesen gefertigtes
Schwert, Helme von wunderbarer Schönheit, Schalen und
Kostbarkeiten aller Art. Der Lindwurm heifst davon Hort-
hüter, Goldhüter (hordeweard, goldweard), Schatzwächter
(frsetva hyrde), Bergwart (bearges weard). Nach der im
12ten Jahrhundert verfassten Torskfiröingasaga brütet der
Vikiug Vali in Drachengestalt auf seinen Goldschät-
zen''). Von Büi Digri, der sich nach der siegreichen
Schlacht Hakons gegen die Jömsvikingar bei Hjörüugavagr
an Händen und Füfsen verstümmelt mit zwei Kisten voll
Gold über Bord stürzte *), glaubte man später, dass er als
Drache über seinem Goldhort hockend auf dem Meer-
grunde gesehen werde "). Ragnarr Loöbrok bekämpft ei-
nen Drachen, der das Frauengemach der schönen Thora,
Tochter Königs HerröS von Ostgotland, bewacht. Dieser
Lindwurm, sagt die Saga af Ragnari Loöbrok ok sonum
hans ®), lag auf Golde und so wie er wuchs, wuchs das
Gold mit als Mitgift für den, der den Drachen erschlagen
■würde. Von solchen mythischen Vorstellungen heifst das
Gold in der Skäldenpoesie Fafnirs Lager (Fafnis baeli),
Lindwurmbett,Wurmbettsfeuer (ormbeSseldr), G r af-
vitnirs Polster^); der Lindwürrae Erde, Bett,
Strafse (orma jörg, rekkia, gata) u. s. w. Noch heute er-
1) Beouiüf 1773 — 1799.
2) Beow. 4430 fgg. se 8e on heäpe hord beweotede stänbeorh steäpne
stig under lag eldum uncüS.
3) Sagabiblioth. übers, von Lachmanun I, 75.
4) Heimskringla. Olafs TrTgg\asonars. cap. 46.
5) Jomsvikingas. und Olafs Tvyggvasonars. ed. Skaltholt I, 185.
6) Formaldarsög. I, 237. 238.
7) Grafvitnir ist einer von den Drachen, welche nach Grimnismäl 34
die 'Esche Yggdrasil! benagen.
15t
zählt das dänische Volk, dass im Saudalsbjaerg, einem Hü-
gel in der Landschaft Vendsyssel ein grofser, erschreck-
licher Lindwurm auf ungeheuren Schätzen ruhte.
Als ihn Schatzgräber störten, steckte er sein Haupt zum
Hügel heraus und sagte: „Kann ich nicht länger in mei-
ner kleinen Ei'dkammer sein, so kann ich doch in meiner
grofsen Stein kammer weilen" und verschwand. Seitdem
wohnt er nun im Gjölbjairg *). Ein goldhütender Ura-
ch e erscheint auch in einer samländischen Sage ^). Vor
der Schatzhöle auf dem Lägernberge im Aargau, in wel-
cher eine weifse Frau „das Heidenweib" wohnt, lagern
2 Drachen^). War Thunar, was ich oben bewiesen zu
haben glaube, Bekämpfer des Wolkendrachen, so musste
er, wie Indra, im Siege über denselben zugleich den Schatz
erwerben. Von einer Geltung Thunars als Schatzgott fin-
den sich nun abt^r gewichtige Spuren. Nicht allein rücken
die Schätze nur alle sieben Jahre an das Tageslicht"*),
wie der Donnerkeil (d. h. die sieben Wintermonate ist
der Schatz der Regenwolke und des Sonnengoldes verbor-
gen, von den Winterdämonen gefangen), sondern man glaubt
noch in der Nähe von Stralsund, wenn Jemand plötzlich
reich wird, ohne dass die Nachbarn sich den Grund da-
von zu sagen wissen, der Blitz schlage ihm das Geld
zum Schornstein herein^). Am Heiig Thorsdag
(Himmelfahrt) sonnt nach norwegischem Volksglauben der
auf dem Golde liegende Drache seine Schätze, d. i.
er öffnet den Zugang dem Gotte des Gewitters*'). Don-
nerstagabende hält man in Norwegen für die gecignet-
1) Sv. Grundtvig Gamle Danske minder i folkemuudo 1854; S. 123.
2) Kcuseli, Sagen des Samlandes No. 3.
3) Itocholz, Aargausagen I, No. 17G. S. 251. Auch bei den lausitzi-
sclien Wenden bewacht der Drache Zniij oder l'lon als Gekldraclic peäeiiiy
smij die verborgenen Scliätzc. Haupt und Schmaler II, ICü. Zeitselir. f. D.
Myth. III, 111. Vom Zu.sannuenhang dieses Drachen mit den Gctraidedra-
ohen und Milchdrachen der Deutschen und Slaven wird bei vorkonnncuder
Gelegenheit besonders zu handeln sein.
4) Myth.2 922.
5) Schradcr, Germanische Mythologie 135. „Mündliche Mitteilung des
Dichteis Lappe."
6) Lex. myth. 955.
152
ste Zeit zur Schatzgräber ei'). Um die Thunar hei-
lige Märzzeit sonnen sich auch in Deutschland die Schätze'^).
Der Schatz wettert sich, wenn Feuer darauf brennt ^).
Sprühen Feuer funken aus dem angezündeten Licht, so
bekommt der, nach dem sie fliegen, denselben Tag Geld*).
Die Ofengabel soll man nach deutschem Aberglauben
nicht im Ofen stecken lassen, sonst können die Hexen
täglich einen Ortstaler aus dem Hause holen ^). Brennt
das Licht Abends Rosen, so kommt des Tages Geld
ins Haus*^). FastnachtHirse gegessen, quillt das Geld').
Zu Lauter bei Suhl fand ein Mädchen einen Topf voll
schwarzer Rosskäfer. Als sie einige davon nach Hause
brachte, waren es lauter Petersbatzen geworden. Diese Pe-
tersbatzen, Curtriersche Münzen im Wert von 5 Xr., erin-
nern umsomehr an den oft in St. Petrus versteckten Thu-
nar, als sie auch Peter manne hen und Wolken b atzen
heifsen ^). Auf Thunar, den Ehe- und Regengott, geht
auch wol der Aberglaube zurück, wenns am Hochzeits-
tage regnet, werden die Leute reich ^). Gründon-
nerstags soll man etwas Grünes essen, dann geht einem
das Geld nie aus'"). Genau mit meinen Beobachtungen
1) Wille, Beskrivelse over Slllejords proestegjeld p. 46 — 251. Norsk
topographisk Journal II, 49. 76. VIII, 7. XVI, 9. Wille, Beskrivelse over
Spydebergs prajstegjeld I, 418.
2) Panzer, Beitrag I, 263, 122. I, 100, 119. vgl. Wolf, Beiträge I, 72.
Die Bretonen glauben, dass im Augenblick wo am Palmsontag das Evange-
lium gelesen wird, die bösen Geister alle Schätze aufdecken und ausbreiten,
welche sie verwahren. Doch suchen sie sie unter der Gestalt von Blättern, Stei-
nen, Kohlen u. s. w. den Augen der Menschen zu entziehen. De Nore my-
thes coutumes etc. 221.
3) Myth.2 923. vgl. Myth.» CXVII, 14.
4) Myth.' LXXXIII, 413.
5) Myth.' LXXVII, 246.
6) Mvth.' LXXVII, 252.
7) Myth.' LXXVI, 225 (Uockenphilos.). Myth.' XCV, 682. Panzer,
Beitrag I, 257, 20. Auf die Fastnacht iviirde vorzugsweise Thunar-
glaube übertragen. Der Hirsebrei steht dem Haferbrei, Thors Speise, gleich.
Auch Thors Heringsspeise bringt Geld. Kuhn, Nordd. Sagen 408, 145.
Vergl. HarbarJSsl. 3.
8) Bechstein, Sagenschatz des Thüringer Landes III, 168. Der Ross-
käfer, dessen Berührung mit den in deni;Wolken weilenden Mären wir weiter-
hin besprechen werden, heifst Torbagge, Thors Widder nach Russwunn,
oder Mullochse, Erdochse. Afzelius, Sagohäd. I, 12. 13. Vgl. o. S. 28 Anm. 1.
9) Wolf, Beiträge I, 211, 91.
10) Zeitschr. f. D. Myth. HI, 175,
153
stimmen Kulms Nachweisungen überein '). In unsern Sa-
gen erscheint nämlich ein unendlicher Hort von einem
Drachen oder einer weifsen Frau im Berge gehütet.
Letztere nimmt sehr häufig die Gestalt eines Drachen
oder einer Schlange an^}. Den Zugang zu dieser B er g-
höle öflEhet eine blaue oder rote Wunderblume. Ein
Jüngling findet diese und steckt sie auf seinen Hut. Nun
tut sich plötzlich vor ihm der Berg auf und der Schatz
schimmert ihm entgegen. Hat er in der Hole seine Ta-
schen gefüllt und vom Anblick der Kostbarkeiten benom-
men, seinen Hut mit der Blume abgelegt, so erschallt dem
Weggehenden die warnende Stimme: „Vergiss das Beste
nicht." Aber es ist zu spät, er liefs die Wunderblume
hinter sich, die Tür prallt dröhnend zu und schlägt ihm
beim Heraustreten noch ein Stück von der Ferse ab.
Kuhn beweist, dass in den Veden die Vorstellung der
Wolke als Berg oder Burg gewöhnlich ist, in welcher
die Wasserfrau verwünscht sitzt und dass unsere Sage
denselben Gedanken enthält. Der vom Berg umschlossene
Schatz ist das Sonnengold, der Drache Ahi, Agi,
Eke ; die Jungfrau die geraubte Wasserfrau. Der den Berg
üfinende Jüngling, der in unsern Sagen meist als Hirte
erscheint, ist der Wolkenhirte, der Donnergott, bei uns
Thunar, in den Veden Indra ^). Die blaue oder rote
Blume, die als Schlüssel zum Berge dient, ist der Blitz.
In den Veden wird Vritra, der die Wolke umhüllende Dä-
mon selbst als Berg, ein andermal wie die Wasserfrau
als Rind dargestellt; daher dürfen wir uns nicht wundern,
wenn umgekehrt in deutschen Sagen ganz analog die Was-
serfrau im Zustande der Verzauberung (als Dasapatni, Gat-
tin des Feindes) die Form eines Rindes oder die Dra-
chengestalt annimmt, die eigentHch ihrem Bedränger zu-
1) Ebendas. III, 383.
2) Myth.2 921. Vergl. den Frauemiamen Pauglind = Ringsclilange.
3) Gaväin gopati s. o. S. 3 Nach späterer Uebcrliefcrung verwandelte
sich Indra einmal in einen Hirten, um aus einem Garten für seine seliöne
Gemahlin Indräni Granatapfelblüten zu stehlen. Moore, Ilindu-Pantlieon 2G3.
154
kommt. — Wir haben schon an einem andern Orte dar-
gelegt, dass St. Christoph an Thunars Stelle getreten ist').
Nach Baader zeigt eine weifse Frau zwei Männern, die
dreiviertel Jahre das Chris toffelgebet beteten, einen
grofsen Schatz, den sie in einer Gründonnerstags-
uacht heben '-).
a) Indra kämpft im Osten mit den Dämonen ''). Da-
her heifst er in der Epenzeit als Herrscher der den Welt-
gegenden vorgesetzten 8 Welthüter Herr des Ostens und
regiert diese Himmelsgegend.
aa) Thörr bekämpft die Riesen im Osten. So fährt
er auf der Fahrt nach UtgarÖr östHch über den Ocean.
Bragi beginnt seine Erzählung über den Tod Hrünguirs
mit den Worten: „]?örr var farinn i Austrvega at berja tröU,"
d- i. Thörr befand sich auf die Fahrt in den Osten, die
Riesen zu schlagen. Ebenso heifst es im HarbarSs lioS 1 :
„Thörr för i Austrvegi;" und in der Einleitung zur Oegis-
drecka „hann (Thörr) var i Austrvegi." Ebenso häutig
wird Thors Ostfahrt in der Snorraedda genannt.
ß) Indra bekriegt, wie wir schon oben gezeigt haben,
Vritra und Ahi. Vritra heifst der Umhüll er. Ein-
hüller, weil er die Wolkenkühe oder die Wasser-
frauen, Sonne und Mond einschliefst. Häufig wird
Vritra selbst als Berg dargestellt: „Vor Vritra, der ei-
nes Berges Gestalt führte, erlahmte nicht des tod-
drohenden Indra mordendes Goldgeschoss ^).'' „Du hast, o
Vajraträger Indra den b er g ähnlichen, grofsen, unge-
heuren Vritra mit deinem Hammer in die Seiten getrof-
fen, ergossen hast du die gehemmten Wasser, dass sie da-
hinflössen''0." „Er tötete Ahi den Bergnahen, Tvash-
1) Zeitschr. f. D. Myth. II, 320. III, 118.
2) Baader, Badische Sagen 68. No. 78. Vergl. die Chrcschtoffelsböjcl-
cLer, Wolf, Beiträge I, 99.
3) Rig-v. Langl. IV, 6, 11, 5.
4) Im Uebrigen heifst der südwestliche Teil des Himmels, von woher die
meisten Gewitter kommen, Thorshäla (Thors Hole oder Ofen), in Holstein
Donuergät Donnerstrafse.
5) Rigv. Rosen LVII, 2.
6) Ibid. LVII, 6.
155
tri hat ihm das ruhniwürdige Geschoss bereitet ').« Aus
dem angegebenen Grunde sind in den Veden alle diejeni-
gen Worte, welche Stein, Fels, Berg bedeuten als:
npman, adri, giri, götra zugleich Bezeichnungen der Wolke'-).
Der Drache Ahi heifst auch Ahirbudhnyah, Schlange des
Felsens. Wir sahen oben, dass Indra Blitz gegen Blitz
mit Vritra kämpft und dieser gegen den Gott ein flammen-
des Geschoss schleudert. Aber Indra spaltet ihm das
Haupt,
Vritra oder Ahi wird auch Vala oder Bala, was wie-
derum Eiuhüller bedeutet, genannt. Oft treten statt des
einen Vritra mehrere Vritras oder Ahis auf. An Stelle
Vritras, Ahis oder Valas erscheinen in vielen Stellen an-
dere Dämonen, entweder einzelne Persönlichkeiten, wie Na-
muci, Pipru, Dhuni, Cumuri, Cambara, Qushna,
Eauhina, oder ganze Heere wie die Druhyus, die Pipä-
cas, die Räkshasas, die Panis. Zusammengefasst werden
alle Dämonen unter dem Namen der Daityas oder Däna-
vas. Alle diese Gestalten sind nichts anders als Spaltun-
gen einer und derselben Idee und nur verschieden je nach
der Seite lichtfeindlicher Verrichtungen, welche sie beson-
ders repräsentieren. Sie schliefsen nämlich entweder die
Wolke ein, so dass die Himmelskühe ihre Milch, den Re-
gen, nicht spenden, oder die Sonnenstrahlen (ebenfalls Him-
melskühe) nicht zur Erde scheinen können. In dieser Ver-
lichtung heifsen die Dämonen Vritras oder Valas, die Ein-
hüller. Diese Dämonen, sagt die Mythe, haben die Kühe
oder die Frauen geraubt und halten sie in einer Berg-
höle oder im Stall gefesselt. Indra öffnet den Stall der
himmlischen Tiere und befreit sie. „Den strahlenden Kü-
hen hast du die Türen gespalten, die Burgen; losge-
lassen hast du die Stiere aus der Herde, von den Angi-
rasen begleitet^)." „Du hast die Grotte des Vala des
Rinderreichen aufgetan, zu dir eilten von Furcht be-
1) Ibid. XXXII, 2. Aban Ahiui parvate ^;i9ri3'änaip.
2) Benfev, Säiiiavcda^lussar S. 8 sub adri, S. 61 s. gotra.
3J Rigv.'lV, 6, Ü, 16.
156
freit die Götter in Bedrängnis hin ')." „Mit dir vereint^
ja fürwahr entgegnen wir, o Stier, dem Schnaufenden ein
Wort im Kampf, dem kuhbegabten Mann" (Vritra; ^).
Der Dämon wird in diesen Stellen geradezu als Besitzer
der Kühe bezeichnet, welche er geraubt hat. Von diesen
ist zu der oben gegebenen Beschreibung noch nachzuholen,
dass sie goldgehörnt sind. „Ihr Kühe nahet euch dem
Brunnen, Erd und Himmel erfreun das Werk, vergoldet
beide Hörner sind^)." „Befreit hat er (Indra) die v(äi
dem in der Hole liegenden (Vritra) zurückgehaltenen
(Frauen)"*)." Insofern der Dämon die Wasser lange ge-
fangen hält heifst er auch Namuci „der nicht Lösende,"
„nicht Loslassende." Wenn die Wolken regenlos am Him-
mel stehn, trocknet der Sonnenbrand die Erde aus, die
Pflanzen verwelken. Daher führt der Dämon den Namen
Qushna „der Austrockner." Von der Farbe der dunkeln
Wolke heifst er Qambara der Schwarzgraue, oder Ki-ishna
der Schwarze.
Eine andere Verrichtung der Dämonen ist es, die Schat-
ten der Nacht und die Nebel heraufzuführen, die die Sonne
und das Licht von der Erde entfernen. „Lass verschwin-
den o Indra ihn, der mit Dunkel Himmel und Erde be-
deckt^ die beiden grofsen Gefährten deiner Wanderung ^)."
Diese Tätigkeit üben vorzüglich die rotköpfigen Pi^äcas
(Fleischesser?) und die Druhyus (die Trügenden). Erstere
sind Geister, welche sich von den Leichen gestorbener
Menschen nähren. Ihre Beziehung zum himmlischen Schatz
des Regens oder des Sonnengoldes spricht sich darin aus,
dass die epische Mythe sie zu Dienern des Eeichtumsgot-
tes Kuvera machte. Die Druhyus sind ähnliche Wesen,
identisch mit den westarischen Drukhs, die den Lebenden
den Tod bringen oder sich auf den Leichnam verstorbener
1) Sämav. Benfey II, 5, 1, 21.
2) Ibid. I, 5, 1, 2, 5.
3) Ibid. I, 2, 1, 3, 3.
4) Rigv. Rosen XXXIII, 12.
5) Rigv. Langl. V, 8, 2, 17.
157
Menschen werfen. Ferner gehören hieher die Räkshasas.
Während die Druhyus zwergartige Wesen sind, sind die
Räkshasen Giganten, meist schwarz von Farbe, welche die
himmlischen Schätze (in der Epenzeit Knveras Reichtum)
verwahren und in fortwährendem Kampfe darum mit In-
dra liejren. Sie sind Menschenfresser und im höchsten
Grade verderblich, wie schon die Namen einzelner Klassen
zeigen, welche man in jüngerer Zeit unter ihnen annahm,
z. B. Asrapas (die Bluttrinker), Kravyädas (die [Menschen-]
fleischesser), Rätricaras (die Nachtwandler) u. s. w. Im
Mahabhärata erzählt eine schöne Episode, wie Kunti auf
der Flucht mit ihren Söhnen, den Pändavas, im Walde
schläft :
Während jene daselbst schhefen stand Hidimba der Riese
dort
Nicht weit von ihrer Ruhstätte, an einen Baumstamm
angelehnt.
Wie ein Gewölk im Herbst finster, braun von Augen
der Grässliche.
Weit die Zähne hervorstechend, fleischgierig und vor
Hunger krank.
Lang die Hüften, den Leib auch lang, rot der Bart und
die Haare rot,
Grofs von Rücken und Hai«, Schultern, rochenohrig der
Schreckliche.
Der nahm recht nach Wunsch jene, Pändus Söhne, die
Helden wahr,
Der misgestaltet, braunäugig, grässlich, abscheulich an-
zusehn.
Lüstern nach Fleisch und sehr hungrig, nahm er jene
nach Wunsch gewahr.
Seine Finger emporstreckend, zausend, juckend sein bor-
stig Haar;
Gähnend den langen Mund öffnend, schauend einmal und
abermal;
Nach Fleisch der Menschen sehr lüstern, grofsgliedrig
der Mächtige,
158
Einem dichten Gewölk ähnlich, spitzzahnig, rot von An-
gesicht.
Als Menscheufleisch nun roch dieser, sprach er
also die Schwester an:
„Endlich bietet sich dar heute Lieblingsspeise so lang
entbehrt !
Vor Gier träuft mir der Mund wahrhaft, die Zunge backt
am Gaumen mir.
Ha, wie will ich die acht Zähne, die spitzen, die ge-
fastet lang,
In die Leiber nun eintauchen, recht eingraben ins frische
Fleisch !
Bald werd ich Menschenfleisch schlucken, und aufschlitzen
die Adern bald,
Ganz warm werd ich das Blut schlürfen, in vollem Mafs,
das schäumende.
Gehe schleunigst zu spähn, Schwester! wer sie sind, die
dort schlafend ruhn.
Stark wirkt Menschengeruch wahrhaft, er quiekt
weidlich die Nase mir.
Töte die Menschen dort sämmtlich, setze mir ihre Lei-
ber vor.
Die in uuserm Gebiet schlafen, jene wirst du doch fürch-
ten nicht. —
Wenn ihr Fleisch wir zerstückt haben, die Menschen so
nach Herzenslust;
Werden beide wir froh zehren; schleunigst vollbringe
drum mein Wort.
Wenn das Fleisch wir verzehrt haben, uns nach Gier
gelabt ;
Lus tig werden wir dann tanzen, denTakt schla-
gend gar mannigfach."
Des Räkshasafürsten Schwester Hidimbä geht den Be-
fehl auszurichten und trifft den schönen Pändava Bhima
bei seiner schlafenden Mutter und den Brüdern Wache
stehn. Von Liebe zu ihm ergriffen, naht sie sich ihm
in Gestalt einer schönen Jungfrau und bemüht sich
159
ihn zu retten, und erbietet sich, ihn sammt den Seini-
gen auf dem Rücken durch die Luft davon zu
tragen:
Doch weil ich dich gesehn habe, GöttersprössHngen gleich
an Glanz,
Kann ich andern mir nicht wünschen als Gatten, Wahr-
heit künd' ich dir.
Solches wissend, o Rechtsamer, denke auf baldigen
Verein.
Leib und Seele mir zwang Sehnsucht, mir die huldiget
huldige.
Retten werd' ich dich Machtvoller vor dem Riesen, der
Menschen frisst.
Auf Höh'n werden wir froh wohnen; sei mein Gatte,
o Treflflicher.
Ich diirchwandre der Luft Räume; wo mich's
gelüstet zieh' ich hin.
Unaussprechliche Lust koste, hier und dorten mit mir
vereint.
Bhima will seine Lieben nicht aus dem Schlummer
wecken und erwartet den Rakshasa zum Kampfe. Der
Sieg schwankt noch unentschieden, als Arjuua, Bhimas
Bruder, vom Getöse erweckt, hinzukommt und demselben
die Aufforderung zuruft, die schreckliche Stunde der Abend-
dämmerung nicht nahen zu lassen, ohne den Rakshasa ge-
tötet zu haben:
Bevor gänzlich der Tag schwindet und die
Dämmrung des Abends kehrt,
In der Stunde des Grauns, wisse sind die Rie-
sen erstaunlich stark').
Eile denn, nicht gespielt, Bhima, erschlage ihn den Schreck-
lichen !
Eh' er durch Zauber dich täuschet, wende die
Kraft der Arme an.
l) Diese Wesensseite der Räksliasen als Dämonen des Nachtschattens
spricht sich ii. a. deutlich in einem Hymnus des Rigveda (Rosen XXXV, 10)
au den Sonnengott Savitar aus, der auch aufgefordert wird sie zu bekam-
160
Hidimba fallt und wird von Bhima erwürgt, sein Leich-
nam mitten entzwei gebrochen. Mit der schönen Hidimba
ziehen Kunti und ihre Söhne erfreut ihres Weges weiter ^).
Die Räkshasas können jede beliebige Gestalt annehmen,
sie lieben vorzüglich Tiergestalt. Ein Lied, in welchem
Indra und Söma um Vernichtung der Räkshasen gebeten
werden, heifst: „Die da Nachts wie eine Eule hervor-
kommt, durch Zauber ihre Gestalt verbergend, in den bo-
denlosen Abgrund hinab stürze sie." „Das Eulengespenst,
das Kauz gespeust, schlage das Hunde gespenst und W o If-
gespenst, das Hahnen gespenst und Geiergespenst quäle,
zermalme die Geisterwelt, leuchtender Indra." — Die Rak-
shasen heifsen schlau. „Tötet (o Indra und Söma) die bö-
sen Räkshasas, die Schlauen" (hatam druhö rakshasö
bhangurävatah). Ihnen wird ferner das Beiwort ghö-
racakshas „mit furchtbarem Blicke" gegeben*^).
Eine dritte Verrichtung der Dämonen ist es, die Him-
melskühe (Wolken und Sonnenstrahlen) und Wasser-
frauen während des Winters zu fesseln. Indra erkämpft
ihnen im Frühling die Freiheit wieder. „Welche Väter
den Schatz der Kühe heraustrieben durch das Opfer spal-
teten sie beim Jahres Umlauf den Vala." Man stellte
sich vor, dass die Dämonen im Herbst eine Burg errich-
ten und in dieser die 7 Wintermonate hindurch die
Wasser einschlössen. Statt der einen Burg werden, ent-
sprechend den 7 Wintermonaten, auch 7 Burgen genannt,
häufig mit Uebertreibung noch mehrere. „Besiegt hast du
die lärmenden, kriegerischen Scharen, deren 7 im Herbst
errichteteBurgendu glückhaft zerstört hast, o Indra *). "
„Für Purukutsa hast du die 7 Burgen des Herbstes
pfen: „Komme zu uns mit deiner Goldhand Wiederbeleber, herrlicher Erhei-
terer, Reicher. Da ist er der Gott die Räkshasen und bösen Geister bändi-
gend, der in jeder Nacht von uns angerufen wird."
1) Siehe Bopp, Ardschuua's Reise zu Indras Himmel. Berlin 1824 S.
15- 27.
2) Vgl. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 196.
3) Rigv. VIT, 2, 1.
4) Rig^^ Langl. II, 4, 9, 2.
^161
verstört ')." ,sT)er Gott, dessen Arm der Blitz bewaffnet,
trifft den berüchtigten Kavaca und den grofsen Druhyu
in der Mitte der Wasser. — Alsbald hat Indra alle ihre
Befestisfunffen zerbrochen und mit seiner Macht
ihre 7 Burgen zerstört. — Die Söhne des Anu und
die Druhyus, die sich nach den Kühen hatten ge-
lüsten lassen, kamen um trotz ihrer Macht und Stärke
in der Zahl von 12066^)." j^Der furchtbare Indra hat aus
der beweglichen Wolke die Wasser, wie einen Strom her-
vorgelockt, erschüttert hat er die festenBurgen despushna'^)."
„Du hast die Wolke den Angirasen geöffnet und dem Atri
den Zugang zu dem mit 100 Toren versehenen Orte ge-
wiesen*)." „Als du o Indra den pushna, Pipru, Kuyava
und Vritra getötet, erbrachst du die Burgen des Qam-
bara^)." „Du dessen Hand den Blitz trägt, du hast deine
Kraft entfaltet als du die 90 Burgen zerstörend Vritra und
Namuci den Tod gabst '^)." In noch anderen Hymnen wer-
den 99 zerstörte Burgen aufgeführt ''). Indra heifst von
dieser Tat Purandara der Burgenzerstörer. Den 7
oder 99 Burgen, die Vritra errichtet, entsprechen ebenso-
viel Flüsse, die Indra im Frühling zur Erde strömen
lässt.
Während die Räkshasen ein Riesengeschlecht sind,
treten die Panis mehr zwerghaft auf. Ihr Name bedeutet
„Kaufleute, Viehhändler" weil sie die Kühe geraubt ha-
ben. Sie heifsen die Diener des Vala oder Vritra, in des-
sen Hole oder Burg sie die Kühe führen. „Brihaspatis des
Indrapriesters Kühe waren von Asuren, Panis genannt, den
Kriegern des Bala geraubt und in einer Hole verborgen.
Auf Brihaspatis Gebet schickte Indra, um die Kühe auf-
1) Rigv. Langl. IV, 6, 4, 10. Die 7 Burgen des Herbstes oder Win-
ters sind, wie Kuhn Zeitschr. f. D. Myth. III, 380 beweist, eine Erinnerung
an die 7 Wintermonate der altarischen Ursitze nördlich vom Himälayn.
2) Ibid. V, 2, 17, 12. 13. 14.
3) Rigv. Rosen LI, 11.
4) Ibid. LI, 3.
5) Ibid. cm, 8.
6) Rigv. Langl. V, 2, 18, 5.
7) Rigv. Rosen LIV, G.
11
162
zusuchen, die Götterhüudin Sararaä ab. Als diese nach
Ueberschreitung eines (reifsenden) Stroms zur Burg
des Bala gekommen war, sah sie in einem Versteck die
Kühe verborgen." „Es wird erzählt, die Kühe seien einst
von den Panis aus dem Götterhimmel geraubt und im Ne-
bel verborgen, Indra aber habe sie mit den Maruts zurück-
gebracht ')."
Zur Charakteristik der Dämonen ist noch anzuführen,
dass sie gefräfsig heilsen ^). Besonders die Eäkshasen
führen das Beiwort die Esser, die Gefräfsigen ^). Als
Räuber des Schatzes heifsen sie reich ^). Sie leuchten
von Gold und Edelgesteiu ^). Sie werden als schlau ge-
schildert. Die Art und Weise der Tötung der Dämonen
wird verschieden ausgemalt. Während in vielen Liedern
der Kampf zwischen Indra und Vritra als sehr lebhaft ge-
schildert wird, heifst es in andern, dass der Gott den Dä-
mon im Schofs der Wasser schlafend findet und so er-
schlägt. „Indra, im Schofse der grofsen Wogen schlief
der Dämon, der die Wasser zurückhielt, du hast ihn ge-
tötet, und (die Gefangenen) befreit '^)." „Als Indra, der das
Leben aller Wesen ist, den in der Wolke eingeschla-
fenen Ahi tötete, der ihn beleidigt hatte, beugte der Him-
mel selbst sich zweimal in Furcht vor Indra unter dem
Schlag seines Donnerkeils ').•' „Diese herrliche Tat hast
du, o Indra, vollführt, dass du den schlafenden Ahi
mit dem Vajra wecktest, da haben dich den Erfreuten (der
Götter) Gattinnen (die Devapatnis) und die Schreitenden
(Maruts) und alle Götter erheitert®}."
Vritra schleudert gegen Indra sein W^urfgeschoss,
Indra wirft ihm den Vajra entgegegen. Bei der Begeg-
1) Die obigen Stellen aus Vedenscholiasten entnehme ich Rosen Rig^-eda
annotat. ad. hymn. VT, 5.
2) Roth und Böthling s. v. v. atra, atri, atrin.
3) Rigv. Rosen XXI, 5.
4) Ibid. XXXIII, 4.
5) Ibid XXXIII, 8.
6) Rig\-. Langl. V, 8, 2, 16.
7) Ibid. VI, 6, 1, 9.
8) Rigv. Rosen CHI, 7.
niing bricht Vritras Waffe entzwei*). Er kämpft
nun noch mit Blitz, Donner und Regen gegen Indra
an^), aber dieser durchhaut ihm den Nacken und
zerbricht ihm die Schultern. „Indra des zitternden Vri-
tra Nacken hast du im Zorn ihn angreifend durchhauen
und die Wasser fliefsen lassen^)." Sehr lebendig beschreibt
der Hymnus Ivigv. Rosen XXXII den Vorgang:
1 ) Ich will des Indra Siege singen nun,
Die er getan, der Blitzesschleuderer.
Den Ahi schlug er, spendete dann die Wasser;
Entzwei gespalten hat er der Berge Brüste.
2) Er schlug den im Gebirge wandelnden Ahi;
Gefertigt hat den leuchtenden Keil ihm Tvashtri,
Gleich Kühen brüllend eilten strömend dahin,
Schäumend zum Meere gingen die flielsenden Wasser.
3) Des Sömas gelüstet ihm, der stiergleich schreitet.
Aus dreifach geteilter Schale vom Bereiteten trinkt er;
Er griff den Pfeil, den Donnerkeil, Maghavän
Traf ihn der Abis Erstgeborenen.
4) Als Indra du getroffen der Abis Erstgeborenen,
Vernichtetest du alsbald der Trügenden
Trug,
Erzeugtest Sonne, Himmel und Morgenröte,
Dann fandest nirgends ringsum du einen Feind mehr.
5) Es schlug der Einhüller einhüllendsten ") Indra,
Die Schultern brachen vom Keile, der mäch-
tigen Waffe,
Baumstämmen gleich, gebrochen von dem Beile
Lag Ahi da, die Erde nahe rührend.
6 ) Kampflos rief übelberauscht den grofsen Held er
Herbei den weithintreffenden Feindessieger
Der Waffenbegegnung Kampfplatz nicht durchritt er,
Entzweigebrochen zerschellte der Indrafeind.
1) Ibid. LXXX, 12, 13.
2) Ibid. XXXII, 1.^.
3) Ibid. LXXX, 5.
4) Vritram vritrntaraip.
11*
164
7) Kämpfen mit Indra wollt' er hände- und füfse-
baar
Der schleudert auf sein Haupt den Donnerkeil ihm,
Des Mannes Ansehn heuchelnd, der Ver-
schnittne,
Lag Vritra da, der mannigfach Zerschellte.
8) Frei stiegen herzerfreuende Wasser,
Wie durch das Flussbett, über ihn den Ge-
spaltnen,
Die umschlungen Vritra mit Macht
Zu deren Füfsen lag er nun nieder, Ahi.
9) Es lag darnieder die Vritraerzeugerin,
Es nahm die Waffe hinweg ihr Indra.
Die Mutter oben, unten lag der Sohn da,
Wie mit dem Kalb die Kuh; so ruhte Dänus.
10) Den Körper in der Wasser Mitte gestellt,
Der nicht verweilenden nicht fliefsenden.
Den Vritraleichnam überströmen die
Wasser,
Lang machte Finsternis lasten den Indrafeind.
11) Beherrscht vom Feind, gezügelt von Vritra
Die Wasser standen gehemmt, wie von Pani die
Kühe,
Die Kluft, die zugeschlossene der Wasser,
Die öffnete er, nachdem er Vritra getötet.
12) Da wärest Indra du ein Pferdeschwanz
Als dich im Schiefsen traf der eine Gott
Ersiegtest Kühe und, o Held, den Söma;
Zum Wandern sandtest du die sieben Flüsse.
13) Nicht Blitz hat ihm genützt, nicht auch der
Donner
Und Regen, den er machte, und Gekrache,
Als miteinander kämpften, Indra und Ahi,
Auch über die andern siegte Maffhavän.
Der Zug, dass Indra dem Dämon das Haupt spal-
tet, kehrt öfter wieder. „Auch die Hiramelsfeste zitterte
165
vor Furcht bei Ahis Geschrei, als dein Geschoss, Indra,
des Himmel und Erde mit Tod bedrohenden Vritra Haupt
mit Eifer spaltete ^)." „Vritra will die Welt erschüttern,
Indra spaltet ihm das Haupt mit dem schrecklichen hun-
dertzackigen Vajra^)." „Schon Kraft der Geburt den Se-
gen beherrschend, schlugst du die Feinde, o Maghavän,
mit dem Strahl aufblitzend; da schleudertest du das Haupt
des Sclaven Namuci den Weg des Heiles für den Mann
begehrend ^)." Andere Dämonen tötet Indra mit dem Fufse.
„Zerschmettere mit dem Fufse — du bist grofs — die
ruchlosen Panis, denn gegen dich kommt keiner an'')."
„Den Qambara hast du getötet und den grofsen Arbuda mit
dem Fufse angegriffen, täglich bist du auf den Tod der
Feinde bedacht^)." Nach einigen Stellen verbrennt In-
dra die Dämonen und namentlich von den Panis heifst es,
dass die Angirasen sie in ihrer Hole ausgebrannt hätten.
Mitunter tötet Indra die Dämonen nicht, sondern fesselt
sie nur oder schläfert sie ein. „Wie ein Berggipfel strahlt
im Kampfe hervor seine tötende Kühnheit mit der er der
Starke unter den Starken, der Eiserne den betrugvollen
Qushnain derFessel (dem Stricke) verweilen machte "). "
Häufig wird der Zauber hervorgehoben, welchen die Dä-
monen Indra entgegensetzen, ehe sein Werk gelingt. Es
heifst daher wiederholt, dass der Gott den Trug der
Trügenden zerstörte. „Indra, Donnerer, Blitzschleude-
rer, unwiderstehlich war deine Kraft, als du das zauber-
volle Wild (Vritra der Bocksgestalt angenommen) mit dei-
nem Zauber niederschlugst, leuchtend im eigenen Reiche ').'*■
Wie Vritra hier Bocksgestalt annimmt, gleich Indra, dem
himmlischen Widder, zieht Indra, um den Regen der Wolke
zu ergiefsen, die Gestalt der Wasser fr au an, „Du wur-
1) Rigv. Rosen LH, 10.
2) Rigv. Langl. V, 8, 2. 6.
■6) Rigv. IV, 1, 27, 2.
4) Sämav. Benfey II, 6, l, 3. VI, 4, 8, 2.
5) Rigv. Rosen LI, 6.
6) Ibid. LVI, 3.
7) Sämav. Benfey I, 5, 1, 3, 4.
166
dest Menä des Vrishanacva Tochter und verrich-
tetest herrliche Taten')." Menä ist gewöhnlich ein
Appellativ in der Bedeutung „Frau." In dieser Bedeu-
tung kommt das Wort u. a. Rigv. Rosen CXXI, 2 vor,
wo es heilst: „Indra blickt auf das von ihm ausgegangene
Dunkel zurück und die Frau des Rosses (menära apvasya)
macbt er zur Mutter der Kuh^)." Langlois giebt wol nach
dem Commentar von dieser Stelle die folgende Erklärung:
Die Wolke (die himmlische Kuh) entsteht aus Wasser-
dampf, der von der Erde mit Rossesschnelhgkeit empor-
steigt. Indra umarmt diesen Dampf und macht ihn zu sei-
ner Gemahlin, und hegt sie an seiner Brust, um die Erde
zu befruchten. — Eine ähnliche Vorstellung spricht die
Stelle aus: „Das Opfer gab dem Indra Kraft, als er die
Erd' umhüllete, Wolken scha£fend im Himmelsraum ^)."
Um den lichten Tag wieder heraufzuführen, muss Indra
selbst mit sjrauem Renjengewölk den ganzen Himmel erfül-
len und daher erklärt sich, wie er (ehe er Vritra schlägt
und vernichtet, die Klarheit des Himmels wiederherstellt)
die Gestalt einer Frau, der Tochter des Vrishanacva (d. h.
des regnenden, besamenden Rosses) annehmen kann.
Die verschiedenen Dämonen zeigen ihre ehemalige Ein-
heit noch durch fortwährende Vermischung ihrer Namen
und Attribute. So ist, um nur ein Beispiel anzuführen,
Qushna bald ein Beiwort des Vritra "*), bald eine selbstän-
dige Hypostase dieses Wesens. Druh ist bald eine Be-
zeichnung des Pani, bald Vritras oder ^ushnas; sehr häufig
aber bezeichnet es eine Classe von Wesen, wie wir vorhin
gezeigt haben.
Eine Schlussbemerkung über Indras Feinde glaube ich
am besten mit Kuhns Worten geben zu können*): Vritra,
Ahi, Qushna und andere Dämonen sind nur verkörperte
1) Rigv. Rosen LI, 13. vergl. Rigv. Langl. I, 4, 5, 13.
2) Vergl. Rigv. Langl. I, 8, 9, 2.
3) Sämav. Benfey I, 2, 1, 3, 3.
4) z. B. Rigv. Rosen LXI, 10.
5) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 199.
167
Naturerscheinungen, die sich im Grunde von den Maruts
und Rudras, die ebenfalls solche sind, nur durch die ethi-
sche Auffassung unterscheiden; denn Hagel, Blitz und Don-
ner, Wolkentreiben und Sturm sind ihr gemeinschaftliches
Element. "Während in jenen die feindliche Seite der Na-
tur zur Erscheinung kommt, zeigen diese sie von der mil-
den und dem Menschen segensreichen, allein es fehlt doch
nicht an zahlreichen Stellen, in denen auch diese als Ver-
derben bringend auftreten, indem sie Männer und Herden
erschlagen und Seuche und Tod bringen. Wir werden des-
halb für einen älteren Zustand der religiösen Anschauung
ein mannigfaches Zusammenfallen der einen mit den andern
annehmen müssen. Alle diese Wesen, feindliche und freund-
liche, entstammen der gemeinsamen Ueberzeu-
gung von derFortdauer der Seele nach dem Tode
und wenn wir es von den Maruts, Rudras, Ribhus aus-
drücklich ausgesprochen finden, dass sie einst Sterbliche
waren und durch ihre guten Werke den Göttern als Hel-
fer beigegesellt wurden, so liegt die einftiche Schlussfolge-
rung nahe, dass die Gottlosen und Bösen Genossen der den
Devas feindlichen Dämonen werden. Sie werden daher
auch und zwar Rakshasas, Druhyus u. s. w., ebensowol wie
Maruts und Ribhus als ein Volk oder eine Schar (vi(?,
gana) bezeichnet." Mit dieser Ansicht stimmt auch Roths
Meinung überein.
Fassen wir das über die Dämonen Gesagte noch ein-
mal kurz zusammen, so lässt sich von den concreteren Zü-
gen des Mythus folgendes Bild entwerfen. Teils reine Na-
turmächte, teils in den Elementen waltende Geister abge-
schiedener Menschen hausen sie, die „Gefräfsigen,"
bald in Riesen-, bald in Zwerggestalt „in der Mitte der
Wogen" (d, i. im Wolkcngewässer) jenseits eines mäch-
tigen Stroms, hinter den sie, wenn sie sich hervorwageu,
zurückgeworfen werden'). Ihr Aufenthaltsort ist ein Berg
1) Die Dämonen hast du, o Indra, der Opfer beraubt, hinter die 00
si'liifl'baren Ströme zuriickgeworl'cn. Kigv. Rosen CXXI, 13.
• 168
oder eine Berghöle, wo sie Indra schlafend findet,
oder wach. Sie halten darin die Kühe, die Götter fr au,
Sonne und Mond, den Schatz des Regen wassers und
Sonnengoldes gefangen. Im Winter bauen sie zur Fesse-
lung der Geraubten eine f e s t e Burg oder Umzäunung.
Sie führen die Schatten der Nacht herauf und zer-
fliefsen beim ersten Strahl der von Indra heraufgeführten
Sonne. Trifft Indra sie nicht im Schlaf, so kämpfen sie
mit ihm Blitz gegen Blitz; Indras Waffe zerschellt
im Begegnen die ihrige und er zerspaltet ihnen das
Haupt, oder durchbohrt ihren Nacken, oder er stöfst
sie mit seinem Fufs in das Blitzfeuer. Sie setzen Indra
Zauber entgegen und decken sich mit dem (Wolken-)
Fels. Sie sind schlau und haben eine scharfe Sehe.
In ihrer Begleitung sind oft weibliche dämonische Wesen,
die sie im Kampfe zu Hilfe rufen '). Gradeso findet Fe-
redün Zohaks Palast den er zerstört voll Weiber.
ßß) Dass Thors Gegner, der MiögarSswurm , Oegir
(Ecke, Eckhart) und Loki den Feinden Indras, Ahi und
Vritra entsprechen, ist bereits vorhin nachzuweisen versucht.
Die Zusammenstellung Lokis und Vritras gewinnt um so
gröfsere Wahrscheinlichkeit, als die kurzvorhin S. 165 an-
geführte Stelle Rigv. Rosen LVI, 3 ^ushna wie Loki ge-
fesselt werden lässt. Es wird hier nun noch weiter aus-
zuführen sein, dass auch die übrigen Feinde Thunars und
ihr Tod der indischen Indramythe analog ist. Thors vor-
züglichste Gegner sind nächst dem Drachen die Riesen,
welche alle auf eine Grundgestalt zurückführen. Sie er-
scheinen bald als Schar, bald treten einzelne unter ihnen
hervor. Appellative Benennungen der Riesen sind Jötnar
und Thursar, deren Verkleinerer, Widersacher (hrödrs and-
skoti) Thörr heifst ^). Ebenso führt er die Namen Jötua-
dölgr Riesenfeiud, Jötnaotti Riesenschreck. Nach J. Grimms
Ermittelungen bedeuten altn. jötunn, ags. eoten, altengl.
1) Rigv. V, 2, 16, 9.
2) Ilymisqu. 11. 13.
m
etiu, alts. etan der Esser, altnord. jjurs, uorweg. tusse,
dän. schwed. tosse, ags. l'jrs, ahd. turs, mhd. turs, türse,
dürse, dürsch der Durstige oder der Trunkene. Schon
diese Namen sind zutreffende Bezeichnungen des die Kühe
und das Wolkengewässer verschlingenden Dämons, der in
Indien genau ebenso atrin der Esser beigenannt ist').
Auf den einstio;en Zusammenhang der Riesen mit dem Wol-
kengewässer weisen verschiedene Züge. Zunächst entlehn-
ten die Finnen in früher Zeit von den Normannen die Ge-
stalt und den Namen der Thursen, letzteren gestalteten sie
zu Tursas oder diminut. Tiirso um -). Da nun der finni-
sche Tursas ein Meer ungeheuer ist, der die göttlichen
Helden Wainämoineu, Ilmarinen und Lemmiukaineu in die
Wogen hinabziehen will, so liegt der Schluss nahe, dass
auch der alt skandinavische Thurs seinen Wohnsitz im Ge-
wässer gehabt habe. Diese Wahrnehmung stimmt nun genau
mit dem Wesen der angelsächsischen Thyrse überein, die
im Wasser hausen (|7yrs sceal on fenne gewunjan) ^). Ein
solcher Thyrs ist der berüchtigte Grendel im Beowulf*).
Er Avohnt im Meere eine Meile tief unter dem Wasser.
Unter Nebel hüllen kommt er vom Moore gegangen (}'ä
com of more under misthle6]Him, Grendel gongan 1424 — 27);
unter Wolken wandelt er bis zur Königshalle von Heorot
(wöd under wolcnum 1432). Zoingemut eilte er, aus den
Augen brach ihm flammenähnlich furchtbares
Licht (eöde yrremöd; him of eagum stöd, ligegelicost, leöht
I
1) S. die vielen von Benfey Sämavedagloss. s. v. aufgeführten Stelleu.
2) Castren, Finnische Mythologie übersetzt von Schiefner S. 84. In ei-
ner Rune bei Gauander, Mythologia Fennica p. 58 kommt Meri-Tursas vor.
3) Hicls.es Gram. Anglosax. 237. vgl. Turner, llistory of the Anglo-
saxons 324.
4) Vergl. v. 85 G: And nü wiö Grendel sceal,
wiö ])ä.m aghecan
äua gchegan Öing wib hyrse.
Boowulf findet in Grendels Wohnung ein goldgefasstes siegverleihendes Schwert,
das Rie.sen gemacht haben (cald sweord cotenislc 3128 enta lergeweorc 3363).
Auf diesem Schwert war in Kunenbuchstaben der Ursprung des alten Strei-
tes zwisclien Göttern und Kiesen (wie Ettmüller S. 134, Anm. 1703 mit Be-
ziehung auf Völuspä 22 richtig zu deuten scheint) eingegraben. Dieses Schwert
scheint ein altes Erbkleinod (eaUl läf) in Grendels Hause, das ihm von sei-
nen Voreltern, jenen Urriesen, überkommen ist.
170
iinfeger 1456 — 59). — Der Wohnsitz der Jötuar und
Thursar ist Jötunbeimr. Dieses mythische Laud Hegt jen-
seits eines grofsen Wassers. Auf der Fahrt zu Utgaröa-
loki muss Thorr über ein tiefes Meer setzen ^). Aus Jö-
tuuheim zurückkehrend, watet Thörr durch die Elivägar
und trägt den Örvandill im Korbe hinüber '^). Auf der
Reise nach GeirröSsgarSr muss Thorr über den reifsen-
den Strom Vimur setzen. Ebenso tritt in der Thorsteins
Eäarmagnssaga und bei Saxo ein reifsender Strom als die
Grenze von Geirröös Königreich Jötunbeimr auf; das Ge-
biet des Utgarthilocus bei Saxo ist vom Ocean bespült.
In den Elivägar und dem Flusse Vimur haben wir bereits
Zeitschr. f. D. Myth. II, 298 das himmlische Gewässer
erkannt. Die hinter demselben wohnenden Dämonen wer-
den deshalb auch ursprünglich coelestische Wesen und erst
später irdisch localisiert sein. Auf den ehemaligen Zusam-
menhang der Riesen mit der Wolke deutet vielleicht auch
die bornholmische Benennung der Donnerkeile Trolle-
kile^), da wie wir sehen werden die Thursen auch den
Blitz schwingen, wenn nicht jenes Wort die Bedeutung
hat „die Trolle verfolgende, vertreibende Keile." Als alte
Wolkendämonen charakterisiert die Joten und Thursen nun
auch der Zug, dass sie gerne Rinder rauben. Die im
Berge wohnenden Hougetusser des" heutisren norwegi-
sehen Volksglaubens ziehen Rindvieh häufig in ihre Hole*).
Nach BrandkrossaJ'attr einer Saga des zehnten Jahrhunderts
verschwand einem Bonden in Island, der an der Vopne-
bucht wohnte, Grimr mit Namen ein Ochse mit gelben
kreuzweis gehenden Streifen (Brandkrossaottr), auf den er
grofses Gewicht legte. Später fand er diesen Ochsen in
Norwegen in einer Hole der Geitersklippe bei einem Rie-
sen wieder^). Aus diesem Grunde sind nach den Edden
1) ]?ä för hann üt yfir hafit ]jat it diüpa. Gylfagiiiniug cap. 45.
2) Skäldskaparm. c. 17. Su. E. I, 276.
3) Lex. Myth. 752.
4) Lex. Myth. 982.
5) Sagabibliothek Lachin. 1, 230.
171
schwarze Ochsen ') und Kühe der Riesen Freude, ja diese
letzteren werden genau mit der oben angeführten Stelle des
Sämaveda übereinstimmend, als goldgehörnt bezeichnet.
Noch in den nordischen Volksmärchen und Sagen, zumal
in den Ueberlieferungen von Bahüslän und Dalsland und
den angrenzenden norwegischen Landschaften spielen diese
Rinderherden der Jätten eine grofse Rolle. Verirrte Wan-
derer hören ihr Gebrüll in den Bergen, oder treffen sie
zur Mitternacht weidend unter den Felsen. Manchmal
wagt ein Burscli oder ein Mädchen einen Stahl darauf zu
werfen und es g-elinijt dann ein Stück davon mit sich zu
führen. Von solcher Beute soll das Riesenvieh (iättekräk)
jener Gegenden stammen, das rotbraun mit schwarzen, ge-
flammten Flecken ist und deshalb Brand vi eh heilst^).
Dass unter diesen schwarzen Rindern die Wolkenrinder zu
verstehen sind, ergiebt sich aus der Hymirmythe, nach wel-
cher Thörr mit einem solchen Stier (Himinbriotr d. i. Ilim-
melsbrecher) die Miggarösschlange d. i. den Wolkendra-
chen Ahi, Ecke ködert. Dieser ist es aber, der die Wol-
kenkühe verschlang. Gleich dem Rindvieh rauben die Rie-
sen vorzugsweise gern Frauen*). Dass aber hiermit ur-
sprünglich wiederum vorzugsweise die himmlischen Götter-
frauen gemeint waren, dafür haben wir ein altes Zeugnis.
Wir sahen schon o. S. 78 facsc. dass Mären und Alfen teil-
1) Hymisqu. 18.
2) Thrj'msqu. 23.
3) Holmberg, Nordboii uuder hednatideii I, Ü7 fgg. Weiuliold, Altnord.
Leben 37. Dybeck führt in Zeitschr. Runa mehrere Beispiele an, woraus J.
Grimm bei Haupt IV, 507 einige ausgehoben hat.
4) Helgaqu. HjörvarÖssonar 17: Hati het minn faöir margar briVSir
liann let frä büi teknar. Vergl. Faj'e, Norske Sagn 23, I. Wie die geraubte
Frau in der indischen Sage als Gemahlin des Dämons (Däsapatni) erscheint,
tritt dieselbe in germ. Ueberliel'crung oft als Frau oder Tochter des Riesen auf.
Eine solche ist u. a. die leuchtende Jungfrau Gergr, die Tochter Gymirs. Da
Gymir nach der Einleitung zu Oegisdreka ein Beiname Oegirs ist, so wird
dadurch unsere Deutung desselben als eines Wolkendämons (s. o. S. 81 fgg.)
gefestigt. Wie er rau1)t auch Rän vorzüglich .Jungfrauen. Nach Afzelius
treibt sie dem heutigen Volksglauben zufolge schnecweifse Rinderheer-
den auf die Weide. Sicht man sie, so muss man Feuer als Abbild der
Blitzflamme anschlagen. Sagohäfder übers, von Üngewitter H, 317. (lymir
goth. GIUMEIS hängt mit geynui goth. GAUMJAN bewachen zusammen und
bedeutet wie geymir Wächter, Verwahrer (qui raptas aquas vel femiuas ciistoditVJ.
172
weise den himmlischen Frauen entsprechen. Nun erzcählt
die Hervararsaga '), dass StarkaSr ein Riese Alfhilldr die
Tochter König-s Alfr von Alfheira raubte. Dass unter die-
ser Jungfrau eine mythische Persönhchkeit zu denken ist,
lehrt die Bemerkung des Verfassers: „Sie war schön, wie
kein anderes Weib und das ganze Volk von Alfheim war
schöner, als jedes andere." Wörtlich so beschreibt die
Snorraedda die Lichtelbe. König Alfr rief da zu Thörr,
er möge ihm seine Tochter wiederschaffen. Der Gott kam,
erschlug Starkaör und brachte Alfhilldr ihrem Vater zu-
rück. Dasselbe erzählt die Gautrekssaga '^) , und schon
der Skalde Vetrlidi aus dem zehnten Jahrhundert bezeugt
von Thors Taten redend „ du stürztest StarkaSr (steypSir
Starkaöi)." — Eine schwedische Sage zeigt uns eine sehr
deutliche Uebereinstimmung der germanischen Riesensage
mit der indischen. Die 3 Töchter eines Königs gehen
im Krautgarten lustwandeln, kaum sind sie unter freien
Himmel gekommen, als sich eine Wolke senkt und sie
fortführt. Alle Versuche sie wiederzufinden waren vergeb-
lich. Drei Trolle (Riesen) haben sie in ihre Berg-
höle entführt, wo sie sie 7 Jahre (d. i. die 7 Wintermo-
nate) festhalten. Ein Hirtenknabe hat von einem Alten
drei wunderbare Hunde Hall (halt fest), Slit (reifs zusam-
men) und Ly (horch) erhalten, die sehr kunstreich tan-
zen und alles zerreifsen, was ihnen naht. Mit Hilfe der-
selben erlegt der Hirte die Riesen und befreit die Königs-
töchter^). Der befreiende Hirte ist offenbar Thorr, wie
wir weiterhin dartun werden, seine Hunde sind die Ma-
ruts, die Geister des Sturms oder wilden Heers, welche
nach der indischen Mythe Indras Begleiter sind. In der
germanischen Mythologie wird der Wind nämlich stets un-
ter dem Symbol des Hundes dargestellt *). — In mehreren
Ueberlieferungen, vorzüglich Märchen, ist der Raub der
1) Forualdarsög. I, 412 fgg. vgl. 543 fgg. Nach einer anderen Sage
hat Starkaör 8 Hände, die Thorr ihm abhaut.
2) Fomaldarsög. III, 15.
3) Afzelius, Schwed. Volkssagen, übers, von Oberleitner S. 234 fgg.
4) S. unten unter yy.
173
Frauen lind Kühe durch die Riesen vereint. Der dumme
Peter, der einen Hammer führt, wird Hirte bei 3 Jung-
frauen, deren Kuhhirten stets durch Riesen erschlagen
waren. Auch der dumme Peter sieht an 3 aufeinander-
folgenden Tagen sich Riesen gegenüber, deren letzter auf
der Weide durch eine Falltür aus dem Boden
steigt. Er erlegt die Riesen mit seinem Hammer und
findet unter der Falltür einen unermesslic hen Schatz.
Er heiratet darauf eine der 3 Jungfrauen '). Im Wesent-
lichen hiemit überein stimmt eine niedersächsische Erzäh-
lung ^\ Ein Kuiihirt wird gewarnt in einem Garten zu
weiden, wo 2 Riesen hausen. Mit einem Stock, der Jeden
im Augenblick tötet, nach dem er damit winkt,
erschlägt er die Riesen und befreit so die Königstochter,
die den Riesen als Opfer dargebracht werden soll. Der
Hammer oder Stock (s. oben S. 21. 62) kennzeichnet
den Hirten als Thunar^), die Falltüre bezeichnet den
Zugang zur Hole, in der nach einer älteren Form der
Sage die Frauen sammt den Kühen verborgen waren. Der
Garten in diesen Märchen entspricht der Umzäunung, mit
welcher Vritra die gefangene Wasserfrau umhegt. Dass
diese Annahme richtig Ist, geht aus den Varianten des Mär-
chens aus andern Teilen Deutschlands hervor. Diese Va-
rianten nennen statt der Kühe meistens Schafe oder Hüh-
ner. Wir werden aber später noch gewahren, wie gerade
diese Tiere in unsern Ueberlieferungen häutig an die Stelle
der Wolkenkühe treten. In Schwaben erzählt man, dass
die Schafe eines Edelmanns sammt dem Hirten jedesmal
von 3 Riesen geraubt und getötet werden, welche in einer
Burg eine geraubte Königstochter gefangen hal-
ten. Mit Hilfe einer Pfeife, welche alles tanzen
macht, erlegt ein Jüngling, der sich als neuer Hirte bei
1) Wolf, Deutsche Märchen und Sagen S. 6 fgg.
2) Schambach und Jlüller, Niedersächs. Sagen 294, 20.
3) In einer Variante bei Afzclius, Schwed. Volkssagen übersetzt von
Ungewitter I, 72 geschieht die Befreiung dreier geraubten Schwestern aus der
feuerumwallten Riesenhöle am Donnerstagabend.
174
dem Edelmann anwirbt, die 3 Riesen und erwirbt die Kö-
nigin'). Die Pfeife ist wiederum Symbol des Sturmlieds
(der Maruts) welches alles tanzen macht ^). Ein an-
derer Edelmann gebietet seinem Hirten drei Täler zu mei-
den, weil dort jedesmal die Herde von Riesen ergriffen
werde. Der Hirte übertritt das Gebot, erlegt aber in drei
aufeinanderfolgenden Tagen die Riesen, von denen er den
einen mit seinem Hirtenstab erschlägt, den andern
mit einem Spiefse ersticht, den dritten mit einem Stein-
wurfvor die Stirn tötet. Sobald einer der Riesen ge-
fallen ist, sieht der Hirte plötzlich ein prächtiges Sc bloss
vor sich stehen, in welchem er ein Schwert und daneben
eine Flasche Wein findet. An dieser ist ein Zettel be-
festigt mit den Worten;
Wer diese Flasche trinkt
Und dieses Schwert regiert,
Der zwingt den Teufel.
In der Folge soll der Edelmann seine Tochter dem Teu-
fel übergeben. Durch den Genuss jenes Weines
übermenschlich stark gemacht, bekämpft ihn der Hirte
dreimal auf einem Berge, wobei der Teufel zuerst als
Schlange, dann als Drache, endlich als feuriger Adler
erscheint. Die Jungfrau heiratet ihren Erretter ^). Hier
ist der Wolkendämon in 4 Gestalten, die drei Riesen und
den Teufel (Schlange, Drache, Adler — man erinnere sich,
dass die Räkshasen in der verwandten Geiergestalt erschei-
nen) auseinandergefallen. Der Wein, durch den der Be-
freier (gavämgöpati s. o. S. 3) sich stärkt, ist das W ol-
iv eugewässer, der Söma. Diese Deutung bewährt sich
durch K, M. No. 60, wo der junge Jäger vor dem Kampf
mit dem Drachen, der eine Jungfrau entführen will, auf
dem Berge in einer Kapelle drei gefüllte Becher findet
1) Meier, Märchen No. 29. S. 101 fgg. vgl. S. 306.
2) Kuhn, Zeitschr. f. vgl. Sprachf. IV, 115 fgg. Rigv. I, 85, 10 werden
die das Sturmlied blasenden Manits als Flötenspieler dargestellt. Kuhn
a. a. 0.
3) Meier, Märchen S. 1 fgg.
und dabei die Schrift: „Wer die Becher austrinkt
wird der stärkste Mann auf Erden und wird das
Schwert führen, das vor der Türschwelle ver-
graben liegt (vergl. Thors von Thrymr vergrabenen
Hammer). Ebenso vermag nach einem norwegischen Mär-
chen ein Königssohn das rostige Schwert, mit dem er ei-
nen zwölfköpfigen Trollkönig erschlagen soll, erst
dann zu schwingen, nachdem er aus einer dabeistehenden
Flasche einen guten Zug getan. Der Trollköuig hält hin-
ter einem Meere, das man erst in Zeit von 7 Jahren
durchschifft, 12 geraubte Königstöchter gefangen '), Ein
weiterer Zug, der die Riesen als Wolkendämonen charak-
terisiert, ist der Besitz grofser Schätze. So sagt die
Riesenjungfrau Gerör, als Skiruir ihr den Goldring Draup-
nir bietet:
era mer gulls vant Nicht hab ich Goldmangel,
i göröum Gymis Da ich in Gymirsgard
at deila fe fööur. Den Vaterschatz teile ^).
Auch Thrymr rühmt sich vieler Schätze und Kostbarkei-
ten^). Die Schätze der Riesen si3ielen in den Ueberliefe-
rungen des nordischen und deutschen *) Volkes eine grofse
Rolle. Das Gold heifst „der Riesen Mundsprache, Stimme
oder Wort (jötna munntal, rödd, orö)^j." Des Riesen Schätze
zu erobern ziehen Helden aus. Diese Schätze bestehen
nun nicht allein in Gold, sondern auch in andern wunder-
baren Dingen, einem Goldpferd, dem wir beim eddischen
Riesen Hrüngnir wiederbegegnen werden, einer Gold-
lanipe''), einem Gold pelz oder Gold feil'), Goldhü-
1) Asbjörnsen luid Moc übersetzt von Bresemann S. 10 fijir-
2) Skiniisför 21.
3) IjölÖ ä ek meiÖma, fjöl"?? ä ok menja ,,vicl hab ich der Kleinode,
viel hab ich der Halsketten." Thrynisqu. 23. Vergl. oben S. 162, Anm. h.
4) S. z.B. Schambac'h nnd Müller, Niedersächs. Sagen 297, 21. Ta-
bart, Populär fairy tales ,,Jack the giautkiller" S. 136 fgg. Müllcnhoff, Sa-
gen S. 450 fgg. Schwed. Volkswagen übers, von Oberleitner S. 344.
5) Skäldskapami. k. 32. Sn. E. I, 336. vgl. die Strophe Bragis. Skild-
skap. k. 38. Sn. E. I, 350. BragaraSur k. 56. Sn. E. I, 214.
6) Schwed. Volkssagen übersetzt von Oberleitner S. 30. 39.
7) Schwed. Volkssagen S. 35 fgg. 345. Dybeck, Runa 1843 IV, 33.
Asbjörnsen und Moe No. 1. S. 1 — 8.
176
nern'), einer Goldliarfe-), einem Goldbock und ähn-
lichen Dingen. Dieselben sind alle Symbole himmlischer Er-
scheinuniren. So heifst es von dem Goldschwert, das einer
dieser Riesen besitzt, ausdrücklich: „dass es jedesmal
laut tönte (donnerte}, wenn er zornig war'');" offen-
bar ist darunter Blitz und Donner gemeint. Auf die Hü-
ner als Gewittersymbole kommen wir weiterhin noch wie-
der zu sprechen, vorläufig sei an Zeitschr. f. D. Myth. II,
327 erinnert. Die Goldharfe ist wiederum wol nichts an-
deres als Abbild des Blitzes und Donners, Eben diese Be-
deutung könnte die Goldlampe haben*). Da jedoch da-
neben eine Mondlampe vorkommt^), so möchten darun-
ter die Gestirne zu verstehen sein, welche der Wolkendä-
mon verbirgt, zumal da in einzelnen Sagen ausdrücklich
erwähnt wird, dass der Riese diese Kostbarkeiten
gestohlen habe*^). Das Goldfell steht dem goldenen
Vliefs der griechischen Sage gleich, es ist die bhtzdurch-
znckte Gewitterwolke^). Der Goldbock kommt in meh-
reren verschiedenen Ueberlieferungen vor. In dem schwe-
dischen Märchen vom Pinkel besitzt ihn ein Riesenweib.
Der Bock hat goldene Hörner, woran kleine Glok-
ken befestigt waren, die einen schönen Klang
gaben, wenn das Tier sich bewegte. Es musste
Nachts immer in der eigenen Stube der Riesin schlafen.
Pinkel, der nachher die Königstochter heiratet, erobert die-
sen Bock ®). In einer ditmarsischen Sage wird ein men-
schenfressender Riese von einem Knaben, der sammt sei-
ner Schwester in seine Gewalt gekommen ist, überlistet
und dem Tode nahe gebracht. Zur Hauptlösung schenkt
1) Schwed. Volkssagen S. 25 fgg. Jack and the beanstalk. Tabart 205.
2) Schwed. Volkssag. S. 25 fgg. Jack and the beanstalk. Asbjörnsen No. J.
3) Schwed. Volkssagen S. 28.
4) S. Kuhn, Zeitschr. f. D. Myth. III, 386.
5) Schwedische Sagen S. 46.
6) z. B. in Jack and the beanstalk. Tabart a. a. 0. 205 fgg. KHM. IIP, 322.
7) Vergl. oben S. 43. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. V, 146. Auch der
-ni-:i).o<i der 'yl&ijrt] 'Eoyavrj hat dieselbe Bedeutung. S. Lauer, S^ystem der
Griech. Myth. 371 fgg. 346. 348. 374. 378.
8) Schwed. Sagen S. 35 fgg. vgl. S. 345.
177
er dem Jüngling eine alte Kittelkittelkarre mit zwei
Böcken davor und sieben Säcke Geld hinterher.
Der Riese setzt ihnen nach, wird aber von dem Jünghng
getötet'). Zwei Geschwister geraten zu einer Menschen-
fresserin und ihrem Mann in ein Haus, dessen ganze Sce-
nerie sich als Holdas Brunnenwiese (K. H. M. No. 24) kund-
giebt. Sie müssen hier 11 Stuben kehren, die 12te ist ih-
nen verboten. Sie öjffnen dieselbe dennoch und finden darin
einen kleinen Wagen, mit einem kleinen golde-
nen Rehbock bespannt. Diesen Wagen hatten der
Menschenfresser und seine Frau gestohlen und
den rechtmäfsigeu Eigentümer ermordet. Die Kinder ent-
fliehen auf demselben, der Menschenfresser und seine Frau,
die ihnen nachsetzen, ertrinken-). Ganz ebenso habe
ich in einer pommerelleschen Variante von K. H. M. No. 24
vernommen, dass im verbotenen zwölften Zimmer ein gol-
dener Wagen mit zwei goldenen Böcken stand, mit
welchem ein in den Brunnen gefallener Knabe glücklich
entkommt. Ganz entsprechend wird in einer Tiroler Ueber-
lieferung ein Kind von einem wilden Mann mit rotem
Haar und feurigem Bart geraubt und in sein einsames
Waldhaus gebracht, wo die Riesin ihm alle Zimmer zu
kehren befiehlt bis auf ein verbotenes. In diesem steht ein
goldener Wagen mit einem goldenen Bocke davor,
dabei eine goldene Peitsche^). Das Kind fährt schnell
wie der Wind auf dem Wagen davon, der wilde Mann
setzt ihm nach und ertrinkt*). Ein schwedisches Mär-
chen erzählt, dass eine Jungfrau 7 Jahre von dem Meer-
weibe gefangen war sammt vielen andern edeln Königs-
kindern. Ein Jüngling befreit sie. Sie fliehen auf einem
gold gesattelten Hengst und einer silb er gesattelten Stute
(vergl. o. S. 123 fgg.)? die Meerfrau setzt ihnen auf einem
Bocke nach, der hundert Meilen läuft ^). Eine unbefan-
1) MüUenhoff, Sagen S. 445.
2) Bechstein, Deutsches Märchenbuch' 78.
3) Vergl. Indras goldene Peitsche oben S. 120.
4) Zeitschr. f. D. Myth. II, 184.
5) Schwedische Sagen S. 289.
12
178
gene Vergleichung dieser Sagen ergiebt leicht den ursprüng-
lichen Sinn. Der Bock, die Wolke (s. oben S. 63) wel-
che gewöhnlich Thunars Wagen zieht (s. S. 122), ist durch
Diebstahl ') in Besitz des Riesen, des Wolkendämons (Vri-
tri) und seiner Mutter oder Gattin gekommen. Diese sind
es zugleich, welche die Wasserfrau oder die Wasserfraueu
7 Monate gefangen halten. Thunar befreit die Geraubte,
die hier als seine Schwester, wie sonst als seine Braut oder
Gemahlin Devapatni erscheint, indem er mit ihr auf dem
Bocke davoneilt. Der Gewittergott tötet den Riesen, der
als Regenschlange zur Erde sinkt, daher nach anderer Ge-
stalt der deutschen Mythe im Wasser umkommt. Da
die Wasserfrau gleich Holda, der im Kiüderbrunnea sitzenden
Göttin ist, diese aber sammt ihrem ganzen Wohnsitz im
Winter von den Wolkendämonen eingeschlossen ist, so er-
klärt si«h deutlich, weshalb der Wohnsitz des Riesen ei-
nerseits wie Holdas Brunnenreich geschildert wird, ande-
rerseits die Riesin auf dem irdisch (localisierten) Meeres-
grund wohnen kann. Dass dieser letzte Aufenthalt nur
eine spätere Localisierung, nicht das Ursprüngliche ist,
geht schon daraus hervor, dass andere Ueberlieferungen
das Riesenhaus in einem Walde liegen lassen. Vollständig
gesichert wird unsere Deutung des Riesen als Wolken-
dämon sein, wenn man zugiebt, dass die im folgenden Ab-
schnitt „Holda und die Körnen" für die Bedeutung des
Brunnenreichs der Holda als der Wolke beigebrachten Be-
weise positiv und sicher sind. Das feurige Haar und
der rote Bart des Riesen in der Tiroler Sage erklärt sich
daraus, dass er als Wolkendämon an der Gewitternatur
Teil hat und Thunar Blitze ento-esrensetzt. So ist Rau-
hina oder Röhina, der Rötliche, ein Name des indi-
schen Wolkendämons ^) und Hidimba hat roten Bart und
1) Man erinnere sich, dass Loki = Vritra S. 85 Dieb des Bockes
pjofr hafrs heifst.
2) Diesem Rauhina könnte eine Rauhinä zur Seite gestanden haben, de-
ren Name gothisch Raugiia lauten müsste. Dies wäre, da g vor n häufig aus-
fällt, altnordisch Räu. Denn altnord. ä entspricht oft altem au; z. B. när
der Tote, när Schiff, o. Fluss, ä Schaf, här hoch, flä abhäuten = skr. na9u,
179
rotes Haupthaar. Auch sonst wird der Riesen Bart her-
vorgehoben, z. B. bei Hymir. Eine Pflanze strongyhuin,
fucus fihformis heifst Riesenbart l^ursaskegg.
Wir sind hiemit schon auf die Vorstelhing gekommen,
dass die Riesen als alte Wolkenwesen Thunar Blitz und
Donner entgegensetzen. Dies spricht sich auch aufserdem
nicht allein in dem allgemeinen Zuge aus, dass die Jöt-
nar dem Asenzorn (Asmoör) Thors s. o. S. 128 ihren
Riesenzorn (Jötuumoör) trotzig entgegensetzen, sondern
ein Jötunn oder Thurs heifst gradezu Thrymr d. i. Donner
von ]?ruma, ]>rymja donnern '). Von diesem Riesen heifst
es, er habe Thors Hammer gestohlen und 8 Rasten unter
der Erde verborgen. Er begehrt die Wasserfrau Freyja,
an deren Stelle Thörr als Weib verkleidet zu ihm kommt,
worauf diesem der Hammer in den Schofs gelegt wird.
Der Gott tötet damit den Riesen und sein ganzes Ge-
schlecht. Man sieht deutlich die Bedeutung dieser Mythe.
Der Wolkendämon hat während der 8 (7) Wintermonate
die Gewitterwaffe Thors gestohlen und in seiner Burg
Thrymheimr d. i. Donner heim verborgen, er der die
Wasserfrau zur Däsapatni macht. Regenlos hängt die
Wolke am Himmel. Thorr muss, um seine Gewitterkraft
wieder entfalten zu können, selbst die Gestalt der Wasser-
frau annehmen, den Himmel mit Donnergrau überziehen.
fiy.vq, goth. navis, naus; lat. navis; aqua, gotli. ahva, ahd. ouwa; ovis, goth.
AVI (in avistr, der Schafstall), ahd. ouwa, mhd. ou; goth. hauhs, ags. heäh;
ahd. flawian, mhd. fiöuwen. Somit hätten wir flir die Wolkenriesin Ran,
in deren Halle Gold statt brennenden Lichtes diente (s. oben S. 82
fgg.) einen schicklicheren Sinn, als »S. 84 gewonnen. Erst später wird man
die rötliche in die raubende umgedeutet haben. Diese Annahme wird
um so wahrscheinlicher, als nur durch sie die Uebereinstimmung von Ran
und Rauni erklärbar wird, da nur das aus au entstandene d einen in au
spielenden Laut schon zur altnordischen Zeit besafs (vergl. Gramm I^, 455
fgg.). Wie man dazu kam Raugn, Ran zur Gemahlin Ukkos zu machen, ist
leicht erklärlich, wenn man bedenkt, dass ITkko in früherer Zeit den Finnen
Aka, Aga gelautet haben muss (vergl. türk. mongol. aka, jakut. aga. Ca-
stren, Myth. 27) und eine Identificierung desselben mit dem Wolkendämon
Agi um der Namensähnlichkeit willen sehr leicht war. Zu gleicher Zeit er-
hellt, wie sehr mit Unrecht Wolf und Zingerle, Zeitschr. f. D. Myth. II, 186
den rotbärtigen Biesen auf Thunar deuten.
1) J. Grimm, Namen des Donners S. LS, VIII.
12*
den Göttertrank des Himmelsgewässers sich schaffen s. o.
S. 99 fo"o-. Lüstern naht ihm der Dämon, um das neue Re-
geno-ewölk auch mit sich zu vermählen. Da gewinnt Thorr
seine Gewitterkraft wieder und Blitz gegen Blitz, Don-
ner o-eo-en Donner beginnt der Kampf, in welchem der
Gott die Wolke aus den Banden des Winters befreit, Thrymr
und sein ganzes Geschlecht vernichtet. Wir sahen oben
S. 166 dass diese Mythe auch deminder bekannt war, in-
dem Indra aus gleichem Grunde die Gestalt einer Frau
annimmt ').
Dem Namen des Riesenlandes Donnerheim entspricht
dann auch der in der Edda mehrfach wiederkehrende Zug,
dass die Riesenwohnung von flackernder Flamme (vafrlogi},
heftigem Brand (eikinn für), heifser Lohe (hrettr logi) um-
geben (slunginn) ist '^), Der Sitz des Riesenvolks in
Fiölsvinusmäl (})ursa ))iö8ar sjöt) heifst daher selbst Hyrr
d. i. Glut. Es kann kein Zweifel sein, dass unter dieses
Waberlohe das Blitzfeuer zu verstehen ist, dass der Dä-
mon dem eindringenden Gotte entgegensetzt, da zur vollen
Bestätigung der eben besprochenen Vorstellungen in meh-
reren Sagen beil- oder st ein werfende Riesen vorkommen,
worunter nach §. gg. wol nur blitzwerfende Wesen verstan-
den werden können. Die schwedische V^olkssage weifs von
Riesen, die wenn Thors Blitz durch die Luft fährt, aus
Furcht davor in manchen Gestalten zumeist als Knäuel
oder Kugeln vom Berge herab auf die Wiesen rollen
und bei den Mähdern Schutz suchen ^).
1) Dem Diebstahl des Hammers während der 7 (8) Wintermonate ver-
gleicht sich, dass nach dem Volksglauben der in die Erde gesunkene Donner-
keil erst in 7 Jahren wieder an die Oberfläche emporriickt. Kuhn beweist
Zs. f. D. Myth. III, 179 fgg. dass die alle sieben Jahre erscheinende weifse
Frau, die die sieben Wintermonate von dem Dämon eingeschlossene
Wasserfrau ist. Die sieben Jahre sind mythisch an die Stelle ebenso vie-
ler Monate getreten. Folgerichtig muss der häufig vorkommende Sagenzug,
dass eine Königstochter 7 Jahre von Riesen gefangen ist, oder bei den Zwer-
gen weilt, dieselbe Bedeutung haben.
2) Skirnisfdr 8. 17. Fiölsvinnsmäl 2. 5. 31. 32. HyndluljoÖ 45.
3) Afzelius, Sagohäfder I, 10. Myth.^ 952. Ausführlichere Sagen da-
rüber s. Russwurm, Eibofolke II, S. 3/9. S. 249.
1^
Wie die indischen Dämonen bald den Regen zurück-
halten, indem sie Berggestalt annehmend oder Wol-
kenburgen bauend die himmlischen Wasser umschliefsen,
bald als winterliche Mächte die segnenden Naturgewalten
des Sommers fesseln, bald als Nachtschatten die Lich-
ter des Himmels verhüllen, lassen sich ganz entsprechende
feine Unterschiede zwischen den germanischen Riesen be-
obachten. Zunächst treten unter den Riesen die Berg-
riesen (bergrisar, bergdauir) ') hervor, welche die Snor-
raedda als Thors Feinde nennt; als ihr Töter heilst der
Gott brjotr bergdaua^), Brecher der Bergriesen. Mit die-
ser Benennung werden die Jötnar belegt, weil sie entwe-
der im Berge wohnen, wie Vritra (vergl. die Namen
bergbiii ^), hraunbüi, jnissin af biargi '*), hraunvalir ^), berg-
danir "), oder weil man ihnen Steinkörper zuschrieb (vgl.
die Riesennamen Jarnsaxa, Jarnhaus, die Eisensteinige, Ei-
senschädel). Auf die erstere Art der Riesen bezieht sich
folgende Sage. Ein schwedischer Högbergsgubbe (Berg-
greis), den ein Bauer, um ihn sich freundlich zu erhalten
einladen liefs, sagte ab, so gern er das Mahl mitgenom-
men hätte, weil er vom Boten vernahm, dass aufser Chri-
stus, Petrus und Maria auch Thörr erschemen werde.
Den letzteren scheute er '). In der jütischen Variante die-
ser Sage ®) steht für Thörr Tor den veir, Donnerwetter.
Ein Beispiel der zweiten Art bietet der Riese Hrüngnir.
Sein dreikantiges Herz ^) und sein gewaltiges Haupt
waren von hartem Stein, von Stein ebenso sein brei-
ter Schild. Auf seinem goldmäh uigen Rosse Gull-
1) Weitere Bezeicbnuiigen des Bergriesen sind fjallgautr, fjangyllör, byr-
gityr bjarga, bergdolgr, hellisbör, giliagramr, in der Mehrzahl flöcü-ifsdauir.
2) nC-misqu. 17.
3) Fornaldarsög. I, 412.
4) Ibid. n, 29.
5) Hvmistiu. 36.
6) Ibid. 17.
7) Nyerup, Morskabläsning 243.
8) Mülbech, Eventyr 359.
9) Gradeso heifst es von Vritra: „antar Vritasya jathareshu parvafah"
„in des Vritra Bauch standen die Berge" d.i. die Wolken. K. V.
Rosen LIV,' 10.
182
faxi mit 08inn in die Wette reitend kommt er nach As-
garSr und verlangt trunkenen Mutes die Göttinnen Freyja
und Sif mit sich zu führen. Da erscheint Thorr, der ihn
ernstlich bedroht und auf Griottünagarör zum Zweikampf
mit ihm schreitet. Thors Erscheinen ist durch Blitze und
starke Donnerschläge bezeichnet. Er schwingt den Ham-
mer Mjölnir und wirft ihn schon aus der Ferne gegen den
Riesen, der ihm seinen Schleifstein entgeorenschleudert.
Dieser trifft im Fluge des Gottes Gewitterwaffe
und bricht entzwei, ein Zug, den wir auch in Indien
nachgewiesen. Der Hammer aber triflpt Hrüngnir mitten
ins Haupt und zerschmettert ihm den Schädel in kleine
Stücke '). Man könnte hier einmal wieder glauben ein Ve-
denlied auf Indra vor sich zu haben, so wörtlich ist die
Uebereinstimmung der nordischen und indischen Sage. Zu-
nächst bemerken wir, dass altnordisah klakkr Fels und
getürmte Wolke zugleich bedeutet und dass derselbe Be-
griflfsübergang in ags. clüd Fels und engl, cloud Wolke
sich findet *) , gradeso wie in Indien die Ausdrücke für
Fels und Wolke gleichlautend sind. Siehe oben S. 155.
Hiefür haben wir auch in der Edda selbst ein bestimmtes
Zeugnis. Das erste Lied von Helgi Hundingstöter sagt in
Beschreibung einer Sturmnacht: Aare klangen, heilige
Wasser rannen von Himmelsbergen (arar gullu, hnigu
heilög vötn af himinfjöllum). Die Aare sind Personi-
ficationen der Sturmwinde^), die heiligen Wasser Ge-
wittergüsse'*), somit können die Himmelsberge^) nur die
1) Daher heifst Thorr in der Thörsdiapa des Skäldeu Bragi des Alten:
haussprengi Hrüngnis Schädelsprenger Hrüngnirs.
2) Grimm, Gramm. I', 424. Biörn, Lex. Island 425. Zeitschr. f. D.
Myth. III, 378.
3) Der Sturm erscheint oft in Adlergestalt, so in den nordischen Mj--
then von Thiassi, Egdir und Hrsesvelgr. Vergl. Uhland, Mvthus von Thorr
S. 23.
4) Der Ausdruck heilög vötn begegnet auch Grimnism. 29 für die
himmlischen Gewässer, welche Thorr dui-chwatet. Vgl. Uhland a. a. O.
Zeitsclir. f. D. Myth. II, 298. s. oben S. 147.
5) Der Ausdruck himinfjöll Himmelberge kehrt noch einmal in Thio-
dölfs Ynglingatal nieder. Ich suchte Zeitschr. f. D. Myth. II, 309 auch hier
die Bedeutung Wolke nachzuweisen.
183
Wolke bedeuten. Heimdallr, den wir nunmehr (vgl. Zeit-
schr. f. D. Myth. II, 309 fgg. III, 117. oben S. 85. 125)
als Gewittergott nachgewiesen betrachten dürfen, heilst
horn}>ytvaldr himinbjarga der Himmel berge Hornbläser.
Diese Himmelberge Himinbjörg werden als Heimdalls
Wohnung genannt, wo er klaren Met (das Wolkengewäs-
ser) trinkt. Sie stehen den S. 186 zu berührenden Aus-
drücken grummeltörn, witte torn, Bisaborg für die Gewit-
terwolke gleich '). Sehen wir hieraus, dass in der Tat die
Auffassuno; der Wolke als Bers im germanischen Alter-
tum lebendig war, so tritt Hrüngnir deutlich als der berg-
gestaltete Dämon der dunkeln Gewitterwolke hervor, der
auf dem goldmähnigen Blitzross mit dem Sturm (OSinn) in
die Wette jagend die Wasserfrau (Freyja) entführt und
wirklich gefangen hält^), bis Thorr dazukommt und ihm
in heftigem Kampf den Schädel zerspaltet. Die weitere
Ausschmückung des Kampfes in der Snorraedda ist ein
später Ansatz, welcher dem Skalden Thiodölfr, der im 9ten
Jahrhundert in seinem berühmten Höstlaung Thors Streit
mit Hrüngnir besang, noch nicht bekannt war und ebenso
1) Es ist noch zu erinnern, dass es von Heimdallr heifst Grininisni. 13:
Himinbjörg eru en ättu, en |>ar Heimdali kveÖa valda veum, grade wie
Thorr vorzugsweise als Veorr, Haröveorr, MiögarSsveorr genannt wird.
Vergl. Uhland a. a. 0. 28.
2) Dies besagte trotz meines Zweifels Zeitschr. f. D. Myth. II, 330 fgg.
die ältere Mythe. Ich wies jedoch a. a. 0. nach, dass die Hrüngnirmythe in
eddischer Zeit bereits ethisch aufgefasst und daher der Raub Freyjas auf Sif
ausgedehnt wurde. Oder lag auch in dieser Sage Thors ältere Gemahlin, die
Wolken- oder Sonnengöttin der Sif zu Grunde? Ich glaube fast. Dass der wirkli-
che Raub sich in ein blofses Begehren des Riesen nach den Wasserfrauen
verwandeln konnte, ist leicht erklärlich aus dem Bestreben die Würde der
Asynieu aufrecht zu erhalten; übrigens bemerkte ich schon, dass die in der
Skälda erhaltene Benennung Hrüngnirs ,,j>iofr Thrüöar" „Dieb der Thruör,
der Tochter Tliors" uns noch Kunde von dem tatsächlichen Vorhandensein
eines Mj'thus giebt, wonach Hrüngnir den Raub einer Göttin, einer Anver-
wandten (Devapatni) Thors ausführt. Während bei unserer Deutung der
Bergriesen alle Züge der Sage deutbar sind, gesteht Uhland, der an der al-
ten Gleichstellung der Riesen mit den starren, unbeweglichen irdischen
Bergen festhaltend, in Thors Kampf mit Hrüngnir die Zei-sehmetterung des
Felsgebirgs durch den Blitz zur Urbarmachung der Erde sieht, dass bei
seiner Erklärung das Ross Gullfaxi eine unlösbare Rune biete und auch
der Baub der Göttinnen nur eine sehr gezwungene Deutung zulasse. (Uh-
land, Mythus von Thorr S. 45, Anm. 19J.
_184 _
wenio; in den älteren Eddenliedern oder Skaldengesängren
jemals durch eine Andeutung bezeugt wird. Entsprechen
somit die Riesen mit dem Steinkörper dem bergge-
staltigen Vritra, so werden wir in den im Berg wohnen-
den Bergbüar, Bergdanir das Bild des in dem Wol-
kenberge wohnenden Dämons nicht verkennen können.
Jacob Grimm bemerkt*): „Ssem. 85*^ sind Jötnar und
Hrim|jursar nebeneinander aufgerufen, es muss also zwi-
schen beiden ein feiner Unterschied liegen, den ich in dem
vorgesetzten hrim (Reif; sehe." Er hat Recht. Die Hrim-
J)ursar (Reifriesen) sind die Wolkendämonen in ihrer Ei-
genschaft als schädliche Wintermächte. Hrimkaldr (reif-
kalt) ist ein Beiwort für jötunn oder l)urs überhaupt; Hrim-
nir, Hrimgrimr, Hrimgerör sind riesische Eigennamen. Wie
Vritra im Winter seine eisige Wolken bürg errichtet,
worin er die Wasser fr au und die erwärmenden Licht-
strahlen des Sommers einschliefst, so erbietet sich ein
Bergriese den Göttern in einem Winter eine Burg
zu bauen ^). Er verlangt zum Lohn dafür Freyj a, Sonne
und Mond. Am ersten Wintertage beginnt die Ar-
beit, sie soll bis zum ersten Sommertage vollendet
sein. Ist die Burg dann nicht geschlossen, so soll der Riese
Freyjas, der Sonne und des Mondes verlustig gehen. Das
Riesenross Svagilfari Eisfahrer schleppt mächtige Bau-
steine herbei und schon naht sich der Bau seinem Ende.
Da wird des Bergriesen Arbeit unterbrochen. Er gerät in
Jötunzorn und Thörr tötet ihn mit seinem Blitzham-
mer. Die Snorraedda, welche diese Sage erzählt'), ver-
flicht damit einen andern Mythus, wie Loki als Stute mit
dem Pferde des Bergriesen ÖSios Ross Sleipnir zeugte (s.
oben S. 86). Uhland bemerkt aber schon mit Recht ^) „die
Entstehung des Rosses Sleipnir gehört nicht zum Haupt-
bestande des Mythus." Denn weder die Völuspä, welche
Str. 29. 30 unsere Sage andeutet, erwähnt etwas dar-
1) Myth.2 487.
2J Gylfag. 42.
3) Mythus von Thörr 111.
185
über'), auch findet sich nur die leiseste Andeutung davon
in der weitverbreiteten nordischen Volkssage, welche unsern
Mythus in einer älteren Gestalt als die aus dem kunstmä-
fsigen Skäldengesang hervorgegangene Erzählung der Snor-
raedda bewahrt. Ein Riese, heilst es in derselben, ver-
pflichtet sich dem h. Olaf, der in den Riesensagen stets
Thorr vertritt, den Bau einer Kirche von wunderbarer
Gröfse mit Pfeilern und Zierraten innen und aufsen aus
hartem Flinsstein in bestimmter Zeit allein zu vollen-
den. Zum Lohn bedingt er sich Sonne und Mond oder
den h. Olaf selbst. Schon ist das Werk fertig und selbst
die Spitze aufgesetzt, als der Riese bei Nennung sei-
nes Namens mit schrecklichem Krach vom Dachkamme
stürzt und in viele Stücke zerspringt, die lauter Flins-
steine sind^). Der Name des Werkmeisters lautet je
nach den verschiedenen Fassungen „Vind och Veder" (Wind
und Wetter) , Bläster (Bläser) , Skalle (der Kahle) , Slätt
(der Glatte) ^). Es sind Bezeichnungen winterlicher Natur
überhaupt^ welche nicht mehr streng die Grenze einhalten,
welche den alten vedischen Winterdämonen gestellt war.
Doch ist kein Zweifel, die Burg oder Kirche unserer
Mythe ist der Bau eines in der Luft waltenden Wiuter-
dämons, der die Göttin Freyja, Sonne und Mond ihrer
wohltätigen Wirksamkeit berauben will, sie mit der einge-
frorenen burgähnlichen Wolke umgiebt, verdeckt. Die
Begriffsübergänge des Gewitterdämons, des Wind- und
Winterriesen in einander, zeigt deutlich der Name des
Riesen Vindsvalr der Windkalte, welcher der Vater des
1) Die der Erzählung der Völuspä zu Grunde liegende ältere Fassung
des Mythus, in Str. 29. 30 Munch und Unger, nach alter Zählung 23. 24 scheint
noch die ältere Form gekannt zu haben, dass nämlich der Riese sich Frey-
jas wirklich bemächtigt. Es heifst: Da gingen alle Götter zu den Kich-
terstühlen und berieten, wer die ganze Luft mit Verderben gemischt
(hverir heföi lopt all lajvi blandit) oder dem Jötunsgeschlecht 0(5s Braut
gegeben habe (eßa rett jötuns ÖÖs mey gefna).
2) Myth.2 515. 516. Iduna Stockholm 1824 Heft 3^ 60 fgg. Lex.
myth. 351. 352.
3) Vindr, Skalli und Kaldgrani kommen bereits unter den Jötnahciti
im Eddenbruchstück Arni Maguussens No. 748 Sn. E. U, 470, sowie in den
Eddtubruchstücken No. 757 und No. Ie,9 derselben Sammlung vor.
186
Winters ist (Vindsvalr heitir, hann er vetrar f'aöir) '),
ferner das isländ. Wort klösigi Klauensenkung für eine
dreizackisre Sturm verkündende Wolke, welchen Aus-
druck schon der gelehrte Guunar Paulsen auf den weiter-
hin zu besprechenden Riesen HrjBsvelgr bezog. Heifst doch
in Thüringen noch heute ein Wolkengebilde „de witte
törn" (der weifse Turm) ^J. In Westphalen bezeichnet
grumraeltorn d. i. Dounerturm die Gewitterwolke, „de
grummeltörn stigt op" die Gewitterwolken türmen
sich ^). Bei den Inselschweden, wo ein Dämon Bisa an
Thors Stelle getreten ist, heifst die dicke Gewitterwolke
B isaborg Gewitter bürg "). Der Ruf St. Olafs, der des
Riesen Tod verursacht, ist Thors Bartruf (s. oben S. 115).
Mit dem ersten Frühlingsgewitter sinkt der Winter-
riese zusammen, die Burg, die Wolke zerfällt, zerfliefst
in woltuenden Regen. Dass dies die ursprüngliche Gestalt
der Sage besagte, geht aus entsprechenden deutschen Ue-
berlieferungen hervor, nach welchen der für den Riesen
eigetretene Teufel, um den Lohn für seinen Bau betro-
gen, imZorndasganzeWerkzusammenschmeifst^).
Trümmer der auseinander springenden Winterburg bleiben
als Felsstücke (d. i. Berge = dunkle regenlose Wolken)
übrig. Durch diese Auseinandersetzunojen wird auch der
Grund deutlich, weshalb unsere Vorfahren ebensowohl als
die Griechen geneigt waren, die Steinbauten der voran-
gegangenen Autochtonen den Riesen zuzuschreiben. Vgl.
die Ausdrücke für alte Bauten: enta geweorc, enta »rge-
weorc, eald enta geweorc "); bürg on berge ho holmklibu,
wriselic giwerk'); we dise bürg stiebte? ein rise in
den alden ziden**)" sowie die nordischen Benennungen
1) Vafjjrüönism. 27.
2) Kubn, Nordd. Sagen, Gebr. 428.
3) Strodtmann, Idiotie. Osuabnig S. 77.
4) Russwurm, Eibofolke II, 248, §. 379.
5) Menzel Odin 20. Beaufort, Legendes No. 5. MuUenhoft", Sagen 402,
,CDXIII.
6) Beowulf 3356. 5431. 5554. Cod. exon. 211, 24. Mvth.'* 491.
7) Helj. 42, 5.
8) Karlmeinet 35.
187^
tr öl 1 ah 1 öd Riesenbauten, tröllkonugargr Hof der Rie-
sin, Riesiunenmauer, trölladyngiur Riesenbauten, tröl-
lakirkia, beute im Norwegischen Gau Söndmor trold-
kirke genannt, Riesenkirche ').
EndHch zählen zu den Riesen auch solche Dämonen,
welche die Schatten der Nacht heraufführen und dar-
unter die Gestirne verbergen. Nött die Nacht ist nach
den Edden die Tochter des Riesen Nörvi, daher sie in
einem Liede des Skalden Egill Skallagrimr Niörva nipt
(Nörvis Verwandte) heifst. Nacht für Nacht kommt aus
den Elivägar (d. i. dem Wolkengewässer s. o. S. 170) die
Rute dieses reifkalten Riesen (l^urs hrimkalda), womit
Däinn (d. i. der Gestorbene) alle Wesen in MiSgarö triflrt
(in Schlaf senkt) ^). Die Thursen schwärmen Nachts um-
her und daher heifst nach ihnen die Abenddämmerung
Riesen dunkel tusmörke. Riesenweiber führen die Bei-
wörter ^) grima (Gespenst, oder dunkele Nacht), geysa
(die Schweifende), gryla (feindliches Gespenst), myrkriöur*),
queldriöur^) (Duukelreiterinnen , Nachtreiterinnen). Steigt
der Tag herauf, so fliehen diese riesischen Wesen.
Da trieb aus dem Tor
Wieder der Tag
Sein schön mit Gestein
Geschmücktes Ross.
1) Den burgzerstörenden Thörr, den wir hier kennen lernen, zeigt auch
eine von Grimm Zeitschr. f. D. Altertum IV, 507 aus Rudbeclis Athiiuica
IV, 70 ausgezogene und auf Thorr gedeutete Sage von Toril, der seinem
Vetter Erik Hochzeit anrichtet. Mit seinem Blitz brennt er das Meer
aus (wenn der Blitz niedei-fälirt regiiet das Wolkenmeer ab; vergl. oben S.
107 die Stelle aus Arjunas Rückkehr VII, 12), da fängt man Fische, mit dem
Blitz verzehrt er die Wälder (wir sahen schon, dass die Riesen im Walde
wohnen oben S. 177 und werden diesen Zug weiterhin erklären), da fängt
man gebratne Vögel, s. o. S. 39. mit dem Blitz äschert er Städte ein
und gewinnt so das Vieh zum Hochzeitsmalil. (Durch die Zerstörung der
Wolkenburg werden die himmlischen Kinder frei).
2) Hrafnagaldr Ogins 13.
3) Lex. myth. 983.
4) HaibarÖsl. 20.
5) Helgaqu-Hjörvardssonar 15.
188
Weit über die Menschenwelt
Glänzte die Mähne;
Des Zwergs Ueberlisteriu (die Sonne)
Zog es im Wagen.
Durchs nördliche Tor
Der nährenden Erde
Unter des Urbaums
Aeufserste Wurzel
Gingen zur Ruhe
Gygien') und Thursen,
Gespenster (näir) und Zwerge
Und Dunkelelbe ').
Dieser Schatteudäinonen Gegner ist nun ebenfalls Thörr,
der davon bani jötna ok tröUquenna, j^röngvir queldrun-
ninna quennu Töter der Jötune und Kiesenfrauen, Bedrän-
ger der Nachtfahrerinuen heifst. Bescheint der Strahl der
aufgehenden Sonne den Jötunn, so wird er in Stein ver-
wandelt''J, oder springt in Flintsteine auseinander*).
J. Grimm beweist aus den Redensarten bei Hans Sachs:
„vor Zorn zu einem Stein springen," „vor Leid wol
zu einem Stein möcht' springen," dass diese Sage auch in
Deutschland gäng und gäbe war. Beim Nahen des die
Sonne wieder heraufführenden Donnergottes zerreii'st die
Wolkendecke des Nachthimmels und ballt sich in einzelne
dunkele Wolkenflecke zusammen. Diese Auffassung bestä-
tigt sich durch deutsche Sagen, welche zugleich beweisen,
dass man auch die nächtlichen Schatten als eine Burg
oder ein Gehege ansah , worin der Dämon die Frauen
und himmlischen Lichter einschloss, bis Thunars Ruf ihn
zwang seine Beute fahren zu lassen ^). Der Teufel bedingt
1) GCgjar siud Kiesenfrauen.
2) Hrafnagaldr OSins 24. 25. Eine ausfuhrliche Schilderung von Thors
oder Freys Kämpfen gegen die Schattenriesen ist uns von Saxo 1. II. in der
Erzählung von Ragnarr und Svanhvit erhalten.
3) Helgaqu-Hjörvardssonar 29. 30.
4) Myth.2 519.
5) Ganz ebenso bezeichnet üdhas oder üdhan das Euter, das wir schon
S. 76. 80 als Bild der Wolke kennen lernten, in den Veden zunächst die re-
genschwere dunkle Wolke, die am Himmel hängt, dann den dunkeln
Himmel, das Dunkel überhaupt. Roth, Nirukta S. 87.
189
sich, indem er die Steins bürg im Grabfeld in einer Nacht
mit drei Mauern zu umgeben verspricht, die Tochter
des ßitters zum Lohn aus wenn er vor Tagesanbruch
fertig sei, aber ihre kkige Amme geht frühzeitig in den
Hühnerstall und macht den Hahn krähen. Da flieht der
Teufel wütend davon '). Wir haben schon Zeitschr. f. D.
Myth. II, 327. 328 nachgewiesen, dass der Hahn Thunars
Vogel ist und sein Krähen die Stimme des Donners
versinnbildlicht. Die ursprüngliche Gestalt der Sage muss
die Burg als eigenen Wohnsitz des Riesen gekannt
haben und auch diese Form ist uns noch in einem nor-
disch-deutschen Märchen erhalten ^).
Der in den Veden häufig vorkommende Zug, dass die
himmlischen Dämonen dem Gewittergott trügerisches
Blendwerk entgegensetzen '^) bildet deutlich die Grund-
lage einer im nordischen Mythus weitausgesponnenen Sage,
wie Thörr auf seinen Zügen nach Osten vom Kiesen Ut-
garöaloki durch vielerlei Trugwerk aufgehalten und
getäuscht wird, siegreich aber alle Schwierigkeiten über-
windet und dem Riesen gewaltige Furcht und Achtung vor
seiner Stärke einflöfst. Bereits Uhland und Wilh. Müller
haben anerkannt, dass die Ausmalung dieses Mythus in
der Snorraedda späteres Gepräge verrate *), aber die Grund-
züge sind alt und echt, z. B. dass der Riese sich vor Thors
1) Bechstein, Sagenschatz des Frankenlandcs I, 262. Verwandte Sagen
sind zusammengestellt in Menzels Odin S. 19 fgg.
2) Asbjörnsen und Moe übersetzt von Breseniann I, No. 28. S. 200 fgg.
„Herr Peter." Hylten-Cavallius und Stephens übersetzt von Oberleitner XII,
S. 222 fgg. „Das Schloss, das auf 3 Goldpfeilern stand." Haltrich, Sieben-
birgische Rlärchen No. 13. S. 63 fgg. ;,Der Federkönig." Vergl. Basile Pen-
tamerone II, 4 (14) Gagliuso, Strapparola Schmidt 180. Perault No. 5, Le
Chat bott(?. Wie Heimdallr manche Züge aus der Mythe des altindogemiani-
schen Gewittergottes reiner bewahrt als Thörr, so erzählt Hrafnag. Oßins 26
von ihm, dass er der Götter Hornbläser bei Tagesanbruch die früh-
tönende (Brücke? Burg?) Ärgiöll liinaufsteigt. Vergl. das Gjallarhorn
oben S. 115 fgg. und die Wörter gjöll Bergliöle (= Wolke?), gjall scoria
ferri, strietura, Hammcrslag, gnister.
3) Auch Oegir heifst im Beginn der BragaraeSur sehr zauberkundig
mjöli fjölkunnigr.
4) Uhland, Mythus von Thorr 70. 74. W. Müller, Versuch einer my-
thol Erklärung der Nibelungensage S. 14.
190
Hammerschlägen mit einem Berge bedeckt, dass Thörr
bei ihm den Drachen die MiögarSsschlange bekämpft nnd
das halbe (Wolken-)Meer austrinkt (vergl. oben S. 92. 99).
Da wir Loki schon oben als einen der Vritra ähnlichen
himmlischen Dämonen nachgewiesen haben (S. 84 fgg. ),
diese aber auch als Riesen gedacht Avurden, so wird nun
auch klar, weshalb er in unserer Sage und bei Saxo als
Riese UtofarSaloki erscheinen kann, und dass die Tren-
nung des UtgarSaloki und Asaloki, so wie die des Oku]>örr
und Asajicrr eine ganz willkürliche, im alten Mythus durchaus
unbegründete ist. W. Müller tat dar '), dass des gefessel-
ten UtgarSaloki Aufenthalt so wie Geirröös Reich, das ei-
ner dunkeln Nebelwolke gleicht (oppidum vaporanti
maxime nubi simile) ein Totenaufenthalt ist. König
Gorm schickt Thorkill (Thorr) zu ersterem, um zu erfor-
schen „quasnam sedes esset exuto membris spiritu petitu-
rus." Beide Riesensitze entsprechen in fast jedem ein-
zelnen Zug der Beschreibung des Totenreichs der Hei
und dass hier nicht, wie Wilhelm Müller meint, allein der
Gedanke wirkte, dass Geirröör als getöteter Riese in der
Totenwelt wohnen müsse, ergiebt sich daraus, dass Loki
nur gefesselt nicht tot gedacht wurde; zudem hat Sim-
rock ausreichend, wenn auch nicht überall mit zutreffenden
Gründen, die Uebereinstimmung mit Hels Totenreich auch
von dem Wohnsitz der lebenden Riesen Hymir und Gy-
mir erwiesen '^). Dies führt uns auf die dem indischen
Glauben entsprechende Vorstellung, dass die Riesen See-
len böser Menschen seien. Aus diesem Grunde woh-
nen die Tossar in Grabhügeln^). Riesennamen sind
Helblindi und Helreginn, Todblind und Todesherrscher.
Brynhilldr muss, um zu Hei zu gelangen, durch das Ge-
höft einer Riesin am Eingang der Totenwelt fahren.
Die Sage, dass die Riesen vor den Menschen die er-
sten Bewohner des Landes waren, geht ihrem ursprüngli-
1) Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen S. 376.
2) Handbuch der D. Myth. 71. 304. 311. vergl. 439. 298.
3) Lex. myth. 982.
J9^1
chen Kern, au den sich freilich sehr viele andere Momente
anknüpfen, auf den Glauben zurück, dass Jene Geister der
Voreltern, freilich böse seien. Ich möchte vermuten dass
Flüche wie: eigi hann jötnar ') mögen ihn die Jötune ha-
ben, J>ik hafi allan gramir '^) dich sollen ganz und gar die
bösen Mächte haben'* in eine dem eddischen Zustand des
nordischen Glaubens vorausgehende Zeit zurückreichen und
bedeuten: „Fahre als Verdammter mit den bösen Geistern
um." Denn wie König Gorms Seele bei Utgaröaloki ili-
ren künftigen Wohnsitz haben soll, so hiefsen Verbrecher
durch die Hinrichtung den Riesen geweiht. Von zwei Räu-
bern Treskegg und Skurfo, die der Jarl Torf-Einarr auf den
Orkneys im 9ten Jahrhundert tötet, wird gesagt:
j)ä gaf hann Treskegg tröllum,
Torf-Einarr drap Scurfu ^).
Zauberische Wiederbelebung Toter nannte man „den Troll
aufwecken at veckia upp troll ^)." Jene Mythe, welche
wir oben vom indischen Rakshasa Hidimba mitteilten, bil-
det einen uralten Bestandteil der germanischen Riesensage.
Dieser zufolge kommt ein Mensch (in der ursprünglichen
bei Indern wie Deutschen verdunkelten Sage natürlich ein
Gott) in die Wohnung des menschen fr essenden Rie-
sen und wird darin von einem mildgesinnten Weibe (der
geraubten Wasserfrau) versteckt. Der Riese kehrt heim
und ruft gleich: „Ich riech', ich rieche Menschen-
fleisch," Ich wittere, wittere Menschenfleisch."
„I smell the blood," „her lugt er saa kristen mands
been^)." Das älteste Zeugnis dieser Sage bietet die H}'-
1) Atlamäl 31.
2) Harbarösl. 60.
3) Heimskringla Haralds llärfagrss. cap. 27, d. i. Da gab er den Tres-
den Trollen, Toif-Einarr erschlug Skurfa.
4) Lex. myth. 849.
5) Myth.* 454. 521. Wie wir bei Hidimba bemerkten, dass die indi-
schen Dämonen Tanz und Spiel lieben (ihre Musik ist wol wieder, nur in
bösem Sinne gleich dem Sturmlied der Maruts) heifst eine traurige Melodie,
nach der die Riesen ilire Keigen auffuhren sollen tusseldands Riesentanz.
Wie der Albleich ist der tröllshättr, tröllaslagr, norweg. troldslaat berühmt.
In gewissen Steinsetzungen sieht das Volk versteinerte Riesentänzer.
192
misquiSa, wo ein mitleidiges Weib Thörr und Tyr vor dem
Riesen Hymir unter einem Kessel verbirgt. Wir müssen
diese Sage mit kurzen Worten näher betrachten. Hymir,
der hinter den Elivägar wohnende Riese ist seinem
Namen nach der Dämmerer, wenn man die Wörter hüma
vesperare, hyma dormiturire in Betracht zieht oder der
Tosende, wenn man J. Grimms Zusammenstellung mit goth.
hiuhma Tilvidog und die daran geknüpften Auseinanderset-
zungen ^) gelten lässt. Auf die letztere Bedeutung würde
auch der Name Ymir führen, den unser Riese in der Gylfa-
ginning trägt. Sein Backenwald ist gefroren, Eis-
berge schallen, als er in den Saal tritt. Er hat ei-
nen so scharfen Blick, dass die kesselbehangene Säule,
hinter der Thörr und Tyr versteckt sind, zerspringt. Bei
dem Riesen weilt ein allgoldenes, weifsbrauigesWeib,
die Mutter des (Himmelsgottes) Tyr. Thörr fordert von
ihm den geraubten Kessel Oegirs (s. oben S. 103), den
der Riese verweigert, bis Thörr Beweise seiner Stärke ge-
geben. Er bekämpft nun mit Hymir ins Meer hinausru-
dernd, die Miögarösschlange, der Hymir zu Hilfe kommt,
worauf Thörr einen steinharten Kelch an des Jötuns Haupte
zerschmettert und auf seinem Kopf den Kessel davonträgt.
In dieser Erzählung sind zwei Mythen verbunden, wie der
abweichende Bericht der Snorraedda zeigt, welche nur
Thors Kampf mit der MiögarSsschlange bei Hymir kennt.
Sie schildert diese Tat als eine Rache Thors für das Blend-
werk, das Utgaröaloki ihm vorgemacht. Folgt hieraus,
dass die Sage zu Snorris Zeit noch ein dunkles Gefühl
davon hatte, dass der MiSgaröswurm und Utgaröaloki iden-
tisch waren, so unterliegt die ursprüngliche Einheit des er-
steren mit Hymir ebenfalls kaum einem Zweifel. Die MiS-
garSsschlauge ist, wie wir oben S. 92 bewiesen, der alte
Wolkendrache Agi = Oegir, von ihm ist Hymir eine an-
dere Gestalt. Wie die vedische Mythe erzählt, dass In-
dra den Vritra, der die zur Dasapatni gemachte Devapatni
1) Ueber die Namen des Donners S. 5.
193
gefangen hält, aufs Haupt schlägt und dann Ahi die
Regenschlange niederstürzt (s. oben S. 77), wie, sage ich,
dort der eine Dämon in zwei Gestalten auseinanderfällt,
die nach einander bekämpft werden, so kommt Thörr zu-
nächst zu Hymir, der, jenseits der Elivägar d. i. des Wol-
kengewässers wohnend, die allgoldige, weifsbrauige
(allgullin, brünhvit) Mutter des Himmelsgottes Tyr (=: Zsvg,
Dyaus) geraubt und gezwungen hat, ihn zum Gesellen (fri)
zu nehmen '), und bekämpft dann bei diesem den Wolken-
drachen. Wäre somit Hymir gleich dem MiSgarSswurm,
so muss er nach S. 92 auch Oegir identisch sein und es
wird dadurch klar, weshalb er in der zweiten Mythe, die
die Hymisquiöa mit jener ersten verbindet, den Braukes-
sel Oegirs das Himmelsgewölbe bewahrt^). Diese zweite
Mythe fasst den Dämon aber von einer etwas anderen Seite,
als die erste. Während der Kampf mit der MiSgargs-
schlange einfach den Bösen darstellt, insofern er das Ge-
wässer des Himmels zurückhält, drückt die Sage von der
Kesselholung denselben Gedanken aus; nur dass, wenn die
Ableitung des Namens Hymir von hüma recht hat, die Tä-
tigkeit des Dämons so aufgefasst Avird, als ob er das die
Himmelsgewässer enthaltende Himmelsgewölbe in kalter
Winternacht einfriert. Wie Thorr den Kessel auf
seinem Haupte zum Göttergastmahl trägt, begegnet uns
in den Veden mehrfach der Ausdruck, Indra trage den
1) Dass diese Auffassung der allgoldenen Frau richtig ist, ergiebt der in
den deutscheu Sagen fast immer bestimmt hervortretende Zug, dass das mit-
leidige Weib, welches den Helden vor dem Eiesen oder Teufel verbirgt,
eine geraubte Königstochter ist. Es lag aber nahe, als der ursprüng-
liche Sinn der Mythe verdunkelt wurde, die Däsapatni als Frau des Kiesen
zur Kiesin selbst zu machen, wie in der Hymisquiöa daraus sogar noch wei-
ter geschlossen ist, dass Tyr riesischer Ablvunft sei. Aus diesem Grunde über-
nimmt denn auch in manchen deutschen Märchen und Sagen des Riesen Frau
oder Mutter, des Teufels Grofsmutter u. s. w. die mildtätige Rolle. Auch in
der Sage von Hidimba wird die Schwester des Räkshasa aus gleicliem Grunde
an die Stelle der alten Wasserfrau getreten sein, die den zu ihrer Befreiung
nahenden Helden wol empfängt.
2) Wird durch Oegirs oder Thors Braukessel klar, warum die Schätze
in den deutschen Sagen stets in Braukesseln oder Braupfannen versunken
sind? Das Rücken dieser Schätze fand schon S. 151 aus dem himmlischen
Schatz in der Wolke seine richtige Erklärung.
13
194
Himmel, „Indra, du setztest den Himmel dhä dyava'^,
„er stützte den Himmel" stambhit dyäm. Wir sehen
hier wieder die Berührung der Wolken-, Windes- und Nacht-
riesen. Der Kelch des Riesen, den Thörr an desselben
Haupte zerschmettert, scheint wieder eine mir noch
nicht ganz verständliche Form der vom Gewittergott zer-
schellten Waflfe des Dämons, s. oben S. 182 "). Die Hymis-
mythe bewahrt auch das germanische Seitenstück zu dem
oben S. 160 erwiesenen scharfen Blick der Räkshasas,
der sich wol auf dieselbe Weise erklären wird, wie Thors
feurige Augen ^). Wir wollen hier gleich bemerken, dass
wie die Räkshasas schlau heifsen, die Riesen als hundert-
fachweise (hundvis) bezeichnet werden ''). Bergelmir führt
das Beiwort „inn fröSi (der kluge) Jötunn*)" und alsvitr
ist eine Bezeichnung Vafthrüönirs ^).
Wir sahen bei Hrünguir und dem riesigen Baumeister,
der die Winterburg errichtet, den Raub der Sonne, des
Mondes und einer Göttin in der eddischen Tradition bis
auf wenige Spuren des alten Verhältnisses gemildert und
in ein blofses Gelüst nach denselben umgewandelt, durf-
ten aber eine wirkliche Entführung mit Sicherheit für
eine ältere Gestalt des Mythus vermuten, in Uebereinstim-
mung mit der trejßpenden Bemerkung Wilhelm Müllers bei
Gelegenheit einer Untersuchung über die Schwanensage ") :
„Gar oft hat man in Mythen dasjenige, was nur geschehen
soll, aber verhütet wird, als wirklich geschehen zu fassen,
um den Zusammenhang des Ganzen zu erkennen." Von
einem anderen Riesen Thiassi berichtet die skandinavische
Sage nun ausdrücklich, dass er die Göttinn Igunn mit Lo-
kis Hilfe raubt und in seiner Burg gefangen hält, nach-
dem er zuvor drei wandernden Äsen den Stier (d.i. das
1) Zu S. 163, Anm. 1 noch Rigv. Rosen LXXX, 10 Indra brach des
Vritra Macht, mit dem Geschosse das Geschoss.
2) S. Zeitschr. f. D. Myth. II.
3) Hymisqu. 5.
4) VafthrüÖnism. 35.
5) VafthrüÖnism.
6) In Pfeiffers Germania I, 422.
195
beim Göttermahl getötete Rind; s. oben S. 42) ') ent-
wandt, welchen sie sich soeben zur Mahlzeit sieden
wollten. löunn entkommt aus Thiassis Haft, er folgt ihr
in Adlergestalt bis vor die Tore Asgarös; da machen
die Götter ein Feuer unter dem Burgtor an; der
Adler vermag nicht anzuhalten, die Flamme schlägt
ihm ins Gefieder und macht seinem Flug ein
Ende^). Nach Harbarösl. 19 erschlug Thörr den
Thiassi. Thiassi ist, wie Uhland sehr deutlich nachgewie-
sen hat^), der Dämon, der die Sturmgewalt in verderb-
lichem Sinne ausbeutet; dass aber auch die andern Ver-
richtungen der Wolkendämonen ihm nicht fremd waren,
geht aus dem Zeugnisse des Grimnismäl und den Beiwör-
tern hervor, welche ihm schon im 9ten Jahrhundert der
norvegische Skalde Thiodölfr von Hvin in seinem Höstlaung,
einem Gedichte, das die Entführung der löunn schildert,
beilegt. Sein Wohnsitz ist nämlich Thrymheimr Donner-
heim*), Thiodölfr nennt ihn byrgityr bjarga der Berge
Burgherr, Bergwolf fjallgyldir, vingrögnir vagna der Luft-
wagen Herscher ^). Ganz ähnlich tritt in einigen Stellen
der indische Wolkendämon auf, z. B.: „Wann du (Indra)
über des Bläsers Haupt über den schlafimachenden Trock-
ner (Qushna) dröhnend die Gewässer niederzwingst^)."
Der Sturm entführt das Wolkenrind, das so eben die Göt-
ter speisen, den Regen ergiefsen soll'). Dieselbe Mythe
enthält löuns Raub. löunn, von welcher Curtius neuer-
1) Vergl. Rigv. Eosen LXI, 12. „Wie das Fleisch einer geschlachteten
Kuh, teile der Wolke Seiten mit gekrümmtem Geschoss, locke die Wasser-
ströme hervor, dass sie fliefsen". Thiodölfr von Hvin nennt das Göttermahl,
von dem Thiassi den Ochsen rauht (ät af eikirotu okbjöm) einen heiligen
Tisch (helgi skutill).
2) Bragara3Öur cap. 56.
3) Mytlius von Thon- 117.
4) Grimnism. 11.
5) Skäldskaparm. cap. 22. Sn. E. I, 306 fgg.
6) Rotli, Nirukta S. 66. Der Scholiast erklärt, weil er die Beiwörter
der Bläser und Austrockner für den von Indra bekämpften Vritra nicht mehr
versteht, crsteres (fvasana) auf den Windgott Väji], letzteres auf die Sonne.
7) Weshalb der Riese dabei auf dem Baume sitzt, wird unten aus der
Untersuchung über Yggdrasill klar werden.
13*
196
dings etymologische Verwandschaft mit der von Lauer als
Wolkengöttin nachgewiesenen Athene darzutun suchte'),
ist eine der Persephone-Despoina ähnliche Gestalt (vgl. die
Mythe von löunn in Hrafnagaldr Oöius). Sie ist die Göt-
tin der Wolke, deren Wasser das lebende und heilende
Element in der ganzen Natur bildet"). Die germani-
sche Mythe hat das Wasser der Wolke, von dieser Seite
betrachtet, als den belebenden Jungbrunnen gefasst, über
welchen im Verfolg: zu reden sein wird. löuns Reich heifst
Brunnakr Brunnenfeld, sie selbst nennt Thiodolfr mey
sorgeyra, ])ä er elli-lyf Asa kunni die schmerzheilende
Maid, die des Götteralters (Asarum senectutis) Heilung
kenne. Ihre jungmachenden Aepfel, die sie in der
Hand trägt, sowie die Nuss, in welcher eingeschlossen sie
aus Donnerheim befreit wird, sind nur Symbole des Le-
bens und der Belebung überhaupt. Dass unsere Auffas-
sung der iSunn die richtige ist, ergiebt sich noch beson-
ders daraus, dass die eddische Mythe den Dichtergott
Bragi als ihren Gemahl nennt, eine sehr späte Mythenge-
Btalt, welche analog den Musen, Orpheus, Apollön Musa-
getes, den niusikliebenden Kentauren und anderen Sanges-
gottheiten, die einem der himmlischen Naturlaute des
Donners, Windes oder plätschernden Regens ihre Entste-
hung verdanken, auf die Stimme des hallenden Donners
zurückgeführt werden muss. — In Thiassis Sage begegnen
wir auch dem Zuge wieder, dass der Gewittergott die Dä-
monen verbrennt s. oben S. 165. Bei Thiodolfr heifst
er ferner die viel wissende Möwe der Woge des Lei-
chenhaufens margspakr mär valkastar bäru. Diese und
1) Zeitschr. f. vgl. Spraclif. III, 153; vgl. ebend. I, 439 fgg. Zeitschr.
f. D. Myth. III, 373 fgg.
2) Vgl.: Die Wasser (Äpas) rufe ich an, die Göttinnen, von denen un-
sere Kühe trinken; den Flüssen sollen wir opfern. In den Wassern ist Am-
rita, in den Wassern Heilkraft, die Wasser zu preisen seid unmüfsig ihr Prie-
ster. In den Wassern, sagte mir Sonia, sind alle Heilmittel, der alles bese-
ligende Agni, und alles heilende Fluten. Ihr Wasser ergiefset euer Krankheit
abwehrendes Heilmittel auf meinen Körper, sogleich Angesichts der Sonne.
Rigv. Rosen XXIII, 18—22.
197
alle übereinstimmende Benennungen anderer Riesen — so
führt ein auch in Adlergestalt einherfahrender Sturm-
riese den Eigennamen Hr^svelgr, Leichenschwei-
ger — zeigen uns, dass ebenfalls an die germanischeu
Dämonen, wie an die indischen Räkshasas, Kravyädas,
Pi^acas die Vorstellung leichenfressender Wesen ge-
knüpft war. So wird auch die Reifriesin HrimgerSr nä-
graöug leichengefräfsig gescholten'). Auch Namen
von Riesinnen, wie Vigglöö, die Schlachtfrohe, weisen dar-
auf hin. Der den Mond verschlingende Wolf Mänagarmr
wird mit dem Fleisch aller gestorbenen Menschen gesät-
tigt. Bewährten uns bereits Thiassi und Hrsesvelgr das
Vermögen des Riesen ihre Gestalt zu verändern, so zeigen
andere Ueberlieferungen , dass ihnen auch andere Tierfor-
raen zu Gebote stehen, natürlich ursprünglich nur solche,
welche symbolischer Ausdruck der himmlischen Naturer-
scheinungen sind, wie der Adler, der Drache. Riesin-
nen reiten auf Wölfen; der (den leuchtenden Himmel) Tyr
schädigende Fenrir, sowie Hati, Sköll und Mänagarmr, die
der Sonne und dem Mond nachstellen, sind Riesen in
Wolfshaut ^); ihre Mutter, die alte Riesin im Eisenwald
(Jarnviör), hat viele Riesenkinder, alle in Wolfsgestalt (En
gamla gygr faeöir at sonum marga jötna, ok alla i vargs
likjum). — Ein Weib in Grofs-Harja, erzählt die Sage der
Inselschweden auf Worms und Nuckoe, trug bei einem Ge-
witter etwas in ihrer Schürze. Da kam eine Stimme aus
der Wolke: „Lass deine Schürze herunter". Sie tat es
und ein kleines schwarzes Tier, kleiner als eine
Katze '^) (ein Troll, Riese, ilaka), lief heraus, wurde aber
auf der Stelle von einem Blitzstrahl zerschmettert. Ein
Weib in Worms ging in die Badstube und kleidete sich
vor der Tür aus. Da bemerkte sie ein Tier unter ihrer
1) Ilelgaquiöa Hjörvargssonar 16.
2) Gvlfagimiing 12.
;i) Eine Bezeichnung der Riesen ist Köttr Katze, Luchs. Man vergl.
den oben S. 8i beigebrachten Ausdruck Bullerkater, Bnllorluchs = Ge-
wittcrwoliie, und die Katzen (die Wolken), mit denen Frcyja fährt. Aiuli
der Mi'ögargsdrache wird von Thorr als Katze in die Höhe gehoben.
198
Schürze, welches sich unter den Kleidern versteckte. Ehe
sie es vertreiben konnte, schlug der Blitz dahinein, aber es
war nachher nichts mehr von ihm zu sehen'.) MüUenhoff
hat bereits darauf aufmerksam gemacht^), dass holzrüna
und holzmuoja althochdeutsche Bezeichnungen der rie-
sischen Völur (Zauberweiber) sind; holzmuoja über-
setzt aber auch in ahd. Glossen die Eule, was auf einen
Zusammenhang dieses tod- und unheilverkündenden Vogels
mit den Eiesinnen deutet. Skrikia, die Schreierin, wird
unter den Namen der Riesinnen aufgezählt und wiederum
heifst screechowl die Toteneule. Im deutschen Helden-
buch werden die Riesen bercrinder und walthunde
gescholten^), eine eddische Riesin heifst Hyndla Hündin
und unter den Namen der Jötune begegnet wieder H u n d -
alfr oder Hundölfr, Hundalf oder Huudwolf. Der letz-
tere Ausdruck führt uns auf den Hund, der in den Sa-
gen von der weifsen Frau den Schatz bewacht. Er ist
eins mit dem auf dem Golde liegenden Drachen, worauf
schon die Benennung des MiSgarSsdrachen Jörmungandr
universalis lupus hindeutet. Die Begriffe Hund und Wolf
gehen in der altnord. Poesie und Mythologie sehr oft in
einander über. Die Wölfe heifsen die Grauhunde der Nör-
nen, der Wind Wolf oder Hund der Luft, so dass, da wir
bereits S. 149 den Schatz als das Sonnengold nach-
wiesen, dieser Hund zunächst mit dai Wesen Fenrir und
Mänagarmr identisch erscheint. Man hat aufserdem nach-
gewiesen, dass der Hund des Riesen Geryones, der des-
sen Rinder (die Wolkenherde) bewacht, Orthros mit
Vritra sachlich wie etymologisch zusammenfällt*). Er
wird von Herakles erlegt. Die Mythe macht ihn zum
Sohn der Schlange Echidna. Sein Bruder ist der
Hund im Erebos Kerberos und auch dieser fällt seinem
Namen nach mit einem vedischen Worte ^arvara oder 9a-
bala, dunkel, gefleckt, zusammen, welches einerseits Bei-
1) Russwurm, Eibofolke II. §. 383. S. 256. 257.
2) Zur Runenlehre 50.
3) Laurin 2625. Sigenot 13. 114. Myth.''500.
4) Max MliUer, Zeitsclir. f. vgl. Spraclif. V, 150.
199
wort für den särameyischen Hund des Totengottes Yama
ist, von welchem Kuhn bereits die Identitcät mit unserem
Hellhund nachgewiesen hat'), andererseits in der nasalier-
ten Form Carabara, wie wir gesehn haben, als einer von
Vritras Namen auftritt. Wiederum erscheint das lautlich
entsprechende Qravara oder Cruvara in der westarischen
Ueberheferung als Eigenname einer Schlange, welche von
dem dem Indra verwandten Gott oder Helden Qäma (Ke-
repäspa ind. Kripäpva) erlegt wird'^).
Noch einmal müssen wir auf GeirröSr zurückkommen,
in welchem schon U bland einen Gewitterriesen er-
kannte ^). Die älteste Darstellung seines Mythus findet sich
in der Thörsdräpa des Skalden Eilifr GuSrünarsonr , der
im lOten Jahrhundert den Glanz des dichterreichen Hofes
Hakons des Mächtigen, der den alten Götterglauben neu
belebte, erhöhen half. Er stützte sich unzweifelhaft auf
ein älteres Volkslied, von dem die Erzählung der Skälda
(Kap. 18 Snorredda I, 284 fgg.) S. 286 eine mit Str. 7 der
Thörsdräpa übereinstimmende Strophe anführt. Snorri, der
mithin dasselbe ältere Volkslied benutzte wie Eilifr *), be-
rücksichtigte bei seiner Darstellung aber noch ein zweites
Lied, das bereits ein etwas späteres Gepräge an sich trägt,
als jenes erste und von dem er ebenfalls eine Strophe an-
führt ^). Aus diesem Liede , in welchem Thörr auf ähn-
1) S. Weber, Ind. Studien II, 297 fgg. Ind. Literaturgesch. 34. Kuhn,
Zeitschr. f. D. Altert. VI, 125 fgg.
2) S. Spiegel, Zeitschr. der morgenl. Gesellschaft III, 247. Kieler Mo-
natschrift 1852. S. 191 fgg.
3) Mythus von Thörr 189.
4) Dies geht überdies noch aus andern Uebereinstimmungeu Suorris mit
dem Liede Eilifs hervor. Skälda 288: Eigi misti hann \>av er hann kastaöi
til. Thörsdräpa 18: Glaums niöjum för görva gramr meö dreyrgum hamri
of salvauiö-sjnijar sigr laut ariubrauti. Skälda: Ok j)ä er ['orr kom ä mi"Sja
äna ])ä 6x svä mjök äin at uppi braut ä öxl honum. Thörsdräpa 7: Ilarö-
vaxnar scr hergir hallands of sik falla, getag, mar, njötr hinn neytri, njar'S
räÖy rir ser gjaröar. Vei-gl. Str. 8. Vergl. mit ersterer Stelle oben S. 111.
Skäldskaparm. cap. 35 und Saxos Beschreibung von Thors Keule: Nulluni
erat armaturae genus, quod impellenti non ccderet. Nemo ferientem tuto ex-
cipere poterat. Quicquid ictu arccbat, obruit.
5) S. darüber Uhland, Mythus von Thörr 136. Anm. 74. Auf das erste
Lied beziehen sich Snorris Worte : cptir jjessi sögu hefir ort Eilifr Gnöni»»!'--
sonr i ]>6rsdräpu.
200
liehe Weise von seinen Taten gesprochen zu haben scheint,
wie im HarbarSsHöS, nahm Snorri einige Züge, welche schon
in jenem ersten Liede nur in anderer mythischer Form ent-
halten waren und flocht sie in seine Erzählung ein. Aufser
Snorris Bericht und der Thorsdräpa ist Geirröös Sage noch
in ein Abenteuer Thörkills (Thors) bei Saxo und in die
späte Sage Thörsteins Bäarmagns (Thors) verflochten*).
Die der Zeit nach älteste Ueberlieferung besagt nun, dass
Thorr auszog den Riesen Geirröör zu besuchen. Er ge-
langte unterwegs an einen reilsenden Strom, aller
Flüsse gröfsten, den er, auf einen Stab gestützt,
durchschreiten will, aber der Strom schwillt immer höher
und höher über sein gewöhnliches Bett empor, und die
Woge schlägt über Thors Schulter mit gewaltiger Macht
zusammen. Da gewahrt Thörr, wie des Riesen Tochter
Gjälp (Brandung) am Felsufer, da wo die Flut sich auf-
staute, stand und die Strom wachs ung (ärvöxtinn) ver-
ursachte. Er vertreibt sie mit dem Wurf eines Steins
und schreitet an dem Stabe durch die Wogen. Nun
kommt er zum Lande Geirröös, der von Eilifr der böse
Verschlinger (Eiuschlucker HarSgleipnir, von gleipa ein-
schlucken, verschlingen) genannt wird. In Geirröds Halle
setzt er sich auf einen Sessel, merkt aber bald, dass der-
selbe gegen die Decke zum Himmel (til himins) in die
Höhe gehoben wird. Giälp und Greip (Griff), die Töch-
ter Geirröös, sitzen unter dem Stuhl. Thörr drückt ihn
nieder, indem er sich mit dem Stabe gegen die Decke
stützt, seine Asenkraft anwendend, und zerbricht
denRiesinnen mit Gekrach das Rückgrat^). Nächst-
dem ruft ihn Geirröör zu Spielen in eine Halle, die
rings von Feuern leuchtet. Sobald der Gott sich naht,
schleudert der Riese einen glühenden Eisenkeil gegen
ihn, den Thörr auf den Riesen zurückwirft, welcher
1) Diese Prosaerzählung ist nach der Reformation auf Island von Bryn-
jiilf Olafson wiederum in poetischer Form bearbeitet. S. Halfdani Einari
Sciagraphia liistoriae literarum Islandiae S. 78.
2) Nach Eilifr die Brust: Es brach der Schiffslenker des Platz-
regens der Gewitterlohe jeder von beiden Hölenfrauen den hundertalten
Kiel des Geläclitersitzes.
201
sich nun hinter einer Säule versteckt. Der Keil dringt
durch die Säule und durch GeirröSr, worauf Thörr mit
dem Stabe das übrige Riesenvolk erschlägt^). Bereits
Uhland erkannte, dass der Strom Vimur die Gewitterwolke
sei; versteht aber die Anschwellung des Flusses auf das
Wachsen der irdischen Bergströme, die durch den herab-
strömenden Regen gefüllt werden. Mir ist es wahrschein-
lieber, dass ursprünglich vom Aufstauen der Wolke durch
die zurückhaltende Tätigkeit der Dämonen die Rede war
und die cynische Weise, auf welche Geirröös Töchter Vi-
mur anschwellen machen, spätere Ausschmückung ist^).
Den Stab haben wir schon oben S. 21. 62. 173 als den
Blitz erkannt, mit welchem Thorr das Himmelsgewässer
durchwatet s. o. S. 147. Suorri fügt noch hinzu, dass Thörr
diesen Stab auf der Fahrt zu Geirröör von einer Riesin
Griör sammt einem Stärkegürtel empfangen habe, woher
der Stab GriSarvölr heifse. Griör sei die Mutter Viöars
des Schweigsamen. Griö bedeutet Heftigkeit, Unge-
stüm. Stab der Heftigkeit ist eine passende Um-
schreibung für Thors Mjöluir und daher wird es klar, dass
hier die Riesin Griö nur durch etymologisches Misverständ-
nis eines poetischen Ausdrucks entstanden und mit der
gleichnamigen Mutter Viöars ungehörig vermischt ist. In
GeirröSs Burg, die Saxo als eine Berghöle beschreibt
(conclave saxeum, cui Geruthum fama erat pro regia. as-
suevisse) erkennen wir ein anderes Bild der Wolke. Des
Dämons Töchter türmen das Gewässer zurückhaltend die
Wolke gegen den Himmel auf, um den den Regenerguss
zur Erde anstrebenden Gott in die Höhe zu schnellen.
Mit dem Blitzstabe zerbricht Thörr ihren Rücken. Dass
unsere Deutung des Stabes richtig ist, geht aus Saxos
Bericht hervor, wo erzählt wird: praeterea foeminas tres
corporeis oneratas strumis ac veluti dorsi firmitate de-
1) Thorsdräpa. 18.
2) Hiefür sprechen die Island. Geister: bjargmigi, bruunmigi, bniim-
üngr Hälfss. c. 4, welche von Finu IMagmisscn als Tröllkarle, Bergriescii, Jötiiar
und zwar als „daemoncs fontes montanes custodicntes et honiini-
luis eorum iisum prohibentes" bezeichnet werden. Lex. niytli. 7J8.
202
fectas junctos occupasse discubitus mit dem Beisatz: foe-
minas vi fulminis tactas infracti corporis darano ejus-
dem numiuis (Thori) attentati poenas pependisse. Wir be-
gegnen hier wieder, wie schon S. 89 dem mit der indi-
sehen Ueberlieferung übereinstimmenden Zug, dass der Dä-
mon mit gebrochener Schulter zusammensinkt, s.o.
S.77. 163. Dieselbe Art der Tötung tritt bei Geirröör selbst
ein, der Thörr seinen Blitz entgegen wirft. Auch Saxo
sagt: Thor divum per obluctantis Geruthi praecordia
torridam egisse chalybem eademque ulterius lapsa con-
vulsi montis latera pertudisse. Der glühende Ei-
senkeil Geirröös ist in der Thörsteins Bäarmagnssaga mit
einer glühenden Kugel vertauscht, die so heifs ist, dass
die Funken von ihr springen und das Fett heruuterträuft,
wie glühendes Pech. Der Donnerkeil wird öfter unter der
Gestalt einer Kugel dargestellt ' ). Wie der Keil durch
Geirröör hindurch in den Berg dringt und ihn spaltet, spal-
tet Indra den Wolkenberg, indem er den Dämon erlegt.
Die Säule, hinter der GeirröSr sich verbirgt, scheint eins
mit den Säulen in der von Riesen dem h. Olaf gebauten
Kirche s. o. S. 185 und dem Felsstück, mit welchem Üt-
garöaloki bei Thors Schlägen sich deckt. Es ist der Berg
(= Wolke), mit dem Vritra sich umhüllt. Suorri fügt den
eben besprochenen Zügen noch hinzu, dass Thörr an einem
Vogelbeer bäum reynir, der am Ufer stand, sich aus den
Fluten des Vimurflusses emporgehoben habe. Daher heifse
dieser Baum Thors björg d. i. Thors Rettung. Dieser Vo-
gelbeerbaum ist nur eine andere Gestalt des Griöstabes s.
o. S. 21 und bedeutet ebenfalls den Blitz ^).
Wie Indra die Dämonen im Schlaf tötet, oder ein-
schläfert, erlegte Thörr ebenfalls die bösen Mächte in
1) Auch beim slavisch-lettischen Stamm begegnet neben den Ausdrücken
bozy pratek, kamien piorunowy pratek, Perkuno kulka Donnerkugel.
Mieike, Lith. Wörterb. 139.
2) S. Kuhn, Zeitschr. f. D. Myth. III, 390. Jeuer Griöavöh- der Blitz
kommt übrigens als Stab, mit dem man über das flief sende Wasser
setzen kann, auch schwed. Sagen, übers, v. Oberleitner S. 341. 344 im
Besitz von Riesen, nach der Thorsteins Biiarmagnss. cap. 2 bei Zwergen, in
deutschen Sagen als Stab der Hexen (s. o. S. 35 Anm. 4) vor.
203
gleichem Zustande. Saxo hat uns die Sage aufbewahrt,
dass Thorkill, in welchem der alte Gott Thorr nicht zu ver-
kennen ist, zum Eiesen Ütgaröaloki kommt, um ihm 3 Haare
auszureifsen. Dieselbe Sage hat sich in der Volkssage le-
bendig erhalten '). Ein Jüngling zieht aus, um drei gol-
dene Haare (oder Federn) des bösen Dämons (der als
menschenfressender Riese ^), Teufel^), Drache^), oder
Vogel ^) geschildert wird) zu erbeuten. Unterweges kommt
er zu drei Königen. Dem einen ist ein Baum, der sonst
goldene Früchte trug, unfruchtbar geworden; dem andern
eine Quelle, daraus sonst goldene Perlen springen, versiegt;
dem dritten vom Bösen die Tochter geraubt"). Statt
einer dieser drei Angaben tritt bisweilen die andere auf,
dass der Schlüssel zur Schatzkammer des Königs
verloren ist. Der Jüngling erhält den Auftrag durch
seinen Besuch bei dem Bösen den Grund dieser Er-
scheinungen zu erkunden, die Ursache derselben zu
entfernen. Wolf, der diese Märchenfamilie wiederholt
besprach, aber teilweise von unrichtigem Princip aus deu-
tete, sagt sehr richtig: „Dass der Jüngling jedes bei ei-
nem andern König findet, darf nicht befremden, diese Drei-
heit ist eine aufgelöste Einheit", und so ist denn auch bei
Müllenhoff, Sagen S. 427 fgg. No. 13, wirklich nur von
einem König die Rede, der alle drei Aufgaben stellt.
Der Jüngling zieht weiter und gelangt an ein reifsendes
Wasser, über das ein ewig unabgelöster Fährmann
setzt. Dahinter liegt das Waldhaus, die Hole oder präch-
tige Burg des Bösen. Von der geraubten Königs-
tochter wird der Jüngling versteckt, bis ihr Räuber, der
1) S. Wolf, Beiträge I, 137. II, 3 fgg. 9 fgg. Simrock, Handbuch d.
D. Myth. 299. Zeitschr. f. D. Myth. II, 337.
2) Wolf, D. Hausmärchen S. 184.
3J Wolf, D. Märchen und Sagen S. 141 fgg. Grimm KHM. No. 29.
4) Meier, Märchen No. 73. S. 253. Zingerle KHM. aus Süddeutschland
S. 64. Asbjörnsen und Moe No. 5.
5) Vogel Greif Wolf, D. Ilausm. S. 312. Vogel Phoenix KHM. IIP,
S. 56. Vogel Straufs Meier, Märclien S. 277 fgg. Vgl. die Riesen in Ad-
ler- und Eulengestalt.
6) Wolf, D. Hausm. S. 184. Asbjörnsen und Moe No. 5.
204
Böse, schläft. Während er schlummert, werden ihm
die goldenen Haare ausgezogen und er zugleich gezwun-
gen, durch seine Aussage die Ursache der Unfruchtbar-
keit des Baumes und Brunnens aufzuheben, die Wieder-
findung der Schlüssel zu ermöglichen und die geraubte
Frau fahren zu lassen. Durch den Trunk aus ei-
ner neben dem Zauberschwert des Riesen hängen-
den Flasche gestärkt (s. o. S. 174) tötet der Erretter
den schlafenden Dämon'), der goldene Schlüssel zur
Schatzkammer findet sich wieder, der Brunnen
springt (eine Kröte hatte seinen Lauf gehemmt, in-
dem sie die Röhre verstopfte), und die befreite Frau eilt
erlöst von dannen. Nach den bisherio;en Erläuteruno;en lie-
gen die Grundzüge dieses Mythus bis auf das Ausziehen
der goldenen Haare, das ich noch nicht zu deuten unter-
nehme -), klar vor Augen und es ist nur noch darauf hin-
zuweisen, dass der goldene Schlüssel zur Schatzkammer
(des Sonnengoldes) der Blitz ist, wie bereits Kuhn nach-
wies ^) ; er war verloren, so lange der Dämon die Wasser
zurückhielt (vergl. Thors von Thrymr geraubten Hammer).
Der versiegte Brunnen bedeutet die Wolke; die Kröte,
welche den Lauf des Wassers hemmt, ist nur eine andere
Gestalt für Agi, die Schlange*); von dem Baum soll
später die Rede sein. Das Wichtigste ist der sichere Be-
weis, dass Thörr, Thunar der in unserer Märchenfamilie
auftretende Befreier der Wasserfrau ist ^).
Während in den betrachteten Riesensagen die alte Ge-
stalt der himmlischen Dämonen teilweise schon erstarrt und
1) Asbjörnsen und Moe No. 5.
2) Wir hoffen fest, dass spätere Untersuchungen über diesen Punkt, wie
über das purpurne Haar, welches dem Nisos in der Sage von Megara
ausgezogen wird, Licht verschaffen werden.
3) Zeitschr. f. D. Myth. III, 385. Vgl. oben S. 146. Aum. 2.
4) Vgl. unke Kröte neben unc Schlange.
5) AVir sehen nun deutlich, wie die Sage bei Saxo componirt ist. Er
warf, wie das seine Art war, zwei gleichbedeutende Mythen zusammen. Die
eine besagte, dass Tliorr (nach dem Zeitschr. für vergl. Sprachf. V, 171 auf
gedeckten Gesetz bereits Thorketill s. oben S. 104 genannt) auszog, um
Geirröör in seiner Wohnung, dem Seelenreich, 3 Haare auszuziehn; die an-
dere war die an denselben Dämon geknüpfte Eddenmytlic in dänischer Form.
205
durch das Bestreben wie das Bedürfnis getrübt ist, die
schädlichen Naturkräfte mehr auf der Erde zu suchen, zei-
gen andere Ueberlieferungen , wie lange dieselbe noch im
germanischen Altertum ihre volle Flüssigkeit bewahrte. In
einem alten, von der Skälda aufbewahrten Liede giebt eine
Riesin, von der erzählt wird, dass sie Bragi dem alten im
Walde beofesrnet folgende Definition des Wortes troll:
Troll kalla mik, Trollweib heifst man mich,
tüngl siötrüngnis, Mond des Riesenlandes,
audsug jötuns, Riesenschatz ein sauger in,
el, solar böl, Sturm, Sonnenschädigerin,
vilsinn Völu, Der Vala Wegfreundinn,
vörö näfjarSar Wächterin des Totenstroms,
hvelsvelg himins. Himmelskreisverschlingerin.
hvat er tröU nema )>at? Was heifst Trollweib, wenn das nicht').
Dieselbe Durchsichtigkeit zeigt sich bei der Sippe Forn-
jöts d.i. des uralten Riesen, dessen Fäller Thörr
häufig genannt wird. Diese Sippe vereinigt alle Eigen-
schaften, die wir bisher, als Naturbedeutung der Dämonen
kennen lernten. Fornjöts Söhne sind Logi, Käri, Hier.
Logi oder Hälogi (Lohe, Hochlohe), VilHeldr (Wildfeuer)
ist die Glut, die der Wolkendämon beim Sonnenbrand, wie
im Gewitter Thors segnendem Einfluss entgegenstellt^).
Hier = Oegir ist schon S. 84 besprochen. Käri (der Rau-
schende) bedeutet den eisigen Nordwind^). Diese Wesen
sind junge Gestaltungen der Sage, sie gehören eigentüm-
lich der Winterwelt des skandinavischen Nordens an, ge-
hen aber aus derselben Grundanschauung hervor, wie
die übrigen, älteren Riesen. Wie tief man die wesentliche
Einheit aller Dämonen fühlte, erhellt daraus, dass selbst
bei Fornjöts Söhnen, deren Namen doch einen bis auf die
späteste Zeit klar verständlichen Sinn hatten, die Verrich-
1) Skaldskaparm. cap. 54.
2) Logis Frau lic-ifst Glut (Glög), seine Kinder Asche (Eysa) und Glut -
asche (Eymyrja). Vgl. Gylfagiuning cap. 47.
3) Käris Familie besteht aus Jökul (Eisberg), Sna;r (Schnee), Thorri
(der kalte Januar), Fönn (dichter Schnee), Drifa (Schneegestöber), Miöll (leine
Schneeflocke), Frosti (Frost).
206
tuDgen vertauschte. "Wenn der Skalde Sveinn in seiner
NorSrsetudrapa mit den Worten:
Töku fjrst til fjoka Mit Schneegestöbern begannen
Fornjöts synir Ijötir Fornjots hässliche Söhne
Käri und seine Brüder ausdrücklich als Eis winde bezeich-
net, erscheint ersterer in einer isländischen Sage als frauen-
raubender Schattenriese der eisigen Winternacht.
In einem Gehöft war zur Juluacht ein Mädchen mit einem
Kinde allein geblieben^ mit dem sie auf einer Bank in der
Badstube sitzend plauderte. Sie fürchtete sich, denn in
dieser Nacht war jedesmal der zu Haus Gebliebene tot oder
wahnsinnig wiedergefunden. Da klopft zur Nachtzeit
etwas ans Fenster und spricht:
Wie schön erscheint mir deine Hand
Du Schnelle, du Rasche! und eia wiwi!
„Sie hat noch niemals Schmutz gekehrt
Du Dämon Käri! und suse wiwi ! "
Wie schön erscheint dein Auge mir, du Schnelle u. s. w.
„Kein Uebel hat es je gesehn, du Dämon u. s. w."
Wie schön erscheint dein schlanker Fufs, du Schnelle u.s.w.
„Niemals hat er Schmutz getreten, du Dämon u. s. w."
Im Osten zieht der Tag herauf, du Schnelle u. s. w.
„Steh auf und werd' ein Steinberg,
Doch Niemandem zum Meinwerk."
Da wandte sich das Gespenst vom Fenster und als
die Hausleute nach Hause kamen, war ein grofser Stein in
den Hofgraben geraten und stand da seitdem ^).
1) islensk aefintyri söfnuS af M. Griinssjiii ag J. Ämasyni S. 121, 25
Xättrölliö:
Fögur J'ykir mjer hönd jjin
Snör min, en snai-pa, og dillido
,.Hün hefnr aldrei säur sopaö
Ari min, Käri, og korriro"
Fagurt pykir mjer auga |jitt,
snör min en suarpa, og dillido.
„Aldrei heur |>aÖ iUt sjeö,
Ari minn, Käri, og ka korrirö."
Fagur ]?ykir mjer fötur |?imi
snör min, en snarpa, og dillido.
207
Die Gestalten Riese, Drache, Zwerg gehen unmerklich
in einander über. J. Grimm bemerkt Myth. "^ S. 498 : „Für
alle Helden wechseln Riesenkämpfe mit Dracheukämpfen."
Der MiSgaröswurm ist Riesengeschlechtes, ja ein Riese
selbst'). Ebenso ist der Drache, welchen Beowulf tötet,
ein riesischer Häuptling, der in einer Berghöle, die Schätze
seines Hauses (eald enta geweorc) verwahrt-). Er berührt
sich mit den Schattenriesen auch dadurch, dass er zur Zeit
der Dämmerung umfliegt und heifst daher eald uhtsceaöa,
eald uhtfloga'^). Der Drache Fafuir wird der alte Riese
(hinu aldni jötunn)^), der reifkalte Riese (hinn hrimkaldi
jötunn) genannt. Sein Bruder Reginn aber ist ein kunst-
reicher Zwerg ^). Riesen und Zwerge (svartälfar, döck-
älfar, dvergar) müssen danach in einer engen mythischen
Verwandschaft stehen, und dies bestätigt sich durch eine
eingehende Untersuchung, die wir hier noch nicht mitteilen
können, auf das vollkommenste. Wir machen nur auf die
beide Wesensklassen umfassende nordische Bezeichnung
troll, sowie auf ihre üebereinstimmung in mehreren nur
aus der dargelegten Natur cöiestischer Dämonen erklär-
barer Züge aufmerksam. Zwerge sind Seelen, und
grade soAvie das Eddenbruchstück in Arni Magnussens Samm-
lung No. 748 unter den Riesennamen (Jötna heiti) einen
ÖnöuSr (mortuus) aufführt, nennt die Völuspä unter Zwer-
gen Nar, Näinn, Ai, Däinn, welche ebenfalls den Toten
„Aldrei hefur hann säur troJ5iö
Äri minn, Käri, og korriro.'-
Dagur er i austri
snör min, en snarpa, og dillido.
„Stattu ag vertu aö stein!
en engum ])6 a'önieini,
Äri minn, Ivari, ag korriro."
Zu dillido und korriro vgl. dill cantus nutricum, naenia soporifera. kor-
riro naeniae pueriles. Björn lex Island. 144. 4G9.
1) Snj'sk jörniungandr i Jötunmööi. Völuspä 49.
2) S. EttmüUer in seinem Beowulf S. 470. 477.
3) Beowulf 4534. 5513. Nacoö niödraca nihtes fleogeS, fj're be fangen
5538—40.
4) Ebenso nahm die Sage keinen Anstand, den Vater des Alfen-
fürsten (älfa visi) Völundr, als er seine Göttlichkeit einbüfste, zum Riesen
zu machen.
208
bezeichnen. Den Riesen Vindr, Frosti, Finnr u. s. w. be-
gegnen gleichnamige Zwerge. Die Zwerge wohnen im B e r g
oder Felsen (dvergar büa i jöröu ok i steinum). Sie hei-
fsen daher bjergmand, bjergfolk, bjergtrold, in Schleswig
Bergmänner, man kann in manchen Fällen kaum unter-
scheiden, ob die Sage mit diesen Benennungen Riesen oder
Zwerge meint, und so ist es denn auch nicht zu verwun-
dern, wenn Agi in einer Sage bei MüllenhoflP unter dem
Namen Ekke Nekkepenn als Zwerg auftritt. In den Berg
entführen die Zwerge schöne Jungfrauen'). Wie die
Riesen sind sie Besitzer grofser Schätze, und gleich ih-
nen lüstern nach Menschenfleisch. Alsam Julabend
auf Island ein Alfenherzog in die Badstube tritt, worin Thor-
leifr sich versteckt hat, riecht er überall im Hause um-
her und ruft „hjer er maSr, hjer er maSr'* (hier ist ein
Mensch) ^) Thörr redet den Zwerg Alviss an :
hvi ertu svä fölr um näsar Wie bist du so fahl um die Nase,
vartu i nott meS nä? Warst du Nachts bei Leichen?^)
Nachts schwärmen die Svartälfar umher"). Trifft sie
der Strahl der aufgehenden Sonne, so bersten sie ausein-
ander und werden zu S t e i n. T h 6 r r ist es, der sie bei m
Frauenraub auf diese Weise straft^). Dieselbe Mythe,
welche wir oben S. 181 von dem zur Hochzeit geladeneu
Bergriesen namhaft machten, wird in einer übereinstim-
menden '') und in einer zweiten etwas veränderten Fassung
von Zwergen berichtet'). Nach letzterer tritt aus einem
Grabhügel ein Zwerg hervor und ladet sich bei einem
vorübergehenden Bräutigam zur Hochzeit ein. Er wolle
auch ein Stück Gold zum Brautgeschenk mitbringen, so
grofs wie ein Menschenkopf! Der Bräutigam ist es zu-
frieden, der Kleine bittet aber sein Versprechen zurück-
1) S. Myth. * 435.
2) Islensk fefintyri. Reykjavik 1852. S. 119.
3) Alvism. 1.
4) S. d. S. 000 angeführte Stelle aus Hrafnagaldr Ogins.
5) Alvism. 3G.
6) Müllenhoff, Sagen S. 289. No. CCCXCV.
7) Müllenhoff a. a. O. CCCXCVI.
209
nehmen zu dürfen, als er erfahrt, dass Pauken- und
Trommelmusik auf der Hochzeit sei, „denn diese
Musik könne er nicht vertragen." Die winter-
liche Natur der Zwerge erhellt neben vielen andern Zeug-
nissen aus den 7 Bergen, in oder hinter denen sie hau-
sen '). Es wird aus diesen Beispielen genügend erhellen,
dass ein Teil der von unseren Dunkelelben erzählten Sa-
gen aus der alten Mythe der Wolkendäraonen erwachsen
ist. Die von Thörr verfolgten Zwerge stehen den indischen
Panis nahe, wofür eine Anzahl der oben S. 52 fgg. beige-
brachten Stellen über die im Besitz der Zwerge be-
findlichen Kühe geltend zu machen sein wird, unter
denen sich auch goldgehörnte befinden wie bei den
niesen ^). Kuhn verspricht über diese doppelte Seite des
elbischen Wesens, ihren Zusammenhang mit den götter-
freundlichen Pitris wie andererseits mit den götterfeindlichen
Danavas in kurzem fördernde Untersuchungen zu veröflPent-
lichen. Ich führe nur noch an, dass auch die in den deut-
schen wie nordischen Sagen besonders hervorgehobene d i e -
bische Natur der Zwerge ^) aus ihrer ehemaligen Geltung
als AYolkendämonen Licht empfängt. Vor allem sind sie
als Erbsendiebe berüchtigt. Da in den Erbsen Abbilder
der Donnersteine oder Donnerkugeln nicht zu verken-
neu sind, steht dieser Diebstahl in seiner ältesten mythi-
schen Gestalt dem Raube des Thörshammers durch Thrymr
vollkommen gleich. Selbst Elbegast der Meisterdieb, der
die Eier aus den Nestern unter den Vögeln wegstiehlt,
wird erklärlich, wenn wir uns erinnern, dass die Sonne
in der indischen wie der germanischen Mythe als Vogel
bezeichnet wird (s. o. S. 38). In einer Vedenstelle heifst
nun das Himmelsgewölbe das Nest des Vogels, der
Sonne. „Indra hat die himmlische Hole geöffiiet, die das
Nest des Vogels zu sein scheint, die im Schofs einer Wöl-
1) S. KHM. No. 53 und die Varianten.
2) Steffen, Märchen und Sagen des luxemburger Landes S. 105.
3) Ein eddisoher Zwerg heiffit Aljjiofr.
14
210
bung ohne Quellen ausgegraben ist. Mit dem Blitz be-
waffnet hat Indra der Angiras gröfster den Stall der Kühe
eröffnet').^ Wie die Kühe hat der Dämon das Nest der
gefiederten Sonne geraubt, die deutsche Sage wird den
gleichen Zug gekannt haben, musste aber, als der Mythus
unverständlich wurde, den Diebstahl des Nestes, welcher
nicht zu denken war ohne dass der Vogel herabfiel, in den
Raub der Eier unter dem Vogel verwandeln. Die un-
sichtbar machende Tarnkappe, Heikappe, Helkeplein,
Tarnhüt der Zwerge steht dem oben S. 176 erwähnten
Gold pelz der Riesen, sowie dem Oegishjälmr, hulizhjalmr
s. o. S. 85 fgg. gleich, d. i. der Wolke mit der Vritra sich
und die Apas verhüllt, unsichtbar macht. Wie jener
Riesenpelz golden, ist die Tarnhüt rot^) und sowol die
Volkssage, wie die mhd. Poesie bewahrt für sie den Aus-
druck A'^e&e/kappe ^). Wie Indra die Dämonen, besonders
die Panis,,mit dem Fufse in das Blitzfeuer stöfst, stöfst
Thörr bei Baldrs Leichen br and den Zwerg Litr mit
seinem Fufs in die Flamme.
Die vorstehenden Erläuterungen liefsen sich noch weit
ausdehnen. Im Ganzen wird jedoch schon jetzt die Ueber-
einstimmung der Riesen und der Elbe, insofern diese böse
Dämonen sind, mit den Götterfeinden der indischen Sage
als hinreichend bewiesen zu betrachten sein. Sogar die
Namen Abi, Rauhinä, atrin fanden wir in Agias, Ecke;
1) Rigv. Langl. II, 1, 9, 3.
2) S. Myth.2 431.
3) Bekanntlich ist ein anderer Xanie des Meisterdiebes Elbegast Agez
(MS. II, 147a = 176 D. Titurel Halm 4105). Schon Lachmann stellte (Kritik
der Sage von den Nibelungen. Rhein. IMus. III, 457) Agez mit Agazi, Hagens
Vater, zusammen und nahm nach J. Grimm Myth.' 147 Einheit desselben mit
Oegir, Agi an. Hiergegen bemerkt J. Grimm a. a. O.: ,,Es müsste gelin-
gen eine altn. Form Oegti oder Egti aufzufinden." Diese Form wäre gefun-
den, wenn der oben S. 90 besprochene finnische Ahto als ganz germanisch
in Anspruch zu nehmen und auch die Erweiterung mit t als eine ursprüng-
lich deutsche Nebenform zu betrachten wäre. Lässt sich Identität des Agez
und Oegirs in der Tat erweisen — und es wird etymologische Verwandschaft
■wie Wesensähnlichkeit nicht abzuleugnen sein, wenn wir auch jenes t in Ahto
dem Finnischen zusprechen so ist damit ein -weiteres sicheres Zeugnis für
unsere Auffassung Oegirs, wie für die Uebereinstimmung der Riesen und
Zwerge gewonnen.
211
RAUGNA, RAUGNS, Ran; und goth. IT-ANS jöt-unn
wieder. Jenes atrin, atri oder atra ist nämlich aus at-
trin, attri, attra = ad-trin, adtri, adtra von ad essen,
entstanden, das bekanntlich mit uuserm itan, der Wurzel
von jötunn, eins ist. Der "Wechsel der Suffixe darf nicht
befremden, da die noch späte Flüssigkeit der erläuterten
Vorstellungen im germanischen Altertum eine noch höhere
Lebendigkeit und Flüssigkeit derselben vor der Trennung
voraussetzen lässt. Den Namen Zwerg, altn. dvergr,
stellt Kuhn ') mit dhvaras krumm, unredlich, einem Bei-
wort der Druhyus d. i. der Trügenden zusammen und der
Name dieser Wesen selbst hat sich wenigstens in dem Aus-
druck „alfsche droch", alfs ghedroch, ägetroc" unper-
sönlich, sowie persönlich vielleicht in den draugar (Ge-
spenster) erhalten. In andern Fällen entsprechen sich min-
destens dem Sinne nach die Namen oder Beiwörter der
germanischen Dämonen. Loki s. oben S. 84 und GrendeP)
bedeuten dasselbe, wie Vritra und Vala. Wie j^urs den
Trinker bedeutet, heifst der indische Dämon Wasser-
dieb*). Här grau, ein Beiwort der Jötune ^) und Name
eines Zwergs") entspricht Qambara, Cabala (vielleicht so-
gar etymologisch). HrauSüngr ein Riesenname stellt
sich zu den rotköpfigen Pifäcas und Räkshasas; Svartr
und Alsvartr, wiederum Riesennamen, treffen mit der
Beschreibung schwarzer Räkshasas und dem Namen des
Dämons Krishna zusammen und Oföti (fufslos), das eben-
falls unter den Jötnaheiti aufgeführt wird'^), könnte die
Spur eines verlornen Mythus erhalten, der dem S. 1 64 aus
Rigv. Rosen XXXII, 7 von Vritra beigebrachten ähnlich
1) Zeitschr. f. vcrgl. Sprachf. I, 201.
2) Myth.2 432. Kuhn a. a. O. Gramm. II, 709. 740. 741.
3) Myth.* 222. Wie Beowulf mit Grendel kämpft Kerecä^pa , indisch
Kri?a9va der Töter der Schlange Cruvar = Cambara s. o. S. 199 mit dem
AVasserdämon Gandarcva = ind. Gandharva, griech. y.ivravgnq 9 Tage im
Wasser imd tötet ihn. Spiegel, Kieler Monatsschrift 1852. S. 191.
4) Rig%'. II, 14, 1, 2. M. Müller, Zeitschr. f. vgl. Sprachf. V, 147.
T)) Hjunisqu. 16.
6) Völuspä 15. Auchllati, der Name eines Riesen im Ilelgaqu. Hjörvarös.
mid des Mondwolfs entspricht dem Beiwort des ind. Dämonen dveshasHasser.
7) Skäldskaparm. cap. 75. Sn. E. I, 555.
14*
212
war, worauf auch die S. 172, Anm. 1 erwähnte Sage von
Starkaör ^ ) hinweist. Dass die deutschen Riesen und die
indischen Dämonen auch eine öfter auftretende Vielheit
der Glieder gemein haben ^), erklärt sich aus ihrer Na-
tur als Personificationen der vielgestaltigen Wolke. Für
den Erweis dieser Naturbedeutung kommt mir noch eben
ein schlagendes Zeugnis in den Weg. In einem däni-
schen Märchen, das den S. 175. 176 besprochenen entspre-
chend ist, erobert der ausziehende Held in einem Riesen-
haus vom Riesenweibe ein Licht, das ohne Leuchter
brennt, indem er sie in den Brunnen stürzt, vom
Riesen ein Ross, das Glocken an allen 4 Beinen
hat, endlich ein Schwein, dem das ausgeschnit-
tene Fleisch sogleich wieder wächst (en so, som
man kan skasre saa meget flresk af, som man vil-'
der bliver dog altid lige meget igjen). Er gemnnt
das Schwein, indem er den alten Riesenvater, der ihn
schlachten soll, veranlasst, ihm zur Probe das Haupt auf den
Block zu legen und ihn tötet ^). Noch ein paar kurze Be-
lege mögen hier folgen, dass auch in der deutschen Sage,
wie in der nordischen, Thunar der Gegner der Riesen
und Zwerffe war.
1) Sie wird erzählt von Saxo VI. ed. P. E. Müller I, 274. Auch das
,,limÖir ]>rivalda-'' in einer Strophe des Skalden Vetrliöi dürfte auf einen
ähnlichen verlorenen Mythus schliefsen lassen, -wenngleich Bragi Thorr „sundr-
kljufr niu höföa Jjrivalda" nennt.
2) Vergl. den von Indra erschlagenen Dämon Uraua, der 99 Arme hat,
Rävana Yishnus Gegner im Eämäyana und die deutschen Myth.'^ 494 ausgeho-
benen Beispiele.
3) Sv. Grundtvig, Gamle Danske minder i Folkemunde 1854. S. 205.
No.48. Das leuchterlose Licht ist der Blitz; das Ross = Blitz uud
Donner s. oben S. 123, das Schwein = Siehrimnir-varäha s. oben S. 64, die
vom Dämon geraubte Wolke. Im schwedischen Märchen, Oberleitner S. 46
sind die drei zurückeroberten Schätze: das Goldpferd, die Mondlampe
und eine geraubte Königstochter, die auf einem hohen Boden in ei-
nem Zauber käfich sitzt, dessen Schloss nur der öffnen kann, den das
Schicksal zu ihrem Bräutigam bestimmt hat. Der Befreier versenkt das Troll-
weib durch einen Feuerstahl s. Zeitschr. f. D. Myth. II, 297 in fortwäh-
renden Schlaf, klettert die steile Wand zum Käfich der Jungfi-au an in
die Mauer geschlagenen Eisenkeilen (den Zacken des Blitzes) in die
Höhe ; vor ihm springt der Käfich von selbst auf, er heiratet die Befreite ( De-
vapatni). Eine deutsche Variante, die das Verständnis einer grofsen Märchen-
familie öflfnet s. bei Haltrich, Siebenbirg. Märchen No. 10. S. 45.
213
Du widertuo ez balJe, du ungeslahtez wip
Oder dir nimet der donner in drein tagen den lip').
Wie hier von Riesen, ist in einem Kinderreim vom
Zwerge (butz, dän. bussemand, bussegrol, bussetrold Myth.'^
474. 475) die Rede:
Harne r slä bamer,
Slä bussemann döt^).
Wie man bei Antwerpen noch schwört „bi gods be-
lege steenen! bi de godsige steenen!" bei Zürch
potz dummer hamraer (potts donnerhammer) gilt an letzte-
rem Ort noch die Schelte : du dummershammershex!'').
y) Als Herr und Spender des Regens heilst Indra äptya
„der aus dem Wasser Geborene, oder wie der Scholiast
zu Rigv. Rosen XY erklärt apäm putrah Sohn der Wasser.
Dieses Beiwort kommt Indra in so besonderer Weise zu,
dass er sogar äptya äptyänäm , Aptya der Aptyas genannt
wird: „Den zu preisenden, vielgestaltigen, grofsen, den
höchsten Herrscher x\ptyas der Aptyas, der schlägt durch
seine Kraft die sieben Däuus und nimmt viele Gestalten
an*)." Gleich Indra spenden die Maruts den Regen. Trotz
aller Blitze und strömenden Regengüsse weicht die finstere
Gewitterwolke nicht eher, als bis die Winde sich erheben
und das dunkle Gewölk vertreiben. Deshalb heifst es öfter,
dass die Maruts dem Indra in seinem grofsen Kampfe mit
Vritra durch den Zuruf ihres Sturmliedes Mut eingeflöist
und ihm dadurch und durch ihre mächtige Hilfe zum Siege
verholfeu haben. So führen sie das Sonnenlicht wieder
herauf: „Verbergt, o Maruts, das zu verbergende
Dunkel, vertreibet jeden Jötunn (atrinain), macht
das Licht, welches wir wünschen^).*' Eine andere
1) Haupt, Zcitschr. f. D. Altert. IV, 439. ,T. Griinni, Namen des Don
ners 18.
2) MüUenhoft', Sagen 603. Vgl. die Schelte: „laet de donder den nik-
ker nig sehenden" von jemand, der einem andern seine eigenen Gebrechun
vorwirft. Wolfs Papiere.
3) Mitteilung H. Kunges.
4) Eine von Yuska angeführte Stelle s. Kuhn bei lloefcr, Zcitschr. f.
Wissensch. d. Spr. I, 27G.
ö) Rigv. Rosen LXXXVI, 10.
214
Gestalt der Maruts ist die Hündin Saramä die Indra ent-
sendet, um die von Vala geraubten Kühe wieder aufzu-
spüren ')' Ein anderer Begleiter Indras, dem oft auch der
Kampf gegen den Drachen Ahi beigelegt wird, ist Agni,
der Feuergott, weswegen man beide oft verbunden mit einem
Dvandvacompositum „Indrägni'' bezeichnet. Agni erscheint
ebensowol als Indra in der Begleitung der Maruts "^ ). Er
heifst Indras Bruder. Ja führwahr eure Gröfse, Indra und
Agni, ist höchsten Preises wert, ihr habt denselben Vater,
seid Zwillingsbrüder, deren Mutter hier und dort ist^).
Auch Agni heifst ein Enkel der Fluten (apäm napät).
Hat Indra den Drachen getötet, so flieht er; der
Blitz vergeht im Siege:
O Indra, welchen der Ahihelfer sahst du doch
Als Furcht dein Herz anwandelte nach dem Siege,
Als neunundneunzig Ströme du hinüber
Ei'schrocken eiltest, wie ein Falk die Luft durch *).
Im Indravijaya, einer Episode des Mahabhärata, wird
erzählt, dass Indra den bösen Vritra, den die epische Sage
zum Brahmanen macht, durch List tötete. Aus Reue über
den Brahmanenmord flieht der Gott und verbirgt sich am
äufsersten Ende der Welt in einem Teich, wo er in ganz
verschrumpfter Gestalt im Stengel einer Lotosblume weilt.
Da verdorrt und vergeht alles Leben in der Welt. Die
Götter wählen zur Abhilfe den Nahusha zu ihrem König,
der früher ein frommer Büfser nun plötzlich stolz und frech
wird und sein Gelüst auch auf Indras Gemahlin ^aci
richtet, die er zur Gattin verlangt. Diese bittet, seinen
Anträgen gegenüber, sich Bedenkzeit aus und weifs
Agni und Brihaspati zu bewegen Indra aufzusuchen, der
nun wieder zurückkommt, den fremden Thron-
räuber und Nebenbuhler tötet und die Götterherr-
schaft mit kräftigem Zügel neu ergreift. Wie viel in die-
1) S. Kuhn, Zeitschr. f. D. Altert. VI, 125 fgg.
2) Rigv. Rosen XIX, 1 fgg.
.3) Roth, Nirukta 140. Vgl. Kuhn, Zeitschr. f. vgl. Sprachf. I, 449.
4) Rig\'. Rosen XXXII, 14.
215
ser epischeu Sage auch späterer Zusatz ist, als alten Kern
erkennen wir, dass Indra nach des Drachen Ahi Tode sich
in die Verbannung begibt, ein anderer nimmt seinen Platz
ein und will sich mit des Gottes Gattin vermählen, da
kommt Indra zurück und tötet den Eindringling ').
Jenes Beiwort des Indra, das wir vorhin erwähnten,
aptya kommt in den älteren Vedenhymnen noch einem
andern Gotte zu, dem Trita nämlich, der mit Indra in der
engsten Verbindung steht, und von einigen Forschern für
den älteren Namen des Indra selbst, von andern wenig-
stens für einen älteren Gott gehalten wird, dessen ganzer
Mythus beim gröfseren Teil der Penjabarier auf Indra über-
ging, während andere daneben noch den alten Namen des
Gottes bewahrten. Seine Kämpfe sind dieselben, wie In-
dras; besonders aber wird sein Kampf mit einer drei-
köpfigen, siebeuschwänzigen Schlange hervorge-
hoben.
Der Aptya wusste seines Vaters W^ äffen zu gebrauchen,
Von Indra gesandt schritt er zum Kampfe,
Den Dreiköpfigen, Siebeuschwänzigen erschlug
Trita,
Und befreit' aus Tvashtris Gewalt die Rinder.
Indra sagt: „Ich bin es, der Trita verlieh wider Ahi
die Kühe zu gewinnen". Agastya ruft aus: „Ich will den
Trank herbeiholen, den Sömatrank, durch dessen Kraft Trita
denVritra schlug."
Einer Nebenform von Trita Traitana entspricht das
Zendwort Thraetano; aptya lautet iranisch äthwya
Thraetano kommt nun im Zendavest als Name eines Hel-
den vor, der der Sohn des Athwya heifst und eine furcht-
bare, von Agramainyus (Ahrimau) zum Vorderben der Welt
gemachte Schlange mit 3 Rachen, 3 Schwänzen,
G Augen und tausend Kräften tötet.
1) Indiavijaya, eine Episode des Muhabhärata hcrausgeg. von A. Ilollii-
marui. Kaiisrulie 18-11.
2j^6 _
yy) Die hier dargelegten Mythen sind uns in einer
deutschen MärchenfaraiUe erhalten, deren Grundgestalt fol-
gende ist. Zwei (oder drei) Zwillingsbrüder sind aus
dem Wasser geboren') und heifsen danach (Was-
serpaul und Wasserpeter,- Johannes Wassersprung
und Caspar Wassersprung; Brunnenhold und Brun-
nenstark; Wattuman und Wattusin). Mitunter er-
scheint auch nur einer ^), gewöhnlich zwei Brüder. Sie
haben jeder drei wunderbare Hunde ^) (Halt an, Greif
an. Brich Eisen und Stahl; Bring Speisen, Zerreifs'n, Brich
Stahl und Eisen). Mit diesen Hunden ziehen die Brüder
erst gemeinsam, dann getrennt ihres Weges. Der eine ge-
langt in eine Stadt, wo grade eine Königstochter im
Begriff ist von einem bösen Meertroll oder einem sie-
benköpfigen Drachen entführt zu werden. Der Jüng-
ling findet auf einem Berge ein wunderbares Schwert,
dabei ebenso wunderbaren Wein, dessen Genuss ihn be-
fähigt das Schwert zu schwingen (s. o. S. 174). Er er-
legt mit demselben und durch Beihilfe seiner Hund,e
1) Die deutsche Sage drückt dies so aus: Eine Köuigstocliter sitzt mit
einer Dienerin in einem Turm mitten im Fluss verschlossen. Da springt ein
Wasserstrahl zum Fenster herein, welchen sie in einem Gefdls auffangen
und trinken. Davon werden sie schwanger imd gebären jede einen Knaben.
Sie legen beide Kinder in ein Kästchen und lassen es ins Wasser hinab.
Ein Fischer fängt es auf, erzieht die zwei Knaben, die sich vollkommen ähn-
lich sind und lässt sie die Jägerei lernen. KHM. III*, S. 103. Im schwe-
dischen Märchen werden die im Turm eingeschlossene Königstochter und ihre
Dienerin schwanger, indem sie von einer aus dem Berg hervorspru-
delnden goldklaren Quelle trinken. Schwed. Volkssagen übersetzt
von Oberleitner S. 96. vgl. S. 348 und 79 und Caspar und Johannes Was-
sersprung KHM. 111% 104. Frau, Hirad und Stute eines Fischers haben von
einem Fisch gegessen und gebären jede drei Kinder. Zingerle, Kinder- und
Hausmärchen 1852 S. 148. Oberleitner S. 349. Einem Fischer fällt ins aus-
geworfene Netz eine goldene Schachtel vom Himmel, worin zwei schöne Kna-
ben liegen. KHM. 111% 104.
2) Oberleitner S. 58 fgg.
3) KHM. IIP, 104 aus Zwehrn. Bechstein, Deutsches Märchenbuch'
221. Oberleitner S. 81. 58. 351. Basile, Pentamerone I, 7. Lo Mercante.
Vergl. Müllenhoff, Sagen S. 4ö0. In mehreren Recensionen sind aus den drei
Hunden ein Bär, Wolf, Löwe geworden, auch kommen beide Reihen in ein und
demselben Märclien neben einander vor. S. KHM. No. 60. Meier, Märchen
No. 58. Oberleitner S. 99. 348. KHM. 111% 103. Zingerle, Märchen aus
Süddeutschland 264. Stier, Ungarische Märchen 1 fgg.
217
(s. oben S. 172) den Troll oder Drachen (der mit gesteigerter
Häupterzahl mehreniale wiederkehrt). Nach dem Siege aber
begiebt er sich ein Jahr und drei Tage in freiwillige
Verbannung, indes ein geringerer Mann sich für den Dra-
chentöter ausgebend, seine Stelle einnimmt und um die
Hand der Königstochter wirbt. Am Tage der Hochzeit
kehrt der wahre Befreier zurück, giebt sich der Königs-
tochter zu erkennen, indem er seine Hunde Speisen von
des Königs Tische holen lässt, und vermählt sich, den Ein-
drinfflins: tötend, mit der Juno;frau.
Die Uebereinstimmung dieses Märchens mit der indi-
schen Sage ist auffallend. Dass unter den aus dem Was-
ser geborenen Helden zwei dem Thunar nahestehende
Wesen zu verstehen seien, geht daraus hervor, dass in meh-
reren der S. 203 erläuterten Ueberlieferungen, die den Thors
Zug zu UtgarSaloki entsprechenden Mythus erhalten, die-
selbe Wassergeburt der Helden vorkommt '). Entspricht
der eine Bruder somit Thörr und Indra, so wird der an-
dere auf eine dem Indra so nah verwandte und verbrüderte
Gestalt, wie Agni zurückgehen. Die Hunde entsprechen,
wie wir bereits oben S. 172 aussprachen, den Winden, d. i.
den Maruts, oder Geistern des waltenden Heers. Wir ha-
ben hier nur noch den Beweis nachzuholen, dass der Hund
in der germanischen Mythologie Symbol des Windes ist.
Auf die Skäldenbenennung des Windes hundr viöar eör
segls eöa seglreiöa Hund des Waldes, des Segels oder der
Segelstaugeu ^), wäre nicht viel zu geben, da es eine von
den Dichtern erfundene Bezeichnung sein könnte, wenn
nicht ein norvegisches Rätsel den Beweis lieferte, dass die-
ses Bild aus dem Volksglauben entnommen ist: Git kva
da er? Da stend ein hund paa glasberg og goyr iit i
havet. Rate was das ist? Da steht ein Hund auf dem
Glasberg und bellt ins Meer hinaus. Auflösung ist der
1) Asbjömsen und Moe übersetzt von Bresemanu No. 5. KHM. No. 29.
Meier, Märchen No. 79. S. 273. Prölile, Märchen für die Jugend No. 8.
S. 30 fgg.
2) Skäldskaparm. c. 27. Sn. E. I, 330.
218
Wind*). Dass in Deutschland die Hunde des wilden
Jägers den Wind bedeuten, dafür hat Schwartz ^) u. a.
einen schlagenden Beweis darin aufgezeigt, dass ihnen Mehl-
säcke zum Frafs hingestellt werden ^) , wie man bei star-
kem Sturm dem Wind einen Mehlsack aus dem Fenster
schüttelt mit den Worten: „Lege dich lieber Wind, bring
das deinem Kind^)."
Kuhn hat nun bereits auf einen ganz ähnlichen Zug
in der indischen Sage hingewiesen. Indra schickte näm-
lich die Götterhündin Saramä ab, um die geraubten Kühe
und die grofsen Schätze zurückzufordern, welche die Pa-
nis hinter dem 100 Yojanas breiten Flusse Rasa in der
schwer einnehmbaren Stadt des Vala (Vritra) ver-
borgen halten, wo erstere „an den Enden des Him-
mels umherfliegen" (siehe oben S. 3) und von Panis
mit scharfen Waffen gehütet werden, letztere am Bo-
den des Berges (adribudhnah) von andern wachsamen
Panis bewacht sind. Saramä verlaugt nun: „Indra, wenn
du die Milch der Kühe und andere von ihnen stammende
Speise meinem Kinde giebst, dann will ich gehen" (^ver-
gleiche oben Seite 42) und Indra sagt ihr zu: „Speise-
essend will ich deinen Spross o Saramä machen, wenn
du die Kühe gefunden hast^)." Die Kinder der Saramä
sind nun jene se eleu geleitenden Hunde des Totengottes
Yama (s. oben S. 199), die davon Särameyau in der Ein-
zahl Särameya heifsen. Der Hund Särameya wird nun
aber in der Brihaddevatä II, 1, 4 unter dem Namen Pu-
nahsara, der Hin- und Herlaufende zugleich mit dem Wind-
gott Väyu angerufen, und dieser sowol wie Indra als Wind-
1) Aasen prcEver af landsmaalet i Norge 87, 1.
2) Der heutige Volksglaube uud das alte Heidentum S. 13.
3) S. Kuhn, Nordd. Sagen S. 70.
4) Myth.'^ 602. Myth.' LXYVIII, 282. Asbjömsen und Moe übersetzt
von Bresemann I, S. 49 fgg. Auch bei den Russen s. Narochiija russkija
skazki izdal A. Afanasiew. Moskva 1855 — 56. II, 140 fgg. Vergl. Kuhn
bei Haupt, Zeitschr. f. D. Altertum VI, 131.
5) Nach verschiedenen von Kuhn a. a. O. VI, 117 fgg. ausgeschobenen
späteren indischen Uebcrlieferungen aus den Vedenscholiasten , der Brihadde-
vatä, dem Cädyägana u. s. w. Von Saramä lieifst es in nieln-eren Stellen gradezu,
dass Indra sie als Jagdhund gebrauche. S. Zeitschr. f. D. Altert. VI, 122.
219
gott (s. o. S. 143) werden mit dem Beiwort funas = ^van
der Hund belesct. Kann es somit keinem Zweifel miterlie-
gen, dass Saramä und die Särameyau nur eine andere Auf-
fassung der Maruts, die ja wie die Geister des wütenden
Heers und der wilden Jagd Seelen sind, waren, so ist deut-
lich, weshalb die letzteren in Hundegestalt den Drachentö-
ter unseres Märchens begleiten. Wir sahen S. 47 und 143
Thunar auch des Windes gewaltig und in Begleitung der
Windgeister der wilden Jagd.
Verfolgen wir unser Märchen weiter. Mit seinen Hun-
den zieht der Gott zum Kampf mit dem Drachen oder
Meertrollen und die Hunde leisten ihm dabei wirksa-
men Beistand'). Wie lange noch bei uusern skandina-
vischen Stammverwandten die Vorstellung lebendig blieb,
dass der Wind die sonne- und mond verschlingende
Finsternis vertreibe, dieselbe Vorstellung welche dem Hel-
feramt der Maruts in Indras Kämpfen zu Grunde lag, geht
aus einem dem Stoff nach uralten Rätsel in der Getspecki
HeiSrecks konüngs hervor.
Gestiblindr :
Wer ist der Dunkele,
Der über die Erde fährt.
Verschlingt Wasser und Wälder?
Vor dem Wind er sich fürchtet,
Nicht vor den Menschen,
Und ruft die Sonne zum Kampfe.
König Heiörek
Merk auf das Rätsel.
Heiörek :
Leicht ist dein Rätsel,
Blinder Gest,
Auszudeuten.
Nebel (myrkvi, eigentUch Finsternis) erhebt sich
Aus Gymirs Wohnung (dem Meer. Gymir = Oegir.
s. oben S. 171.)
1) Oberleitnev a. a. 0. S. 83. 110. MüUenhoflf, Sagen S. 450. ßccli-
steil., Märchen S. 223.
220
Hindert des Himmels Anschaun,
Verbirgt die Strahlen
Der Z wergüberlisterin (der Sonne),
Flieht nur vor Fornjöts Sohne (Käri dem Wind) ').
Bedeutsam ist, dass der Gott bald mit Drachen die auf
Bergen wohnen oder erscheinen, bald mit im (Wolken-)
Meer wohnenden Trollen kämpft. Gradeso ist im Maha-
bhärata Vritra zum Herscher der im irdischen Meere
hausenden Asuren geworden, die Indra oder seine Hypo-
stase Arjuna bekämpft, wie in Skandinavien Ahi im Meer-
riesen Oegir wieder auftaucht. Entspricht somit in unserm
Märchen der Kampf mit dem Drachen dem Streit Thors
mit dem MiögarSswurm , so der Straufs mit dem Meer-
troll der Fehde mit Hymir und Oegir. Wo in den Va-
rianten mehrere Trolle auftreten, ist eine in der Sage sehr
gewöhnliche Vervielfältigung ein und desselben Wesens ein-
getreten. Jene verschiedenen Angaben des Märchens be-
weisen aufs Neue die von uns nachgewiesene Einheit des
(Wolken-) Meer es und (Wolken-) Berg es. Durch den
Genuss des himmlischen (Söma-)Tranks gestärkt, vollbringt
der Held den Kampf siegreich ^). Dann sinkt er auf dem
Schofs der befreiten Jungfrau in Schlaf und wird von ei-
nem Nebenbuhler getötet. Der Blitz erstirbt, nachdem er
die Wolke gespaltet, um erst später, wenn die himmlische
Frau aufs Neue in Gefahr ist sich dem bösen Feinde zu
vermählen, auf den Schauplatz zu treten. In diesem Teile
ist noch nicht alles klar, aber die Uebereinstimmung der
deutscheu und indischen Sage leidet keinen Zweifel. Als
der Gott dann erscheint, um die Wasserfrau sich zu ver-
mählen, die Däsapatni zur Devapatni zu machen kündigt
er seine Gegenwart dadurch an, dass er seine Hunde
Speise von ihrem Tische holen lässt. Das Regengewäs-
ser die Milch der Wolkenkühe ist, wie wir gesehen haben,
öfter als Götterspeise Amrita aufgefasst, s. oben S. 97,
vergl. S. 64 die Maruts, die Geister des wilden Heers
1) Hen^arars. ed. Havu. 152. Vergl. Lex. myth. 342.
2) KHM. No. 60.
221
speisen davon s. o. S. 42. 49 fgg-, Saramä empfängt, die
verborgenen Kühe und Wasserfrauen aufspürend, von
dieser Speise s. oben S. 218. In den Veden wird oft ge-
schildert wie die Winde, die Maruts, das Regengewässer, das
Nebelo-rau das den gauzenHimmel überzieht, zur geschlos-
senen Gewitterwolke zusammenblasen und sie werden
so als Sammler des Regens gefasst, wodurch sie erst In-
dra den Kampf ermöglichen, ihm den Gewittertrank, den
hiramhschen Söma schaffen. Dass der Gott diesen vor dem
Kampfe geniefst während in der Natur die Regenflut erst
niederströmt, nachdem die Wolke bereits gespalten, Abi,
Ägi, getötet ist, dürfte am Ende ein in der Mythe häufi-
ges vOTBQOV rtooTEQOv sciu. Einen ähnlichen Gehalt stehe ich
durchaus nicht an, für den eben berührten Zug in unserem
Märchen anzunehmen.
Sehr merkwürdig ist die Uebereinstimmung der indi-
schen und deutschen Sage darin, dass diese den erlegten
Drachen siebenköpfig sein lässt '), wie die indische Sage
dem von Trita getöteten Drachen sieben Schwänze giebt.
Es geht daraus hervor, dass wir es in unserm Mythus mit
derjenigen Tätigkeit des Gewittergottes zu tun haben, wel-
che er als Befreier aus den Banden des siebenmonat-
lichen Winters ausübt.
Wie Trita neben Indra steht schreibt die dänische
Mythe, welche uns in verschiedenen Fassungen bei Saxo
erhalten ist, den Drachenkampf einem dem Thorr ver-
wandten Gott, dem Freyr zu, der hier unter den Namen
Froöi, FriöfroSi, Fridleifr auftritt'^). Er muss eine Thorr
1) KHM. No. 60. Steir, Ungarische Sagen No. 1. Zingcrle, KIIM.
1852. S. 154. Zingerle, KHM. aus Süddeutschland S. 2G5. Pröhle, Volks-
märchen No. 5. S. 21. Meier, Märchen No. 58.
2) S. Simrock, Handbuch der D. Myth. S. 346. Petersen, Nordisk my-
thologi 347. ^V. Müller bei Haupt, Zeitschr. f. D. Altertum III, 51 fgg. Be-
merkenswert ist, dass Saxo den von Fri'Sleifr getöteten Drachen als ,,anguem
undis cmergentem" schildert, da dieser Zug ein neues Zeugnis für die
Identität des Miggarös^iirms mit Alii ablegt. Noch wichtiger ist der folgende
Zug; ,,Fridlevus thcsaurum humi conclusum effodere, custodemque ejus dra-
conem bovine tergore tectiis appetere cujusdani per quietem conspeeti mo-
nitu perdocetur." Denn die Ochsenhaut dürfte nichts anderes als ein Ue-
berbleibsel der Stiergestalt s. o. S. 36. 37 des drachentötenden Gottes sein.
222
naliverwandte Gottheit sein, welche mit diesem zugleich aus
dem indogermanischen Göttermythus hervorging, von dem
auch Indra ein Ausfluss ist. Wir sahen schon oben S. 171
Anm. 4 dass in Freys Freiwerbung um Gerör derselbe
Mythus, wie in den Riesenkämpfen Thors steckt und dem
Drachenkampf steht ein Streit mit dem Riesen Beli zur
Seite. Nun hat uns die skandinavische Mythe bei Freyr
die Wassergeburt erhalten; als Sohn desNjörör giebt
er sich als Aptya kimd. Man hat Njörör bisher immer
als Gott des irdischen Meers gefasst und dafür sogar
etymol. Anhalt zu gewinnen gesucht '). Wir werden aber
an einem andern Orte den Erweis liefern, dass NjörSr ur-
sprünglich, wie Varuna das himmlische weltumgebende
Gewässer bedeutete und dann gleich diesem zum irdischen
Meergotte herabsank. Gylfaginning 23 legt ihm ausdrück-
lich himmhschen Wohnsitz bei (hann byr a himni). Liefse
sich aus der Natur eines Meergottes, der durch SchifiFahrt
das reichmachende Vikingertum beförderte, erklären, dass
NjörSr als Spender fahrenden Gutes und von Reichtum im
Allgemeinen (lausafe, fesaela) angerufen wurde, so kann ein
simpler Meergott nimmermehr Landbesitz (auS landa) ^) ver-
leihen noch um Frieden und Fruchtbarkeit der
Aecker (är) angerufen werden ^) , ebensowenig würde
man einem Meergott, der dies ursprünglich war, die Gabe
das Feuer zu löschen (hann stillir eld) zugeschrieben ha-
ben. Entscheidend aber ist, dass sein Name „der Kräf-
tiger," »der durch den man kräftig wird" auf ein
himmlisches Wesen hinweist ■*). Ist Njörör mithin, wofür
Ebenso erhält Frogi (Frotho I.) der auf einer „insula edita praemollibus cli-
vis collibus aera tegens" den goldhiitenden Drachen (montis possessor) tötet,
die Weisung: ,,Taurinas intende cutes, corpusque bovinis tergoribus te-
gito.'-
1) S. Weinhold bei Haupt, Zeitschr. f. D. Altertum VI, 460.
2) Gylfag. 23.
3) Heimskriugla Yuglingasaga c. XI.
4) Der Name XjörSr ist gebildet me ^örör, mörör, jörö. Diese Worte
sind mit dem Suffix 8u, goth. \>u abgeleitet. FjörSr von fara bedeutet das
■worauf gefahren wird; mör^'r Widder von Wiu-zel mar, mr das zum Töten
bestimmte Opfertier mactaudum; jörö von aran, lat. arare das worauf gepflügt
223
man den ausführlicheren Beweis in meinem Buche „Anthro-
pogonie der Germanen" suchen möge, der Gott des Him-
melsmeeres, so steht er jenem westarischeu Athwya dem
Sinne nach gleich.
Wilhelm Müller hat auf überzeugende Weise dargetan'),
dass in einer ganzen Reihe deutscher und nordischer üe-
berlieferungen ein unserm Märchen ganz ähnlicher Mythus
von Oöhinn -Wuotan erzählt wird, eine Uebereinstimmung,
welche durchaus nicht befremden kann, da verwandte Göt-
ter (und es berührt sich Wuotan mit Thunar und Fro in
vielen Stücken, gradeso wie Rudra mit Indra und Trita)
ähnliche Mythen haben, aber — und dies ist ein wichtiges
Unterscheidungszeichen — es fehlt den auf Wuotan bezüg-
lichen Mythen der Drachen kämpf als wesentliches Mo-
ment. Wir kommen bei Gelegenheit auf diese Dinge zurück.
ö) Durch seine Dämonenkämpfe wird Indra der Freund
der Menschen. In vielen Liedern heifst es, dass er zu
Gunsten Manus oder Purus (des Menschengeschlechtes)
oder der Aryas (der Gesammtheit der arischen Stämme) die
Bösen besiegt, ja Indra selbst erhält den Beinamen Arya
der Arier. Er heifst mä'nusha den Menschen wolgesinnt ^).
„Dich den Herrn der Männergesammtheit, den Herrn
ungebeugter Kraft (s. o. S. 125) rufe ich zum Schutze der
Menschen herbei mit dem eilenden Wagen ^)." „Ein Be-
kämpfer der übermütig Wachsenden ist der König beider
Reiche, es schützt aber Indra sein Volk unter den
Menschen''). Unter den Menschen hat er wieder beson-
dere Lieblinge. Seinen Freund Kutsa nimmt er im Kampf
wird (arandum), wie bargi Schild von bcra gestandum, burgr Geburt qua rc
efticitur, ut latus sis vel tuleris. Auf dieselbe Weise ist Njörgr von Wur-
zel nar, nr aus anar, anr abzuleiten, welche in wälsch nertli Kraft, nerthus
kräftig, neart Kraft, neartor kräftig, in lat. nervus, nero Mann; Neriene, Ne-
ria griech. dn](), sanskr. nar und nara (s. Zeitschr. f. D. Altertum III, 226.
Zeitschr. f. vgl. Sprachf. I, 307. II, 2G. V, 371) erhalten ist und kräftigsein
bedeuten muss. Nach der Analogie des zweiten burgr bedeutet Njörör dem-
nach einen durch welchen man kräftig ist perquem efficitur, ut validi
siraus.
1) Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen S. 389—424.
2) Sämav. Bcnf. II, 8, 3, 5, 2.
3) Roth, Nirukta S. 163.
4) Roth, Nirukta S. 90.
224
gegen ^ushna auf seinen Streitwagen mit, schützt ihn im
Straufs mit seinem eigenen Körper und verleiht ihm das
eine der beiden erbeuteten Sonnenräder, während er
selbst das andere, behält. Dem Turväpa leistet er Beistand
im Kampfe zwischen denBhrigus undDruhyus. DemUpana,
Kavis Sohn, befreit er den in Gefangenschaft fortgeführten
Enkel Navavästva. Für Purukutsa zerstört er die 7 Win-
terburgen, Noch manche andere Beispiele könnten namhaft
gemacht werden. Die meisten dieser Freunde Indras sind
noch als ursprünghch mythische Gestalten durchsichtig.
Kutsa erscheint in mehreren Stellen als Name des Vajra,
also als Indras Hypostase selbst. Seine Mutter heifst Ar-
juni, sein Vater einmal Arjuna und dieses ist wieder ein
Beiname Indras. Upana soll der Venusstern sein, dessen
Geschlecht Indra von der Verdunkelung durch die Dämo-
nen befreit. Fast immer sind dagegen die Feinde, gegen
welche Indra seinen Freunden Hilfe leistet, als himmlische
Dämonen erkennbar. Turväga und Yadu wateten durch
eine Furt, vom Wolkendämon Dhuni verfolgt, da erregte
Indra einen heftigen Sturm, der die Wogen aufstaute, so
dass der Feind ihnen nicht folgen konnte. „O starker In-
dra, du bewegst die Wogen, du erregst die Wasser, wel-
che Dhuni beherrschte. Plötzlich eine Furt bildend hast
du Turvä^a und Yadu sicher gerettet ').
öd) Als Trollenbesieger führt Thörr den Namen Freund
der Menschen vinr verliSa *). Zum Schutze der Men-
schen zieht er gegen die Kiesen aus und daher riefen die
Sterblichen seinen roten Bart um Schutz gegen das böse
Jötungeschlecht an ^). Aber auch einzelnen Menschen ist
er hold, und diese durften sich Thors Freunde Thors vinar
nennen. Dem Schweden Styrbjörn leistete er Beistand ge-
gen Eirikr, den OSinn beschützte *). Auf seinem Wagen führt
ThorrThiälfi und Röskva nach SimrockPersonificationen des
Blitzes mit sich, sowie Orvandill, den ich ebenso deutete.
1) Rigv. Langl. IV, 6, 4, 12.
2) Hymisqu. 11. Vgl. Harbarösl. 23.
3) Olafs Tiygg\^asonars. Fommannasög. II, 213 fgg.
4) Stvrbjömsjjattr. 2.
225
Als Schützer der Menschheit heifst Thörr Miggarös-
veorr der Menschenwelt Weiher (Tenipelfriedenstifter )
und in Norwegen verehrte man ihn als Schützer des Lan-
des Landäss. Was dies besagt geht aus der Nachricht
hervor, dass auf* einer der Orkneys ein dem Thorr heiliger
Vogelbeerbaum stand. Die Norweger glaubten, dass
ihre Herrschaft untergehen werde, wenn die Feinde
auch nur einen einzigen Zweig von diesem Baume weg-
trügen ').
g) Aus der eben entwickelten Wesensseite Indras floss
auch seine Geltung als Kriegsgott, der den Menschen in
ihren Kämpfen Ruhm und Sieg verleiht und die Städte der
Feinde zerstört^). „Ihn den König der Menschen, der un-
aufhaltsam auf Scl)lachtwagen fährt, den Ueberwältiger
aller Heere, preise ich den Vritratötenden'^)." „Auf schmük-
ket unsern Indra aus, der anzuflehu in jeder Schlacht; zu
den Gebeten, Opfern Vritratötender komm, mit starker
Sehne Preis würdiger ")."
i ) Brihaspati (Indra) umflieg uns mit dem Wagen
Räkshas tötend, die Feinde niederschlagend,
Heere brechend, Vorkämpfer im Kampf siegend.
Sei der Beschützer unserer Kriegeswaoren.
2) Durch Stärke kenntlich, tiralt^)^ heldenkräftig,
Mächtig gewaltig, furchterregend, siegreich
Umringt von Heldenlcriegern , kraftgeboren (s. o.
S. 126)
Besteig stierspendend, Indra, den Siegeswagen.
3) Dem Wolkenspalter, Stierspender, Blitzschleudrer,
Dem Heeressieger, der mit Stärke vorkämpft,
Ihm ahmt, o Freunde, nach im Heldentume,
Mit Indra eifert in die Wette, Brüder*^).
1) Lex. myth. 8!) 7.
2) S. Kuhn, Jahrb. f. wissenschaftl. Kritik 1844 S. 99.
3) Sämav. Bcnfey I, 3, 2, 4, 1.
4) Ibid. I, 3, 2,' 3, J.
5) Im Text steht sthavira, dafür im Glossar nur die Bcdeutunp; fcsl.
;;egen führt Bopp, Gl. Sanscr. allerdings die Bedeutung „senex" auf.
6) Sämav. Bcnfey H, 9, 3, 2.
15
226
Raben begleiten Inclras Zug in die Schlacht:
Ihr sollen Raben folgen rasch geflügelt,
Des Geiers Speise werde jene Heerschar;
Gerettet, Indra, sei der Bösen Keiner,
Die Vögel mögen sie allsammt ereilen.
Das Feiudesheer, o Mächtiger, welches feindlich
Gegen uns zieht, verbrennt es beide, Indra
Vritratöter und Agni du ^).
Wenn die Aryas nach Geschlechtern und Verwandschaften
geordnet (?) in den Kampf ziehen rufen sie Indra an:
Den vor dem Feind die kämpfenden Geschlechter^)
Den im Gespann die Stürmenden anrufen,
Den in der Schlacht, den in der Wogen Sturme
Die Priester feiern, Indra ist es, dieser^).
Als Vritra- und Valatöter hiefs Indra Vritrahan, oder Ba-
lavritrahan. Dieser Name blieb dem Zendvolk erhalten,
das das entsprechende Wort Verethraghna oder Vaheva-
hean als Namen eines guten Genius kannte. Bei den Ar-
meniern hat sich dieselbe Gestalt in der gekürzten Form
Vahagn erhalten. Man verehrte denselben als Drachentö-
ter und machte in hellenistischer Zeit aus ihm einen dra-
chenschlagenden Herakles Babeios, dem unter anderem
in der Provinz Taron in den karcharischen Bergen ein
Tempel geweiht Avar, welcher als Hauptopferort der arme-
nischen Könige zu grofser Berühmtheit gelangte*). Ande-
rerseits nahm sowol der vedische Superlativ vritrahantama
als das entsprechende zendische veretrazan die allgemeine
Bedeutung siegreich an.
es) Auch Thörr war Kriegsgott, wenngleich er als sol-
cher im nordischen Glauben sehr zurücktrat. Er urteilt
dem Starkaör, dass er in jedem Kampf unheilbare Wun-
1) Sämav. Benfey II, 0, 3, 6.
2) Kshitaya spardhamänah. kshiti bedeutet eigentlich Haus, Wohnung, dann
Familie, in der Mehrzahl die Stämme, tribus. So heifsen die 5 Stämme
der Arier pauca kshitayah.
3) Sämav. Benfey I, 4, 1, 5, 6.
4) S. Windischmaun, Abhandl. der Bair. Akad. München 1856. VIII. I,
S. 109.
227
den davontragen solle (\>at legg ek a bann, at hann fai i
hveiju vigi meiSslasar). Die Wiedereinführung des Thörs-
dienstes durch Häkon den Mächtigen besang der Hofskalde
Einarr Skalaglam in seinem Preislied Vellekla. Darin
beifst es:
Zurück gab sie mitsammt der Kluge
EinriSis wahre allbekannte
Vordem verheerte Tempelgründe
Und der Götter Heiligtümer.
Zuvor führt' Hlorriöi (Thörr) den Raben
Den Wecr des Leichenfalls der Riesen
Weit über alles Meer, es steuern
Den (Herrn) des Lanzenwalls (den Häkon) die Götter ').
EinriSi und Hlorriöi sind bekanntlich Eigennamen Thors,
unter den gefällten Riesen sind die Eirikssöhne gemeint,
welche den alten Götterdienst abgestellt und Häkon aus
seinem Erblaude Throndheimr vertrieben hatten, von ihm
aber im Bunde mit König Haralldr von Dänemark um 970
einer nach dem andern besiegt und getötet waren. Ist in
dieser Stelle auch der Gedanke zweifelhaft, dass Thörr
selbst dem Raben die Leichname der erschlagenen
Feinde giebt '^) — da die Worte geiragarSs Hlorriöi auch
zusammengenommen werden könnten und dann von Häkon
„dem Hlorriöi der Lanzumzäunung" (d. i. des Schildes) die
1) Heimskrmgla Olafs Tryggvasonarss. k. IG. Fommanuasög. I, 91.
011 let semi cnn svinni söun Eimiriöa, möniium
hverjum kimii, of herjuö hofslanö ok ve banda:
äör veg jötna vitui valfalls of sjö allan,
j^eim styra goÖ geira garös, Hlorridi faröi-
2) In der obigen Vcdcnstulle Sämav. II, 9, 3, G ist die Ueberoinstim-
mung in der Scliildoning der Schlacht mit den Beschreibnngen der altgerma-
nischen Poesie bemerkenswert. Niclit allein die nordischen Skäklenlieder son-
dern auch die angelsächsischen Gedichte sind des Preises der Helden voll,
welche im Kampf dem Wolfe Speise schaffen, dem Raben den Bluttrank
bereiten. Sie heifscn daher ülfs tannlituöar Wolfs Zahnfärber. Oöiun selbst
zieht als Ivriegsgott in den Kampf von seinen Raben und Wölfen begleitet,
von den erstercn heifst es, dass sie täglich von des Götterkönigs Sitz zur
Erde fliegen und vom Blut der Gefallenen sich nähren. Auf einem zu Ehren
Eyvins des Griechenlandsfahrers errichteten Bautastein zu Totten ist ein Rei-
ter mit 4 Rossen abgebildet. Ihm zur Seite läuft ein Wolf und darüber
schwebt der Rabe. Ol. Worniü Monum. Danic. CVI, S. 485.
15*
228
Rede wäre — so lernen wir doch, dass wie in obiger Ve-
denstelle die Räkshasas, so im germanischen Norden die
Jötnar als Bild der irdischen Feinde der Menschen
gefasst wurden, eine Vorstellung welche mehrere Skälden-
gesänge bestätigen. Wenn es nun von Thörr heifst, dass
er an der Spitze der Einheriar die Götterburg gegen die
Thursen verteidige, z. B. bei Thörbjörn Disarskäld:
l^örr hefir Yggs meS ärum Thorr mit Yggs Genossen
Asgarö af ]>vek varöan Wehrt mit Stärke Asgarö
und wenn er andererseits als deijenige bezeichnet wird, der
die Menschen gegen die Riesen schützt (sä er öldum bergr) '),
so war es natürlich, in ihm einen Schützer und ein leuch-
tendes Vorbild im Kampfe zu sehen. Es wird daher das
Zeugnis des Hugo von St. Quintin unverwerflich erschei-
nen, der zwar erst um das Jahr 1000 sein Buch De mo-
ribus Nortmannorum schrieb, sich aber auf alte Lieder und
die lebende Sage seines Volkes stützte^): „Ceterura in ex-
pletione suarum espulsionum atque exituum sacri-
ficabant olim venerantes Thur deum suum. Cui non ali-
quod pecudum neque pecorum nee Liberi patris, nee Ce-
veris litantes donum, sed sanguinem mactabant ho-
minum, holocaustorum omnium putantes pretiosissimum,
eo quod sacerdote sortilego praedestinanti juga boum una
vice diriter icebantur in capite collisoque unicuique singu-
lari ictu sorte electo cerebro, sternebatur in tellure perqui-
rebaturque levorsum fibra cordis, scilicet vena. Cujus ex-
hausto sanguine ex more sua suorumque capita linientes,
librabant cele riter carbasa ventis, illosque tali ne-
gotio putantes placare, velociter navium insurgebant remis.
Sin vero majori sorte equites egressi essent, mavortia
erigebant vexilla proelii. Sicque suis a finibus ela-
bentes tenebant intentionem in gentium mortiferam concus-
sionem '')."
1) Hymisqu. 22.
2) S. Waitz bei Pertz, Monum. Germ. IV, 94.
3) Dudo de moribus Nortmannorum c. I ap. Du Chesne Script. Normann.
229
Im Kampf gegen seinen Vaterbruder Eirikr, dem
Oöinn beistand, rief Styrbjörn Thorr mu Hilfe an '). Aus
den angeführten Zeugnissen wird sich zum wenigsten schHe-
fsen lassen, dass den Nordgermanen vor der vorwiegenden
Geltung Oöins und Tyrs als Kriegsgottheiten der Gedanke
an einen Einfluss Thors auf das Geschick der Heerzüo-e
nicht ganz geschwunden war, bei den Südgermanen scheint
Tacitus den Thunar noch in lebendiger Kraft als Kriegs-
herrn waltend gekannt zu haben. Er nennt nämlich, in
römischer, Avahrscheinlich aus dem Munde der in Deutsch-
land stehenden Legionen geflossener Uebertragung, Ilercu-
p. 62. Wol nach Dudo berichtet im zwölften Jahrhundert Robert Vaee, Ca-
nonicus zu Caen in seiner Normannischen Eeimchronik (Romaiiz de Kou) :
Ceuls (les Danois) sont unes gens moult diverses (cruelle)
moult contraire et moult perverses.
Un dieu soloient aorer,
qu'il soloient Türe apeler,
moult l'amoient, moult se fioient,
hommes vis li sacri fioient;
du sanc de Tonime s'arrosoient.
Mes anchiez (auparavaut) s'en desgeunoient.
Ja, puisque ils eins feissent,
li uns as autres ne faillissent
de cel sanc lor armes teiguoient
et eulx mesmes, quant devoient
aler eu ancune bataille,
ou por gaing, ou por vitaille,
plus assur partout aloient
quant de cel sanc a eulx portoient,
que il avoient sacrefie
et a lour dieu tout atouchie'.
Mit Dudos Bericht über dem Thon- dargebrachte Menschenopfer vergleiche
man, was das Landnäraabok von dem durch Thorolfr Möstraskeggr diesem
Gotte geweihten Hofe erzählt. Daselbst befand sich ein spitzer Stein, Thors-
steinn genannt, auf welchem den zum Opfertode bestimmten Gefangeneu der
Rücken zerbrochen wurde, daneben lag der Gerichtskreis (dömhringr) in wel-
chem über die dem Opfertode zu weihenden Menschen das Urteil gesprochen
ward. Landnämab. p. 92. 94. E3'rb3'ggjasaga k. 10. Auch der grausame
Brauch heidnischer Vikinge, kleine Kinder in die liUft zu werfen und mit der
Speerspitze wieder aufzufangen (henda börn ä spiota oddiim) ist ein um Kriegs-
glück dargebrachtes Menschenopfer. S. Keyser Ts'ordmicndencs Rdigionsforfat-
ning i Hedendommen §.21. S. 103. Jener Dömhringr wiederum darf mit
des Tacitus Aussage (Germania 7) zusammengehalten Averdeu: Ceterun^ neque
animadvertere neque vincirc, ne verberare quidem nisi sacerdotibus pcr-
missum, non quasi in poenam nee ducis jussu sed velut Dco imperantc, «lueni
adesse bellantibus credunt.
1) Styrbjöruspattr k. 2.
230
les neben Mars als einen germanischen Gott'). Vor dem
Kampf mit Germanicus auf der Idisenwiese versammeln
sich die zu Armin stolsenden Stämme in einem diesem
Hercules heiligen Haine ^). Wenn sie in die
Schlacht ziehen wollen, besingen sie ihn als den
ersten aller tapferen Männer''). Mit seiteuer Ein-
mütigkeit haben die neuereu Mythenforscher in diesem Her-
cules Thunar erkannt *), der als Drachenkämpfer dem Be-
sieger der Lernäischeu Hyder, der schon in der Wiege
Schlangen erwürgte, als Hammerträger dem keuleuschwin-
geudeu Zeussohn ^), als Dursenbekämpfer dem Töter der Ger-
1) Germania 9.
2) Aunal. II, 12.
3) Germania 3.
4) Müllenhoff, De autiquissima Germanoriim poesi cborica S. 7. 12. 15
fgg. C. Zeuss, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme S. 25. W. Müller,
Altd. Eeligion S. 44. 241. 242. Versuch einer mythol. Erklärung der Nibe-
lungens. S. 143. Simrock, Handbuch der D. Mytli. S. 294 fgg. H. Eückert,
Culturgescb. des D. Volkes 79. 130. Vergl. Myth.^ 338. In Bezug auf den
von Grimm und Andern über den Ausdruck vir erhobenen Zweifel bemerkt
Müllenhoff, De poesi eher. 16 sehr richtig: ,,Xeque quoniam Hercules primus
omnium virorum fortium dicitur eum heroem fuisse quisquam affinnare po-
terit, nisi qui, si quis Venerem omnium mulierum formosissimani dixit, eam
quoque heroina habebit. Sed etiam Grimmius eum int er heroes nostros po-
suit, quod non solum aperte Taciti verbis cap. 3. repugnat, verum etiam vir
doctissimus non considerasse videtur id quod satis notum est, Herculem apud
Italos et Komanos non heroem ut apud Graecos, sed deum et quidem anti-
quissimum et nobilissimum fuisse." Wir fügen hinzu, dass Thorr in der Edda
mit demselben Worte, das Tacitus gebraucht, Wagen mann vagnaverr (ags.
ver, alts. altfr. ahd. wer :^ lat. vir, skr. vira) genannt wird und dass des Kö-
lners primus fortium virorum sich wörtlich in Thors Beinamen Einheri (d.i.
der Held xar f^oxV'"^ wiederfindet.
5) Im dänischen Glauben muss Thors Hammer fast durchweg als Keule
(clava) gedacht sein, da Saxo nicht allein dem Gotte selbst dieselbe im Kampf
gegen HöÖr beilegt, sondern auch alle Hypostasen Thors in der dänischen
Heldensage diese Waffe, die sich noch deutlich als Donnerwafle kuudgiebt,
tragen. S. Uhland, Mythus von ThoiT S. 192 fgg. Die gleiche Darstellung
zeigt das ,,sceptrum," welches nach Adam von Bremen cap. 233 Thors
Büd im Upsalatempel führte, sowie jenes noch unerklärte ,,reföi giiUbüit"
(ein längeres Messer nach Weinhold. Altnord. Leben S. 201), welches Thors
Statue in Throndheim in der Hand hatte (Heimskringla, Olafs Trt-ggvasonars.
c. LXXVI). Interessant ist die Bemerkung, dass nach A. Cunningham (The
Bhilsa Topes. PI. XXXIII. fig. 7 fgg.) die indischen Könige eine Nachbildung
von Indras goldenem ,.thunderbolt" als Scepter trugen. Eine au-
thentische Nachbildung dieses Donnerkeilscepters nach den ältesten Mo-
numenten s. bei Weifs, Handbuch der Kostümkunde I, S. 491. Fig. 204, d.
Die Berechtigung unsere Deutung des taciteischen Hercules wesentlich auf sein
231
youes und anderer Riesen der hellenischen Sage sehr ähn-
lich sah und daher von den römischen Soldaten und Co-
lonisten an den deutschen Grenzen bei oberflächlicher Be-
kanntschaft mit seinem Mythus leicht für Hercules erklärt
werden konnte. Wie nahe diese römische Uebersetzung
lag, sehen wir daraus, dass im Orient der Thunar entspre-
chende Verethragna (der Vritratöter) ebenso durch Hera-
kles verdollraetscht wurde, und in der Tat gehört Hera-
kles-Hercules (insoweit seine Mythe indogermanisch ist)
demselben Gedankenkreise und demselben Urmythus an,
wie Indra und Thunar.
Sehen wir demnach Thunar wie Indra vor dem
Kampfe angerufen und als leuchtendes, nachahmungswer-
tes Vorbild (primum fortium virorum) gepriesen, so bie-
tet eine weitere Nachricht bei Tacitus eine beachtungs-
werte Parallele zu der oben aus Sämaveda I, 4, 1, 5, 6
angeführten Stelle, Der römische Geschichtsschreiber be-
richtet, nachdem er so eben von der Gottheit gesprochen,
die sie in den Schlachten gegenwärtig glauben:
„Auch tragen sie Göttersymbole und Attribute mit in die
Schlacht, die sie aus den heiligen Hai neu hervorholen
(efügiesque et signa quaedam detracta lucis). Was aber
Attribut die Keule zu stützen, geht aus der weiten Verbreitung römischer
Statuetten grade des keuleu tragenden Hercules in ganz Deutschland her-
vor. Denn ganz übereinstimmende echte Bilder dieser Art fanden sich nicht
allein in den Römerlagern von Xanten und Strafsburg (s. Hauben und Fied-
ler, Denkmäler von Castra Vetera und Colonia Trajana. Xanten 1839. Taf.
XXVII, 4. Caylus, Recueil d'antiqnites tom. III. p. LXXXVIII. f. 1 und pag.
324. Dorow, Denkmäler alter Sprache und Kunst II, 92. tab. II, 2, a. b.),
sondern auch im Taunusgebirge (Dorow a. a. O. S. 91), bei Wien, im Bette
der Spree bei Bautzen (s. Klemm, Handbuch der germ. Altertunisk. S. 355.
No. 2. 3) u. s. w. Die weite Verbreitung dieser römischen Idole macht zum
mindesten wahrscheinlich, dass der Germane in dem Kculenträger das Bild ei-
ner einheimischen Gottheit wiederzuerkennen glaubte. Römische Bildwerke,
wie den zu Azebrule a. d. Loire gefundenen AVagon, auf welchem drei Amo-
retten mit 2 Ziegenböcken fahren (s. Dorow, Opferstätten und Grabhügel
tab. XVII, 1) hätte der Nordgermanc unzweifelhaft auf Thorr, Thiälli und
Röskva gedeutet — safs doch auch im Tempel zu Mieroe Thors Bild auf
einem prächtigen Wagen mit 2 Böcken davor (Olafs Trvggvasonais.
Skalth. II, 24) — wie sollten nicht jene Ilerculesbilder die Vermutung begrün-
den, dass der Germane sie durch Handel erwarb , um ein Bild des Keulcn-
schwingers Thunar zu haben V
232
vorzAigsweise zur Tapferkeit antreibt, nicht das Ungefähr
oder zufälliges Zusammentreten bildet eine Schar oder
einen Keil, sondern Familien oder Sippsch aften"
(non fortuita conglobatio turmam aut cuneum facit, sed fa-
miliae et proprinquitates). Dieselbe Art der Aufstellung
nach Verwandschaften erfolgte im Grofsen, wenn mehrere
Stämme gemeinsam kämpften. Claudius Civilis stellt in
seiner ersten Schlacht gegen die Kömer die Canninefaten,
Friesen, Bataver, jeden Stamm besonders in Keilform
auf (propriis cuneis componit) '). Unter den von Priestern
aus dem Haine (vergl. Thorslundr, Thorslöf oben S. 139)
geholten Göttersymbolep und Attributen werden Thunars
Bock und Hammer die Hauptrolle gespielt haben. Wie
tief es in Thunars Cultus begründet war, dass grade die
in die Schlacht ziehenden Geschlechter ihm Loblieder san-
gen, ihn unter Vortragung seiner heiligen Symbole mit
feierlichem Chorreigen priesen, habe ich in meinem Auf-
satz „Sif, Sippia'^)" auseinanderzusetzen gesucht.
^) Indra wurde als Jüngling gedacht. „Denn grofs
ist deren Opferstofs, hehr der Gesang, die Keule breit, de-
nen Indra der Jüngling Freund. Kampflos fürwahr ge-
winnt im Kampf der Held durch seine Kraft den Schatz,
welchem Indra der Jüngling Freund'^)." «Der Städte-
zerstörer, Jüngling ist, der weise übermächtige Indra,
gezeugt der Werke Allbesitzer, Donnerer vielgerühmt ^).''
„Die Maruts singen einen Sang schöusingend; gepriesen
wird der hehre Jüngling Indra." Daneben heilst Indra
aber auch uralt (sthavira = senex) s. o. S. 225. Die cr-
stere Vorstellung fliefst aus ludras Natur als Kraftgott s.
oben S. 126, die andere aus der Vorstellung, dass er älter
1) Tac. bistor. IV, 16. vergl. 77. Caesar de beU. Call. I, öl. Vergl.
meiuen Aufsatz Sif, Sippia Zeitschr. f. D. Myth. II, 330 fgg. und Müllenhoff,
De poesi chorica S. 12.
2) Zeitschr. f. D. Myth. II, 331 fgg. Vergl. Müllenhoff, De pocsi cho-
rica S. 13.
3) Sämav. Benf. II, 5, 2, 21, 2, 3.
4) Ibid. II, 4, 2, 2, 8.
5) Ibid. II, 5, 2, 1, 9.
_^3 _
als die anderD Götter sei. So heilst er Rigv. Langl. 11,
2, I, 1 fgg-: r^'or deu andern Unsterblichen geboren, die
er mit Kraft geschmückt hat."
CC) Thörr erschien dem Styrbjörn als rotbärtiger
Jüngling, ebenso dem (Jlafr Tryggvasour ^). Anderer-
seits nannte man ihn Atli Väterchen, Goldgubbe
(„goldgubben äker" der gute Alte fährt, sagt man in Schwe-
den beim Gewitter) und in einer deutschen Sage tritt Thu-
nar als Greis mit langem weifsen Barte auf').
7/) Gleich nach seiner Geburt zieht Indra gegen
die Dämonen aus. „Kaum war (^atakratu geboren, so sagte
er zu seiner Mutter: was sind das für furchtbare Schreie,
die man hört? Es sind, sagte sie, Aurnaväbha und Ahipuva.
Mein Sohn möchten sie von dir besiegt werden '^)." Zur
Hilfe herbeigerufen kommt Indra aus der Ferne mit der
Schnelligkeit des Blitzes herbei. „Komm zu uns
Indra aus der Ferne, du bist nicht da, wie zu dem Opfer
ein Heldenfürst, zur Burg ein König, Heldenfürst ^)."
„Komm zu uns aus ferner Gegend mit deinen beiden
Rossen^;." „Gleich kommt er, sowie er nur hört, mit
tausend Hilfen auf unser Gebet'')."
?/?/) Thörr war nach Osten gezogen Riesen zu töten
(]>6rr var farinn i austrvega at berja troll). Inzwischen
kommt der Jötunn Hrüngnir nach VallhöU und belästigt
die Äsen. Als den Äsen sein Uebermut zum üeber-
druss wird, da nennen sie Thörr. Sogleich kommt
Thörr in die Halle und schwingt den Hammer, er ist
sehr zornig und fragt, wer gestattet habe, dass hundert-
weise Jötune dort trinken dürften. (En er Asum leiddist
ofrefli hans ]>a, nefna ]?eir j'ör, |>vi n.-est kom J'örr i
hölliua ok haföi uppi ä lopti hamariun ok var allreiÖr) ').
1) Fommaunasög. II, 182.
2) Seiünt, Sagen von Ilildesheim Xo. 6. S. 8. ve.rgl. S. 176. Ztitsclir.
f. D. Myth. II, 305 fgg. III, 394.
3) Rig\% Langl. VI, 6, 10, 1.
4) Sämav. Benf. I, 6, 2, 3, 3.
.5) Rig. Langl. V, 8, 2, 3, 6.
6) Rigv. Kosen XXX, 8.
7) Skäldskaparm. cap. 17. Sn. E. I, 272.
234
In der Oegisclrecka schmcäht Loki den auf der Ostfahrt
abwesendeu Thörr und sein Weib, die Sif und im näm-
lichen Augenblick beben alle Berge, und Thörr tritt
in den Saal, Loki mit dem Hammer bedrohend '). — In
dem norvegischen Märchen von Lillekort und Lillevaker
einer Variante der S. 216 besprochenen Ueberlieferungen
scheinen beide Züge, welche wir unter i], von Indra be-
rührten, Analogien zu finden. Eine Frau gebiert einen
Knaben, der sich König Lavring nennt und gleich nach
der Geburt sich mit einem Schnappsack und Essen für
ein paar Tage auf den Weg macht. Kaum ist er fort,
so gebiert die Frau noch einen zweiten Knaben Lillekort,
der ebenso gleich nach der Geburt sich in der Stube
umliersieht, nach seinem Zwillingsbruder fragt und diesen
zu suchen auszieht. Er holt diesen ein, später trennen sie
sich. Lillckort zieht nach Osten, erwirbt ein Schwert,
das eine ganze Kriegsmacht niedermetzelt, ein Schiflf, das
über Süfs- und Salzwasser, über Berge und tiefe
Täler geht (vgl. Thors Schiff S. 147, sowie Freys Skiö-
bladnir), endlich die Kunst hundert Lasten Malz auf
einmal zu ver brauen (vgl. Thors Beziehung zur Brauerei
S. 101 fggO- Er fährt auf seinem Schiff durch die Luft
zu einem Königshof, wo er am Donerstagabeud die
Königstochter von drei Trollen befreit, die unter dem
Rufe „Feuer" mit Eisenstangen nach ihm schlagen,
während er unter dem gleichem Ituf „Feuer* mit seinem
Zauberschwert ihnen die Köpfe abschlägt. Aus den Troll-
schiffen nimmt er goldene und silberne Fass reifen
und viele andere Schätze. Ein Anderer stellt sich als
Befreier der Jungfrau an, bis nach geraumer Zeit Lillekort
sich als solchen zu erkennen giebt und den falschen Bräu-
tigam dem Tode überliefert. Eine zweite Tochter des Kö-
nigs ist von einem Meertrollen geraubt und wird un-
ter dem Wasser gefangen gehalten. Lillekort zieht da-
hin, braut dem Riesen hundert Lasten Bier auf
1) Oegisclrecka 55 fgg.
235
einmal, von dessen starker Würze der Troll und sein
ganzes Geschleclit sogleich getötet werden (indem Thörr
den himmlischen Met im Braukessel S. 103 bereitet, den
Regen niederströmen macht, sinken die Dämonen tot zu-
sammen). Da Lillekort mit der so befreiten Königstochter
heimziehend in Verlegenheit ist, welche der beiden Schwe-
stern er heiraten soll, ruft er dreimal mit lauter Stimme
seinen fernen Bruder König Lavring bei Namen. Da
steht derselbe plötzlich vor ihm'), und ist bereit eine
der beiden Jungfrauen zur Gemahlin zu nehmen.
&) Dem Indra wurde auf Bergen und in Wäldern
geopfert. „Als (der Brahmane) von Berg zu Berg stieg
und das schwere (Opfer-) Werk unternahm, erkannte Indra
seinen Vorsatz, mit der Schar (der Maruts) kam der Wunsch-
erfüller ^)" „Im Walde wird er von seinen Verehrern ge-
priesen den Sterblichen seine Macht oflenbarend '^)." „Am
Abhänge der Berge und an der Ströme Verbindung ist
(Indra) der Weise durch Opfer gezeugt'*)."
&&) Dass auch Thunar auf Bergen und in Wäldern
verehrt wurde, geht aus den Ortsnamen Donnersberg
(Thunoresberg , Thuneresberg, Donnersperch ) , Donner-
kaute, Donnerbühel, Thorsklint ^), Thörsbjerg,
Thörsbjörg, Thorslund, Thorslöf, Donnermark
hervor. Aus einem heiligen Haine des Hercules zogen
die Hilfsvölker Armins in die Schlacht von Idisiaviso. Thors
Mutter selbst heifst Fjörgyn (= goth. fairguni, althd.
virgunia) Waldgebirg eine mythische Verwandschaft,
welche erst verständlich wird , wenn wir ihre Entstehung
in einer Zeit suchen, in welcher noch die Vorstellung vom
himmlischen Wolken berge, aus dem der Blitz hervorbricht,
in vollem Mafse wach und lebendig war.
i) Bei den Tieropfern der Brahmanen spielt der Opfer-
1) Asbjörnsen und Moe No. 24. Brcsemann S. 159 fgg.
2) Rig^^ Rosen X, 2.
3) Ibid. LV, 4.
4) Sämav. Bcnicy 1, 2, 1, 5, 0.
b) Myth.2 155. 'Lcx. mytli. 922.
_ 236
pfeiler yüpa eine grofse Rolle. Dieser yüpa wird in den
Brabmanas mit dem Blitze verglichen. Achtkantig muss
er sein, wie der Blitz mit 8 Zacken. Und wie dieser von
dem Gotte auf denjenigen geschleudert wird, der ihn an-
feindet, so steht der yüpa da zum Verderben des Feindes
und den Feinden ist es unlieb zu sehen, wie der, dem sie
übelwollen , durch Aufrichtung des yüpa zum Opfer sich
anschickt. Mau salbte den Pfeiler mit geklärter But-
ter unter Absinguno; alter dem Rigveda entnommener Stro-
j)hen, welche gröfstenteils im Metrum Trishtubb, einer dem
Indra vorzugsweise heiligen Versart verfasst waren. „Elf-
sylbig, heilst es, ist die Trishtubh, die Trishtubh ist In ^
dras Donnerkeil, so vollbringt mit diesen Versen als
Indrawerkzeugen das heilige Werk, wer solches weifs ')."
ii) Ohne bei dem Mangel eingehender Untersuchungen
über germanische wie ostarische Cultusgebräuche Verwand-
schaft suchen zu wollen, kann ich nicht umhin, auf einige
ähnliche Züge im Thorsdienst hinzuweisen. Woher J. Grimm,
Myth.^ 107 die Notiz nimmt, dass es in Schweden Thörs-
säulen gegeben habe, weifs ich nicht ^). Es ist aber all-
bekannt, dass die Säuleu des Hochsitzes (öndvegi), des
heiligsten Platzes im Hause nach dem Herde, Thörr ge-
weiht waren und an ihrem oberen spitzzulaufenden Ende
meistens das Bild des Gottes trugen. Die isländischen
Landnahmemänner brachtea diese Säulen meistens aus der
norveffischen Heimat mit und warfen sie bei Annäherung
an die Küste ins Meer, damit ihnen Thörr die Stätte zum
Anbau weise. Dafür galt die Stelle, wo die Balken ans
Land trieben. Manche Isländer die ein Haus bauen woll-
ten, opferten Thörr, damit er ihnen unter dem Treibholz
Öndveiris Säulen schicke^). Hiemit steht nun offenbar im
Zusammenhang, dass im deutschen Aberglauben häufig die
Ständer der Haustür in bedeutsamer Verbindung mit den
1) Roth, Nirukta XXXIV fgg.
2) Wenn er damit nicht etwa deu Thore läng von Skeningen (bei Claus
Magnus, Ilist. geut. septentr. cap. XIV, 15) meint.
3) S. die Zusammenstellung darüber bei Weinhold, Altnord. Leben S. 221.
237
verschiedensten Thunarsymbolen auftreten (S. 16 Anm. 7; 24
A. 4. 8; 25 A. 3; 34 fgg.; 132). Dass der Hochsitz und die
Tür des Hauses dem Gotte geweiht waren, der segnend über
Haus und Heim der Menschen waltete, S. 131 fgg., ist be-
greifhch, dass aber grade die Säulen in den angeführten
Gebräuchen in den Vordergrund treten, verrät Zusamraen-
hanor mit uralten noch nicht ffeuugrsam aufo;ehellten An-
schauungen , welche weiterer Untersuchungen in hohem
Grade wert scheinen. Jene Salbung des yüpa mit geklär-
ter Butter erinnert an die Salbung des nordischen Götter-
bildes (s. oben S. 23).
x) Dass dem Indra der Kukuk geheiligt war, habe
ich Zeitschr. f. D. Myth. IH, 218 fgg. 395 darzutun ge-
sucht, aber auch die Bedenken nicht verschwiegen, welche
noch gegen das Alter dieser Vorstellung obwalten. Den
Widder lernten wir o. S. 63 als Indras Tierverwandlung
kennen. Von Indra ist nochmals zu erwähnen, dass die Veden
ihm gewaltige, goldene Kinnbacken zuschreiben. Eben
solche führt der zuweilen bockgestaltige (s. oben S. 165)
Vritra und eine Vedenstelle besagt, Indra habe Blitz ge-
gen Blitz mit ihm kämpfend den Donner seiner Kinn-
backen vernichtet. Das Geräusch der Kinnbacken be-
deutet also den Donner, die Kinnbacken selbst sind der
Blitz, wie Agni, HeimSallr und Perkun goldz ahnig
heifsen. Vercjl. oben S. 125.
xx) Dem Erweise, dass der Kukuk Thunar geweiht
war, habe ich einen Aufsatz Zeitschr. f. D. Myth. III,
209 — 298. 309. 395 — 408. 413 gewidmet. In Bocksge-
stalt tritt Thunar in den Umzügen der Bauern um Weih-
nachten als Klapperbock oder Julebock auf. Auf der
Insel Usedom ziehen nämlich zur Weihnachtszeit der Schim-
melreiter (Wodan), ein in Erbsenstroh gehüllter Mann
und einer mit dem Klapp er bock in den Dörfern umher
die guten Kinder belohnend, böse bestrafend. Dieser Klap-
perbock ist eine Stange, worüber eine Bockshaut gespannt
ist mit daran befindlichem hölzernem Kopf, an dessen un-
terer Kinnlade eine Schnur befestigt ist, welche durch
238
die obere und den Schlund läuft, so dass, wenn der Tra-
gende daran zieht, die beiden Kinnladen klappernd
zusammenschlagen'). Dieser Umzug ist das Ueber-
bleibsel eines alten Chorreigens, durch welchen man sich
vergegenwärtigte, wie die höchsten Gottheiten der Erde
und den Menschen nahen und bei der Zunahme des Lich-
tes im Wiutersolstig segnend die Gewissheit des wieder-
kehrenden Sommers bringen. Neben Wodan, Frikka, Frau
Holle, Göde und Bertha tritt nun Thuuar in dieser Zeit
auf, so in den 3 Donners tagnächten (Klopf leinsnächten,
Anklopfete, Bosnächteu u. s. w.) als Pelzmarte in Erbseu-
s troll gehüllt und wirft Erbsen an die Fenster; im Dröm-
ling als Reiter (s. oben S. 123) in rotem Mantel in Be-
oleitunflc eines in Erbsenstroh ffehüllten Burschen der
der Bär heifst (Björn d. i. Bär ist Thors Beiname^). In
England warf man Thuuar Eichhörnchen ins Weih-
nachtsfeuer *), wie in Deutschland ins Osterfeuer ^). So-
mit wird auch der Klapperbock ein Abbild des in Bocks-
gestalt umziehenden Thunar (effigies, forma capri, vergl.
Tac. Germ. c. 7. 45) sein. Nun machte bereits Kuhn dar-
auf aufmerksam, dass bei dem Klapperbock jener dem In-
dra zugeschriebene Kinnbacken donn er wiederkehrt^).
/) Indra war Todesgott. Er nahm die Seelen der
Gestorbenen bei sich auf, ein Gedanke der sich schon darin
ausspricht, dass die ihn begleitenden Maruts Geister abge-
schiedener Menschen sind. Die Seelen der tapferen Män-
ner weilen bei ihm im leuchtenden Himmel. „Du bist der
Schützer des durch ruhmvolle Helden glänzenden Him-
mels'')." „Wer, o Indra, du Quell des Guts, bewältigt
mich, welch Sterblicher? Der Glaub' au dich, Schatzrt-i-
1) Kuhn, Nordd. Sagen S. 403. No. 126.
2) Meier, Schwab. Sagen 457. 459. 460. 465.
3) S. Zcitschr. f. D. Myth. III, 145.
4) Siehe Rob. Forbv, Vocabulary of East-Auglia. London 1830.
II, 420.
5) Wolf, Beiträge I, 74.
6) Hagens Germania VII, 433.
7) Rigv. Rosen LH, 13. Vergl. Kuhn, Zeitschr. f. D. Altert.- V, 48'J.
239
eher, führt zum Paradies (cly aus der leuchtende Himmel),
der Kräftige will spenden Kraft ')." Die spätere epische
Poesie der Inder hat diese Vorstellungen weitergebildet
und bunt ausgeschmückt. Die Helden gelangen in Indras
Paradies (svarga d. i. der schönglänzende leuchtende
Himmel = dyaus von su schön und arj glänzen). In die-
sem Paradies blühen 5 himmlische Bäume (Mandara, Pä-
rijätaka, Santana, Kalpavriksha, Haricandana). Unter dem
Schatten dieser Bäume geniefsen die Seligen die ungetrübte
Freude des Amrita. Im svarga liegt Indras Königsburg
Araarävati d. i. die Unsterbliche sowie sein Lustgarten Nan-
dana d. i. der Erfreuer. Hier umgeben ihn himmlische
Tänzerinnen die Apsarasen und Sänger die Gandharvas.
Jene 5 Bäume sind nur Vervielfältigungen eines schön-
belaubten Baumes^, unter welchem nach den ältesten Ve-
denhymnen Yama der Totengott mit den Seligen im Rei-
che des Varuna d. i. hinter dem Wolkengewässer weilt
(davon weiter unten). Da Yama in alten Vedenhymnen
mitunter dem Agni oder Indra identificiert erscheint ■^),
folglich diesen Göttern sehr nahe stehen muss, so ergiebt
sich, dass schon die Urzeit den Gewittergott unter denje-
nigen Göttern kannte, welche an der Spitze der Seligen in
einem Lichtlande hinter dem Wolkengewässer, oder in
diesem thronten. Aus letzterem sind die Apsarasen, d. h.
die alten Apas, der Baum Pärijätaka s. oben S. 197 und
andere Figuren des späteren Indraparadieses hervorge-
gangen.
?d) Die nordische Mythologie lässt zu Thörr nach dem
Tode die Seelen der Knechte kommen^). AV. Müller hat
aber bereits erwiesen, dass dies nur eine spätere Einschrän-
kung ist ■*), und in der Tat fand sich auf einem Runenstein
zu Rue in Telemarken eine Inschrift, in welcher ein ge-
wisser Ogmund (Ogmol) „Thörr den allwaltenden Ascn"
1) Sämav. Benfey I, 3, 2, 4, 8.
2) Kulin, Zcitschr. f. vergl. Sprachf. I, 448 fgg.
'c) Hiu-barösl. 124.
4) Altdeutsche Religion S. 247.
240
bittet seine Seele aufzunehmen '). Tborölfr Möstrarskeggr
weiht den bei seinem Thörshof liegenden Heiligeuberg Hel-
gaQäll so, dass kein Unreiner, Ungevveihter (ü}>veiginn) sei-
nen Blick dahin wenden darf, kein Mensch und kein Tier
darf auf demselben getötet werden. Thorolfr aber und seine
Freunde glaubten, in diesem Berge würden sie nach
ihrem Tode wohnen'^). Selthorir und die Seinigen
hofften nach ihrem Tode in den Felsberg Thörisbjörg ver-
setzt zu werden ^) , Kraku-Hreidur hoflPt im MielaQäll zu
hausen *). Da nun im Norden auch sonst die Vorstellung
sehr häufig ist, dass die Seelen im Berge wohnen^) und
„in den Berg gehen" in Skandinavien wie Deutschland
ein symbolischer Ausdruck für Sterben ist *"') , von Thörr
aber noch in Schweden die Rede geht er wohne im
Berg'), worauf sich der Ausdruck „at locka tili Thors
i fjäll," zu Thörr in den Berg locken bezieht^), so ist
es nach dem was wir über die Bedeutung des Berges in
unserer Mythologie oben S. 182 erkannten klar, dass man
sich Thörr in älterer Zeit mit den Seelen in dem Wol-
kenfels sitzend dachte, gradeso wie die Geister des wil-
den Heers, die ja auch Thors Begleiter sind, nach S. 95
ebendaselbst weilen. Wenn es uns nun weiterhin gelingt
nachzuweisen, dass man sich im germanischen Altertum
als Aufenhalt der Seelen bald die W^olkenschicht, bald ein
dahintergelegenes himmlisches Lichtlaud vorstellte, so wird
die Vermutung nicht unbegründet sein, dass Thors Him-
mel Bilskirnir s. oben S. 2 ursprünglich ein dem dyaus
entsprechender lichter Seelenw^ohnsitz war ^).
1) Lund, Beskrivelse ovcr Teilemarken 1785 p. 251. Lex. myth. 926.
2) Landnäraab. II, 1"2. Eyrbyggjasaga 4.
3) Landuäniab. II, 5.
4) Landnämab. III, 7.
5) S. W. Müller, Altdeutsche Religion S. 396.
6) Sirarock, Handbuch der D. Myth. 366.
7) Vergl. Afzelius übei-setzt von Ungewitter II, 162.
8) J. Grimm, Xamen des Donners S. 18. Afzelius a. a. O.
9) Jener Name von Indras Himmel svarga soll nur einmal in den Ve-
den vorkommen. Er kann darum doch alt sein als Ausdrack für den Him-
mel überhaupt und es wird erlaubt sein damit das niederl. zwerk Himratl
241 _
Nunmehr werden wir nicht mehr voreiliger Kühnheit
geziehen werden können, wenn wir auf Grund der voran-
stehenden Untersuchungen für bewiesen erachten, dass die
beiden Götter Indra und Thunar auf eine vor der Sprach-
trennung vorhandene Grundgestalt zurückgehen, welche be-
reits einen grofsen Teil der von Indra wie Thunar und
Thörr geglaubten Wesensseiten und der an sie geknüpften
Mythen in sich vereinigte. Dem scheint nun die Beobach-
tung zu widersprechen, dass Indra ein speciell indischer
Gott ist, der erst in jener Zeit aufzutreten beginnt, als der
grofse mit Zarathushtras Reformation endende baktrische
Religionskampf gegen die ostarischen Stammesgenossen ent-
brannte. Als die ältesten Gottheiten des Veda sind unzwei-
felhaft Agni, Varuna und Trita zu bezeichnen, welche
während des Aufenthaltes der Inder im Penjab immer mehr
zurücktraten und Indra Platz machten^ der bald zur Gel-
tung eines Götterkönigs erwuchs. War aber auch viel-
leicht der Name Indra, so wie jedenfalls die Würde des
Gottes als Fürst der Devas neu, so muss dennoch das We-
sen desselben alt gewesen sein und bereits vor der Tren-
nung der Iranier und Inder religiöse Verehrung genossen
haben, wennschon wahrscheinlich unter anderer Benennung.
Jene die ganze Fülle der alten Natursymbolik entfaltende
neue Form Indras als Götterherscher wurde von den nach
ethischer Religion strebenden Baktriern aus Hass verketzert
und zu einem bösen Diw Aiidra oder Aindra gemacht; die
alte von dem indogermanischen Urvolk und somit auch von
dem Zendstamme vor der Trennung geglaubte Gestalt des
Gottes als Dämonentöter sahen wir dagegen S. 226 noch
bei demselben als einen guten Genius Verethragna =
Vritrahan erhalten. Da dieser Name mehrfach als Bei-
name Traetanos = Traitana, Trita im Avesta auftritt,
zusammenzustellen, um so mehr da jenes su bei ileu Germanen auch in gotli.
suti-s, nhtl. suefs, griech. lyJi'/c, sanskr. su-ad-u „schön zu essen" von su uml
ad sowie in su-istar die schön Stellende, schön Ordnende erhalten ist. Hängt
mit diesem zwerk alts. giswerc nnd. dünn er seh werk :=: Gewölk zusam-
men, so zeigt sich uns darin wieder, wie oben, die Einschränkung des h im m-
lisclien, lichten ScclenwohnsitTies auf das I/Ocal der Gewitterwolke.
16
242
darf mau vielleicht schliefsen, dass Trita der altiudogerma-
nische Name jenes Gottes ist, von welchem Indra die mei-
sten Wesensseiten überkam; des Gottes, in welchem wir
auch Thors und Thunars Grundgestalt anzuerkennen haben.
Die Erledigung dieser Frage dürfen wir getrost unsern ge-
lehrten Zend- und Vedenforschern M. Hang und R, Roth
überlassen, von denen wir in nicht allzu langer Zeit tief-
greifende Untersuchungen über die Rehgionsgeschichte un-
serer asiatischen Stammgenossen zu erwarten haben ^).
1) Kuhn hat den Indra in unserm Wuotan wiederfinden wollen, Zeitschr.
f. D. Altert. V, 485. Nordd. Sagen S. 490. Er stützt seine Ansieht 1) auf
Wuotans Herrschaft über das wütende Heer, d. i. die Maruts; 2) seine Ver-
bindung mit den Rossen, und ihm wie Indra gebrachte Pferdeopfer; 3) auf
OSins mit Indras Svarga übereinstimmende VaUhöll. Aber der erste Punkt
beweist nichts, da die Maruts in keiner näheren Beziehung zu Indra stehen,
wie zu Rudra, von dem wir beweisen werden, dass er wesentlich in unsern
Wuotan sich wiederfindet. Das Doppelverhältnis der Maiiits zu Indra und
Rudra steht also vollkommen dem Doppelverhältnis des -wütenden Heers zu
Thunar und Wuotan gleich. Zu 2) und 3) vergl. oben S. 123 und 240.
Endlich glaubt Kuhn einen in englischen Mai- und Weihnachtspielen auftre-
tenden Drachentöter Suapdragon oder St. George auf Voden deuten und mit
Indra Vritrahan vergleichen zu können. Da aber Wuotan nie als Drachen-
töter erscheint, so wird auch diese Figur durch Thunar oder Freä (Freyr) zu
erklären sein.
II.
Holda und die Nomen.
§. 1. Der Marienkäfer.
Der Marienkäfer (coccinella) und Goldkäfer (chryso-
mela) waren im germanischen Heidentum von uralt religiö-
ser Weihe umgeben, ihre mannigfachen Benennungen werden
fortwährend unter einander vertauscht, so dass ihnen e i n und
dieselbe mythische Bedeutung zugeschrieben werden muss.
Sie teilen dieselbe noch mit dem Maikäfer (scarabaeus me-
lolontha), der zwar unter dem Volke andere Namen führt?
aber mit denselben Liedern wie sie angerufen wird. Jene
Benennungen der coccinella und chrysomela reizen nach
verschiedenen Seiten hin zur Betrachtung an. Einmal näm-
lich zeigt sich in ihnen ein durchgehender Vergleich mit
anderen Tieren, gradeso wie die Heerschnepfe (scolopax
galhnago) auch Donnerziege, Himmelsziege lett. pehrkona
kasa, pehrkona ahsis, der Rosskäfer auch Thors Widder
und Erdochse, der Hirschkäfer Donnerpuppe auch Eich-
ochse heifst (s. o. S. 28. 152) nach dem Bock und dem
Ochsen, die gleich jenen Tieren dem Donnergott geweiht
waren. Die chrysomela und coccinella werden nun aufge-
fasst a) als Hühner: Marienküchlein, unserer lieben Frauen
Küchlein '), hiärguots häunken'*), Herrgotts Hühnchen, der
liebe froue henje ^), sunnekiken (Sonnenhühnchen)*), Gold-
1) Popowitsch S. 212. Schmidt, Schwab, idiotic. 275.
2) Woeste, Volksüberlieferungen S. 4.
3) Albert Schott, Deutsche in Piemont S. 297.
4) Myth.2 658.
16
244
hähucheu, in Graubünden la gallina del Signore *), boljänd.
lieven heersbantje ^), dän. Mariböne, vorberresböne, in West-
gotland gullhoena, bei den Inselscbweden auf Worms Gesbena
(Jesiibubn) *') ; b) als Kiibe: Frauenküble *) , Hergotten-
küble ^) , Herrgottsküblein , Herrgottsöcbslein , Marienküb-
cben, Marienkälbcben , Herrgottskälble , Sonnenkub '''), Bu-
köken, Sonnenkalb, Sunnenkalf, Mcinkalf (Mondkalb)'),
engl, ladycow, cowlady, ciisbacowlady ^) ; franz. vacbe ä
Dieu; span. buei de Dios; russ. bozija korowka (Gottes-
küblein) ist vorzugsweise, böbra. bozi kravka nur für
die cbrysomela im Gebraucb. Von den Litbauern wird
ein kleiner roter Käfer obne Punkte das Herrgottsvögel-
cben, dewo jautis Gottesoebse genannt"). Aueb den in-
discben Namen der coccinella Indragöpa der ursprünglich
bedeutet „Indra zum Kubbirten babend" wäre man be-
recbtigt auf dieselbe Vorstellung zu bezieben, wenn wir
seines Alters versicbert wären, so aber ist er erst aus einer
Zeit überliefert, in welcber gopa den alten Sinn fast gänz-
licb verloren batte und zum Ausdruck für Schützling
im Allgemeinen erweitert war; c) als Ross: in Plön heifst
die coccinella marspert, „uns berrgott sin best pert" ^''),
in Dauzig die cbrysomela Herrgottspferdeben; franz. che-
val ä Dieu und cheval de Dieu'^); d) als Schaf: Got-
teslämmlein, Gottesschäfclien, Muttergottesläramcben, Lüre-
lürelämmken '-); den Litbauern führen die Heei'scbnepfe
und der Marienkäfer denselben Namen, Dewo ozys, Dewo
ozelis, Perkuno ozys, Dangaus ozys (Gottes-, Perkunas-,
1) Leonhardi, Bündner Vierteljahresschrift 1849, 48''.
2) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 174.
3) Russwurm, Eibofolke II, §. 308. S. 122.
4) Meier, Kindersagen aus Sehwaben S. 22. No. 74.
5) Blunier-Heer, Canton Gla.ms 214.
G) O. Lenz, Gemeinnützige Naturgeschichte. Gotha 1836.
7) Simrock. Kinderbuch'^ S. 141. No. 555.
8) Notes and queries IV, 53.
9) Schwenck, Slavische Mythologie S. 70.
10) MüllenhüfF, Sagen S. 509. No. LVI, 1.
11) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 174.
12) Franz, Geistl. Liedertexte 1853, 151. Aus der Gegend von Hal-
berstadt.
245
Himmelsziege)'); e) als Katze: in der Elbraarsch lieifst
die coccinella septempunctata Maikatt-); f) als Mücke:
Herrgottsmückel , Fliegewäppchen, ladyfly. Hiezu kom-
men nun noch allo-emeiuere Benenmino-eii als: Marienkäfer,
Liebegottscbäberli, Herrgottsvöglein, Herrgottsvögele, Son-
nevögele, Himmelstierchen, Goldvogel, ladybird, bete ä
Dieu, bete de la vierge, Sunnvvendkäfer im Pinzgau u. s. w.**).
Ohne vorerst weitere Folgeruno-en daraus ziehen zu vpollen
können wir nicht umhin zu bemerken, dass die vergliche-
nen Tiere Huhn, Kuh, Schaf, Ross, Katze solche sind,
welche auch als Symbole der Wolken oder des Gewitters
dienen*), und dass wir wenigstens von den Kühen und
Katzen bisher nachwiesen, dass sie ebenfalls als Gestal-
ten der Elbe oder himmlischen Wasserfrauen (Apas) ge-
dacht wurden (vergl. oben S. 78 fgg.)-
Eine andere Seite der Benennungen unserer Käfer,
welche Beachtung verdient, ist die klar ausgesprochene Be-
ziehung zur Sonne, zum Monde, zum Himmel oder zu
einer göttlichen Persönlichkeit: Sonnevögele, Sün-
nenkind^), Sonnenkuh, Sonnenkalb, Sunuenkalf, Sunne-
schinken ") (Sonnenscheinchen) , Mänkalf, Himmelstiercheu.
Den Böhmen heifst die coccinella slunicko d. i. Sonnchen ').
Andererseits: Unserer lieben Frauen Küchlein, der liebe
froue henje, Muttergotteslämmchen , Ladybird, Lady-
eow, Ladyfly. Marienküchlein, Marienkälbchen , Marien-
1) Schwenck a. a. 0. Dieses Perkuuo ozj's entspricht übrigens dem
Indragopa. Auch Freyr, dem bei uns der Käfer geheiligt scheint, führt
nach S. 222 auf dieselbe Gestalt, wie Indra, Thunar und Perkunas zurück.
2) Müllenhoff Sagen S. 508. No. LVI, 1.
3) Vergl. im Allgemeinen Myth.* 658. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV,
174. Rocholz, AUemaunisches Kinderlied S. 92. Simrock, Kinderbuch* 139,
4) S. Zeitschr. f. D. Myth. U, 327; oben S. 102. 4 fgg. 122 fgg. 81.
197. Was die Schafe betrifft s. oben S. 173. Die lichten weifsen "Wölkchen
am Himmel heifseu uns noch heute Schäfchen. In der Altmark sagt man,
beim Anblick solcher kleiner krauser Wölkchen ,,hütt hütt de schäper sine
schäpe," oder „de haben is lämmerbunt.'' Kuhn, Nordd. Sagen S. 455. In
Schwaben heifst es von solchen weifsen Wölkchen ,, Unser Herrgott hütet die
Schafe." Meier, Schwab. Sagen S. 263.
5) Russwurm, Eibofolke II, S. 122, §. 308. Meier, Schwab. Sagen 223.
0) Woeste, Volksüberlieferungen S. 4.
7 ) Mitteilung des Herrn Prof. Ilanus in Frag.
246
käfer, Marihöne, bete ä la Vierge u. s. w. Herrgottspferd-
chen, Herrgottsküble , Herrgottsöchslein , Vorberreshoene,
vache ä Dien, Dewo ozys u. s. \v. In Scbwaben verstebt
man unter frauacbüele die cbrysomela, unter berracbüele
die coccinella, in Westpreufsen dagegen beifst diese Marien-
käfer, Marienwürmcben, dagegen die cbrysomela Herrgotts-
pferdeben. Die Castilianer sagen für die coccinella statt
des gewöbnlicben Ausdrucks gocbinilla „ arca de Dios "
(caisse de Dieu), die Catalouier statt der sonst bei ibneu
gebräucblicbeu Bezeicbuung pastereta aucb „arca de nostro
senyor o de la mare de Deu ')." In Böbmen trägt der
Maikäfer den Namen der slaviscben Göttermutter Baba.
Er heifst babka (junge Baba, Grofsmütterchen).
Da neben Sonnenkub, Sunnenkalf aucb ein Män-
kalf (Mondkalb) und Himmel stiereben vorkommt, wird
man jene Benennungen uicbt auf das Umherfliegen des
Käfers im Sonnenschein, sondern nur auf die Vorstellung
deuten dürfen, dass seine Wohnung in der himmlischen
Licbtregion, in der Nähe der Sonne und des Mondes
gelegen sei und diese sinnliche Vorstellung macht schon
wahrscheinlich, dass hinter der Jungfrau Maria und dem
Herrgott, denen er geweiht erscheint, ein alter heidnischer
Gott und eine ihm verwandte Göttin verborgen sind, an
deren Stelle in christlicher Zeit der Herr und seine Mut-
ter traten. Noch mehr erhellt dies aus einem schwedischen
Namen, der den Käfer als persönliches, vernunftbegabtes,
elbisches Wesen auffasst „ Jungfru Marias nyckelpiga "
(Jungfrau Marias Schlüsselmagdj , bei den luselschweden
auf Runoe „ nickelpia , " auf Dagoe „ Geswallpika " (Jesu
Hirtenmädchen). Diese Namen erinnern sofort an nordi-
sche Göttinnen, wie Freyja, deren Magd Loki in der
ThrymsquiSa vorstellt, und Prigg, welcher eine götthche
Dienerin Fulla das Schmuckkästchen und die Fufsbeklei-
dung verwahrt. Wiederum heifst die Pflanze satyrium
Friggjargras und zugleich Jungfru Marie nykäl, Santa
1) Mitteilung des Herrn Prof. Milä y Fontaual iii Barcelona.
247
Pars nyckäl, St. Johannis nycklar^) (Jungfrau Marias, St.
Peters, St. Johannes Schlüssel). Auch die weilsen Frauen
der deutschen Volkssage tragen Schlüssel und damit steht
der Name der primula veris Schlüsselblume im Zu-
sammenhang (vergl. oben S. 146. 153). Zur Bestätigung
dient der altnordische Name der coccinella Freyjuhoena
(Freyjas Henne) den J. Grimm, Myth.^ 658 und Petersen,
Nordisk mythologi S. 351 anführen^), sobald dieser Name
aufs Neue aus guten und echten Quellen belegt sein wird.
Wäre hienach Freyja die Göttin, der der Käfer geheiligt
war, so wird unter Jesus, oder dem Herrgott ihr Bruder
Freyr verborgen sein, eine Annahme, für welche die fol-
gende Betrachtung stichhaltige Gründe beizubringen im
Stande ist.
Freyja teilte die Macht ihres Bruders Freyr. Wie
dieser verlieh sie Regen und Sonnenschein^) und
Fruchtbarkeit der Erde*). Wird er als Spender der
Liebeslust betrachtet, dem man bei Hochzeiten Opfer
brachte^), so war Freyja gut in Liebesangelegenhei-
ten anzurufen. Besonderes Wolgefallen fand sie an Lie-
besliedern ( mannsöngr ) '^ ). Freyr war Orakelgott. Die
Throndheimer (J>rsendir) bezeugten, als Olafr Tryggvasonr
Freys Tempel bei ihnen zerstört hatte, „dieser Gott habe
oft mit ihnen geredet und ihnen das Zukünftige
geweissagt')." Dem Freyr waren die Rinder heilig,
nach ihm heifst der Stier freyr und Kühe zogen seinen
Wagen, wenn sein Bild in feierlichem Chorreigeu durchs
1) Zeitschr. f. D. Myth. III, 261. Lex. mytli. 378.
2) Aus mir unbekannter Quelle (bei Björn sowol, wie in Finu Magnus-
sens Lexicon mytholog. linde ich den Namen nicht).
3) Gylfagimiing 24: Freyr racör fyrir regni og skini solar, ok )>ar
ineö ävexti jaröar.
4) Frej'jas Minne wurde nach der Ilerröössaga (Forualdarsög. III, 233)
im Heidentum getrunken, später Marias Minne (Gulathingslagh. Norges gamle
love I, 6). Dies geschah „til ärs ok friöar" um Frieden und Fruchtbar-
keit, s. Petersen, Nordisk mythologi 349.
5) Adam. Bremens, gesta Hamaburgensis ecclesiae ponteficum.
6) Gj'lfaginning 24.
7) Olafs Tryggvasonarss. Skaltholt 1699 II, c. 49.
248
Land gefahren wurde. Freyja wird auch an diesen Kühen
Teil gehabt haben ').
Bestätigt sich durch Freys Sonnenschein spen-
dende Milde aufs Neue der Zusammenhang des Sonnen-
käfers, Sonnenkalbes, der Sonnenkuh mit diesem Gott
und seiner Schwester, so tragen die vielfachen an den Kä-
fer gerichteten Lieder deutlich alle Züge in sich, welche
wir soeben von dem göttlichen Geschwisterpaar namhaft
machten. Diese Lieder finden sich gleicherweise und fast
wörtlich übereinstimmend in allen germanischen Län-
dern, der Käfer muss demnach auch aufserhalb des germa-
nischen Nordens den dem Freyr und seiner Schwester ent-
sprechenden Gottheiten geweiht gewesen sein. Bei Slaveu
und Romanen scheinen diese Lieder zu man2:eln, wenio:-
stens haben aufmerksame Nachforschungen unter Böhmen,
Cassuben, Piemontesen und Catalonen bis jetzt kein Stück
dieser Art zu entdecken vermocht.
Kinder setzen den Käfer (besonders die coccinella) auf
die Hand und lassen ihn von derselben fliegen. Auf Fü-
nen spricht man dabei:
Floii, Floei vorherreshoene. Flieg', flieg Herrgottshuhn,
imorgen bliver det godt veir. Morgen wirds gut Wetter,
den anden dag lifsaa ^) Uebermorgen ebenso!
oder Vorherreshoene flyv til vers og sig mig om vi faaer
godt veer i morgen. Je nach der Höhe des Fluges er-
misst man, ob gutes oder schlechtes Wetter werde ^).
Auf Bornholm:
Mariputte, Mariputte
imorgen blier det sölskin og grant veir*).
Bei den Inselschweden auf Nuckoe und Worms:
GuUhena, gullhena,
lät sölen skina!
1) Dies lässt scLuu der ebenfall.s von Kühen gezogeue Wagen ihrer
Mutter Nerthus vermuten.
2) Thiele, Danske folliesagn' UI, 134.
3) Mitteilung der Frau Doctor Biematzki.
4) Prfeve paa et Bornholmsk dialectlexicon ved. P. Adler. Ide og 2de
saniling. Kjubenhavn. A. Reizeis 1856. S. 27.
249
mullefläken, mullefläken
lät wsere driwa!
skasrt up i sunna,
raullen gär ner i uörda! ')
Im Schweizer Aargau:
Spanisch, spanisch mugge,
flüg über de höh' rugge,
flüg über de höh' berg',
dass mor'n gut weiter gab'"}.
In Jeverland:
Pater fleg up,
mäk morgen möi we'r!
wenn de wakker meisches
von't melken kamt her^).
In Westphalen (Grafschaft Mark):
Hiärguotshäuueken fluch op,
tüh den bogen hiemel rop,
brenk ue güUne kie met *).
In Schwaben:
Frauenkühle
steig aufs stuhle!
1) Russ-nTirm, Eibofolke a a. O.
Goldhenne, Goldhenne,
La SS die Soune scheinen.
Die Regenwolke, den Wolkenfleck
Lass den Wind vertreiben,
Klar auf im Süden,
Die Wolken gehn nieder im Norden.
2J Rocliolz, Alemannisches Kinderlied S. 94, 189. Kirchbofer, Sprich-
wörter S. 292.
3) Mitteil, des Cand. theol. E. Rost ans Jever.
4) Woeste, VolksUberlieferungeu S. 4. Andere Aureden sind nach Woe-
stes brieflicher Mitteilung zu KiersTce:
S u n n e s c lü n e k e n , liäwerkineken (hiäwenkinneken ? j
flüg du in de nügc Stadt
da kristu häwerbroud sad.
Zu Werdohl a. d. Lenne:
Sunnefüelken flüg op, flüg den högen tourn rop!
(flüg mi nit te hougc, süs kristu wat oppet ouge).
Die beiden letzten Zeilen sind späterer Zusatz, der hohe Turm ^^it der S.
186 erläuterte witte toni.
250
fliea^ in himmel nuf
und bring gut wetter rus').
In Niederbayern;
Frauenkäferl sitz auf's stüel
melk dein küel,
flieg hinter die tanebam
und mach mir ain schön warme suneschein'^).
In der Eibmarsch;
Maikatt weg
flügg weg,
stüflf weg,
bring' mi morgen got wedder ned^).
Im Aargau:
Kathrinen, flüg üs,
übers heredach üs,
flüg in es beckehüs!
wenn's chunt go regne
so chumm mir's go säge u. s. w.^). .
In Schottland: 1
Lady, lady landers
fly away to Flanders ^). i
Dem Maikäfer gelten ganz ähnliche Anrufungen: \
Oldenboerre, Oldenboerre
imorgen faaer vi godt veir^).
1) Meier, Kinderreime aus Schwaben 24, 74.
2) Panzer, Beitrag zur D. Myth. II, 15. Die Tannenbäume sind,
wie weiterhin zu beweisen sein wird, ursprünglich der Wald in welchem wir
S. 178 die Riesen wohnen sahen. Vergl. Simrock, Kinderbuch^ 139, 535:
HeiTgottsöchslein flieg in die Busch,
Bring mir einen Sack mit Haselnüss.
Vergl. Simrock, Kinderbuch'^ 140, 549: Maikäfer, flüg uf, uf die hohe
tanne u. s. w.
3) Müllenhoff, Sagen S. 508. No. LVI, 1 ; daraus Simrock, Kiuderbuch-
141. 551.
4) Rocholz a. a. O. 93, 185.
5) Chambers, Populär rhymes s. 43. Pott vermutet Zeitschr. f. vergl.
Sprachf. IV, 174 dass dieses landers aus engl, laudress, franz. lavandiere
Wäscherin entstanden sei. Es würde damit wiederum Bezug auf die Wolke
veii'aten.
6) Thiele, Danske folkesagn' III, 134.
251
Neben diesen Volksreimen sprechen die Beziehung des
Marienkäfers zum Wetter auch abergläubische Meinungen
aus. Ein Herrgottstierchen von den Kleidern abschütteln
bringt Unglück '). Man glaubt in Westpreufsen und Hol-
stein dass Glück habe, wem ein Käfer dieser Art auf den
Kock kriecht und nennt ihn daher Glückskäfer. Wenn
einer ein Sünnenschinken tötet, so scheint die
Sonne den ganzen Tag nicht^) oder die Kühe ge-
ben rote Milch ^). Giebt dieser letzte Glaube eine Er-
läuterung zu dem obigen Namen Geswallpika (Jesu Hir-
tenmädchen), indem es an Freys Herrschaft über die Kühe
anknüpft und zeigt, dass neben der Darstellung des Käfers
als Kuh selbst die andere Vorstellung als eines die Kühe
hütenden Albs gäng und gäbe war, so wird dies auch durch
Volksreime weiter belegt. Schon in dem obigen Reim aus
Panzer Beitr. S. 15 hiefs es „Frauenkäferl sitz aufs stüel,
melk dein küel. " Im Aarscau redet man die cocci-
uella an:
Ankethrineli, Ankethrineli,
wo hesch dine chüehli?
(„z' Lauersinge, z' Lauersinge
üf em seile flüehh !")*).
Die beiden letzten Verse sind wiederum späterer Zusatz.
Die Kühe sind die Wolkenkühe. Wir werden dafür wei-
ter unten vollofültige Belege beizubrino;en im Stande sein.
Wie Freyr und Freyja Erntegottheiten sind und um
guten Ertrag der Aecker (til ärs) Opfer empfangen, zäh-
len die schwedischen Kinder, ob die coccinella mehr als
sieben schwarze Punkte auf den Flügeln hat. Ist dem so,
1) Wolf, Beitr. I, 233, 396.
2) "Woeste, Volksiiberliefcr. 4. Auch die catalauischen Kinder sagen:
„Töte den Käfer nicht, er ist das Würmchen Gottes oder der h. Jungfrau."
3) Zeitschr. f. D. Myth. III, 29. In Schwaben sagt man sogar, wer ein
Herrgottskäferle tötet, kommt in die Hölle. Meier, Scliwäb. Sagen S. 224.
In Noi'dbrabant redet mau die coccinella an: ,,Lieven lieers KTmken koni
by my, ben je (bist du) van den duivel dan ga van my, ben je van onzen
lieven heer, dan blyf by my.'" Mitteilung des Dr. H. Kern in Groeulo.
4) Kocholz, Alemannisches Kinderliod S. !>3, 184.
252
so wird in dem Jahre das Korn sehr teuer, sind ihrer
weniger, so steht eine reiche Ernte zu erwarten ').
Auch Freys und Freyjas Beziehung auf das Liebesle-
ben sind in den Reimen an den Käfer unvergessen. Als
ein Glücksumstand wird es in Schweden betrachtet, wenn
ein junges Mädchen ihn im Vorsommer zu sehen bekommt.
Sie nimmt ihn dann auf die Hand und, wenn er herum-
kriecht, so sagt sie: „hon märker mig brudhandskar" (er
bezeichnet mir die Brauthandschuhe). Wenn er
zuletzt seine Flügel ausbreitet und enteilt, so giebt sie
genau acht, nach welcher Himmelsrichtung er da-
vonfliegt, denn, meint sie, von dort werde einst ihr
Bräutigam kommen. Diesen Volksglauben sprechen
wiederum verschiedene Reime aus. In Upland sagt man:
JuDgfru Marie Jungfrau Marias
nyckelpie, Schlüsselmagd,
flyg öster. Flieg nach Osten,
flyg vester, Flieg nach Westen,
flyg dit min käreste Flieg dahin, wo mein Liebster
bor. wohnt.
In Södermannland:
Jungfru Marie
nyckelpie
flyg öster, flyg vester
flyg söder, flyg norr,
dit du flyr, der bor kärestau
flyg hem tili dina bröder
sä fär du nya kläder -).
1) Afzelius, Sagohäfder III, 112. 118.
2) Jungfrau Marias
Schlüsselmagd,
Flieg nach Osten, flieg nach AVesten,
Flieg nach Süden, flieg nach Norden,
Wohin du fliegst, da wohnt der Liebste,
Flieg heim zu deinen Brüdern,
So kriegst du neue Kleider.
Aus der noch uugedruckten Sammlung schwed. Kinderlieder von Hylte'n-Ca-
vallius uud Stephens. Vergl. das westphälische aus Brakel Zeitschr. f. D.
Mvth. II, 94:
253
In Schottland scheint derselbe Glaube zu herschen, oder
herschend gewesen zu sein. Man ruft hier die cocci-
nella an :
King, king Golloway
up your wings and fly away,
over land and over sea,
teil me, where my love can be').
Ebenso in Deutschland. In Westphalen sagt man:
Hiärguotshäunken fluch op,
tüh den bogen hiemel op,
fluch vor mines näbers hüs,
locke mi de brüt herüt-).
In Witten a. d. Ruhr sagen die kleinen Mädchen, wenn
sie den Käfer auf der Spitze des Zeigefingers sitzen haben :
Sunnenschineken
risegenschineken,
wanner sali ek brüt sin?
en jär, twe jär u. s. w.
so lange bis das Tierchen auffliegt. Sie sind sehr unge-
halten, wenn sie hoch zählen müssen''). Zeigen diese
Reime bereits Beziehung auf Freyr, den Orakelgott, so
tritt dieselbe noch mehr in den folgenden hervor:
Sunnekieken ik frage di,
wie lange schall ik lewen?
en jär, twe jär u. s. w. *).
Hiärgnätspiärreken, wä kömstu hiär?
ütm a u s t e n ucler ütin w e s t e n ?
krer du di nä Lippstadt,
da kristu iä'ten un drinken satt.
1) Aus Kinkardinashire. Chambers, Populär rhymes of Scotland s. 4.3.
Ein ähnliches Lied, auf die Biene übertragen, s. Songs for mirseri'. 4". s. 1.
e. a. p. 18 :
Bless you, blcss you bonny-bee
say, wlien will your wedding be?
if it be to morrow-day
take your wings and fly away.
2) Wocste, Volksilbcrlief. S. 4.
3) Zeitschr. f. D. Myth. II, 94.
4) Myth.» 6.5 S.
254
> Sunnenkalf,
Mäukalf,
■vvo lang schall ik läwen?
en jär, twe jär u. s. w. ').
Weisen die vorstehenden Ueberlieferungen mit Ent-
schiedenheit darauf hin, dass unser Käfer im Norden Gott-
heiten wie Frigg, Freyja und Frej-r geweiht war (obwol
auch Thorr als Herscher der Wolkenkühe, Spender von
Regen und Sonnenschein und Geber des Eheglücks in Be-
tracht kommen könnte), so gewähren uns einige deutsche
Kinderreime neue und zwar sehr wichtige Anknüpfungs-
punkte an eine deutsche Göttin, welche im Wesen mit
Freyja nahe oder ganz zusammenfällt. In Niederbayern
sagt man:
Suwendkäfer flieg in'n hrumi
bring uns morgng ein schöne sunn'^).
Bei Wien:
Käferl, käferl
flieg nach Mariabrunn
und bring uns ä schöne sunn^).
Zu Baden in Niederösterseich :
Liawi fraukuU
fliah kca den brunn
las haind odar moargu
sehen schainen di sun *).
Zu Guschterholländer bei Driesen im Regierungsbezirk
Frankfurt :
Marien würmchen fliege fort
Hinter (Schulzen)6rMW«ew,
Da sind deine Jungen ^).
1) Simrock, Kinderb.^ 141, 535.
2) Panzer, Beitrag zur D. Myth. 11, 547.
3) Chambers, Populär rhymes of Scotland S. 75. Mariabrunn ist ein
Ort bei Wien. In unserm Volksreim findet entweder eine zufällige Ueber-
einstimmung dieses Ortsnamens mit einem älteren mythischen Marienbrunn,
Holdenbrunn statt, oder derselbe ist an die Stelle eines einfachen , .brunn"
getreten.
4) Mitteilung des Unterlehrers Johann Wurth.
5) Aufgezeichnet von Schorfs. Mitteilung von L. Erk. — Das Wort
255
Hiemit stimmt nun der Chorreigen der Presburger Kinder
beim Regen überein:
Liabi Frau mach's tür'l auf,
läfs di liabi sunn herauf
läfs in reg'n drina,
läfs in sehne verbrina.
d'Engeln sitzen hintern hrnnn
wart'n auf die liabi sunn.
Kommt nun die Sonne hervor, fällt der tanzende Kreis nie-
der und singt:
Sunn, sunn kummt
d'engarln fall'n in'n bnmn ').
Der heilige Käfer wohnt also hinter oder über dem
Brunnen und dieser Brunnen ist das himmlische Ge-
wässer, hinter welchem die Sonne verborgen ist. Wir
lernen aber noch eine weitere Eigenschaft dieses Brunnens
kennen, er verbirgt die Seelen der Ungebornen, er ist Kin-
derbrunnen. In bairisch Mittelfranken singt man, die coc-
cinella auf der Hand haltend:
Herrgottsmoggela flieg auf
flieg mir in den himmel nauf,
bring a goldis schüssela runder
und a goldis wickelkindla drunder ^).
§. 2. Holda.
Durch ganz Deutschland verbreitet ist die Ammen-
rede, dass die kleinen Wickelkinder aus dem Brunnen
geholt werden ^). In demselben weilen sie bei einer mil-
den göttlichen Frau, welche die heutige Sage meistens als
Mutter Gottes bezeichnet. In Köln werden die Kinder aus
Schulzen ist wiederum neu und durch die Localisierung des himmlischen
Brunnens auf der Erde her\'orgerufen.
1) S. Schröer, Zeitschr. f. D. Myth. II, 192; darauf mit Hinzufdgung
zweier später aufgefundenen Verse Schröer, Beitrag zur D. Jlyth. und Sit-
tenkunde. Prcsburg 1855. S. 22.
2) Rocholz Sagen aus dem Aargau S. 345.
3) Wolf, Beiträge I, 162—168. Zeitschr. f. D. Myth. I, 196. 286. 11.
345. Pröhle, Unterharzsagen 1855. S. 76 — 78. Wolf, Hessische Sagen 133.
210. 211. und a. a. O. Pröhle, Harzbilder 1855 S. 76—78.
256 _
dem Brunnen der St. Kimibertskirche geholt. Dort sitzen
sie um die Mutter Gottes herum, welche ihnen Brei «liebt
und mit ihnen spielt. Es ist nicht dunkel im Brunnen,
sondern tageshell'. In lugeuheim a. d. Bergstrafse heifst
es, Maria sitze mit St. Johannes in einem Brunnen, geige
den in demselben befindlichen Kindern vor und spiele mit
ihnen '^). Bei Schulenburg im Harz sitzt im Festenburger
Teich die grofse Wasserfrau, die hat die ungebornen Kin-
der bei sich im Wasser ^). Der Aufenthalt der Kinder im
Brunnen wird als ein Saal, eine Wiese, ein Garten unter
dem Wasser dargestellt. So befindet sich im stillen Sumpf
unter der Teufelsbrücke bei der Rosstrappe eine warme
Stube, worin die Kinder vor der Geburt von der Kiu-
dermutter beaufsichtigt werden ^). Häufig ist jedoch nicht
der Brunnen, sondern eine tiefe Hole der Wohnsitz der
ungebornen Seelen. Im schwäbischen Heubach sagt man,
dass die Hebamme die Kinder aus der Hole des Rosen-
steins hole. Dort sei eine weifse Frau, die ihr die Kinder
zureiche ^). Die in ihrer ersten Jugend verstorbenen Kinder
kehren an diesen Ort zurück. Die Sage stellt diese Rück-
kehr der Seelen an ihren Heimatsort oft als einen von der
weilsen Frau verübten Raub dar. Ober St. Jörgen bei
Bruneck steht ein kleines Marienkirchlein, das im Volksmunde
das Stockl heifst. Das Volk erzählt sich davon, dass au
der Stelle des Kirchleins früher der Einocang zu einer Hole
gewesen sei. Gingen daran Leute mit Kindern vorüber,
so verloren sie diese. Eine Frau, deren Kind auch ver-
schwand, drang mit einem Licht in die Hole. Dort war
es gar hell und viele Kinder safsen und standen
umher. In der Mitte safs eine schöne, herrliche Frau,
das geraubte Kind auf dem Schofse haltend").
Aehnliche Sagen habe ich Zeitschr. f. D. Myth. III, 85
1) Wolf, Beiträge I, 163.
2) Wolf a. a. O. 165.
3) Zeitschr. f. D. Myth. I, 196.
4) Pröhle, Unterharz. Sagen S. 4. No. 10.
5) Meier, Schwab. Sagen 263. No. 294.
6) Zeitschr. f. D. Myth. I, 462, 5,
257
nachgewiesen, in denen die göttliche Frau Kinder in ihre
Hole zieht, hinter der sie auf einer leuchtenden blu-
menreichen Wiese spielen. Wolf hält mit Recht
hieher eine Reihe von Ueberheferungen , wonach ganze
Scharen von Kindern durch Zwerge, die auf einer
Pfeife blasen, in den Berg verlockt werden (z. B. von
dem berüchtigten Rattenfänger zu Hameln), um nie wieder
zum Vorschein zu kommen '). Dass hier wirklich von See-
len die Rede ist, geht aus einem Märchen aus dem Harz
hervor, wo ein alter Dudelsackbläser durch den Ton seiner
Sackpfeife jedesmal eine Jungfrau sterben macht und auf
diese Weise bei 50 Mädchenseelen ihn zu begleiten zwingt").
Aus dem Stein oder Brunnen werden die Kinder durch
den Storch abgeholt und den Müttern gebracht^).
Wolf hat vermutet, dass die weifse Frau im Kinderbrun-
nen die deutsche Göttin Holda sei ''). Hiefür ergiebt sich
nunmehr der ausreichende Beweis aus der Betrachtung der
bis jetzt aufgefundenen Holdasagen. Holda (in den Volksmund-
arten Frau Holle, Holli, Hollefrau u. s. w. genannt) war eine
lichte mütterliche Göttin und lebt als solche noch in der Erin-
nerung unseres Volkes fort. Die lebendige Volkssage beschreibt
sie als eine Frau von wunderbarer Schönheit mit langem
goldgelbem Haar, ihr Leib ist so weifs wie Schnee^).
Sie trägt ein langes weifses Gewand und einen
Schleier, der am Rücken herabhängt, manchmal aber
auch das Gesicht verhüllt"), nach andern Sagen hat sie
eine weite Haube auf dem Kopf und ist in einen weifsen
1) Beiträge I, 171 fgg.
2) Pröhle, Märchen für die Jugend S. 53. No. 14.
3) Kuhn, Nordd. Sagen 13. 14. Grimm, KHM. Ausg. 1819. II, S. LX.
Zu Scheidiiigen in der Gegend von Werl liolt der Storch die Kinder aus
dem Teiche auf der Werler Voedc. Mitteilung Wocstcs. In Erfurt holt der
Storch die Kinder aus dem Kessel, einer Vertiefung beim Wallgraben, zu Hal-
berstadt aus der Klüs. Mitteilung der Frau Nuthmann in Halberstadt.
4) Beiträge I, 162.
5) Zeitschr. f. D. Myth. I, S. 25. No. 4, III. Panzer, Beitr. II, S. 115.
6) Zeitschr. f. D. Myth. I, S. 23. No. 4, I. Pröhle, Harzsagen S. 155.
153. No. 8, I.
17
258
Mantel gehüllt'). Zu Lerbach im Harz wird Frau
Holle am Hollenabend von Jemand dargestellt, der ein
kreideweifses Laken trägt. Der eine Zipfel hängt ihr
bis au die Nase, zwei andere Zipfel hat sie um sich her-
umgeschlagen, der vierte hängt ihr auf die Hacken ^). Sie
hat glühe Augen und einen roten ganz feurigen
Mund^). Von ihr strahlt wunderbares Licht aus, wo
sie geht und steht, ist es glockenhell in der
dunkelsten Nacht ^). Ihre Haare haben eine gewal-
tige Schwere^). Mitunter ist Holda aber auch schwarz
gekleidet "). Durch christliche Verketzerung der lichten
Gestalt unserer Göttin wurde diese schon früh in eine dä-
monische Gestalt verkehrt und tritt so in mehreren Gegen-
den als buckliges Mütterchen ') , als grauköpfige Alte mit
langen Zähneu ^) auf, und schon Luther ^) vergleicht die
Gott widerspenstige Natur mit der heidnischen Göttin,
wie sie in Volksaufzügen auftrat: „hie tritt fraw Hui de
herfür mit der potznasen, die uatur und darf irem gott
widerpellen und in lügen strafen, hengt umb sich iren al-
ten stroharnfs (Strohharnisch) hebt an und scharret
daher mit irer geigen." Zu diesen christlichen Verkehrun-
gen gehört aber nicht die Beschreibung der Göttin in hes-
sischen Hexenprocessacten : „Fraw Holt were von vorn
her wie ein fein weibsmensch, aber binden her,
wie ein holer bäum von rohen rinden'")," denn die-
selbe Beschreibunar kehrt in Elbensagen wieder. In einer
merkwürdigen Teufelsgeschichte, wo der Böse mehr im
Charakter eines Hausgeistes auftritt, bekennt er: „Licet
1) Schöppner, Bair. Sagenbuch II, S. 255. No. 727.
2) Pröhle a. a. 0. S. 156. Xo. 8. III.
3) Pröhle a. a. 0. 155. 8, I.
4) Pröhle a. a. 0. S. 135.
5) Zeitschr. f. D. Myth. I, 196.
6) Zeitschr. f. D. Myth. I, S. 23. No. 4, I.
7) Sommer, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen
S. 9. No. 6.
8) Schambach und Müller, Xiedersächs. Sagen S. 75. No. 103, I.
9) Auslegung der Episteln, Basel 1522. Fol. 69 a. Myth.^ 247.
10) Zeitschr. f. D. Myth. I, 274.
259
Corpora humana nobis assiimamus, dorsa tarnen iion ha-
bemus." Eine Nonne, die er verführen wollte, erzählt:
„Cavit ne eum viderem a dorso ')." In einem Segen
gegen Elbe heifst es: „Ich beschwöre dich Alb, der du
Augen hast, wie ein Kalb, Rücken wie ein Teigtrog,
weise mir deines Herren Hof-)." Von der Königin des nor-
dischen Huldrefolks Huldra oder Hu IIa heifst es nun
gleichfalls, sie sehe aus wie ein schönes Weib, in blauem
Gewand und weifser Haube, aber nur von vorn, von hin-
ten sei sie desto hässlicher (men bagtil deste hassli-
gere) ^). Sie trägt nämlich entweder einen Kuhschwanz
(s. oben S. 80) oder sie ist im Rücken hohl wie ein
Backtrog; oder, von vorne schön und licht, von hinten
schwarzblau * ). Die Uebereinstimmung dieses speciellen
Zugs erhebt die Identität der deutschen Hulda, Holla, Holle
mit der nordischen Hulda, Huldra zur Gewisheit. Erkann-
ten wir nun in dem Kuhschwanz der letzteren, so wie in
den Kühen, welche sie austreibt s. S. 8. Anm. '' bereits ein
Ueberbleibsel ihrer alten Geltung als himmlische Wasser-
frau, so muss auch die deutsche Holda dieselbe Grundbe-
deutung haben. Dies bestätigt sich durch den Glauben,
dass sie das Wetter behersche. Wenn es bei den Men-
schen schneit sagt man, Frau Holle schütte ihre
Betten, davon die Flocken in der Luft fliegen^),
oder Frau Holle pflückt die Gänse"). Nach dem Glau-
ben der Harzer in Wildemann zieht Frau Holle wenn es
schneit nach dem Brocken'). In Lerbach, ebenfalls im.
Harz, meint man beim Schneefall sie schlage ihr
weifses Gewand weit auseinander^). Ueberhaupt be-
1) Cacsarius Ileistcrbacensis ed. Tissin. Bibl. patr. Cisterciens. II, p. 52.
2) Carpzov pract. rer. crini. p. I. qu. 50. p. 420. Mvth. ' CXLIV,
XLII.
3) Munch, NordniJBndenes ajldste gude-og heltesagu S. 43.
4) Faye, Norske Sapi S. 42.
5) Schambach und Müller S. 349. Grimm, D. Sagen No. 4. S. 7.
C) Schambach und Müller S. 349.
7) Zeitschr. f. D. Mytlu I, 197.
8) Pröhle, Harzsagen S. 155. No. 8, I.
17*
260
haupten die Harzer „sie habe beim Schnee zu tun')."
Regnet es die ganze Woche hindurch, so erwartet man
dennoch zum Freitag oder Samstag Sonnenschein,
„denn Frau Holle müsse zum Sonntag ihren
Schleier wieder trocken haben ^)." Regnet es wäh-
rend die Sonne scheint, so sagt man am Niederrhein „Frau
Holle hat Kirmes'). Frau Holle macht Wirbelwind
auf den Gebirgshöhen *). Erkennen wir hienach Holda als
eine himmlische lichte Göttin, die vorzugsweise in der
Wolke ihren Sitz hat, so wird diese Wahrnehmung noch
bestätigt durch die beiden Eimer ohne Boden, oder das
bodenlose Fass, die sie nach Harzer Sagen vollschöpfen
solP). Wir erkannten darin bereits S. 104 das regener-
giefsende Himmelsgewölbe oder die Wolke. Eine ähnliche
Bedeutung wird nun wol auch der Zug haben, dass Holda
im Rücken hohl ist '^).
Ein weiterer Beleg für die Naturbedeutung Holdas
liegt in ihrer Verbindung mit den weifsen Frauen, Eiben
und Mären (vergl. o. S. 78 fgg-)- -An zwei Stellen im Harz
erscheint Holda als Gesellschafterin der weifsen Frau,
die im (Wolken-)Berge den Schatz (des Sonnengoldes) hü-
tet ^) und in einer fränkischen Sage badet die Hulli sich
mit zwei lichten Jungfrauen im Main ^). In Tirol kennt
man Hulda als Königin der Saugen Fräulein ^). Diese
werden wie die wilden Weibchen von dem wilden Jäger,
so von dem wilden Mann verfolgt, und sind gleich diesen
Personificationen der (sturmgejagten) Wolke. Einen Ko-
1) Pröhle a. a. 0. S. 278.
2) Pröhle a. a. O. 198.
3) Montauus, Volksfeste S. 38.
4) Pröhle a. a. 0. 278.
5) Pröhle a. a. O. 135. 227.
6) Vergl. Rigv. IV, 30, 3 bei Roth, Nirukta X, 4. „Den nach un-
ten sich öffnenden Körper (die Wolke), die beiden Welten, die Luft
schuf Varuiia, dadurch benetzt der König aller Wesen mit Regen, wie
mit Gerste die Erde.
7j Pröhle, Harzsagen S. 198.
8) Zeitschr. f. D. Mjth. I, 24, III.
9) Zeitschr. f. D. Mj'th. II, 345. Hammerle, Neue Erinnerungen aus
den Bergen Tirols 1856 S. 8—22.
26^1
bold Hollepeter oder Peter Holl wies ich bereits Zeitschr.
f. D. Myth. II, 193 fgg. III, 116 fgg. als Gesellen der
Holda nach. Holda und die Saligen Fräulein sind Schütze-
rinnen des Flachsbaus und wachen über den Fleifs
der Spinnerinnen. Faulen Mägden, die ihren Hocken nicht
abgesponnen haben, verwirrt Holda die Haare'). Holle-
zopp im Westerwald, Holl er köpf in Hessen heifst da-
her verwirrtes Haar, und ebenso benennt man im Wester-
wald ein Moos, das aus langen Fäserchen besteht, welche
die Gestalt eines Haarzopfes haben und in den hohlen
Wasserrohren häufig angetroffen werden. Sie werden oft
5 Fufs lang und haben Aehnlichkeit mit einem Pfer-
dezopf-). Für diese verfilzten Haare giebt es nun auch
den schon oben S. 46 erwähnten Ausdruck Märenzopf
Märklatt, Märenlocke, dän. marelock, Wichtel-
zopf, engl, elflocks, in Niedersachsen Elf klatte") und der
die Pferde oder Kühe reitende Kobold oder Mär
flicht diesen ebenso Zöpfe in die Mähnen. Wie-
derum hat das Gefolge der Frau Holle in büdinger Hexen-
processacten Pferde mit Locken*) und Holda selbst
trägt verfilztes Haar^). Dies zeigt die Verbindung
der Göttin mit den Mären. Als drückende Märe erscheint
die nordische Hulldr in der Ynglingasaga, und wie die Mä-
ren in vielen Sagen mit Menschen sich verehelichen, wird
dasselbe in Norwegen von einer Huldra erzählt ''').
Mären sind Seelen und wie wir zu beweisen trachte-
ten o. S. 44 fgg. gleich den Maruts und Geistern des wil-
den Heers. Wir werden dafür weiterhin noch klarere Be-
weise beibringen können. Holda tritt nun aber auch als
Anführerin des wütenden Heeres auf. In ihrem Ge-
folge ziehen die Seelen der verschiedensten Ge-
schlechter und Altersstufen. Schon Burkhard von
1) Lyncker, Hess. Sagen S. 18.
2) Schmidt, Wcsterwiiid. idiotic. S. 341.
3) Myth.2 433.
4) Zeitschr. f. D, Myth. I, 273.
5) Myth.^ 247. 433.
6) Fayc, Norske Sagn S. 41.
262
Worms gewährt „Credidisti, ut aliqua femina sit, quae hoc
facere possit, quod quaedam a diabolo deceptae se affirmant
necessario et ex praecepto facere debere id est cum dae-
monum turba in similitudinem mulierum trans-
formata quam vulgaris stultitia Hol dam vocat certis
noctibus equitare debere super quasdam bestias et in eorum
se consortio annumeratam esse." In Hessen zieht nach heu-
tigem Volksglauben Holda an der Spitze des wütenden
Heers einher '). Ebenso in Thüringen -j. Agricola berichtet,
dass Frau Holla auf Fastnachtdonnerstag durch das Mans-
felder Land mit dem wütenden Heere fuhr. Da sah man
etliche Geister reiten, etliche gehen. Man gewahrte dar-
unter neulich verstorbene Menschen. Einer ritt
auf zweibeinigem Pferde, einer lag auf ein Rad gebunden,
das sich von selbst bewegte, andere liefen kopflos, oder
trugen ihre Schenkel auf den Achseln. Dazu hört man
Hundegebell, Jägergeschrei und Hörnerschall, und aufge-
jagtes Wild brüllt wie Löwen oder grunzt wie Schweine'').
„Mött de Holle fahren" bedeutet im Westerwald Nacht-
wandeln *) imd ebenso sagt man von Leuten mit strup-
pigen Haaren „du bist mit der Holle gefahren. " Als
Anführerin des wütenden Heers reitet Hulda in Franken
wie Wuotan auf einem Schimmel „der Rollegaul" ge-
nannt, dessen Satteldecke und Gezäume mit silbernen Röll-
chen und Glöckchen besetzt sind, die ein wunderbar schö-
nes Geläute geben. Der Schimmel berührt dabei nicht die
Erde, sondern schwebt einige Fufs hoch über den Wald-
boden hin, oder fährt hoch in der Luft von Berg zu
Berg über weite Täler weg ^). Wie das wütende Heer
häufig in einer Kutsche fährt, heifst es in einer Harzsage,
„Frau Holle fahre mit dem Teufel in einer Kut-
sche'^)" und dieser Wagen der Göttin, der Thunars Wol-
1) Grimm, D. Sagen Xo. 4. S. 7.
2) Grimm a. a. 0. No. 7. S. 0.
3) Agricola, Sprichwörter 667.
4) Schmidt, Westerwald. Idiotie. 73.
b) Zeitschr. f. D. M>-th. I, 28. VII.
6) Pröhle. Harzsagen S. 156. No. 8, 11.
263
kenwagen (s. oben S. 121) gleichsteht, kehrt in einer Sage
bei Praetorius •) wieder. Das wütende Heer lässt laute
Musik, das Sturmlied hören (s. o. S. 44. 174), das wir
schon mit dem Albleich d. i. dem Gesang der Elbe zu-
sammenstellten. So ist auch die wunderbare Weise der
nordischen Huldre, Huldreslaat berühmt und Frau
Hulli lässt in Franken liebliche Lieder vernehmen,
die einem Menschen das Herz im Leibe schmel-
zen macheu. Man warnt aber die Kinder darauf zu
lauschen. Tun sie das dennoch, so müssen sie „mit Frau
Hulli bis zum jüngsten Tag im Walde umherfah-
ren." Ein junger Bursch, der diesem Gesänge zugehorcht
hat, wünscht immer und ewig bei Frau Hulda zu sein und
ihrem Liede zu lauschen. Drei Tage darauf stirbt er.
Da sagte man sogleich; „Seht der Aufenthalt bei Frau
Hulda ist ihm lieber als der im Himmel! nun muss er auch
zur Strafe bis zum jüngsten Tag bei ihr im Walde
bleiben 2).«
Mit dem wütenden Heer hat Holda ihre Wohnung
nun entweder im Walde, über den später zu reden sein
wird, oder in einem Berge. Zu Hermeskeil an der Mo-
sel sitzt Frau Holla im Berge und spinnf). Sie soll
gleichfalls im untern Berge bei Hasloch am Main wohnen
und daraus hervorkommen ■*). Wenn es am Meifsner ne-
belt, sagt man Frau Holle habe im Berge Feuer ange-
macht^). Im Holleberg wohnen die Ölken d. i. die
Geister der Vorfahren (die Pitris s. oben 8.43)"). Bei
Kaiser Friedrich Barbarossa weilt die Königin Holle
im KifFhäuser. Sie ist seine Haushälterin und sorgt für
alles, was er und die vielen hundert Ritter und Knappen
bedürfen, die mit um den grofsen steinernen Tisch sitzen '').
1) Weihnachtsfratzen p. 56. Grimm, D. Sagen No. 8. S. 10.
2) Zeitsclir. f. D. Myth. I, 27. VI.
3) Zeitschr. f. D. Myth. I, 194, 17.
4) Zeitschr. f. D. Myth. I, 23. 26.
5) Lynclier, Hessische Sagen S. 18.
6) Kuhn, Nonld. Sagen S. 288. No. 322.
7) Sommer, Sagen S. 6. No. 2. Kuhn, Nordd. Sagen No. 247, 9. Vgl.
Beclistein, TliUring. Sagenschatz IV, No. 16.
264
Bereits Sommer erkannte, dass die den Kaiser umgebenden
Ritter und Knappen eine neuere Form der Geister des wü-
tenden Heers gleich den Einheriar der nordischen Sao;e
sind. Nach hessischen Hexenacten zieht Holda mit dem
wütenden Heer in den Venusberg, wo sie ihre Woh-
nung habe. „Sie führe voranen, das gezücht hernach und
zuletzt ein mansmensch" (der treue Eckhart s. o. S. 92).
Der Berg „were wie ein zimblich grofs geweihter keller."
In diesem Berg befindet sich nun ein Strafort für die See-
len böser Menschen, Da sind Männer die in schönen
Sammetbetteu zu liegen scheinen und doch im Feuer ste-
hen, „Weibspersonen, die vor Jungfern sich aufsgeben und
zur kirchen gingen, den fielen tropflPen uflf die köpfe von
eiszappen ')." In Thüringen gilt seit alter Zeit der Hör-
selberg bei Eisenach als Sitz der Holda ^). In diesem Berg
verschwindet die wilde Jagd, welche Holda anführt und
wenn man vor dem Hörselloch den Platz mit Besen ge-
kehrt und mit Sand bestreut hat, findet man am andern
Tage die Fufstapfen einer Menge von Tieren darin abge-
drückt ^). Gleich jenem hessischen Venusberge gilt der
Hörselbergfels als Strafort verdammter Seelen. Man glaubte
in demselben befinde sich das Fegefeuer, worin die Sage
u. A. einen König von England, den Gemahl der frommen
Reinswiga *) und den Landgrafen Ludwig den Eisernen
von Thüringen versetzte ^). Oft hört man das Heulen und
Wimmern der Seelen aus dem Berge. Es ist offenbar, dass
diese Verdammten durch christliche Auffassung aus dem
wütenden Heer entstanden sind. Endlich macht die Sage
seit dem löten und 16ten Jahrhundert den Hörselberg zum
wonnevollen Aufenthalt der Frau Venus, welche Men-
schen, z. B. den Tannhäuser, dahin zu sich lockt, grade
wie die nordischen Elfenfrauen Helden in den Berg zu sich
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 274 fgg-.
2) Praetorius, Weihnachtsfratzen S. 54. Grinnn, D. Sagen No. 5. S. 8.
3) Gräfse, Tannhäusersage S. C.
4) Hornmann, De miraculis niortuorum ICIO. 8. LH, c. 47.
5) Buchstein, Sagenschatz des Thüringer Landes I, 30 fgg.
265
einladen. Da auch in Schwaben ein Venusberg unmittel-
bar neben einem Hollenhof liegt'), so ist kein Zweifel,
dass Venus nur eine gelehrte Uebersetzung der älteren
Hol da ist und das Weilen der Menschen bei ihr nichts
anderes als ein symbolischer Ausdruck für Gestorbensein.
— Nach allen diesen Zeugnissen steht es fest, dass Holda
mit den Seelen im Berge weilend gedacht wurde,
wenn sie nicht mit denselben im wütenden Heere um-
zog. Da nun das wütende Heer eine himmlische Ge-
nossenschaft ist, wir aber bereits oben S. 182 nachgewie-
sen haben, dass die Bedeutung des Berges in unserer
Mythologie die Wolke ist, so kann kein Zweifel obwal-
ten, dass der Wolkenberg als der ursprüngliche Sitz
der Göttin und der Seelen gedacht und derselbe erst spä-
ter irdisch localisiert wurde. Es ist klar, welches bedeu-
tende Licht nun auf die bergeutrückten Helden unserer
Volkssage, Friedrich Rotbart im Kifhäuser und Unterberg,
Karl Langbart im Unterberg und Odenberg u. s. w. fällt.
Es sind die mit der Göttin und den Seelen der Gestor-
benen aller Geschlechter, unter denen erst eine junge Zeit
Sonderung eintreten liefs, wohnhaften Götter Wodan und
Thunar, eine Vorstellung, die nun erst begreiflich wird.
Denn wie anders als durch solche Localisierung sollte man
dazu gekommen sein, die himmlischen Gottheiten in den
irdischen Fels zu verweisen?
Dieselben Personen, welche im Berge mit dem wü-
tenden Heere hausen, werden im Brunnen wohnend ge-
dacht. So sitzt Kaiser Karl in einem Brunnen zu Nürn-
berg *). Ritter Tils sitzt in dem nach ihm benannten Gra-
ben, sein weifser Bart ist durch den Tisch gewachsen^).
Frau Holle badet im Frauhollenbad, einem grofsen Pfuhl
oder See in der Nähe des Meifsners *) und ebenso wird
1) Meier, Schwab. Sagen No. 47. S. 43.
2) Grimm, D. Sagen No. 22. S. 28.
3) Hanys, Volkssagen Niedersachsens I, No. 2. S. 8.
4) Zeiler, Epistolische Schatzkammer Ausg. 1683. S. 622''. Grimm, D.
Sagen S. 9. No. 5. Lyncker. Hessische Sagen S. 18. No. 20.
266
eine Stelle im Main bei Hasloch als Huldas Badplatz
genannt '). Eine wol verderbte Harzsage lässt Frau Holle
auf Veranlassung der weifsen Burgjungfrau auf der Ilburg
ins Wasser geworfen werden^), was nichts anderes
aussagt, als dass sie im Wasser ihr eigentliches Element
hat. Am hessischen Meü'sner liegt auch der Frau Hol-
lenteich. Darin wird sie zuweilen um die Mittagsstunde
badend gesehn. Auf dem Grunde dieses Teiches
hat Frau Holle ihre Wohnung. Bald zeigt sie sich
als schöne weifse Frau in oder auf der Mitte des Teiches,
bald ist sie unsichtbar und man hört blofs aus der Tiefe
herauf Glockengeläute und geheimnisvolles Rau-
schen. Im KHM. No. 24 wird ein kleines Mädchen von
ihrer Stiefmutter in den Brunnen gestofsen. Unter
dem Wasser kommt es zu einer schönen Wiese, auf wel-
cher Frau Holles Haus steht. Diese giebt ihm auf
täglich ihr Bett zu schütten, dass die Federn
fliegen „dann schneit es in der Welt." Als das
Mädchen eine Zeit lang treu gedient, entlässt Frau Holle
dasselbe aus dem Brunnenreich durch ein goldenes
Tor. Das ward aufgetan wie das Mädchen grade darun-
ter stand, da fiel ein gewaltiger Goldregen und alles Gold
blieb an ihm hängen, so dass es über und über davon be-
deckt war. Die Stiefschwester springt nun ebenfalls in
den Brunnen, führt sich aber so schlecht bei Frau Holle
auf, dass diese sie durch ein Pechtor entlässt, welches
einen ganzen Kessel voll Unrat auf sie niederschüttet. Der
Brunnen, in welchem Frau Holles Schneehett gemacht
wird, kann nur das Wolkengewässer sein, das Goldtor
stellt die sich öffnende Wolkenschicht dar, welche der gol-
denen Sonne ihre Strahlen herauszuergiefsen gestat-
tet, das Pechtor Unwetter und Hagel welcher aus der
Wolke niederregnet. Wir bringen weiterhin den strengen
Beweis für diese Behauptung, so wie wir eine Erläuterung
des Märchens im Ganzen versuchen werden. Vergl. oben
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 24.
2) Pröhle, Harzsagen S. 227. No. 4, 8.
267
S. 255 den Spruch „Liabi frau maclis türl auf lass
die liabi sunn herauf." In zwei Varianten dieses Mär-
chens befinden sich in Holdas Wohnbaus zwei goldene
Böcke oder Rehböcke und wir haben oben S. 177 die-
selben ebenfalls auf die sonnendurchleuchtete oder blitz-
durchzuckte Wolke gedeutet. HoidasBrunnen ist also
das Wolkengewässer. Vom Frau Hollenteich am
Meifsner wird nun weiter Folgendes erzählt. Unten im
Teich ist ein sonniger Garten, worin Frau Holle wohnt
und Obst und Blumen zieht. Frauen, die zu ihr in den
Brunnen steigen, macht sie gesund und fruchtbar. Aus
diesem ihrem Brunnen kommen die neugebornen
Kinder. Treten kleine Kinder dem Brunnen zu nahe, so
zieht Frau Holle sie wieder zu sich in den Brunnen und
schickt sie zu neuer Geburt auf die Welt, Sie macht die
guten zu Glückskindern, die bösen zu Wechselbälgen ').
Am Hausberge im Harz wohnt Frau Holle bei dem Esels-
brunnen, aus welchem die kleinen Wickelkinder
kommen. Wenn Kinder unartig sind sagt man ihnen
„sei still, oder wir bringen dich wieder nach dem Esels-
brunnen ^)." Die schlesische Spillaholle d. i. Spindel-
Hold a nimmt die faulen Kinder mit sich in den Brun-
nen, in welchem sie wohnt, und bringt sie neugeboren
kinderlosen Eltern zu ^). Zu Lautental im Harz sagt man,
dass Frau Holle früher unartige oder faule Kinder wegge-
holt habe, um sie zu erziehen. Sie führte sie in den
Wald nach ihrer Wohnung, woselbst sie saure Arbeit und
schlechtes Essen bekamen *). Ebenso erzählt man an der
Mosel, Frau Holl habe ihren Namen daher, dass sie die
Kinder hole ^). Zu Würzburg nahm Frau Holle die un-
folgsamen Kinder in einem Sacke mit sich fort und trug
sie dem Teufel zu "). Zu Warburg in Westphalen dage-
1) Grimm, D. Sagen S. 7. No. 4. LjTicker, Hess. Sagen S. 17. No. 19.
2) Pröhle, Harzsagen S. 108.
3) Weinhold, Die deutschen Frauen S. 36.
4) Zeitschr. f. D. Mytli. I, 196.
5) Zeitschr. f. D. Mytli. II, 194, 17.
6) Schöppner, Bair. Sagenb. II, 255, 727.
268
gen kommt die Holle, während die Wöchnerin schläft,
nimmt das Kind, macht die Windeln los, trocknet die Tü-
cher und legt das Kind wieder hinein '). Kinder, die zu
Hasloch am Main Huldas Gesang lauschen, sterben und
müssen ewig mit ihr umherfahren. Aber auch Jünglinge
haben dieses Geschick s. oben S. 263 Anm.^ Wir stehen
hiemit wieder beim wütenden Heer und sahen bereits S.
95 dass dieses, wie im Berge, so in solchen Teichen
seinen Aufenthalt nimmt, aus welchen die kleinen Kin-
der kommen.
Die angeführten Holdasagen ergeben deutlich, dass
Holda jener weifsen Erau identisch ist, welche die Kinder
im Brunnen, einer Berghöle oder im Walde hütet.
Dieser Brunnen, Berg oder das Waldhaus sind nur
drei verschiedene Ausdrücke für die Wolke. Dass wirk-
lich das Waldhaus oder der Brunnen der Holda und jener
S. 255 nachgewiesene Kinderbrunnen, zu dem der Marien-
käfer emporfliegt eins sind, lässt sich durch eine nieder-
sächsische Sage erweisen. Ein kleines Mädchen, das gern
im Walde mit Käfern, 'Schmetterlingen und anderm Ge-
tier spielt, wird von einem grofseu Goldkäfer in die
Luft zu einer guten Holde geführt, die als altes Müt-
terchen mit ihrem Spinnrad vor der Tür einer Strohhütte
sitzt. Fünf Jahre bleibt die Kleine hier oben, indess auf
der Erde ein heftiger Krieg wütet. Nach dem Friedens-
schluss kehrt sie zum heimatlichen Dorf mit einem reichen
Brautschatz von Leinenzeug und Kleidern zurück '^). Hie-
mit fällt fast wörtlich eine fränkische Sage zusammen, worin
Frau Hülle einen von seinem Bruder verstofsenen Kna-
ben, den krummen Jacob, zu sich in ihre Waldhütte
nimmt und drei Jahre lang erzieht, worauf sie ihn heim-
o-eleitet und ihm zu seinem väterlichen Erbe verhilft ^).
Gehen wir nunmehr tiefer auf die Bedeutung und den
inneren Zusammenhang der dargelegten Ueberlieferungen
1) Kuhn, llageus Germania IX, 290.
2) E. M. Arndt, Märchen und Jugenderinueruugen 1818 S. 357.
3) llerrlcin, Sagen der Spessarts S. 179, 8.
269
ein, so ist es klar, dass Holda eine himmlische Gottheit
ist, welche in Wind und Sonnenschein ihre Macht entfal-
tet, vorzugsweise aloer den Segen der Wolke spendet,
in dieser ihren Haiiptsitz hat und daher auch von dieser
ausgegangen sein wird. Sie ist mit einem Wort die alte
Wasserfrau. Ihr Aufenthaltsort die Wolke wurde als
Berg, Brunnen*) oder Wald gedacht. Hier thront sie
in Gemeinschaft eines hohen Gottes, als welchen man bald
Wodan, bald Donar gedacht haben wird. Bei ihr in der
Wolke befinden sich nun auch die Seelen der verstorbe-
nen Menschen. Der Germane dachte sich den Geist als
Luft hauch oder als Feuer. Er teilt die erstere An-
sicht mit den meisten indogermanischen Völkern. Schon
Kuhn machte darauf aufmerksam^), dass für die Begrifie
Geist und Wind gröfstenteils dieselben Wurzeln verwandt
werden, vergl. gisan (wehen) und Geist; skr. anila Wind,
chsfiogund animus; spirare und Spiritus; atem imd
skr. ätma die Seele. Floh der Lebenshauch aus dem er-
starrten Körper, so schwebte er zur Luftregion empor und
vereinigte sich entweder mit der Wolke, dem ersten schein-
bar festen Haltpunkt im Himmelsraum, oder dem Sturm-
wind, behielt jedoch seine individuelle Existenz, ohne ganz
in das allgemeine Element verflüchtigt zu werden. So bil-
dete sich auf der einen Seite die Vorstellung aus, dass die
Seelen mit dem Sturmgott Wuotan im wütenden Heer
1) Auch in den Veden ist die Darstellung der Wolke als Brunnen
sehr gewöhnlich, s. Kuhn, Zeitschr. f. D. Myth III, 387 und gradoso, wie
bei uns Holda bald im Brunnen, bald in dem Berge wohnt, lässt Rigv.
II, 24, 2 den Brahmanaspati, Indras späteren Vertreter in den schätz eber-
geuden Berg (vasuniautam parvatam) d. i. die das Sonnenlicht verhüllende
Wolke eintreten, während eine andere Stelle von ihm sagt, er habe den
Stein vom verschlossenen Brunnen gehoben. Vergl. Rigv. Rosen
LXXXV, 9. 10; ,,Indra tötete Vritra, er ergoss die Fülle der Wasser. Die
Maruts haben mit Kraft den Brunnen geölluet imd den gewaltigen Berg
zerbrochen." Die Einheit des Berges und Brunnens der Ilolda tritt deut-
lich in einer Harzsage hervor. In der alten Burg auf dem llausberge M-ohnt
Frau Holle mit der Schlüsseljungfrau (St. Marias nyckelpiga?), von welcher
die Hebamme die Icleinen Kinder emjjfüngt. Tief im Keller der alten Burg
ist ein Brunnen imd dabei grofse Schätze. Prölile, llarzsagen S. 198.
2) Zeitschr. f. D. Altertum V, 488.
270
durch die Luft fahren '), andererseits der Glaube, dass sie
in der Wolke ihren Sitz haben. Fasste man den Sturm
einmal als die Vereinigung von Seelen (daneben liefen frei-
lich von Anfang an auch andere Auffassungen), so musste
man den Geistern, während der Wind ruhte, einen andern
Verbleib anweisen und suchte diesen nun entweder im lich-
1) In Pommerellen sagt man, wenn ein grofser Sturm weht, es habe sich
Jemand erhängt, ebenso in Schlesien Myth. ' LXXX, 343. In Bunzlau :
hält der Sturmwind drei Tage ohne Aufhören an, so erhängt sich einer Myth. '
CLIV, 1013. Nach der Mitteilung des Stud. Birlinger in Tübingen sagt man
in Schwaben, wenn auf eine trübe, besonders stürmische Xacht schönes
Wetter wird: ,, hätte sich gestern einer erhängt, so reute es ihn heut gewiss."
In andern Gegenden dreht man den Satz um. Sobald sich einer erhängt hat,
entsteht Sturm. Müllenhoff, Sagen 109. Ko. 132. Auch in der Bretagne:
Lorsque de grands criminels cessent de vivre, l'aire, la terre et les mers sont
violemment agites. De Nore, Coutumes mvthes et traditions p. 229. In den
angeführten deutschen Meinungen ist der Glaube, dass der dem Körper ent-
schwebende Lufthauch, die Seele, mit dem ihm naturgemäfsen Element
dem Wind sich verbinde, bereits auf diejenigen eingeschränkt, die sich er-
hängen. Diese Einschränkung fällt aber der späteren Periode unseres Hei-
dentums zu, in welcher man den Heldense elen vorzugsweise oder nur den
Aufenthalt im Gefolge des Sturmgottes Wodan nordisch Oöinn zuschrieb, dem
die Todesart des Hängens heilig war. OSinn hing selbst 9 Tage am windi-
gen Baum, sich selber geweiht. Hävamäl 139. Nach der Gautreks- ok
Hrolfssaga muss sich König Vikarr, der sich O'Sinn gelobt hatte, erhängen
und nach der Hälfssaga erhenkt Geirhilldr dem OÖinn zum Opfer ihr erstes
Kind. Beinamen Ogins sindHängagoS Hrafnag. OSins 18. gälga gramr,
gälga valldr. Lex. Myth. 139 (Gott der Gehenkten, Galgenherr, Galgenfürst).
Wer sich erhängte, brachte sich damit Wodan zum Opfer, und durfte vor
Andern gewärtigen, dass der Gott mit seiner Schar kräftiger Heldenseelen,
die als solche im Sturm umfuhren, herbeikommen und ihn in die Genossen-
schaft aufnehmen werde. Eine ältere und allgemeinere Form desselben Glau-
bens zeigen aber noch die folgenden Volksmeinungen. ,,Wenn i de neujahrs-
necht de wind geht, so bedeuts en sterb" Myth.' CVI, 910. „Wind in
der Neujahrsnacht bedeutet Pest" M^vth.^ LXXX, 330. Die Menge des bei
allgemeinem Sterben zur Himmelsfeste entschwebenden Lufthauchs erzeugt
Wind und diesen schaut man wie andere Ereignisse des kommenden Jahres
in der Neujahrsnacht vor. — Yergl. die Erzählung des Demetrios bei Plu-
tarch de defect, oraeul, c. 18. Auf einer der Sporaden vor Brittannien,
von denen einige die Inseln der Heroen und Dämonen genannt werden, sei
plötzlich eine grofse Verwirrung in der Luft entstanden, viele Him-
melszeichen sichtbar geworden, alle Winde wie durch Zauber entfes-
selt, gewaltige Blitze hätten in die Erde geschlagen. Die Einwohner be-
haupteten, jetzt sei ein Mächtiger gestorben. Denn wie eine ange-
steckte Lampe durchaus nichts Schreckliches darbiete, aber erlöschend Vielen
traurig erscheine, sei auch das Aufflackern der grofsen Seelen woltätig und
schmerzlos, ihr Verschwinden bringe aber oftmals wie jetzt Sturm-
wind und üngewitter zu AVege.
271
tea Himmelsraum, der über dem Wolkengewässer ausge-
breitet ist — eine Vorstellung, die wir in einem der näch-
sten Paragraphen zu besprechen haben — oder in der
Wolke bei Hokla, wo man nun sich Thunar als den die
Wolke durchzuckenden Blitz, Wuotan als den die Seelen
anführenden Sturmgott gleichfalls ruhend vorstellte. Der
deutliche Beweis für diese Vorstellung ergiebt sich aus den
S. 95 angeführten Sagen, nach denen das wilde Heer
in Brunnen verschwindet, oder aus denselben hervorzieht,
welche zugleich Kinderbrunnen sind. Noch manche
weitere Belege wären beizubringen. Ich verweise nur bei-
spielsweise auf die Sage bei Gödsche, Schles. Sagenschatz
S. 147, wonach der wilde Jäger Wolf von Braun mit Ross
und Hunden aus dem Braunsteich ausfährt. Andererseits
war es natürlich, dass man nun auch die Wasserfrau, bei
welcher die Seeleu in der Wolke wohnten an dem Um-
züge derselben oder in der wilden Jagd teilnehmen liefs.
Der Sturm treibt die Wolke vor sich her und so trat Holda
an die Spitze des durch die Luft fahrenden Seelenheers ').
Dieses Toteuvolk (so heifst das wilde Heer in Graubünden
gradezu, im Romanischen nennt man es: spirits) enthält
nun die Seelen Gestorbener jedes Alters und Geschlechts.
Das Muotesheer in Schwaben, von dem man sagt es sei
eine v e r w u n s c h e n e F r a u ; ein Ermahner, die dem treuen
Eckart des thüringischen Holdazuges entsprechende Ge-
stalt s. o. S. 92 fgg. fahre voraus, ist eine Schar von ganz
verschiedenen Menschen alten und jungen, von Män-
nern und Weibern, die mit wildem Lärm durch die
1) Dieselbe Vorstellung enthält die schwäbische Sage, dass die wilden
Jäger zu Herrenburg in Schwaben (Meier, Schwab. Sagen S. 142. No. 1G2)
auf einem Wagen mit 4 Katzen durch die Luft fahren, gradeso wie Freyja
mit Katzen d. i. mit Wolken fährt s. oben S. 197. Zu dieser Seite wäre
auch naclizutragen dass bei Afzelius übersetzt von Ungewitter III, 192 ein
Bergriese in Schoningeu als Luchs erscheint vergl. oben S. 194, ein an-
derer Bergriese zu Gjemoe in Blekingen 3 Tage laug in Gestalt eines Geiers
vergl. oben S. 160 auf einem Hügel Halleberg sitzt, vor dem Menschen und
Tiere sich flüchten, bis man am dritten Tage einen wilden Stier ins Freie
lässt, den der Riese alsbald fortträgt und verzehrt.
272
Luft brausen '). Man hört aus diesem Zuge Gesang von
den jüngsten und feinsten Kinderstimmen, bis zu
den gröbsten und ältesten Männerstimmen^). Als
einmal das Muotesheer im Sturm daberfahrend ein Haus
umreifst, klemmt sich einer der Geister, ein kleiner Knabe,
in einem Balken ein ^). Oft wird es hervorgehoben, dass
zu Frau Holdas wütendem Heer die Seelen der unge-
tauften Kinder fahren. Wenn es uns nun berichtet
wird, dass diese Göttiu die in ihr Gefolge oder ihren Brun-
nen geraubten kleinen Kinder neugeboren auf die Erde
zurückschickt und aus eben demselben Brunnen, der der
Wohnsitz der Geister jedes Alters und Geschlechts ist,
die Neugebornen überhaupt kommen, so ergiebt sich deut-
lich folgende Vorstellung. Die zur Himmelshöhe empor-
geschwebten Seelen warten in Gemeinschaft der Götter
zumal im Wolkenbrunnen bei Holda, bis sie zu neuer Ge-
burt in einem anderen Körper auf die Erde gesandt wer-
den. Der Storch oder der Marienkäfer bringt die
Seelen den gebärenden Frauen zur Menschenwelt herab.
Hieraus entstand durch Localisierung des himmlischen Brun-
nens oder Berges auf der Erde und durch die Verallgemei-
neruno; des Begriffes der Seele in Seele und Leib zusam-
men die Ammenrede, dass die Wickelkinder aus Brunnen
oder Bergen geholt werden, oder dass der Storch die Kin-
der bringe ■*). Freilich waren die Seelen herangewachsener
Menschen nicht ohne Weiteres fähig, in menschliche Kör-
per als Kinder zurückzukehren, sie bedurften erst der Er-
neuerung. Eine niedersächsische Sage erzählt, dass Wald-
1) Meier, Schwab. Sagen 136. No. 151.
2) Meier a. a. 0. S. 140. No. 157.
3) Meier a. a. O. S. 140. No. 158.
4) Auch im Kinderreim ist die Erinnerung davon erhalten, dass der
Storch aus dem Brunnen die Kinderseelen holt: Stork stork steine mit de
lange beine mit de korze knie! Jungfrau Marie hat e kind gefunne
in dem kleine brunne. Wer solls hebe? Der petter mit der gese (d. i.
der Pate mit der Gote, Taufpatin). Wer soll die winnel wasche? De raäd mit
der plapperdäsche. Zeitschr. f. D. Myth. I, 475, 2.
273
minchen (der Name ist entstanden aus waltminne)*) eine
der Holda identische Göttin ein unartiges Mädchen in ihre
Berghöle holt. Darin sind viele kleine Kinder, mit denen
das Mädchen auf eine Wiese läuft, Blumen pflückt und
spielt. Als das kleine Mädchen sich auch hier nicht besser
aufführt, trägt Waldminchen es zu einer Mühle, worin Wei-
ber und Männer jung gemahlen werden und lässt es hier
gutgeartet aus der Mühle hervorgehen ^). Diese verjün-
gende Kraft steht nun auch dem Jungbrunnen zu (Mjth.^
554), den schon Wolf, Beiträge I, 167 als dem Kinder-
brunnen der Holda identisch erkannte^).
§. 3. Frau Rose, Gode, Sole.
Ein weitverbreitetes Kinderspiel bewahrt uns die Dar-
stellung der Göttin, die die Seelen der Kinder auf dem
Schofse trägt. Ich kenne davon folgende Fassungen:
1) In Pommerellen setzt sich ein Mädchen „öle
möder Rose" oder öle möder Taersche (d. i. töwer-
sche) ■*), Zauberin, Hexe genannt, auf einen Stuhl, oder die
1) Vergl. Myth.* 405. üeber die Sage von Waldminchen siehe auch
Zeitschr. f. D. Myth. III, 85.
2) Colshom, Märchen und Sagen S. 92. No. 31.
3) Beizubringen ist hier noch die merkwürdige Sage bei Rocholz, Sagen
des Aargaus I, S. 221 — 241. Ko. 167. Zu Tegernfelden wohnt eine weirse
Jungfrau im Berge. Darin sind mehrere heUe Säle. Ringsum an den Wän-
den sitzt eine Reihe uralter Männer im Schlaf eingenickt, Seelen nach dem
ausdrücklichen Zeugnis der Sage S. 237. An der Rückwand aber steht ein
grofser Eichentrog. Ein zweites Zimmer ist voll schlafender Jünglinge
und Jungfrauen. Auch hinter ihnen steht ein Eichen trog. In einem
dritten Zimmer schlafen vor einem Eichentrog eine Unzahl kleiner Kinder. —
Eüie Variante dieser Sage sagt aber, die Jungfrau von Tegernfelden hege im
Berge alle Ungebornen, die liegen im Kleinkindertrog. Von hier kom-
men alle kleinen Kinder, die in Tegernfelden geboren werden. Stirbt ein
Kind noch ungetauft, so kommt es wieder in den Berg zurück und in den-
selben Trog hinein, stirbt es aber erst nach etlichen Wochen oder nimmt die
weifse Frau es wieder zu sich, weil die Mensclien sein nicht wert gewesen,
so hat es nicht mehr in seinem vorigen Troge Platz, sondern kommt in ei-
nen andern, der tiefer innen im Berge ist. Es ist klar, dass auch in der er-
sten Variante die Seelen der verschiedenen Altersstufen i m Troge lagen, statt
daneben. Zeigt sich hier nun freilich eine Scheidung der Seelen verschiede-
nen Alters, so lässt die gleiche Weise der Beherbergung doch vermuten dass
alle diese Seelen zur Wiedergeburt bestimmt waren. .
4) S. Hennig, Preufs. WB. s. v. Theersche.
18
274
platte Erde, ihr auf den Schofs eins über dem andern die
mitspielenden Kinder, aufser einem das wieder ein Mäd-
chen zu sein pflegt. Dieses kommt hinkend herzu und
fragt das oberste Kind: „Wont duar de öle moder Rose?"
„Treppken höcher" lautet die Antwort. Dieselbe Frage
und Antwort wiederholt sich bei dem zweitobersten Kinde
und so die ganze Reihe herunter bis auf das zu unterst
sitzende, „Best do de ole möder Rose?" „Jua. Wat
willst?" „En plasterke för min schewen fot." Die alte
Mutter Rose giebt ihr das oberste Kind. Bald kommt sie
zum zweitenmal angehumpelt, fragt die ganze Reihe durch
und bittet nochmals um ein Pflaster. Das vorherige giebt
sie vor verloren zu haben, oder die Katze, der Hund
hätten es gefressen. Nach längerem Hin- und Herreden
erhält sie das zweite Kind, auf gleiche Weise das dritte
und so fort, bis Mutter Rose allein übrig bleibt. Die vom
Schofs abgeholten Kinder haben sich neben einander auf
den Boden hingekauert und erhalten nun von der Hinken-
den Hundenamen (Packan, Bello, Ami u. s. w.). Dar-
auf geht Jene, die Mutter Rose zumKaffee einzula-
den. Kaum naht dieselbe sich, so fahren die
Hunde mit Gekläff auf sie zu und macheu die Ge-
berde des Zerreifsens ').
2) In Tübingen steht einer Reihe von Mädchen die
Mutter gegenüber und fragt: „Wo ist die Frau Ros?"
Dann sagt die erste an dem einem Ende der Reihe „hin-
ter mir." Hierauf fragt sie die zweite „Wo ist die Frau
Ros?" Die sagt ebenfalls „hinter mir." Dann schlägt die
Mutter die erste und sagt: „warum hast du gelogen?" So
geht es nun die ganze Reihe durch. Die letzte aber ant-
wortet auf die Frage der Mutter: „ich höre nichts auf
meinem linken Ohr!" Die Mutter fragt aber weiter
auf dem rechten Ohr, oder sonst die, welche oben am
1) In dieser Form habe ich das Spiel namentlich noch im Winter 1854
56 in einer Armenschule in Danzig, wo das unterste Kind ,,61e moder
Taersche genannt wurde, und im Sommer 1855 wiederum in St. Albrecht
bei Danzig beobachtet, wo man Mutter Rose sagte.
275
Anfang der Reihe steht: „Wo hast du des Herrn Schlüs-
sel nadon? (hingetan?)." „Auf den Ofen." Die Mutter:
„Er liegt nimme au£Pem Ofe." „Na da ist er verschmölze."
Mutter: „Wart nur, das sag ich dem Herre." „Ich gib dir e
Butterbrod." „I tu's nit." „I gib dir e viertel Him-
melreich." „I tu's nit." „I gib dir das halbe Him-
melreich." — Die Mutter: „I tu's nit." „I gib dir das
ganzeHimmel reich und all' meine Kleider." Die Mut-
ter: „Meintwege." Darauf nimmt die Mutter die Kinder
bei der Hand und führt sie im Kreise herum, indem sie
spricht :
Guck übersehe und lache nicht,
Wer lacht, der is e Teufele,
Wer nit lacht is en Engele.
Nun lacht eins aus der Reihe und ist dann das Teufele.
Hierauf fragen die Kinder: „Derf i zu des Teufels
Hochzig?" Die Mutter: „I will de Teufel vor anbinde."
Dann tut sie als ob sie ihn festbinde. Indem die Kinder
nun zur Hochzeit gehn und am Teufel vorüberziehn, sucht
er sie zu fangen. Sie flüchten zur Mutter; allein zuletzt
fängt der Teufel doch alle, aufser der Mutter, und macht
sie zu Teufeln ').
3) Stöber führt, Elsässisches Volksbüchlein S. 38, un-
ter den Spielen der elsässischen Kinder, bei denen nicht
grade Sprüchlein oder Lieder vorkommen, auf: „Frau
Ros."
4) Im schweizerischen Aargau tritt ein Kind vor, die
andern erwiedern seine Frage:
Frager: Wo hocket d' Frau Rose? — Kinder: obe dra.
Fr.: Was het sie a? — K.: Wifs und schwarz.
Fr.: Was no derzue? — K.: e neues paar schueh.
Fr.: I hett gern es huendli (Hühnchen) gha; s'ist mer
i d' aesche g'falle.
Frau Rose: Hebs üf und wäsch's. — Frager: es wott
net loh.
1) Meier, Kinderreime aus Sclnvaben 113. 114.
18
276
iFr. R. : Gib's em huud. — Fr.: s'ist net gesund.
Fr. R. : Gib's der chatz. — Fr.: s'ist net g'schmack.
Fr. R.r Gib's em chnecht. — Fr.: s'ist gar et recht.
Fr. R. : Se gib's der müs. — Fr.: Sie springt obe zur
first US.
Fr. R.: Gib's em nigel.
Fr.: Er springt d' wand üf und ab und bringt's mer
wieder.
Fr. R.: So nimms vorab, und brechet ehm ekeis füefsli ab.
Das fragende Kind nimmt nun ein Stöcklein, lässt das aus-
gewählte am andern Ende anfassen und um sich herum-
tanzen. Wird es dabei schwindelig oder lachts, so ist's
ein Rüppel (Teufel), ein Rubel (Dummkopf), wo nicht,
so ist's ein Engel').
5) In Appenzell heifst unser Spiel „das engeli üf-
zücha" (das Englein aufziehen). Die mitspielenden Kinder
hocken sich der Reihe nach auf die Unterschenkel, eines
ausgenommen, welches die sitzenden später aufzuheben hat.
Die erste der Reihe heifst: Marei Muetter Gottes.
Zu dieser tritt das umhergehende Kind und fragt: „Tar
i en engeli üfzücha?" M. G.: „Jo. " Chas tanza?
M. G. : „Jo." Dann hebt das umgehende Mädchen eins
der hockenden an den Armen ziehend empor und tanzt mit
ihm. Dabei muss das letztere unverwandt gen Him-
mel schauen; lacht es dann, so kommt es unter die
Schar der Teufel, bleibt es ernst unter die der Engel.
So geht es mit allen Kindern der Reihe nach, bis die Mut-
ter Gottes allein übrig bleibt. Das umgehende Kind fragt
sodann diese, ob sie nicht zu ihm auf Nachmittagsbe-
such kommen wolle. „Frau Bas wönd-er so guet se, ond
wönd-er zuemer zuer stoberta cho?" M. G.: „Nei, si
hend böse hönd (Hunde)." „Jo se sönd jo an zwenzg-
fache chetta n'abonda." M. G.: „Jo so wil i ehe cho."
Dieselben Fragen werden auch an die Engel gerichtet,
worauf diese miteinander an den Teufeln vorbeigehen. Kei-
1) Eocholz, Alemannisches Kinderlied u. Kinderspiel II. No. 67. S. 436.
277
ner will aber zuerst näher treten. Sie stofsen einander an
und lärmen: „Gang du z'erst." Endlich wagt es ein En-
gel. Die Teufel fallen grimmig über ihn her, die Engel
eilen ihm zu Hilfe und es entspinnt sich ein Kampf, der
so lange dauert, bis sich beide Parteien müde gebalgt
haben ').
6) In der Umgegend von Dünkirchen und Hazebrouk
hocken die Kinder auf der Erde, hinter ihnen
sitzt Maria auf einem Stuhl. Ein anderes Kind geht
um die Gruppe:
„Kintje Jesus is ons Vrouwje 't huis?"
Neen, zy is int achterhuis.
„"Wat doet zy daer?"
Haer her kämmen.
„Met wat kam?"
Met een goud kam.
„Wat heeft zy verlooren?"
Eene goude krooue.
„En wat uog?"
Een goude krog.
„Zegt dat zy wat vooren komt!"
Ons Vrouwje komt vooren.
„'K zoude geern een van uwe schoonste schaapkens
h ebben"
Ja, gript, maar 't schoonste uiet ^).
1) Tobler, Appenzeller Sprachschatz S. 169. Vergl. Rocholz a. a. O,
No. 65. S. 444.
2) Kind Jesus ist U. 1. Frau zu Haus? — Nein sie ist im Hinterhaus.
— Was macht sie da? — Ihr Haar kämmen. — Mit was für 'nem Kamm?
— Mit goldenem Kamm. — Was hat sie verloren? — Eine Goldkrone. —
Was noch? — Einen goldenen Trog. Sagt, was ist das, was da hen'orkommt?
— U. 1. Frau konmit hers'or. — Ich wollte gern eins von deinen schönsten
Schäfchen haben. — Ja greif dir eins, nur das schönste niclit. — Louis de
Baecker, De la rcligion du Nord de la France devant le christiauisme. Lille
1854. S. 170. In diesem übrigens durchaus unselbständigem und fehlerhaftem
Buche findet man S. 133. 162. 169. 171. 178 u s. w. einen Teil der in diesem Ab-
schnitt ,,Holda und die Nomen" gedeuteten Kinderlieder nach meiner Auffas-
sung erklärt. Ich hatte nämlich, damals Berliner Student, im Märzmond 1853
Herrn de Baecker auf eine an Mafsmann gcriclitete Frage nach dem Ursprung
der Kinderlieder, mit einer mehrere Bogen starken Abhandlung geantwortet
und ihm in kurzen Zügen mythischen Gehalt in einer Keihe von Ueberliefe
278
7) In Hemer in Westphalen (Grafschaft Mark) setzen
sich die Kinder so nieder, dass das erste dem zweiten,
das zweite dem dritten u. s. w. auf dem Schofse sitzt.
Eins (der Käufer) geht umher einen Stab in der Hand tra-
gend und singt:
Schaspken imme schote
vi laipen all te hope,
laipen in de wintergiärste
un fräten ues te biärste.
Ingank, ütgank —
bu hett de küenink van Engellant?
Der Käufer stellt sich darauf neben dem hintersten
Kinde auf, berührt es mit seinem Stabe und fragt:
„Hett i en schsepken te verkopen?"
Ja.
„Bat sali et kosten?"
Twe daler.
„Bu hett et?
Der Name.
Nun geht der Käufer zu dem genannten, fasst mit beiden
Händen seinen Stab, stellt sich vor ihn und macht Faxen,
um ihn zum Lachen zu bringen. Gelingt dies, so ist
das Schäfchen gekauft^).
8) Im westphälischen Orte Hemschlag setzen sich die
Kinder auf den Boden, eins dem andern in den Schofs,
bis auf eins, das herumgeht. Dieses hat ein Stöckchen in
rungen dargelegt, in denen ich einen solchen bis zu jener Zeit erkannt hatte.
Im Herbst 1853 fügte ich von Tübingen aus einige weitere Mitteilungen hinzu,
indem ich Herrn de Baecker um flandrische Varianten zu der gröfseren Masse
der in gegenwärtigem Abschnitt behandelten Kinderlieder befragte. 1854 er-
schien obengenanntes Buch, in welchem ich zu nicht geringem Erstaunen den
Inhalt meiner Briefe unverarbeitet, niu- durch üble Misverständnisse und Text-
verdrehungen entstellt als eigene Forschung des Herrn de Baecker wiederfinde.
Indem ich mein ui-sprüngliches Eigentum reclamiere, sage ich Herrn de Baecker,
der sich durch die Gründung des Comite Flamand de France ein besseres
Verdienst envorben hat, als durch seine Scliriften, Dank, dass er wenigstens
auf diesem Wege die von mir erbetenen Varianten der Forschung zugänglich
gemacht hat, und gebe ihm die Ermächtigung auch diese Anmerkung für seine
Landsleute ins Französische zu übertragen.
1) Woeste, Volksüberlieferungen aus der Grafschaft Mark S. 11, 4.
279
der Hand, klopft damit dem vordersten auf den Fufs und
spricht: „Wo steht die Frau Rose?" Oben aus. „Ich
wollte gern ein schmutziges Hammellämmchen haben."
Du hast gestern und vorgestern eins gekriegt. „Eins ist
mir übers Brückelche gegange und hat mirs Kückel-
che gebroche. Eins ist mir ins Born che gefalle und hats
Hörnche zebroche. Eins ist mir übers Mistche gegange
und ist mist- mistfaul geworde." Dann solltest du dirs ge-
salzen haben. „Ich hatte kein Salz." Dann solltest du
dirs gelehnt haben. „Die Leute wollten mir keins lehnen."
Dann solltest du dirs geborgt haben. „Die Leute wollten
mir keins borgen." Dann solltest du dirs gestohlen haben.
„Dann hätte man mich an den höchsten Baum gehenkt,
der im Walde ist."
Nun sprechen alle: „Dann nimm dir das." Jetzt fasst
das umhergehende Kind das Stöckchen an beiden Enden;
das vorderste der Sitzenden ergreift dasselbe in der Mitte
und richtet sich dran empor. Jenes fragt: „Was hast ge-
gesse?" — Gillegresse. — „Was hast getrunke?" — Gil-
lefunke. — „Wo hast gelege?" — Im Heu. — „Was hast
du gesehn ? " — Ein rot Vögelchen. — „Dann guck in
die Höh und lach tüchtig." So gehts die Reihe durch,
dann ist das Spiel aus ').
9) In Holstein sitzen Mädchen in einer Reihe ein-
ander auf dem Schofs. Eine fragt die Reihe entlang:
„Woniem Avant Mutter Marie? (oder Fru Rosen)"
kann nich hören op min rechtes ohr,
kann nich hören min linkes ohr.
Bei der letzten:
„Is se Mutter Marie (Fru Rosen)?"
kannst mi dat nich ansen?
ik schlTip nich,
ik wäk nich,
ik bin nich in dröm.
„Kann ik nich cn van är lamm er kr igen?"
1) Mitteilung des Lehrer Kulm in Ilemschlag.
280
Hest ja erst gistem en kragen.
„Dat lach nich, dat schach nicb,
dat wis de lütten witten taen.
dat Sprung aewert heck un füll in den dreck.
ik leg em op de bank, do wer he as'n ael so lank
ik leg em op de er, do wörd' he as en scher,
ik leg em in de weg, do wörd he asn fleg.
ik leg em op de flnsterbank,
do kem de eische wulf un häl em weg."
Harst man en bäten seit opstreien schult.
„Ik harr niks."
Harst dl ja man en bäten lenen kunnt.
„Nabers wuUen mi niks lenen."
Harst di wat köpen kunnt.
„Ik harr ken gelt."
Harst di wat borgen kunnt.
„Se wuUen mi niks borgen."
Na, denn nimm di fasr en weg
un slüt achter wedder to.
Sie nimmt die erste aus der Reihe, tut dann, als wenn sie
vor der nächsten die Türe abschliefst und nun muss die,
welche aufgenommen ward, dreimal ohne zu lachen
über einen Strich springen. Gelingts ihr, so kommt
sie in den Himmel, lacht sie aber, so kommt sie in die
Hölle. Zuletzt, wenn alle Mitspielenden so verteilt sind,
fassen sich die Mutter Marie und die, welche bisher fragte,
bei den Händen; die aus dem Himmel hängen sich an
jene, die aus der Hölle an diese, und es gilt, welche von
beiden Parteien im Zerren die stärkste ist ').
In Altena sagt das oberste Eaud auf die Frage „Wänt
dar frü Rös?": Achter mi oppen bliernen knopp; die fol-
gende: Achter mi oppen missiugnen knopp u. s. w. ; die
beiden letzten: Achter mi oppen sülvernen knopp. Achter
mi oppen gollnen knopp ^).
1) Müllenhoff, Schleswigholst. Sagen S. 486. No. 7.
2) Mitteilung des Cand. J. v. d. Smissen.
281
10) Zu Perleberg in der Priegnitz setzt Frau Rose
eine Anzahl Kinder eins über dem andern hockend auf ih-
ren Schofs. Ein Kind geht als Käufer herum und fragt:
„Wo wont frü Rosen?" Antw. : Kort achter mi. Dieselbe
Frage und Antwort wiederholt sich bis zu Frau Rose, die
die Frage bejaht. Jetzt beginnt ein Handel um ein
Lämmchen. Hat Frau Rose das vorderste abgegeben,
so fassen sich dieses und der Käufer an die rechte Hand,
drehen sich im Kreise um und der Käufer singt:
Fru Rose het mi'n lämmken dön
da sal ik mit uppen danzboden gän.
Dann steht sie still und der Käufer fragt das Lamm:
„Wat wistu äten?" — Kol un speck. — „Wat wistu drin-
ken?" — Win un ber. — „Wat krüpt dar?" (auf die Erde
zeigend). — Ne müs. — „Wat flügt da?" — 'n Vogel.
11) Zu Lenzen in der Priegnitz nahe der meklenbur-
gischen Grenze heifst, nach der Mitteilung des Rector Ul-
rici daselbst, das unterste Kind, dem die andern auf dem
Schofse sitzen, heutzutage frü Göden, oder in abge-
schwächter Form frü Göl. Dr. Roeper in Danzig, der
aus Lenzen gebürtig ist, wusste sich aus der Uebung sei-
ner Jugend mit Bestimmtheit der Form frü Gode und
nur dieser zu erinnern. Das herumgehende Kind fragte:
„Wo wänt frü Gode?" Die Antwort war: „Kort achter
mi." Heutzutage lautet die Antwort kat (oder kol, beides
aus kort) achter mi. Kommt die Fragende zur Frau Gode,
so antwortet diese: Ik bin her sülwst. „Kann ik nich en
fett lämmken krign?" Se het irscht gistern ens krau. Wo
het se't denn läten? — „De is mi öwern tun Sprüngen."
— Worum hest't nig nich wiss holln? — „Ik harr'n
gröt knäken in't ben." — Wo lang? — jjWie en
bank." — Wo gröt? — „Wie'n brot." — Worum hest
em ken solt uppen swanz streit? — „Ik harr ken solt." —
Worum hest di ken't stolen? — „Det het min vader un
mudder allwegs verboden." Denn nemm di den irschten.
1) Mitteilung des Director Victor in Peiieberg.
282
Nun singt die Fragerin; „Frü Goden het mi'n fett
lämmken gäwen, raet em da sali ik in freiden läwen. Wat
krüpt da?" — Das abgeholte Kind; ene müs. — „Wat
fleit da?" — en voal (Vogel). Nach diesen Fragen, die
das fortgeholte Kind beantworten muss, sagt die Fragerin
zu ihm: „Drei di dreimal um un lach nich." Lacht es
dann, so ist es des Teufels Kind, lacht es nicht, so ist es
Gottes Kind. Wenn alle sammt Frau Gode fort sind^ fängt
das Spiel von Neuem an.
In der angegebenen Form scheint das Spiel weiter in
Meklenburg verbreitet zu sein. Der Hilfsprediger Günther
in Eldena gab in einem Aufsatz über Sagen von Frau
Gode in Meklenburg ') folgende Notiz : Frau Gauden liebt
insonderheit kleine Kinder und beschenkt sie mit allerlei
guten Gaben. Darum singen auch die Kinder, wenn sie
Fru Gauden spielen:
Fru Gauden het mi'n lämmken gewen,
därmit sali ik in freuden lewen.
12) In Pankow bei Berlin zeichnete ich folgende Va-
riante auf. Das unterste Kind heilst „Mutter Tepper-
chen." Ihm sitzen die anderen Kinder auf dem Schofs
bis auf das herumgehende. „Wohnt hier Mutter Tepper-
chen?" — Ein Treppchen höher. — Nachdem die Keihe
durchgefragt antwortet Mutter Tepperchen: Ja hier wohnt
sie, was willst du denn? — „Einen Eosentopp." — Such
dir einen aus.
Das herumgehende Kind sucht sich eins von den sitzen-
den aus und bringt es an einen abseits gelegenen Ort. Dann
kommt es wieder und verlangt nacheinander einen Nelken-
topp, einen braunen Topp u. s. w., bis Mutter Tepperchen
allein bleibt. Dann versteckt sich das herumgehende Kind
hinter den geholten. Mutter Tepperchen kommt um sich
die Bezahlung für die Töpfe zu fordern: Ist der Herr zu
Hause? — „Nein." — Wann kommt er? — „In zwei
Stunden." — Mutter Tepperchen geht fort, kehrt aber
1) Lisch, Mekleub. Jahrbücher VIII, 202— 205. Daraus Myth.* 879.
283
nach einiger Zeit zurück und wiederholt die Frage. — „Der
Herr zieht sich au," lautet die Antwort. — Mutter Tep-
perchen geht abermals fort. Da läuft das versteckte Kind
vor die Reihe heraus und Mutter Tepperchen sucht es zu
haschen.
13) In Wolfs Belgischen CoUectaneen finde ich die
leider nur unvollständige Aufzeichnung einer französischen
Variante. Das herumgehende Kind spricht;
Je suis pauvre, je suis pauvre,
Anne Marie Jaqueline,
Je suis pauvre dans ce jeu d'ici.
Die sitzenden antworten:
Je suis riche, je suis riche,
Anne Marie Jaqueline,
Je suis riche dans ce jeu d'ici.
Die erste;
Jene;
Donnez moi un de vos enfans,
Anne Marie Jaqueline,
Donnez etc. dans ce jeu d'ici.
Prenez celui, que vous voulez.
14) In Schweden sitzt Frau Sonne (Fru Sole) auf
einem Stuhl. Die sie umgebenden Kinder stellen Hühn-
chen oder Hähnchen vor. Ein uraltes Mütterchen kommt,
auf einen Stock gestützt, geht zu Frau Sonne und klopft
(knappar pä). Frau Sonne: „Wer klopft da an meinen
vordersten Ring? (hvem är det, som knappar pä min för-
stugu ring?)" Die Alte mit kläglicher Stimme: „Eine alte
Frau, zugleich lahm und blind, sie fragt nach dem Weg
zu Frau Sonne. Ist sie zu Hause?" (Fattig gumma, bäd halt
och blind, fragar vagen tili fru Sole! Är hon herama?) —
Frau Sonne : Nein. — Die Alte weist mit dem Finger auf
einen von der Gesellschaft : „Liebste Frau Sonne bekomme
ich das kleine Hähnchen da? (kära fru Sole, far jag den
der lilla tuppen?)" — Frau Sonne: Nein! — Die Alte
bittet inständigst: „Ach süfse Frau Sonne (a sota fru Sole)"
u. s. w., bis Frau Sonne beistimmt. Verweigert diese es
284
«nunterbrochen, so bedankt sich die Alte, als hätte sie be-
kommen, was sie begehrt und nimmt sich das Hähnchen.
Indem sie mit demselben über die Diele forthinkt, sagt
sie: „Die Alte war nicht so lahm, als sie sich anstellte."
Darnach kommt sie wieder, ist lahm und elend, erneuert
ihre Bitten und erhält das Geschenk, so lange bis kein
Huhn mehr da ist. Die ganze Ergötzung bei diesem Spiele
beruht auf der Art und Weise, wie Frau Sonne und die
Alte ihre Angelegenheiten miteinander verhandeln ^).
Dass uns im vorstehenden Spiel ziemlich unverfälscht
ein heidnischer Chorreigen aufbehalten ist, geht aus folgen-
den Gründen hervor:
a) Schon der in No. 5. 6. 9. vorkommende Name
Maria, dem sich Anne Marie in No. 13 anschliefst, macht
wahrscheinlich, dass unter dem untersten Kinde ursprüng-
lich ein himmlisches, übermenschliches Wesen dargestellt
wurde. Da nun Maria häufig an die Stelle heidnischer
Göttinnen trat, welche ebenso häufig in dämonische Gestalt
verketzert wurden, an Stelle der Mutter Gottes in No. 1
aber öle möder Ttersche d. i. töwersche, Zauberin,
Hexe genannt wird, so ist klar, dass dieser Fall hier an-
zunehmen ist. Denn die Mutter des Herrn hätte Niemand
in eine Hexe umzuwandeln gewagt. Auch der Name alte
Mutter Teppersche, alte Mutter Tepperken in
Berlin und Umgegend ist aus tewersche entstanden, spä-
ter aber in Töpferin volksetymologisch umgedeutet, da-
her die in No. 12 die auf dem Schofse sitzenden Kinder
als Töpfe gefasst sind, während die andern Recensionen
sie Engel, Lämmer oder Hühner benennen. Welche
Göttin gemeint ist, lernen wir aus No. 11 kennen. Frau
Gauden oder Gö de, die weibliche Form von Wodan, ist
eine andere in der Priegnitz und dem angrenzenden Mek-
lenburg gebräuchliche Benennung derHolda^). Wie dem
1) Arwidson, Swenska fornsängor III. 1843 S. 437. No. 28.
2) Wie Holda fährt Frau Gaudeu mit der wilden Jagd zu Wagen durch
die Luft. Kuhn, Nordd. Sagen No. 2. Myth.^ 877 fgg. Gleich Holda
(Grimm , D. Sag. No. 8 ) lässt sie sich ihren Wagen ausbessern Myth. a. a. O.
285
Wödau in Frau Gode eine weibliche Person zur Seite
steht, weisen mittel- und oberdeutsche Stämme dasselbe
Götterpaar unter dem Namen Peralitold und Perahta (Ber-
thold und Bertha) auf. Da nun wiederum der wilde Jä-
ger Wodan auch unter dem Namen Hruodperaht (Ru-
precht) der Ruhmglänzende auftritt, so wird wahrscheinlich,
dass auch dieser männlichen Form des Gottes eine entspre-
chende weibliche zur Seite gestanden habe. Ich erkenne
dieselbe in der Mutter Rose in No. 1. 2. 3. 4. 8. 10. 9 unseres
Kinderspiels, deren Namen sich zunächst an die altnordi-
schen Formen hrösa laudare, decantare, hros n. laus, en-
comium; hrösa f. laudatio, laus; dän. ros, roes, laus, fama
anlehnt. Dass der Name der mythischen Frau Rose mit
dem von der Blume hergenommenen Taufnamen nichts zu
tun hat, ist klar; man wird versucht an die mehrfach vor-
kommende Diminutivform von Hruodo (= Hruodperaht),
Hruozo, Ruozo (Urk. v. 1040 b. Mabillon; Mon. Germ.
VI, 412), Rözo (Mon. Germ. IX, 30) zu denken, wozu
das Femin. Röza (Mon. Germ. V.) sich findet. Allein
abgesehen davon, dassHroza, Röza in neuhochdeutscher
Sprache Rosse lauten müsste, wie uns läzen zu lassen
wird, so würde aus dieser rein oberdeutschen Form
die Verbreitung des Namens Rose in den niederdeutschen
Fassungen unseres Spiels unerklärt bleiben.
Ich versuche den Namen Rose daher auf folgende
Weise zu erklären. Vom Stamme hruod, hröd bildete sich
durch ableitendes s, das unserer älteren Sprache geläufig ')
Gleich Holda liebt Frau Gauden kleine Kinder und beschenkt sie mit allerlei
guten Gaben. Myth. a.a.O. S. 879. vergl. Grimm, D. Sagen I. No. 4.
Schon durch die von Schwartz, Der alte Volksglaube S. 20 gegebene Aus-
einandersetzung ist dargetan, dass Frau Gode, Gaude die im Gewittersturm
umfahrende Wolke (die Wasserfrau) bedeute. „Sie fährt, wenn der Sturm
heult in den Wolken umher unter dem Gebell der sie umgebenden Hunde
(der Winde) und wenn des Blitzes Funken sprülien, dann lässt sie, auf ihrem
Wege aufgehalten, au ihrem Wagen (der Wolke) arbeiten, dass die Späne
(die Blitzfunkeu) davon fliegen. Erst wenn dies geschehen, die Blitze nicht
mehr sprühen, zieht die Göttin weiter, der Gewitterwolken dahin toben-
der Zug vorüber."
1) Vergl. altn. ber-si neben ahd. pero, altn. biör-n; gl6-si flamma von
glop ; häl-sar neben halir viri fortcs, up-s iuja pars tecti ; goth. ga-run-s fo-
rum, platea von rinnan, mhd. run-s cursus u. s. w.
286
und besonders in starken Neutris üblich war'), ein Neu-
trum hröds, hrös Ruhm, das einzig im Altnordischen be-
wahrt ist, aber auch den südgermanischen Dialecten nicht
gefehlt haben wird. Wie aus dem gleichgebildeten Neu-
trum sahs, ags. seahs Messer, der Volksname Sahso, Seaxa
in der Bedeutung der Messerträger abgeleitet wurde, bil-
dete man aus hröds den der zusammengesetzten Form
Hruodperaht gleichbedeutenden Beinamen Wodans, Hruodso,
Hrödso, Hröso, Röso d. i. der Ruhmträger; sowie für Holda,
seine Gemahlin den Beinamen Hrösa, Rosa die Ruhmträge-
rin. Sprachlich wird meine Erklärung durch das in No. 9
zum Vorschein kommende fru Rösere unterstützt, welches
auf ein schwach decliniertes alts. Rosa, Gen. Rösim zurück-
weist; aber auch sachlich glaube ich dieselbe durch die
Bemerkung festigen zu können, dass jener Hrödso in der
heutigen Volkssage noch erhalten ist. In der Gegend von
Üchte im Hannoverschen nennt man nämlich Wödan-Ha-
kelberg, den wilden Jäger, Röds oder Her odis ^) und es
ist klar, dass die letztere Form nur aus Hröds oder
Hrödso volksetymologisch herausgedeutet ist. Vom wil-
den Jäger Herodes und der wilden Jägerin Herodias =
Hrödsa, Holda wusste nun bereits die ältere Volkssage des
Mittelalters zu berichten. Sie werden besonders erwähnt
von Burchard von Worms f 10. Aug. 1025, der das be-
treffende Capitel seiner Decretalensammlung oder wenig-
stens die Zusätze dazu nach Richters Vermutung aus ei-
nem fränkischen Capitular schöpfte; Ratherius Bischof zu
Verona -}- 972, der ein Franke, aus Lobi bei Cambray ge-
bürtig war; Johannes von Salisbury, der abwechselnd in
Frankreich und England lebte, f 1182; und im Gedicht
von Reinardus vulpes, das an der nordfranzösischen Grenze
gedichtet wurde ^). Es scheint daher wol vorzüglich bei
Franken die Sage von Herodias bekannt gewesen zu sein,
und die Franken wiederum sind es, bei welchen jener Stamm
1) S. Gram. II, 266.
2) Zeitschr. f. D. Myth. I, S. 100 fgg.
3) S. Myth.» Vorrede XXIV. Myth.« 260 fgg. 1010.
287 _
hröd bis auf spätere Zeit in der lebendigsten Fülle wal-
tete. Ob die teilweise abweichenden italischen Legen-
den von Herodias ') ebenso auf eine langobardische Hrösa
zurückgehen ^) und auch auf die fränkische Herodiassage zu-
gleich mit der Hrösamythe eine ältere romanische Legende
von Herodias einwirkte, muss durch spätere Untersuchun-
gen, bei denen namentlich der untergeschobene Augustini-
sche Tractat De spiritu et anima in Betracht kommen wird,
festjyestellt werden.
Ergab sich somit Rose in unserm Kinderspiel als ein
alter und echter Göttername, so wird auch Frau Sonne
(fru Sole) in der schwedischen Fassung No. 14 als ein
solcher erklärlich. Frau Holda, die Besitzerin des Kin-
derbrunnens, gewährt heiteres Wetter; sie wird gebeten
die Tür der Wolke zu öflhen und die Sonne aus dem
Brunnen herauszulassen; und ihr Bote der Käfer wird um
Sonnenschein angerufen. Somit lag es sehr nahe die Göt-
tin gradezu als Sonne aufzufassen. Wir sahen schon oben
S. 246 fgg., dass im Norden Freyja als die Herrin des Käfers
galt und es wird hier darauf ankommen nachzuweisen, dass
sie der Hulda ursprünglich identisch war, dass auch sie auf
1) S. Myth.' 260.
2) Dies dürfte durch den Namen Eosamund = Hrosamimd wahrschein-
lich werden. Die Namen Chrodmund, Hruodmunt, Euadmund, Rödoman,
Ilrodliop, Hrodwin , Hruodwin weisen nach unserer Auseinandersetzung Zeit-
sc,hr. f. D. Myth. III, 130 fgg. auf einen Gott Hruodo zurück. Diesem Hruodo
neben Ilruodso stünde als Femininum das ags. Hre'Se Myth.^ 186. 266. zur
Seite. Gleichbedeutend ist ein aus der neben der Ä-Forni hröd herlaufenden Ü-
Fonn hlüd gebildetes Hluda, s. Myth.'^ 1211. Zs. f. D. Myth. 11,335. Die-
ser Name Hlüda ist aus dem Genitiv Hludanae = Hindun in einer Inschrift
auf einem Steine von Birten, der jetzt in Bonn aufbewahrt wird, zu entneh-
men: DEAE HLUDANAE SACRUM . C. TIBERIUS VERUS. Auf dem
Monterbcrg bei Calcar, einer von Römern befestigten Anhöhe, an deren Fufse
der Ort Burginacium lag, ist noch ein anderer Stein gefunden mit der In-
schrift:
DEA . HLV
• ENyE CEN
Dr. L. Schneider will diese Inschrift in DEAE HLVDENAE CENSORDH^S
V. S. L. M. (votum solvit lubens merito) ergänzen. S. Jahrbücher des Ver-
eins von Altertumsfreunden in den Rhcinlanden XXII. 1855 S. 62 fgg. Lorsch,
Centralmuseum Rheinischer Inschriften II, 27. Die Form Hlüden = Hlüdün
stellt sich zu niarhe, alte = merihä, altä. Gesch. d. D. Spr. 947.
_288 ^
die Gestalt der himmlischen Wasserfrau, welche die See-*
len bei sich beherbergt, zurückgeht.
Freyjas Vater ist Njörör, der Gott des himmlischen
Gewässers s. oben S. 222, ihre Mutter NjörS, Nairjjus wird
ursprünglich eine ähnliche Bedeutung gehabt haben. Nach-
dem ihr jährlicher Umzug geendigt ist, badet sie sich
im See (Tac. Germ. 40) wie Frau Holda. Sie ist gleich
Demeter s. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 452 ur-
sprünglich die alte Wasserfrau, die Wolke, die die Erde
fruchtbar macht und daher später ebenso zur Erdgöttin
selbst wird, wie man andere alte Wolkensymbole z. B. die
K u h (des Ueberflusses) später als Bild der Erde auffasste.
Geht aus diesem Elternpaar hervor, dass Freyja dem himm-
lischen Gewässer entsprang, so wird durch das Katzen-
gespann, mit welchem sie fährt, ihre Bedeutung als Was-
serfrau weiter bestätigt, sowie durch die Sage dass sie um
ihren Gemahl 08r, der sie verlassen habe, goldene Tr ah-
nen weinte, denn diese Trähnen sind die im Gewitter nie-
derfallenden Regentropfen.
Dieselbe Sage wird nun von Frau Holle erzählt. Bei
Fulda im Wald liegt ein Stein, in dem man Furchen sieht;
da hat Frau Holl über ihren Mann so bittere Trähnen
geweint, dass der harte Stein davon erweichte'). Das
entschiedenste Zeugnis für Freyjas Bedeutung als Wasser-
frau gewährt aber die 1 68 fgg. mehrfach besprochene Mythe,
dass sie von Riesen zusammt der Sonne und dem Mond
geraubt wird. Ihr zur Seite stehen lichte Jungfrauen, die
Valkyrien, an Gestalt ihr gleich, Vervielfältigungen ihrer
selbst, welche sich ebenfalls als Apas kundgeben, indem
1) Wolf, Hessische Sagen No. 12. S. 10. Diese Sage, welche mehrfach
angezweifelt ist, ergiebt sich als echt, da auch anderswo sowol Frau Hulli-
.steine vorkommen, auf denen die Göttin sitzt. Zeitschr. f. D. Myth. I, 24.
27, als auch der Ziig, dass sie auf diesen Steinen sitzend weine. Alle Nacht
zwischen elf und zwölf kommt Frau Holle nach den drei Brodsteinen im
Walde bei Andreasberg, setzt sich darauf und weint. Pröhle, Harzsagen
S. 135. Am Frau Hollenabend muss Frau Holle auf der Kuhkolksklippe im
weifsen Laken (das wol dem Goldfell s. oben S. 175 identisch ist) sitzen
und heulen. Pröhle a. a. 0. S. 155. 156.
289 _
von den Rossen, auf denen sie reiten, Tau in die Täler
tropft. Gradeso sind die Säligen Fräulein, Holdas Beglei-
terinnen in Tirol von der Göttin nicht zu unterscheiden
und von den schlafenden Jungfrauen im Berge der S. 273
Anm.^ besprochenen weifsen Frau zu Tegernfelden heifst
es, dass sie derselben aufs Haar gleichsehen. Ebenso sind
die nordischen Huldre von ihrer Königin Hulda kaum zu
unterscheiden. Die Göttin , welche unter den Namen Hul-
dra-Holda, Freyja, Frigg-Frikka, Perahta erscheint, ist
überhaupt nur eine Difierenzierung, eine aus der Schar der
Apas bestimmter hervortretende Gestalt und geht deshalb
fortwährend in die Gestalten über, welche aus diesen in
der späteren Mythologie entsprossen, die Elbe, Nixen,
Zwerge, weifsen Frauen u. s. w.
Der Goldeber Hildisvini, auf welchem Freyja reitet, ist
ebenfalls ein Bild der Wolke und steht dem im Kinderbrun-
nen der Holda weilenden Goldbock gleich (s. o. S. 64. 177.
212). Dieser Eber heifst nach einem Beinamen der Freyja,
Hilldr, den sie in späterer Zeit in Deutschland und im
Norden führte. Unter diesem Namen Hilldr wird uns von
Freyja, der Tochter Njörös, folgende Sage berichtet. Ein
König Hebinn, Hiarrandis Sohn, raubt Hilldr, die
schöne Tochter Högnis von Njaröarey (d. i. Njörös-
insel), die sich noch aufserdem durch ein goldenes Hals-
band (das die Edda auch sonst Freyja beilegt und mit
dem Namen Brisingamen benennt) als die Göttin kundgiebt').
Högni = Njörör folgt dem Entführer, es kommt zwischen
dem beiderseitigen Gefolge zum Kampf. In der Nacht aber
ging Hilldr zur Wahlstatt und weckte durch Zauberei alle,
die da tot lagen und anderen Tags gingen die Könige zum
Schlachtfeld und stritten und mit ihnen wieder alle, die
da Tags zuvor gefallen waren. So dauert der Kampf bis
zum jüngsten Tage '^). Nach der Olafs Tryggvasonarsaga
cap. 17 hat Oöinn der Freyja das Halsband Brisingamen
1) Ploennies, Kiulrün S. 227 fgg. Simrock, Bertha die Spinnerin 97 fgg.
2) Skäkliäkaparm. cap. 50. Sn. E. I, 423.
19
290
entwenden lassen und stellt es ihr nur unter der Bedingung
zurück, dass sie zwei Könige sammt ihren Heeren gegen-
einander reize, aus dem Todesschluf aber die Gefallenen
täglich zu neuem Kampfe wecke.
Hiarrandi ist ein Name Oöins '), der das wilde Heer
anführt. Die deutsche Kütrunsage kennt ihn auch unter dem
Namen Horant und lässt ihn eine Weise singen, dass davor
der kleinen Vöglein Schallen schweigt, das Wild im Walde
die Weide lässt, Fische und Würmer lauschend herbeieilen;
es ist dieses Lied die wunderbare Musik, die aus dem
Zuge des wilden Heeres tönt'-), es ist das Sturmlied der
Maruts s. o. S. 40. 44. Giebt sich somit Hiarrandi-Horant
als der wütende Jäger Oöiun zu erkennen, so ist HeSinn
nicht minder ein deutlich erkennbarer Eigenname desselben
Gottes, dem deutschen Hakolberand, Hakelberg (Mantel-
träger) gleichbedeutend. Oöinn-Wödan trägt nämlich y.ar
i'§o/i)v einen grofsen dunkelen Mantel und heöiuu heifst ei-
nen Rock oder Mantel tragend ^). Hiarrandi und Heöinn
drücken also eine Person aus. Der Sturmgott, der Herr
des wütenden Heers entführt die Wolke, die Wasserfrau,
und treibt sie vor sich her. Die Geister der Helden, wel-
che das wütende Heer bilden, beginnen um die Göttin ei-
nen ewigen Kampf, der zu Zeiten entschlummert mit neuen
Kräften auflebt. Dieser Kampf der Seelen gegeneinander
ist der Wirbelwind, welcher auch den altmythologischen
Namen Windsbraut führt"). Auch der schon angeführte
Geliebte oder Gemahl Freyjas Oör ist Oöinn, die Form ()8r
entspricht der deutschen Wöd, Wo de neben Wodan s. oben
1) Sn. E. Arnamagn. II, 472.
2) Diese Musik war auch der nordgermanischen Sage einst bekannt.
Vergl. Myth.2 461. 867.
3) S- Myth.2 1232. Ülfheginn ahd. wolfhetan heifst wer ein Wolfs-
kleid (ülfhamr), biarnhe'öinn wer ein Bärengewand trägt.
4) M_vth.'2 508. Schwartz, Der heutige Volksglaube und das alte Hei-
dentum S. 12. — Schon längst hat man erkannt, dass der Kampf der Heer-
genossen Högnis und Hegins , der Hiaöninge eins ist mit dem , was die Snor-
raedda von den Seelen der zu OÖinu gefahrenen Helden, den Einheriar be-
richtet: ,, Jeden Morgen, wenn sie angekleidet sind, wappnen sie sich und ge-
hen in den Hof und fällen einander. Das ist ihr Zeitvertreib."
291
S. 288. Dass aber die vom wilden Jäger entführte Freyja die
Wasserfrau sei, geht aus einer Sage auf der Insel Möen
noch deutlicher hervor. Hier jagt Oöinn jede Nacht zu
Ross mit seinen Hunden unter dem Beinamen Grönjette
nach der Meer fr au. Ein Bauer sah ihn zurückkehren,
wie er die Meerfrau queer über seinem Pferd liegen hatte.
„Sieben Jahr jagte ich ihr nach, auf Falster hab' ich sie
erlegt')." Diese Sage ist nur etwas anders gewandt, als die
vorige von Freya-Hilldr. Während bei dieser die kämpfen-
den Seelen, wenn der Streit ausgetobt hat, (in der Wolke)
bis zu neuem Kampfe ruhen, stellt die Sage vom Gröujette
die Wasserfrau dar, insofern sie, nachdem sie die 7 Winter-
monate (vom Dämon) eingefroren war, durch den Sturm-
gott erreicht und zerrissen, ihren Segen der Erde zu spen-
den gezwungen wird.
Aus den vorhergehenden Ausführungen erhellt deut-
lich, dass Freyja ursprünglich, gleich Holda, die an der
Spitze der Seelen des wütenden Heers umfahrende Was-
serfrau war. Die seelenbeherbergende Tätigkeit der Göt-
tin wird durch ausdrückliche Eddenstellen gewährleistet:
„Freyja ist die herrlichste der Asinnen. Sie hat die Woh-
nung im Himmel, welche Fölkväugr (Volksaue) heifst
und wenn sie zum Kampf zieht, gehört die Hälfte der
im Streit Gefallenen ihr und die Hälfte OSinn, wie
hier gesagt ist:
Fölkväng ist der neunte (Götterpalast)
Da hat Freyja Gewalt
Die Sitze zu ordnen im Saal,
Der Walstatt Hälfte
Hat sie täglich zu wählen,
Oöinn hat die andere Hälfte.
Ihr Saal Sessrümnir (d. i. der sitzgeräumige) ist
grofs und schön -)." Aulser den im Streit gefallenen Helden
1) Mytlv* 896.
2) Gylfaginning 24. Grimnism. 14. Folkvängr er inn niundi, en |7ar
Freyja rceör sessa kostum, hälfan val hon kyss hverjan dag, en balfan
Oöinn ä.
19*
292
nimmt sie aber auch Frauen und Jungfrauen nach ihrem
Tode bei sich auf. Um 945 antwortet die Isländerin Thör-
gerSr, zum Tode betrübt, auf die Frage ob sie schon zu
Nacht gegessen: „Nicht Nachtmahl hielt ich und keins
werd ich halten, eher als bei Freyja"'). Wie W. Müller
bereits richtig erkannt haf^) ist die Anschauung, dass Freyja
nur die Hälfte der Gefallenen erhalte, eine der späteren
Zeit des nordischen Asenglaubeus angehörige Einschrän-
kung. In einer älteren Periode nahm Frejja gleich Thörr
und Oöinn, die in der Eddenreligion mit ihr und Hei in
die Toten sich teilen, alle Seelen und zwar, da sie die
Wasserfrau ist, in oder hinter der Wolke bei sich auf, oder
vielmehr alle diese Gottheiten hatten an dem gemeinschaft-
lichen Aufenthaltsort der Seligen Teil. Finden wir somit
dass Freyja in einer der Eddenreligion vorausgehenden Pe-
riode, wie Holda die Seelen in der Wolke beherbergte oder
an ihrer Spitze als Anführerin des wütenden Heers eiuher-
zog, und dass sie andererseits, wie die deutsche Göttin, in
Liebesangelegenheiten angerufen wurde, ihr Bruder
Frevr (Fricco), dessen Verrichtungen sie teilte, Herr der
Zeugung war, so erscheint der Schluss berechtigt, dass
auch sie einst die in ihrer Hut stehenden Geister zur Wie-
dergeburt auf die Erde zurücksandte. Den Manojel der
nordischen Quellen über Freyjas Tätigkeit in dieser Rich-
tung ersetzen sehr lebendige Zeugnisse dafür, dass eine
solche Wiedergeburt überhaupt vor der Eddenzeit
Volksglaube war. Der Sammler der poetischen Edda fügt
dem zweiten Liede von Helgi Hundingstöter die Prosa-
worte hinzu: „Das war Glaube im Altertum, dass
Menschen wiedergeboren würden, aber das keifst
nun alte?' Weiber Wahn. Von Helgi (Hundingstöter) und
Sigrün wird gesagt, dass sie wiedergeboren wären, er hiefs
da Helgi Haömgiaskaöi, sie aber Kära, Hälfdans Tochter,
1) Engan hefi ek nättverb oc engan munn ek fjTr at Freyju. Egilssaga
603. Vgl. J. Grimm in Scbmidt, Zeitschr. f. GeschichtsTvissensch. III, 351.
2) Altdeutsche Keligion S. 285.
293
so wie erzählt wird im Küralied ')." Hinter dem Liede
von Helgi Hjörvarössohn findet sich ebenfalls die kurze
Notiz: „Helgi und Svava sollen wiedergeboren sein^)".
Vom König Olaf dem Heiligen glaubte das Volk, er sei
der wiedergeborne Olafr Geirstadaalfr ■^). Was in der Ed-
denzeit aus dem Zusammenhano-e losgerissen nur noch im
Glauben alter Mütterchen, der treuen Bewahrerinnen urväte-
rischer Anschauungen, aber hier fest und unvertilgbar wur-
zelte, muss in einer älteren Periode des Heidentums, die
noch vollere Uebereinstimmung mit der südgermanischen
Gedankenwelt zeigte, eine feste Stelle gehabt haben und
wir dürfen ihm dieselbe da anweisen, wo auch der deut-
sche Volksglaube die Wiedergeburt kennt. Es springt uns
demnach die vollständige Einheit Freyjas mit Holda und
Göde entgegen. Da nun Freyja als Wasserfrau mit der
Wolke die Sonne beschliefst, und wenn sie ihren Schofs
öffnet wiederum das Licht derselben spendet, war es ein
natürlicher Uebergang sie, die Schwester des über Regen
und Sonnenschein herrschenden Gottes, Frau Sonne
selbst zu nennen ^). Fru Sole ist somit kein anderes We-
sen als Frau Gode, Rose, Holda. Alle diese Namen be-
zeichnen dieselbe Göttin.
Ein Beiname jener Hrösa-Herodias war Pharaildis *),
d. i. Vrouwa Hiltia mnl. Vereide d. i. Ver Heide = Frau
Hilde, nach der der Seelenweg der Milchstrafse mnl. Vro-
1) ]?at var trüa i forneskju at nieun vseri endrboruir, en jjat er nii köllii^
kerlinga villa. Helgi ok Sigrün er kallat at va3ri endrboriii, liet hanii (ni
TIflgi lladdingjaskaSi en hon Kära Hälfdanardottir, svä sem kveöit er i Käru-
Ijögum.
2) Ilelgi ok Svava er sagt, at vairi endrborin.
3) Olafs Helgas. Fornimannasög IV, G3.
4) Das Kraut drosera rotundifolia heifst im Norden mit deutliclier Be-
iiicluing auf die Guldträhuen der Freyja Mariae Oientaare (l\Iarias Augen-
zälire) zugleich aber duggrses, hinimcldiig Soldug, deutseli Sonnentau.
Haben wir hier bereits die persönliche Sole = Freyja? Der Name Sünnen-
kind für die coccinella könnte sogar für ein persönliches Sunna = Holda
spi-echen.
5) Keinardiis I, 113',) — 116-1. ,,Nunc ea nomcn habet Pharaildis, Hero-
(lias ante saltria" Myth.'^ 2(51 fgg. W. Müller, Versuch einer mythol. Erklär,
d. Nilielungens. S. Üb.
294
neldenstraet (Frauen Hildenstrafse ) genannt wurde. Da
nun Hiltia, Hilde gleichermafsen bei den Südgermanen, wie
in Skandinavien seit der Zeit der Völkerwanderung einer
von Freyjas oder Holdas Beinamen war (was sowol aus
dem Hildenschnee ^) = Holdas Schnee, als aus der fränkisch-
schwäbischen Bezeichnung Hildaberta*^) für die der Hulda
identische Göttin Perahta hervorgeht), so werden wir durch
Freyja-Sole unmittelbar wieder auf Rösa-Göde zurückge-
leitet =^).
Ehe wir weiter gehen wird es geraten sein davon Akt
zu nehmen, dass noch andere Namen und Gestalten unter
denen die Göttin auftritt, welche wir bisher als Freyja,
Holda, Göde oder Hrosa kennen lernten, Perahta (Bertha)
und Frikka nord. Frigg sind.
Frigg wird in den Edden als OSins Hausfrau genannt,
die in Vallhöll mit ihrem Gemahl die Seelen der Helden
empfängt, der Ehe Fruchtbarkeit verleiht und die
1) Myth.2 246. Grimm, D. Sag. No. 456. II. S. 143. Seyfart, Hildes-
heim. Sag. S. 172.
2) Myth.2 255.
3) Ich kann nicht von der Form Rose scheiden, ohne noch die Mög-
lichkeit einer anderen Erklärung dieses Namens zu erwähnen, welche durch
einige Gründe unterstützt wird. In Thüritz in der Altmark heifst Frau Göde
Gosen, in Thimen, Godendorf und Calbe frü Wäsen oder Was. Kuhn,
Nordd. Sag., Gebr. 178 S. 414. Diese Formen sind entstanden aus Wödse.
Sie enthalten das aus dem Romanischen -issa stammende -se, -sehe, das
sehr häufig Frauennamen angehängt wird. Z. B. Adamse, Adamsche ; Meierse,
Meiersche = Frau Adam, Frau Meier. Vgl. die Appellativa clüsenerse, tol-
nerse, munzerse, beckersa, springerse, helperse in mnd. Glossen des XIV. Jahrh.
Grimm gram IL 328, 3. III. 340, i. Ganz analog gebildet sind die Formen
„frü Gö'ik in Wittenberge, frü Godke in Wilsnack, de Godsche oder Mutter
Godsche in Heiligengrabe für Frau Gode. Kuhn a. a.. 0. S. 413, 176. Auf
dieselbe "Weise könnte Rosa entstanden sein aus Hrod-se , wofür die S. 287,
Anm. 2 vermutete einfache Form Hröda = Hreöe sprechen dürfte. Damit
ginge freilich Herodias = Hrosa S. 286 verloren. Allein jenes se aus issa
gehört nur dem niederdeutschen Gebiet an und findet sich kaum ausnalims-
weise in mhd. Glossen niedersächsischer Grenzlandschaften. Oberd. Bildungen
wie bremse aus ahd. primisa neben breme ahd. premo stehen ganz verein-
samt, oder gehören wie färse f. neben farre m. oft dem jüngeren Sprach-
wachstum an. Das Ulfileische gait-sa neben gaitei Nehem. V, 18 ist durch
Mafsmanns annehmbare Lesung gaits A = gaits ains beseitigt. Somit ge-
nügt die Erklärung von Hrose aus Hrod-se, so schicklich sie für die nieder-
deutsche Form sein mag, für das Oberdeutsche nicht, während umgekehrt das
hj'pocoriitische Hröza nicht ausreichte ein sächsisches Rose zu deuten.
Dass die oberd. Form Rose (Hrodsa) festhält, nicht Ruse (Hraodsa) gewälirt,
erklärt sich aus früher Erstarrung des Götternamens.
295
Geburten zur Welt fördert'). Ihr Palast Fensalir
(See -Sumpfsaal) ist wie ISuus Brunnakr s. oben S. 196,
Holdas Kiuderbrunnen aufzufassen. In Deutschland erscheint
Frigg unter dem Namen Frikka. Auch diese deutsche
Göttin hat einen See^), in ihrem Heiligtum Fricken-
hausen in Schwaben sollen die ersten (der kinderbrin-
gonden) Störche genistet haben, woher die Fricken-
häuser noch heute die Storche heifsen ^). Andererseits
zieht sie im Sturmgebraus mit ihren Hunden jagend da-
her*). Könnte hienach noch irgend ein Zweifel daran ge-
hegt werden, dass Holda und Frikka ursprünglich identisch
seien, so hebt ihn die kürzlich von J. Grimm veröffent-
lichte Notiz, dass eine 1143 verfertigte Abschrift der De-
cretensammlung Burchards, die zu Madrid aufbewahrt wird,
in der oben S. 262 angeführten Stelle „quam vulgaris stul-
titia Holdam vocat" das Compositum Frigaholdam dar-
bietet ^).
1) Sie räumt die Hindernisse der Ehe hinweg. Gylfag. 35. Als Od-
drün der Borgny bei einer schweren Geburt Beistand geleistet, sagt diese:
So mögen dir einst holde Wichte helfen, Frigg und Freyja und andere
Götter, wie du mir nun von Händen die Gefahr entfernt (wörtl. gefällt) hast.
Svä hialpi jjer hollar vrottir, Frigg ok Freyja ok fleiri go'S , sem Jju
faldir nicr für af höndum. Oddrünargrätr 10.
2) S. den Frickenhäuser See. Bechsteln, Sagen des Rhoengebirges S. 300
No. 160.
3) Meier,. Schwab. Sagen 24, 14.
4) S. die Belege Schwartz, Der heutige Volksgl. S. 12 fgg.
5) Monatsber. d. Berl. Akad. 12. März 1857 S. 175: ,, Diese Lesart er-
weist die Richtigkeit meiner in der Myth.^ S. 899 ausgesprochenen Meinung,
dass Holda mit der Göttin Fricka, Frigg zusammenfallen müsse. Häufung
zweier Namen zu einem einzigen begegnet auch sonst, man könnte zwar friga
für den beigefügten Accusativ frija liberam pulchram nehmen, die zusammen-
gesetzte Form Frigaholda scheint aber den Vorzug zu verdienen." In der Lan-
gobardischen Stammsage wird Fricka unter der Namensform Frea als Gemah-
lin Wodans genannt. Paul. Diac. Im Harz kennt das Volk sie noch unter
dem Namen Frü Friun oder Frü Freen und erzählt von ihr: sie sei im
Himmel gewesen und wurde von den Leuten um Rat gefragt (wie Frea in
der Langobardischen Sage). Sie machte Musik (das Sturmlied des wüten-
den Heers), tanzte viel und fiel zuletzt ins Wasser (den himmliscluu
Brunnen, wie Holda s. o. S. 266, Anni. 2). Sic reiste die ganze Welt
nach einem Freier aus, hatte sie Jemand dann war er wieder
fort und sie schrie furchtbar. Besonders zeigt sie sich bei Bäumlers
Klippe vor Ilscnburg. Pröhle, Unterharz. Sag. S. 209 fgg. Letztere Sage
ist genau die nordische vou OÖr (Oöinn), den Freyja, nachdem er sie ver-
296
Bezeugt die Zusammensetzung Frigaholda die Einheit
Frickas mit Holda, so gesellt der Name Hildaberta (d. i.
Freyja, Hilldr = Bertha) auch noch Perahta, Berchta die-
ser Verwandschaft zu. Bertha zeigt sich im Waadtland
zu Weihnacht als Jägerin, aus den Wäldern hervorkom-
mend, umgeben von einer Menge von Nixen, Kobolden,
Irrlichtern, Zwergen, bösen und neckenden Geistern. In
der Hand trägt sie einen Zauberstab (den Blitzstab, wel-
chen auch Herodias führt s. o. S. 59. 62) ' ). In Schwa-
ben zieht sie als BrechtölderH , Brechtölterin = Peraht-
hold-in an der Spitze des wütenden Heers ^). In Oberkärn-
ten heifst der Umzug der Bertha am 5. Januar das Berch-
teljagen, d. i. die wilde Jagd der Bertha^). Die Berch-
tel reifst Nachts Menschen mit in ihren Zug fort und führt
sie in weite Länder, erst Morgens bringt sie den entseel-
ten Leichnam wieder. Zwischen Zehen und Fingern der
Toten findet mau Blumen, die kein Mensch kennt*). Die
Haare der Perchte in Tirol sind ungekämmt und Kin-
der mit ungekämmten verfilzten Haaren nennt mau
nach der Göttin Perchteln^). Diese zerzausten Haare
sind die schon mehrfach s. o. S. AG. 261 besprochene Mä-
renlocke, das Gefolge der Perhta, die Geister des wil-
den Heers, sind Mären und sie trägt gleich Holda deren
Abzeichen. — In der Perchtuacht opfert man „der Percht
Speiss und dem Schretlein" ^). Nach Michael Behaimer
reitet und fährt das Schrezlein auf dem Vieh, man
richtet ihm in der Berchtnacht seinen Tisch an ' ). Das
Schretlein oder Schrezlein ist ein den Mären verwandter
lassen, durch die ganze Welt sucht. Vgl. oben S. 288, sowie auch Holda
auf Steinen sitzend um ihren Gemahl weint. Wir sehen mithin Identität von
Fricka Holda und Freyja auch von dieser Seite her sich bestätigen.
1) Vulliemin, Cauton Waadt U, 20. H. Runge, Der Berchtoldstag in
der Schweiz. Zürch 1857. S. 13.
2) Myth.2 257. Meier, Schwab. Sag. S. 115. No. 49.
3) Weinhold, Weihnachtsspiele S. 20.
4) Weinhold a. a. 0. S. 21.
5) Zeitschr. f. D. Myth. II, 422; HI, 204.
6) Hagens Germania I, 349.
7) Mone, Anzeiger 1835, 448.
297
Geist, den ältere lat. Glossen gewöhnlich pilosus verdeut-
schen. Wie wir hier die im wilden Heer mit Bertha um-
fahrenden Seelen als Mären oder Elbe (Schretel) aufgefafst
sehen, bildet der Tiroler und Thüringer Volksglaube das
Gefolge der Perchta aus den Seelen aller ungetauft ver-
storbenen Kinder, denen man am Perchtenabend gleich den
Schreteln den Tisch deckt. Diese Kinderseelen werden
wiederum in Thüringen auch als Heimchen betrachtet,
d. i. Elbe in Kindergestalt, die ein eigenes Volk bilden,
an dessen Spitze Perchta als Königin steht. Es ist klar,
dass diese Heimchen mit den Geistern des wütenden Heers
eins sind. Mit ihnen zieht Perchta auf dem (sturragejag-
ten Wolken) -wagen einher, den sie gleich Holda und Göde
s. oben S. 284, Anm. 2 verkeilen oder ausbessern läfst^).
Perchtas Untergebene, die Heimchen, tauschen Kinder
gegen W e c h s e 1 b ä 1 g e aus und Perchta selbst verleiht Kin-
dersegen, wenigstens verkündet sie in einer Orlagausage
einem Bei^gmann die Geburt zweier Kinder voraus^).
Fassen wir unser Ergebnis noch einmal zusammen.
Das unten sitzende Mädchen in unserem Kinderspiel stellt
die Göttin vor, welche je nach den verschiedenen Land-
schaften des Vaterlandes anders benannt als Freyja, Fricka,
Holda, Hrösa, Perahta oder Göde einstiger Verehrung ge-
noss. Diese Göttin hegt in oder hinter der Wolke die
Seelen der Verstorbenen, welche durch das himmlische Ge-
wässer (den Jungbrunnen) erneuert als Kinderseelen zu neuer
Geburt auf die Erde zurückzukehren bestimmt sind. Mit-
unter zieht die Göttin mit ihnen im wütenden Heere aus.
Sie sind zugleich als Elbe gedacht^). Nur im Gebiet der
Holdasage ist der dargelegte Gedankenzusammenhang noch
1) Börner, Sagen aus dem Orlagau 118-126. 172. 182. Vgl. Myth."
252 fgg.
2) Börner a. a. 0. 117.
3) Börner a. a. O. 174.
4) Auch die der nordischen Huldra und deutschen Holda zugesellten
Klbe, die Iluhh-e, Hollen, Wasserholden, guten Holden u. s. w. sind Seelen
und durchaus nicht verschieden von den Geistern des wütenden Heers, mit
denen Hulda umziclit oder den Kindern, die aus ihrem Brunnen geliolt wer-
den. So kommen die Kinder in Halle aus dem Gütcli entclch , wohinein
298
mit einiger Vollständigkeit erhalten, die Sage der anderen
Göttinnen bewahrt nur Bruchstücke davon, welche jedoch
das einstige Dasein des Ganzen mit gröfster Wahrschein-
lichkeit erraten lassen.
b) Nächst den Namen sprechen die dem untersten Kinde
beigelegten Eigenschaften demselben die Natur einer Göt-
tin zu. Frau ßose verschenkt das Himmelreich No. 2.
Die göttliche Natur ist ihr gleich anzusehn No.9.
Sie wacht nicht, sie schläft nicht, sie ist nicht
im Traum. Ihre ganze Wesenheit ist von der mensch-
lichen durchaus verschieden No. 9. Wie Hella, die See-
lengöttin, ist sie halb weifs, halb schwarz No. 4. Sie strählt
gleich den weifsen Frauen ihr Haar mit goldenem Kamme
und ergiefst wie Holda aus goldenem Kruge die Regenflu-
ten No. 6.
c) Haben wir in dem untersten Mädchen die Göttin
Göde oder Hrösa erkannt, so wird schon an und für sich
wahrscheinlich, dass die auf ihrem Schofse sitzenden Kin-
der die Seelen bedeuten, welche diese Göttin bei sich be-
herbergte. Sie werden in No. 5 als Engel, in No. 4 und
14 als Hühner, in No. 6. 7. 8. 9. 10. 11 als Lämmer
bezeichnet; in No. 12 vielleicht, wenn man die schon S. 284
als neu abgewiesene Benennung „Töpfe" abzieht, als Blu-
men ' ).
Dass die Enjcel ein blofs christlicher Ausdruck für
Seeleu schlechthin seien, leuchtet ein. Sehr häufig er-
scheinen die Seelen in der Volkssage noch in Gestalt von
Vögeln"^), mehrfach geradezu als Hühner. Ein Bürger
in Antwerpen fand Nachts auf dem Friedhof eine Henne
eine Gräfin in scliwarzer Kutsche gefahren und verschwunden ist (Holda
mit dem -wilden Heer s. oben S. 262). Gütchen aber ist ein Name für die
Elbe == den guten Holden. S. Sommer, Sagen aus Thüringen S. 169 fgg.
Unter andern Namen des Kinderbrunnens kommt auch mehrfach Butzen-
brunnen Meier, Schwab. Sag. 263. 294 vor. Vgl. Butzen = Elbe Myth.^
474. 956.
1) In diesen Tagen gelang es mii- das Spiel Mutter Tepperken auch hier
in Berlin zu beobachten. Hier wurden die Kinder alsEose, Nelke, Veil-
chen u. s. w. schlechthin vom Schofs der Mutter Tepperken abgegeben.
2) Myth.2 788. W. Müller, Altd. Kelig. 402. Schade, Ursulasage 70.
V. d. Hagen, Schwaueusage S. 571.
299
mit vielen Küchlein, welche um die Alte herumliefen
und piepten. Er nahm sie in einem Sacke mit sich und
setzte sie auf seinen Hof. Am andern Morgen fand er
statt ihrer auf dem Hofe einen grofsen Haufen Menschen-
knochen. Auf Geheifs des Pfarrers trug er um dieselbe
Stunde die Knochen auf den Kirchhof zurück. Da rief
eine Stimme aus einem Grabe: „es wäre dir schlecht be-
kommen, hättest du das nicht getan" '). Zu Herzeele kommt
jede Nacht gegen zwölf ein schwarzes Huhn auf die Kreuz-
wege und bleibt dort sitzen bis zum Tagesanbruch^). Stirbt
im Elsass auf dem Lande ein Huhu, so soll man „Gott
Lob und Dank" sagen, denn es vertritt die Stelle einer
Person im Hause , welche hätte sterben sollen ^). Auf ei-
nem An^er zwischen Andershausen und Kluventhal läuft
Nachts zwischen 11 und 12 Uhr eine Glucke mit einem
Haufen glühender Küchlein umher. Man hält sie für ver-
wünschte Menschen *). Ein Zauberer liefs vor dem Hause
eines Wirts in Niederbeerbach in Hessen seinen Tragekorb
stehn mit einer eingefangenen Seele darin. Die Wirtin hob
neugierig den Deckel auf, da fuhr ein Ding wie ein stunipf-
schwänziges Huhn heraus und die Bodentreppe herauf. Der
Geist machte später auf dem Boden grofsen Lärm luid
warf die Türen auf und zu, bis er wieder gebannt wurde ^).
Auf der Kiensburg in Schlesien erschien unter einem Ofen
eine Henne mit ihren Küchlein. Als man nachsuchte, fand
man in einem Kästchen zwei Kinderleichen "). Auf die
Lammgestalt der Seelen werden wir weiterhin zu reden
kommen. Auch in Blumenbildung erscheinen die Geister
Verstorbener. Wir verweisen vorläufig auf Myth.'- 786.
Ein deutlicher Beweis zugleich dafür, dass der Name
1) Wolf, Niederläiul. Sag. S. 650 No. 557.
2) Wolf a. a. O. S. 647, 551. Wodana I, 28.
3) Zeitschr. f. D. Myth. I, 408.
4) Müller und Schainbacli, Niedersäclisische Sagen S. 187. No. 203.
5) Wolf, Hessische Sagen S. 107 No. 158. Vgl. S. 102 No. 156 und
S. 201 Anm. 150.
C) Schlcsische Sagenchronik, ein Album ausgewählter Balladen, Kouuiu-
zen und Legenden. Breslau 1840. Zeitschr. f. D. ]Myth. I, 374.
300
der Frau Göde iu uuserm Kinderspiel alt und echt und
nicht etwa zufällig darum in den Text hineingeraten ist,
weil der Glaube an diese Göttin unter dem Landvolk der
Priegnitz vorzugsweise lebendig blieb, sowie dass die bei
der Göttin weilenden Kinder Seelen darstellen sollen, er-
giebt sich aus der Pommerellischen Variante No. 1. Die
abgeholten Kinder werden später zu Hunden und z er-
reif sen die Göttin, deren Name bereits vergessen ist. In
No. 5 ist eine nicht mehr ganz deutliche Erinnerung an
diese Hunde ebenfalls bewahrt. Halten wir damit fol-
gende Sagen zusammen. Frau Gau den hatte vier und
zwanzig Töchter, die gleich ihr leidenschaftliche Jagdheb-
haberinnen waren. Als nun einmal Mutter und Töchter
in wilder Freude durch Wälder und Felder jagten und
wieder das ruchlose Wort „die Jagd ist besser als der Him-
mel!" von ihren Lij^pen erscholl, da wandeln sich plötz-
lich vor den Augen der Mutter die Kleider der Töchter
in Zotten, die Arme in Beine und vier und zwanzig Hün-
dinnen umkläffen den Jagd wagen der Mutter. So geht
der Zug in Ewigkeit durch die Luft" ' ). Eine Ditmarsi-
sche Sage berichtet, dass der wilde Jäger ein verfluchter
Freischütz war, den nun seine Frau und Kinder als
Hunde begleiten^;. Hakelberg-Wödan zieht nach nieder-
sächsischer Ueberlieferung unsichtbar durch die Luft, seine
drei Hunde sind seine Söhne ^). Hacke berg (Hacke-
barg) war nach einer Variante dieser Sage einst ein Mensch,
ein bitterböser Mann, der seine sieben Söhne grausam
tötete. Als er nun auch sammt Frau und Bruder ge-
storben war, da waren Hackebargs 7 Kinder keine Kinder,
sondern sieben lebendige kleine Hunde, welche an Hacke-
bargs Frau herumhiugen, als wenn sie an ihr sögen. Da
Hackebarg nicht zu Gnaden kommen konnte, zieht er ewig
durch die Luft mit einem langen glühenden Schwanz, woran
1) Lisch, JMüklenburg. Jahrb. VIII, 282. Myth.
2) Mülleuhoff Sagen S. 368. No. CDXCl.
3) Schambaeh und Müller S. 347.
die 7 jungen Hunde hängen, welche gif gaf, gif gaf bellen,
während er selbst tje hö, tje hö ruft').
Die Bedeutung dieser Sagen liegt klar vor Augen.
Die bei Wodan oder Göde in der Wolke weilenden Men-
schen Seelen, die Kinder dieser mütterlichen Göttin, kön-
nen vermöge ihrer in Lufthauch bestehenden Substanz s.
oben S. 269 fgg. die Wolke verlassen und zum stärkeren
Winde anschwellen, d. i. mythisch ausgedrückt Hunde
werden s. oben S. 217 fgg. Dann verfolgen sie die müt-
terliche Göttin, die Wasserfrau (die Wolke) und zerreifsen
dieselbe im Geleit des ihr nachjagenden Wodans s. oben
S. 290. Dieser Mythus ist es nun ofienbar, den die Pom-
merellische und Appenzeller Fassung unseres Kinderspiels
darstellen wollen, während No. 11 und die andern Varian-
ten einen anderen Zug aus dem Sagenkreise der Gau de
zur Aufführung bringen.
Ich gebe noch einige weitere Belege dafür, dass die
Hunde des wilden Jägers und seiner Gemahlin Seelen
mid den Kindern im Holdabrunnen identisch sind. In
einer Variante des oben S. 216 fgg. besprochenen Märchens
verwandeln sich die 3 Hunde des Drachentöters, in denen
wir Geister des wilden Heers = Maruts erkannten, schliefs-
lich in Vögel ^) d.i. Seelen. — In Pommern gelten die
Hunde des Wöd als Seelen der Selbstmörder, die zwi-
schen Himmel und Erde schweben und nicht zu Gnaden
kommen, oder als die Seelen derer, die sich auf Erden dem
Teufel ergeben haben''). Der Hund des Hakelberg -Röds
(des Gemahls unserer Rose) heifst Alke oder Aulke''),
geradeso wie der Wirt im Totenkrug und wie die Gei-
ster der Vorältern, die in den heidnischen Grabhügeln be-
graben liegen , älken, aulken, ölkers, ilkers benannt wer-
den^). Die Alken gelten als Zwerge, welche Kinder ver-
1) Schambach und Müller S. 421 fgg.
2) Bechstein, D. IMärchcnbuch S. 225.
3J rieiflers Gennauia I. S. 104. Vgl. o. S. 270 Anm. 1. In einer Novelle
im Feuilleton der Zeit 1857 No. 102 sagt ein Fischer beim Unwetter: „Manches ar-
men Sünders Seele mag im Sturm nun davonfliegen ohne Beichte und Absolution."
4) Zeitschr. f. D. Myth. I, 100.
5) Kuhn, Nordd. Sagen No. 357. S. 308. Anm. No. 152.
302
tauschen (Wechselbälge)'). Frau Ganden fuhr in Mek-
leuburg in der Sylvesternacht durch ein Haus und liefs ein
schwarzes Hündchen auf dem Feuerheerde liegen, das
in nächster Nacht mit unausstehlichem Gewinsel den Leu-
ten die Ohren voll schrie. Da man den ungebetenen Gast
nicht los werden konnte, rief eine alte weise Frau: man
solle das sämmtliche Hausbier durch einen „Eierdopp"
brauen! Gesagt, getan. Eine Eierschale ward ins Zapf-
loch des Braukübels gesteckt und kaum dass das Wörp
(angegohrue Bier) hindurch gelaufen war, da erhob sich
Frau Gaudens Hündlein und redete mit vernehmhcher
Stimme :
ik bün so olt
as Böhmen golt
äwerst dat heff ik min leder nich trüt,
wenn man't bier dörchn eierdopp brüt '').
Zu Buchholz bei Petershagen, nördlich von Minden, hat
Hakelberg einmal in den Zwölften seinen Hund in ei-
nem Hause gelassen. Der hat am Heerde gelegen und
nichts als Asche gefressen. Die Leute haben ihn gern
los sein wollen, haben aber nicht gewusst, wie sie das an-
fangen sollten, bis ihnen endlich einer gesagt, sie sollten
Essen in einem Eierdopp kochen, das haben sie ge-
tan. Als der Hund das gesehen, hat er zu sprechen an-
gefangen und gefragt, was das werden sollte. Da haben
sie ihm gesagt, das solle sein Fressen werden. Da ist er
davon geffano-en und nicht wiedero-ekommen ^). Ganz das-
selbe Verfahren finden wir in deutschen und keltischen Sa-
gen angewandt, um einen Wechselbalg, d. i. ein von
den Eiben umgetauschtes Wichtelkind zum Sprechen zu
bringen. Einer Mutter war ihr Kind von den Wichtelmän-
nern (Eiben) aus der Wiege geholt und ein Wechselbalg
mit dickem Kopf und starren Augen hineingelegt, der nichts
als essen und trinken konnte, aber kein Wort sprach.
1) Kuhn a. a. 0. S. 485. Anm. 152.
•2) Lisch, Mcklouburg. Jahrb. VIU, 205. IMyth.« 879.
3) Zeitschr. f. D. Myth. I, 101, 3.
Eine Nachbarin riet ihr, sie solle Feuer anmachen und in
zwei Eierschalen Wasser kochen, das bringe den
Wechselbalg zum Lachen, und wenn er lache dann
sei es mit ihm aus. Wie sie die Eierschalen mit Was-
ser über das Feuer setzte, sprach der Klotzkopf:
Nun bin ich so alt
Wie der Westerwald
Und hab' nicht gesehn, dass Jemand in Schalen kocht,
und fing darüber an zu lachen. Indem er lachte, kam
auf einmal eine Menge von Wichtelmännchen, die brach-
ten das rechte Kind, setzten es auf den Heerd und nah-
men den Wechselbalg wieder mit sich fort^). Andere Bei-
spiele sind Myth."^ 348. 349 zusammengestellt. In einem
bretagnischen Volkslied spricht die Jungfrau Maria:
Wer kocht zum Schein in einem Ei
Für zehen Knecht' der Meierei,
Zum Sprechen bringt den Sohn der Hei.
Als die Bäuerin dies tut, ruft der Wechselbalg:
Mutter, in einem Ei für zehn? —
Ich hab das Ei vorm Huhn gesehn.
Die Eichel, eh' der Baum mocht' stehn;
Die Eichel, und das Reis zumal.
Die Eich' im Forste von Brezal,
Doch solches sah ich noch niemal -).
Geht schon aus dieser Uebereinstimmung hervor, dass der
Hund des wilden Jägers, Grau Gödes, dem Wechselbalg
identisch ist, so wird diese Bemerkung durch einen weite-
ren Zug bestätigt. Wie es mehrfach von jenem Hunde
heifst, dass er nur von Mehl, Brotteig oder Flugasche
zehre, weswegen er, in menschlichen Häusern zurückgelas-
sen, immer auf oder neben dem Heerde liegt, spielen die
von den guten Hollen gebrachten Wechsel bälge am
liebsten in der Asche''). Da es nun von Holda ausdrück-
1) KIIM. No. 39.
2) VUlemarque cliants popul. I, 32.
3) Landau, Zcitschr. d. Vereins f. liess. Gesch. II, 277. Lynckcr, Hes-
sische Sagen S. 55. No. 86.
304
lieh heifst, dass sie die bösen Kinder aus ihrem Brunnen
als Wechselbälge auf die Welt schicke s. oben S. 267
leidet die Bedeutung der Hunde in unserm Kinderspiel
als Seelen keinen Zweifel mehr ').
Als solche characterisiert sie nun auch die Angabe in
No. 9: „kann nich hören op min rechtes ohr, kann nich
hören op min linkes ohr", welche in No. 2 fälschlich auf
Frau Rose übertragen ist. Die Taubheit sagt den Mano-el
menschlicher Organe aus und ist schwerlich etwas anderes
als ein symbolischer Ausdruck für Totsein.
d) Nach No. 6. 14 sitzt die Göttin auf einem Stuhl
von den Seelen umgeben, wie die weifse Frau im Stockl
bei Bruneck s. oben S. 256. Nach No. 5 zieht sie an der
Spitze des Kinderzuges vorauf. Die Varianten 1. 7. 8.
9. 10. 11. 12 stellen die Seelen als auf dem Schofse der
Göttin sitzend dar und 7. nennt die Kinder sogar schaspken
im nie schote. Diese Scenerie, wenn sie überhaupt ur-
sprünglich so beabsichtigt wurde und nicht etwa in Unge-
schicktheit der ältesten Darsteller ihren Grund hat, mischt
sich aber mit der anderen Vorstellung, Gode oder Hrösa
sitze erhöht (auf himmlischem Sitz) gleichsam auf der
obersten Sprosse einer Leiter, ihr zu Füfsen eine unter der
andern in immer tieferer Abstufung die Seelen. Dies be-
sagen die Formeln „treppchen höher 1. 12. hinter mir 2.
1) In der Nähe von Osnabrück liegen die Wulwekerslöcker, tiefe Berg-
hölen, in welchen schmiedende Elbe die Sgönaunken wohnen (vgl. über diese
als den Pitris identische Wesen Kuhn, Zeitschr. f. vgl. Sprachf. IV, 98 fgg.).
Bei diesen Sgönaunken in der Bergliöle (der Wolke) sitzt eine Alte und
spinnt (die Göttin Hrösa oder Holda). Zu ihren Füfsen liegen zwei grofse
schlafende Doggen. Die Sgönaunken vertauschen den Leuten in der Um-
gegend die Kinder und legen ihre Wechselbälge in die Wiegen. Diesel-
ben werden zum Sprechen gebracht und zum Fortgehen genötigt, wenn
man Bier in Eierschalen braut. In Sterlebrink kam einmal eine Frau
in die Wochen und ging, ehe sie ihren Kirchgang getan, aus. Da ist sie
plötzlich in die Wulwekerslöcker geführt worden vmd hat dort Hunde säu-
gen müssen, so dass, als sie wieder herauskam, ihre Briiste so lang gewor-
den waren, dass sie sie hat über die Schultern schlagen können. Bald dar-
auf sind auch die Sgönaunken zu ihr gekommen und haben von ihr zwei
Tonnen Butter verlangt, denn wenn sie die nicht erhielten, so müsse sie täg-
lich wieder in den Berg und Hunde säugen. Hagens Gennania IX. 1850.
S. 93 fgg. Die Hunde, welche das menschliche Weib in dieser Sage säugen
soll, sind Eibenkinder, Wechselbälge. Vgl. o. S. 300 n. 301 Anm. '.
305
kortachtermilO.il. obedra4. obenan s8'). Ach-
ter mi opn sülvernen knopp, achter mi opngoll-
nen knopp No. 9.
e) Suchen wir nunmehr nach der Bedeutung des her-
umgehenden Mädchens — denn 1. 2. 14 betonen aus-
drücklich das weibliche Geschlecht des fragenden Kindes —
so ergiebt sich, dass hier wieder zwei Anschauungen ge-
mischt sind. Nach der einen stellt es eine gebärende Mut-
ter vor, nach der andern die Schicksalsgöttin (Norn), wel-
che die Seelen vom Schofse oder aus der Gesellschaft der
Göttin Holda (Gode, Hrösa, Freyja) zu neuer Geburt in
menschlichem Körper abholt.
Die Krankheit der entbundenen Mütter motivirt man
den Kindern mit der althergebrachten Redensart: „Der
Storch hat die Mutter ins Bein gebissen"^) und in
einer kürzlich in den Neuen preufs. Provincialblättern mit-
geteilten preufs. Urkunde ist für die Schwangerschaft der
ebenso altertümliche Ausdruck gebraucht „se het 'n buk
vull knäken (sie hat einen Bauch voll Knochen). In
No. 1 verlangt die umgehende „en plasterke för min
slimmen (oder schewen) föt, in No. 1 1 „ik harrn gröt
knäken in't ben." In vielen deutschen Sagen ist aus-
gesprochen, dass die gebärenden Mütter die (Seelen der)
Kinder unmittelbar aus dem Kinderbrunnen empfangen.
Jene andere Anschauung spricht sich am deutlichsten
in der blinden, hinkenden Alten No. 14 aus. Wir
werden weiterhin erweisen, dass man sich die Schicksals-
göttin als altes Mütterchen mit einem Klumpfufs
hinkend, oft als blind vorstellte und dass sie es war,
welche nach altgermauischem Glauben das Eintreten der
Seelen in menschliche Gestalt vermittelte.
f ) Nie verliefs eine Seele einsam den gemeinschaftlichen
Aufenthalt. Beim Eintritt in menschlichen Körper wurden
1) Auffallend stimmt in KIIM. No. 42. Ausg. ISöO. I, 249 die Beschrei-
bung von der Wohnung des Todes überein. Auch hier erhält der nach sei-
nem Gevatter fragende Pate dreimal die Antwort ,,eine Treppe höher".
2) MUndl. Pommerellen. Vgl. Rocholz, Alemann. Kinderlied S. 127: „Er
(der Storch) hat gebracht ein Brüderlein, er hat gebissen die Mutter ins Bein."
20
306
ihr eine oder zwei, oft mehrere andere Seelen als Schutz-
oder Folgegeister mitgegeben. Man nennt diese Geister
Fylgien oder Hamingien, ihr Dasein in Deutschland wie
im Norden erweist J. Grimm, Myth. - 829 fgg.
Die Fylgien') kamen mit der Geburt des Menschen
in die Welt, sie hatten dann ihren Sitz in der Haut, wel-
che manche Kinder um ihr Häuptlein gewunden mitbrin-
gen. Wird diese Haut verbrannt oder fortgeworfen, so
entbehrt nach isländischem Glauben der Neugeborne fortan
seinen Schutzgeist, der ihm durch das ganze Leben folgt ').
In Norwegen begleitet man jeden, selbst den geringsten
Gast vor das Haus oder üflfnet wenigstens noch einmal die
Tür wenn er fortgegangen ist, damit der Folgegeist (foelgie,
fylgie oder vardoegl), fixlls derselbe zurückgebheben sein
sollte, Gelegenheit findet seinem Herrn nachzukommen, der
in dessen Abwesenheit dem Unglück und der Gefahr aus-
gesetzt wäre beim liiesenbett (Thusbettet) in Abgründe zu
stürzen, oder von einem bösen Geist geschädigt zu wer-
den, der ebenso jedem Menschen folgt ^). Die Fylgien wei-
sen sich teils in Menschen-, teils in Tiergestalt und zwar
in Gestalt desjenigen Tiers, dessen Gemütsart dem Cha-
racter des Menschen am meisten ähnlich ist. Des Mutigen
Folgegeist hat Wolfs- oder Bärgestalt, die Fylgie des Listi-
gen erscheint als Fuchs oder Katze, die des Furchtsamen
als Hase oder kleiner Vogel. Als ein gewisser Thörsteinn
noch ein kleiner Knabe von 7 Jahren war, kam er einmal,
wie Kinder pflegen, hastig in die Stube gefahren und fiel
auf der Diele hin. Der alte Geitir sah das und brach in
Lachen aus. Später von Thörsteinn befragt, weshalb er
1) Fj-lgia se adjungens. Ueber die Etymologie dieses Wortes s. Ebel,
Zeitschr. für vergl. Sprachf. VI, 217.
2) Fimi Magnussen, Eddalaeren IV, 35. Grimm, Myth.* 828. Dieses
Häutebeu beifst auf Island selbst Fylgja, in Deutschland Glückshaube,
Wehmutterhäubcben, Kinderpelglin, Glückshelra. Kinder, die damit geboren
sind, sollen Glückskinder sein, weil ein Folgegeist sie schützend begleitet.
Vergl. Haupt, Zeitschr. f. D. Altert. I, 137. K. v. K. Erin VI, 44«. Eo-
cholz. Alemannisches Kinderl. S. 280 fgg. Nach Fischarts Gargantua c. 39
zogen feldflüchtige Soldaten , .ihre Kinderb äl gl in herlür, meinten also dem
Teufel zu entfliehen.'" Der Schutzgeist sollte sie retten.
3) Faye, Norske Sagn S. 77.
307
gelacht habe, antwortete er: „Ich sah, was du nicht sahst;
als du in die Stube tratst, folgte dir ein weifses Bärenwelf
und lief dir voran in das Zimmer; als es mich aber ge-
wahr ward, blieb es stehn und du fielst im hastigen Lauf
darüber zu Boden." Das war Thorsteius eigne Fylgie und
Geitir schloss daraus, dass er nicht von gemeiner Art sei *).
Der Isländer Eiuarr Eyjolfsonr sah seines Bruders Gud-
muud Tod im Traume voraus. Ihm däuchte, ein starkge-
hörnter Ochse steige aus dem Eyjafjorö auf und springe
auf den Hochsitz in Gudmunds Gehöft Madruvöllr, wo er
tot niederstürzte. Dieser Ochse, sagte Einarr, sei eines
Mannes Fylgie. Denselben Tag kam sein Bruder Gudmundr
der Mächtige von einer Reise nach Hause, setzte sich auf
den Hochsitz des Hauses und sank entseelt zusammen '^ ),
Njäl und Thord gingen einmal zusammen aufs Feld. Da
pflegte ein Bock zu verweilen, den Niemand fortjagen
konnte. Mit einmal sagte Thord: „Das kommt mir wun-
derlich vor." „Was siehst du denn Wunderliches, fragte
Njäl?" „Mir scheint, sagte Thord, da liegt der Bock und
ist ganz blutig." Njäl erwiederte, das sei kein Bock, son-
dern etwas anderes. „Was denn?" fragte Thord. „Sieh
dich vor, du bist dem Tode nahe (feigr raaör) und das ist
dein Folgegeist ^)."
Nehmen die Fylgien nicht Tierbildung an, so erschei-
nen sie bald als hehre Frauen bald ganz in derselben
Gestalt wie der Mensch, den sie begleiten. Hier-
aus wie aus der eben dargelegten Tiergestalt der Fylgien
erklärt sich denn auch, weshalb in unserm Kinderspiel die
Seelen als Lämmer gedacht sein können'*).
1) Foramannasög. IIT, 113.
2) Leösvetns. 21.
3) Niälssaga. cap. 41.
4) Man halte dazu dass die Schäfchen oben S. 245, den Kühen S. 78
gleich stehn und daher auch wahrscheinlich wie diese Mäi'en, d. i. Seelen
sind. Vgl. den Aargauischen Aberglauben: „Bilden die Wolken am Himmel
grade in des Kindes Geburtsstunde Schäfchen, so wird dasselbe
recht glücklich." Rocholz, Alemannisches Kinderlied S. 283. No. 622. Diese
Schäfchen sind Fj-lgien. Wie Seeleu in unserem Spiel Hühner und Läm-
mer sind, gelten die Marienkäfer = Mären als himmlische Hühner und
Schafe.
20*
308
Sehr häufig hat christlicher Einfluss im Volksglauben
die Sclmtzgeister in Engel verwandelt. So sagt man in
Belgien: „Wenn ein Kind auf der Erde fällt, fällt ein En-
gelchen im Himmel mit." Doch hat sich auch noch in con-
creteren Gestalten der Glaube an die Folgegeister bewahrt.
In Schlesien sagt man, wenn die Kinder im Schlaf lachen,
die Augen öffnen und wenden „das Jüdel spielt mit
ihnen." Lässt das Jüdel die Kinder nicht ruhen, so gebe
man ihm etwas zu spielen. Man kaufe, ohne etwas vom
geforderten Preis abzuziehen, ein neu Topf lein, tue von
des Kindes Bad hinein und stelle es auf den Ofen. Nach
einigen Tagen wird das Jüdel alles Wasser herausgeflet-
schert haben. Sie hängen auch Eierschalen, aus wel-
chen der Dotter in des Kindes Brei und der Mutter Suppe
geblasen ist, an der Wiege mit Zwirnsfaden auf, dass das
Jüdel damit spiele, statt mit dem Kind. Hat das Jüdel
ein Kind verbrannt, so schmiere man das Ofenloch mit
Speckschwarte'). Wie schon J. Grimm, später ausführ-
licher Sommer, dargetan, ist Jüdel eine Nebenform für
Gütel, Gütchen eine sehr häufige Benennung der Elbe'').
Da nun die Neugebornen ebenfalls aus dem Jütchen-
oder Gütchenteich kommen s, oben S. 298, also selbst
als Gütchen bezeichnet werden, so ist der gemeinsame Ur-
sprung der in menschlichem Körper weilenden Seele und des
Schutzgeistes, der mit ihr wächst, mit ihr in der Kindheit
spielt, dadurch auch für Deutschland belegt.
Verliefsen Seelen den Aufenthalt bei der Göttin Holda,
Hrosa, Göde, so musste nach Vorstehendem entschieden
werden, ob sie in menschlichem Körper hinabzusteigen be-
stimmt sein soUten, oder ob ihnen mit Bewahrung der Gei-
stigkeit der Beruf eines Folgegeistes zukomme. Diesen
Entscheidungsact stellen die meisten Varianten unseres Kin-
derspiels dar, indem sie die Mutter oder die Schicksals-
göttin mit der abgeholten Seele tanzen 4. 5. 10 oder die-
1) Myth.' LXX, 62; LXXXV, 473. Vgl. LXXXII, 389; LXXXV, 454,
2) Myth.2 449 Anm. 1. Sommer, Sagen S. 170.
509^
selbe über einen Strich springen lassen 9 und zwar
beides mit der Aufgabe nicht zu lachen. Lacht das abge-
holte Kind, so wird es ein Teufel^ lacht es nicht, so bleibt
es ein Engel 2. 4. 5. 7. 8. 9. II.
Der Ausdruck „Engel" bezeichnet hier, wie aus 5
hervorgeht, die reine Seele, es ist die Geist gebliebene
Fylgie; notwendig muss der Gegensatz „Teufel" in Ver-
derbnis durch christlichen Einfluss die in menschlichen
(sündhaften) Körper eingetretene Seele bedeuten. Eine
Haupteigenschaft der Geister ist es, dass sie nicht la-
chen, wie Wilhelm Müller, Nieders. Sag. S. 380 bewiesen
hat; der Tod macht ernst und stumm. Ausdrücklich be-
zeugt die Sage, dass die Gesellschaft der Frau Holda
im Venusberg nicht lachen darf). Der Wechselbalg
d. i. eine Seele, die nicht in die volle Menschennatur ein-
gedrungen ist, bleibt stumm, gelingt es ihn zum Lachen
zu bringen, so liegt statt seiner ein vollgebildetes Men-
schenkind in der Wiege s. oben S. 303. Das Lachen
ist also ein symbolischer Zug für das Eingehen der Seele
in menschliches Wesen, menschliche Geberde und Em-
pfindung.
In dem Tanz vermute ich ein Abbild des Wirbelwin-
des, mit dem die Seele zur Erde fährt, wie sie vom abge-
storbenen Leichnam als Windhauch wiederum scheidet s,
o. S. 269 fgg. Der Strich in No. 9 soll wol den Fluss
vorstellen (das Wolkengewässer oder den Luftstrom), wel-
cher das Seelenreich von der Menschenwelt scheidet s.
oben S. 203.
Ein weiterer symbolischer Zug ist in 9. 10. 11 erhal-
ten. Die zum Eintritt in das Leben bestimmte Seele wird
gefragt: „Wat wistu aeten? wat wistu drinken? wat
krüpt dar? wat flügt dar?" 10. — Wat krüpt da? wat
fleit da? 11. — Was hast gegesse? wast hast getrunke?
was hast du gesehn? 8.
Durch den Genuss von Speisen im Seelenreich lassen
1) Zcitschr. f. D. Myth. I, 275.
310
unsere Sagen lebende Menschen den Toten anheimfallen,
geradeso wie in der griechischen Mythe Persephone durch
den Genuss des Granatapfels gezwungen ist im Hades zu
verweilen. W. Müller hat hiefür die sichersten Beweise
aus der germanischen Mythenwelt zusammengestellt '). An-
dererseits aber streift der Genuss irdischer Speise wie-
derum der Seele die rein geistige Natur ab und bannt sie
in die Körperwelt. Auch hiefür hat "W. Müller bereits ei-
nige Gründe namhaft gemacht^). Wir wollen die Betrach-
tuns dieses Gelehrten von einer anderen Seite wieder auf-
nehmen.
Das neugeborne Kind galt, so lange es die heidnische
Wassertaufe, mit welcher die Namengebung verbunden war,
noch nicht empfangen oder noch keine menschliche Speise
genossen hatte, als Seele. Der menschliche sowie jeder an-
dere Körper wurde als ein Gewand gedacht, das die Seele
anzieht (lihham altn. likhamr). Das Band zwischen der
Seele und dem Leibe war so lange lose, bis es durch ein
von den Schicksalsjungfrauen oder der höchsten Göttin ge-
sponnenes Seil oder einen Ring, der in unseren Sagen be-
sonders lebhaft unter der Benennung Schwan ring in Er-
innerung blieb, gefestigt wurde. Mehrere Spuren verraten,
dass man dieses Schicksalsseil erst während der Was-
serbegiefsung gefertigt wähnte. Doch davon weiter unten.
Aus diesem Grunde glaubte man, dass ungeborne d. i.
aus dem Mutterleibe geschnittene Kinder leuchten, Glie-
der (Arme, Füfse, Finger) von ihnen unsichtbar machende,
alles einschläfernde zum Diebshand werk taugliche Lichter
abgeben. Die Seele galt ja, wie als Lufthauch, so als
feuriges Element**). Weil die Verbindung der Seele
1) Niedersächs. Sagen S. 372 fgg.
2) A. a. O. S. 387.
3) S. R. Köhler in Zeitschr. f. D. Myth. IV. Heft 2. Sterne sind See-
leu; -wenn ein Kind stirbt, macht der Herrgott einen neuen Stern; ungetauft
gestorbene Kinder werden Irrlichter, auf Gräbern hüpfen blaue Flammen.
Grenzven'ücker gehen nach dem Tode als Feuermänner iim. In der Hole des
Todes brennen die Seelen als Lichter. Gisli Sürssonr träumt, dass er von
der einen seiner beiden Fylgien in ein grofses Haus geführt werde, wo er
3H
mit dem Körper noch nicht Halt gewonnen hat, ist das
Kind bis zur Taufe (die im Volksaberglauben die Stelle der
heidnischen „Dication" — s. darüber unten — einnahm) der
Vertauschuug ausgesetzt, d. i. in Gefahr von den Geistern
ohne weiteres wieder in ihre Gemeinschaft gezooren und
durch den nur anscheinend mit menschlicher Körperlich-
keit behafteten Folgegeist ( ? ) ersetzt ' ) zu werden. Der
Wechselbalg selbst ist nichts anderes als eine nicht zur
vollen Menschheit durchgedrungene Seele. Bis zu dem be-
zeichneten Zeitpunkt war es auch nach altgermanischem
Recht erlaubt ein Kind zu töten oder auszusetzen, weil es
noch nicht als ein echter Mensch betrachtet werden konnte.
War jedoch irdische Speise über die Lippen gekommen,
so hörte dieses Recht auf. Als des heiligen Liudger Mut-
ter Liafburg geboren wurde, befahl die noch heidnische
Schwieger, das neugeborne Kind als Mädchen in knaben-
losem Hause in eine Badwanne zu werfen und so zu töten.
Eine mitleidige Nachbarin kam herzu, strich dem Kinde
etwas Honig in den Mund und erwarb ihm so das
Recht ans Leben. Es wurde nicht getötet, sondern aufser-
halb des elterlichen Hauses auferzogen ^). Mit dem heid-
viele von seinen vei-storbenen Freunden und Venvandten findet. Diese safseu
und tranken an Feuern, die in der Halle angerichtet waren. Sieben Feuer
brannten da, von denen die einen noch hell loderten, die andern nahe am
Erlöschen waren. Da sagte sein guter Folgegeist, zu ihm tretend: ,, Hier will
ich dich o Freund aufnehmen und dir die übrigen Jahre deines Lebens zeigen.
Die Feuer, die du siehst, bedeuten dein noch übriges Lebensalter." Gisla
Sürssouarsaga ed. Island, cap. 22. p. 157. Beide Vorstellungen der Seele als
Lufthauch und als Feuer vereint folgende Sage: Einer alten Frau in Bro-
dersdorf begegnete einmal die wilde Jagd. Nichts als Lichter
und Lichter brannten bei ihr herum und dabei lärmte, schrie, sclioss
und heulte es, dass ihr Hören und Seheu verging. Müllenhoft", Sagen S. 370.
No. CDXCV.
1) Darf diese Vorstellung etwa aus dem Zuge geschlossen werden, dass
das von den Eiben geraul)te Kind dieselbe Beluindlung erfahrt, wie der Wech-
selbalg, mit ilim also in Wechselwirkung steht?
2) KA. '158. Um den ersten pechschwarzen Unrat des neugebomen
Kindes (das Kindspech, mcconium) zu verdünnen, giebt man demselben in
Oestreich und der Schweiz das sogenannte ,,kindss!iftlein, kindstränkli", be-
stehend aus Ptirsichblüten oder Iloldermufs, in Erfurt Mecrzwiebelsaft, in Ber-
lin Mannasaft mit Rhabarber ein. Da die Natur durch die erste salzhaltige
Muttermilch (Colostrum) schon von selbst für die Abführung gesorgt hat, imd
312
nischeu Taufact war im Scandinavischen Norden die Knie-
setzimg verbunden. Der Vater liefs sich das Kind, das
nach der Geburt auf den Boden (göH) gelegt war, rei-
chen und entschied, ob er es anerkennen wolle oder nicht.
Geschah das erstere, hatte der Vater das Kind aufgenom-
men, so setzte er es auf seine Knie, gab ihm einen Namen
und begoss es mit Wasser (ios vatni). Durch diese Hand-
lung erhielt der Säugling ebenso, wie durch den Genuss
irdischer Speise, Anspruch auf das Leben. Er durfte fortan
nicht mehr ausgesetzt oder getötet werden. Aus Deutsch-
land ist uns leider so gut wie jede Quelle über das Ver-
fahren der Heiden bei der Geburt der Kinder verloren ge-
gangen, dass aber eine ähnliche Sitte wie die nordische
Wasserbegiefsung stattfand, geht wol aus den Worten
Chlodwigs, des Frankenkönigs, über sein christlich getauf-
tes aber noch während der Taufwoche in den weifsen Ge-
wändern verstorbenes Söhnlein hervor: „Si in nomine deo-
rum raeorura puer fmsset dicatus, vixisset utique, nunc
autem, quia in nomine dei vestri baptizatus est, vivere
omnino non potuit" ^). Die christliche Taufe übt nach des
Heiden Ansicht nicht die der heidnischen Weihung zuste-
hende Kraft, des Kindes Körperlichkeit zu festigen. Auch
die humi positio vor dieser Dication wird nicht gefehlt
haben, sie scheint nach Spuren im heutigen Volksglauben
noch mit dem besonderen Zusatz in Geltung gewesen zu
sein, dass man das Kind statt auf die Diele '^) überhaupt
die Verdünnung normal in wenigen Tagen ohne künstliche Mittel eintritt, bei
dem mit feiner Beobachtixngsgabe ausgerüsteten Naturmenschen daher die Er-
fahrung nicht leicht zur Anwenduung von Abführungsmitteln verleiten konnte,
ist eine symbolische Bedeutung des Kindssäftli nicht undenkbar. Es wurde
vielleicht ursprünglich gegeben, uhi das Kind der voUen Menschlichkeit desto
eher teilhaftig zu machen; als der alte Sinn erlosch, trat ein anderes Motiv
ein. Wahrscheinlich wird diese Annahme durch den Aargauischen Aberglau-
ben „will man beim Neugebornen das Kindstränkli nicht anwenden, so muss
man ihm doch Syrup, Eiergelb, Nidel, auch Traubeumufs, sogleich zwi-
schen die Lippen streichen." Es kommt also nur darauf an, dass das
Kind etwas geniefse, nicht dass die Speise abführende Wirkung äufsere. S.
Kocholz, Alemannisches Kinderlied S. 282 fgg. No. 624. 625.
1) Gregor. Turon. II, 29—31.
2) Das Aufnehmen des Kindes vom Boden bei der Namengebung
hat nach Grimms wahrscheinlicher Vermutung der Hebamme ahd. hevanna
313
auf den Fufsboden unter die Stubenbank legte').
„Wenn das Kind geboren ist, muss man es sogleich un-
ter die Stubenbank legen, damit es seine Lebtage
nie den Geistern verfalle. Ein um Weihnachten und
Fronfasten zur Welt kommendes Kind ist ge ist er sich-
tig; wickelt man es aber sogleich in Windeln und legts
unter die Stubenbank, so wird alles verhütet-)." Wenn
ein neugebornes Kind einen zu grofsen Kopf (das
Abzeichen der Wechselbälge) oder sonst etwas Selt-
sames an sich trägt, soll man es, sobald es von der Mut-
ter kommt, am ersten auf die blofseErde unter eine
Bank legen ^). In Pechüle bei Treuenbrietzen und Rauen,
bei Fürstenwalde, aber auch sonst in der Mark, nament-
lich in der nächsten Umgebung von Berlin, legt die He-
bamme, sobald sie von der Taufe mit dem Kinde nach
Hause kommt, dasselbe erst unter die Bank und
dann in die Wiege; hier dreht sie es dann mehrmals
um und um*)." Wir sehen in den augeführten Gebräu-
chen die mit dem Taufact verbundene Humiposition, die
schon Rocholz mit der nordischen Sitte zusammeno^estellt
hat, verhüten, dass das Kind den Geistern verfalle, gei-
stersichtig und Wechselbalg (d. i. nicht zur Körperlichkeit
durchgedrungene Seele) sei. Hiemit ergiebt sich ein ge-
wichtiges Zeugnis für die von uns vorgetragene Ansicht.
Hat dieselbe im Ganzen Grund, so wird auch gegen die
Auffassung der Liafburglegende nichts zu erinnern sein,
den Namen eingetragen RA. 455; gram II, 680 so wie von dem Zuboden-
legen des Kindes die nordische Hebamme jordgumma, jordemoder (Erdmut-
ter) heifst.
1) Es geschah dies wol aus demselben Grunde, aus welchem bei der
Hochzeit im Norden eine Bankgabe (beckjargjöf) dargereicht wurde, oder
alts. die Frau Bett- und Bankgenossiu ( gibeukia gibeddea) des Mannes
genannt Avurde. EA. 443. Der neue Ankömmling sollte durch die feierliche
Dication nicht allein in die Menschengemeinschaft, sondern auch in die Haus-
geuossenschaft aufgenommen werden.
2) Aargauischer Aberglaube. Rocholz, Alem.Kiuderl. S.279. No.G13.614.
3) Puerperium Marianum, Unser Lieben Frawcn Kindelbett durch Christ.
Marianum. Constanz b. Nicol Kalt 1599 p. 133. Rocholz a. a. 0.
4) Hängt dieses Umdrehen vielleicht mit dem Tanz oder Umdre-
hen (drei di dreimal um u. s. w.) in unscrm Kinderspiel No. 4. 5. 10 vergl-
oben S. 308 zusammen? — Kuhn, Nordd. Sag. 430, 2G0.
314
dass der Genuss irdischer Speise als Gewähr voll-
ständiger Annahme der Meuschennatur betrachtet wurde.
Stellt unser Kinderspiel den Eintritt der Seele in mensch-
liche Gestalt dar und knüpft denselben an die Aufnahme
irdischer Nahrung, so tritt uns in einem andern mit ganz
ähnlicher Wendung das Zurücktreten der Seele in die Gei-
sterwelt durch den Genuss himmlischer Speise entgegen.
„Rüssel di dussel wat hestu gedronken?"
Hemmelsch water.
„Rüssel di dussel, wat hestu gegäten?"
Hemmelsch brod.
Das in der Mitte stehende Kind bezeichnet nun ein
anderes in dem Kreise und sagt:
Spei en de loft on lach nich.
Lacht es nicht, so tritt es in den Kreis').
Sollte mit dem feierlichen Aufnehmen des Kindes vom
Boden, wovon die Hebamme ihren Namen hat, die Formel
„engeli ufzücha" (in die Höhe heben) in No. 5 zusam-
menhängen?
g) In No. 1 . 4. 8. 9. 11 wird angegeben, dass eine vor-
her abgeholte Seele nicht zum Eintritt in menschlichen
Körper getaugt habe. Am besten schildert den Hergang
No. 9. Du hast ja erst gestern ein Lamm erhalten? „Das
lachte nicht" d. i. es war ein Wechselbalg s. oben S. 303,
„es sprang übers Heck; ich legte es auf die Bank,
da wurde es wie ein Äal so lansc; ich legte es auf den
Fufsboden, da wurde es wie eine Scheere; ich legte es
in die Wiege, da wurde es wie eine Fliege; ich legte es
auf die Fensterbank, da holte der hässliche Wolf es weg."
Die Seelen sind jeder Verwandlung fähig und sträuben sich
durch oftmalige Metamorphose in menschliche Natur ein-
zugehen.
Ein ganz analoger Vorgang wird uns in dem schönen
schottischen Volkslied von Young Tamlane geschildert, aus
dem ich, da mir das Original nicht zur Hand ist, einen
1) Kettwig aufgezeichn. v. IL Greef in Meurs; d. L. Erk.
315
Auszug mit Gräfses Worten gebe : „Einst ging die Tochter
Dunbars des Grafen von March, Janet auf die Ebene Car-
terhaugh in Selkershire, wo der Ettrick sich mit dem Yar-
row vereinigt, und kam da an eine Quelle, wo sie einen
schönen Zelter stehen sah, aber einen Reiter sah sie nicht.
Da brach sie eine rote Rose ab und noch eine und wie-
der eine. Auf einmal stand ein Mann vor ihr, der sie
fragte warum sie hieher komme und Rosen abpflücke, ohne
ihm zuvor etwas davon zu sagen. Sie aber entgegnete ihm,
Carterhaugh gehöre ihr, denn ihr Vater habe es ihr ge-
schenkt und sie werde Niemanden fragen, ob sie gehen
oder kommen solle. Jener aber nahm sie bei der Hand
und führte sie unter eine Linde und sprach lange mit ihr.
Niemand aber erfuhr, was da mit ihr vorgegangen ist. Als
sie aber wieder nach Hause zurückgekehrt war, fanden
Alle, dass ihr früherer Frohsinn verschwunden sei und es
war ofienbar, dass sie geheimes Leid trage und irgend eine
hofihungslose Liebe den Grund davon abgebe. Als nun
ihr Vater von ihr zu wissen begehrte, wer der Vater des
Kindes sei, das sie unter ihrem Herzen trage, gestand sie
ihm, dass sie als solchen keinen von den Rittern des Lan-
des nennen könne, denn ihr Geliebter sei ein Elfe
und gehöre den Ueb erirdischen an, sei ihr aber viel
werter als der schönste Ritter. Sie ging nun wieder nach
Carterhaugh, wo sie jedoch nur den Zelter ihres Tamlane
stehen sah, ihn selbst aber nicht erblickte. Daher pflückte
sie wiederum Rosen und siehe, er erschien und untersagte
ihr das Pflücken'). Nun fragte ihn Janet, ob er ein Christ
sei, er aber sagte, er sei der Sohn Rudolphs, Grafen von
Murray und wie sie von einer sterblichen Mutter geboren.
Einst habe ihn als achtjährigen Knaben sein Onkel mit auf
die Jagd genommen und es sei ihn ein Todes schlaf
überkommen , bei seinem Erwachen habe er sich
unter den Elfen befunden und die Königin derselben
habe ihm Leib und Glieder ausgezogen und ihn
1) Die Rosen sind die Seele Tamlanes selbst.
316
zu einem Elfen gemacht. Er könne sich seitdem grofs
und klein machen und nach Belieben in der Luft oder auf
der Erde wohuen und er möchte Zeitlebeus im Elfenlande
bleiben, wenn er nur nicht alle sieben Jahre mit den
Elfen zur Hölle müsste'), wo ein Wesen aus dem
Elfenreiche als Zoll gespendet werde und er fürchte, dass
ihn diesmal das Loos treffen dürfe. Er fügte hinzu, dass
sie, wenn sie Mut und wahre Liebe besitze, ihn den Elfen
entreifsen könnte, und als jene versicherte zu Allem bereit
zu sein, so sagte er ihr, dass heute der heilige Abend sei,
an welchem die Elfen auszuziehen pflegen und sie möge
daher an einem auf dem Wege stehenden Kreuz um Mit-
ternacht ihn erwarten. Er werde auf einem weifsen Pferde
reiten und an der rechten Hand einen Handschuh tragen,
während die linke unbedeckt sei. Hieran möge sie ihn er-
kennen, ihn vom Rosse herabziehen und in ihre Arme
schliefsen, woraus sie ihn nicht loslassen dürfe, auch wenn
er sich dann in eine Schlange, Molch, Feuer und glühen-
des Eisen verwandeln werde, denn er tue ihr nichts zu
Leide. Sie möge ihn dann in ein Fass mit Milch und
nachher ins Wasser werfen-), denn er werde zu ei-
nem Aal und zu einer Kröte, sodann aber zu einer Taube
und einem Schwane werden, hierauf aber müsse sie ihren
grünen Mantel über ihn werfen, denn dann werde er wie-
der nackend sein, wie er zur Welt gekommen. Als dieses
nun Janet alles buchstäblich erfüllte, bekam sie ihren Tam-
lane wieder, die Elfenkönigin aber liefs aus den grünen
Gebüschen laute Klagen über den Verlust des schönen
Jünglings ertönen ^).
1) Die 7 Wintermonate werden die Seelen in der Wolke von den bösen
Dämonen gefangen gehalten.
2) Entspricht dieses Bad der heidnischen Wasserbegiefsuug?
3) W. Scott Minstrelsy of the Scottish borders U. p. 193 fgg. Grälse,
Die Sage vom Tannhäuser S. 11 fgg. Ganz äliuliche Verwandlungen nehmen
vor ihrer Erlösung die weifsen Frauen an, die nach S. 78 fgg. den Mären, Elfen
identisch sind und in denen die Bedeutung als Elementarwesen (Wasserfrauen)
und Seelen (s. oben S. 79) sich mischt. Ueber diese Erlösungssagen ein
andermal.
317
Bedeutungsvoll scheint die Formel in 8 „eins ist
mir ins Börnche gefalle", die Seele ist in den Kin-
derb ruunen zurückgesunken. — Das Dreifache Legen auf
die Bank, die Fensterbank und den Fufsboden in
No. 9 ist wol nur Auseinanderziehung des Vorgangs bei
der humipositio, wobei das Kind auch auf den Fufsbo-
den unter der Bank gelegt wird. Weshalb diese Hand-
lung hier fruchtlos bleibt, sehe ich nicht ein. Etwa weil
die Aufnahme (Kniesetzung) fehlend gedacht wurde? In
No. 10 enthält die Phrase: Ik harrn gröt knäken int ben.
Wo lang? asn bank" ein oifenbares Verderbnis, da der
S. 305 besprochene Knochen im Bein hier so wol über-
haupt an unrechter Stelle eingeschoben ist, als auch ins-
besondere nicht „lang wie eineBank" genannt werden
kann. Die zuletzt angeführten Worte sind vielmehr Ueber-
rest einer ähnlichen Wendung wie die eben besprochene
in No. 9. Merkwürdig wird auch der kinderbringende
Storch aufgefordert, das Kind auf die Bank zu legen:
Storch, Storch Langbein
Bring der Mutter ein Kind heim.
Legs auf die Bank,
Wirds hübsch lang;
Legs auf die Lade,
Wirds ein Soldate;
Legs hinter die Plölle,
Wirds ein Junggeselle').
Als Mittel, um das Entweichen der Seele zu hindern,
das Band zwischen Körper und Geist zu festigen, wird in
8.9. 11 das Bestreuen mit Salz angegeben und jedes-
mal die Wichtigkeit dieser Handlung eingeschärft. Dies
erinnert sogleich an folgenden Aberglauben. Kindern, die
einen Vogel haschen wollen, gibt man scherzweise den
Rat, ihm Salz auf den Schwanz zu streuen, so lasse er
sich greifen 2). Auch Wild soll auf gleiche Weise gefan-
1) Weimar d. Reinhold Köhler.
2) Mündlich Pommerellen, Mark Brandenburg; auch im Rheinland nacli
einer Anmerkung in Simrocks Edda, ebenso in Oestreich.
318
gen werden können '). Ein Bursche warf einer Hexe, ne-
ben der er beim Essen safs, eine Handvoll Salz in den
Nacken. Da konnte sie nicht aufstehen, weil sie zu
schwer geworden. Erst als der Junge sie wieder vom
Salz freimachte, kam sie los^). Wild und Vögel sind Ge-
stalten, in denen Seelen erscheinen; den Hexensagen liegen
Elbensagen zu Grunde und was von den Hexen gesagt
wird, ist häufig von den Eiben zu verstehen. Die Schnel-
ligkeit des Wildes und Vogels mochten unsere Alten nicht
anders begreifen, als indem sie dieselbe der Windeseile
entschwebender Geister zuschrieben. Salz bricht Verzau-
berung, bricht die Macht der Geister s. oben S. 6 Anm. 3,
verleiht dem Körper irdische Wesenheit, Schwere und
Langsamkeit. Darum würden die Tiere zu fangen sein,
wenn es gelänge, ihnen Salz auf den Schwanz zu streuen,
und in gleichem Mafse würde das Salz bei dem Kinde gewirkt
haben, dem Leibe Halt und Körperlichkeit zu verleihen'').
h) Den Beschluss des Spiels bildet in No. 5 und 9 ein
Kampf zwischen Engeln und Teufeln d. i. Seelen und
Menschen. Die Geisterwelt sucht die Menschen fortwäh-
rend wieder in ihr Bereich zu ziehen, die Körperwelt wie-
derum strebt die Seelen mit Leiblichkeit zu umkleiden, da-
her zwischen beiden ein ewiger Kampf stattfindet. In No. 9
und auch nach der Spielweise mehrerer anderer Gegenden,
von der ich nur Bruchstücke kenne, geschieht, wie ich aus
mündlicher Quelle weifs, der Kampf in der Weise, dass
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 203.
2) MüUenhoff, Sagen S. 564. No. DLXXI.
3) Dem scheint zu widersprechen, dass arme Leute bei den Nord- und
Südgermauen (in Frankreich noch 1408) neben ausgesetzte Kinder mit-
unter Salz legten zum Zeichen, dass der Aussetzling noch ungetauft sei.
RA. 457. Ich glaube jedoch, dass dieser Gebrauch, in welchem ein älteres
Motiv wiederum mit einem neueren vertauscht scheint, ebenso aufzufassen ist
wie die nordische Sitte, das ausgesetzte Kind durch eine Umhüllung zu
schützen und ihm etwas Nahrung in den Mund zu geben. Es fand dies
nur dann statt, wenn man wünschte, dass ein Anderer das Kleine finde und
aufziehe. Gunnlaugssaga ed. Havn. 192 — 220. Durch Salz xmd Speise sollte
der Wunsch ausgedrückt werden, dass das Kind dem Leben erhalten bleibe.
Dies geht namentlich auch noch daraus hervor, dass Dansk. Vis. No. 176 (RA.
a. a. O.) geweihtes Salz und Licht neben das ausgesetzte Kind gesetzt wird.
Lichter lässt man bei Kindern brennen, damit die Elbe sie nicht holen, ver-
tauschen sollen.
_31_9^
beide Parteien sich gegenseitig über den von uns oben S. 309
für den Seelenstrom oder Totenfluss erklärten Strich
zu ziehen suchen, der die Grenze der Geister- und Men-
schenwelt bildet. In No. 12 macht Mutter Tepperken selbst
den Versuch, die in der Menschheit geborenen Seelen wie-
der in ihr Totenheer zu reifsen, grade wie wir bei Holda
oben S. 267. 268 dieses Bestreben wahrnahmen. In No. 2
fängt ein Teufel alle Engel und macht sie zu Teufeln. Ich
möchte darin eine sehr begreifliche Umkehrung davon se-
hen, dass der Engel (die Seele) die Teufel (Menschenkin-
der) wieder zu Engeln machte.
Gelang der voranstehenden Untersuchung auch nicht
alle einzelnen Züge unseres Kinderspiels mit voller Klarheit
zu deuten, so wird doch der dargelegte Ideenzusammen-
hang im Ganzen keinem Zweifel unterliegen, und als ge-
wiss kann betrachtet werden, dass wir in diesem Reigen
einen zusammenhängenden Ueberrest der ältesten chorischen
Poesie unseres Volkes vor uns haben.. Durch diese Be-
merkung erhält die oben S. 272 vorgetragene Lehi'e von
der Wiedergeburt festeren Halt. Wir bringen dafür noch
einige weitere Spuren bei. Von St. Gerdrüt, welche in
Deutschland an die Stelle der Fre}'ja-Hildr trat') (ihr Name
„die Speerjungfrau" kommt dem jener Göttin Valfreyja,
Herrin der in der Schlacht Gefallenen nahezu gleich), heilst
es, dass die Seelen der Sterbenden zu ihr eilen und
jedesmal die erste Nacht bei ihr zubringen ^ ). Sie tritt
aber in der Volkslegende ebensowol in Verbindung mit dem
kinderbringenden Storch auf. Von der Kai-leburü
in Franken ging St. Gertrud nach Neustadt. In der Nähe
von Waldzell ward sie von Erschöpfung und Durst ergriffen.
Da flog plötzlich ein Storch vor ihr auf und es ent-
sprang eine Quelle, deren Wasser kranke Augen heilt ^).
1) Myth.2 54. 282. 639. Wolf, Beitr. I, 192. Zeitschr. f.D. Myth.
III, 320. Ueber Gertruds mythische Natur s. auch Kettberg, Kirchenge-
ßchichte Deutschlands II, 334. 339.
2) Papierhs. zu St. Florian. Myth.' XLVIII, 24,
3) Archiv des histor. Vereins von Unterfranken und Aschaftenburg XTII,
3, 154.
320
Die den Germanen nah verwandten Kelten hatten, wie
wir besonders aus den zahlreichen Sagen über die Fairies
zu erkennen Gelegenheit haben, im Wesentlichen densel-
ben Glauben über Seelen und Elbe, wie unsere Vorväter,
aus einer gemeinsamen Urzeit bewahrt. Die Uebereinstim-
mung wird, je höher wir in das Altertum hinaufgehen, im-
mer gröfser gewesen sein. Somit ist es von vorne herein
wahrscheinlich, dass wenn dem einen Volke in der Urzeit
die Wiedergeburt bekannt war, das andere des gleichen
Glaubens nicht entbehrte. Ein gewichtiges Zeugnis gewährt
uns Caesar, der von den gallischen Druiden berichtet: Im-
primis hoc volunt persuadere, uon interire animam, sed ab
aliis post mortem transire ad alios; atque hoc maxime ad
virtutem excitari possunt metu mortis neglecto ' ). Dass
1) De hello Gallico VI. cap. 14. Aus Caesar offenbar schöpft Lucan
Pharsal. I, 452—462:
Solls nosse deos et coeli numiua vohis
Aut solis nescire datum: nemora alta remotis
Incolitis lucis. Vohis auctoribus umbrae
Haud tacitas Erebi sedes Ditisqne profandi
PaUida regna petunt: regit idem spiritus artus
Orbe alio : longae (caiütis si coguita) vitae
Mors media est. Gerte populi quos despicit arctos
Feliees errore sui, quos ille timorum
Maximus haud urget leti metus. Inda ruendi
In feiTum mens prona viris auimaeque capaces
Mortis et igna\nim rediturae parcere vitae.
Dieselbe Stelle des Caesar scheint schon im Augusteischen Zeitalter Diodor
von Sicilien benutzt zu haben V, 28: 'Eiia/vii, yäo nao' avTotq 6 Tlv&a-
yögov y.öyoq, oti Ta? t/t/«; twv at'&oa)JTO)v aO-avazovq flvai» aii/ißf'ßijy.e
y.al Si iiö)i' öigi<Ttt(i'(nv nahv ßiniv, f/s ftf onv aö)ii(cc t;)? i/»!'^?/? fiadro-
fiii'riq. Jio y.at xarrt t«; xaqdq tmv TfTflfintjxozmv iilovq {nitTio'/.aq
yfyQa/i(f(eya!; toI; nty.fCoig TSTelavTtjy.oau' f/ißä).).in' fiQ Tt]v nvqav, ox; tojv
Tfr().fVTriy.öro)v di'ayfoxro/^if'i'O))' To-inaq. Hiermit vergl. Ammian. Marcellin.
XV, 9: Inter hos Druides ingeniis celsiores, ut auctoritas Pythagorae decre
vit, sodalicüs adstricti consortiis , quaestionibus occultarum rerum altarumque
erecti sunt et despectantes humana pronunciarunt animas esse immortales.
Pomponius Mela III, 1 : Hi (Druidae) terrae muudique magnitudinem et for-
mam, niotus coeli et siderum ac quid Dii velint, scire profitentur. Docent
multa nobilissimos gentis clani et diu, vicenis annis in specu aut abditis sal-
tibus. Unum ex iis, quae praecipiunt in vulgus effluit, videlicet
ut forent ad bella meliores, aeternas esse animas vitamque alte-
ram ad manes. Valer. Maximus de exteniis institut. II, 10: Gallos memo-
riae proditum est pecunias mutuas, quae sibi apud inferos redderentur dare,
321
hierunter nur eine der germanischen ähnliche Wiederge-
burt in menschlichem Körper nicht eine Seelenwanderung im
buddhistischen Sinne') zu verstehen sei, ist weiterhin zu
besprechen.
§. 4. Engelland.
Wir sahen S. 254. 255, dass der Marienkäfer aufge-
fordert wird über oder hinter den Brunnen d. i. den
himmlischen Kinderbruunen zu seiner Herrin, bei der die
Seelen weilen, zu fliegen und ebendaselbst heifst es, dass
die Engel d.i. die Seelen hinter dem Brunnen sit-
zen. Uebereinstimmend ist der Zug, dass hinter Wald-
minchens d. i. Holdas Berghöle s. oben S. 273 eine blu-
mige Wiese sich befindet, worauf Kinderseelen spielen.
Weisen alle diese Züge darauf hin, dass man sich den
Seeleuaufenthalt ebenso oft hinter wie im Wolkengewäs-
ser (dem Kinderbrunnen, Himmelsberge) also im lichten
Himmelsraum (skr. svar s. darüber unten) gelegen dachte, so
wird diese Vorstellung durch eine ganze Reihe anderer
Zeugnisse bestätigt.
Eine mit Unrecht mehrfach verdächtigte Stelle der
Snorraedda spricht von drei verschiedenen, übereinander
liegenden Himmeln. Der erste unterste ist Asaheimr, dar-
über Audlängr (der dagegen liegende) und Vi?^bläinn
(der Weitblaue). Hier liegt der Palast Gimill, der
schöner als die Götterwohnungen und leuchten-
der als die Sonne ist. Er wird stehen bleiben, wenn
quia persuasum habuerint, animos homiuiim immortales esse. Dice
rem stultos, uisi idem Braecati scnsissent, quod palliatus P ythagoras sensit.
Aus eben derselben Quelle nämlich dem Caesar wird durch Älisverständnis
stammen, Avas Appiau von den Germanen des Ariovist berichtet, sie ver-
achteten in der Hoffnung auf Wiedergeburt den Tod. Lib. IV de
reb. Galileis aap. 3: intiza toi»? /«jt« 'A()ioß(ainv {irt/.ijafi' o Kcüauo) oi
xal T« ftey£&7] /((('^ovq twi' /(f/iarojv vnijn^ov , y.al to Tj&oq a;'^(oi, xat
ifjv ToXfiav &<)aGVTajoi, xal »9-ai'äToi' y.ciTa(()Q0ii7]Tal dt' i).nlSa
ai' aß i.()>af o)<;. Oder sollte Appian, der sich häufig auf gute ältere Quellen
stützt und im aUgemeinen mit einer füi* seine Zeit (die Mitte des 2. Jahrhun-
derts) aneikenneuswerteu Ki-itik verfährt (vgl. Brandes, Das ethnographische
Verhältnis der Kelten und Germanen. Leipzig 1857. S. 217 fgg.), hier den-
noch eine zuverlässige Angabc früherer Schriftsteller benutzen?
1) Die Angaben der Triaden (s. Eckcrmann, Religionsgesch. III, 24) las-
sen wir ihres zweifelhaften Characters wegen unberücksichtigt.
21
322
sowol Himmel als Erde vergehen, und die guten und
rechtscliaffenen Menschen aller Zeiten werden
ihn bewohnen. Die Völuspä sagt:
Einen Saal sieht sie (die Vala) stehn
Schöner als die Sonne
Auf Gimill droben,
Mit Gold gedeckt.
Dort soll der Tross
Der Treuerprobten
Wohnen und ewig
Wonne geniefsen ' ).
Der Tross der Treuen (wörtl. „treue Scharen"
oder „Völker") ist den Meineidigen und Meuchelmör-
dern entgegengesetzt, von denen Völuspä 42. 43 spricht:
Einen Saal sah sie stehn
Der Sonne fern.
In Nästrand (Leichenküste)
Nordwärts sind die Türen gekehrt,
Eitertropfen fallen
Durch die Fenster nieder,
Der Saal ist umwunden
Mit Schlangenrücken.
Da sah sie waten
In starrenden (wörtl. schweren) Strömen
Meineidige Männer
Und Meuchelmörder;
Da sog Niöhöggr (ein Drache)
Die entseelten Körper,
Zerfleischte der Wolf die Männer.
Wisst ihr, was das bedeutet? ^)
1) Völuspä 62. Sal ser hon standa sola fegra, gulli ])akSan,
ä Gimli. ]jar skolu dyggvar dröttir byggja ok um aldrdaga ynSis njota.
unrichtig übersetzt Simrock auch noch in der zweiten Ausgabe seiner Edda
„dyggvar dröttir" u. s.w.: ,,Da -werden werte Fürsten wohnen und ohne
Ende der Ehren geniefsen."
2) Sal sä hon standa, sola fjarri Näströndu ä. NorSr horfad^Tr:
fellu eitrdropir inn um Ijora, sä er undinn salr orma hryggjum. Sä hon par
^3
Der strenge Parallelismus in diesen Strophen, der beim
ersten Anblick scharf in die Augen springt, wird noch
deutlicher, wenn man die Lesarten der verschiedenen Codd.
der Völuspä und der Snorraedda zur Vergleichung herauf-
zieht, wo Gylfaginning 17 die Strophe von Gimill, 52 die
beiden über Näströnd gleichfalls mitgeteilt sind"), so dass
schon hieraus das genaue Zusammengehören der drei Stro-
phen unzweifelhaft wird. Eine unbefangene Kritik lehrt
aber weiter, dass in der Textrecension, welche der Ver-
fasser von Gylfaginning benutzte, noch Str. 42. 43 (nach
Munchs Zählung) oder vielmehr Str. 40 — 43 neben Str. G2
standen^). Es war dort von einem schlangenerfüllten
vaga I^ÜDga strauma menn meinsvara ok niorSuarga (ok j^ann annars glepr
eyrarüiiu); [>ar saug Niöhöggr näi framgengna, sleit vargr vera. Vitu^ er
enn e'Sa hvaÖ? Die eingeklammerten Worte ,,ok ])ann annars u. s. w." d. i.
„und der des andern (Gattin) berückt mit Olirgerauu" sind, wie Dietrich
Zeitschr. f. D. Altert. VII, 305 bemerkt, nicht ursprünglich, da sie den vier-
zeiligen Strophenbau zerstören, sondern eingeschoben, durch Hävamäl 117
veranlasst: „Rä?5umk her Loddfafnir, en j>ü räS nemir, njota mundu ef \)U.
nemr; annars konu teygÖu ]?er aldregi eyrarunu at.
1) Sal ser hon standa. Völ. 62; Sal ser hon standa. Völ. 42. Cod. Arn-
Sal veit ek standa. Gylfag. 17; Sal veit ek standa Gylfag. 52. — Solu fc-
gra Völ. 62 ; Solu fjarri. Völ. 42 — guUi })aköan. Völ. 62 ; sä er undinn
salr orma hryggjum Völ. 42. — ä Gimli. Völ. 62. Naströndu ä. Völ. 42.
Absichtlich verstöfst der Dichter in dem Halbverse ,,ä Gimli" gegen die Vers-
gesetze, um strengen Parallelismus zu ,, Naströndu ä" zu erzielen. Cod. Arn.
versteht die Absicht des Dichters nicht mehr und teilt gemäss der Regel, dass
die Alliteration der zweiten Vershtilfte auf die zweite Hebung vom Schluss
fallen soll, ab :
a, Gimli ])ar
skolu dyggvar u. s. W. —
]>ar skolu dyggvar drottir byggja. Völ. 62. Gylfag. 17; Skulu ]?ar vaöa
menn meinsvara ok morSvargar. Gylfag. 52. Menn entspricht den
drottir. Cod. h. morövarga oli meinsvara.
2) Schon Simrock urteilt Edda^ 379: „Str. 40— 43 (bei ihm 42—46)
scheinen eingeschoben, da sie den Gang der Ereignisse sehr zur Unzeit unter-
brechen." Die Eiclitigkeit dieser Annahme erweist sich deutlich aus der ver-
schiedenen Stellung dieser Strophen in den beiden Haupthdss. der Völuspä.
Cod. Arn. No. 544 schliefst sie an die Strophen ,,Sat bar at haugi" und G61
yfir Asum (Muuch 34. 35) und man sieht deutlich, dass die Anschiebung
durch die Schlussworte „at sölum Heljar" veranlasst ist. Diesen beiden
Strophen vorher gehen aber die Worte „Gcyr gannr mjök fyri Gnöpa-
helli, festr mun slitna ok Freki renna; fram sc ck leugra, fjöld kann ek seggja
um ragnarök, röm sigtiva. (Es heult der Wolf vor der Guupahölc, die Fessel
wird brechen und das Ungetüm hervorstürzen. W^eit seh ich voraus, viel kann
ich sagen von dem W^eltuntergang und der Götterdämmerung.) Unmittelbar
nach dem Schluss von 43 (Cod. Arn. 34) wird dieselbe Strophe wie-
21*
324
im Wasser gelegenen Strafort für Meineidige, sowie
im Gegensatz von einem im heiteren Himmel strahlenden
Freudenaufenthalt für die in der Treue, der höchsten Tu-
gend der germanischen Urzeit (s. Tac. Germ. 24 j Bewähr-
ten nach dem Weltuntergang die Rede. Die Was-
serhölle in Näströnd ist von Dietrich und Simrock^) als
echt heidnisch nachgewiesen und ihre Verbindung mit
andern germanischen Mythen auf das Deutlichste dargetan;
dasselbe muss von Gimill gelten. Da nun aber im eddi-
schen Glaubenssystem, wo alle waffentoten Menschen zu
Oöiun nach Vallhöll fahren, die siechtoten dagegen zu
Hei, diese beiden Seelenaufenthalte keinen Platz haben, so
d erholt und es folgt nun die Beschreibung des den Weltuntergang einleiten-
den Bruderzwistes „broedr munu berjask". Dass der gefesselte Fenriswolf
loskomme, ist der Anfang der Götterdämmerung. Es ist daher klar, dass die
Strophe ..broeör munu berjask" sich genau an das ,;fjöl8 kann ek seggja
um ragnarök, röm sigtiva" anschliefst und der luterpolator deshalb die Worte
,,mjök gevT garmr" nach dem Einschiebsel noch einmal aufnahm. Mit dem
Loskommen Fenrirs ist aber das Loskommen Lokis, mithin dessen vorherige
Fesselung in Folge der Tötung Baldrs, eng verbunden. Der Mord Baldrs ist
nach eddischem Glaubenssystem die eigentliche L^rsache des Götteruntergangs.
Da nun auch Cod. Reg. Str. 40 — 43 (in der Hs. 33 — 35) hinter der Erzäh-
lung von Lokis Fesselung ganz unmotivirt aufführt, worauf die in Cod.
Am. vorangesetzten Str. ,,Sat J?ar at haugi" und „G61 um Äsum", dann
,,munu berjask" u. s. w. folgen, so ist die Unterbrechung des Zusammen-
hangs auch hier klar. Die ursprüngliche Gedankenfolge war „Baldr stirbt,
Loki und der Fenriswolf werden zur Vorsicht von den Göttern gefesselt, aber
einst kommen sie los und damit bricht die Götterdämmerung ein, durch Bru-
derzwist eingeleitet." Genau diese Reihenfolge hält nun die Erzählung der
letzten Dinge in Gylfaginuing 50. 51 inne, welche sich genau an die Yöluspä
anschliefst. Mithin scheint die dort benutzte Recension dieses Gedichts das
Einschiebsel am bezeichneten Orte noch nicht gekannt zu haben. Gj'lfag. 52
beweist aber geradezu, dass in jener Textrecension Str. 40 — 43 noch neben
62 stand. Hier werden nämlich als Aufenthaltsorte für die Seelen nach
der auf die Götterdämmerung folgenden Erneuerung der Welt
die Str. 40 — 43 aufgefülirten Säle für Sindris Geschlecht, Okolnir und Nä-
strönd neben Gimill aufgeführt, wobei es dem Verfasser begegnet, dass er
die Stelle der Völuspä über jenen ersten Palast misversteht (s. Simrock, Hand-
buch d. D. Mjlh. I, 176) und aufserdem was von Gimill Str. 62 gesagt
ist, auf Okolnir und den Saal für Sindris Geschlecht mit be-
zieht. Dies konnte doch nur dann geschehen, wenn in seinem Text die
berührten Strophen neben einander standen.
1) Dietrich, Zeitschr. f. D. Altertum VH, 304 — 328; IX, 175 — 186.
Simrock, Vaticinii Valae Vindiciae. Bonn 1853. Kieler Monatschr. 1853.
Handb. d. D. Myth. I, 164 fgg.
325
wird man dem Schlüsse nicht ausweichen können, dass sie
Reste des Glaubens einer älteren Periode sind und dar-
aus erklärt sich sehr deutlich ihre Stellung im Welterrieue-
rungsmythus. Der nordische Mythus von den letzten zu-
künftigen Dingen ist nämlich allmählich zusammengewach-
sen aus alten Sagen, welchen man in der Gegenwart keine
Stelle mehr anweisen konnte, weil ihr Verständnis erloschen
war. So sind, um nur eins anzuführen, die Mythen von
Thors und Heimöalls Tod in Folge des Kampfes mit dem
MiSgaröswurm und Loki nichts anderes, als die alte oben
S. 213 fgg. besprochene Sage, dass Indra im Kampf mit
Vritra, Thunar im Streit gegen die Dämonen umkommt,
der Blitz im Siege vergeht; ein Zug dem in einer voll-
ständig anthropomorphischen Mythenwelt nur der Ausweg
blieb sich in das Märchen s. oben S. 216 oder in die
Eschatologie zu flüchten.
Schon Dietrich machte darauf aufmerksam, dass die
Beschreibung von Näströnd genau der Beschreibung des
Berges entspreche, in welchem Loki gebunden liegt. Da
wir nun in diesem den Wolkenfels erkannt haben, '.vird
die Wasserhölle gleichfalls als eine spätere Localisierung
aufzufassen und ursprünglich in der Wolke zu suchen sein,
wo wir bereits S. 190. 207 im urgermanischen Mythus die
Dämonen (Riesen oder Zwerge) als winterliche
Mächte, abgeschiedene Geister böser Menschen,
häufig in Dr ach enges talt, kennen lernten.
Führen uns die Zwerge (döckälfar) auf den Teil der
Elbe, welche böse sind, so sind die ihnen entgegenstehen-
den Lichtalfen (liosälfar) für die Seelen guter und recht-
schafiener Menschen zu erachten. Ich werde später hiefür
ausreichende Beweise beibringen.
Der oben angeführten Stelle über Gimils Lage im
Himmel Viöbläinn Gylfag. 17 ist die wichtige Notiz
hinzugefügt: „In diesem Himmel denken wir jene Stätte ge-
legen, und glauben dass jetzt allein die Lichtalfen
darin wohnen')." Dass diese Bemerkung nicht aus der
1) Ok ä ])cim hinini liyggjum vcr j^enna staö vera, en Ljosälfar cinir
hyggjum vcr at ny byggvi ]?ä sta'öi.
326
Luft gegriffen ist, geht daraus hervor, dass wie Gimill
schöner als die Sonne (sölu fegri; sölu betri) genannt
wird, es von den Lichtelben heifst: Sie sind schöner,
als die Sonne von Angesicht (Ljösälfar eru fegri en
sol Synum). Nach dem vorhin Gesagten ist es offenbar,
dass die Lichtalfen (liösälfar) mit den treuenSchaaren
(dyggvar dröttir) identisch sind. Da man nicht mehr klar
wusste, dass die Alfen Seelen sind, konnte der Aufenthalt
der Verstorbenen unter dieser Benennung auch noch in der
Asenreligion auf Gimli gesucht werden, und daher kommt
die in Gylfag. 17 ausgesprochene Scheidung zwischen der
Gegenwart und dem Zustande nach der Erneuerung der
Welt. Wir erinnern uns, dass Freyja-Sole die See-
len in oder hinter der Wolke bei sich empfing, von ihrem
Bruder Freyr heifst es nun, dafs ihm die Götter Licht-
alfenheim zum Zahngebiude gesjeben haben; wir sehen
hier wieder die Seelen und Alfen zusammentreffen.
Halten wir fest, dass die Alfen oder Seelen des heid-
nischen Volksglaubens in christlicher Zeit häufig in die
Engel übergingen^), so ergiebt sich eine Erinnerung an
das im weitblauen Himmel Viöbläinn belegene Licht-
elbenheim (Liösälfaheimr) mit dem Palast Gimill in ei-
ner ganzen Reihe deutscher Ueberlieferungen , welche von
einem Lande der Engel (Engelland) sprechen.
Schon ein ags. Rätsel, dessen Auflösimg die Luft zu
sein scheint, führt neben Hölle, Himmel und Erde (mid-
dangeard = altn. miSgarör) ein selbständiges Reich der
Engel auf.
1) S. oben 298. In Skandinavien wird das altheiduische Opfer für die
Alfen (älfablöt) noch jetzt unter dem Namen Euglöl (Engelbier) geübt.
Dem folgenden Kinderreim liegt offenbar die Vorstellung von Holda, die die
Kinderseelen auf dem Schofse trägt, zu Grunde: „BUopfer, klopfer Eingelchen.
Da stein zwei arme Kinderchen! Gieb ihnen was und lass sie geho. Die
Himmelstür wird offengehn. Kommt Jesus aus der Schule, kocht Ma-
ria Apfelbrei, setzen sich alle Engelchen bei, klein und grofs,
nackt und blofs, alle auf Marien Schofs." S. mündl. Danzig. Simrock,
Kinderb.' 171, 468. Var. : Als Jesus aus der Schule kam, hatte Maria noch
nicht gekocht, da kochte sie einen Linsenbrei, da safsen alle Englein
bei u. s. w. Kaiserswerth.
327
— — — Die Tiefen ich berühre,
Unter die Hölle tauch' ich, die Himmel übersteig ich
Wunsches edel; weit reiche ich
lieber der Engel Land; die Erde erfüll ich
Ganz Mittelgart und die Meeresströme
Weit mit mir selber ').
Nicht minder ist dieses Land der mhd. Poesie bekannt. In
der Tochter Syon spricht die Speculatio:
In der creatüre ram
Würk ih unde tuon bekant.
Wie schön ez si in engel lanf^).
Deutsche Volksreime entfalten den mythischen Begriff die-
ses Kelches in breiter Fülle. Aus ihnen geht hervor, dass
man dasselbe als ein über den Wolken im blauen Him-
melsraum belegenes Land dachte, das sein Licht nicht
von den Gestirnen empfängt, sondern diesen vielmehr von
dem seinigen mitteilt. Hier ist die Rüstkammer aller Herr-
lichkeiten. Alles irdische Gut hat hier seine Heimat und
ist typisch vorgebildet. Von hier kommt des Sommers
Farbenpracht, von hier der Fruchtsegen als geliehenes Gut
auf die Erde, um im Herbst in das himmlische Lichtland
zurückzukehren. Hier wohnen bei milden Gottheiten die
Seelen der Verstorbenen (Frommen) ; von hier gehen die-
selben wieder aus, um aufs Neue unter den Menschen ge-
boren zu werden.
I. Ein weit verbreiteter Kinderreim lautet:
1) Ettmüller, Ags. Lesebuch 300, XXV:
— — — grundum ic hrine
Helle iinderhnige ; heofonas oferstige
Wuldres egel; wide rsce
Ofer engla eard; eoröan gefylle
Ealdnc middangeard; and merestreämas
Side inid me selfum.
2) Ed. Osk. Schade 18. Aehulich sind Ausdrücke wie diese: der smit
üz Ob er lande = Gott. Frauenl. Fr. L. 11, 1 ze zeseme in derhiniele
laut Frauenl. Kr. L. 170. Das kint, das kumt von oberlant. Hoflmann,
Gesch. der Kirchenl. 170. Kenningar des Himmels sind ,, solar land, grund
hüs. Skäldskaparm. cap. 23. Sn. E. I, 316. Schwedische Volkslieder z. B.
das Rätsellied von Sven Svanhvit bewahren den Ausdruck Sonnenland
noch. Svenska i'olksvisor II, 138 fgg.
328
Krüne krane swikle swäne a)
Waner söffe no Engelland färe? b)
Engelland es geslöten
De slötel es tobröken.
Wofan söl fi ne weder mäken?
Fan stenen, fan benen.
Krüpe dörch allene 0 •).
1) Elberfeld mündl. d. Woeste. Firmenich, Germaniens Völkerstimmen
I, 426. (Kranich, Kranich, weifser Schwan, wann sollen wir nach E. fahren?
E. ist geschlossen. Der Schlüssel ist zerbrochen. Wovon sollen wir ihn wie-
der machen? Von Beinen, von Steinen. Krieche durch allein!). Swikle alts.
svigli bedeutet weifs. a) Unser Anfang lautet in den Varianten: Krone
krane schwekele schwane Meurs aufgez. v. Greef. Mit Abfall des an-
lautenden s in swane und swikle: Kronekrane wiklefane Bilk a. Leysers
handschr. Xachlass auf der Universitätsbibliothek zu Leipzig. Krone krane
wekelefäne Düsseldorf Firm. I, 431. Kronen kranen wikelen fanen
Düsseldorf d. Lehrer Engels. Euse kränz icctklewanz Köln d. Hocker. Ruse-
Tcranz weklewanz ebend. Weiden Kölns Vorzeit 221,2 entstanden aus krwnes
kraries ivikles wanes aus krwne skraries swikle swanes. Wie in engl. Dick
aus Eichard, Bob aus Robert das inlautende b und auslautende d in den An-
laut übertrat, hat hier das Streben nach Gleichlaut das s von swikle und
swane in den Anlaut von krane und den Auslaut von swane hineingezogen. —
Mit dem üebergang von w in m und von k in p (vgl. machoUer = wachol-
ler, Wachholder; smode sanft = swoede; wispelte = mispel; nl. maar =
uewäre. Gram III, 244. lat. mare skr. vari und knippen = knicken s. Zeitschr.
f. vgl. Sprachf. IV, 176. 184): Krune krane 7/iis^jlefäne (aus wisklewane,
das s von swane ist in den Inlaut von swikle getreten). Werden, Leysers
Nachlass — An die Stelle von kinine krane trat der in Abzählfonneln ge-
wöhnliche Anfang ene meue, ine miue, ene dene u. s. w. aus ene twene, ene
dwene u. s. w. Ane krane wikele wane aus ane krane (s)wikele
(s)wane Anhang z. Wunderhorn 1809. S. 90. Daraus Erlach IV, 446. Dich-
tungen aus der Kinderwelt Hamburg 1815 S. 87. Ene mene zucker-
zene (sfäckerfsene) aus SYrickelsy^icene mit Üebergang von l in r. Vergl.
nd. armes = almosen, lirge = lilie, lilge, prüme = pflaume, hämer = hä-
mel, hammel u. s. w. Zeitschr. f. vgl. Sprachf. III, 182. Müunichhüffen bei
Minden — en-ke menke minke manke aus en(ke) dwen(ke) swinke swan(ke)
Graudenz d. Lehrer Beyer. Engel bengel kwintikwant aus enege
benege (ene, twene) (s)winkle (s)wan(d) Siebenbirgen d. Haltrich.
Ebenso aufzufassen sind ine mine mäne Kannstein in Westphalen. Hagens
Germania IX, 291, 34. ene, mene, mine, mone Zürch d. H. Runge. —
Statt des unverständlichen swikle trat das Svnonymum witte in den Vers.
Enne denne witte wanne aus ene dwene witte swane Grafsch.
Tambach in Franken Firm. II, 404. Ene dene mit em Lene aus ene
dwene witte swene. Mittelsaar Firm. II, 556. One tone widerstand
aus ane twäne witte swan(d) mit Hinzufügung des d nach w (wie in
mond, jemand; das t in stand ist durch den Einfluss des s hen-orgerufen).
Thüringen d. Richard KreU. — Die oberdeutsche Form weifs bieten dar:
Krune krane wifse schwane. Aachen Myth. ^ 400. Ane krane
weifse schwane Simrock Kinderb.* 157, 437. — Mit dem Üebergang von
329
Der Kranich (krune krane) und der weifse Schwan,
die beiden elbischen Tiere, von denen das letztere Frouwas
w in b und r in l (über das erstere s. Zeitschr. f. vgl. Sprachf. IV, 178, zu
dem zweiten Lautweclisel vgl. nd. alberte == Erdbeere, mälgeublaume = Mär-
genblaume, Marienblümchen): Eine kleine weifse Bohne aus ane kräne
wilse wäne (= swaue) Pommerellcn; "Waidenburg in Sachsen d. Dr. Hilde-
brand in Leipzig; Magdeburg mündl; Oldenburg Thöle imd Strakerjan aus
dem Kinderleben S. 55. Eine weifse Bohne Berlin d. Beyer. One bone
weifse bone. Harz. Pröhle, Kinder- und Volksmärchen S. XXH. eue tene
weifse b ohne Dessau Fiedler Volksr. a. Anhalt-Dessau S. 48. Daraus Firm,
II, 233. Witte bohne rohe bohne ebendas. ene bene bunte bone
Genthin, Regierungsbez. Magdeburg — äne däne daffetband (band aus
swan(d). Stoeber, Elsäss. Volksbüchl. 23, 37; daraus Simrock, Kiuderb.^
181, 749 — enige benige bink und bank (bink imd bauk aus swikla
stuaiike) Wurmlingen. Meier, Kinderr. a. Schwaben 33, 108. — ene mene
miken mäken, harrn mest un wull mi stäken, harrn stock un
wuU di slän, kumt lät ims beid nä Engelland gän. Bremenser
Kinder- und Ammenreime 63, 7; aus dem Bergischen Leysers Nachlass; Ha-
gen und Bus Chi ng, Sammlung deutscher Volkslieder Berlin 1807. S. 281, 115.
Daraus Erlach IV, 447 — ine mine donke danke Siegen Firm. I, 520.
Janke Tanke fär nich weg, fär nich nach E. Pommerellen. Möne
(morgen) dann wöfe no Engelland fahren. Elberfeld. Firm. I, 420.
b) Willst du mit nach Engelland? Münnichhüften bei Minden. Dessau
Fiedler, Volksreime S. 49. No. 54; Thüringen d. Richard Krell; Genthiu Re-
gierungsbez. Magdeburg. Wet du bet no Engellande? Siegen Firm. I,
520 fahren wir nach E. Siebenbirgen d. Ilaltrich. Gehen wir nach
E. Tambach in Franken. Firm. II, 404; Wurmlingen Meier, Schwäbische
Kinderreime 33, 108; Zürch d. H. Runge kimmste mit nä E. Dessau
Fiedler, Volksreime S. 48, 54; daraus Firm. II, 233. Gehst du mit nach
N. Mittelsaar Firm. II, 556. Schmitz, Sitten und Gebräuche der Eifel. 78.
Kumm, lät üs beide nä Engelland gän Bremen. Schmidt, Ammenreime
63, 7. Kumm wi will beid na E. gän a. d. Bergischen, Leysers Nach-
lass; Mark v. d. Hagen und Büsching, D. Volksl. S. 281, 115. Daraus Er-
lach IV, 447. Wir wollen miteinander nach E. gehn. Hildburgshau-
sen d. Lehrer Anding. Wollen wir nicht nach E. fahren. Anhang z.
Wundcrhorn III. 1809. S. 90. Daraus Dichtungen aus der Kinderwclt Ham-
burg 1815. S. 87 und Erlach IV, 440. Wer will mit nach E. Kannsteiu
in Westphalen Hagens Germania IX, 291 ; Magdeburg. Wer geht mit mir
nach E. Meier, Kinderr. a. Schwaben 33, 109. Wer will mit nach E.
fahren Köln d. Hocker; Aachen Myth. ^ 400. Düsseldorf Firm. I, 432;
ebendas. mündL d. Lehrer Engels; Simrock, Kinderb.' 157, 437. We will
met no Holland fahre Bilk Leysers Nachlass. War will met no Äng-
land gon. Köln Firm. I, 460. Wollte mal nach E. fahren. Olden-
burg Thöle und Strakerjan, A. d. Kindcrlebcn S. 55; Pommerellen. Führt
mich hin nach E. Berlin d. Bcyei-. Fülirte mich nach E. Pomme-
rellen. Ging mit nach E. Waidenburg in Sachsen d. Dr. Hildebrand in
Leipzig, 's isch nit wid vun Engelland Stöber, Elsäss. Volksbüclilcin
S. 23. No. 37. Daraus Sunrock, Kiiulerbiich 3 181, 749. Firm. II, 522.
fär nich nach E. Pommerellen. Geh doch nicht nach E. Graudcnz
d. H. Bej'er. 'Merkwürdig sind die Varr. cnt, two, dre ver f i f , wc will
mit to krieg, we will mit nä Engelland? Pricgnitz d. Lehrer Deichen.
330
(Freyjas) heiliger Vogel war (s. Zeitschr. für D. Myth. I,
305 fgg.)? werden aufgefordert den Sänger ins Land der
Engel, das Eibenreich, zu führen. Dasselbe ist jedoch ge-
schlossen, der Schlüssel verloren. Die Angabe der Art und
Weise, wie der Schlüssel wieder herzustellen sei, zeigt uns,
was unter Engelland zu verstehen ist. Es kommt überein
mit dem Glasberg unserer Märchen. Dieser wird näm-
lich auch mit Beinen aufgeschlossen. Ein kleines Mäd-
chen sucht ihre in 7 Raben verwandelten Brüder auf dem
Glasberg. Unterwegs gab ihr der Morgenstern ein Hin-
kelbeinchen und sprach: Wenn du das Beinchen
nicht hast, kannst du den Glasberg nicht auf-
schlief sen. Schwesterchen verliert jedoch den Knochen
und als es an den Glasberg kommt, hat es keinen Schlüs-
sel. Da schneidet es sich den kleinen Finger ab, steckt
ihn in das Tor und schliefst glücklich auf). In andern
Recensioneu desselben Märchens wird der Glasberg erstie-
gen, indem derjenige, welcher ihn beschreitet, Hüner-
knochen in denselben steckt und sich daraus
eine Leiter bildet^). Bei Meier, Märchen S. 174. No.
49 braucht das Mädchen zwei Hünerfüfse, um in den
Glasberg zu kommen. In Brüderchen und Schwesterchen^)
führt der Weg zum goldenen Schloss über eine gläserne
Brücke, die geht steil hinauf zum Schlosse und
ist so glatt, dass sie Niemand ersteigen kann, er tauche
Willst du mit nach Bonapart? Dieses Bonapart ist aus Bomelland, Pom-
merland entstanden s. u. S. 347. Hopfgarten bei Darmstadt d. Lehrer Föl-
sing. c) Engelland ist zugeschlossen, Schlüssel ist entzwei ge-
brochen geht mit unwesentlicher Abweichung durch alle Varr. und Mund-
arten. Von den übrigen Lesarten werden wir die wichtigern im Verfolg
namhaft machen. Der schlössel iss zerbreche, mer welln'nen Wid-
der mäke von bene, von stene, von allerhand leckertüch. Düsseldorf
Firm. I, 431. E. ist geschlossen, der Schlüssel ist zerbrochen,
mer wolln 'ne neue machen, von Steine, von Beine, von aller-
hand leckere Sachen. Düsseldorf d. Lehrer Engels. schlötel is ter-
broken, we we eine maken? van beine van steine, engle bengle
bus. Werden, Leysers Nachlass.
1) KHM. No. 25.
2) KHjyL 111,3 45.
3) Zeitschr. f. D. Myth. I, 310.
331
denn die Knochen einer schwarzen Henne in Syrop und
lege sie als Leitersprossen auf die Brücke. In meh-
reren Märchen führt der Weg zum Glasberg durch das
Land des Windes, der Sonne und des Mondes.
Von hier ist es noch weit bis zum Glasberg. Derselbe
muss also über jenen liegend gedacht sein und wir werden
nicht fehl gehen, wenn wir in ihm den nordischen ViS-
bläinn, das kristallhelle, weitblaue Himmelsgewölbe über
der Wolkenregion, in dem goldenen Schloss eine dem Gi-
mill entsprechende Stätte erkennen. Den vollen Beweis
liefert das schon oben S. 217 namhaft gemachte norwegi-
sche Rätsel, das wir seiner Wichtigkeit wegen noch ein-
mal hersetzen:
Da stend ein hund paa glasberg
og goyr üt i havet. Aufl.: Vindeu.
Das Meer, in welches der Hund (der Wind) hinaus-
bellt, ist das Wolkengewässer, der Glasberg der Himmel.
In neuerer Umbildung findet sich dieses Rätsel in Schwe-
den'):
Der stär en hund pä Skälleberg (Bellberg)
han skalier öfver haf och land,
bans namn er sagd;
men ingen gisser det te' qwäll. (sagd);
oder;
Päfwen i Rom
han havde en hund
han liette som du,
han bette som jag,
som folk, som fä,
som topp, som trä,
som alla de djur i skoga ä;
hwad hette hunden? (hwad).
Diese Umkehrungen des alten mythischen Rätsels zu
Vexirrätseln zeigen deutliche Uebereinstimmung mit einem
deutschen Rätsel gleicher Art, dem nunmehr auch dieselbe
mythische Grundlage zuzusprechen ist:
1) Dybeck, Ruiia 1848, No. 38. 39. Zeitschr. f. D. Myth. III, 354.
332
Dar was eu hund in Engelland,
den hund sin näm was mi bekannt
den hund sin nam was mi vergäten
hef't dremal segt, schast nonuig weten. (Was)')
Geht hieraus hervor, dass der Glasberg und unser En-
gelland identisch sind, dass beide das blaue Himmels-
zelt bedeuten, so weist eine unserm Rätsel ganz ähn-
liche Strophe in dem Volksliede „von eitel unmöglichen
Dingen" ebenfalls darauf hin:
Wenn ich dir soll eine Peitsche machen
Von hundertfunfzig Meilen,
So sollst du mir die bunte Kuh
Den gläsern Berg hinauftreiben^).
Die meisten für den Menschen unerfüllbaren Forderun-
gen, welche in den verschiedenen Kecensionen dieses Lie-
des aufgestellt werden, sind Taten, deren wirkliche Erfül-
lung das Volksmärchen oder die Volkssage durch mit über-
menschlicher Kraft oder Hilfe ausgerüstete Helden meldete;
sie gründen sich somit auf alten, hier ins Lächerliche ge-
zogenen Mythus. Oben S. 7 lernten wir die am Himmel
wandelnde Wolkenkuh kennen, S. 113 sahen wir Thunar
als Stier auf der grofsen Himmelswiese weiden. Es wird
eine Sage gegeben haben , dass die Wolkenkuh den Glas-
berg (das Himmelsgewölbe) von einem Gott (vgl. Thunar
als Kuhhirt) hinaufgetrieben wurde. Dass die bunte Kuh
mindestens gleich der schwarzrandigenKuh S. 7 my-
thisch war, beweist die Redensart: Das weifsGott und
die bunte Kuh ^).
Der Glasberg ist nun wie Viöblainn der Aufenthalts-
ort von Eiben. So führt, nach einem Wiener Märchen,
Schneewittchen guten Zwergen im Glasberg denHaus-
1) Thöle und Strakerjau, Aus dem Kinderleben S. 76. Ganz überein-
stimmend mündl. Münniclihüflen bei Minden. Die von Woeste, Zeitsehr. für
D. Mj'th. III, 185, 29 beigebrachte Variante setzt Pömelland au die Stelle
von Engelland.
2) L. Erk, Deutscher Liederhort S. 334. No. 152. Str. 5.
3) Müudl. Pommerelleu.
333
halt. Ihre bösen Schwestern fragen den Spiegel, wer die
Schönste im Lande sei und erhalten zur Antwort:
Die Schönste ist auf dem Glasberge
Wohnt bei den kleinen Zwergen ').
In einer Variante desselben Märchens lautet die Frage an
den Spiegel:
Spiegel unter der Bank
Sieh in dieses Land, sieh in jenes Land,
Wer ist die Schönste in Engelland?
und wiederum lautet die Antwort: Schneewittchen bei den
7 Zwergen '^). Wir sehen hier also wiederum die Identität
des Glasberges mit dem mythischen Engelland. Kö-
nig Gübich wohnt mit seinen Zwergen ebenfalls auf dem
Glasberg ^). Auf dem verwünschten Berge, der so
steil, so glänzend und schlüpfrig ist, als wäre
er mit Oel übergössen, tritt dem Tirolischen Hansl
zuerst ein kleines Männchen mit langem Bart in den Weg'').
Ein graues Männchen verschajfft einem Trompeter den Zu-
gang zum Glasberg ^).
Da die Zwerge Seeleu sind "), so giebt sich schon hie-
durch der Glasberg, wie Viöbläinn als Seelenaufenthalt
knnd. Wir haben aber dafür noch andere wichtige Zeug-
nisse. Nach einem dänischen Volkslied'') befindet sich Bryn-
hilldr, welche nach der eddischeu Darstellung- in einem mit
der Waberlohe umgebenen Saale schläft, auf dem Glas-
berge, den Sigfrid mit dem Rosse Grani hinaufreitet und
gradeso berichten unsere Märchen von einem Glas berge,
auf welchen Jünglinge oder Jungfrauen verwünscht sind,
die von denjenigen, welche ihn erklimmen, befreit werden.
Mit Recht schliefst W. Müller'): „Beide Vorstellungen trcf-
1) KHM. III. 3 90.
2) KlIM. a. a. O. 89.
3) Colshorn, Sagen und Märchen S. 73. No. 23.
4) Zingerle, KHM. aus Süddeutschland S. 3. 4.
5) Pröhle, Kinder- und VolksniiirclionS. 104. No. 30. II.
6) S. oben S. 207. Sdiambach und Müller, Nieders. Sagen S. 382. 383.
1) Udvalgte Danske Viser I, 132.
8) Altdeutsche Religion S. 398.
334
en in ihrer Bedeutung überein, der Glasberg ist mythisch
sfleich dem mit der Waberlohe ump-ebenen Saal." Da wir
nun in letzterem oben S. 180 die blitzumloderte Wolke, in
welcher Holda mit den Seelen weilt oder hinter welcher
im lichten Himmelsraum (ViSblainn) die Seligen wohnen,
nachwiesen, so ist damit ein abermaliges Zeugnis für die
von uns angegebene Bedeutung des Glasbergs gewonnen.
Ueberdies tut W. Müller dar^), dass die Zustände der auf
den Glasberg oder sonst Verwünschten genau den Zu-
ständen entsprechen, welche andere deutsche Mythen klar
und bestimmt den Toten, den Seelen zuschreiben.
Ist, wie wir annahmen, das goldene Schloss auf
dem Glasberge dem nordischen Gimi 11 aufViöbläinn
im Grunde eins, so muss die Vorstellung davon ebenfalls
in jene Urzeit hinaufreichen, welche der Eddenreligion vor-
ausliegt. Dies bestätigt die folgende Betrachtung. Wir
können mit ziemlicher Sicherheit aus den vorhandenen Sprach-
resten auf das einstige Dasein eines starken Verbums goth.
GLISA, GLAS, GLESUM, GLISANS; nord. GLES,
GLAS, GLÄSUM, GLESINN mit der Bedeutung glän-
zen, leuchten zurückschliefsen. Vom Stamme des Prät.
Singul. dieses Verbums haben sich folgende Ableitungen
erhalten; ags. glas, aldnord. glas und glar vitrum (vgl. die
Zusammensetzungen glas-ker n. PI. vasa vitrea, glarmeistari
vitriarius), Schweiz, glarren, glaren splendere; die glurren
oculi (splendidi) glasir res splendida. Vom Plural des Prät.:
glesum. (Tac. Germ. 45. Plin. bist. nat. 37, 3), ags. gltere.
succinum, glser mare vel aer; gloerhiminn aer purus
et serenus; glsesa polire glneselegr splendidus. Glaesir
res splendida; glaera facula, gljering fulguratio. Von der
Ablautstufe des Präsens endlich kommen altn. gier vitrum,
glerhallr quartzum''). Soviel zum sprachlichen Verständnis
der folgenden mythischen Angaben, welche sich in nordi-
schen Quellen erhalten finden. Glas sagt nach unserer
1) Nieders. Sagen S. 386.
2j Vgl. im Allgemeinen über diesen Stamm Grimm, Gesch. der D. Spr.
718. Zacher, Das gothische Eunenalphabet 81 fgg.
835
Untersuchung nichts anders als „res splendens" aus, so-
mit wird die ursprüngliche Bedeutung von Glasberg „der
glänzende Berg" sein. In der Jarlmagussaga ist von
einem Paradies die Rede, wohin alte Helden reiten.
Dieser Seelenaufenthalt heifst Glerhiminn. Da wir
eben vorhin das nur ablautend verschiedene glser himinn
als Bezeichnung des Sonne durchleuchteten blauen Him-
mels kennen lernten, ist die Uebereinstimmung von Gler-
himinn und Viöbläinn wol klar. Dass die Vorstellung
vom Glanzhimmel (Glerhiminn) tieferen Haft in der altger-
manischen Vergangenheit hatte, zeigt das Wort glser d.i.
die blaue Luft. Wenn nun die HerrauSs og Bosissaga
ein Seelenreich Glassisvellir') (campi splendoris sive
rerum lucidarum) nennen (das auch Saxo bekannt und von
W. Müller als alte und echte Ueberlieferung von einem
heidnischen Totenaufenthalt nachgewiesen ist)'-),
wenn ferner die Skälda von einem goldbelaubten Haine
Glasir weifs, der vor den Sälen Vallhölls steht, in wel-
chen Oöinn die Seelen der gefallenen Helden empfängt^),
so wird es wahrscheinlich, dass alle diese Stätten Gler-
himinn, Glsesisvellir und Glasir Reste eines Urmy-
thus enthalten, der von einem Glerhiminn gleich dem
Glasberg unserer Märchen berichtete.
Auch die Sage der nahverwandten Letten und Slaven
weifs von einem Glasberg zu berichten, der Seele n au f-
enthalt ist. Bei den alten Litauern war es ein religiö-
1) In diesem Laude Gltesisvellir soll ein Ort Ödäinsakr (Unsterb-
lichkeitsfeld) liegen, vro Niemand stirbt, jeder Kranke genest, jeder
Greis sich verjüngt, ganz wie der himmlische Kinderbnmnen als löuns
Brunnakr Kranke heilt s. o. S. 19G als Jungbrmmeu verjüngt s. o. S. 273.
2) Niedersächs. Sagen S. 374 fgg.
3) Skäldskaparm. cap. 34. Sn. E. Am. I, 340. Auch auf dem Glas-
berg steht nach vielen Märchen ein solcher goldner oder sonst wun-
derbarer Hain. — Wie der Hain Glasir, obwol aus voreddischer Eeligions-
periode stammend, in OÖins ÄsgarS überging, lässt Gylfaginning 3 OSinn
(Allföör) Gimill mit den Seelen der Eechtschaftenen bewohnen und nennt
als Synonymum von Gimill Vingolf, während Gylfag. 20 gesagt wird OJSinn,
der den Namen AllföÖr führe, empfange die Helden in Vallhöll oder Vin-
golf.
336
ser Glaube, dass die Seelen der Verstorbenen einen steilen
Berg hinan müssen, weswegen man auch Luchs- und
Bärenklauen und anderes zum Hinaufsteigen
Dienliche zugleich mit dem Leichnam verbrannte. Auf
diesem Berge wohnte die höchste unbekannte Gottheit, der
oberste Richter (kriwe kriweito) und richtete die Taten der
Menschen. Je reicher man gewesen war, desto schwerer
wurde das Klettern, denn das irdische Gut belastete die
Seele. Der Arme hingegen kam leicht hinan, wie eine
Feder, wenn er die Götter sonst nicht beleidigt hatte. Die
Sünder hob nämlich ein grofser Drache Namens Wizunas
empor, der ihnen unterwegs die Glieder abfrafs, die ar-
men Sünder führte der Wind in die Höhe'). Die-
ser Berg heifst den Litauern Anafielas. Unter dem pol-
nischen Landvolk geht noch bis auf den heutigen Tag die
Sage, dass die Seelen der Verdammten auf einen glä-
sernen Berg (szklanua gora) klettern müssen und dann,
sowie sie einen Fufs auf den Gipfel gesetzt, ausglitschen
und taumelnd wieder herunterfallen^). Woycicki teilt uns
folgendes Märchen von der Szklanna gora mit. Auf dem
hohen Glasberg steht ein goldenes Schloss (vgl. Gi-
mill) und vor dem Schloss ein Apfelbaum mit gol-
denen Aepfeln (vergl. Glasir), im Schlosse selbst aber
baust eine verwünschte Fürstentochter. Viele suchen zu
Pferde den Berg zu erklimmen, glitschen aber unterwegs
aus und fallen tot amFufse des Berges nieder, wo
die Leichname liegen bleiben. Ist einer schon zur Hälfte
hinauf, so hackt ein böser Falke dem Pferde die Augen
aus und der Ritter sinkt in die Tiefe. Endlich kommt ein
1) Wo,vcicki Klechdy II, 134. 135. Woycicki, Polnische Volkssagen
und Märchen übers, von Lewestam. Berlin 1839. S. 156 Narbutt I, 284.
Hanns, Slavische Myth. 415. Myth.'^ 796. Albert Wijuk Kojalowicz erzählt
(Geschichte von Litauen I, 5. S. 140; vgl. Hartknoch 188) vom Leichenbe-
gängnis des litauischen Fürsten Szwentorog : Als der Leichnam verbrannt war,
erhoben die Anwesenden laute Klage und die Vornehmsten des Landes war-
fen abgeschnittene Klauen von Bären und Panthern (?) in das Feuer,
um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen.
2) Woycicki a. a. O.
337
Jüngling, der sich die scharfen Krallen eines Luch-
ses an Händen und Füfsen festgemacht hat, bis nahe zum
Gipfel und sinkt hier vor Ermüdung in Schlummer. Der
Falke hält ihn für Aas und trägt ihn, die Krallen ins Fleisch
bohrend, bis ans goldene Schloss, wo der Jüngling dem
Vogel die Füfse abschneidet und sich so niederlässt. Mit
den goldenen" Aep fein, die er vom Baume pflückt, be-
sänftigt er den bösen Drachen, der den Eingang zum
Schloss verwehren will. Er bleibt nun ewig bei der
erlösten Princessin und kann nicht wieder auf
die Erde. Vom Blute des Falken, das auf die Erde
tröpfelt, werden die Leichen unten am Berge wieder
belebt'). Das slavische Ersteigen des Glasberges mit
Hilfe der Luchs- und Bärenklauen steht deutlich dem
deutschen Erkhmmen durch die Hühnerknochen gleich.
An eine Entlehnung ist bei der Abweichung der specielle-
ren Züge nicht zu denken, die Sage vom Glasberg muss
also in die gemeinsame Urzeit der Letten, Slaven und Ger-
manen hinaufreichen.
Kehren wir nunmehr nach Deutschland zurück, so fin-
den wir noch in der höfischen Poesie des dreizehnten Jahr-
hunderts mit dem Glas b er g die Vorstellung vom Para-
diese verbunden. Im jüngeren Titurel heifst es:
1) Woycicki, Polnische Volkssagen, übers, von Lewestam S. 115. Sollte
die Belebung der Gestorbenen unterhalb des Glasbergs ein Rest des Glaubens
an die Wiedergeburt sein, auf -welehen auch bei Letten und Slaven meh-
rere Spuren hinzudeuten scheinen? Unter den russischen Soldaten ist der
Glaube verbreitet, wenn sie in fernem Lande auf dem Schlachtfelde stürben,
würden sie in der Heimat wieder aufleben. Kojalowicz fügt dem obenerwähn-
ten Bericht über die Bestattung des litauischen Szweutorog hinzu : ,,Denn von,
einem andern Leben der Menschen nach dem Tode, und von der Wieder-
kehr der Seelen zu ihren Leibern, wann ein Gott der ihnen unbe-
kannt auf einem hohen Berge das ganze Menschengeschlecht aus den
Gräbern rufen und richten wird, haben die alten Litauer, wiewol sie in gött-
lichen Dingen ganz imerfahren gewesen, etwas geglaubt." Vinc. Kadlubeck,
Bischof von Krakau (f 1223) schreibt von den alten Preufsen, die er Getcn
nennt: ,,Es ist ein gemeinsamer Unsinn aller Geten zu glauben, dass die
Seelen, welche die Leiber verlassen, wiederum in geboren
werdende Leiber eingehen, dass manche auch durch die Annahme von
Tierleibem tierisch werden."
22
338
daz paradys vil nahen lit des kuniges heime
wan daz ez undervahen kan ein berc vor aller vogel
sweirae,
gehohet hoch al ober sich die rihte
eben glase helle, daz niht daran gekleben mac vor
slihte ' ).
Unsere Volkssagen und Kiuderlieder kennen den Glasberg
gradezu als Holdas Bergaufenthalt d. i. die Stätte, in wel-
cher die Kinderseelen weilen. Ein kleines Mädchen, das
von seiner Stiefmutter aus dem Hause gejagt wird, schläft
im Walde auf einem Berge ein. Ein graues Männchen,
ein Zwerg, der ihm einen warmen Mantel und eine goldene
Schale mit Suppe sammt einem GoldlöflPel zum Essen und
eine goldspendende weifse Katze (vgl. Freyjas heili-
ges Tier) zur Gesellschafterin gegeben hat, lässt das Kind
in den Berg zum goldenen Schlosse tragen. Dawar
es in einem grofsen Saal und hatte viele kleine Kin-
der um sich, mit denen es afs und trank und später auf
einer grofsen Wiese spielte und tanzte'*). Ist der Berg
hier auch nicht geradezu Glasberg genannt, so giebt ihn
doch das goldene Schloss als solchen kund. Deutlicher
sprechen sich die Kinderlieder aus:
1.
Es sitzt beim brünnl
A holdige frau;
hats kindl aufghoben
Auf d' stieg aufiglegt.
Wo is denn dös brünnl?
Am gemmigen herg.
Wo is denn der berg?
Die muttar hat den schlüssl.
Wo is denn die muttar?
Beim goldenen brünnl.
Hat's kindl aufghoben
Auf d' stieg aufiglegt.
1) Titurel ed. Hahn. Quedlinb. und Leipz. 1842. Str. C044. S. 594.
2) Colshorn, Märchen und Sagen S. 135. No. 40.
339
2.
Mutter Gottes tut wasser tragen
Mit goldenen kannen
Aus dem goldenen brünnel.
Da liegen viel drin.
Sie legt's auf die kisser
Und tut sie still küssen,
Und tut sie schön wiegen
Auf der goldenen stiegen.
3.
Is gor a schöner garten,
Sein schöne lädle drin,
Und blume wunderschün.
Der weg der is vu gülden,
Die Staffel sein vu glos.
Z'oberst droba sitzat
A wundarschüne frau,
Hats kindl aufm arm
Mit zepper und mit krön •).
Fassen wir die hier dargebotenen Züge zusammen, so
ergiebt sich die Vorstellung: Am oder auf dem Berge,
dessen Staffeln von Glas sind, dem Glasberg, liegt der
goldige Brunnen, in welchem eine holde Frau (Frau
Holda) die Kinderseelen hegt. Sie legt sie auf die
Stiegen, eins über das andere, genau wie in dem S. 273
bis 321 erläuterten Kinderspiel die Seelen, eines eine
Treppe über dem anderen sitzen. Vgl. besonders S.
304.305. Im oder unter dem Brunnen ist ein wunder-
schöner Garten, der eigentliche Seelen- oder Elbenauf-
enthalt. Nach Anleitung der vorhergehenden Untersuchun-
gen verstehen wir nun diese Angaben dahin. Ueber dem
Wolkenhimmel, dem himmlischen Kinderbrunnen, dehnt
sich das glashclle blaue Himmelsgewölbe aus, der
Sitz Holdas mit den Seelen, der als freudenreicher Lust-
aufenthalt bald als goldenes Schloss, bald als blühen-
1) Alle drei Lieder aus Tirol d. J. V. Zingerle.
22*
340
der Garten gedacht ist. Von der Erde aus betrach-
tet liegt dieser hinter dem Brunnen, dem Wolkenge-
wässer und es ist nun deutlich, weshalb man die Seelen
bald im, bald hinter dem Brunnen sitzend denken
konnte. Zugleich ist es klar, dass der Glasberg verschie-
den ist von dem S. 182 nachgewiesenem Wolkenberge.
Wenn es vom goldenen Schloss heifst, dass es im oder
über dem Berge liege, so ist damit der letztere, der die
Herrlichkeit des blauen Himmelsgewölbes verdeckende Wol-
ke nf eis gemeint. Zu vergleichen stehen noch folgende
Kinderlieder :
1.
Dort oben auf dem Berge
Da wehet der Wind,
Da sitzt die Frau Maria
Und wieget ihr Kind,
Sie wiegt es mit ihrer schneeweifsen Hand
Und braucht dazu kein Windelband ^).
2.
Dreie sechse neune.
Im Hofe steht die Scheune,
Im Garten jagt der Wind,
Im Brunnen liegt das Kind.
Alte Hex spring!^).
In den Märchen vom Glasberg erscheint auf dem-
selben meistenteils ein Teich, See oder Brunnen. In
1) Simrock, Kinderb. ^ 71, 243. Schlesien Firmen. II, 348: Uffin berga,
da gibt dar -n-ind, da wiegt de Maria ihr kind mit ihrer schlohengelweifsen
hand, se hatt' och derzue keen ■windelband. Dieses Kinderlied ist in einem
alten Weihnachtsliede benutzt. HofFmann, Kirchenl. I, 171 V. 7. 8. aus der
Handschr. des Jungfrauenklosters zu Inzhofeu bei Sigmaringen, geschr. 1470
bis 1480.
2) Simrock, Kinderb.'* 191, 791. Leistenau bei Graudene d. Bej'er: 1 — 9.
In Schwetz steht eine lange Scheun, die ist voll Roggen und voll Weizen, wie
soll das Kindlein heifsen? Ente potente knix knax knorr! — Weifsen-
fels d. Lebing: 3. 6. 9, im Hofe steht die Scheun, im Garten jagt der
Wind, Hanne Marie spring! — Alttöplitz bei Potsdam: 1 — 9, Mädel um
die Scheun, Mädel um den Ring, die alte Hexe springt, Mädel um das
Haus, ich oder du must raus. Vgl.: Wer klopft an meinen vordersten
Ring? oben S. 283. No. 14.
341
diesem ist seit Jahren ein ganzes Bund goldener Schlüs-
sel verloren, welche den Eingang zum goldenen Schloss
gewähren. Enten (Schwanjungfrauen) holen dieselben her-
aus'). Wir sahen schon oben, dass der Schlüssel in
den Sagen von der weifsen Frau der Blitz ist. Da
nun derselbe als Hahn gedacht ist^), indem man das Krä-
hen des Huhnes mit dem Donner verglich, wäre es nicht
unmöglich, dass imter dem Hühnerknochen, mit wel-
chem der Glasberg erstiegen, geöffnet wird, der Blitz zu
verstehen sei, der die das leuchtende Himmelsgewölbe ver-
deckende, beschliefsende Wolke spaltet. Das Zickzack des
Blitzes bietet ebenso natürlich die Anschauung einer Lei-
ter. Ist die Himmelsburg verschlossen, ro ruht der Schlüs-
sel, der Blitz in dem Brunnen, der Wolke. Um diese Deu-
tung annehmbar zu finden, müssteu wir über die gleiche
symbolische Bedeutung der Bärenklaue in der lettischen
Mythologie unterrichtet sein. Doch bietet sich noch eine
andere gleich wahrscheinliche Deutung dar. Wir fanden
oben S. 299 die Hühnerknochen als Symbol der Seele
oder des Gestorben sein s. Des Körpers entledigt ent-
schwebt die Seele zum lichten Freudenaufenthalt auf dem
Glasberge. Hiemit würden denn auch die Beine und
Steine übereinstimmen, welche Engelland öffnen. Erst
wenn zwischen der Steinsetzung des hochaufgeschüt-
teten Grabhügels die Gebeine im Aschenkrug ruhen,
findet die Seele den Weg ins Totenland. Wir stellen
die Entscheidung dieses Problems weiterer Forschung an-
heim.
Haben wir nunmehr bereits vorläufig durch die Betrach-
tung des Glasberges ein Verständnis darüber gewonnen,
was unsere Volkspoesie mit Engelland meint, so ist jetzt
zu untersuchen, warum der Schwan aufgefordert wird
1) S. Pröhle, Kinder- und Volksmärchen S. 30. No. 7..
2) S. 146. Vgl. Zcitschr. Air D. Myth. ITI, 386. In Iserl&hn brauche
man statt des sonst in Westphalen gangbaren „duenermäge" den Fluch,
„häunerwiaär" Hühnerwetter. Mitteilung Woestes.
342
nach diesem Lande der Seligkeit hinzuführen. Der Schwan
ist der heilige Vogel des Nerthus (Njörör) und seiner Toch-
ter nord. Freyja, die die Herscherin der als Schwanjung-
frauen umfliegenden Valkyren war. Der Glasberg wird
in den Märchen als die Heimat der Schwanjungfrauen
genannt*). Freyja, die Schwester Freys, dem die Götter
in Urzeiten Liösälfaheimr (Viöbläinn mit Gimill) zum Zahn-
gebinde schenkten^), ist, wie wir oben S. 291 fgg. sahen,
die Göttin, welche die Seelen der Gestorbenen bei sich
empfängt und neugeboren auf die Erde schickt. Sind die
Valkyrien = den Mären d. i. Seelen, so wird in unsern
Volkssagen den Seelen häufig unmittelbar die Gestalt von
Schwänen zugeschrieben, oder der Schwan als Toten-
geleiter genannt''). Zeitschr. f. D. Myth. III, 46 erscheint
ein Toter als Schwan*). Ein Nachtwächter zu Kem-
nitz sah um Mitternacht, wenn einer aus dem Dorf
sterben sollte, einen weifsen Schwan aus dem See
steigen und zum Kirchhof gehn. Einst ging er vom Kirch-
hof zum Edelhof. Da starb der Edelmann in 8 Tagen ^).
Der Geist einer Jungfrau zu Ypern, welcher umgehen
musste, ward 1459 erlöst. Da flog er in Gestalt eines
weifsen Schwanes davon ^). Im Teufelssee bei Müg-
gelsberge bei Köpenick hat sich früher ein Schwan sehen
1) Z. B. Wolf, D. Hausmärclien S. 217. Kulda Pohädky a povesti na-
rodu moravskeho I. Xo. 66. S. 484 — 509. Auch König Schwan KHM.*
208 ist auf dem Glasberg zu Hause. Verwünschte Jungfrauen erscheinen
in Schwangestalt in einer im Berg versunkenen Burg bei Schätzen (dem
Sonnengold). L. Rocholz, Aargauische Sagen S. 144. Andere Nachweise
giebt Menzel Odin S. 303. Auf einem See im Berge schwimmt ein Schwan,
der einen Ring im Schnabel hält. Wenn er ihn fallen lässt, geht die
Welt unter. Gottschalk, Sagen und Volksmärchen der Deutschen. Halle
1814. S. 227.
2) Grimnism. 5.
3) Ueber den Zusammenhang des S c h w a n s mit der Toten weit sprach
schon W. Müller in Pfeiffers Germania I, 421.
4) In einer Variante desselben Märchens ist statt des Schwans nur im
Allgemeinen ein grofser Vogel genannt. Meier, Märchen No. 42. S. 148
sowie in noch andern Varianten Tauben. Simrock, Der gute Gerhard. Bonn
1856. S. 122.
5) Kuhn, Mark. Sagen No. 68.
6) Wolf, D. MS. No. 57. S. 176.
343
lassen. Das ist die Princessin gewesen, deren Schloss dort
im See versunken ist'). Drei durch Zauber in Schwäne
verwandelte Jungfrauen rufen, wenn Jemand auf der
Wakuitz ertrinken soll'^). Im Roman von Gawan führt
ein Schwan einen Nachen, worin ein toter Ritter
liegt ^). Gradeso führt ein Schwan den Loherangrin aus
dem Lande der Seligen nach Kleve und wieder zurück*).
Dieser Schwan wird ausdrücklich als Engel d. i. als Alb
bezeichnet. Auf Rügen endlich verrichtet umgekehrt der
Schwan die Rolle des Storches, man sagt dass er
die Kinder bringe^).
Wenn wir somit den Schwan sowol in das Leben
als aus dem Leben die Seele geleiten sehen als Boten
der seelenhütenden Göttin, so ist es klar, weswegen er auf-
gefordert wird nach Engelland in das Reich der Seligen
zu führen. Gradeso führt der Schwan in einem Märchen
auf den Glasberg. Schwesterchen gelangt auf den Berg,
der mit spiegelglatten Steinen gepflastert und
so schlüpfrig ist, dass sie jedesmal, wenn sie
eine Strecke hinan war, wieder herunterfiel, nur
mit Hilfe der Flügel und Beine einer Gans d. i. im
Schwanhemd ").
In Hessen zeichnete ich folgenden Kinderreim auf :
Mädche mach dei lädche zu,
s' kimmt e schwarzer harlebu,
kriegt dich an die linke band,
führt dich bis nach Hesseland,
Hesseland ist zugeschlossen
und der Schlüssel abgebrochen ^).
1) Kuhn, Nordd. Sagen No. 85. S. 81.
2) Deceke, Lübi^che Sagen No. 116.
3) Keller Romvart 670.
4) Vgl. V. d. Ilagen, Schwanensage; Reiffenberg, Le Chevalier au cygue.
5) E. M. Arndt, Schriften für und an meine 1. Deutschen. 1845. 111,547.
6) Beehstein, D. Märchenb.' S. 105.
7) Jugenheim a. d. Bergstrafse. Hiemit vergl. : Mädle niachs lädle zu,
kommt a Zigeuuerbu, führt di an deiner band in das Zigcunerland.
Meier, Kinderr. a. Schwaben S. 52, 189. Maidel machs fenster zue, s' kinnnt
e dragonerbue, hebt di am ehrel, fiehrt di an's dehrel (Tür), hebt di am bau-
344
Wenn die beiden letzten Verse nicht ein ganz junger
Ansatz sind, was freilich die Varianten wahrscheinlich ma-
chen (doch dürfte in denselben ebensowol der Schlusssatz
abgefallen sein), so steht Hessenland an Stelle von Engel-
land und die Reime enthalten einen Mythus wie den von
"Wolf, Beiträge zur D. Myth. I, 170. 171 besprochenen vom
Zwerge, der ein auf ihren Geliebten harrendes Mädchen
bei ihrer weifsen Hand nimmt und in das Eibenland zu
seiner Mutter (Holda) führt:
Er füert si in ainen holen perg,
da war des twerges muter
und andre klaine twerg.
Dass die Seelen in Holdas Berg auch als Zwerge ge-
dacht wurden, geht aus einem Tannhäuserliede hervor:
Frau Venus (Holda s. oben S. 264) spricht zu Tannhäuser:
Str. 2. Tanhüser ir seiend nit trüren,
ich bin die höchest in dem berg,
al euwer schult sint ir vermüren,
ich han so vil der edlen zwerg
helt, die müssen dienen dir.
und Str.4. ewer seiend dienen mine zwerg').
2) Als Seelenreich zeigen uns Engelland mehrere
Volkssagen. Der Heimatsitz der Maren ist nämlich En-
ge 11 and. Ein Knecht fängt eine Mär, die durch ein Ast-
loch in der Kammertür hereinkam und heiratete sie. Gerne
hätte sie das Astloch in der Wand gekannt, welches ein
Mitknecht sorgsam zugesteckt hatte. Einmal bat sie sehr
inständig es ihr zu zeigen und sagte, sie höre ihre Mut-
ter in Engelland die Schweine locken. Der Mann
liefs sich erweichen und zog den Propfen aus dem Astloch.
del, fiehrt di ins SchwizerlUndl. Stöber, Elsäss. Volksbüchl. 70, 185.
Mareili was machst? i chüechle für t nacht. Meieli tues' lädli zue, s' chunt
e dragonerbue, s' chöme Franzose: blaue pantoffli a, brüue spitzhose, samme-
tigs hüetli üf, und e rots bändeli drüf. Rocholz, Alemannisches Kinderlied
I, 185, 315. Meitli tue's lädeli zu, es chonnt e Franzos, het rote spitzhöseli
a, s' vodertal (Vorderteil) hennadra, meitli witt (willst) au en ma ? tra la la la.
Appenzell. Firm. 11, 665.
1) Mone, Anzeiger 1836. p. 169.
345
Sogleich war sie verschwunden und kam nicht wieder ' ).
Eine andere Mär bekennt weit weg aus Engelland zu
Hause zu sein^). Ein anderer Mann hatte eine Walri-
derske (Mar) gefangen und gefreit. Als er ihr einmal das
Loch zeigte, wo sie hergekommen, rief sie: „wq lüden
doch de klokken in Engelland so voll! und ist ver-
schwunden, aber alle Sonntage ist sie Nachts zurückge-
kehrt und hat ihrem Manne Wäsche gebracht ^). Bei Ol-
denburg in Holstein hütete eine Dirne am wilden Wasser
das Vieh. Sie wurde allnächtlich vom Mär geplagt. Mit
Hilfe ihres Bruders suchte sie desselben habhaft zu wer-
den, fasste aber nur einen Siebrand (Säwenrand). Der Bru-
der steckte den Arm hindurch und dachte „wie soll das
ablaufen?" Da fing der Siebrand mit einmal an zu ziehen
und wollte sich losreifsen. Als der Bursche trotzdem fest-
hielt, liefs sich eine Stimme vernehmen:
Och säwenrand, och säwenrand,
wanner kämt wi nach Engelland?
Erschreckt hefs der Bursche los, der Siebrand sprang ins
Wasser und schwamm fort*). In Barneize fand ein
Wildhüter an einem Steg, der durchs Korn führte, ein Sieb
und nahm es mit sich. Bald kam eine Frau, die ängst-
lich nach etwas suchte und rief: tcie weinen meine Kinder
in Engelland! wie weinen meine Kinder in Engelland! Der
Mann legt das Sieb nieder, da ist sie alsbald verschwun-
den^). Dieselben Sagen finden sich auch, ohne dass der
Name Engelland genannt wird. Ein Knecht, dessen
Pferde oft von der Mär geritten wurden, sah, als er sich
einst im Bache wusch, wie eine Muschel über das
Wasser schwamm und am Ufer anhielt und zu
gleicher Zeit riefen ihm seine Mitknechte zu, die Mär sei
1) Kuhn, Noi-dd. Sagen 14, 16.
2) Kuhn a. a. 0. 91, 102.
3) Kuhn a. a. 0. 298, 338.
4j Müllenhoff, Schleswigholstein. Sagen 244. 333. Dieselbe Sage aus
Rügen Zeitschr. f. D. Myth. II, 141, V.
5) Kuhn, Nordd. Sagen 262, 203. Die gleiche Ueberlieferung aus Thü-
ringen: Bechstein, Sagenschatz des Thüringer Landes I, 138.
34g
wieder auf den Pferden, die nun unruhig stampften und
ganz mit Schweifs bedeckt waren. Schnell lief er zum
Bache und steckte die Muschel in die Tasche, worauf die
Pferde ruhig waren und ein Weib zu ihm trat, die mit
kläglicher Stimme bat: „Gebt mir die Muschel zu-
rück, denn ich muss bis morgen früh dreihundert
Stunden von hier sein und tnuss meine Kinder cer-
sorgen und backen und buttern." Gegen das Ver-
sprechen, die Tiere nicht wieder zu quälen, gab er ihr die
Muschel zurück. Das Weib verschwand und langsam fuhr
die Muschel über das Wasser zum anderen Ufer '). Der
Trud oder Alp kommt oft weit her. Einmal sind Hir-
ten in der Nacht im Felde gewesen und haben nicht weit
von einem Wasser ihrer Herden gewartet, da kommt der
Alp, steigt in den Kahn, löst ihn vom Ufer ab und
rudert mit einer selbst mitgebrachten Schwinge
hinüber, steigt alsdann aus, befestigt den Kahn
jenseits und v erfolgt seinen Weg. Nach einer Weile
kehrt er zurück. So geschieht es mehrere Nächte hinter-
einander. Einmal nehmen die Hirten den Kahn fort. Da
hebt der Alp an zu winseln und droht den Hir-
ten den Kahn gleich herüberzuschaffen, wenn
sie Frieden haben wollten^). Häufig sieht man auf
dem Wasser schwimmende Eierschalen; darin fahren die
Eiben herum ^).
3) Dass unter Engelland in diesen Sagen nicht Grofs-
britannien, sondern vielmehr das Land der Engel, der Elbe,
der lichte Himmelsraum *) zu verstehen sei , geht aus den.
1) Wolf, Kiederländ. Sagen 61-i, 515. Vergl. Wolf, Beiträge II, 273.
2) Grimm, D. Sagen I, 130, 80.
3) Wolf, Niederl. Sagen 660, 572. Vergl. Myth.' LXXX, 328. Wer
ein Ei isst, soll die Schalen zerknicken, die Hexen (Elbe) nisten darin.
Vergl. Myth.' CLIX, 1119. LXX, 62.
4) Dies sagt auch ausdrücklich ein sonst sehr verderbtes Lied aus Hem-
schlag in Westphalen: „Inchen vom Minchen was wollen sie haben? da die
sieben Sterne standen, standen sie in Engelland. Husch safs ein
Weber auf dem Stuhl, wusst' nicht was er essen sollte, schele Milch und
Gerstenbrod, schlug das liebe Lieschen tot.
347
folgenden Volksreiraen vom Marienkäfer oder ^taikäfer
hervor :
1.
Marienwörmken flig fürt,
Flig fürt nach Engelland!
Engelland ist zugeschlossen,
Schlüssel davon abgebrochen ').
2.
Herrgottspferdchen fliege,
Vater ist im Kriege,
Mutter ist in Engelland,
Engelland ist abgebrannt.
Herrgottspferdchen fliege ! ^)
1) Alttöplitz bei Potsdam.
2) Miindl. Pommerellen. Aus folgenden Orten ist mir diese Recension
mit der Variante Pommerland statt Engelland bekannt: Berlin Hagens
Gennania VIT, 435. Mündl. d. HH. Lehrer Grimm imd Spanne; Alttöplitz
bei Potsdam; Adamsdorf bei Soldin d. H. Seelig; Treuenbrietzen d. H. Sachse;
Küstrin d. H. Lucas; Magdeburger Börde im Kreise Kalbe a. d. Saale. Firm.
I, 164. Genthin im Regierungsbezirk Magdeburg d. L. Erk; Weifsenfeis d.
Seminarist Lorber ; Grafschaft Rossla d. Seminarist Hessler ; Anhalt, Fiedler
95, 167. Daraus Firm. II, 228; Wernigerode d. Pröhle ; Hildburghausen d.
Lehrer Anding; Göttingen d. Bibliothekar Müldener; Grafschaft Mark, AVoeste
Volksüberliefer. 5; Mülheim im Möhnetale Firm. I, 344; Münstersche Ge-
schichten und Sagen S. 244; Meklenburg, Dr. Ed. Dürre, Erziehungsblätter
1851. S. 79; Dietzenbach bei Offenbach d. H. Rosenstiel — Düsseldorf Firm.
1,431: Pommeland. — Trier d. Hocker: Häverling flieg, dein Vater ist im
Krieg, deine Mutter ist im Kiederland , Niederland ist abgebraunt , Häverling
flieg! Vergl. d. H. Seminarist Sachse: Himmelskühchen fliege aus, fliege bis
nach Pommerland, Pommerland ist abgebrannt, es steht nur noch
die halbe Wand. — Potsdam d. H. Schulz: Marienwürmchen fliege doch,
dein Vater sitzt in der Röhre, Mutter ist in Pommerland; Pommerland ist ab-
gebrannt, Marienwürmchen fliege doch. — Weifsenfeis d. Seminarist Riethdorf:
Schake, schake rit, willst du mit inu Krieg? willst du mit nach Pommerland,
wo der Blaukohl stand? Dieses Pommerland begegnete uns schon o. S. 332
für Engelland imter der Form Pö mm eil and, und wir werden es später
noch mehrmals dafür verwandt finden. Ein gewöhnlicher, sehr verbreiteter
Ansatz für das S. 328 beigebrachte Kinderlied „Engelland ist zugeschlossen
u. 8. w." ist: Bauer bind' dein Hündleiu an, dass es mich nicht beifsen kann,
beifst es mich, so straf ich dich, hundert Taler kost' es dich. Bei Meier,
Kinderr. 60, 230 findet sich der fgg. Spruch : „Jäger bind dein Hündle an, dass es
mich nicht beifsen kann ; beifst es mich, so straf ich dich um en Gulden dreifsig.
Alle Pommerle ksch, ksch, ksch ; packs am Füfsle ps, ps, ps!" Meier a. a. O.
19, 58: „Gestern bin i z' Pommere gwä, z' Pommere in de nusse, ist e
buckligs mändle komme, hat mir meine nusse gnomme, ei so schlag der
Kukuk drein in das buckligs mändle nein! Dieser Käme Pommerland, Born-
348
3.
Kritzekrebs fliege,
Dein Vater ist im Kriege,
Deine Mutter ist in Engelland,
Engelland ist abgebrannt.
Hinter der Kirche liegt der Sand
Aussrestreut vor Engelland,
Engelland und Spanien
Dippel dappel danien ').
4.
Käfer, Käfer flieg ähnich (ohne mich),
Mei Mutter ist in Krähnig (Kronach ein Ort bei
Hildburghausen),
Mei Vater ist im Vaterland,
Sein Häusle dort ist abgebrannt ^).
Maikäfer flieg,
Dei Vater ist im Krieg,
Dei Mutter in der Asche,
Müefs der 'n Hemdle wasche ^).
6.
Flieg Käfer, flieg.
Dein Vater ist im Krieg,
Deine Mutter ist in'n Stiefel gekroche,
Hat das linke Bein gebroche "*).
meland muss eine mj'thische Bedeutung haben, die ich noch nicht verstehe.
Mit Pommern (Pomerauia) hat es begreiflicherweise nichts zu tun. Die Les-
art Bonapart o. S. 330 scheint ebenfalls auf Bommeland zu beruhen.
1) Weimar d. Reinhold Köhler. Kritzekrebs ist in Weimar und Um-
gegend ein sehr gewöhnlicher Xame des Maikäfers. Im Marktflecken Mei-
lingen, eine Stunde südöstlich von Weimar, ist am Dienstag nach Cantate
ein Jahrmarkt. Auf diesem Jahrmarkt hält man aus Teig gebackene Mai-
käfer feil.
2) Hildburghausen d. Lehrer Anding. Weifsenfeis in Sachsen d. Sem.
Niese: Flieg Käfer flieg, dein Vater ist im Krieg, deine Mutter ist in Sach-
sen, wo die Käfer wachsen. Vgl. K. H. M. 1819. II, XXIV.
3) Wertheim d. A. Kauftnann.
4) Weifsenfeis d. Seminarist Niese.
349
7.
Herrgottspferdchen fliege weg,
Dein Häuschen brennt,
Dein Kähnchen schwimmt^
Deine Kinderchen schreien nach Butterbrod;
Herrgottspferdchen fliege wegl ').
8.
Herrgottsperdke,
dine kinnerke schrie,
din hüske brennt,
fleg weg!^)
9.
Himmelsküchlichen flieg aus!
Dein Haus brennt,
Deine Kinder iceinen alle miteinander ^).
10.
Maikäfer fliege!
Dein Häuschen brennt,
Dein Löffelchen schmilzt,
Deine Kinder schreien nach Brod ! *)
11.
Herrgottsschäfchen, Fliegewäppchen,
Dein Töpfchen kocht, dein Kindchen kreischt,
Da kommen ihr sieben mit Spiefsen,
Wollen dich erschiefsen!
HasI hasi bu!^).
12.
Herrgottskühle flieg auf und davon,
Flieg zum hintern Türle naus,
Dei Mutterle flennt,
Dei Kinnerle liegen in der Wiege,
Da fressen sie alle Fliege^).
1) Danzig mündl.
2) Pommerellen mündl.
3) Weifsciifels d. Seminarist Richter.
4) St. Albrecht bei Danzig.
5) Schmitz, Sitten des Eifler Volkes S. 73. Daraus Simrock, Kinderb.
141, 550.
6) llildburghausen d. Lehrer Anding.
350
13.
Marienkäferchen flieg eweg!
Dein Häuschen brennt,
Dein Mütterchen flennt,
Dein Vater sitzt auf der Schwelle,
Flieg in'n Himmel aus der Hölle ').
14.
Ladycow, Ladycow, fly thy way home,
thy house is on fire, thy children all gone,
all but one, that ligs under a stone,
ply thee home, Ladycow, ere it be gone '^).
15.
Ladybird, Ladybird fly away home,
your house is on fire, your children will burn^).
16.
Maikäfer fliege fort.
Dein Häuschen brennt,
Dein Kreischen brennt,
Die Jungen sitzen drinnen
Und spinnen.
Und wenn sie ihre Zahl (10 Schock) nicht haben,
Können sie nicht spazieren gan*).
17.
Zulla zulla gogl
spinn, spinn a gaare,
der wewer will eins habe ^).
1) Myth.' 658, daraus Simrock, Kinderb. ^ 139, 543. In Frankfurt a. M.
Firm. II, 65: Käwerche, käwerche flieh ewegg! dein häusi brennt, dein mud-
derche flennt, dei vadderche sitzt ufF schawelle, flieh hoch in alle helle.
Vergl. noch: Maikäfer flieg uff, dien fiereli brennt, dien sibbele (Süppchen)
kocht, dien muader sitzt uff der schawälle (Schwelle). Stöber, Elsäss. Volks-
büchlein 44, 48, daraus Fum. II, 524. Simrock, Kinderb.^ 140, 547. Vgl.
W. Grimm K. H. M. 1819. II. XXIV.
2) Hunters Hallamshire gloss. S. 56. HalliweU nurserj'-rhymes 168, 380.
Vgl. Jamieson, Northern antiquities I, 322: Ladybird, Ladybird fly and be-
gonel your house is a fire and your children at home!
3) Myth.2 658.
4) Erfurt d. Frau Kuthmann in Halberstadt.
5) Simrock, Kinderb.« 140, 548.
351
18.
Ladybird, Ladybird
eigh thy way home!
thy house is on fire
thy children all roam,
except little Nan,
who sits in her pan,
weaving gold laces,
as fast as she can ').
19.
Marieuwürrachen fliege weg,
Deine Mutter ist gefangen
An einer langen Stangen '^).
20.
Himmelstierchen flieg hoch in die Luft,
Flieg ins Herrgottsgärtchen,
Flieg, sonst kommen die Leut mit den Spiefsen
Und wollen (mich und) dich erschiefsen ^).
21.
Türkenmännchen, flieg hinweg!
Die Weiber mit den Stangen
Wollen dich empfangen.
Türkenweibchen flieg hinweg.
Die Männer mit den Spiefsen
Wollen dich erschiefsen.
Flieg in den Himmel,
Bring einen Sack voll Kringel,
Tunk ich meinen Weck hinein,
Bei dem roten kühlen Wein ").
1) Notes and queries IV, 53. Yorkshire und Lancasliire.
2) Berlin uiündl.
3) Schmitz, Sitten des Eifler Volkes S. 73, daraus Simrock, Kinderb. '■*
UO, 545.
4) Simrock a. a. 0. 139, 544.
352
22.
Maikäfer, fliej uff!
mah dinre mueder d' schür uff.
d' Judde kumme,
d' Heide kumme,
welle mit dir reche,
welle dick tiud dine liewe kind alli zsamme zu dod
steche ').
23.
Goldhähnchen flieg hinweg,
Dein Häuschen brennt,
Dein Süppchen siedt.
Die Bauern kommen mit Spiefsen,
Wollen dein Kindlein tot schiefsen.
Puh! ti poh! ti puh! -).
24.
Tipesken, Tipesken (Maikäfer)
flej af de birrebum (Birnbaum)
säch, wun de Tattre (Zigeuner) kun.
de Tattre ku' mät Stangen.
der te'iwel huot sich erhangen,
der bäsch br^ed (der Busch brennt) um äinjs,
der fuss (Fuchs) huot sich den schwänz versänjt^).
25.
Herrgottisken (Marienkäfer)
flej äf de birrebum
säch wenn de Tattre hm.
ech wäll dich ä nser schtälche löken,
ech wäll der malt seh (Milch) och bruit (Brod)
bröken ■*).
1) Stöber, Elsäss. Volksbüclilein 43, 87. Daraus Simrock, Kinderb. '^
140, 596. Denselben Anfang s. auch: Keue Preufs. Zeitung 1856 Iso. 27.
2) Dichtungen aus der Kinderwelt S. 78.
3) Reufsraarkt in Siebenbirgen d. W. Schuster.
4) Repa und Bistritz in Siebenbirgen d. W. Schuster.
353
26.
Härrjotsteifsken
fleij an himmel,
so mer, wen de motter kit,
so mer, wen der vätter kit,
sä mer, wen de Tattern ku,
so mer, wen de Tirken ku,
ech wäl dich zä mer löken,
ech wäl der brüt (Brod) bröken,
ech wäl der möUich geifsen (Milch eingiefsen),
ech wäl dich an en gäldän tru änschleifsen*).
Wie wir schon oben S. 254 gesehen haben, wird der Ma-
rienkäfer oder der Maikäfer aufgefordert, zum Seelensitz der
Holda in oder hinter der Wolke hinaufzufliegen. Auch in
den hier zusammengestellten Liedern wird dies ausdrück-
lich gesagt: „Flieg in den Himmel" 21.; Flieg inn
Himmel aus der Hölle, oder Flieg hoch in alle
Hölle (zur Hella) in jedem Fall in den Seelensitz 13.;
„Flieg in's Herrgottsgärtchen" 20.; „Fly thy way
home" 14.; „Eigh thy way home" 18.; „Fly away home"
15. Diese Heimat des Käfers wird nun 1. 2. 3., wie die
der Mären als Engelland bezeichnet. Der Grund der
Aufforderung ist eine grofse Gefahr, in welcher sich die
Heimat des Käfers befindet. Feinde, und zwar Juden und
Heiden, Zigeuner (Tattern) oder Türken kamen mit Spie-
fsen und Stangen, um seine Sippschaft gefangen zu neh-
men; schon brennt sein Haus, Holdas ganzes Reich
steht in Flammen.
Wie in der Sage, dass am Ende der Tage die Tür-
ken bis nach Köln vordringen, im Rhein ihre Pferde trän-
ken und eine grofse Schlacht schlagen sollen ge-
gen einen weifsen König, der Deutschland erlösen wird,
der Schrecken der Christenheit an die Stelle der dämoni-
schen Riesen getreten ist, welche nach germanischer My-
thologie den letzten Kampf mit den Göttern bei der Göt-
1) Bistritz in Siebenbirgen d. W. Schuster.
23
354
terdämmerung erheben'), wie insbesondere die Winter-
riesen in deutschen Frühlingsspielen jetzt als Türken
auftreten ''), sagen auch in unsern Reimen die Juden, Hei-
den ^), Türken und Zigeuner nichts anderes als die furcht-
barsten Feinde der Welt, d. i. nach altheidnischer An-
schauung die Dämonen (Riesen) aus, welche die himmli-
schen Gewalten in Banden schlagen, die Wolke verschhe-
fsen, den lichten Himmel mit den Schatten der Nacht
bedecken (s. S. 165 fgg. 187). Wir sahen schon oben S. 90
dass das Abendrot als ein solcher dämonischer Riese
gefasst war, der das Dunkel über den Himmel heraufführt,
des bösen Ecke (Ahi) Bruder. Ich vermute daher, dass
die Zurufe an den Käfer: „Dein Häuschen brennt"
8. 9. 10. 13. 16., „Thy house is on fire« 14. 15. 18.,
„Engelland ist abgebrannt" den Sinn enthalten, kehre
zum Himmel zurück, es ist Abendzeit, die Deinigen sind
in Gefahr, und du wirst bei längerem Verweilen ausge-
schlossen von deiner Heimat, die der Dämon nun mit
festen Banden umklammert. Die im Abendrot purpurn
gefärbte Wolke, das im Strahl der untergehenden Sonne
rötlich gefärbte Firmament ist das brennende Engel-
land*). Bemerkenswert sind die Ausdrücke »Flieg auf den
Birnbaum" 24.25. „Der Busch brennt" 14. Wir sa-
hen oben S. 177. 1T8 das Waldhaus der Riesen, S. 268
die Waldhütte Holdas dem Wolkenfels und Kinderbrun-
nen gleichstehen; eine gleiche Bedeutung vermuteten wir
oben S. 250, Anm. 2 für den Tannenwald oder Busch,
wohin der Käfer auch nach andern Varianten fliegen solP);
1) S. Simrock, Handbuch d. D. Myth. 180.
2) S. Simrock a. a. O. 565.
3) In altfranzös. Gedichten werden die Heiden (paian) häufig als die
Erbauer der Riesenmauem, Kyklopenmauem genannt; z. B. Gerars de Viane
1745: Les fors tors, ke sont dantiquitey, ke paian firent par lor grant
poestey. Mj'th.^ 501.
4) Doch dürfte auch die im Gewitterfeuer flammende Wolke Anspruch
darauf haben, s. unten S. 397 fgg.
5) Nachzutragen wäre noch der Aargauische Reim an die Chrysomela:
Goldkäfer fiUg üf,
üf dine hohe tanne
zue diner muetter Anne u. s. w.
Rocholz, Alemann. Kinderlied I, 95, 196.
355
wir werden auf dieses Symbol der Wolke weiterhin aus-
führlicher zurückkommen. Auch das charakterisiert die
Feinde in unsern Kinderreimen als Dämonen, dass sie
Stangen tragen 19. 21. 24., denn diese sind ein unter-
scheidendes Merkmal der Riesen').
Die Lichtwesen lassen sich die Einschliefsung durch
die Dämonen nicht ohne weiteres gefallen, Tag und Nacht,
Sommer und Winter kämpfen mit einander; es entsteht
zwischen ihnen Krieg 2. 3. 5. 6., der hier mit dem Siege
der Nachtgeister endigt.
Dass Kinderreime, welche ursprünglich zum Gebrauch
bei bestimmten Jahresfesten oder Tageszeiten
componiert waren, später als der alte Zusammenhang er-
losch, zu jeder beliebigen Zeit oder Stunde gesungen wur-
den, ist von mir schon Zeitschr. f. D. Myth. III, 215. 412
besprochen. Auf die Abendzeit weisen vielleicht auch
die Reden „dein fiereli brennt, dein sibbeli kocht" s. o. S.
350, Anm. 1.
No. 25. 26 nehmen eine andere Wendung. Sie bieten
dem Käfer an, wenn die Dämonen kommen, das Land der
Elbe (Engel Land) verschlossen wird, so dass er nicht mehr
hinein kann, ihn in den Stall zu locken, ihm Milch und
Brod vorzusetzen. Diese Gabe ist ein Opfer, dem Boten
der Holda dargebracht. In der Schweiz sagt man:
Cheferli, cheferli flüg us,
i getter milech ond brocka
ond e silberigs löffeli dezue'^).
In einem Aargauischen Reim an das „Liebgottschäl-
beli" heifst es „i gi der milch und mocke"^). Das
ganze Lied lautet:
Liebgottschälbeli, flüg üf,
der hciland tut der's türli üf
bring mer drei pfund anken (Butter) dnis
und e silberigs löffeli*).
1) Mytli.2 500.
2) Myth. 2 658.
3) Rocholz, Alemaiiu. Kinderlied S. 94. No. 187.
4) Zu diesen silbernen Löffel vergl. oben S. 349. No. 10. Gradeso setzt
23*
356
Flug über der hohe rugge
i gi der milch und mocke,
flüg: über de Härteste!
und suech mer vatter und muetter hei.
Hier ist davon die Kede, dass der Käfer Butter aus
dem himmlischen Lichtlande mitbringen soll, dessen Tür
der Heiland, wie oben S. 255 Maria öffnet, indem er die
Wolken zurückschiebt. Diese durch die Himmelstür herab-
gebrachte Butter kann nur von den Wolkenkühen
kommen, als deren Hüter wir oben S. 251 den Käfer nach-
wiesen. Wir bemerkten ebendort, dass der Käfer selbst
Kuh genannt wird, und damit Verwandschaft mit den
Wolkenkühen d. i. den Mären s. o. S. 78 fgg. 245 ver-
rät. Zur vollen Gewissheit der Identität der Mären und
unseres Käfers führen uns die Ausdrücke in den eben zu-
sammengestellten Liedern, in denen man dem nach En-
gelland fliegenden Käfer zuruft: „Deine Kinder schreien^
7.8. 9. 10. 11. „Dein Mütterchen flennt'' 12. „Thy chil-
dren all gone" 14. „Your children will burn" 15.
„Thy children all roam" 18. Diese Worte entspre-
chen orenau den oben S. 345 beigebrachten Reden der Mär:
„Wie ineinen meine Kinder in Engelland! ^
Leitet uns bereits dieser Ausdruck in das Bereich der
oben besprochenen Märensagen, so zeigt sich eine andere
Uebereinstimmung in dem Zuruf „deiti Kähnchen schwimmt^
No. 7. Der Käfer muss gleich den Mären s. o. S. 344 fgg.
über das Wasser setzen, um nach Engelland zu kommen.
Das vom himmlischen Gewässer bedeckte, oder durch den
Luftstrom ') von der Menschenwelt geschiedene Eibenreich
= Engelland, wurde begreiflicher Weise leicht als eine
Insel gedacht, zum mindesten als ein von einem Fluss
begrenztes Land und es ist längst erwiesen, dass man sich
die germanische Totenwelt gleich der griechischen von
man den Eiben eine Schüssel mit Milch, den Heimchen oder Schret-
lein, d. i. Mären in Berthas Gefolge einen Tisch mit Speisen hin, auf Is-
land deckt man den am Julabend umziehenden Alfen ebenso die Tafel.
1) S. Weber, Indische Skizzen. Berlin 1857 S. 10.
357
einem Strome bespült dachte. Ein solcher Strom um-
fliefst Hels unterweltlichen Wohnsitz '). Eine schwedische
Sage lässt Odin die Seelen der in der Bravallaschlacht
gefallenen Krieger auf goldenem Schiffe nach Vallhöll
führen *). Da in der Eddenreligion wiederum die Helden
nach Vallhöll entweder auf den Wolkenrossen der Val-
kyren oder ihren eigenen mit verbrannten Pferden reiten,
muss diese Sage entweder aus einer der Eddenreligion vor-
hergehenden Periode im Volksglauben gehaftet haben, und
auf Vallhöll aus der Erinnerung daran übertragen sein, oder
sie ist ganz junge Erfindung. Wir fanden nun aber be-
reits in den ältesten Ueberlieferungen unseres Volkes, in
Märchen s. oben S. 203 die Toten weit von einem Strom
bespült, und das Land des S. 335 besprochenen GuSmundr,
welches wir mit Viöbläinn zusammenstellten, wird ebenfalls
von einem Fluss begrenzt, der den Aufenthalt der Men-
schen von der Geisterwelt trennt (eo alveo humana a mon-
strosis rerum secrevisse naturam) ^).
Endlich war es ein häufiger Gebrauch im Norden, die
Leichen in einem Schiffe dem Meer zu überlassen. Gud-
run bestattet den Atli in einem Steinsarg, den sie in ein
Schiff gesetzt*'). Von Scilds des Scefings Bestattung er-
zählt das Beowulfslied;
Zu der Brandung Ufer bracht ihn da
Das süfse Gesinde, wie er selbst bat.
Da er des Worts noch waltete der Wirt der Scildinge,
Der liebe Landfürst, lange besafs ersi
Da am Ufer stand wie Eis glänzend
Zur Ausfahrt bereit des Edlings Ringsteven,
Da legten sie den lieben Fürsten
Den Baugspender in den Busen des Schifies,
An den Mast den berühmten. Da war Menge der Schätze
'Her auf Fernwegen geführt, der Kleinode.
1) Gylfaginning 49.
2) Afzelius, Sagoliafder I, 4.
.3) Saxo ed. P. E. Müller VIIF. IG2.
4) Atlamäl 101.
358
Nie hörte ich schicklicher ein Schiff ausrüsten
Mit Kämpferwaffen und Kampfgewanden
Beilen und Brünnen. Ihm am Busen lag
Menge der Schätze, die mit ihm sollten
In der Wogen Reich weithin schiffen ').
Als Sigmundr seinen toten Sohn Sin^ötli lange her-
umgetragen, kam er zu einer schmalen Meerbucht. Am
Gestade harrte ein Mann, der sich zur Ueberfahrt erbot.
Kaum war die Leiche in den Kahn gelegt, als der Ferge
abstiefs und verschwand "). Lebensmüde Greise gaben sich
auf diese Weise selbst den Tod. Als Flösi ThorSarsonr
als Greis nach Norwegen ging, um Bauholz zu holen, nahm
er zur Rückfahrt ein leckes Schiff und da man ihm das
bemerkte, sprach er: für Alte und Todesnahe ist es gut.
Darauf stach er in See und Schiff und Flösi sah man nie-
mals wieder ^). In späterer Zeit zündete man auf dem
Schiffe einen Holzstofs au, ehe man es den Wellen über-
gab. So wird Baldr von den Göttern auf seinem Schiffe
Hringhorni verbrannt. Die Riesin Hyrrokin schob das
brennende Fahrzeug in die Flut •*). Nach der Schlacht
bei Fyrisvöllr liefs der siegreiche, aber totwunde König
Häki sich inmitten vieler gefallener Krieger auf sein gro-
fses Kriegsschiff (skeiö) legen. Als er verschieden war,
warf man Feuer hinein, richtete das Steuer, zog die Segel
auf und brennend trieb das Schiff mit seiner Leichenla-
dung in die See hinaus ^). König Sigurör Hringr warb
um die schöne Alfsol. Ihre Brüder Alfr und Ingi wollten
das jugendliche Mädchen keinem Greise vermählen und
gingen mit SigurSr deshalb einen lebhaften Streit ein. Als
sie sich unterliegen sahen, töteten sie ihre Schwester durch
Gift. Sigurör, der im Streit gefährlich verwundet wird,
will nun auch nicht läno^er unter den Lebenden bleiben.
1) Beowulf ed. Thorpe 55— 8i.
2) Sinfjötlalok. Munch, Edda 97.
3) Njälasaga cap. 166. Weinhold. Aitnord. Leben 479 fgg. 495 fgg.
4) Gylfaginning 49.
5) Ynglingasaga cap. 27.
_ 359 _
Er befiehlt, die Leichname aller Gefallenen auf ein Schiff
zu bringen, setzt sich selbst ans Steuer und legt Alfsöl
neben sich. Dann heifst er mit Schwefel und Pech das
Schiff anzünden, hisst die Segel und steuert mit frischem
Winde ins offene Meer hinaus. „Er wolle, sagt er, mit
Pracht und wie ein berühmter König zu Oöinn kommen."
Als er aus den Schären hinaus ist, durchbohrt er sich mit
dem Schwert und sinkt neben der geliebten Alfsöl nieder ').
Noch später errichtete man den Scheiterhaufen auf einem
ans Land gezogenen Schiff und setzte dann die Asche
in einem Grabhügel bei. Von Hother (Hö8r) wird erzählt,
dass er auf diese Weise den toten Gelder von Sachsenland
bestatten liefs ^). Der durchaus mythische Frotho III.
(Freyr) soll diese Bestattungsart für Vornehme eingeführt
haben ^). Zuletzt blieb das Schiff unverbrannt und die
Leiche wurde nur in einem solchen beerdigt. So geschah
es mit dem Viking nach der Haröarsaga, mit Thörgrimr
dem Vater des Priesters Snorri nach der Gislasaga, und
mit Asmundr dem Sohne Atlis nach dem Landnämabök,
mit Egill Ullserkr nach Häkonar Goöasaga, mit Unni nach
der Laxdselasaga und mit Geirmundr nach Islendingasög.
I, 66 *). In einem Hügel auf Sylt soll ein Seeheld in
goldenem Schiffe begraben hegen ^). In Schweden und
Norwegen fand man Teile von Holzbauen im Innern von
Hügeln, von denen man angenommen hat, dass es Schiffe,
oder Böte gewesen sind '"'). Endlich, als alle diese Sitten-
1) Arngrim Jonas's handschriftl. Ergänzungen zur schwed. Geschichte,
die nach P. A. Munch auf einer vollständigeren Handschrift von Sögubrot af
nokkrum fomkonüngum beruhen, von uns angeführt nach Fryxell berättelser ur
Svenska liistorien. Stockholm 1835 I, 87.
2) Saxo ed. P. E. Müller I, 190. Gelderum, Saxoniae regem eodem
consumptum hello remiguiii suorum cadaveribus superjectum ac rogo navigiis
exstructo impositum pulcherrimo funerls obsequio extulit, cinerea perinde ac
regii corporis relliquias non solum insigni tumulo tradidit verum etiani plenis
veneratiouis exequiis decoravit.
3) Saxo ed. P. E. Müller I, 234.
4) Vergl. Myth.^ 790. EttmUller, Beowulf S. 58. J. Grimm, üeber
das Verbrennen der Leichen. Abhandl. d. Berl. Akad. 1849 S. 239.
5) Müllenhoir, Sagen DU, 373.
6) Leitfaden zur nord. Altertumskunde S. 31.
360 __
abgekommen waren, ahmte man (besonders in der Landschaft
Blekingen) in der Form der das Grab bedeckenden Stein-
setzung Schiffe nach. Ein solches Schiffsgrab ist kürzhch
(1854) auch in Pommern entdeckt ^).
Im Gebiet der Burgunden bei Arles lag ein sehr be-
rühmter Begräbnisort Campus Elisius, Ailis campi, altfranz.
Aleschans, mhd. Alischanz, Alleschanz, genannt, der die
Gabe haben sollte, die Toten vor dem Wiedererscheinen
und Umgehen zu bewahren (ut quicunque inibi sepeliren-
tur nullas in cadaveribus suis paterentur diabolicas illusio-
nes). Hieher wurden viele Leichen weither gebracht, die
meisten, indem man sie in einem Nachen in Särgen
oder Fässern dem Rhonestrom überliefs. Neben
den Leichnam hatte man Geld gelegt. In Arles machte
der Totenschrein Halt und der Leichnam wurde feierlich
bestattet. (Maxima potentum pars quae in Galliis aut circa
Pyrenaeos montes aut Alpes Peuninas in puguis paganorum
moriebantur, illuc sepulturam habent, et quidam in plau-
stris alii in curribus, nonnulli in equis, plurimi per de-
pendulum fluentisRhodani ad coemeteri um campi
Elisii deferebantur, ubi Jovianus et Comes Bertra-
mus et Aistulfus et innumeri proceres requiescunt. So-
lent mortui in dolus bituminatis, ac in thecis Corpora mor-
tuorum a louginquis regionibus fluminis Rhodani dimitti
cum pecunia sigillata, quae coemeteiio tarn sacro nomine
eleemosynae confertur) ^). In verschiedenen Legenden wird
erzählt, dass der Leichnam des Heiligen auf ein Schiff
gesetzt wurde, das man den Wogen frei überliefs. Es
schwamm stromaufwärts. Wo es landete, wurde der Hei-
lige begraben ^).
Diesen weitverbreiteten Gebräuchen treten deutsche
1) "Weinhold, Altnord. Leben 485. Holmberg, Hednatiden 203. Sjö-
borg, Samlinger for Nordens fomälskare III. Baltische Stiidien XV, 2, 49.
2) Gen'asius Tilburiensis, Otia imperalia ed. Liebrecht III, XC. S. 42 fgg.
3) Vergl. z. B. die Legenden des h. Matenius bei Köln, St. Werenfrid
zu Eiste, St. Emeran in Bayern, St. Cuthbert in England. Liebrecht Ger-
vasius V. Tilbury S. 149 fgg. s. Attribute der Heiligen, Hannover 1843 S.
152. Rocholz, Aargausagen S. 388.
361 _
Sagen auf das Merkwürdigste zur Seite. Walter von Meer,
ein Hofmann Karls V., begegnete einem von einem schwar-
zen Schiflfsmann geführten Schiff, das die Seele eines
Erzbischofs über See zum Berge Hekla nach Island
führte '). In Heisterbach hatte ein Bruder einst ein Ge-
sicht, wie der vor Jahren verstorbene Kellermeister
des Klosters Richwin mit Namen zu ihm trat, ihm zu-
winkte und sprach: „Bruder Lambert komm lass uns
zum Rheine gehen." Lambert lehnte dies ab, worauf
Richwin an einen alten Mönch mit Namen Konrad dieselbe
Aufforderung richtete, der seine Kapuze über den Kopf
warf und jenem folgte. Am folgenden Morgen begann
Konrad wirklich zu kränkeln und starb in wenig Tagen.
Man begrub ihn in derselben Kutte, in der Lamberts Traum
ihn gesehn ^). Da die Heisterbacher Mönche nicht auf der
andern Seite des Rheines begraben, sondern neben dem
Kloster oder in der Kirche beigesetzt wurden, spielt der
Gang zum Rheine auf eine Seelenüberfahrt über
das Wasser an. — In stürmischer Nacht weckt eine
Mönchsgestalt einen schlaftrunkenen Schiffer, legt ihm
Fährlohn in die Hand und verlangt über den Strom
gebracht zu werden. Erst steigen 6 Mönche in den Na-
chen, kaum aber ist er gelöst und auf der Flut, als ihn
plötzlich eine Menge schwarzer und weifser Her-
ren füllt und der Fährmann fast keinen Raum für sich
behält. Mit Mühe rudert er hinüber, die Ladung steigt
aus und das Fahrzeug wird von jähem Sturm zurückge-
worfen an die Stelle der Abfahrt, wo schon wieder
neue Reisende harren, welche den Kahn einnehmen
und deren vorderster mit eiskalten Fingern dem Schif-
1) Tim. Bredenb. sacr. collat, VIII. cap. 12. Hieron. Diexelius, vom
Richterstuhl Christi cap. 9. §. 3. Wolf, DMS. S. 505, 380. Vergl. die dä-
nische Redensart für „fahre zur Hölle," gaa du dig til Häkkenfeldt =
Heklufjäll. Lyngbye Fasroeiske quted. 549; til Hekkenfjäldt. Thiele, Dan-
marks folkesagn III, 71. Niedersächsisch: nä Hekkelvelde vären. Sam. Mei-
ger CCCIIIa. Myth.^ 958. Alberich von Trifontaines ad. ann. 1180. (Leib-
nitz II, 265 fgg.) berichtet, dass isländische Hirten die Seelen Verdammter in
Gestalt schwarzer Raben und anderer Vögel in den Hekla stürzen sahen.
2) Caesar. Hcisterbac. dial. mivac. XI, cap. 33. Wolf, DMS. 430, 340.
362
fer den Fährgroschen in die Hand drückt^). Zu Speier
verlangt ein Mönch bei Nachtzeit über den Rhein ge-
setzt zu werden. Als der Schiffer zurückkommt, steigen
noch 5 andere Mönche in den Kahn. Als der Nachen
mitten im Rhein ist, erhebt sich ein fürchterlicher
Sturm, der augenblicklich klarem Himmel Platz macht,
als die Reisenden am jenseitigen Ufer ausgestiegen sind.
Tags darauf begegnen dieselben Mönche, einem früh aus
Speier reisenden Boten. Sie safsen in einem rasseln-
den schwarzbedeckten Wagen mit drei Rädern
und einem langnasigten Fuhrmann. Mit Prasseln ver-
lor sich der Wagen in die Lüfte, dabei vernahm
man Schwerterklingen als ob ein Heer zusam-
menginge-).
Was in der zuerst angeführten Sage klar ausgespro-
chen ist, dass die über den Rhein, d. i. ein Gewässer
im Allgemeinen, schifieuden Mönche Seelen sind, die den
Körper verlassen, tritt uns in den beiden letzten Ueberlie-
rungen nur verhüllt und in anderer Form entgegen. Nach
dem Uebergang über den die Menschenwelt vom Geister-
reich trennenden Strom braust die Seele im Sturm, im
wütenden Heer, das ja häufig im schwarzbedeck-
ten Wagen fährt, dahin. Wie nun hier die aus dem
Leben scheidenden Seelen nach dem Ueberschreiten des
Toten flusses mit dem wilden Heer sich verbinden, setzt
nach andern Sagen auch das letztere über das himmli-
sche Gewässer, das wiederum irdisch localisiert erscheint.
Ein Fährmann in Randersacker am Main hörte ein Brau-
sen und Winseln am jenseitigen Ufer und meinte, es wolle
Jemand übergesetzt sein. Er fuhr ans jenseitige Ufer. Da
bestieg der wilde Jäger mit seinen Geistern die
Fähre. Als das wilde Heer übergeschifft war,
hörte der Fährmann eine Stimme nach dem Fahrlohn fra-
gen, er konnte aber aus Angst kein Wort sprechen. Da
1) Neue Volksmärchen der Deutschen. Leipzig 1792, 3, 45 — 47.
2) Grimm, D. Sagen S. 263. No. 275.
363
warf das wilde Heer Feuer in die Fähre, dass die Koh-
len auf dem Boden rollten'). Ein andermal hörte
der Ueberführer zu Wipfeld am Main in Unterfranken bei
Sturm und Regen ein Gewinsel am jenseitigen Fluss-
ufer und fuhr hinüber. Das wilde Heer stieg in die
Fähre. Da waren grofse und kleine Geister durch-
einander. Er aber hatte so grofse Furcht, dass er sie nicht
zu betrachten wagte. Als sie übergefahren waren, fragte
einer nach dem Fährlohn. Der Ferge schwieg. Da
wurde ein Knochen auf den Ständer der Fähre gelegt-).
In derselben Weise fährt nach anderen Sagen der Tod
über den Fluss^)^ sowie die Zwerge, Elbe, Heim-
chen, in denen wir Seelen erkannten''). Perahta setzt
in der Perchtennacht, umgeben von den weinenden Heim-
chen über die Saale, Spähne ihres Ackerpfluges, woran
sie während der Ueberfahrt gezimmert, sind des Fergen
Lohn^). In sehr vielen deutschen aber auch keltischen
Sagen verlassen die Zwerge die Menschenwelt, indem sie
unsichtbar in einer Fähre sich über den Strom
setzen lassen und jeder einen Groschen als Fahrlohn in ein
Gefafs werfen, oder indem sie über eine Brücke aus
dem Lande abziehen, auf der man nur ein leises Ge-
trappel hört. J. Grimm bemerkt bereits: „Merkwürdig
sind die Worte der Hüterin bei der Brücke, welche Hels
Totenreich mit der Menschenwelt verbindet. Sie sagt zu
Hermöör, der lebend über diese Brücke reitet: „„unter dir
1) Panzer, Beitrag I, 176. No, 198.
2) Panzer a. a. 0. I, 161. No. 189. Vergl. Zeitschr. f. D. Mytli. I, 18, 2.
3) Kuhn, Mark. Sagen No. 129.
4) Vergl. oben S. 297. Ich führe noch an, dass Dietrich von Bern
nach der Vorrede des Heldenbuchs von einem Zwerge in den Berg geholt
wird, der zu ihm sagt: „dein Reich ist nicht mehr von dieser Welt."
König Svegöir von Schweden wird von einem Zwerg zu OSinn in den Fels
(den Wolkenfels) geladen, d. i. er stirbt. Ynglingasaga c. XV. Im Walde
zwischen Wohlen und Bremgarten im Aargau liegt der Herdmännlistein. In
diesem hatten die Erdmännchen ihre Stuben, und bis zum heutigen Tage
soll man aus eben diesem Stein die kleinen Kinder aus Wohlen holen.
Rocholz, Sagen des Aargaus I, S. 288.
5) S. die Beispiele bei Kuhn, Nordd. Sagen No. 270 Anm. ; Menzel,
Odin 181.
_ 364 _
einem tönt meine Brücke mehr als unter den fünf Hau-
fen toter Männer, die gestern darüber ritten.""
Ich finde darin die gröfste Aehnlichkeit mit dem sachten
Getrippel der fortziehenden Zwerge über die Brücke, mit
ihrer UeberschiflPung in dem Nachen und die Verwand-
schaft der Seelen mit den elbischen Wesen zeigt sich auf
das Deutlichste" '). Wie wir schon S. 301 fgg. die Iden-
tität der Zwerge mit den Seelen des wilden Heers sahen;
wie dieses beim Ueberschiffen über den himmlischen
Strom einen Knochen zum Lohn giebt, oder aus sei-
nem Zuge durch die Luft oft eine Pferdekeule her-
abwirft, geben die über die Aller schiffenden Zwerge dem
Kuhhirten von Barneize ein totes Ross, die bei Stöcken
über die Leine setzenden Zwerge einen Pferde-
schinken als Fährlohn ''). Wir kommen hiermit wiederum
zu den Mären zurück, die nach S. 44 fgg. sich auf das engste
mit dem wilden Heer berühren. Nach dem Volksglauben
der Grafschaft Mark steht der Teufel auf dem Hiälwiäch
(Hellweg) mit einem Ruder als Fährmann, nimmt die See-
len in Empfang, die ihm seine Grofsmutter bringt, schifft
sie in einem Kahne ein und führt sie über Wasser in
die Hölle %
Aus den vorstehenden Sitten und Sagen erhellt deut-
lich, dass der Glaube an eine bei verschiedenen Anlässen
geschehende Fahrt der Seelen über das Wasser im ger-
manischeu Volksbewusstsein tief begründet war. Da auch
die keltische *), hellenische, iranische und indiche Religion ^)
diese Vorstellung kennt, so ist es von vorne herein wahr-
scheinlich, dass dieselbe über die Zeit der Trennung hin-
ausgeht. In den Edden findet sie sich vor, hat aber darin
keine lebensvolle Stelle; sie muss dieselbe in voreddi-
scher Zeit besessen haben. Unsere bisherigen Untersu-
1) Myth.2 794.
2) Kuhn, Nordd. Sagen No. 291. S. 260 fgg.
3) Woeste, Volksiiberlieferuugen S. 49.
4) Myth.* 791 fgg.
5) Weber, Indische Skizzen S. 10.
^65
chungen machen wahrscheinlich, dass unter dem Strom
an der Grenze der Toten weit der Luft ström oder das
Himmelsgewässer zu verstehen sei. Der Glasberg
oder nach anderen Märchen das goldene Schloss liegt
jenseits des grofsen Wassers, ja wir haben noch Spuren,
dass man sich das himmlische Land der Seligen als ganz
von Wasser umgeben, als eine Insel dachte. In dem
angelsächsischen Gespräch zwischen Adrian und Ritheus
wird die Frage aufgeworfen: Sage mir, wo scheint die
Sonne Nachts? „Ich sage dir an drei Orten; zuerst in
des Wallfisches Eingeweide, der ist geheifsen Leviathan,
und zur andern Zeit scheint sie in der Hölle, und die
dritte Zeit scheint sie auf dem Eilande, das ist
Gltd genannt, und rasten da der heiligen Männer
Seelen bis zu des Gerichtes Tag" '). Dieses Wort
Gliö gehört zu einem verlorenen Verbum GLEDE, glist,
gliS, GLÄD, GLAEDON, GLEDEN, das glänzen, froh-
sein bedeutete und von dessen Präteritalstamm ags. gläö,
gläd, glänzend, mild, sowie das nordische Wort glaSr,
glöö, glatt, glänzend, froh, ahd. klatt, nhd. glatt, schlü-
pfrig gehört. In der Bedeutung des Namens sehen wir
somit das Seeleneiland Gliö auf das Innigste mit dem
Glasberg sich berühren. Es findet sich für dasselbe aber
noch weiterer Halt in der altgermanischen Poesie.
Es begegnet nämlich eine angelsächsische Redensart
ser sun go to glade, nach J.Grimm Mjth.^ 702 die
1) Ettmüller, Ags. Lesebuch S. 39: A. Saga me, hwaer seine seo sunne
on niht? R. Ic J)e secge: on ]>rim stovum; aerest on ]>äs hvales innoÖe, j)e
is cweden Lewiathan, and on oöre tid heo skine'ö on helle , and ]?ä jjridda
tid heo scind on |)äm eälonde, ]>ät is Gliö nemned and Jjrer restag häligra
raanna sävla 6Ö domes dag. Uebcrraschend stimmt hiermit eine Stelle des
Mimnermos (bei Strabo I, 2) überein, wo gesagt wird, dass auf dem östli-
chen Eilande Aia des schnellen Helios Strahlenkrone in goldener Kammer
verborgen liege :
ylti']Tao nokiv, toO-i, tojxso; t](XloiO
axTiJ'f? ;^^i'(Tf'w ntlaxav iv ■O-aXd.f.m
Slxiavov naQa /(Ikar , iv m/iro -d-üoi; Irfffut'.
Dieses Eiland Aia ist wie Gliö nichts anderes als die Totenwelt, sein Her-
scher Aietes wird durch die verschiedensten Ueberlieferungen als Sohn oder
Gemahl der Hekate bezeugt. S. H. D. MUller Ares. Braunschweig 1848
S. 15.
366
Sonne ist zu Glänze eingegangen, altn. heifst s6-
larglaöi Sonnenfreude oder Sonnenglanz der Sonnenun-
tergang, in Westgötland gilt noch „solengladas, sö-
len gl aas, d. i. die Sonne freut sich oder glänzt, sole-
glanding, söleglädgen Sonnenglanz, Sonneufreude vom
Sonnenuntergang." Grimm legt diese Reden aus: „die
untergehende Sonne strahlt in erhöhtem Glänze, sie geht
zu ihrer Wonne ein." Wir werden Aveiterhin bestätigt
sehen, dass sie am Abend in die Heimat des eigentli-
chen Lichtes, in das Glanzland G/iö, das von glaör,
gläde u. s. w. nur ablautend verschieden ist, den Glasberg,
Engelland einkehrt. Von demselben Worte Glaör ist nun
auch eine eddische Benennung des nordischen Götterhim-
mels GlaSsheimr Glanzheim, Wonneland abgeleitet.
Hier steht Oöins Goldburg Vallhöll. Es wäre sehr wol
möglich, dass GlaSsheimr in älterer Zeit ein Synonymum
von Gimli war und wie dieses s. oben S. 335 Anm. 3 auf
Oöins Wohnsitz übertragen wurde. Wie dem auch sei, so
viel ist deutlich, dass die Worte unserer Kinderreime „dein
Kähnchen') schwimmt" auf der Vorstellung beruhen,
dass der Käfer, wie die Mär den himmlischen Toten-
strom zu überschreiten habe.
1) Fassen -wir den Totenfluss als den Luftstrom oder das himm^
lische Gewässer insgesammt, so leidet die Bedeutung des Nachens als ein-
zelne Wolke wol keinen Zweifel. Kuhn hat bereits bewiesen, dass schon
in den Veden die Wolken nävyah d. h. die Schiffe des himmlischen Oceans
genannt werden, und dass den Griechen die Quellnymphe iVaia?, JVTjifit; =
nävyä ursprünglich als die schifiende Wolkengöttin galt. Zeitschr. f. vergl.
Sprachf. I, 536 und im Mythus der Athene bedeutet das Schiff die Wolke,
s. Lauer, System S. 157. 357. Im germanischen Norden heifst die Wolke
ebenso vindflot Windschiff. Alvism. 19. Der Hamburger Pöbel nennt eine
dicke Regenwolke: en schip vull süre appeln. Ganz entsprechend be-
zeichnet das rheinische Landvolk im Gebirge einen heftigen Platzregen
mit den Worten: „das Schiff schwabbelt (schwankt), oder das Schiff
ist nicht dicht, nicht geharzt." Von alten wetterkundigen Leuten wird
in allen Gegenden des Niederrheins noch ein schiffgestaltetes Wolken-
gebilde, das bei sonst heiterem Wetter Abends sichtbar wird, eifrig beob-
achtet und aus seiner Richtung von Süden nach Norden oder von Westen
nach Osten auf die Witterung der folgenden Tage geschlossen. Erscheint es
nach anhaltender Dürre, so begrüfst man es mit froher RegenhofFnung. Das
Volk nennt dieses Wolkengebilde das ,, Regenschiff" oder ,, Mutter-
gottesschiff." Montanus, Die deutschen Volksfeste u. s. w. S. 37. 38.
367
Diese Betrachtung wird durch die Bemerkung bestä-
tigt, dass die Insecten und insbesondere die Käfer Ge-
stalten sind, in denen Maren, Elbe oder Seelen erschei-
nen. Die Libelle in Deutschland gleich dem Goldkäfer
Gottespferd genannt, heifst auf Runoe bei den Inselschwe-
den gradezu horsho-mära Pferderaär. Russwurm, Ei-
bofolke II, 283. Die Eintagsfliege wird ebendaselbst trull-
^älda Hexenschmetterling und ein ganz ähnliches Insect
alpa Alb genannt. In Betzingen bei Tübingen schlief eine
Magd so fest, dass sie durch alles Rütteln und Schütteln
nicht geweckt werden konnte. Nach Verlauf mehrerer
Stunden kam ein Käfer geflogen, kroch der Schlafenden
in den Mund und sie erwachte. Sie war also Märe *).
Geldmachende Kobolde erscheinen in Gestalt eines Kä-
fers oder einer Hummel-}. Die Verwandschaft des Kä-
fers mit den Eiben und Mären spricht sich auch noch
in der mehrfach vorkommenden Sage aus, dass Käfer ver-
wünschte Prinzen d. i. Elbe sind, wie die weifsen ver-
wünschten Frauen den Eibinnen gleichstehen ^). Wie der
O. Schade tat überzeugend dar, dass man Holda mit den Seelen in der
Wolke schiffend sich vorstellte. Ursulasage S. 69 fgg. Johannes Prae-
torius erzählt (in dem seltenen Buch: „Sacra filamenta Divae virginis, oder
Naumburgische plumerantfarbene Seidenfaden. Halle MDCLVJ bei Naumburg
habe es am Gründonnerstag hochblaue Seide geregnet. Mehrere Aecker
seien davon erfüllt gewesen. Das Volk glaubte, Maria habe diese Fä-
den gesponnen. Andere ■wollten wissen, viele Schiffe, die mit diesem Sei-
dengarn befrachtet gewesen, seien kürzlich untergegangen und die Sonne habe
dasselbe an sich gezogen. Noch Andere erzählten, ein ganzes Schitf sei in
die Wolken gezogen und segelte darin wie im Meer. Ein Bürgersohn
zog sein Messer zum Essen hervor und liefs es über Bord fallen. Es fiel in
seines Vaters Schweinetrog, wo er es zu seinem Erstaunen nach einigen Jah-
ren bei seiner Heimkehr fand. Es scheint, dass hier verschiedene zusammen-
gehörige Sagen auseinandergerissen sind. Holda, die die Sommerfäden spinnt,
ist die Besitzerin des WolkenschifFes. Der letzte Teil der Sage wird schon
im dreizelmten Jahrhundert von GerA-asius von Tilbury in den Otia imperia-
lia cap. Xni de mari , ed. Liebrecht S. 2 erzählt. Er fügt seinem Bericht
die Aeufserung hinzu: ,,Quis ergo, ex publicato hujus facti testimonio mare
super nostram habitationem in a6re vel super aerem positum
dubitabit?
1) Meier, Schwäbische Sagen S. 183. No. 201.
2) Sommer, Sagen aus Sachsen und Thüringen S. 34. No. 31. S. 33.
No. 30.
3) Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen S. 267. Kuhn, Nordd.
Sagen S. 347 fgg. Bemerkenswert führten Dienstmänner der Pfalzgrafen von
368
Schwan (Ente) den Schlüssel zum Glasberg oder
goldenen Schloss zu finden weifs, s. oben S. 345, fin-
det der Käfer den Schlüssel zum kinder bergenden (Wolken-)
Fels.
Es wird nämlich erzählt, dass ein armer Knabe von einem
grauen Männchen eine Schachtel erhält, worin ein Käfer sich
befindet. Durch einen geheimnisvollen Pfeifer werden nun
viele Kinder in einen Berg gelockt und darin verschlos-
sen. Hansl öfibet seine Schachtel, der Käfer wühlt aus der
Erde einen Schlüssel heraus, womit eine Tür im Berge sich
auftut, die hinter dem Berge zu einem lichten Wonneland
mit dem goldenen Schlosse führt, zu welchem der Käfer
wiederum den Schlüssel aufsucht und findet. Der Käfer
war ein verwünschter König'). In der ehemaligen
Geltung der Insecten als Mären, Eiben liegt vielleicht der
Grund davon, dass man noch spät im Mittelalter dieselben
als vernünftige Wesen behandelte ^).
Der in den Reimen vom Maikäfer und Marienkäfer
beobachtete Gedankenzusammenhang wird somit von allen
Seiten bestätigt. Zu erwähnen wäre noch ein schwedisches
Kinderspiel. Man fragt das Kind: „har du sett her-
rans höns?" hast du die Marienkäfer gesehn? Lautet die
Tübingen den ständigen Beinamen Sunnenchalp. S. Uhland bei Pfeiffer.
Germania T, 310.
1) Zingerle, KHM. aus Süddeutschland 1854 S. 179 fgg. Ich vermute
fast, dass dieser auch in der Sage voii Hameln und sonst s. oben S. 257.
Wolf, Beiträge I, 171 vorkommende Pfeifer, der das Sturmlied des wil-
den Heers singende Wodan ist vergl. oben S. 44 ; 174; 290 der die Seelen
in den Wolkenberg lockt.
2) Im Jahre 1479 wurden die Insecten in der Diöcese des Bischofs von
Lausanne vom Stadtschreiber Frickart zu Bern vor Gericht geladen und ihnen
in der Person des kürzlich ^^erstorbenen Advocaten Perrodet, eines berühmten
Rabulisten, ein öff'entlicher Sachwalter bestellt. Als die Beklagten nicht er-
schienen, wurden sie in contumaciam verurteilt, bei Strafe der Excommuni-
cation das Land zu räumen. S. Histor. literar. Reise d. d. abendl. Helvetien.
Leipzig 1782 II, 131. 132. Die in Folge des angestellte Beschwörung
ist mitgeteilt: Zeitschr. f. D, Myth. IV, 119. Ebenso verurteilten die Offi-
cialen von Troyes am 9ten des Heumonats 1516 auf die Klage der Bauern
von Villeneuve die Raupen, in 6 Tagen fortzuziehen, widrigenfalls sie ver-
flucht und excommuniciert werden sollten. S. Vulpius, Curiositäten I, 391.
Die Umer Geistlichkeit wandte sich 1492 gegen die Engerlinge an den Con-
stanzer Bischof und 1557 wurde ein Process gegen die grünen Fliegen und
Stechbremsen anhängig gemacht.
369
Antwort verneinend, so hebt man das Kind an den
Ohren in die Höhe'). Es soll die Käfer also in der
Höhe suchen.
Unsere Käferlieder müssen sehr alt sein. Mehrere von
ihnen werden gesungen, während man den Maikäfer an ei-
nem Faden hin- und herflattern lässt. Der gleiche Gebrauch
hatte in England beim Schmetterling statt. Strutt veröf-
fentlicht aus einem Manuscript des 14ten Jahrh. (Royal
library No. II, 6. VII.) das Bild eines Knaben, der einen
Schmetterling an einem Faden gefangen hält und auffliegen
macht ^). Mit dem Goldkäfer übte schon die hellenische Ju-
gend denselben Brauch. Aristophanes sagt:
dXX a7io%dlcc T)]v (foovTi'd' eig tov ccenct
hvodsTOV ojöTTeo ur}lol6}h^h]v tov noting ^).
Wir kehren nunmehr zum Ausgangspunkt unserer Un-
tersuchimg, zu Engelland zurück. Durch die Käferlieder
ist dasselbe als ein himmlisches, vom Gewässer umflosse-
nes Seelenreich bestätigt. Als solches wird es auch wol
in dem schwäbischen Kinderreim zu fassen sein:
1) Arvidson, Svenska fonisiuigor III, 494.
2) Sports and pastimes' I, S. 389. In Holland liefs man auf gleiche
Weise Sperlinge am Bande flattern. In Jacobi Catzii „Sinnebeelden nu ge-
bruykt tot leere der zeden. Amsterodami MDXX" findet sich p. 11, S. 106
ein Abschnitt „Kinderspel geduyt tot Sinnebeelden ende leere der zeden. ex
nugis sera;" woneben auf einer Tafel allerlei Kinderspiele abgebildet sind.
Ein Knabe hat einem Sperling ein Band um das Bein gebunden und lässt
ihn fliegen, ein anderer lockt einen davongeflogenen Vogel wieder herbei.
Dabei steht der Text (S. 106. 110):
Den jongen, die daer speien gaet
en houdt een musken by een draet,
wanneer de musch te hooghe schiet
roept over luyt hey: hoogher niet!
en sehoon de musch haer stelt tor wecr
hy rucktse met den draet ter neer.
Als is de musch los van den bant
sy keert weer nae de jongens hant,
en dit al om een weynich aes,
veel menschen zyn soo dom en dwaes,
dat's om een schotel moes of kruyt,
haer vryheyt geven als tcn buyt.
lieber dieselbe Sitte den Spatz an der Schnur fliegen zu lassen im Elsass und
der Schweiz s. Rocholz, Aloinann. Kinderlied II, S. 464.
3) Nubes 762.
24
370
Fahr üfe, fahr abe,
fahr Engelland zu.
(drei Guide, drei Batze,
gibt au e Paar Schuh) ').
Dagegen ist in der Variante des oben S. 328 fgg. er-
läuterten Liedes: „Wie well met no England gon? Eng-
land es gefslote, de fslötel es gebroke. Dor färe wei hen,
dor brektdat schepp, dor legge wei allegaar ^)," die Er-
wähnung des Schiffs offenbar durch misverständliche
Auffassung von Engelland als Grofsbritannien hervorgeru-
fen. Eher könnte die Lesart „Engeland isch zuge-
schlosse, un die brick isch abgebroche" ^) echt
und hier von der Totenbrücke die Rede sein, welche
s. oben S. 364 die abziehenden Zwerge überschreiten.
Wie Holda s. oben S. 263 fgg. und Gerdrüt S. 319
sowol die Toten bei sich aufnehmen, als auch die See-
len zur Geburt auf die Erde senden, wie der Schwan
sowol Seele selbst ist, als auch Seelen in das mensch-
liche Leben und aus demselben geleitet s. oben S.
342 fgg., wie der Hund des wilden Jägers Seele, Seelenge-
leiter und Wechselbalg zugleich war s. o. S. 300 fgg., gra-
deso kommen auf demselben Wege, den wir in diesem Ab-
schnitt Seelen und Mären nach Engelland nehmen sahen,
über das himmlische Gewässer nämlich, nach niederländi-
schem Glauben die Kinderseelen. In Belgien fragen die
Kinder: Moder wanner köpen wy en kindje? „Het
schip zal weldra komen, dan zult gy en zuster-
ken hebben" *).
Wir wiesen vorhin Verwandschaft der lusecten mit
den Seelen und Eiben nach. In Salzburg sagt man für:
„du hast damals noch nicht gelebt," „du bist noch
mit den Mücken ho'umgeflogen ^)." Beim Beginn des Som-
1) Meier, Schwab. Kinderlieder S. 539. No. 220.
2) Kleve. Firm. I, 379.
3) Mittelsaar. Firm. 11, 556.
4) Wolf, Beiträge I, 164. Wolfs Papiere.
5) Mündl. d. J. V. Zingerle.
371
mers kommen nun die Mücken und Fliegen aus dem Ei-
benreiche zu Schiffe angefahren.
Matthe oder Barthlime
Bringt es Schiff voll Fleugen und Flöh.
In Aargau geht von der Mücke folgendes Rätsel:
Es tritt e schnepf i's schiff
und git dem speck e spick,
und isch es nit e schick
ass der schnepf is schiff tritt
und dem speck en spick git?" ')
Aus den dargelegten Anschauungen erklärt sich viel-
leicht eine Strophe in dem berühmten Liede Sonartorrek,
dass der Skalde Egill Skallagrimssonr (er lebte 902 — 980)
auf seinen ertrunkenen Sohn sang;
Byrr er byskips i bae kominn
kvanar son kynnis leita -).
Hier wird der Himmel oder die Luft als Sitz der Seligen,
„die Wohnung des Schiffes der Bienen genannt."
4) In Bezug auf ihre mythische Bedeutung berühren
sich die Käfer auf das engste mit den Schmetterlin-
gen. Wie im Norden die coccinella Marihoene, heifst
der Schmetterling in mehreren norvegischen Landschaf-
ten gleichfalls Marihoena, in Soendmoärstift Mari haue,
in Guldbrandsdalen Murihoene ^). Die Irrwische, welche
bald für Seelen ungetaufter Kinder, bald für Geister be-
trügerischer Landmesser gelten, heifsen nd. Tükbolde,
Tukkebolde, und ebenso der Schmetterling hd. Zie-
bold, umgekehrt führt der Schmetterling die Namen Züns-
ler und Landmesser*). Hexen d.i. Elbe s. o. S. 54
heifsen Milch diebe, der Schmetterling Molkentöver-
1) Rocholz, Zeitschr. f. D. Myth. I, 137, 14. Alemannisches Kinder-
lied I, 227, 19.
2) Egilssaga ed. Havn. 634. Sonartorrek 17. In des Bienenschiffs
Bau stieg der Bube, der Sohn meiner Gattin sein Geschlecht (die Kundschaft,
Verwandschaft) zu besuchen.
.S) Ivar Aasen ordbog ovcr det Norske folkesprog S. 300.
4) Myth.2 868.
24*
J72
sehe ') auch sloveii. werden Hexe und Schmetterling durch
dasselbe Wort „vesa" bezeichnet. Die Eiben, guten
Holden haben die Gestalt von Schmetterlingen, Rau-
pen, Hummeln oder Queppen. Schon eine ahd. Glosse ^)
übersetzt die verwandte Heuschrecke in Alp: brucus, lo-
custa quae nondum volavit, quam vulgo albam vocant;
auch der Teufel erscheint als Schmetterling. In oberdeut-
schen Mundarten sind Schretel, Mären und Schmet-
terlinge mit denselben Namen: „Schrat teli und Tog-
geli" belegt. Im Luzerner Dialect bedeutet Toggeli Alp-
drücken und Schmetterling zugleich^). Ein Zwerg in
einer aargauischen Sage kommt wie ein Schmetterling da-
her*); und die Pest, der Tod erscheint ebenfalls als Schmet-
terling ^).
Hienach ist es gewiss, dass auch der Schmetter-
ling als Seele = Alb = Mär gedacht wurde. Als
solches Wesen muss er auch im himmlischen Elbenlande
bei (Holda und) den Kinderseelen seinen Sitz gehabt ha-
ben. Hören wir die folgenden Zeugnisse.
Der Schmetterling heifst in mehreren, vorzüglich ober-
deutschen Landschaften Miller. Ebenso ist in Sommerset-
shire „a certain kind of large white moth" genannt^), in
anderen englischen Provinzen bedeutet milier eine Fliege.
Heinsius führt Mühler als Namen der Schmetterlinge auf).
1) Myth.* 1026.
2) GraffI, 243. Notker übersetzt ps. 104 (Hattemer 11, 380) die Worte :
Dixit et venit locusta et bruchns, cujus non erat numerus: .,S6 gebot er
aber unde do cham mätoscregh, cham sin sunchever (Sonnenkäfer) der ende
ne was.
3) S. Rocholz, Sagen des Aargaus I, S. 346.
4) Rocholz a. a. 0. I, 277. No. 191.
5) Woeste, Volksüberlieferungen S. 44,
6) Notes and queries 1851 III, 133. Vergl. Thomas Wright, Dictionary
of obsolete and provincial English. London 1857 S. 673.
7) Volkstümliches Wörterb. d. D. Sprache III, 476. Das Wort Miller
entspriefst aus malan (molo), skr. mr, mar zermalmen und ist verwandt mit
melo (farina), goth. malma, altn. mälmr, ags. mealm, alts. melm, uhd. mulm,
muH und müU, ahd. molta (pulvis), goth. mili]? (mel), ahd. milta (liberali-
tas), Mord, Marder (nielis, martes), lat. mors, griech. fiÖQu;, f.iogi6^, ä/(-
(/5)(>0T0?. Vergl. Gramm. II, 54. No. 560. Buttmann, Philol. I, 131 fgg.
Bopp, Gloss. Sanscr. 269. Von dieser Wurzel leitet sich goth. malo (Motte),
altn. mölr (Motte), ahd. miliwa (Milbe), d. i. das zermalmende, alles zerfres-
373
In Baiern ist Mile-raale, in Hessen Miller- Maler ein
Kiuderwort für Schmetterling. Es ist natürlich, dass das
Volk sobald es den Namen des Schmetterlings Miller
nicht mehr versteht, denselben in Müller (molitor) umdeu-
tet. In der Wetterau reden die Kinder den Schmetter-
ling mit folgenden Worten an:
Miller, milier, mäler,
geab mr'n sack voll däler,
geabb mr'n däler ean die haa(n)d,
se färn aich meatt nooch Engellaa{n)d^}.
Ist der Käfer hienach im himmlischen Lande der Engel
zu Hause, so zeigt sich seine Verbindung mit den Kin-
derseelen in folgendem Spruch:
Müller, Müller, Maler,
Hat eu Sack voll Daler,
Müller, Müller (Metzendieb),
Hat die kleinen Kinder lieb"^).
Der Schmetterling wird sogar aufgefordert, eine Kinder-
seele für die gebärende Mutter zu kaufen (vergl. o. S. 370
„wanner köpen wy en kindje?"). Das alte Lied, welches
diese Aufforderung enthielt, ist uns nur in mehren stufen-
weise modernisierenden Umdichtungen bewahrt:
1.
Müller, Müller, Maler,
Die Jungens kosten 'n Taler,
sende lusect. Denselben Sinn gewährt obiges Miller, Müh 1er. Milllen-
hoff sucht Nordalbing, Stud. I, 223 — 226 das Dasein eines Zwerges Milo
zu erweisen, dessen Name denselben Stamm enthält. In Berlin heilst Mil-
ler oder Müller eine weifsliche Art Maikäfer, welche bei den Kindern
im Frühling in besonders hohem Preise und vorzüglicher Geltung steht. Nach
Heinsius ist der Müllerkäfer ein dem Maikäfer sehr ähnlicher, aber fast
noch einmal so grofser und gefleckter Käfer, welcher im Juli zum Vorschein
kommt und aucli die Namen ,,gcmarmelter Maikäfer, Tannenkäfer, Donuer-
käfer" führt. Diese Tiere sind wol nach der Farbe benannt.
1) Friedberg. Firm. 11, 101. Zeitschr. f. D. Myth. I, 475, daraus Sim-
rock KB. 2 142, 560.
2) Sachsen mündl. d. Dr. Hildebrand in Leipzig. — Varr. Hildburghau-
sen d. Lehrer Anding: Du hast die alten Weiber lieb. — Weimar d. Reinh.
Köhler: Hat die hübschen Mädchen lieb. — Hildburghausen d. Lehrer An-
ding: Hast de jonge maige lieb.
374
Die Mädchen kosten 'n Taubendreck,
Die wirft man mit der Schaufel weg ').
2.
Müller, müller, maier,
de därens kost'n daler,
de jungens kost'n dübendreck,
de fägt wi mit'n bessen weg^).
3.
Müller, müller, maier,
de därens kost'n daler,
de jungens up dat hottepärd,
de sind wol düsend daler wärt^).
4.
Möller, möUer, moaler;,
de mäkens kriehn in doaler,
de jungens kriehn in reiterperd,
dat ist wol dausend doaler wert *).
5.
Miller, milier, maier,
s' Bärwel um e daler,
s' Lissel um e schissellumbe,
s' Gredel um dreihundert gulde ^).
Die angeführten Lieder gehen jetzt schon meistenteils
auf den Müller, No. 5 aber wird im Elsass noch immer
dann, und nur dann gesungen, wenn man des Schmetter-
lings ansichtig wird. Es kann daher kein Zweifel sein,
1) Pommerellen mündlich. Vergl. Simrock, Kinderb. ^ 51, 183: „Die
schuppt man mit den Beinen weg." Yergl. Simrock a. a. 0. S. 33, 139.
2) Oldenburg Thöle und Strakerjan, Aus dem Kinderleben S. 88; Prieg-
nitz Firm. I, 101. Elberfeld Firm. I, 426.
3) Thöle und Strakerjan a. a. 0. 88. 99.
4) Neudamm bei Küstrin. Firm. I, 122, daraus Simrock Kß.^ 51, 184.
Varr. Priegnitz d. H. Deichen: „das ist nicht 6 Pfennige wert." — Adams-
dorf bei Soldin: „de jungens kriehn 'n duwendreck , schmiem sich miil un
näs dämet." ■
5) Stöber, Elsäss. Volksbüchlein 43, 85. Daraus Simrock KB.' 119, ■
315. Firm. II, 524. '
375
dass auch die andern Recensionen ursprünglich bei gleicher
Gelegenheit dienten und damit ergiebt sich die Richtigkeit
des von uns behaupteten Sinnes '). Engelland birgt also
die Kinderseelen. In No. 7 des Spiels von Frau Rose
6. oben S. 278 fragt der Käufer der Kinderseelen:
„Wie heifst der König von Engelland?^ Offenbar will er
von diesem die Seelen verlangen; Frau Rose, Göde, Holda
soll damit als Herrscherin des Engellandes bezeichnet
werden.
5) Ein holsteinischer Segensspruch beim Regen lautet;
Ragen, ragen, rüsch,
de könig färt to büsch;
„lät den ragen oewergan,
lät de Sünn wedderkämn!"
Sftnn, Sünn kumm wedder
mit dm golden fedder,
mit din golden stralen (var. lect. : schal)
beschin uns alltomälen (var. lect. : mal),
beschin dat ganze Engelland,
dar hangt de klokken an de wand,
wo Maria bawen sitt,
mit dat lütje kind in'n schöt,
hält en stüten botterbrod ^).
Auf den Faöroeer hat sich dasselbe Lied erhalten:
Maria gongur til stettar,
kembur sitt här og flettar,
bäö hon gud at regniö skuldi latta,
„latti regn og skini sol."
Kirkjan i Skänoy
hon skinur sum sol og mäni,
1) In Souimersetshire ist das alte Lied noch mehr verunstaltet. Die Kin-
der singen beim Anblick des Schmetterlings:
Millerj, millery dousty poU
how many sacks hast thou stole?
Nach diesen Worten wird die Motte getötet. Notes and queries III. 1851.
S. 133.
2) MüUenhoff, Sagen S. 517, 33. Daraus Simrock KB^ 133, 5H.
376
allir guds einglar i himmariki
vilja firi henni klära.
klagd teg vel og legg teg til;
torni, tä iö Jesus vil;
summir halda eystur,
summir halda vestur,
men eg lialdi middags tima.
Mariusonurin bliöi
Ijeti nü soliiia skina!
upp lysi mjörki äf tindi
aftur komi sölskin viö ongum vindi ').
Den niederdeutschen Segen hat schon MüUeuhoff be-
sprochen -). Das Lied leitet mit einer epischen Formel
ein. Der Kegen rauschte; da der König, ein Gott (Wo-
dan oder Thunar) zu Walde fuhr (dieser Busch ist die
Wolke s. o. S. 354). Der Gott selbst beschwört den Re-
gen; „Mag der Regen übergeh'n, mag die Sonne wieder-
kommen."
Nun folo;t die Anrufun» von Seiten der Menschen:
„Komm wieder, o Sonne mit deinen beiden Töchtern Gold-
feder und Goldstrahl, bescheine uns allzumal, durch-
leuchte den ganzen Himmelsraum, dasLand der
Engel, wo eine holde Frau mit dem Kinde auf dem Arme,
Holda (mit den Kinderseelen?) sitzt ^).''
1) Antiquarisk tidskiift 1849 — 51 S. 314, 13. Maria geht zur Stätte^
kämmt und flicht ihr Haar. Sie bat Gott, dass das Regnen aufhören
sollte. .jHöre auf Regen und scheine Sonne!" Die Kirche auf
Skäney glänzt ^^'ie Sonne und Mond, alle Gottes Engel werden vor
ihr (der Kirche, ante templum ) leuchten. Kleide dich wol und tu dich
an, trocken wirds, wenn Jesus es ■wUl. Einige (Gebete) schjdlen um die Mor-
genzeit, andere schallen um die Abendzeit, aber ich schalle in der Mittags-
stunde. Milder Mariensohn lass die Sonne nun scheinen, fort nimm
den Xebel vom Berggipfel. Statt dessen komme Sonnenschein ohne Wind.
2) Xordalbing slud. IV, 211.
3) Nach Fomaldarsög. II, 7 (vergl. Petersen, Nordisk mythologi 73, s.
oben S. 39) hatten Tag und Sonne (Dagr ok S61) eine Tochter Schwan-
hild Goldfeder (Svanhilldr GullfjöÖr), welche sich somit als Hypostase des
Sonnenstrahls kundgiebt. Daraus wird wahrscheinlich, dass in unserm Segen
..die goldue Feder" ein aufgelöster Eigenname ist. Der epische Parallelis-
mus erfordert, dass dann auch ,,mit deinen goldnen Stralen" auf eine Gold-
s t r a 1 a, Goldpfeil, Goldstrahl zurückweist, für die Müllenhoff eine ältere Goldskima,
Goldberahta vermutet, das er aus den Worten ,,mit din golden schäl" entnimmt.
^377 _
Ergebnisreicher ist die faeroeische Fassung. In ihren
ersten Zeilen stimmt sie ganz mit der deutschen überein,
nur dass Maria (Freyja), die hier gleich den weifsen Frauen
ihr Goldhaar strählend dargestellt wird, nicht ein Gott, das
Aufhören des Regens veranlasst, und die Sonne wieder her-
aufführt. Wieder wird das strahlende Tagesgestein seinen
Glanz verbreiten. Dies wird dadurch bewirkt, dass Got-
tes Engel vor der Kirche auf der Lichtinsel (?) ^), die wie
Sonne und Mond leuchtet, ihr Licht ausstrahlen.
Diese Kirche (auf der Lichtinsel), die wie Sonne
und Mond strahlend im glänzenden Himmelsraum steht,
vor der alle Engel ihr Licht ausstrahlen, ist der
Palast Gimill, der glänzender als die Sonne ist (allra
er fegrstr ok bjartari en sölin) ^), von Golde strahlen-
der (sölu fegri, gulli betri)^), und in welchem die Licht-
älfen wohnen, die glänzender von Angesicht sind
als die Sonne (s. oben S. 322 fgg.) '').
Sind die Liösälfar strahlender als die Sonne, ist das
Licht in Gimill heller als der Schein des Tagesgestirns,
und hat die Sonne, wie wir bei der Betrachtung von Gliö
wahrzunehmen glaubten, an diesem Ort ihre Heimat, so
liegt der Schluss nahe, dass sie erst von dem Lichte aus
Liösälfaheimr = Gimill = Viöblainn ihren Glanz empfängt.
1) Skänoy, Skäney ist die allgemein nordische Benennung von Schonen.
Es ist aber klar, dass dieses hier nicht gemeint sein kann, da von einem
himmlischen Ort die Rede ist. Ich vermute daher, dass dieses Skäney
volksetymologische Umdeutung von Skiney Glanzinsel ist (vergleiche
das Eiland GliS)- Man könnte selbst die volksetjTnologische Umbildung
abweisen, und die Form Skäney unmittelbar in der Bedeutung von Lichtinsel
zu rechtfertigen versuchen. Neben altn. skin (splendor) bestand wahrschein-
lich in älterer Zeit ein in unsern Denkmälern verlorenes skein (lux, splen-
dor), wie ags. sc an in der Tat vorkommt. Da nun altn. ei = goth. ai
mitunter in ä übergeht, zwar meistens vor h und v, aber doch auch in vie-
len andern Beispielen (s. Gram. I.^ 458). so könnte Skäney auf ein älteres
Skeiney zurückgehen. Oder enthielte, da altn. ä in anderen Fällen aus
goth. au erwächst (s. oben S. 178, Anm. 2), imser Skäney das Wort goth.
sliauns, ags. scene, scyne, scione, ahd. alts. scuni, schwed. skön, dän, skjön,
nhd. schön, so dass darin die Bedeutung „pulchra, formosa, splendida insula"
läge? Vergl. ags. scir-häme clara patria, ahd. scaonisanc melodia.
2) Gylfaginning 17.
3) Völuspä 62 in Gylfag. 17.
4) Vgl. ags. älfscine schön wie die Elbe, u. Grimm, Ir. Elfenm. S. LXVIII.
378
Bestätigt wird diese Annahme durch die altnordische Be-
nennung der Sonne älfrööull Alfenstrahl, d. i. Ausfluss
des Lichtes in Alfaheimr. Dieser Ausdruck alfrööull
begegnet bereits in den ältesten Liedern der poetischen
Edda '). Er stimmt genau mit dem deutschen Aberglau-
ben überein, dass die Sterne Augen der Engel d. i. der
Lichtelbe sind -). Jeder Stern hat seinen Alb (Engel), der
ihm die Stätte weist, wo er hingehen soll ^). Elbe, die
Seelen alter Jungfern, schneiden aus abgenutzten Sonnen
die Sterne zu ^). So oft ein Kind stirbt, macht Gott ei-
nen neuen Stern und giebt ihm den zum spielen ^). Die
Sterne sind also Wirkungen der Elbe, diese schauen
aus den Gestirnen heraus, lassen durch dieselben ihr Licht
leuchten. Was Ton den übrigen Gestirnen gilt, hat auch
bei der Sonne statt. Der Aufganff der Sonne ist das Na-
hen lichter Elbe, man hört ihre Flügel rauschen ^). Zwerge
haben die Sonne geschmiedet, Zwerge tragen sie oder füh-
ren sie am Himmel herauf'). Eine eddische Umschreibuns:
der Sonne ist eyglö Augenglanz ^) und wiederum werden
die Augen in der altnordischen Poesie durch Sonne (söl),
Stern (tüugl), gier (Glanz, Glas), Licht (liös), der Au-
genbrauen, Wimpern, der Augenlider oder der Stirn (brä
eöa brüna, hvarma eöa ennis) umschrieben^). In einer
1) Vaf jjrüönism. 47 ; Skimisför 47, später Hrafnagaldr Öbins 26. Skäld-
jarm. c. 75.
2) Myth.» LXXX, 334. Myth.^ G65.
3) Myth.^ 684. Eenner 10984.
. 4) MüUenhoff, Sagen S. 359, 182. Nordalbing. Stud. IV, 202.
5) Rocholz, Alemannisclies Kinderlied II, 345, 268.
6) ]?ä com eugla sweg, dj-ne on dägred. Caedm. 289, 26. Vergl. J.
Grimm, Andreas und Elene XXX.
7) Heiti der Sonne ist: erfibi ega byrSi dverganna. Skäldskaparm.
cap. 23. SnE. I, 314.
8) Alvism. 17. Eyglö (zusammengesetzt aus ey = eyg Auge, s. S«-
mundaredda Havu. I, 473, und gloi m. f. oder glöa indecl. glänzend) d. i.
oculis corusca. vgl. fagrgloa Alvism. 5. Nach dem Svefnej-er papiercod. Eggert
Olafsons u. Fragm. Amamagn. 748 heifst die Sonne Eygloa SnE. II, 460.
Wiederum ist Völuspa 15 ein Zwerg Glöi (in der Snorraedda Glöinn) ge-
nannt. — Als Auge der Lichtälfen oder der Götter s. oben S. 143 schaut
die Sonne die Wesen in allen Welten. ,,S61, er sjä alda synir heimi hverjum
i." Alvism. a. a. O.
9) Skäldskaparm. cap. 69. SnE. I, 538.
379
Strophe des Skalden Einarr Skulasonr wird das Auge
Himmelsgestirn (himintüngl) des Schädels genannt*).
Fassen wir nunmehr noch einmal das Pressburger Re-
genlied s. oben S. 255 ins Auge, das wir hier der Bequem-
lichkeit wegen wiederholen. Bei trübem oder veränder-
lichem Wetter z. B. im April, wenn die Sonne sich bald
verbirgt, bald wieder hervorkommt, singen die Kinder im
Kreise herumtanzend:
Liabi frau machs türl auf,
läfs die liabi sunn herauf.
läfs in reg'n drina,
läfs in sehne verbrina.
d' engein sitzen hintern brunn,
wart'n auf die liabi sunn.
Kommt die Sonne hervor, so fallen die umtanzenden Kin-
der auf die Knie:
Sunn, sunn kummt
d'engarln fall'n in'n brunu.
Hinter dem himmlischen Brunnen, dem Wolken-
gewässer, hat Frau Holda Sonnenschein, Regen und Schnee
verborgen. Ist die Sonne nicht draufsen, ruht sie im ver-
schlossenen Hause der Göttin, so ruhen auch die Elbe
hinter dem Wolkengewässer, öflPnet Holda die Tür, schiebt
sie die Wolken auseinander und lässt die Sonne heraus,
so treten auch die Elbe in die vordere Wolkenschicht
vor und erhellen sie mit ihrem Glänze, sie sind es, die das
Sonnenlicht, die Sonnenstrahlen bewirken. Wörtlich mit
dieser Vorstellung stimmt die faeroeische überein, wenn die
Sonne scheint, so leuchten die Engel (Liosälfar) vor dem
Palast auf der Lichtinsel, der Kirche in Skäney ^). Gleich
1) Orms Eddubrot. SnE. Arn. II, 499. Auch bei den Griechen nennt
Diogenes Laertios VIII, 29 die Augen 'HUov niilai,- Vergl. Lauer, Sy-
stem 248.
2) Diese Kirche scheint auch in einem deutschen Märchen aufzutauchen,
das auffallende Aehnlichkeiten mit der Völundarsage zeigt. Das in beiden
genannte Federhemd, mit dem ein Fürst göttlichen Jungfrauen zufliegt, ist
ein Schwangewand. Der Aufenthalt der Schwanjungfrauen auf dem himm-
lischen Glasberg = ViÖblainn ist oben S. 342 nachgewiesen. Ein Tischler
und ein Goldschmied, so erzählt das Märchen, wetteten, wer das beste
380
dem Kinderspiel von Frau Rose ist das Pressburger Lied
ein alter Chorreigen, in dem das Vortreten oder Niedersin-
ken der Engel (Elbe) aus der höheren Lichtregion in den
Himmelsbruunen dramatisch dargestellt wird. Das holstei-
nisch-feroeische Lied dagegen ist ein Götterhymnus mit
epischem Eingang, gehört also einer anderen Gattung der
urgermanischen Poesie an.
Von dem Liede „Regen, regen, rüsch!" sind uns lei-
der in andern Landschaften des Vaterlandes nur Bruch-
stücke erhalten:
1.
Sunne kumm wedder
mit diner goldnen fedder!
räo;en bliw weg
mit diner langen näse! ')
2.
Lewe regen blif wege
mit diner langen nese,
lewe sunne kum wedder
mit diner goldnen fedder,
mit dinen goldnen stralen
vam himmel herdalen ^).
3.
Lieber Regen geh weg;
Liebe Sonne komm wieder
Mit deinem Gefieder,
Mit dem goldenen Strahl,
Komm wieder herdal ^).
Kunststück machen könne. Der Goldschmied verfertigt einen Fisch, der im
Wasser schwimmen kann, wie ein lebendiger; der Tischler macht ein Paar
Flügel, mit denen er zum Fenster hinaus und dreimal um das Haus fliegt.
Ein Prinz fügt sich diese Flügel an, steigt damit höher und höher, bis er
hoch in der Luft zu einer Kirche kommt. In der Kirche wohnt eine
Königstochter. Die tut die Fenster auf, er fliegt hinein, heiratet sie und wohnt
mit ihr in der Kirche. Pröhle, Kinder- und Volksmärchen S. 17. No. 4.
1) Hameln Firm. HI, 146. Vergl. Müller, Altd. Religion S. 160.
2) Schmidt, Bremenser Kinder- und Ammenreime S. 46.
3) Nordheim Hannover. Zeitschr. f. D. Myth. HI, 176. Vergl. Schneide-
win, Conjectanea critica. Göttingen 1839 p. 180: „Audio in ducatu Bre-
381
4.
SüQning kurnm wärrer
met diiie schöne färrer,
met dinen gollnen sträl
beschin uns allemal ').
5.
Liebe Sonne komm wieder
Und scheine auf uns hernieder ^).
6.
Sunne kumm widder
met dine blanke lidder (Leiter),
met dine blanke sträl,
beschin uns alltomäl ^).
7.
Zu Hemschlag in Westphalen rufen die Kinder im
Frühling, mit Hölzchen oder Steinchen spielend:
Liebe, liebe Sonne,
Komm wieder in mein Häuschen *).
8.
Wind, Wind geh weg,
Sonne, Sonne komm ! ^).
In Holstein giebt es für den letzten Teil unseres Lie-
des noch folgende Version:
Dar hangt de klokken an de wand,
bäwen sitt Margreten
lett dat water fleten,
ünner sitt Maria
mit dat lütte kiud in'n schöt u. s. w.
mensi cantari a pueris hanc cantilenam, similem q.i).t])uäöi w«)',';, quam auimi
gratia appono: Läwe regeu gä weg mit dine gulle fedder, mit dine gulle sträl
von himmel herdäl.
1) Kuhn, Nordd. Sagen S. 456. Camem. Daraus Simrock, Kinderb.'
139, 519.
2) Halberstadt.
3) Neudamm bei Küstrin d. II. Be3'er.
4) Durch H. Lehrer Kulin in Hemschlag.
5) Weifsenfeis in Sachsen.
382
Margarete erscheint danach als Regengöttin. „Wenns
St. Margreten regnet, werden die Nüsse faul." „As het
op St. Maregriet regnet, regnet het ok zes weken achter
een" '). „As zente Margriet in haer bed pisse (vergl. o.
S. 146. Anm. 2) regend hed zes weken." In Tirol heifst
Margareta die Wetterfrau ^). Wie Müllenhoff*^) mit Recht
bemerkt, ist unsere Variante verderbt. In der ursprüngli-
chen Fassung musste Margarete als Regengöttin die un-
terste Stelle einnehmen, die schöne Himmelskönigin
über ihr verborgen im lichten Aether (im Viöblainn) sitzen.
Wir sehen also hier wieder das „Treppchen höcher"
des Kinderspiels von Frau Rose s. oben S. 304 bestätigt.
Die heilio;e Maro-areta trat in der Volkslegende an die
Stelle eiuer heidnischen Göttin, nicht aber der Unterwelt-
göttin Hella, wie Wolf*) darzutun suchte, sondern wahr-
scheinlicher der Schicksalsgöttin Wurth. In Schleswig und
Holstein identificiert man sie mit der Unionskönigin Mar-
gareta von Dänemark. Nach der Sturlüngasaga ^) erschien
UrSr, die älteste der drei Schicksalsjungfrauen um das Jahr
1232 einem Manne Namens Snebjörn in der Nacht vor Jul,
am Vorabend einer grofsen Schlacht. Sie zeigte sich ihm
als ein grofses dunkeles Weib mit rotem Angesicht in
einem dunkelblauen Gewand und mit einem Gürtel
von ineinander gehakten Blechen "). Sie sang ein Lied;
„wie sie sorglich dahinfahre Männer zum Tode
zu wählen')." Schnell flog sie wie ein schwarzer Vogel
über Höhen und Berge und liefs sich ins Tal nieder, um
sich da zu verbergen bis der Mond auf den Totenacker
scheint, bis die Schlacht beginnen soll ^). Ganz ähnlich
1) Buddingh, Verhandeling over het Westland 354.
2) Zeitschr. f. D. Myth. 11, 358. Tinkhauser, Beschreibung der Diö-
cese Brixen I, 251.
3) Nordalbing. Stud. IV, 214.
4) Beiträge I, 203.
5) Sturlüngasaga I, 2, 212.
6) ]jristelig, daprlig ok raugleit i dökkbläm kyrtli, stokkabeltli hafSi
hon um sik.
7) Harm[jrungin for ek hingat heljar ask at velja.
8) LiSk um hol ok haSir hart sem fuglinn svarti, kemk i dal, j?ar er
dyljumsk, dänar akrs til mäna.
383
erscheint die schwarze Greth in Schleswig stets in
schwarzem Gewände mit Perlen und Kleinodien ge-
schmückt. Einst verspricht sie einigen Fischern reichen
Fang, wenn sie den besten Fisch wieder ins Wasser wer-
fen wollten. Sie fangen so viel, dass der Kahn die Menge
der Fische kaum fassen kann. Unter denselben findet sich
einer, der Goldmünzen statt der Schuppen, smaragdene
Flossen und Perlen auf der Nase trägt. Da die Fischer
aus Habsucht diesen Fisch im Boot behalten, verwandeln
sich auch die anderen Fische in Gold und ziehen durch
ihre Schwere den Kahn in die Tiefe. Die Männer kom-
men um'). Die schwarze Margret erscheint also hier
als Todesvorbotin ^). In der Nähe von Schleswig liegt
ein kleiner Hügel, der Dronningshöi, in welchem ein König
begraben liegen soll, den die schwarzeMargret erschlug.
Sie führte mit ihm Krieg. Unter dem Scheine friedlicher
Gesinnung liefs sie ihn zu einer Unterredung einladen. Der
Fürst fand sich ein. Sie bat ihre Sturmhaube fester bin-
den zu dürfen und ersuchte ihn, damit sie inzwischen sicher
sein könne, sein Schwert in den Boden zu stofsen. Als dies
geschah, ging sie auf ihn los und hieb ihm den Kopf
ab^). Hier haben wir deutlich die totenwählende Nörn.
— Zwischen Itzehoe und Hohenwestedt in Holstein liegt
ein Sumpf der Pay ssener Pol (Pfuhl) genannt, worin ein
Schloss versunken ist. Aus diesem steigt allnächtlich die
Payssener Gre t hervor, welche verwünscht ist umzugehen,
weil sie viele Menschen, sogar ihren eigenen
Mann aus reiner Lust am Morde getötet hat. Sie
setzt sich zu Reisenden hinten auf den Wagen. Nacht für
Nacht muss sie die Haideblümchen des ganzen Reviers
zählen''). Gradeso lesen und zerpflücken 3 Jung-
1) Biernatzki, Schleswigholst. Volkskalender I, 1844. S. 87.
2) Da der Hauptfang der Fischer am Dannevirke, wo diese Sage erzählt
wird, in Brassen besteht, deren Oberkiefer perlenähnliche Erhöhungen hat, und
deren Schuppen wie Gold glänzen, so begreift sich leicht, dass die Todes-
bo tschaft der alleinige und ursprüngliche Kern der Sage ist.
3) MiiUcnhoflF, Sagen S. 19. No. 16, 2.
4) MüUenhoff a. a. O. S. 177. No. 245.
_ 384_
frauen im Schloss zu Tönningen in Schleswig, in denen
wir unten deutlich die 3 Nörnen nachweisen werden, Blu-
men und Kränze ^), ein Zug, durch welchen die bekannte
Sitte des Sternenblumenpflückens als Schicksals-
orakel an Bedeutung gewinnt und in seinen mythischen
Zusammenhang rückt ^). Mit dem Namen „die schwarze
Gret," „swatte Griet," „ booze Margriet" wird in
ganz Niedersachsen und im Niederland ein böses Gespenst
bezeichnet ''). Dieser Name kann daher nicht von der
speciell nordalbingischen Dänenkönigin hergenommen sein,
sondern muss auf ältere Grundlage zurückgehen. Er ist
wiederum volksetymologische ümdeutung eines deutschen
Namens alts. Markrid, ahd. Markrit, altn. MyrkriSr, Mark-
riSr oder Markriöa, d. i. Waldreiterin''). Mark = altn.
mörk, markar hat die Bedeutung Wald, Waldgrenze^).
Von den den Nörnen sehr nahe stehenden Valkyren heifst
es in der Völundarquiöa : „Meyjar flugu sunnan myrkviS
igögnum Alvitr ünga orlög drj^gja." „Mädchen flogen von
Süden durch Myrkviör (den Markwald, Dunkelwald), Al-
vitr die junge Krieg zu treiben;" sie kamen auf die Erde.
Als ihnen ihre Schwanhemden genommen sind, „meyjar
fystusk ä myrkvan viö Alvitr ünga, orlög drygja," da sehn-
ten sich die Mädchen nach MyrkviSr, Alvitr die junge
Krieg zu treiben. Dieser Wald ist (hinter dem die Hei-
1) MüUenhoff a. a. 0. S. 349. No. 446.
2) Man zählt an den Blütenblättern der Sternblume ab, ob man geliebt
wird, ob der oder jener noch lebt u. s. tv. An Stelle dessen ist bisweilen
eine Lofstmg mit Halmen üblich. Bekanntlich sagt schon Walther von der
Vogelweide: Mich hat ein halm gemachet vro, er gibt, ich sül genäde vin-
den. ich maz daz selbe kleine stro, als ich hie vor gesach von kinden. nü
hoeret unde merket, ob si'z denne tuo. „si tuet, si entiiot, si tuot, si entuot,
si tuot." swie dicke ichz tete, so was ie daz ende guot: daz troestet mich,
da hoeret ouch geloube zuo.
3) Wolf, Beiträge a.a.O. Vergl. das Margret enschö cklein bei
Panzer 11, 305, 12.
4) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 506 fgg. III. 26 fgg- Vergl. das Ap-
pellativ holtri^i. HjTuisqu. 27. Lautlich ganz nahe zu Markrid steht lat.
margarita, gr. /LtagyauCrriq, '«'oraus unser T auf na me Margrete entsprang. Ul-
fila schon macht daraus markreitus. Vergl. Myth.^ 1169. Gesch. d. D.
Sprache 233.
5) J. Grimm, Grenzaltert. Abhandl. der Berl. Akad. 1843 S. 111. Vgl.
myrkviör und rairiquibi bei Dietmar von Merseburg.
385
uiat der Schwanjungfrauen = Glasberg = Gimill ") liegt)
ist wol wieder die Wolke, vergl. oben S. 354. Die Nör-
nen, die den Valkyren in ihrer äufseren Erscheinung fast
ganz gleichen, werden an demselben Aufenthalte teilgehabt
haben und man begreift leicht, wie sehr ihnen der Name
Markreiterin zustehen durfte. Wir werden weiterhin
die Verbindung Holdas mit den Nörnen und den Aufent-
halt der letzteren im himmlischen Walde vollständig
bestätigt finden. Wir werden ferner sehen, dass ihnen eben-
falls die Natur der Wasser fr auen innewohnt.
Sehen wir nach dieser Erläuterung unser Bild noch
einmal an, so ergiebt sich, dass Maria = Holda oben in
ewigem Lichte thront, indess ihre Begleiterin unterhalb den
Regen spendet; eine Vorstellung, welche sehr wol neben
der anderen bestehen konnte, dass Holda selbst die Was-
ser fliefsen lässt. Aber auch über Frau Sonne sammt
ihren beiden Töchtern Goldfeder und Goldstrahl hat
Holda nach der holsteinischen Variante in Engelland ihren
Sitz. Sie ist also hier von Frau Sonne geschieden, wäh-
rend diese im Kinderspiel von Frau Sole mit ihr identifi-
ciert wurde.
Wie in der ebenbesprochenen Variante eine Begleite-
rin Holdas (Frikkas, Gödas oder Freyjas) das Geschäft des
Regnens übernimmt, tritt in andern Recensionen eine an-
dere Gesellschafterin der Göttin als Spenderin des Son-
nenscheins auf, während Maria (Holda) über der Sonne
in ewigem Lichte sitzt. Da die Sonne in unserm Alter-
tum von Urzeiten her u. a. als Rad angeschaut wurde ^),
so benannte das Volk jene Begleiterin Holdas mit dem Na-
men der h. Catharina von Alexandrien, welche ihrer Le-
gende zufolge von der Kirche mit dem Rade dargestellt
zu werden pflegte.
1) Nach Gylfag. 17 liegt Gimill am südlichen Ende des Himmels.
In dem ihm entgegengesetzten Näströnd sind dagegen die Türen nordwärts
gekehrt.
2) Fagrahvel d. i. das schöne Rad war kenning der Sonne, Alvism. 17.
Skäldskapann. cap. 75. vergl. Myth.^ G64. 586. 587. Kuhn, Nordd. Sagen
S. 518. Gebr. Anra. 142. Panzer, Beitrag II, 538 fgg.
25
386
1.
Maria boven de krönen
d'iugelsches zingen zoo schoon
Maria boven all
d'ingelsches zingen all: „gloria!" —
Sinte Cathelyne
laet de zonne maer scbynen
dat de regen overgaet,
dat de kinderen te schoole gaen! ').
2.
Bim bam bare,
de klokken luiden te Gend tegäere
over eenen dooden man:
dood manneke zoet,
Jesusken is gaen houtje rapen,
om en vierken te maken.
Sinte Cathalyne
laet de zonne maer schynen,
dat de regen overgaet,
dat de kinderen ter scholen gaen;
wie zal ze leeren?
onz' Lieve Heere;
wie zal ze vragen?
onz' Lieve Vrouwe;
wie zal ze kerstenen doen?
Pieter met zyne gelapte schoen,
Pieter achter de mistpoei ^).
3.
In Oldenburg singen die Kinder den Marienkäfer
(coccinella) an:
Sonne, Sonne Kathrins
lät den ragen öwergän!
lät de kinner nä schole gän!
1) Briefl. Mitteilung Louis de Baeckers. Die Mitte des Liedes hat er
mitgeteilt in s. Religion du Xord de la France S. 172.
2) Gent, Wodana Museum voor nederduitsche oudheidskunde I, 86.
_^387
lät se göd wat leren,
lat se bokstaberen ').
4.
Läwe, läwe Trine
lät de sünnke schine,
lät dem regenke öwergäne
dat de klene kinner kunne speie gäne*).
5.
In Danzig;
Adrian, Adrian
lät den regen öwergän,
lät de sunne schine
öwer Sankt Kathrine^>
6.
Kolina, Kolina!
lät seien skina
öfver topp, öfver trä,
öfver folk, öfver fä,
öfver alla sraä barn, som gä i skogen liÜa och grata! *).
1) Aufgezeichnet von H. Wagenfeld.
2) Simrock, Kinderb. 2 132, 512.
3) St. Katharinen ist die älteste Pfarrkirche der Altstadt Danzigs, um
1342 gegründet. Die Persönlichkeit der Heiligen ist hier auf die ihr geweihte
Kirche misdeutet. Vergl. noch die Varr. „\debär Langben (oder Langnäs)
lät den regen öwergän, lät de sünne schine öwer alle tüne." Danzig münd-
lich. — „Eegenbän lät öwergän un de lewe sünn upgän!" Insel Use-
dom. Hagens Germania V, 2-18. Zu Ivleinmetz bei Zehdenik singen die
Kinder, wie H. Pracht mitteilt, beim Abklopfen der Rinde von AVeidenzwei-
gen: ,, Klopp, klopp Bullcrj;\n, lät dat schwerk unnerjän, lät de sunne
schinn bes ollen Roppin ( Alt-Ruppin). In ollen Roppln da danzen de
.schwin, da fiddelt de buk, dat geit man so schmuck!" Hier scheint Thu-
nar-Bullerjän um das Aufhören des Gewitters und Sonnenscheins angerufen
zu werden. Vergl. oben S. 81, Anm. 1; 241. — Schmidt, Brem. Ammenr.
S. 47 : schür regen, schür regen lät awergän, lät üse lütjen kinner nä schule
gän u. s. w.
4) Vermland aus Bökaströms Resa 1845. MSCR. i. Vitt. och. antiqu.
akad. samml., mitgeteilt von Professor Stephens. Katharine, Katharine lass
die Sonne scheinen über Wipfel, über Bäume, über Menschen, über Vieh, über
alle kleinen Kinder, die in den Wald gehen, kleine und grofse! Vergl. das
zweite Vexirrätsel vom Hund auf dem Glasberg oben S. 331.
25*
388
Hiemit vergleiche man:
a.
das schon oben S. 7 angeführte Lied:
Blaue, blaue Wolken!
Maria hat gemolken
Sieben Küh in einem Stall,
Jungfer Katharina!
b.
Im Aargau redet man den Marienkäfer (coccinella) an:
Lieber Herrgottschäferli
flüg über de Rhil
bring dem Herrgottsmüeterli
es glas voll wi.
Chäferli flüg, flüg über de Rhi,
säg der heilig Sant Chäteri
es sott morn schön wetter si.
Der Käfer selbst wird in der Schveeiz Ann-Kethri-
neli genannt ').
c.
Sonnche, Sonnche scheine!
Maria! Kathareine!
Zu Frankfurt in dem Boppehaus,
Da gucke drei Marie draus;
Die an spinnt seire,
Die anner dreht weire,
Die dritte schliefst 's Himmelche auf! ^).
Dieses letzte Lied handelt von den bei Holda weilen-
den drei Schicksalsjungfranen, den Nomen, worüber wir
uns weiterhin ausführlicher zu verbreiten haben.
Wir begegnen hier wieder der Vorstellung, dass die
Sonne hinter dem Wolkenbrunnen im himmlischen Licht-
lande verschlossen ruht. Hierzu vergl. man:
1) Rocholz, Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel S. 94. No. 188.
2) Messel bei Dannstadt d. H. Gluck.
389
«.
Heiland tu dein Türle auf,
Lass die schöne Sonne raus,
Lass de Schatte drohe.
Den Heiland wöHn wir lobe! ').
ß-
Es geht a Türle in'n Himmel nei,
Laufet Engele aus und ei;
Betet für mich Tag und Nacht,
Dass ich seHg sterben mag ^).
7-
Wo is denn der Himmel?
dös will i dir sogn!
wenns Nacht is und dunkel,
da schaugst du ind' Höach;
da sigst du viel Fenstar
vu Glitz und vu Guld;
durch dö schaugst du eini
wie schön ist's decht do;
lauter Silber und guldig
und a grofses Fenstar,
dös is halt die Tür;
do gehst du denn eini
sigst Engel drei tanzen,
und änar ist dabi,
hat an Schlüssl in der Hand,
hobn Petrus sie genannt^).
8.
Liebe, liebe Sonne,
Butter in die Tonne!
Mehl in den Sack!
1) Meier, Kiuderr. aus Schwaben S. 20, 62.
2) Meier a. a. O. 18, 53.
S) Tirol d. J. V. Ziiigerle.
390
Schliefs das Tor des Himmels aufl
Liebe Sonne komm heraus!^).
e.
Renga, renga tropfa,
schö blüat da hopfa,
schön blüat das himalkraut.
Liabi frau machs türl auf
lafsn reng nei
läfs raus 'n sunnaschei *).
Ene dene Bohneblatt
Unsre Küh sind alle satt.
Mädel hast gemolken?
Sieben Geifs und eine Kuh.
Peter schliefs die Tür zu,
"Wirf den Schlüssel über den Rhein,
Morgen solls gut "Wetter sein^).
Da in dem S. 388. No. a. beigebrachten Kiuderreim
die Bedeutung der von Maria gemolkenen sieben Kühe als
der "Wolken s. o. S. 7 klar ist, welche während der 7
1) Nordheim, Zeitsclir. f. D. Mytli. III, 176, 2.
2) Altbayern. Firm. II, 703.
3) Simrock, Kinderb. ^ 182, 752. Thüringen aufgezeichnet von Richard
Krell: One tone Wonneblatt. Unsre Küh sind alle satt. Mädchen hat ge-
molken. Peter schliefst die Türe zu, wirft den Schlüssel oben-
rein. Morgen solls gut Wetter sein. — Adrans in Tirol d. J. V. Zin-
gerle: Auo duo dorenblatt, unsre Küh sind alle satt, die Geifs und eine
Kuh. Tmde schlag den Stall zu, wirf den Schlüssel über den Rain, morgen
muss ein (gutes) Wetter sein. — Messel bei Darmstadt d. H. Glock: Ene
dene Dinteblatt, unsere Küh sind satt; die Mad hat gemolke sieben Geise und
e Kuh. Peter schliefs die Tür zu, wirf die Schlüssel übern Rhein, morgen
solls gut Wetter sein. — Hemschlag in Westphalen d. H. Lehrer Kuhn: Ene
dene dicke dacke! Meine Finger müssen knacken, 's Mädchen hat gemol-
ken eine Geifs und eine Kuh. Peter schlief's die Tür zu, wirf den Schlüssel
über den Rhein, moi-gen wirds gut Wetter sein. — Elsass, Stöber, Elsäss.
Volksbüchl. 25, 40: Äne däne Bohneblatt! Unsri Küh sinn alli satt. Mai-
del hesch gemolke? Siwwe Gais un e kueh. Peder schliefs de Diehr
zue, wirf de Schlissel iwwer de Rhien, morge solls guet Wedder sien ! —
Aargau, Rocholz, Alemann. Kinderl. I, S. 112, 225: Ane bane boneblatt, wie
mäng e chue isch nonig satt? Siebe Geifse und e chueh. Sant Peter
schiebt de stalltür zu, rUeit de Schlüssel über de Rhi, morn am morge
Solls schön Wetter si.
391
Wintermonate den Himmel bedecken, so leidet es keinen
Zweifel, dass auch in unserm Liede die 7 Geifse und eine
Kuh dasselbe Bild enthalten. Geifse sind nach S. 63 eben-
falls Wolkcnsymbole '). Wenn die Geifse und Kühe ge-
molken sind, die Wolken abgeregnet haben, tritt schönes
Wetter ein. Im Aargau wird unser Lied gesungen, wenn
während des Regnens ein Regenbogen aufkommt. Zur Be-
stätigung unserer Deutung gereicht auch das Lied:
Sunna, sunna scheint hoafs
über alle zäun hoafs,
über alle Wolken.
Mein vater-) hat schon g'molken
ein kuh, zwo goafs
sunna, sunna scheint hoafs '^).
Die Sonne scheint heifs, weil die himmlischen Kühe
abgemolken sind, keine Regenwolken den Himmel be-
decken.
Sunne, sunne schein!
treib die wölken vor dein,
hin affn gatter spitz,
wo Peater und Paule sitzt;
wo kein häne krät,
wo kein mader mät,
wo kein ochse liegt,
und keine blume blüht.
oder:
Sunne, sunne schein,
treib die wölken vor dein!
treib sie afih spitz,
wo kein vögele sitzt.
1) Vergl. noch ein Lied, das in Schwaben beim Regen gesungen wird:
„Regle, regle wuhrc , der Geifsbock liegt im dure (Turme), er hat ein
g'stumpets kitteli an, er krähet wie ein gockelhahn." Meier, Kinderr.
aus Schwaben S. 20, 63.
2) = Tlimiar = Atli = Godgubben d. i. Väterchen s. o. S. 233.
3J Uuterinuthal in Tirol. Zeitschr. f. D. Myth. I, 364.
392
treib sie äff Roam
bekimmst drei Schüssel boan;
eine mein, eine dein, eine unsern bearrn
ass er lass scheans weiter wearn^).
Die Gatterspitze, das Falltor, wo Peter und Paul
sitzen, steht hier der in ^ von Petrus bewachten Him-
melstür gleich, in welche die Wolken eingehen, die Hira-
melskühe hineingetrieben werden sollen. Roam ist mis-
verstanden aus roan d.i. rain, wie aus folgenden Versen
hervorgeht :
Sonne, sonne fürer (herfür)
schatte, schatte untere!
es leg se an a roanle,
find i a goldenes boanle
dort oben auf jene glocka
steand drei docka:
die erste spinnt seiden,
die zweite lernts geigen,
die dritte ziehts lädle auf,
lässt die heilig sonn heraus^).
Hier ist vdeder von den drei Schicksalsjungfrauen die
Rede, den Begleiterinnen Holdas, die aus der Göttin
Hause (Gimill) die Sonne heraus, den Schatten aber
oben lassen sollen, s. oben S. 389 No. cc. Ebendahin sol-
len auch die Regenwolken getrieben, dort sollen sie ver-
schlossen werden, s. o. S. 390 fgg. s. y. »/. Hiemit fällt
nun ein helles Licht auf die verbotene Tür in unsern Mär-
chen. Hinter einem Walde, heifst es, fliefst ein Strom,
weit hinter diesem ein zweiter Strom und weit dahinter
liegt das Himmelreich. In einem herrlichen Garten voll
prächtiger Blumen steht hier das goldene Schloss. Ein
Prinz gelangt dahin und erlöst eine verwünschte Königs-
tochter, die ihn nun in alle Zimmer des Schlosses führt.
Nur ein Gartenhäuschen bleibt verschlossen, sie ver-
1) Lesachtal in Kärnthen, Zeitschr. f. D. Myth. III, 32, 1. 33, 4.
2) Meier, Kindern aus Schwaben S. 21, 66.
393
bietet ihm den Eintritt. Als er neugierig dennoch eintritt,
sieht er von hier aus die ganze Welt, d.h. er befindet
sich im höchsten Himmel = nord. ViSbläinn. Das
goldene Schloss mit dem verbotenen Gemach ist = Gimill,
und es ist klar, weswegen wir die beiden goldenen
Böcke Thunars d. i. die Wolken oben S. 177 hinter
der verbotenen Tür in Holdas verschlossener Kam-
mer finden konnten ').
Die Wolken sollen über den Rain getrieben werden.
„Treib sie auf die Gatterspitze, treib sie auf den Rain."
Am Tage der Sommersonnenwende warf oder wirft
man angezündete Räder als Abbilder der Sonne, die ih-
ren höchsten Punkt erreicht hat und nun wieder abnehmen
soll bei Deutschen und Franzosen hoch in die Luft, so
dass sie einen Bogen beschreiben und endlich in ein na-
hes Gewässer niedertauchen ^). Die dabei gesungenen Lie-
der beginnen häufig mit dem Spruche:
Scheib aus, scheib ein,
flieg über den rain,
oder misdeutet „über den Rhein" ^), und wiederum singen
die Kinder die Sonne an:
Sunue, sunne schine
fär iwwer de Rhine,
fär iwwer's glockehüs
kumm ball widder in unser hüs! *).
Das Wort rain bezeichnet „den gegen ein Moor oder ge-
gen ein Wasser, besonders Flussbett abhängigen Rand
des höheren Bodens, Uferhang" ^), oder „einen schmalen
mit Grase bewachsenen Strich Landes, welcher zwi-
schen zweiAeckern ungepflügt bleibt und zur Grenze
dient, daher die Grenze einer Dorfflur, auch wol
1) S. die Zeugnisse über die verbotene Tür vorläufig bei Wolf, Bei-
träge I, 23 fgg, 103. Ploennies, Kudrun S. 210.
2) S. Grimm, Myth.^ 586. 587. Panzer, Beitrag II, 538 fgg.
3) Meier, Scliwäb. Sagen 381, 22. Vergl. oben S. 388, b; 390, t-
4) Strafsburg im Elsass. Firm. II, 524 aus Stöbers Volksbüchl. S. 40, 78.
5) SchmcUer, Bair. AVB. III, 'J4. Vergl. mhd. bi des mers reine, an
eines Stades reine.
394
jede Grenze'). Deswegen heifst mhd. ze reine angren-
zend. Wenn die Sonne daher am längsten Tage über
den Rain fahren soll, um fortan abwärts zu laufen, so ist
damit offenbar eine Grenz seh ei de an höchster Stelle des
Himmels gemeint. Anders dagegen, wenn es bei trübem
Himmel heifst, dass die Sonne über den Rain fahren soll,
um wieder zu leuchten, die Regenwolken dagegen über
denselben R a i n , der bei der Himmelstür (Gatterspitze)
liegt, sich entfernen. Das elbische Lichtreich, Engel-
land, der Glasberg liegt nach unseren Untersuchungen hin-
ter dem Brunnen, dem himmlischen Gewässer. Wo
sich demnach die Tür des Himmels Öffnet ist ein Fluss-
abhang, über den die Sonne heraustritt, die Wolken hin-
eingehen.
Das goldene Bein, die „drei Schüssel boan,"
welche bei diesem Vorgang erwähnt werden, scheinen ei-
nen engen Zusammenhang mit den Beinen zu verraten,
mit welchen Engelland und der Glasberg geöffnet wer-
den, doch liegt mir die Sache noch nicht klar.
Kloppe, kloppe Ringelchen!
„Da kommen zwei arme Kingerchen."
Gebt en get un löt se gön,
Dann wird de Himmelstür offenstön.
Da kümmt Maria Müder
Mit dem güldenen Bruder,
Hat eu Stöckelche in der Hand,
Da drieft se de Wolken mit durch das Land.
Wolke, Wolke lauf!
Maria die hat gerufe in
Sieben Küh und einen Strik (strik, Euter?)
Lirum, larum hickepick ^).
1) Heinsius, Volksthütnl. Wörterb. d. D. Sprache.
2) Wiehl, Kreis Gummersbach Regierungsbezirk Köln. Vergl. oben S.
326. Anm. 1.
395
Dieses Lied giebt unseren vorherigen Untersuchungen
Bestätigung. Maria (Holda) treibt mit ihrem Stabe (der
auch der Herodias s. o. S. 59, so wie Frau Rose, Sole
S. 274 No. 4; 278 No. 7. 8; 283 No. 14 zusteht) die Wol-
kenkühe durch das Himmel stör in ihr Lichtreich.
Wie alt unsere Lieder sein müssen, sieht man aus ih-
rer weiten Verbreitung. Die catalanischen Kinder singen:
San Santa Clara
fen fujir la nuvolada
Sant Agusti fen aclari'
Sant Oriol fen sorti'-l sol.
Si San Josep ho vol, fara bon sol,
Si San Josep ho vol, fara bon sol').
Bereits die Griechen kannten einen Kinderspruch, der
Aehnlichkeit mit unsern Sonnenliedern hatte. Er lautete
oder es kamen darin die Worte vor: „e^s'/ ^J ^/''^^' »i^«,"
„Komm hervor liebe Sonne" ^).
Bei aller Uebereinstimmung im Vorwurf zeigen die
aufserdeutschen Sonnenlieder jedoch bedeutende Verschie-
denheiten in der Ausführunfr. In Italien verzeichnet Gal-
1 ) Heilige, heilige Clara
Mache fliehn die Wolken!
St. Augustin lass es sich aufklären!
St. Oriol lass die Sonne hervorkommen!
Wenn St. Joseph will, macht er Sonnenschein.
Wenn St. Joseph es will, macht er schönen Sonnenschein.
Mitteilung des Herrn Prof. Mila y Fontanal in Barcellona. Andere Lieder
sind: Plou y fa sol. La Verge Maria, La Verge Maria ha parit un noy.
„Es regnet und es scheint die Sonne. Die Jungfrau Maria, die J. M. hat
ein Kind geboren." — ,,Plou y fa sol — las brujas vers" oder ,,ballan."
Es regnet und scheint die Sonne, die Hexen striegeln oder tanzen.
2) PoUux IX, 7: »; äi »*|f;^' w <{>(^' ^/Itf" natäid y.Qorov i'/ti riöv
■jialömv aiiv tw iii(ßorj/iari, tovto), onöxav virpoi; iii,dt^(iii>, lov &iov. o&fv
y.al ScQäziK; iv 'I'oiriaacaq. Ei&' ijXioq fitv 71 tl&ixav xolq nai-
öioii;, oTai' li'/ütaiv i^e/,' w (pik' ijkic- — Eustath. 881, 42 merkt
zu II. XI, 733 über 'HAioi; q,ak&wv an: y.wXdoiov oiV rt na.()0 i/müdtq
^ILoq J(wi'i'(Ttös qp^jffn' vno Tiafdoiv ).t'/in&ni, Jj/Aotu' i'iex^i'^' » iar^y
hiTirccky.eiai xov tJXiov. 'AQKTioqdirjt;' ke'iiit; ok/ wanto t« naiüta f'itx
0) (plV i'ßis Tjyovv dräinlnv. Vergl. Aristoph. Nijawi' fragni. IV. Dindorf.
— Athenaeus Deipnosoph. XIV. ed. Casaub. 619, 8 meldet, dass ein dem
Apollön zu Ehren gesungener Hymnus ijdt €?? 'AnökXwa mdrj ff iA>;J.ta<;
heifse, womit er offenbar unser Lied meint.
396
liani, der Sammler neapolitanischer Kinderlieder einen Reim,
der auf den Gassen Neapels beim Regen gesungen wird:
Jesce, jesce sole
scajenta 'mperatore u. s. w.
d. i. „Komm hervor, komm hervor Sonne! erwärme
(unsern) Kaiser" ').
In den piemontesischen Gebirgen singt man:
1.
Sol mirasol
tre galine suna rol
tre gai ant un castel,
preghe Dio c'a fassa bei ^).
2.
Sol! Sol!
büta fora el to calor
la Madona va per fior
va eojine 'n massolin
per portelo a Gesü bambin^).
3.
Sol! Sol!
büta fora '1 to calor
ven scandeme
va nen scande coula vejassa
c'ä l'e scondiia dre d' la pojassa '*).
1) S. Liebrecht, der Pentamerone des Basile II, S. 253. Den vollstäudigen
Text dieses Liedes, sowie noch einen neapolit. SonnenhjTiinus s. weiter unten.
2) Sonne, "Wundersonne!
Drei Hühner auf einer Eiche,
Drei Hähne auf einer Burg.
Bittet Gott, dass es schön werde.
3) Sonne, Sonne!
Verbreite deine Wärme.
Maria geht aus nach Blumen,
Sie geht ein Sträufschen sammeln.
Um es dem Jesuskind zu geben.
4) Sonne, Sonne!
Verbreite deine Glut,
komme mich wärmen,
Wärme nicht das alte Weib
Das sich hintemi Bett versteckt.
Mitteilung des Herrn Cavaliere Costantino Nigra in Turin.
_ ^97 _
So verlockend es ist, diese Lieder mit Hilfe der durch
unsere bisherigen Untersuchungen in Deutschland aufge-
deckten Bildersprache zu deuten, lassen wir das, bis uns
eine zusammenhängende Einsicht in die Symbolik der ita-
liänischen Volkspoesie gestattet sein wird. Von den deutschen
noch weiter ab, als die piemontesischen Lieder, die im-
merhin auf germanischem Grunde fufsen könnten, liegt fol-
gender slavischer Sonnengesang:
O scheine, scheine Sonne; o liebe Sonne!
Ich kann dir nicht scheinen vor grofsem Schmerz.
Wenn ich Morgens hervorgehe zanken mit einander
die Mägde,
Wenn ich Abends niedergehe, so sprechen Lügen
die Hirten,
Wenn ich scheine in der Ebene, sehe ich nur Waisen,
Wenn ich scheine in dem Tale, sehe ich nur Bettler').
6) In französisch Flandern singen die Kinder:
Haene swaene witte pleck
■ wanneer gaet gy over't waetertche gaen?
wilt gy wel voren liegen? (?),
ik zag een mulletje vliegen
zeven boomen hoosfe.
de mullenaer zaet daer bowen
met een knippel en zyn band,
hy zmeet van daer naer In gell and.
(Van Ingelland naer Spanien,
als hy in Oranien kwam,
raed wat dat zy, dat hy daer vornam?;^).
1) P. J. Szafarzyka Slowiaiiski uarodopis. Pohl, übers. Breslau 1843.
S. 210. Zu erwähnen ist noch: dass sogar ein grönländisclies Lied an unsere
Sonnenhymneu anklingt :
Einer: Die liebe Sonne kommt zurück!
Chor: Amua ajah ! ajah! aha!
Einer: Und bringt uns Wetter schön und hell.
Chor: Amna ajah! ajah! aha!
Talvj. Versuch einer geschichtlichen Charakteristik des Volksliedes S. 115.
2) Mitteilung Louis de Baeckers. Hahn, Schwan, Weilsfleck! wann
willst du übers Wasser ziehn? Willst du vorher noch lügen? ('?). Ich sah
(schon) einen Käfer fliegen sieben Bäume hoch. Der Müller safs da oben mit
398
Wir sahen bereits oben S. 371, dass der Marienkä-
fer und der Schmetterling mit dem gleichen Namen
Marihöne belegt werden. Wie der letztere in Deutschland
Miller heifst, wird der Käfer in mehreren Gegenden
Hollands und Belgiens Mulletje benannt. So in unserra
Liede, das folgenden Inhalt hat, Es gewittert*). Der
Schwan s. oben S. 328 fgg. und der Käfer s. o. S. 354
fgg. fliehen in das Engelland, ihre Heimat zurück. Oben
sitzt der Gott mit der Keule (des Blitzes), Thunar ^), und
einer Keule in der Hand. Er selimiss von da nach Engelland (von Engel-
land nach Spanien. Als er nach Oranien kam, rate, was er da vernahm).
1) Sehr beachtenswert ist der schwäbische Fluch: ,,Wenn dich nur ein
heiligs siedigs kreuzmillionendonuerwetter nach England (d.i. ins To-
tenreich) hineinschlug.'' Meier, Schwab. Sagen 169, 191.
2) Für die Auffassung Thunars als Müller lassen sich folgende Spuren
namhaft machen. Die älteste Form der Mühle war eine Stampfe oder
ein Mörser (s. Beckmann, Beiträge zur Geschichte der Erfindungen II, 8
fgg.). Die Keule Thunars, der zermalmende Mjölnir konnte daher sehr
wol als Mörserkeule aufgefasst werden, welche in einer himmlischen Mühle,
der Wolke, den Regen imd Schnee stampft, mahlt. Bergmann übersetzt
in seinen Avantures de Thor das Wort Mjölnir gradezu meünier und altii.
mjöU d. i. das Zermalmte, Gemahlene bezeichnet den feinen mehlartigen Schnee,
altnord. molna gemahlen sein, zerbröckeln, schwedisch moln die Wolke
In Deutschland sagt mau beim Schneefall: ,,Es schlagen sich Bäcker und
Müller;" der Schwabe spricht, wenn recht grobe Flocken kommen: ,,Das
kommt durch den groben Beutel (wie das Mehl in der Mühle), schneit
es aber fein: ,,Das kommt durch den feinen Beutel, die müssen
viel Zeit gehabt haben, die das hackten." ,,Der Schnee wird
nämlich während des Sommers im Himmel klein gehackt." Meier,
Schwab. Sagen 261, 292, 1. Thors Mjölnir ruft auch Schnee hervor, s. o.
S. 141. 142. Nun sahen wir bereits oben S. 273, dass mit dem Jimgbnin-
nen, d. i. der Wolke, eine jungmachende Mühle verbunden war. In Schwa-
ben antwortet man auf eine unberufene Frage, z. B. wo man dies oder das
gekauft habe: Zu Trippstrill in der Pelzmühl, wo man die alten
Weiber mühlt. Am Fufse des Michelsberges im Zabergäu, der ehemals
Gudinsberg oder Wudinsberg hiefs, liegen noch drei oder vier Gehöfte,
die den Namen Trippstrill führen, wo sich das Andenken der Mühle, in
der die alten Weiber eine neue Haut bekommen sollen, noch im Namen Pelz-
hof, für ein an mehreren Bächen gelegenes Gehöft erhalten hat. Meier,
Schwab. Sagen S. 298, 336. In Thüringen lautet die Antwort auf die Frage,
wohin man gehe (oder woher) mau komme: ,,Nach (von) Tripstrill auf den
Federmarkt. Bechstein, Deutsches Sagenbuch S. 772, 950. Ueber den Na-
men Tripstrill s. Zeitschr. f. D. Myth. II, 196. In der Sage vom Schretel
und dem "Wasserbär, die, wie nun allgemein anerkannt ist, einen Kampf des
bärgestalteten Thunars mit dem Dämon schildert, ist der Schauplatz des Strei-
tes nicht beziehungslos eine Mühle. Auch der starke Hans oder Dreizehn
des Märchens, der — wenn man auch Wolfs unmittelbare Zusammenstellung
mit dem nordischen Thörmythus, Beitr. I, 95 fgg. nicht gelten lassen kann
— auf einen Gewittergott zurückführt, kämpft mit Teufeln in einer Mühle.
399
wirft dieselbe über die Lande nach Engelland, er treibt in
dieses Lichtreich die Regenwolken, welche den Himmel
In der Zwergen%vohming schwebt ein Mühlstein über den Häuptern; das
muss der Blitz sein, wenn die Zwerge Wolkendämonen sind. S. Kuhn, Nordd.
Sagen S. 321 fgg. Im Märchen von Machandelböm fällt unter Donner und
Blitz der bösen Stiefmutter ein Mühlstein aufs Haupt, s. oben S. 64.65.
Nicht ohne Grund wird gedroht, dass eine Mülile abbrennen, vom Blitz
getroffen werden soll, welche mit rotem Tuche gedeckt ist, s. o. S. 13,
Anm. 7. Wir sahen o. S. 221 fgg. Thors Berührung mit FroSi. Von diesem
heifst es, dass er eine Mühle mit Namen Grotti besafs, welche Gold, Glück,
Frieden, ein Kriegsheer, kurz alles was der Müller wollte, mahlen konnte.
Sie versank, vom Könige Mysiugr geraubt, im Meer, wo sie fortwährend Salz
mahlt und daher ist die See salzig (Skäldskaparm. k. 43). Dieselbe Ueber-
lieferung ohne FroSis Namen hat sich in der nordischen Volkssage erhalten.
Ein armer Mann ringt in der Hölle den Teufeln eine Handmühle ab,
die ihm Essen, Gold und alles was er wünscht mahlt. Zuletzt verkauft
er sie an einen Schiffer, der auf dem Meere damit Salz mahlt, worauf die
Mühle ins Meer sinkt und die ganze See versalzt. Asbjörnsen und Moe über-
setzt von Bresemann II, 182, 20. Auch in Deutschland ist die gleiche Ueber-
Üeferung im Volksmunde bewahrt. S. Colshorn, Märchen und Sagen S. 173.
No. 61. vergl. No. 25. 32, und unsere Volkslieder berichten noch von Müh-
len, welche über Nacht oder an jedem Morgen Silber und Gold mahlen
(s. z. B. Uhland I, 77J. Ist die Eroberung der Mühle aus der Hand der
Teufel, d. i. der alten Wolkcndämonen, alt und echt, so wird schon dadurch
wahrscheinlich, dass die Mühle Grotti ursprünglich die Wolke bedeutete,
■welche indem sie gemahlen, des Schnees oder Regens entledigt wird Fr uch t-
barkeit und Reichtum, so wie das Sonnengold spendet; oder, wenn
sie unablässig mahlt, im himmlischen Gewässer aufgeht. Das Salz ge-
hört dann dem Erklärungstrieb einer späteren Zeit an, welche das Himmels-
meci, wie so oft geschah, auf das irdische Gewässer übertragen hatte. Unsere
Auffassung wird bedeutsam durch das finnische Epos unterstützt. Dieses er-
zählt bekanntlich von einer Wünschelniühle Namens Sam.po, welche auf der
einen Seite eine Mehlmülile, auf der andern eine Salzmühle, auf
der dritten eine Goldmühle ist, s. Kalevala R. X, 414 — 416. Sie
wird von Ilmarinen, dem finnischen Luftgott, der den Himmel imd den
Deckel der Luft (ilman kansi) geschmiedet, auch Sonne und Mond aus
Gold und Silber zu fertigen versucht hat, kunstvoll gefügt aus einer Schwan-
feder (joukkosen sulka) dem Kraut Ackerwolle, dem Stück einer Spindel
(värttiuän muru), eines Lammes Knochen und einer unfruchtbaren Kuh Milch.
Die böse Nordlandswirtin Luohi schliefst den Sampo ,,in des Nordlands F el-
senberg, in den festen Berg von Kupfer." Später fängt sie Sonne,
Mond und Gestirne ein und verbirgt sie in eben demselben Birge, der den Sampo
barg. Sechs Jahre wird die Sonne, acht Jahre der Mond, neun Jahre der
Wagen, zehn Jahre das übrige Gestirn am Himmel vermisst. Göttliclie Hel-
den befreien Sonne , IMond und Sterne aus dem Felsenberg. Ebendaher ha-
ben sie schon frülier den Sampo geraubt, und sind damit ihrer Heimat zuge-
rndert. Aber Louhi folgte ihnen , und sclilonderte mit ihrem kleinen Finger
Sampo ins Meer, so dass er in Stüclve brach. Ein Teil dieser Stücke
fiel auf den Grund desOceans und davon rühren die Schätze des
Meeres her, ein Teil wird vom Sturm an den Strand von Kalevala gewor-
fen und begründet dieses Landes Wolstand, Louhi behielt nur den bunten
Deckel der Mühle (kirjokansi), der sonst unzertrennlich mit Sampo verbun-
400
verdüstern. — Die misverständliche Fassuns; des Eno-elrei-
ches als Grofsbritannien veranlasste die Fortsetzuno- „von
Engelland nach Spanien u. s. w."
7) Dass der Ort, wohin die Wolken gewiesen werden
wirkhch das Lichtreich Engelland ist, und dieses, als
Seelenreich gedacht wurde, geht aus folgendem Liede
hervor.
1.
Peterchen liefs sich sein Pferdchen beschlagen
Liefs es den hohen Berg hinauftraben.
Vom hohen Berg ins tiefe, tiefe Tal ').
Pferdchen komm mir nicht zu Fall.
den erscheint. — Was bei Betrachtung dieser Sage zunächst unwiderleglich
in die Augen springt und darum auch von J. Grimm und A. Schiefner bereits
anerkannt wurde, ist die genaue Uebereinstimmung mit der Froöisage (s. J.
Grimm, Zeitschr. f. Wissensch. d. Spr. I, 29). Die Aehulichkeit ist so grofs,
dass sie nur auf Entlehnung ■von der einen oder anderen Seite beruhen kann.
Nun hat bereits Schiefner sehr wahrscheinlich gemacht, dass der Name Sampo
aus dem germanischen starapa Stämpfel, Mörserkeule entlehnt ist (s. Schief-
ner, Zur Sampomythe im finnischen Epos 1850. Abdruck aus Bull, histor.
phil t. YIII. No. 5. S. 2). Da, wie Castren (über die Ursitze des finnischen
Volkes 1849. S. 6) urteilt, „mehrere Zweige des finnischen Stammes (Finnen,
Ehsten und Lappen) während mehr als tausend Jahren in naher Berührung
mit sowol germanischen als auch slavischen Nationen gelebt haben, welche
ihre Bildung auf den genannten Stamm impften und zu einem nicht ge-
ringen Teil seinen ursprünglichen Schöpfungtrieb unterdrück-
ten," so ist es von vorneherein nicht unwahrscheinlich, dass sie wie den Na-
men, so die Mythe vom Sampo von den Germanen erhielten, und zwar zu
einer Zeit als die Sage von dieser wunderbaren Mühle noch eine ursprüngli-
chere und durchsichtigere Gestalt als die FroÖisage in der Edda hatte. Je-
ner bunte Deckel (kirjokansi), der zum Sampo gehört, ist nach dem kla-
ren Zeugnis der Kalevala selbst das Firmament, das sternbesäte Him-
melsgewölbe (ilman kansi). S. Schiefner, Zur Sampomythe S. 7 und
Schiefiier, Me'langes Busses 1852 II, S. 230. Die Mühle, deren Deckel das
Firmament ist, kann füglich nichts anderes sein als die Wolke. Erinnern wir
uns ferner, dass Schwan, Gewebe, Kuh germanische Wolkensyrabole sind,
so mag daraus vielleicht die Zusammensetzung des Sampo sich erklären. Un-
sere Untersuchungen haben ferner ergeben dass Sonne, Mond und Wolke
nach altgermanischem Glauben vom Dämon im Berg eingeschlossen wurden,
8. oben S. 1G8 fgg., woraus Thunar sie befreit. Auch macht Schiefner, Zur
Sampomythe S. 8 auf die Berührung von Louhi der Nordlandswirtin mit Loki
aufmerksam, dessen Name altgerm. Luhha gelautet haben muss. Vergl. Sim-
rock, Handb. d. D. Myth. I, S. 134. S. auch Pröhle, Kinder- und Volks-
märchen S. 77. 78.
1) Zu diesem Anfang vergleiche man Schmidt, Bremenser Ammenreime
S. 24. 25.
401
Fair ich denn, so bin ich tot,
Begräbt man mich unter die Rosen rot.
Es wachsen drei LiHen wol auf dem Grab,
Ein Bauer bricht die Lilien ab.
Bauer lass die Lilien stehn,
Die Himmelstür wird offengehn.
Maria Gottes Amme
Kommt mit dem weifsen Lamme,
Weist die Wolketi über Land
(Von Brabant) nach Engelland,
(Von Engelland nach Spanien,
Mit Aepfeln und Kastanien !) *).
2.
Pitterken let sik sin padschen (Pferdchen) beschlön,
let et dem hoagen berg eropgön,
hoagen berg on depen dal.
wenn ek fall, dann si ek doat,
begrawen se mek onger de roasen roat.
wenn de roasen fallen,
sengen de nachtigallen.
koamen drei leljen wal op dat graf,
büer brek de leljen af.
„büer 16t de leljen stön;
de hemelsdör wart öpen gedon.
kömmt Marien broder
met der geulen (goldenen) möder,
wist de wölken öwer et land
(von Brabant) no Engelland,
(von Engelland no Spanien,
de äppel on de kastanien) '^).
3.
Pitterken let sik dat pedken beschlön
let et den hüen berg herop gon.
1) Simrock, Kiiulerb.^ 36, 148.
2) Elbcrfeld Firm. I, 425.
2G
402
op den hüen berg en int depe dal,
wo dat Pitterken sterben sali ').
sterwt he denn, so is he düt
begräwen s'en onger de rüse rüt,
stechen lelgen wall up dat graf;
da körnt de bür on plökt se af.
bür löstu mi de lelgen ston!
de heramelsdür würd opgedon,
da körnt Maria möder
met eren jöngsten bröder,
de hat en schap wall en de band,
de reit dornet no Broband ^).
4.
Piterken let sin perdschen beschlon
let et den bogen berg opgön,
den bogen berg, den depen dal,
Gott weifs, wanneh dat ik sterben sali
und wenn ich sterb' so bin ich tot,
begraben sie mich in die grüne gruft
und setzen drei liljen op dat graf.
dann kommt de bür un plükt se af.
„bür, bür 16 mir die liljen stön."
die himraelsdür ward opengedön,
do kömmt Marien möder
mit dem goldenen bröder
hat en stöckelschen an der hangk
driwt de wölken no Brobangk.
de schlotel es tebroken.
wo soll ver enen maken?
van stenen, van benen.
krüp derdorch allene! ^).
1) Diese Lesart hat auch die sonst ganz unvollständige Recension Firm.
I, 397. Daraus Simrock, Kinderb.^ 36, 147.
2) Wemelskirchen , Leysers hss. Nachlass. Der Band aus dem ich diese
Reime entnehme, führt die AHfschrift: „Lieder und Reime aus alter Zeit. Ber-
lin 1834—35. Wolfenbüttel Octbr. Novbr. 1835.
3) Luttringhausen. Firm. III, 194. Vergl. Barmeu: Peterchen let sik
403
5.
Hans Pitterken liet sin perdschen beschlön,
he liet et den bogen berg herop gön.
Den bögen berg, dat diepe dal,
wo Hans Pitterken sterwen sali.
Sterwt be dann, dann is he döt,
begrawen wi'n onder de rosen rot.
Wann de rosen fallen,
sengen de nachtigallen.
Wenn de nachtigallen sengen,
sali Hans Pitterken et graf rütsprengen ').
Koberstein hat in seiner schönen Abhandlung- „Üeber
die in Sage und Dichtung gangbare Vorstellung vom Fort-
leben abgeschiedener menschlicher Seelen in der Pflanzen-
welt" ^) bewiesen, dass nach dem Glauben unseres Alter-
turas die Seelen Verstorbener zuweilen in Blumen, zumal
Lilien, die aus dem Grabe bervorwucbsen, übergingen, und
von hier aus in anderer Gestalt, z. B. als Vögel, den Weg
in höhere Regionen fortsetzten. So stirbt nach unserm Liede
Peter. Seine Seele erscheint als Lilie auf dem Grabe. Als
der Bauer diese abbricht, eilt sie zum himmlischen Reiche
der Seligen weiter. Die Tür desselben öffnet sich, die
Wolken, welche den Himmel verdecken, den Zugang ver-
sperren, werden von Holda (Maria) hinweggeführt und ins
sin padschen beschlön, dat sali den bogen berg rop gon, den bogen berg, den
depen dal. Gott wet wanner ek sterwen sali. On wenn ek sterw , dann si
ek dot, begi'awen se mi enger de rosen rot. On wenn de rosen fallen, dann
sengen de nachtegallen. Büer lät de lelgen stän! De hemelsdör wart open-
gedän; kommt Maria moder mit dem goldenen broder, het cn stöcks-
ken an der band on reist domet no Broband. — Crefeld d. H. Greef: Pit-
terchen liefs sich sein Pferdeben beschlagen, liefs es den hohen Berg hinauf-
jagen, je höher der Berg, je tiefer das Tal, wo das Pferdeben sterben soll.
Stirbt es denn, so ist es tot, begraben wirs unter die Rosen rot, pflanzen wir
BlUmlein auf das Grab; dann kommen die Engel und pflücken sie ab.
Rosen will ich tragen bis zum jüngsten Tage, bis da:=s die Engelein kommen
ze singen, will ich mit Freuden aus dem Grabe springen.
1) Meurs d. IL Greef. Vergl. Simrock, Kinderb.- 3G, 147.
2) Naumburg 1849; wi<>der abgedruckt IShi in Iloffmanus und Sclia-
des Weimarschem Jahrbuch I, S. 72 — 100. Vergl. den Nachtrag Keinbold
Köhlers ebend. 479—483; Herrig, Archiv f. das Studium der neueren Öpra
chen XVII. h. 4. S. 444; SiUungsber. d. Wien. Akad. 1856 XX. S. 94.
2t)*
404
Engellaud hineinverwiesen. Ueber Braband und Spanien
s. o. S. 397 ').
8) Ein weiteres Zeugnis für Engelland als Seelen-
reich ist das folgende:
2.
Achtern karkhof stof dat sand,
dö kern de herr van Engelland,
dö kern de jumfer mit de tüten,
wnll de ganze weit hesläten ').
3.
Achtern karkhof stöf dat sand,
do kern de herr van Engelland,
van Engelland na Braband^).
1) In einem Jägerliede bei Uhland , Volkslieder I, S. 240 fgg. Hofl-
mann, Scliles. Volkslieder S. 194 fgg. Erk, Liederhort S. 25. No. 96 sind
ein paar genau mit iinserm Liede übereinstimmende Strophen. Ein von ei-
nem Jäger bedrängtes Mädchen sagt:
7. Und sterb' ich denn, so bin ich tot,
Begräbt man mich unter die Rosen rot.
8. Wol imter die Rosen, wol unter den Klee,
Darunter vergeh' ich nimmermeh.
9. Es wuchsen drei Lilien wol auf dem Grab,
Es kam ein Reiter vroUt's brechen ab.
10. Ach Reiter lass die Lilien stan,
Es soU sie ein jimger frischer Jäger han.
Nach Kobersteins richtiger Bemerkung (Weimarsch. Jahrb. a. a. 0. 80) pas-
sen diese Verse jedocli niclit in den Zusammenhang des Jägerliedes. Sie feh-
len darum auch in den meisten und echten Recensionen. Ebenso sind die
folgenden Verse in einem Liede bei Erk (Liederhort S. 117 No. 348) nur
angeschoben:
Es wuchsen drei Liljen auf einem Grab,
Es kam ein Bauer und brach sie ab,
Er nahm's und steckts auf seinen Hut.
Er trägt ein freien, frischen Mut.
In manchen Reimen ist das eingeschob eue Brabant für Engelland allein
stehen geblieben. So im Märchen von Richilde-Schneewittchen bei Musaeus :
Spiegel blink, Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig' mir die schönste Dirne in Braband.
Vergl. oben S. 333.
2) Jever, Thöle und Strakerjan, Aus dem Kinderleben 52.
3) Dieselben a. a. O. 53. Vergl. Schmidt, Brem. Ammenr. S. 62: Up
den karkhof stufft dat sand, dat sand dat stufft nä Engelland,
von Engelland nä Braband, von Braband nä Jumfemstand, Jumfemstand is
Ute, krigst ent up de snüte.
405
o
O.
Achtern kerkhof stuff dat sand
in Engelland, in Brabant.
Jüffer mit de tüte,
Helle mit beslüte.
Erre berre botterkerre,
trurapet, of sett! ').
Im Winde fährt, wie wir oben S. 269 gesehen haben,
die Seele zu den himmlischen Regionen empor. Bis zur
Bestattung des Leichnams umschwebt sie den Körper, dann
eilt sie dem Sitze der Seligen, dem Engelland entgegen.
Der Wind wirbelt den Sand auf, der weithin stiebt.
Die Himmelstür tut sich auf, und wird gleich darauf wie-
der verschlossen. Durch diese übereinstimmenden Zeug-
nisse für Engelland als himmlisches Totenreich
wird es klar, dass die von Wackernagel, Zeitschr. f. D.
Altert. VI, 192 besprochene Stelle aus einem altdeutschen
Schwank, welche Britannien als Seelenland nennt, auf
Verwechseluno; des himmlischen Encjelreiches mit dem Lande
der Angelsachsen beruhe ^).
1) Steinbed iu Hannover d, Fräulein E. Freiin v. Dincklage - Campe
auf Haus Campe. Vergl. oben S. 348, 3 : Hinter der Kirche liegt der Saud
ausgestreut vor Engelland u. s w.
2) Ein armer Ritter, dessen Mutter längst verstorben, ist einem alten
fremden Weibe durch königliches Urteil als Sohn zugesprochen. Als er sich
dem Urteil nicht mehr entziehen kann, spottet er: Wol her liebiu muoter
min, ir sult mir willekomen sin. do envriesch ih solher maere nie , daz also
lange ein vrouwe ie hin in Priten si gewesen und alsiis manec jär ge-
nesen, si sol ez dannoch sagen me wie ez in jener werlte erge ! — Der Dich-
ter spielt dabei auf eine Sage von einer aus dem Totenreich wiedergekom-
menen alten Frau an. Bildet dieselbe vielleicht den Inhalt des folgenden
KindeiTeims?: Meine Mutter die Alte mit ihrem stumpfen Fufs, ist sieben
Jahr im Himmel gewest, hat wieder raufs gemust. Ist das nicht ein Dou-
ncrweib, dass sie nicht im Himmel blcibtV Simrock, Kinderb. ^ 97, 24G. —
Unsre alte Schwiegermutter ist ein alter Dulder; ist 7 Jahr im Himmel ge-
wesen, kömmt wieder runter. Ist das nicht ein närrisch Weib, dass sie nicht
im Himmel bleibt. Arnims hss. Sammlung 1808. — Varianten s. in Sim-
rocks Puppenspiel von Faust; Fiedler, Kinderr. aus Anhalt-Dessau S. 115,
238. Thöle und Strakerjan, Aus dem Kindericben S. 103. Meier, Kinderr.
aus Schwaben S. 59, 222. Zeitschr. f. D. Myth. I, 410, 5. Vergl. das
Ditmars. Lied von idel unmogcliken dingen bei Neocorus (Müllenhoff, Sagen
S. 473) Schal ik di miue moder gäven vor maget to einem wive, so schaltu
hangen sövcn jar un wedder werden to live.
406
8) Weniger deutlich ist die Bedeutung Engellands
als Seelenreiches in folgendem Kinderreira ausgesprochen:
1.
Hüpplepüpp op enem ben
iek moch min mör de gäuse häün
op' me breen dike,
da quam de juffer Slike (Schlange)
un nam mi diän besten ganten (Gansert) af,
diän et tüsken dem troppe gaf.
da quam min moer Engel,
mit dem dicken prängel
un drüggede (drohte) mi so hart te siän,
da drügo;ed' iek iär so wit te gän.
da laip iek bit na Wiesel (Wesel)
un koffte mi drai iesel.
diän ainen diän beret iek,
diän annern, diän bestret (beschritt) iek
diän drüdden nam iek an de haut
un trock dämet nä Brabant,
Brabant was versluoten;
de slüetel was tebruoken.
bu söffi diän nu wier mäken?
met stenerkes, met benerkes,
met allerhand nette saken,
wefii 'ne wier mäken ').
2.
Ik moch mal min mäur de gäisekes haün,
op dem bräien dike,
da quam de wulf de grise^),
nam mi minen besten ganten af,
diän et tüsken dem troppe gaf.
da quam mi mäur Bengel ^)
met dem dicken rängel (Prügel),
da drüggede ik iär noch wier an, c)
1) Woeste, Volksüberlief. S. 17, 3.
407
da quam ik op so'n wieseken,
da gengen da drei ieselkes. d)
ainen diän beräid ik,
aiuen diän besträid ik, e)
den anneru näm ik an de band
un ledd er med nä Engelland, f)
Engelland was versluäten,
de slüetel was tebruäkeng)
da sat'n äld wiweken un schalte (schälte) bannen,
da sag ik iär se sol rai aine medgiewen
dat dae se ok.
da näm ik iär aine af
da hacker (hatte ich deren) drai.
da kof ik mi da en piärreken füar;
dat piärreken ledd' ik oppet is,
dat is dat spläit (spliss),
dat piärreken dat gläid.
de müggen da flüegen
prrr! da gäit et biär ').
3.
Schockele schockele bone,
min vader geit nä Romen
holt dick fette ferken.
we sali diä denn hüen?
lepen en de rüben.
kommen twe häsken herangegon
lepen en dat sommerkörn,
ein gingen sie op setteu,
ein packte ik an et hänneken,
red domet no Brobänueken
1) Messerscheidt briefl. d. Woeste. — Vorgl. Deilingliofcn d. Wocste:
a) da quam de voss te sliken. b) da. quam min mäur Lise med ainem hiär-
keurise. c) da drüggede ik iär so fser te goan. d) d& motten nii
drai ieselkes. e) bespräid ik. fj un ledd' er med nä Holland, läien med
bedeutet: Jemanden leiten, z. B. se Ict med der kau nnm ossen. g) da quam
ik an so'n huiseken, da braid' ne frau en muiseken. da sagd ik se sol nii'n
bietlien medgiewen. dat wol se da nit dauen.
408
wo de gäle blümkes stond,
wo de kenderkes plöcken gönd ').
4.
Sehekle, schekle böne
min moder gienk nä Rone,
min möne (Muhme) gienk no Gelsekirken
häl en dicke fette stirken (taurulus).
stirke söl ek höen.
do gienk ek annen grawen;
do säten twe hasen.
einen näm ek anner hand
ret domet no Bräband,
von Bräband no En gell and
von Engelland no Spanien ^).
5.
Et woren zwin hasen
de sprongen in den grawen.
ener, genk'k drop sitten;
der anger an die anger hand.
do gengen sie no Brobang,
Brobang wor verschlossen,
der schlössel wor zerbrochen.
do gengen sie no 'nem angern hüs;
die frau, die wor am weckzoppe kochen,
die katz, die wöl metfressen,
do schlög sie die frau mem zoppenlöfifel om dat mül ^).
6.
Schocke] schockel birken
die moder geng no kirken,
do safsen zwen hasen
enen wifsen un enen schwarzen,
die genk domet no Brobang,
Brobang wor verschlösse,
der schlössel wor zerbroche ^).
1) Meurs d. H. Greef.
2) Werden, Leysers Nachlass.
3) Solingen. Firm. III, 196.
409
Diese, wie es scheint speciell Westphalen angehörige
Ueberlieferung ist in ihrer Reinheit nicht mehr erhalten, so
dass es schwer wird ihren ursprünglichen Sinn herauszu-
erkenneu. Nur so viel dürfte klar sein, dass es sich hier
um einen Ritt ins Eibenreich Engelland auf einem elbischen
Tiere handelt.
Der Hase ist ein durchaus elbisches Tier. Die Bjerg-
puslinger und andere Elbe des Nordens erscheinen als Ha-
sen '). Im Märchen von Häsichenbraut tritt der Hase
ebenso an Stelle von Zwergen^). Hasengestaltige Alraune
wurden in Skandinavien an Donnerstagen belebt, und in
der Mark erscheint ein Kobold als dreibeiniger Hase mit
feurigen Augen ^). Der Hausgeist Hödeken begegnet ei-
nem Kuhhirten als Hase *). Hexen *), Zauberer ^) und Teu-
fel '') erscheinen in dieser Gestalt. In Weifsenfeis in Sach-
sen erzählt man folgendes Märchen. Ein Mann folgte ei-
nem dreibeinigen Hasen in ein grofses schönes Haus meh-
rere Treppen hinauf und gelangte schliefslich in ein kleines
Gemach. Hier fand er in einem grofsen Buch geschrieben,
dass der Hase durch die Namensunterschrift eines Mannes
erlöst werden könne. Der Gesell tat es. Da ward der
Hase zu einem edeln Ritter, und mit furchtbarem Knall
sprang eine Türe auf, die zu grofsen Schätzen führte. —
Dreibeinige Hasen ziehen in der wilden Jagd ^) und häufig
begegnet der Jäger solchen gespenstischen Wesen, die nicht
geschossen werden können ^). Frau H o 1 d a (Isa) lässt sich
1) Resen, Atl. VI, 590. Thiele, Danske folkesagn" II, 178. "Wolf,
Niederläiid. Sagen 472. No. 387. Vergl. Zeitschr. f. D. Myth. IV, 144.
2) KHM. m^, 76 fgg.
3) Kuhn, Mark. Sagen S. 373, 120.
4) Seifart, Ilildcslieim. Sagen S. 184.
5) Thiele a.a.O. II, 103. 104. 105. MüUeuhoff, Sagen S. 229, 115.
Baader, Badische Sagen S. 50. No. 62.
6) Firm. 11, 330.
7) Thiele a. a. O. I, 228. II, 78. MüllenhofT a. a. O. 141, 191. Schani-
bach und Müller S. 361. Sommer S. 52. No. 54.
8) Kuhn, Nordd. Sagen S. 289, 324.
9) Stöber, Elsäss. Volkssagen S. 318, 247. Schambach und Müller
a. a. 0.
410
von Hasen die Lichter vorauftragen ') und Frau Harke8
Heerde besteht aus Hasen ^). Der Hase gilt aber auch
als eine umgehende Seele ^) und nicht minder als see-
lengeleitender todverkündender Geist. Der Zaunhase
beim Rumannschen Hause in Bösinghausen lässt sich bhk-
ken, so oft einer sterben soll*); wer den dreibeini-
gen Hasen sieht, dem steht ein Unglück bevor ^) und
überhaupt galt es für einen unglückHchen Angang, wenn
ein Hase über den Weg lief).
Wie mit dem Tode steht der Hase wiederum mit der
Geburt in Verbindung. Im Hasenteich bei Altenbrak
im Oberharz, wo auch sieben weifse Schlüsseljungfrauen
erscheinen, sitzen die ungeborenen Kinder''). Der
Bensheimer Kinderbrunnen liegt in der Hasengasse ^).
Zu Kisslegg in Schwaben holt man die Kinder aus dem
Hasennest^). Die Ostereier, Symbole des Le-
bens, versteckt man in künstlich gemachte Hasennester
und sagt der Hase habe sie gelegt. In Schwaben setzt
man sogar einen Hasen auf das Nest '").
1) Zeitschr. f. D. Myth. III, 84 fgg.
2) Kuhn, Nordd. Sagen S. 113. 126, 7. Auf einem Stein der Neha-
lennia wird dieser ein Hase zum Opfer gebracht.
3) Schambach u. Müller S. 191. 208, 1. Rocholz Aargausagen I, S. 70.
4) Harrys, Sagen Niedersachsens S. 62, 54.
5) Scharabach und MUller S. 192, 208, 3. 361, 208.
6) Dieser Glaube ist weit über Deutschland hinaus bei Slaven und Kel-
ten verbreitet. Nach Peter van den Broek beachten auch die Heiden auf den
philippinischen Inseln den Angang des Hasen ; er gilt ihnen aber als gutes
Vorzeichen.
7) Pröhle, Unterharz. Sagen S. 11. 12. No. 35—37.
8) Wolf, Hess. Sagen S. 14. No. 18.
9) Mitteilung des Stud. Birlinger in Tübingen.
10) Meier, Schwab. Sagen S. 892, 65. Als elbisches Tier wird der Hase
auch noch durch das sogenannte Hasenbrod bezeichnet. So nennt man hier
in der Mark das Geschenk, das ein Reisender den Zurückgebliebenen mit-
bringt. In der Magdeburger Börde sagen die Bauern, wenn sie ihren Kindern
aus der Stadt Gebäck mitbringen, ,,das hab' ich dem Hasen abgejagt."
In Städten wiederum, z. B. in Erfurt, heifst Landbrod das die Eltern den
Kindern heimbringen Hasenbrod. In Halle a. d. Saale hiefs Hasenbrod ein
kleineres Brod, das als Zugabe ein gröfseres begleitete. Es soll durch diesen
Namen das Gebäck als weither, so weit als der Hase laufen kann ( aus dem
Eibenlande) herbeigebracht bezeichnet werden. Vgl. den Fluch: Nu wok dat
niegenunniegenzig wagen vull getrampelte donnerkiils kämen un slaigen di
so deip inne är, as de has in niegenunniegenzig jär loupen kann. Firm. III, 170.
411
Auf den ersten Anblick möchte es scheinen, als ob
der Esel dasselbe Recht habe als der Hase, für ein mythi-
sches Tier unseres Altertums zu gelten. Er spielt in der
deutschen Sagenwelt ziemlich dieselbe Rolle wie dieser.
Zu Frickenhausen am Neuffen in Württemberg, dem
heihgen Ort der Frikka, wo der erste Storch genistet hat,
sollen die Bauern als Schutzheiligtum des Ortes einen höl-
zernen Esel in einem Keller verborgen halten '). Esels-
brunnen erscheinen mitunter als Kinderbrunnen. Auf dem
Hausberge im Harz, wo Frau Holle ihren Sitz hat, liegt
der Eselsborn, in diesem befinden sich die Ungebornen.
Wenn Kinder unartig sind, sagt man ihnen : „sei still, oder
wir bringen dich wieder nach dem Eselsborn." Ein ganz
kleiner Knabe erzählte: „wenn die Kinder vor den Esels-
brunnen hinträten und sprächen: „„duck! duck! duck!""
so kämen Esel heraus und holten sie hinein-). In Lauen-
burg kommen die Mädchen aus dem Steinbrunnen, die Kna-
ben aus dem Eselsbrunnen ^;. Auch der Brunosborn
auf der Esels wiese zu Querfurt scheint ein solcher Kin-
derbrunnen*). Kobolde erscheinen als Esel. Die Bier-
esel sind derartige Geister in Eselgestalt die das Bier aus-
trinken ^). Sie sind bald dreibeinig, bald vierbeinig, hocken
sich Leuten auf den Rücken, die zu lange im Bierhause
weilen und lassen sich von ihnen umhertragen, bis diesel-
ben umsinken ''). In der Schweiz ziehen die jungen Leute
in der vorletzten Woche vor Weihnachten mit einer ver-
— Hasenbrod heifst auch eine Art des Zittergrases, sonst Hasenohr, Ilasen-
öhrlein, Ochsenrippe genannt; und Hasenkohl ist ein volkstümlicher Name
der oxalis acetosella. Vergl. Zeitschr. f. D. Myth. HI, 240.
1) Mündlich von einem Frickenhäuser. Prescher berichtet bei Gräter
(Iduna und Hennode 1816 No. 14. S. 16): Beim Neuft'en befand sich eine
Esels wiese. Diese Wiese soll eine mitleidige Frau dem Esel, der das
Wasser auf die Festung trug, vermacht haben. Seit der Esel abgeschafft
wurde, erntete der Kommandant das Heu für seine Pferde.
2) Pröhle, Harzsagen S. 198. No. 2.
3) Schambach und Müller S. 341, 81.
4) Kuhn, Nordd. Sagen 208. 234. In Westphalen bezeichnet man die
uneheliche Abkunft mit der Redensart: die iesel hiät 'ne üter want slagen.
Mitteilung Woestes,
5) Chemnitzer, Rockenphilos. V, 37.
6) Bechstein, Mythe, Sage, Märchen I, 119.
412
mnminten Gestalt, die auf einem Schlitten geführt wird,
unter grofsem Lärm von Dorf zu Dorf. Diese Gestalt heifst
das Posterii und trägt die Maske einer alten Hexe oder
eines Esels '). Merbitz erzählt nach des Guillelmus Pa-
riensis summa de universo ^) , dass ein Jüngling bei einer
sehr schönen Jungfrau zu schlafen glaubte. Sie war aber
eine Mär und er fand sich am Morgen in Gesellschaft ei-
nes scheufslichen Esels '*). Auf dem Rhoengebirge liegt
ein Eselsborn neben der Teufelswand und in der Nähe
eines vom Bösen aus der Luft geworfenen Teufelssteins.
Auf dem Eselsborn spukt Lucifer als dreibeiniger
Esel *). Hexen reiten nach holsteinischer Sage auf Eseln ^)-
Aufserdem spielt der Esel in vielen abergläubischen Vor-
schriften eine grofse Rolle. Wer Gründonnerstag Honig
zu essen unterlässt, wird zum Esel*"') oder bekommt Esels-
ohren'). Die erstere Strafe trifft auch denjenigen, wel-
cher am Gründonnerstag neunerlei Kraut ^), zu Weihnach-
ten Bohnen ") zu essen vergisst, die letztere schändet die-
jenigen, welche zu Fastnacht die Bretzel verachten '").
Trotz aller dieser Zeugnisse, welche dem Esel eine
hohe Bedeutsamkeit im germanischen Altertum zuzuweisen
scheinen könnten, haben wir wol entschieden dafür zu halten,
dass er erst an die Stelle eines anderen Tiers getreten ist,
da er schwerlich ein aus Asien mitgebrachtes Haustier war.
Wenigstens berichtet Aristoteles, dass zu seiner Zeit der
Esel den Skythen und Galliern, wie wir vermuten dürfen
1) Mone, Geschichte des Heidentums im nördl. Europa II, 246.
2) Merbitz, De infantibus suppositiis vulgo Wechselbälgen I. §. 21.
3) Invenit se postero die in complexu cadaveris asinini tabe soluti foe-
tidissime jaceutem.
4) Bechstein, Sagen des Rhoengebirges und des Grabfeides S. 79 fgg.
No. 28.
5) MüUcnhofl' 213.
6) Bechstein, Mythe, Sage, Märchen I, 161.
7) Morgenblatt 1853, S. 1235.
8) Bechstein, Mythe, Sage, Märchen I, 161. Myth.' GVIII, 9-10.
9) Myth.' LXXVIir, 274. Kockenphil. 1729 III, 94.
10) Schrader, Quellen und Vorarbeiten für die Geschichte der Stadt
Aschersleben 1850 S. VII.
413
auch den Germanen unbekannt war '). Die vom Lateini-
sclien abweichende Ableitungssylbe -il in goth. as-il-u-s,
ahd. es-il bex'echtigt noch nicht, das Wort für unentlehnt
anzusehen, zumal da neben asinus die Verkleinerungsform
asellus der lingua rustica und des Mönchslateins mitein-
zuwirken nicht unterlassen haben wird -). Nun ist der
Name Eselbrunnen, der nachweislich öfter aus dem Um-
stände entsprang, dass Esel im Mittelalter das Wasser von
dem am Fufse des Schlossberges gelegenen Brunnen zur
Burg tragen mussten '^) , in anderen Fällen aus „ 1 6 dem
heselinen bruunen" (zum Haselbrunnen) *) entstanden.
Sollte nicht durch volksetymologisches Misverständnis aus
der Form heselin, hesiken, heselken der Esel sehr
häufig, zumal in den Frühlingsgebräuchen an die Stelle der
Hasen getreten sein? Beide Tiere haben überdies die
langen Ohren gemein. Bekannt ist der Schwank, wie schle-
sische Bauern einen Esel sahen und ihn für die Mutter
der Hasen hielten, die ihnen so grofsen Schaden im Korn
anrichteten. Sie schlugen ihn tot und afsen ihn auf^).
Auch sonst sehen wir in Sagen den Uebergang des Hasen
in den Esel noch deutlich genug vor sich gehen. „Einige
sagen das in Hohensee umgehende Dreibein sei ein drei-
beiniger Esel, der gehe zwischen zwölf und eins vom
Dorf nach Hildesheim. Das Dreibein ist aber kein Esel,
sondern ein dreibeiniger Hase, man muss sich nur
überzeugen und die Spuren genau ansehen. „Wenn einer
diesem Hasen begegnete ist es noch nie gut gegangen ''')."
Auch sonst geht im Hildesheimischen das Dreibein bald
1) Vergl. Büffon, Vierfdfsige Tiere I, 68.
2) Vergl. zu lat. asinus neben goth. asilus den ähulichen Uebergang in
lägel, legel aus lat. lagena.
3) Vergl. u. a. Bechstein, Sagen des Rhoengebirges S. 178.
4) Vergl. Ziegler, Illustrium Germaniae virorum historiae aliquot siugu-
lares. Ingolstad 1562 p. 40; Kaiserchronik ed. Mafsmanu 7151; Malsmanu,
Kaiserchronik III, 816.
5) Kirchhoff, Wendunmut I, 388.
6) Schambach und Müller S. 192. No. 208, 3.
414
als Hase, bald als Esel um'). Der tod verkündende
Zaunhase bei Bösingsbausen ist so grofs wie ein
EseP).
Hieuach ergiebt es sich, dass zum mindesten in unserm
Liede der Hase die ursprüngliche Lesart ist, in No. 3.
haben wir die den Uebergang zu eselkes bildende Ver-
kleinerungsform häsken, heskes. Wahrscheinlich spielt
dieselbe volksetymologische Verwechselung bei den kinder-
bergenden Eselsbrunnen ^) , vielleicht auch beim hölzernen
Esel zu Frikkenhausen mit ■*).
Der Sinn in unserm Liede, so weit er bis jetzt ver-
ständlich ist, wäre somit dieser. Ein Knabe hütet die
Gänse, deren eine ihm geraubt wird. Seine Mutter droht
ihn darüber hart zu schlagen. Er wünscht darum zu ster-
ben und entflieht mit einem Hasen ins Eibenland.
10) Engelland, der himmlische Wohnsitz der Seligen
ist zugleich die Heimat und Ausgangsstätte alles Lebens.
So nimmt das Ei daselbst seinen Ursprung. Ein bekann-
tes Volksrätsel lautet:
1) Seifart, Hildesheimer Sagen 178, 8.
2) Harrys, Sagen Niedersaclisens S. 34, 15.
3) Wenn nicht die aphrodisische Hasel (s. Zeitschr. f. D. Myth. HI,
S. 95 fgg.) den Grund der Benennung und Sage abgab.
4) In manche Volksgebräuche und Sagen kam der Esel als Abbild des
heiligen Palmesels, auf dem Christus seinen Einzug in Jerusalem hielt.
Vergl. Schnetzler, Bad. Sagen II, 49. Panzer I, 131. Büsching, Wöchentl.
Nachrichten IV, 193. Kuhn, Nordd. Sagen S. 372. Gebräuche 15. In meh-
reren Orten wurde deshalb am Eselsfeste ein mit einem Chorrock behangener
Esel in Begleitung der Geistlichkeit und des Volkes durch die Strafsen in
die Kirche geführt und sowol dort um den Esel herum als vor der Kirchen-
tür ein besonderes Lied gesungen. Dondorff, Geschichte der Erfindungen.
Quedlinburg Basse I, 345. Auf der Eselswiese zu Erfurt findet ein Jahrmarkt
statt. Dabei werden jedesmal Hunderte von töhnernen Eseln verkauft. In-
telligenzblatt der Stadt Aschersleben 1852. No. 10. Im deutschen Mittel-
alter war der Esel überhaupt ein vielgebrauchtes und vielbekanntes Tier.
Vergl. Physica St. Hildegardis III, 2. Du Cauge s. vv. asinus, mulus, burdo.
In ITranken gab es eine Eitterfamilie Asini ab Illesheim, s. Biedermann, In-
dex z. Frank. Rittercanton. In Würzburg befand sich, wie mir Professor
Reiiss mitteilt, 1277 eins grofse „curia asini, quae vocatur zem esele;"
(Regesta rer. Boic. IV, 53. 91. 137) 1359 ebendas. ein Haus zum jungen
oder kleinen Esel, und noch 1460 ein Wirtshaus zum Esel. Im Co-
pierbuch von Oberried ist 1397 ein Eselberg bei Schworstadt genannt —
Der tnmkene Bieresel scheint mir eine gelehrte Vermischung eines älteren
Kobolds mit dem eselreitenden Silen zu sein.
415
Es kommt ein Schiff aus Engelland,
Hat kein Bügel und kein Band,
Und doch zweierlei Bier *).
In Luxemburg ward Engelland begreiflicherweise in Nie-
derland verändert:
Es kommt ein Fässchen aus Niederland,
Hat weder Reifen, noch eisern Band,
Giebt zweierlei Trank doch, wie bekannt ^).
Vielleicht hatte Engelland einst auch in einer schwedischen
Fassung statt:
Det kom en tunna frän frömmande land,
utan laggar och utan band'').
Ein anderes Rätsel, dessen Auflösung ebenfalls das Ei ist,
lautet :
1) Pommerellen mündl. Vergl. Ostpreufsen N. Pr. Provincialbl. I. 1846
S. 396: Kömmt e tonnke üt En gelland, äne rand on äne band, öss tweier-
lei ber bönne. i segg, wat suU dat sonne. — Ebendas. a. a. 0. X. 1850
288. 192. Kem e tonnke üt Engelland, had keine reife, on keine band,
on wer doch tweerlei ber damank. — Westholstein mündl.: Kern en tunn üt
Engelland, har ken bügel un ken band un doch tweerlei ber. Vergl. Mül-
lenhoff, Sagen 506, 9: sunder born (Boden) un sunder band.
2) Steffen, Sagen und Märchen aus Luxemburg S. 47.
3) Dybeck , Runa 1847 No. 25. Die übrigen Varianten nehmen eine
andere "Wendung. Das Alter unseres Rätsels hat schon Müllenhoff, Zeitschr.
f. D. Myth. III, 7 dargetan. Es kommt bereits in kunstmäfsiger Skälden-
bearbeitung in der Getspecki Hei'öreks konüngs vor. — Das Reterbüchlein
gewährt die Form : ,,Ein fesslein, das ist wol gebunden fast geheb on handt
unndt on band; hat auch kain raiff." Vergl. damit Oldenburg, Thöle und
Strakerjan, Aus dem Kinderleben S. 75. Schwaben, Meier, Kinderreime S.
77, 299; Aargau, Rocholz, Alemann. Kinderl. S. 234, 283; Mone, Anzeiger
1838. 262, 188; Hagens Germania VI, 155. Baden in Niederösterreich: As
13 a fassl ungebunden, had käan räaf und kaani wundn und san zwäalai drangl
drai. Unser Rätsel ist vielfach zu andern Völkern übergegangen. Litauisch
lautet es: Mazh. baczkele bh szulü ir be vidiij dvcjops pyvs. Ein kleines
Fässchen ohne Dauben und Reife, innen zweierlei Bier. Schleicher, Sitzungs-
ber. d. Wien. Akad. 1852 S. 529. — Die Inselschweden auf Worms sagen:
Eit fad ä tu las äöl; Ein Fass hat zweierlei Bier. Die Ehsteu entlehnten:
,,üks waat kahtesuggu öllut sees," Ein Fass, zweierlei Bier darinnen. Guts
leff, Anweisung zur ehstnischcn Sprache. Halle 1732 S. 371. No. 122. —
Auch die Magyaren nahmen das Rätsel bei sich auf: Kicsi hordd, kdtfe'le bor
van benne, mindenik szine't el lehet vtiltoz tatni. Ein kleines Fass, zweierlei
Wein ist in demselben, die Farbe eines jeden kann man unterscheiden. Jla-
gyar nyelvc'szet szerkeszti Hunfalvv Pal. 1856 S. 365 — 377. szäz finn e's
szilz niagyar noptalany. 100 finnische und inag5'arische Volksrätsel No. 4.
vergl. Magazin f. Literatur d. Ausl. 1856 No. 90. S. 864a.
416__
Hümpelken, pümpelken sat op de bank,
hümpelken, pümpelken fei von de bank,
do is ken dokter in Engelland,
de hümpelken, pümpelken kuräre kann ').
Daneben stehen die Passungen:
1.
Gigele Gagele auf der Bank,
Gigele Ga2;ele unter der Bank!
Ist kein Doktor im ganzen Land,
Der's Gigele Gagele wieder ganz machen kann ^).
2.
Lille trille
laae paa hylde,
fald ned af hylde;
ingen mand
i hele land
lille trille curere kan ^).
3.
Lille bylle laae paa hylde,
hlle bylle fald ned of hylde;
ingen mand in verden kon
hjaelpe lille bylle istond "*).
1) Herford. Firm. I, 360. Wesentlich hiemit und besonders in der Les
art Engelland stimmen die folgenden Recensionen überein: a) Grafschaft
Mark. Woeste, Volksüberlieferungen S. 14, 16. b) Ravensberg mündlich.
c) Lippe. Firm. I, 271. Simrock, Eätselb. I, 32. d) Bremen, Schmidt, Am-
menreime 38. e) Göttingen d. Herrn Bibliothekar Müldener; nur dass für
hümpelken pümpelken in a) hüppelken püppelkeu, b) hülterken pülterken,
c) runtzelken pimtzelken, d) etje papetje, e) hümmelchen bümmelchen ge-
sagt wird.
2) Tirol d. J. V. Zingerle. — Vergl. Jugenheim a. d. Bergstrafse von
mir aufgezeichnet: hüppelche püppelche üf de bank, h. p. unner de bank, is
kei mensch im ganze Land, der das hüppelche püppelcJie fangen kann.
— Schwaben, Meier, Kinderr. 79, 310: Wirgele Wargele uffer Bank, wenn
es fällt, ist es krank, es ist kein Dokter im ganzen Land, der dem Wirgele
Wargele helfen kann.
3) Dänemark. Thiele, Danske folkesagn ' HI, 148.
4) Falster d. Fräul. E. Boeckmann.
417
4.
Lille trolle
lag pä hölle
ingen man i detta lanii
, lille trolle laeka (heilen) kan ').
5.
Bolli för äf skäröi
allar gjäröir sprungu äf,
han vär hvörki firi eystan, ella firi vestan
iS bolla afturboeta kiindi '^).
Das Ei, aus welchem auf geheimnisvolle Weise ein neues
Leben hervorgeht, bot der Naturbetrachtung unserer Alten
ein tiefes Rätsel. Kunstvoll gefügt ohne Nat und Draf),
ohne Reife und Bänder, so dass man weder Anfang
1) Westergötland. Dybeck , Ruim 1848 No. 28. Vergl. ebendas. 29
Wenjau: ille bille sto pä hille; ille bille för i sär, ingen man i detta
lann ille bille bigga kau.
2) Fffii-oeer. Antiquarisk tidskr. 1849 — 51 S. 317, 16. Ballen fiel von
der Bergkluft, alle Reifen sprangen ab. Da war Niemand in Osten oder
Westen, der Ballen wieder ganz machen konnte. Zu bemerken ist, dass firi
eystan ella firi vestan genau zu dem Zuruf an den Marienkäfer:
,,flyg oester, flygvester" ,,ütm austen ader ütm wes te n o. S. 252.
253 stimmt. Denselben Ausdruck enthält auch eine englische Variante des
Käferliedes, die wir zu S. 253 aus Brand, O1)sen'ations ed. EUis I. 213 nach
tragen :
This ladyfly I fake from of the grass,
whose ppotted back might scarlet red siirpass.
Fly ladj'bird, north, sonth or east or west,
fly where the man is found, that I love best.
Vergl. noch den Brandsegen:
There were three angels from the east and the west
one brought fire, and another brought frost,
and the third it was the holy ghost,
out fire, in frost! in the name of the father. etc.
Notes and queries 1850 S. 258.
3) Vergl. das Pommerellische Rätsel vom Ei: „düfferke uu düwke
knitten sik en hiiwke äne nät, äne drät, ane end, de dat rät, de is be-
hend. Weben oder Spinnen sind häufig aphrodisische Symbole. — Tiiöle und
Strakerjan S. 77: dar Iccm cn schö üt de enge Ische stüw, de mäkt enc
nät Sünder nädel un drät. Auflös. der Schrittscliuh. Hier fliefst Engel-
land das Eibenreich mit Engelland - Grofsbritannien , dem Lande der Fabrik-
tätigkeit, zusammen. Gradezu wird Enge Hand in der folgenden Variante
aus Hannover genannt: Dar kuamen twe du wen van Engelland stüwen
de neihden en nät sünner drat. D. Fräulein E. Freiin v. Dinck!!ige-Canii>e.
Auflös. schöwel (Schrittschuh).
27
418
noch Ende daran sieht, musste es ihnen als eine Arbeit
der schmiedenden Elbe erscheinen und in diesem Sinne
sagte man, dass es in Engelland, dem Eibenreich, zu Hause
sei, daher gefahren komme. Wir sahen bereits o. S. 346,
dass die Elbe auf Eierschalen aus und nach ihrer Hei-
mat fahren. Auch in Holland schreibt man vor, die Eier-
schalen zu zerbrechen, sonst fahren die Hexen darin nach
England ').
Ist das Ei zerbrochen, so kann kein Mensch es wie-
der heilen, nicht einmal die kunstvoll schmieden-
den Geister (Elbe) im Lande der Engel-). Wir ler-
nen hier also Engelland als einen Ort kennen, wo kost-
bare, wundersame Gefäfse gefertigt werden, eine Tätigkeit,
1) Notes and queries III, 387.
2) Viele Varianten unseres Rätsels nehmen eine andere Wendung. Pom-
merellen: Huchel di buchel he leg op de benk, huchel di buehel he leg
onder de benk. Huchel di buchel hets genecke tebröke, kann kene sone
huchel di buchel me mäke. — England Ilalliwell, Nursery-rhynies S. 92,
No. 135: Hump ty-dumpty säte on a wall; humpty-dumpty liad a great
fall; threc score men and three score more cannot place humpty-dumpty as
before. — Kuhländchen. Meinert, Fylgie S. 289, 33. 's feilt vo dar trepp onn
kon's ka beinder meh beinde. — Siebenbirgen d. Haitiich: et fäel e kefken
vum däuch erüef, et kangd cd niche biduer bangyden. Wat es dät? Vergl.
Hagens Germania VI, 156. — Eine Reihe anderer Recensionen ist mir noch
nicht verständlich. Weifsenfeis in Sachsen mündl. vergl. Neuvorpommern Ha-
gens Gei'mania V, 252: Ente potente safs auf der Bank, Ente potente fiel
von der Bank, da kamen die Herren von Akel dörschakel und wollten
Ente potente wieder ganz machen. — Pommerellen: Hempel di pempel lag
auf der Bank, Hempel di pempel lag unter der Bank, kam ein Herr von
Jlen Apen kann Hempel di pempel nicht wieder machen. — Pommerellen:
Hottepotete ober der Bank, Hottepotete unter der Bank! da kam der Hot-
tepotete und könnt' es nicht wieder ganz machen. — Pommerellen: Ente
potente sat op de benk, Ente potente fei von de benk, da käme de herre
von Atepotäte on wullen Ente potente wedder ganss mäke. — Holstein
mündl. : Henterpotenter kam auf die Bank, Ilenterpotenter fiel von der Bank,
da kamen 5 Herren von Uden von Aden, konnten doch kein Henter-
potenter mehr machen. — Pommerellen: Endle labondle lag auf der Bank,
Endle labondle lag unter der Bank, da kam ein Herr von Labondle ge-
gangen; schenkt Hannchen ein Hahneben und ein Hühnchen. Hahnchen und
Hühnchen gingen einen graden Weg. Hühnchen fand ein Kornchen, Hahn-
chen wollt es ihm nehmen, da kam ein Herr von Labondle gegangen wollt
es ihm nicht lassen. — Wer sind die Herren von Akel dörschakel, Jlen Apen,
Hottepotete, Atepotäte, Uden Aden, Labondle? — Die Besprechungen unse-
res Rätsels N. Preufs. Provincialbl. 1840 V, 396 fgg. Hagens Germania V.
184.3 S. 252 — 254 sind durchaus unzureichend.
419
welcher unsere Elbe nach vielfachen Sagen im oder hin-
ter dem Berge (dem Wolkenfels) obzuliegen pflegen').
Das Ei musste unsern Altvorderen um so mehr elbisch
erscheinen, als sowol seine Gestalt sie an den buckligen
Zwerg ^), als auch sein Hin- und Herrollen an das Ko-
bold- oder Kopfheisterschiefsen'^) erinnerte.
11) Das Land der Engel gilt begreiflicherweise als
Inbegriff aller Freuden und daher nimmt die Redensart:
„nach England fahren" mitunter die abstracte Bedeutung
„vergnügt sein" an: ^
Wir haben ein Schiffchen mit Wein beladen
Damit vrölln wir nach Engelland faren.
Lasst uns farn, farn, farn,
Lasst uns farn nach Engelland zu.
Der Wein ist aufser mafsen gut,
Er macht uns frischen und freien Mut,
Lasst uns u. s. w.
Frisch auf Gesell lass umbhergan,
Das Gläslein muss nit lang stillstan!
Lasst uns u, s. w.
Schenk ein, schenk ein den kuelen Wein,
Das Guetlein muss verschlemmet sein!
Lasst uns u. s. w. *).
Vorzüglich aber wird diese Redeweise von der Früh-
lings- oder Sommerfreude gebraucht. Die flandrische
Jugend pflegt besonders in Dünkirchen an Sommeraben-
den (zumal an den Festen d. h. Johannes des Täufers,
Petri und Pauli) eine Krone von Rosen über den Weg
1) S. Kuhn, Zcitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 95 fgg.
2) llumpelken, hüminelken, hüppelken bedeutet bucklig, vergl. engl,
hump; pürapelken, bümmelken sind Enipliase. Vergl. Zeitscbr. für vergl.
Sprachf. III, 79. 80. engl, humpty = luinchbauked. S. Thoni. Wright, Dictio-
naiy of absülcte and provincial English. London 1857 S. 673. — Ilumpty-
duinpty „eine kleine tölpische Person." Kaltschmidt, Engl. Wörter-
buch s. V.
3) Vergl.: kann kene sone huchel di bucliel me müke. — Dan. trille
bedeutet Rolle, Scheibe.
4) Uhland, Volkslieder 580, 220.
27*
420_
zu hängen und unter derselben gegen Sonnenuntergang
Reigentänze aufzuführen. Jene Krone heifst Roozen-
hoed'). Zu Bailleul singt man bei solcher Gelegenheit
folgendes Tanzlied:
Ik zoude nu zo geiren
naer Eugelland gaen varen,
al om mjn eerste wieltje
van mynen nieuwen wagen.
Ik zal om een gaen zoeken
van hier naer de vier hoeken,
_ van hier overal;
waer dat ik hem vinden zal.
Komt hier myn proper maegdetje,
komt danst met my.
Ye zal myn eerste wieltje
van mynen wagen zyn.
„Ik wil h'en, "k wil eenen man,
ik wil h'en eenen wagenman -)."
1) An einigen Orten führt sie den Namen Roozenkroon. „Am Sonn-
tag nach Cathedra Petri wird in Geeraerdsbergen in Belgien ein Tanz unter
der Eoozenkroon gehalten, die hoch über der Strafse schwebt ; sobald sich
ein bestimmtes Paar unter ihr befindet, lässt man sie fallen. Dann folgt ein
allgemeines Ballspiel." Wolf, Wodana I, 103. Wolf, Beiträge I, 87. In
Hekelghem bei Aelst versammeln sich am St. Peterstag die Bursche und Mäd-
chen des ganzen Dorfs und machen zwei Blumenkränze den Roozen hoed
und die Kroon. Dann losen die Mädchen mit Strohhalmen. Die den läng-
sten zieht erhält den Roozenhoed, wird erste Königin und wählt sich ih-
ren König. Die den zweitlängsten Halm behält erhält die Kroon und wählt
sich gleichfalls ihren Genossen. Abends ist Schmaus und Tanz im Wirtshaus.
In Brüssel werden an den Festtagen St. Johannis des Täufers, Petri und Pauli
und bei der grofsen Kirchweibe in den untern Stadttheilen Maien gepflanzt,
Kränze, Kronen und Fahnen in den Strafsen ausgehängt und Abends tanzen
die Nachbarn ,, unter der Krone," die inmitten der Strafse schwebt. Am
letzten Kirch weihtag zündete man unter der Krone ein Freudenfeuer an.
Zeitschr. f. D. Myth. I, 176. In Halle hängt man am Johannismorgen Kro-
nen von Laub und Blumen an Schnüren quer über die Strafse, die Kinder
tanzen darunter, sperren den Vorübergehenden mit Blumengewinden den Weg
und erhalten dafür ein kleines Geldgeschenk. Diese Kronen sind in Thü-
ringen und Sachsen sehr verbreitet. Sommer, Thüring. Sagen S. 156. Die
Tänze unter der Rosenkrone hängen mit den deutschen im Rosenkranz zu-
sammen, worüber HofFmann, Horae belgicae II, 177. 178. Vergl. das Tan-
zen unter dem Rosenstock zu Sachsenburg und den Rosenbaum von Für-
stenwalde bis Wendisch Buchholz. Kuhn, Nordd. Sagen S. 391. No. 82. Auch
in Greifswalde waren und sind zu Pfingsten Tänze unter g cid gezierter
Blumenkrone in Gebrauch. S. Greifswalder Kreis- und Wochenblatt 1857
No. 66. 70. 76.
2) De Coussemaker, Chants populaires des Flamands de France, recueil-
421
Der Reigen wird von allen Mitspielern getanzt aufser
einem, welcher umhergeht und mit einem Plumpsack ein
Mädchen aus dem Kreise berührt und nötigt, sich an seine
Seite zu begeben ').
In der Gebend von Brüssel war folgender Abzählreim
üblich: '^)
Onder de bank
leit er wat zand;
lis et publies avec des melodies originales. Gand E. Gysselink 185G S. 325,
CHI. — Ich wollte so gern nach Engellaud fahren, um das erste Rädchen
für meinen neuen Wagen. Ich werde danach suchen in alle vier Weltgegen-
den, von liier aus überall, bis dass ich es finde. Komm her mein wackres
Mägdelein, komm tanz mit mir, du sollst das erste Rädchen meines Wagens
sein. „Ich will haben, ich will einen Mann, ich will haben einen Wagen-
mann."
1) Ein ähnliches Spiel ist in Dünkirchen zu Hause, De Coussemaker
a. a. 0. 324, CIL:
Komt hier gy proper maegdetje,
komt danst met my.
gy zyt aen't eerste koordetje,
van mynen nieuwen wagen.
houd alaen, wagen, wagen!
wat zal ik hier gaen zoeken,
van achter in de hoeken?
'k zal gaen zoeken overal,
waer ik iemand finden zal.
Zu vergl. steht auch Simrock, Volkslieder 1851 S. 304, 189:
Ich stehe fürwahr nicht aufe.
Ich enlasse dich nicht herein,
Ich hör' an allen deinen Reden,
Dass Du mein Lieb nicht bist.
Hörst du an allen meinen Reden,
Dass ich dein Lieb nicht bin.
So steck dir au ein Kerzchen,
So siehst du, wer ich bin.
Das Feuerchen liegt in der Aschen,
Die Kerzchen sind verbrannt,
Ade ihr Ilonnefer Jungfern,
Ich zieh' ins Enge 11 and.
Dort lioft't der sehnende Werber Liebesglück und Freude zu finden, doch
gefällt ihm schliefslich die Erde noch besser und er bleibt.
2) Wolf, Wüdana Mus. voor Nedcrduitsche oudheidskunde. Gent 1843
I, 110. Unter der Bank liegt da etwas Sand, trägt ihn mit nach
Enge 11 and (von Engelland nach Spanien!) Aepfcl von Oranien, Birnen
von dem höchsten Baum. Wer das erste Spiel gewinnt, gewinnt die gol-
dene Doppelkrone. Die Krone steht gespannt mit 4 eisernen Bändern, woran
die stolzen Kinder und die stolzen Menschen hangen sollen. Die goldene
Krone dieses Kinderreims ist wol nichts anderes, als die mit Flittergold verzierte
Krone des vorhergehenden Liedes. Zu dem Anfang vergl. oben S. 404. 405.
422
draegt Lern mee naer Ingeland,
(van Ingeland uaer Spanje)
appelen (van Orange) ')
peeren van den hoogsten boom.
Wie het eerste speleken heeft
heeft de dubbele goude kroon;
de kroon die staet gespannen
met vier yzere bannen
(waer dat de stoute kinderen
en de stoute menschen daeraen hangen).
1) Ich kann nicht unterlassen auf den merkwürdigen Umstand aufmerk-
sam zu machen, dass die nun schon mehrfach als Zusatz zu Engelland beob-
achteten Worte „nach Spanien, von Spanien nach Oranien u. s. w." s. oben
S. 397 fgg. 400 fgg. in einem italiänischen Sonnenliede ein merkwürdiges
Analogon finden:
Kon chiovere, non chiovere. Regne nicht, regne nicht,
ca voglio ire a movere Denn ich will bei Sonnenlicht
a movere lo grano Das Korn zu worfeln fangen an
de masto Giuliano. Bei dem Meister Julian.
Masto Giuliano 0 Meister Julian
prestamo na lanza, Gieb mir ne Lanze von der Wand,
ea voglio ire N'franza, Denn ich zieh' ins Frankenland,
da Franza a Lombardia, Von Frankenland nach Lombardia,
dove sta Madamma Lucia. Dort thront Madamma Lucia.
S. Ferdinande Galliani del dialetto Napoletano Napoli MDCCLXXIX S. 119.
Die heilige ,,Lucia" (d.h. die am Tag Geborene) vertritt hier die Stelle
einer Sonnengöttin in Folge der Volksetvmologie von Lucia aus luce lat.
lux; ebenso wie das catalanische Sonnenlied aus gleichem Grunde St. Clara
(die Leuchtende) wählt, s. oben S. 395. Ich kann nicht umhin an dieser
Stelle zu S. 396 der Vollständigkeit wegen den Test des dort erwähnten
neapolitanischen Sonnenliedes ausführlicher mitzuteilen: Jesce jesce sole sca-
jenta 'mperatore Scauiello mio d'argiento che vale quattociento ; ciento cin-
quanta, tutta la notte canta, canta viola lo masto de scola ; o masto, o masto
mannancene priesto ; ca scienne masto Tiesto co lanze e co spate , da l'au-
cielle accompagnato. Sona sona zampognella, ca t'accatto la gonnella,
la gonnella de scarlato; si non suone, te rompo la capo. S. Liebrecht, Der
Pentamerone des Basile 11. S. 253. Zu oben S. 397 bemerke ich, dass zum
Verständnis der piemontesischen Sonnenlieder schon der folgende Volksreim
aus Mailand ( s. Cherubini, Vocabulario Milanese-Italiano. Milano 1839 I,
187) einen Beitrag liefert:
Pioev, pioev,
la gaijnna fa I'oeuv,
liocca, fiocca,
la gaijnna la fa l'occa.
d. i. Regen, Regen, die Henne legt ein Ei, Schnee, Schnee, die Henne sie
macht eine Gans. Zu der schon mehi-fach (s. u. a. oben S. 841) besproche-
nen Darstellung der Wetterwolke als Huhn vergl. den ditniars. Namen der
Vogelmiere stellaria media hoenerswark, d. i. eigeutl. llühuerwolke.
423
Wiederum lautet ein beim Mail eben gebraucbtes
Tanzlied in der Umgegend von Bonn:
Im Maien, im Maien die Vögelein singen,
Die Lämmelein auf grün Haide springen.
Sie springen und singen vor Herzliebcbens Tür.
„Komm doch zum Abendtänzeben berfür."
Ein Abendtänzeben es dauert nicbt lang.
Mit einer Scbalmeien in Engelland.
Ich hoffe, sie werde bald wiederum kommen.
Der lustige Mai bringt fröhlich den Sommer.
Der fröhliche Sommer bringt frischen Klee,
Von Herzlieb scheiden und das tut weh.
Von Herzlieb scheiden tut nimmermehr gut,
Wer soll denn trösten den Mädchen den Mut? u. s. w. ').
S. MüUenhoffs Glossar z. Quickbom s. v. Zu meiner grofsen Freude vermag
ich nun auch zu dem faeroeischen Liede oben S. 375 aus Sv. Grundtvigs so
eben eingelaufener zweiter Sammlung „Gamle Dauske minder i folkemunde,
ny samling. Kjcebenhavn 1856 — 57" S. 154 eine Variante aus Jütland bei-
zubringen : „Böen om godt veir" (Bitte um gutes Wetter) :
Mett ä Malen,
di säd ä grasten,
ä boj te Vorherr, te se sol matt sken,
saa skcnd se sol, sä lyst aä mkn.
klar (für klaver) q/; te vorherr, i guds engler.
Margareta und Malen, sie safsen auf dem Feldstein und baten unsern lieben
Herrn, dass die Sonne möge scheinen, so schien die Sonne, so leuch-
tete der Mond; klimmt auf zu unsern Herrn, ihr Gottes Engel.
Da wir einmal bei Nachträgen zu den Sonnenliedern stehen, merke ich
zu S. 380, 3 noch einen englischen Reim aus Halliwell, Nursery-rhymes 201,
CCCLVII. an:
Rain, rain go away,
come again another way,
little Arthur wants to play.
1) Bonn und Menzenberg: Simrock, Deutsche Volkslieder S. 205, 107.
— Kesseuich, Poppeisdorf: Erk, Neue Sammlung Deutscher Volkslieder II,
Heft 4. 5. S. 82, 77. Erk, Deutscher Liederhort 309, 140:
Zu Maien, zu Maien die Vögelchen singen.
Die Lauberen auf Grünhaide springen.
Sie tanzen, sie springen vor Herzliebchcns Tür,
Da geht ein Abendtänzchen herfUr.
Ein Abendtänzchen, es währet nicht lang,
Mit einer Sclialmeicn aus Engelland.
Wir hoffen, sie werden sclion wiederum kommen,
Der Mai bringt uns den lustigen Sommer;
Den lustigen Sommer, den gelben Klee —
Herzliebchen das Scheiden und das tut weh.
424
Die Eugel lassen bei Beginn des Frühlings liebliche
Schalmei ertönen. Sie führen den lustigen Mai, den gel-
ben Klee, das grüne Laub, den Vogelsang wieder herbei,
die verschlossenen Häuser tun sich auf, zu Tanz und Spiel
während der ganzen Sommerzeit kommen Bursche und Mägd-
lein hervor, die Freude des Engellandes kehrt bei ihnen
wieder ein, bis des Winters eisiger Bann sie hinter den
Ofen zurücktreibt.
Diese Vorstellungen haben einen tieferen Hintergrund.
Das himmhsche Lichtreich wurde einst als wunderherrli-
cher Garten gedacht, woher der Blumenschmuck des
Sommers alljährlich auf die Erde kommt. Im oder un-
ter dem Frauhollenteich am Weisner befindet sich
Frau Hollas unvergleichhcher Garten, worin Blumen
und kostbare Früchte wachsen'). Nach dem Mär-
chen steigen Kinder in Holdas Brunnen hinab. Unter
demselben liegt eine bhimige Wiese, auf der Apfel-
imd Birnbäume voll reifer Frucht stehen und zum
Pflücken einladen ^). Eine elsässische Sage schildert den
Kinderborn als einen schönen steinernen Brunnen auf ei-
ner Wiese o;eleg-en. Daraus fliefst Milch statt Wasser.
Ringsum blühen grofse Blumen die Honig in den
Kelchen bergen. Damit stillt die Mutter Gottes die
elternlosen d. i, die ungebornen Kindlein ^). Wir wissen
bereits dass Holdas Brunnen, in welchem die Kinderseelen
weilen, der Wolkenbrunnen ist, zu welchem der Ma-
rienkäfer auffliegt (s. oben S. 255. 268), und dass dasselbe
Local als Ber^höle auf<Tefasst wurde. In Waldminchens
Berghöle s. oben S. 272. 273 befindet sich eine blu-
mige Wiese, auf der die Kinderseeleu spielen.
Herzliebcheu, das Scheiden tut nimmer kein gut,
Wir zwei wir tragen einen falschen Mut. u. s. w.
Vergl. Müllenhoff, Sagen S. 480:
Der Abendtanz, der dauert nicht lang,
Er dauert nur einen kleineu Sommer laug.
1) Grimm, D. Sagen S. 7, 4. Vergl. Lyncker, Hess. Sagen S. 17, 19.
2) KllM. No. 24. Vergl. KHM. III', 40 fgg. Müllenhoff, Sagen S.
497 fgg. Stöber, Elsäss. Volksbüchleiu S. 113, 245.
3) Stöber, Sagen des Elsasses S. 121, 107.
425
Sie pflücken daselbst die schönsten Blumen und winden
Kränze und wenn sie hungrig und durstig sind, kommen
Waldminchens Dienerinnen und bringen ihnen die beste
Speise. — Ebenso befindet sich in dem oben S. 338 aus
Colshorn beigebrachten Berge mit den Kinderseelen
ein goldenes Schloss auf einer Wiese. In einer Schwei-
zersage steigt ein Schneidersohn in die Hole einer ver-
wünschten Jungfrau hinab. Da hat er erstlich durch eine
eiserne Pforte, darnach aus einem Gewölbe in das andere,
endlich auch durch einige gar schöne und lustige
grüne Gärten gehen müssen. In der Mitte steht ein
herrliches Schloss, darin weilt die Jungfrau '). Nach einer
Sage bei Harrys -) sind die Wände in der AVohnung der
weifsen Frau mit kostbaren nie gesehenen Blumen bedeckt.
Dass die Wiese wirklich im Lichtreich (Engelland) hin-
ter dem Wolkengewässer liegt, bestätigt ein Kinderreim:
Hoijo wären wir do
wo de engelsches sengen
wo de schellekes klengen,
wo de blau blau blömkes stont,
wo de kengerkes speie gont^).
In einem Eifler Liede s. o. S. 351 No. 20 wird dem Ma-
rienkäfer zugerufen „flieg ins Herrgottsgärtchen."
1) Grimm, D. Sagen T. No, 13. S. 17.
2) Volkssagcn Niedersachsens II, 62.
3) Simrock, Kinderb.^ 86, 291. Vergl. Meurs d. H. Grecf:
Heijo! wären wir do,
wo de engelsches sengen,
wo de schellekes klengen,
■wo dat sönnelcen (die Sonne) den berg herop geit,
wo dat klokschen tien ure sleit.
Dat klokschen het geslagen,
do woll min müder mek dragen,
do gonk ek laupen.
do koamcn se mek all nägegoan,
do kam ek an en bröksken,
do säten twe hasen on en kanin,
do sali dat kenneken 6k sin.
Vergl. das oben S. 409 fgg. erläuterte Lied. Das dem Hasen verwandte
Kaninchen ist ebenfalls häufig eine Gestalt, in welcher Seelen erschei-
nen. S. Wolf, Niederl. Sagen S. 328, 233; S. 500, 415; 8.508. 426; S.
703, Anm. 415.
426 _
Ein anderer Kinderreim oben S. 339, 3 zeigt die Kinder-
seelen bei Frau Holda im Glasberg, wo sie in einem
gar schönen Garten voll herrlicher Blumen wei-
len. Schwäbische Reime fordern den Maikäfer gradezu
auf Früchte aus seiner himmlischen Heimat mitzubringen.
1.
Sonnevögele flieg aus
Flieg in meines Vaters Haus,
Komm bald wieder
y^Bring mir Aepfel und Bire!" ').
2.
Maikäfer flieg aus,
Flieg in meiner Ahne Haus,
Bring mir Aepfel und Bire!
Komm bald wieder! ')
3.
Maiekäfer flug, flug
In deiner lieben Frauen Häusle,
Gibt dir Aepfel und a Knäusle,
Gibt dir Aepfel und Birel
Morge z' Nacht wieder ^).
Genaue Einstimmung zeigt ein Lied an den im himm-
lischen Kinderbrunnen der Holda heimischen Storch:
Stork ä stork ä stene,
med di lange bene!
hvor hasr do vaet ä tjene?
I min faders affildgärd,
doer er bord ä baenke
1) Meier, KindeiT. aus Schwaben S. 23, 72.
2) Ebendas. 24, 77. Der Vater in 1, die Ahne in 2, sowie Vater
und Mutter o. S. 353. No. 26 bedeuten die Seelen im himmlischen Licht-
lande, welche hier, wie die aulken, ölken s. oben S. 301 als Geister
der Vorfahren gefasst sind. Vergl. Prölile, Aus dem Harz. Leipzig 1851
S. 93: Ein Graf von Regenstein bat den Ahn seines Hauses, dessen Geist im
Schlossbrunnen hauste, um Nachkommenschaft. Der Brunnengeist ge-
währte seine Bitte und schenkte ihm zwei Söhne.
3) Meier a. a. 0. 25, 78. Vergl. oben S. 347 — 352 und Firm. I, 526.
427
daer er mjoe ä sksenke
daer er, dreng', der kytter buld
dser er pigger, der Spinner guld;
hos ä hos ä heja!
daer er nok ä tej a ').
1) Storch und Storch und Sterne mit den langen Beinen, wo warst du
aus zu dienen? In meines Vaters Apfelgarten. Da sind Tische und
Bänke, da sind Mädchen die schenken, da sind Bursche, da sind
Jungfrauen, die spinnen Gold. Sv. Grundtvig, Gamle Danske minder
i folkemunde II, S. 147. 148. Deutlich ist hier in das himmlische Brunnen
reich die Scenerie der späteren ValUiöll hineingetragen, die Bänke und Tische,
an denen die Einheriar sitzen, die metschenkenden Valkyren. Goldspin-
nende Jungfrauen werden wir weiterhin in Holdas Brunnenreich kennen ler-
nen. Vergi. die folgenden Lieder, welche alle von einem mythischen Lande
handeln:
Gro goes mje di ving!
hwo vil du Swing?
a'el Swing ü a mi fäers land
daer er hwerken säen eller wand,
a vil ü i fremmed land
daer grüer loeg
der galer gjoeg. u. s. w.
Grundtvig a. a. 0. 306. — Die folgenden schwedischen Fassungen entnehme
ich der hdschr. Sammlung von Stephens und Hylten-Cavallius :
1. (Vermland aus Bokaströms Resa.)
GH gla glänne
län mig dina vingar
viska fara ät Sörmoland
der ligger spädt barn, lekar med gulläpplet.
2. (Finnmarken.)
Bocken stod pä trunnen
med kolblad i munnen
sä kom gasen flygande.
,,aj ! aj ! hen- gase,
hvart skal flyge til gullfjord;
dar växer löken
dar galar göken
dar dansar smä fliekar
dar dansar smä gossar
dar dansar lilleste — — med.
3. (Södcrmannland.)
Gäsa gäsa klinga
läna mig diua vingar.
hvart ska' du flyga?
J i fr c m m a n d e land;
der bor gökcn,
der gror löken,
der sjunger svancn,
varper uuder granen !
428
Entsprechende Züge finden sich in Sagen. In der Ge-
gend von Münnerstadt in Baiern gingen einmal zwei gute
Kinder aus, Erdbeeren zu brechen. Ermüdet schhefen sie
ein. Da kam ein blauer Storch geflogen, der in der Gegend
hauste und jedem ehrlichen Wandersmann ein treuer Füh-
rer war, Spitzbuben aber und Diebe in die Hände zwackte.
Der Storch legte dem einen Kinde Goldperlen, dem
andern die schönsten Erdbeeren in die Hand'). Der
Storch ist Holdas Vogel, der die Kinder bringt, seine Gabe
weist daher schon darauf hin, dass die Erdbeeren in be-
sonderen Bezüge zu dieser Göttin standen.
Nun bewahrt Panzer die folgende merkwürdige Sage.
Vor dem Johannistag darf eine Mutter, der schon Kin-
der gestorben sind, keine Erdbeeren essen. Denn
an diesem Tage führt die liebe Himmelsmutter Ma-
ria die kleinen Kindlein ins Paradies in die Erd-
beeren. Kinder, deren Mütter schon vor Johannis von
der Frucht genossen haben, gehen leer aus. „Bleibt zu-
rück," spricht Maria, „euern Teil hat eure genäschige Mut-
ter schon gegessen"^). Die Säligen Fräulein, Holdas
Besfleiterinnen in Tirol, helfen den Kindern Erdbeeren
und Heidelbeeren sammeln, und pflücken so schnell,
dass in einer Viertelstunde alle Körbchen mit der saftig-
sten Frucht gefüllt sind ^). Ein Mädchen findet an einer
Stelle, die sonst kahl und dürr war, die allerschön steu
Erdbeeren. Während sie davon pflückt, zupft eine
weifse Jungfrau sie am Rock und wünscht erlöst zu
deruuder sittei- et litet barn
och leker med guldapler.
Dass der Storch und der Maikäfer als Tiere Holdas auf gleiche Weise ange-
redet werden, kommt auch sonst vor, vgl. Firm. II, 419 (Mennniugen) Moia-
käfer fluig auf, fluig in deiner üJine haus. "Wo bischt heint z' nacht
gläaga! z' Buxe in de schäafa. Warum bauscht m'r nex mitbraucht? Ja i
haun net an di daucht. Schönmaimk ! Schöumaunk. — Meier, Kinderr. aus
Schwaben 28, 91. Storch, Storch Schnibelschnabel mit der langen heuega-
bel! Wo bist heut nacht glege? z' Jesingen in de schäfe. Warum hast mir
keine bracht? J han Wäger uimme dran dacht.
1) Schöppner, Bairisches Sagenbuch III, S. 78, 1019.
2) Panzer, Beitrag zur D. Myth. II, 13. 14.
3) Zingerle KIIM. Insbruck 1852 S. 59, 10.
429
sein '). Die weilse Frau vom Ilsenstein erscheint den Mäd-
chen in den Kronsbeeren ^). Im bairischen Hochland soll
es lichte Jungfrauen, von den Einwohnern Elfen (?) oder
Fräulein genannt, gegeben haben, welche die Kühe molken
und dafür mit reichlicher Milch segneten, s. oben S. 52.
Diesen „Fräulein" zu Lieb banden die Hirten oft den Kü-
hen Körbe mit saftigen Erdbeeren und Alpenro-
sen zwischen die Hörner, damit dieselben kämen und sich
daran erfreuten ^). Auf der Tafel des Zwergkönigs Hibich
oder Gübich, der nach hannoverscher Ueberlieferuug im
Glasberge wohnt s. oben S. 333, giebt es Erdbeeren
und Himbeeren*). Ein armes Mädchen sucht am Hengst-
berge in Baiern Erdbeeren und Nüsse für seine kranke
Mutter, da erscheint ihm bei den Beeren ein altes Mütter-
chen, das ganz und gar mit goldenem Moose bekleidet und
durch dessen Gabe sich die gepflückten Beeren und Nüsse
sämmtlich in Gold verwandeln ^).
Vergewissern uns die angeführten Ueberlieferungen,
dass die Erdbeeren zu Holda und den Eiben in einem en-
gen mythischen Verhältnis^ stehen, so zeigt ein Märchen,
dass man sie in Holdas himmhschem Lichtreich heimisch
dachte. Ein armes Stiefkind wird von seiner Mutter mit-
ten im Winter in einem papiernen Kleide in den Wald ge-
schickt, um Erdbeeren zu suchen. Sie gelangt an ein
kleines Häuschen, worin drei Zwerge ( Haulermänner-
1) Schambacli und Müller, Niedersächs. Sagen S. 87, 115.
2) Pröhle, Uiiterharz. Sagen S. 109. No. 270.
3) Schöppner, Bairisches Sagenbuch II, 36, 489.
4) Pröhle, Harzsagen S. 60. Ein Mädchen soll für Arbeiter aus der
Iliinmelpforte Wasser holen. Sic pflückt aber erst Erdbeeren, da kommt
ein klein Männchen und fragt, wer ihr die Erlaubnis dazu gegeben. Sie sagt
■\veslialb sie gekommen und er führt sie nun in die sonst versclilosseuen und
den Menschen unnahbaren Räume des untergegangenen Klosters. Dort giebt
er ihr zwei Flaschen. Die Arbeiter wurden ganz davon berausclit
und fielen in Schlaf. Pröhle Uuteriiarzsagen S. 85, 200. Das Kloster
ist Totenaufenthalt, darum schläfert das Getränk ein. Das Mädchen gelangt
dahin, indem sie die Erdbeeren pflückt.
5) Schöppner a. a. O. III. No. 1086. S. 134. Auch chis wütende Heer
erscheint „in den Erdbeeren." Kuhn, Mark. Sagen S. 175. Panzer, Bei-
trag I, 84, 107.
430
cheiij Hölenmänuchen) wohnen, denen sie willig von ihrer
schmalen Wegkost mitteilt. Diese weisen sie an, den
Schnee wegzukehren. Darunter kommen die schön-
sten reifen Erdbeeren zum Vorschein. Aufserdem
schenken sie ihm, dass es jeden Tag schöner wer-
den soll und dass ihm Goldstücke aus dem Munde
fallen, so oft es ein Wort spricht, endlich dass ein Kö-
nig kommt und es zu seiner Gemahlin erhebt. Die böse
Stiefschwester tritt nun gleichfalls den Weg in den Wald
an um ähnliche Gaben zu erwerben. Da sie aber hart-
herzigerweise den Haulemännerchen nichts von ihrem Mit-
tagsbrod mitteilt, wird sie verflucht jeden Tag hässlicher
zu werden, bei jedem Wort eine Kröte aus dem
Munde zu verlieren und eines üblen Todes zu ster-
ben^). In Pommerellen erzählt man dies Märchen so: Die
Frau schickt ihr Stiefkind mitten im Winter in den
Wald nach Erdbeeren, mit einem Papierkleid, Glas-
schuhen und einem Hut von Butter angetan. Sie zer-
stöfst sich die Glasschuhe, der Wind zerreifst ihr Kleid
und die Sonne zerschmilzt den Butterhut. So kommt sie
zu den 3 Zwergen, die sie mit einer Schaufel den Schnee
wegfeö-en heifsen. Darunter kommen die Erdbeeren
zum Vorschein. Die 3 Männchen wünschen ihr auf
einer Seite goldene, auf der andern Seite silberne
Haare, Gold soll aus ihrem Munde fallen und je-
desmal ein Diener es aufheben, endlich soll der König sie
heiraten. Der bösen Schwester schenken die Zwerge auf
der einen Seite des Kopfes Pferdehaar, auf der andern
Schweineborsten, Kröten sollen aus ihrem Munde
fallen und ein Bettler sie heiraten. In einer Harzer Va-
riante dieses Märchens kommt die Stieftochter zum Zwer-
genhaus hinter den sieben Bergen. Die Zwerge
gewähren ihr, dass sie goldene Haare haben soll und
schenken ihr einen Krug voll herrlichen Was-
sers, den sie mit nach Hause bringt. Später gelangt sie
1) KIIM. No. 13.
431
in den Wald, wo Gott Christus und der heilige Geist ihr
mitten im Schnee einen Korb voll schöner dicker
Erdbeeren pflücken. Sie wünschen ihr, dass sie von
Gestalt noch schöner werde und dass ihr bei jedem
Worte Goldklümpchen aus dem Munde fallen. Die
Stiefschwester kommt ebenfalls zu den Zwergen, die sie
mit einem Kopf voll Läuse begaben; die drei göttlichen
Personen schenken ihr keine Erdbeeren, sondern wünschen
ihr hässliches Ansehen und Hörner auf den Kopf und
machen, dass das Haus bei jedem ihrer Worte sich dreht').
Nach schwedischen Varianten aus Upland und Ostgoth-
land wird die Stieftochter mit einem Siebe zum Brunnen
geschickt, um Wasser zu holen. Der Brunnengeist wünscht
ihr, dass sie noch einmal so schön werden soll, als
sie schon ist, dass ihr bei jedem Wort ein Goldring
aus dem Munde fällt und dass unter ihren Tritten
rote Rosen erblühen. Die rechte Tochter wird mit ei-
nem heilen Eimer ebenfalls zum Brunnen geschickt und
trägt wegen ihrer Hartherzigkeit als Geschenk davon, dass
sie dreimal hässlicher wird, dass ihr eine Ratte aus dem
Munde fällt, wenn sie spricht, und dass Unkraut unter ih-
ren Füfsen wächst -). Im Pentamerone ^) erhält Marziella
von einer Alten am Brunnen die Gabe, dass ihr Rosen
undJasmin aus demMunde fallen, wenn sie lacht,
dass Perlen und Granaten niederregneu, wenn sie sich
kämmt, und Lilien und Veilchen unter ihren Füfsen auf-
spriefsen; der bösen Puccia dagegen wünscht dieselbe alte
Frau, dass ihr Schaum von den Lippen trieft, Läuse vom
Kopfe fallen, und dass Farnkraut und Wolfsmilch unter
ihren Tritten wachsen.
Sehr abgeschwächt ist das Märchen No. 77 bei Meier.
Ein armes Stiefkind sucht im Walde Erdbeeren; da sitzt
ein Engel und bettelt sie um etwas Brod an. Sie erweist
sich mildtätig und erhält von dem Engel eine Schachtel
1) Pröhle, Märchen für die Jugend 13, 5.
2) Schwed. Volkssagon übers, von Obcrleitnor S. 165 C; 363, 7.
3) Le dose pizzelle übers, von Liebrecht II. S. 84 (IV, 7J.
432 _
mit Goldstttckon und Edelsteinen. Die böse Stief-
schwester, welche sich nun auch auf den Weg macht, fin-
det in ihrer Schachtel schwarze Teufelchen. In Tirol er-
zählt man, dass ein Mädchen und ein Bübchen unter den
Erdbeeren ein zerlumptes Männchen finden, das sie auffor-
dert ihm die Läuse abzusuchen. Brüderchen weigert sich,
die Schwester ist willfährig. Das Männchen schenkt jedem
Kinde eine Schachtel. In des Mädchens Schachtel sind
lauter Engel, aus des Knaben fliegen boshafte Teufel her-
vor '). Eine im übrigen übereinstimmende Variante aus
Norddeutschland ^) enthält den Zug, dass die aus der
Schachtel fliegenden Teufel dem Knaben das Genick ab-
drehen, die Engel aber in der Schachtel des Mädchens
führen sie ins Paradies und zeigen ihr alle Herrlichkeit.
Wiederum erzählt eine Tiroler üeberlieferung, dass Bruder
und Schwester beim Errföeerewpflücken einer schönen
stolzen Frau begegnen, der wunderbares Licht die Gestalt
umfliefst, und eine Krone auf dem Haupte glänzt, strah-
lend wie die Sonne, wenn sie am hellblauen Himmel steht.
Es ist die Mutter Gottes. Das Mädchen steht ehrerbietig
auf, der Bruder isst trotzig weiter. Jenem schenkt die
holde Frau ein goldenes Kästchen, diesem ein schwar-
zes. Brüderchen findet in dem seinigen zwei schwarze
Würmer, die immer länger und länger werden,
den Knaben umwickeln und ihn in den dunkeln
Wald für immer entführen. Aus Schwesterchens
Kasten entschlüpfen zwei Engel, die das Kind in ihre
Mitte nehmen und damit in den hohen Himmel
entfliegen. Ganz entsprechend ist eine Variante aus
Darmstadt '*). Auch hier erscheint die Mutter Gottes den
Kindern in den Erdheeren. Aus Brüderchens Schachtel
steigt ein alter Grumbus (Knecht Ruprecht), der es Mores
lehrt; als das Mädchen die seinige öffnet, tanzen drei En-
1) Zingerle KHM. aus Süddeutschlaud S. 39 fgg
2) Kuhn, Nordd. Sagen No. 9. S. 335.
?l) Zingerle KHM. 1852 S. 1. No. 1.
4) Fimieuich II. S. 45.
433
gel mit blitzblauen Augen und weifsen Flügeln daraus her-
vor, die haben einen Kranz von Veilchen gefloch-
ten, ihm den auf den Kopf gesetzt und haben es dann
über die Regenbogenbrücke schnurgrade in den
Himmel geführt! ').
Statt des Waldes und Waldhauses die, wie wir wis-
sen s. oben S. 268 nur ein anderer Ausdruck für die Wolke
sind, oder statt der Scenerie am Brunnen spielt in anderen
Varianten dieselbe Bee;ebenheit gradezu im Kinderbrun-
1) An die eben mitgeteilten Varianten schliefst sich einerseits die fol-
gende Erzählung aus Gent. Zeitschr. f. D. Myth. I, 42. Wolf, D. Märchen
und Sagen S. 155. No. 33. Unsere I. Frau begegnet Jan und Mieken und
bittet dieselben um ein Butterbrod. Das Mädchen verweigert die Gabe , der
Knabe aber schenkt sein ganzes. Da giebt Maria Janken eine weifse Ku-
gel und Mieken eine schwarze, denen sie folgen sollen. Die erste führt zu
einer weifsen Pforte d. i. zum Himmel, die letztere zu einem schwär
zen Tor, d. i. zur Hölle. — Andererseits gehört hieher die an KHM. Kin-
derlegenden No. 5 sich anschliefsende Märchenfamilie. Ein frommes verirrtes
Kind kommt Abends zum heiligen Joseph in ein Waldhaus. Es koclit
ein Mus, das es mit ihm teilt, es schlägt aus, im einzigen Bett des Alten
zu schlafen und wählt ein Strohlager für sich. Am Morgen ist der heilige
Joseph verschwunden, hinter der Tür aber liegt ein grofser Sack voll
Gold, darauf steht geschrieben, er sei für das gute Kind bestimmt. Der
zweiten Schwester, die aucli zum h. Joseph gelangt, aber weniger mildtätig
ist, wird eine kleinere Gabe zu Teil, die dritte hartherzige aber findet eine
doppelte Nase, und Schlangen und Eidechsen umringen ihren
Weg, um sie totzustechen. Abgeschwächt ist KHM. No. 169 aus Als-
feld im Hannoverschen. Zwei Mädchen, die ins Waldhaus zu einem grauen
Männchen gelangen und hier hartherzig und unbescheiden gegen diesen und
seine Tiere, ein Hähnchen, ein Hühnchen und eine bunte Kuli sich beneh-
men, werden in den Keller gestürzt, die dritte Schwester füttert zuvor die
Tiere, versorgt dann den Alten und erlöst auf diese Weise die ganze Gesell-
schaft, welche ein verwünschter Prinz und seine Diener sind. — Weit besser
erzählt man im Anhaltischen, Firm. H, 227. Eine Stieftochter irrt, aus dem
Elternhause vertrieben, im Walde umher. Da trifft sie ein Hühnchen,
ein Hähnchen, ein Hündchen, ein Kätzchen und ein Mäuschen, de-
nen sie ihre schmale Wegkost teilt und Wasser zum Trinken durch ihre
Schürze seiht. Die Tiere führen sie in ein schmuckes Wald haus und wei-
sen ihr einen Schrank voll schöner Aepfel und Birnen, wovon sie sehr
bescheiden geniefst. Indem kommt ein Männclien mit kurzen Beinen und
langem Bart in die Tür, das sich Benelangman Benelangbart nennt.
Dem muss sie den Tisch decken, mit ihm essen und sich dann ins Bett le-
gen. Aufwachend findet sie sich in ihrer Mutter Bodenkammer, aus ihrem
Stroh sack aber quellen Goldstücke hervor. Nun macht sich die böse
Stiefschwester auf den Weg, die sich geizig und unverschämt erweist. Auch
sie erwacht am folgenden Tag in ihrer Mutter Bodenkammer braun und
blau geschlagen und aus dem Strohsack dringen lauter Kröten,
Schlangen und anderes Ungeziefer hervor.
28
434
nen der Holda. Ein Mädchen wird in den Brunnen
hinabgestofsen. Unter demselben gelangt sie zu einer blu-
migen Wiese, worauf sie nacheinander freundlich und
bescheiden einen Reiserzaun aufrichtet, eine Kuh melkt, ei-
nen Schafbock von der Last seiner Wolle befreit, einen
Apfelbaum abpflückt. Zuletzt kommt sie zu einem Troll-
weib, und nimmt bei demselben Dienste. Von Vögeln un-
terrichtet trägt sie hier in einem Siebe Lehm, mistet einen
Augiasstall aus und melkt sonst unnahbare böse Kühe, end-
lich wäscht sie schwarze Wolle rein '). Das Trollweib ist
zornig über das Gelingen der aufgetragenen Arbeit und
entlässt sie. Zum Lohn erteilt sie dem Mädchen die Er-
laubnis aus drei Schreinen einen zu wählen. Auf den Rat
der Vögel lässt jene den roten und grünen Schrank
stehen und wählt den blauen. Das Trollweib sendet ihr
eine glühende Eisenstange-) nach und verfolgt sie.
Vom Apfelbaum, dem Bock, der Kuh und dem Reiserzaun
geschützt, entkommt sie aus dem Brunnen, viel schöner
und stattlicher als sie gewesen war. Im blauen
Schrank findet sie Gold, Silber und die kostbar-
sten Sachen. Nun begiebt sich die Stiefschwester auch
in den Brunnen, hört nicht auf den Rat der Vögel, voll-
bringt keine der Aufgaben, wählt den roten Schrein. Aus
diesem aber wimmelt Gewürm und anderes Unge-
ziefer hervor und aus ihrem Munde fallen Schlan-
gen und Kröten, wenn sie nur die Lippen auftut ^).
Bei den Romanen in der Bukowina wird erzählt, dass die
gute Tochter, nachdem sie zuvor eine schmutzige Hün-
1) Die schwarze "Wolle, welche reingewaschen wird, ist die schwarze
Wolke, welche abregnen, wieder weifs werden soll. Vergl. : ,,Hebt die Wol-
ken hoch empor und breitet sie dünn weifs und wollicht über den alles
umwölbenden Himmel." Thomson, Frühling S. 7. „Schwerfällig rollten die
AVolken ihre wollichte Welt." Thomson, Winter S. 106. Von der Wol-
kengöttin Athene heifst es bei Oppian Hai. II, 22 sq.: (fÜQfrt t" dayijaai
jutilvif ivat'O-i'i y.aOTio) na'/.kd^ inix&oviovs. idiädlazo. S. Lauer, System
der griech. Myth. S. 372.'
2) Kaum brauche ich daran zu erinnern, dass die glühende Eisenstange
der von der Wolkenriesin geschwungene Blitz ist, s. o. S. 179 fgg. 199 fgg.
3) Asbjömsen und Moe übersetzt von Bresemann I, S. 100. No. 15.
435
din von Ungeziefer gereinigt, einen Baum von Raupen be-
freit, einen Brunnen gekehrt, einen zerfallenen Backofen
wieder aufgebaut, beim heiligen Sonntag Dienste nimmt
und hier einen Monat lang in einem grofsen Silber-
becken alle Vögel der Welt badet. Zur Belohnung
erhält sie einen Koffer, in dem sich helle Diamanten,
Gold und Silbersachen finden. Die schlimme Toch-
ter nimmt denselben Weg, macht alles schlecht und trägt
ebenfalls einen Koffer heim, aus welchem aber Schlan-
gen und Eidechsen hervorkriechen').
Der Pentamerone des Basile erzählt, dass Cecella, eine
übelbehandelte Stieftochter, in eine tiefe Grube hinab-
steigt und dort erst einen wilden Mann, dann drei Feen
antrifft, die Haare von gesponnenem Golde haben. Diese
führen das Mädchen in ein prachtvolles Haus und lassen
sich von ihm kämmen. Cecella ist sehr höflich und be-
scheiden. Aufgefordert aus der kostbaren Kleiderkammer
ein Stück zu wählen, erbittet sie sich einen zerlumpten
Frauenrock und gefragt, durch welche Tür sie aus dem
Hause gehen wolle, sagt sie „für mich ziemt es sich durch
den Stall hinauszutreten." Sie erhält aber ein goldgestick-
tes Gewand und wird durch ein aus massivem Gold er-
bautes Tor, das mit Karfunkeln besetzt ist, hinaus-
geführt. Von der Decke des Tors fallt ihr ein o-oldener Stern
auf die Stirne. Nun steigt auch die hässliche Grannizia
in den Abgrund, ist ebenso ungezogen und unverschämt,
wie die Stiefschwester sittig. Sie wird über Misthaufen
durch die Stalltür hinausgelassen, von der ihr eine Esels-
hode auf den Kopf fällt, die flugs daran festklebt '^). Eine
thüringische Erzählung giebt an, dass die schöne Schwester
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 42 fgg.
2) Le tre fate. S. Der Pentamerone ed Liebrecht I, 396 fgg. We-
sentlich hiermit übereinstimmend ist das nur bruchstückweise erhaltene ca-
talanische Märchen „las dos niüas" s. Wolf, Probevi catalanisclier Volks-
poesie S. 51. Dem guten Kinde, das sich beim Hüten der ITerde gegen ein
altes Weib artig bezeigt, fliegt ein goldenes Steinchen auf die Stirne, dem
bösen Mädchen wächst eine Eselspfotc an. Auch in Deutschland ist diese
Form des Märchens bekannt. Sie steht bei Scbambach und Müller, Nieder-
sächs. Sagen S. 277. No. 11, B.
28*
436
von der hässlichen m den Brunnen hinabgestofsen auf eine
grüne Wiese gelangt, wo sie eine rote Kuh melkt. Ein
weifses Männchen führt sie zu einer prächtigen Stadt, Auf
die Frage desselben, ob sie durch das Pechtor oder das
Goldtor eingehen wolle, wählt sie das erstere, wird aber
durch letzteres geführt wo alles von Gold trieft und
glänzt. Sie fühlt sich ganz entzückt, Angesicht und
Kleider werden ganz vergoldet. Man führt sie nun
in einen herrlichen Saal. Eine Jungfrau fragt sie, wo sie
wohnen will, im weifsen oder im schwarzen Haus, sie
spricht wieder „im schwarzen," wird aber ins weifse ge-
führt. Eine andere fragt, ob sie lieber mit schönen Spin-
nerinnen Goldflachs spinnen und mit ihnen essen
wolle, oder mit Katzen und Schlangen. Das Mädchen
erschrickt, wird aber zu den Goldspinnerinnen gebracht,
isst mit ihnen Schweinebraten und trinkt Bier und Met.
Nachdem es ein herrliches Leben eine Zeitlang da geführt,
wird es durch ein Goldtor von einem Männchen wieder
zurückgebracht und langt mit Goldkränzen behängen wie-
der zu Hause an. Der gelbe Hahn kräht ihr entgegen
„kikeriki" und der ganze Hühnerhof ruft laut „da ist
die goldne Marie," Die hässliche Schwester lässt sich
nun auch in den Brunnen stofsen. Es folgt von allem das
Gegenteil, ein schwarzes Männchen führt sie fort, sie
kommt durchs Pechtor in eine Nebelwoknung zu Schlangen
und Kröten, mit denen sie sich nicht satt essen darf und
Tag und Nacht keine Ruhe findet '). Ganz ähnheh erzählt
man in Bayern. Als die gute Schwester durch das gol-
dene Tor nach Hause kommt ruft der Haushahn:
Kikeriki
Unsere goldne Jungfrau ist wieder hie.
Die böse Schwester wird durch ein schwarzes Tor hin-
ausgelassen. Davon fallt lauter Schwefel und Pech auf
1) Reynitsch, Truhten und Truhtensteine. Gotha 1802 S. 128 — 131.
Vergl. KHM. IIP, S. 42. Panzer, Beitrag I, 190.
437
sie herab, der zeitlebens an ihr hängen bleibt. Der Haus-
hahn kräht ihr entgegen:
Kikeriki,
Unsere pechschwarze Grete ist wieder hie').
Warum der Haushahn diese Worte ausruft, wird aus
einer Variante der Schwalmgegend klar. Die in den Brun-
nen gefallene schöne Schwester^ die auf der Wiese unter
demselben einem Birnbaum, einem Muhkälbchen und einem
Backofen wolgetan, kommt zu einer Alten im Pfannkuchen-
häuschen. Sie laust dieselbe bis sie einschläft. Dann geht
sie in eine Kammer, wo alles voll von goldenen
Sachen ist, zieht sich ein goldenes Kleid an und
eilt davon, vom Birnbaum, Backofen und Muhkälbchen
geschützt. So kommt sie zum Brunnen herauf und der
Tag bricht an, da ruft der Hahn „unser goldenes Mädchen
kommt." Der garstigen Schwester wird von der Alten das
goldene Kleid besudelt und der Hahn kräht ihr entgegen
unser dreckiges Mädchen kommt ^). Wichtig ist noch
die siebenbirgische Variante. Das gute Mädchen tritt,
nachdem es einem Apfelbaum, einem Hunde, einem Back-
ofen gefäUig gewesen, in den Dienst einer Hexe, die ihm
die Schlüssel des Hauses übergiebt, aber das siebente Zim-
mer verbietet. Als die Jungfrau dennoch dort eintritt, ist
dort alles eitel Gold, und sie selbst wird auf ein-
mal ganz goldig. Das Mädchen entflieht, vor ihr ist
lichter Tag und hinter ihr dunkle Nacht. Als sie
zu Hause ankommt singt die Hausschwalbe vom Dach:
Litum, titum tärchen,
et sätzt e güldig frächen
eangderm fenster en lacht.
Als die böse Stiefschwester denselben Weg nimmt und
ebenfalls goldig geworden entflieht, ist vor ihr dunkle
Nacht, hinter ihr lichter Tag. Die Hexe kratzt ihi
1) Panzer, Beitrag I, 125 fgg.
2) KIIM. IIP, 40.
438
alles Gold wieder ab und macht ihr blutige Furchen am
ganzen Leib. Der Haushahn singt nun:
Litum, titum tarcheu,
et sätzt e bleadig frächen
eangderm fenster en schroat *).
In den verschiedenen hier angeführten Varianten un-
seres Märchens wird Holdas Seeleureich entweder durch
die Wiese unter dem Brunnen, einen Anger neben
dem Brunnen, einen tiefen Abgrund oder eine Wald-
lichtung dargestellt. Dass im Totensitz der Göttin Zwerge,
wilde Männchen und Weibchen, oder drei Feen, drei Gold-
spinnerinneu u. s. w. auftreten, erklärt sich durch Holdas
Verbindung mit den Eiben, d. i. den Seelen die bei ihr
weilen; dass die drei spinnenden Schicksalsgöttinnen eben-
falls bei Holda im Brunnen ihren Aufenthalt haben, ver-
mögen wir weiterhin überzeuofend nachzuweisen. Der üm-
stand, dass Holda selbst einmal als gütiges Wesen, ein an-
dermal als Hexe, Trollweib u. s. w. auftritt, findet seine
Erklärung darin, dass sie bald in ihrer sommerlichen güti-
gen Natur, bald als im Winter vom Dämon gefesselte
Wasserfrau, als Gemahhn des Dämons, als Däsapatni ge-
dacht ist, vergl. oben S. 177. 178. Dies vorausgesetzt er-
klärt sich unser Märchen ganz einfach. In Holdas Toten-
sitz gelangen zwei Seelen, eine gute und eine böse,
welche alsbald in den ihrem ethischen Charakter entspre-
chenden Naturerscheinungen zu wirken beginnen. Die gute
gelangt in das himmlische Lichtreich hinter dem Wol-
kengewässer, die verbotene Kammer^) s. oben S. 392
fü^or. und wird daselbst allo-olden, um fortan im Element
des Sonnenscheins als Sonnenstrahl durch das Goldtor,
aus welchem nach unsern Liedern oben S. 389 fgg-^) die
Sonne herausgelassen wird, zu neuem Wirken in die Natur
zu treten. Diese Vorstellung besagt denn auch die An-
1) Haltrich, Siebenbirg. Märclieu S. 100. Xo. 34.
2) Dass die verbotene Kammer der Aufenthalt der Gestirne ist, geht
aus dem Märchen bei Asbjönisen und Moe No. 8 hervor, wo aus der ver-
botenen Tür Sonne, Mond und Sterne entschlüpfen.
3) Vergl. oben S. 266.
439
gäbe, dass der goldenen Jungfrau Goldstücke, Gold-
klürapcheu, Goldringe, Perlen u, s. w. aus dem Munde
fallen und dass Rosen unter ihren Püfsen aufspriefsen.
Wie wir gesehen haben, geschieht ihr Heraustritt aus dem
Himmelstor in der Frühstunde, wann die ersten Morgen-
strahlen erscheinen. Oben S. 378 wiesen wir an der ags.
Formel „J^a com engla sweg dyne on dägred" da geschah
von den Engeln Geräusch, Tönen bei Tagesanbruch'),
eine Erinnerung daran auf, dass die Elbe den Sonnenauf-
gang veranlassen, dass das Licht der Gestirne der Wieder-
schein des höheren und ursprünglichen Lichts des Liosälfar
ist. Nun sagt noch das landläufige Sprichwort „Morgen-
stunde hat Gold im Munde." Im siebenbirgischeu
Märchen s. oben S. 437 heifst es ausdrücklich, dass die
goldene Jungfrau lacht. So lacht die Morgenröte, Myth.-
708. 1055 und wie die griech. Eos mit Rosenfingern
((jodoSdxTvXog) in die Wolken greift, lacht unsere Eibin
Rosen, oder, was dasselbe besagen will, diese Blumen
spriefsen unter ihren Tritten auf ^). Sprechen wir die auf-
gefundenen Anschauungen mit nordischen Namen aus, so
gelangt die Seele der guten Schwester nach Gimill, wo
sie mit den Lichtalfen d. i. den Geistern der Gerechten
vereint den Himmelsgestirnen Licht erteilt.
Genau entsprechend entrollt uns nun „die von Schlan-
gen und Kröten erfüllte Nebelwohnung," der
dunkle Wald mit allem Ungeziefer, wohin die böse
Schwester durch das Pechtor oder schwarze Tor ver-
wiesen wird, das Bild von Naströnd, s. oben S. 322. 325.
Sind die Goldklumpen und Rosen, welche der goldenen
Jungfrau von den Lippen spriefsen, Sonnenstrahlen
und im Morgenrot prangende Wölkchen, so sind die
Kröten und Schlangen, welche dem „dreckigen
1) Den Aufgang der Sonne dachte man sich mit Geriiuscli verbunden.
Myth.2 703. 707.
2) Schon J. Grimm spricht INIyth.^ 1054 die Vermutung aus, dass der
in manchen Spuren erhaltene Mythus von Männern und Frauen, denen beim
Lachen Rosen aus dem Munde fallen, sieh auf altdeutsche Lichtwesen bezo-
gen haben müsse. Vergl. oben S. liO, Anm. 4.
440
Mädchen aus dem Munde fallen," Hagel und Regen
(vergl. über die Auffassung des Regens als Schlange oben
S. 82), sie selbst erscheint deshalb auch mit Schmutz oder
Pech überschüttet, sobald sie das Himmelstor verlässt.
Diese Wahrnehmung bestätigt unsere oben S. 325 ausge-
sprochene Ansicht, dass Näströnd ursprünglich gleich Gi-
mill ein eoelestischer Seelenaufeuthalt gewesen sei. Der
Seele des Ungerechten ist es bestimmt, in den Schrecken
der Natur ihre Wirksamkeit zu entfalten. Vei'gl. oben
S. 167. 190. 207. Mithin ergiebt es sich, dass mehrere
Varianten unseres Märchens mit vollständigem Recht an
die Stelle des Goldtors den Himmel, an die Stelle des
Pechtors die Hölle setzen. Es wird hier ausdrücklich
anerkannt, dass die Erzählung den Eintritt eines guten und
eines bösen Geistes in das Seelenreich zum Inhalt hat, aber
erst durch spätere Verderbnis (um nämlich Lohn und Strafe
in der Ewigkeit zu motivieren) ist der vorausgehende Gang
zu den Erdbeeren, bei denen Frau Holda (Maria)
den Kindern erscheint, in das dem Tode vorherge-
hende Erdenleben verlegt. Wie uns KHM. 13 zeigt, wach-
sen die Erdbeeren in Holdas (himmlischem) Rei-
che selbst, dort wo den Seelen Lohn und Strafe erteilt
wird, und deshalb erscheint die leuchtende Frau auch
„in den Beeren." Die Grundgestalt der in Rede stehen-
den Recensionen unseres Märchens war folgende. Zwei
Seelen heben sich auf den Weg zum himmlischen Wolken-
brunnen und suchen den lichten Garten hinter demsel-
ben, wo die wundersamen Früchte wachsen. Es ist
Winter; die Wolke, die das Lichtland der Seligen, den
Himmels garten verdeckt, ist eingefroren. Aber die ge-
rechte Seele dringt durch, erlangt den Genuss der himm-
lischen Frucht.
Den Beweis dafür, dass die unter dem Schnee
blühenden Erdbeeren Früchte in dem vom Winter-
dämon eingeschlossenen himmlischen Seelenreich sind, bie-
tet uns eine Sage bei Saxo. König Haddiug sitzt zur
Winterzeit beim Mahle. Da taucht neben dem Herde ein
441
Weib vom Kopf bis auf die Hüften aus dem Boden her-
vor, welches grünende Kräuter in der Hand trägt. Der
König, welcher zu wissen wünscht, woher sie in dieser
Jahreszeit die grünen Pflanzen genommen, folgt ihr nun
zu jenem Orte, wohin er selbst nach seinem Tode
cfelanfiren soll. Zunächst wandern sie in dichtem Nebel
auf einem Fufssteige, der durch stätiges Betreten schon
ganz abgenutzt ist, an vornehmen Männern in Purpurklei-
dern vorbei und gelangen dann zu sonnigen Wiesen^ die
von grünenden Kräutern erfüllt sind. Dahinter schiefst ein
Strom reifsend dahin, der in seinem Lauf Wurfgeschosse
verschiedener Art mit sich fortführt. Ihn überwölbt eine
Brücke, hinter welcher 2 Heere mit einander kämpfen. Es
sind gestorbene Helden, die täglich den Streit des Lebens
erneuen. Endlich gelangen die Wanderer zu einer Mauer,
welche das Weib nicht überspringen kann. Sie reifst ei-
nem Hahne den Kopf ab und wirft ihn hinüber, sogleich
kräht es so laut, dass man einsieht, das Tier sei wieder
lebendig geworden ').
1) Saxo, Gram. lib. I. ed. P, E. Müller I, p. 51. Apud quam diver-
sante Hadingo mirum dictu prodigium incidit. Siquidem coenante eo, foemina
cicutarum gerula propter foculum humo caput extulisse conspecta, por-
rc'ctoque sinu percunctari visa, qua mundi parte tarn recentia gramina brumali
tein2>ore fuissent exorta. Cujus cognoscendi cupidum regem, proprio obvolu-
tum amiculo, refuga secum sub terras abduxit: credo diis infernalibus ita
destinantibus, ut in ea loca vivus adduceretur, quae morienti pe-
tenda fuerant. Primum igitur vapidae cujusdam caliginis nubilum pene-
trantes perque callem diutuniis adesum meatibus incedentes, quosdam prae-
textatos, amictosque ostro proceres conspicantur: quibus praetcritis loca de-
mum aprica subeunt, quae delata a foemina gramina protule-
runt. Progressique praecipitis lapsus ac liventis aquae fiuvium diversi
gcneris tel a rapido volum ine d etorquentem, eundemque ponte meabilem
factum offendunt. Quo pertransito binas acies mutuis viribus concur-
rere contemplantur, quarum conditionem a foemina percunctantc Hadingo
,.hi sunt," inquit, „qui ferro in necem acti, cladis suae speciem
continuo protestantur exemplo, praesentique spectaculo prae-
teritae vitac faciniis acmulantur." Prodeuntibus murus aditu transcen-
suque difficilis obsistebat, quem foemina nequicquam transilire conata, cum ne
corrugati corporis exilitate proliceret, galli caput, quem secum forte defe-
rebat, abrupt um ultra mocnium septa jactavit, statimquc redi vi-
vus ales resunipti fidem spiraculi claro testabatur oceentu. Mit Saxos
Bericht vergleiche man die heutige jütische Sage (Grundtvig, Gamle Danske
Minder i fullvemunde I, p. 6 fgg.): Zwei Freunde verabreden jede Weihnacht
zusammenzukommen , ob lebend oder tot. Der eine stirbt. Als die Weih-
442
Obwol Saxo den Schauplatz seiner Erzählung in die
Unterwelt verlegt, wird auf den ersten Anblick klar, dass
hier ursprünglich von dem himmlischen Seelenreich die
Rede war. Denn die ganze Scenerie giebt sich als eine
mit der eddischen Anschauung übereinstimmende Schilde-
rung von Oöins himmlischem Totensitz VallhöU zu er-
kennen, wobei die Volkssage nur einige ältere, über den
Eddenglauben hinaufreichende Züge bewahrt hat. Die un-
übersteigliche Mauer bezeichnet die gegen die Angriffe der
Riesen mit unangreifbarer Brustwehr umschlossene Burg
Asgarör '). Diese Mauer heifst Valgrind ( Schlachttodgit-
ter). Davor treiben in hoher Luft die Einheriar ihre Kampf-
spiele -). Der mit Geschossen aller Art erfüllte Strom ist
Thund (Panzer) oder Valglaumir (Kampftodtöner). Diese
ganze Scene schildert uns Grimnismal str. 21 — 23:
])ytr ]?und Es tönt Thund
unir |?iöövitnis Vergnügt ist Thiödvitnirs
fiskr flöSi i; Fisch in der Flut;
ärstraumr j'ikkir Der Stromfall dünkt
ofmikill Zu schrecklich
valglaumi at vaSa. Um durch Valglaumir zu waten ^).
nachtsnacht kommt, besucht er wirklich in seliger Lichtgestalt den überleben-
den Freund und fordert diesen dann auf, ihn zu begleiten. Das Grab öffnet
sich, sie steigen durch dasselbe in die Tiefe und gelangen zu zwei Wegen,
einem schmalen aber grünen und einem breiten aber sandigen, von de-
nen der erstere zum Himmel, der andere zur Hölle führt. (Von diesen We-
gen ist der zweite christl. Zusatz). Sie verfolgen den grünen Weg und ge-
langen bald zu einem grofseu Wasser, über das viele weifse Vögel fliegen,
die Seelen der ungetauften Kinder, wie der Tote erklärt. Weiterhin sehen
die Freunde zwei Kühe, welche sehr mager sind, obgleich sie im schönsten
Grase stehen. Das sind ein paar Eheleute , die auf Erden hn Wohlstande
aber geizig lebten. Dagegen begegnen ihnen zwei andere fette und flinke
Kühe auf dürrem und kümmerlichem Grase. Das sind ein paar Eheleute, die
im Leben sehr arm waren, aber in grofser Liebe und Eintracht mit einander
umgingen. Bald darauf kommen die zwei zur Pforte des Himmelreichs. Da
soll der Lebende eine Weile auf seinen Freund warten, der inzwischen hin-
eingeht. Als der Tote wiederkehrt glaubt der andere zwei Stunden gewar-
tet zu haben, es sind aber zweihundert Jahre gewesen. Vergl. Müllenhofl^,
Sagen S. 172 „De Kulengraver. '•
1) Gylfag. 42. Hinter dieser Brustwehr fängt sich Hrüugnir.
2) Gylfag. 41.
3) Thiöövituir Volkswolf ist ObinQ; sein Fisch der Speer, der in der
443
Valgriud heitir Valgrind heifst das Gitter
er stendr velli ä, Das auf dem Walle steht,
heilög fyr helgum durum Heilig vor heil'gen Türen;
förn er su grind, Alt ist das Gitter,
en ]>at fair vitu. Doch Wenige wissen das,
hve hon er i las um lo- Wie es ins Schloss ge-
kin, vvorfen ist,
fimm hundraö dura Fünfhundert Türen
ok um fjörum togum Und viermal zehn
sva hygg ek at Vallhöllu
Vera: Wähn ich in Vallhöll:
ätta huudru'S einherja Achthundert Einher] ar
ganga senn or eiuum durum Gehn aus je einer,
|);i er ]?eir fara viö vitni Wenn es dem Wolf zu weh-
at vega. ren gilt.
Die Brücke, welche Saxo erwähnt, weist Helgaqu. Hun-
düigsbana II, 47 auf. Der tote Helgi sagt zu Sigrün als
die Frühstunde ihn mahnt wieder nach Vallhöll zurück-
zukehren: Zeit ist dass ich reite die roten Wege, das Koss
lasse treten die Luftsteige, westlich soll ich sein vor
AVindhelms (d. i. des Himmels) Brücke, ehe Sajgofnir
d;is Siegervolk (die Einheriar) weckt. Auch ein grünes
Gefild, löavöllr nennt die poetische Edda neben Asgarö
Flut spielt. Die Pfeile oder Speere, die der Fluss mit sich fortführt, schlic-
fseu sich eng an die Grimnism. 9 gegebene Schilderung vom inneren Vall-
höll. Der Fufsboden ist hier mit Spiefsen ausgelegt, das Dach mit goldenen
Schildern gedeckt, auf den Bänken liegen Panzer. Vergl. nocli Skäldskaparni.
c. 49 SnE. I, 420: Lagväpu eru vel kennd til orma eöa fiska. Der Vö-
lu:'pä -10 erwähnte Fluss SliÖr in der Welt der ungerechten Seelen:
Ä fellr austan Ein Strom fliefst ostwärts
um eitrdala Durch Eitertäler
saurum ok sveröum. Mit Schlamm und Schwertern
SliSr heitir su Der Sli'ör heifst
ist nur das einfache Seitenstück zu Tliund in Asgarö- Dieser hiefs viel-
leicht auch SliÖr, wenigstens zählt Grimnismäl 28 unter den Strömen bei
Vallhöll einen Fluss dieses Namens auf, während hier Thund nicht genannt
ist. Auf die Einzelheiten in Saxos Schilderung des Stromes hat mau kein
Gewicht zu legen , da er fast wörtlich den Marcianus Capella I, p. 6 aus-
schreibt: Primus diffusioris ac prollxi ambitus liventis aquac volumin c
nebuloso atque algidis adraodum pigrisque cursibus hacsitabat . . . Tertius
rubeo igue rutilantes festinataque rapidilate praecipitcs fragososque cursus an-
heia sulphureus celeritate detorquebat.
444
gelegen. Nicht aber in eddischer Mythologie bezeugt und
•wol älter als diese ist der Zug, dass der über die Mauer
geworfene tote Hahn wieder lebendig wird. Was vom
Tiere geglaubt wurde, galt doch wol auch vom Menschen.
Wir haben hier meiner Ansicht nach ein weiteres wenn-
gleich nicht entscheidendes Zeugnis dafür, dass im himm-
lischen Totenreich nach alt germanischem Glauben die Wie-
derbelebung, d. h. zunächst Verjüngung der Seele behufs
der Rückkehr in ein abermaliges menschliches Dasein s. o.
S. 269 fgg. erfolgte. Der zweite Punkt, in welchem die Volks-
sage bei Saxo einen älteren Zug als die Eddenmythologie
bewahrt, ist der Glaube, dass im himmlischen Seelen-
reich während des Winters Pflanzen grünen und
blühen.
Dass die Seelen auf einer Wiese sich aufhalten, wird
auch sonst in unsern Sagen berichtet. Auf dem Weber-
bache bei Trier wohnten zwei Schwestern, welche viel Al-
mosen einnahmen. Die eine starb und nach einiger Zeit
sah die noch lebende die verstorbene Schwester auf ei-
ner Wiese Blumen pflücken. Als sie dieselbe nun
fragte, warum sie da gehe, erwiederte jene: Ich muss so
lange Blumen abbrechen, bis alle Almosen verbetet sind,
welche ich erhalten. Die Blumen aber sind glühend heifs').
Weitere Zeugnisse hat J. Grimm, Myth.'^ 781. 782 beige-
bracht -). Schon Wilhelm Müller machte den Versuch,
mehrere der besprochenen Vorstellungen auf eine Grund-
anschauung zurückzuführen''): „Bemerkenswert — sagt er
von den Vorstellungen über Seelenaufenthalte redend — ist
es, dass man sich auf dem Grunde des Wassers schöne
Gärten denkt. Noch verbreiteter ist die Sage, dass unter
1) Zeitschr. f. D. Mytli. I, S. 192, 10.
2j Dieselben haben jedoch grofsenteLls nur seciindären Wert und lassen
sich ebensowol, ja mit noch gröfserer Wahrscheinlichkeit auf das biblische
Paradies, als auf einen heidnischen Seelenaufenthalt zuückführen. Zu tadeln
ist es daher, -wenn sowol W. Müller als Hocker, Die Stammsagen der Ho-
henzoUeru und Weifen S. 3i und Andere dieselben als unmittelbare Zeug-
nisse gebrauchen.
3) Altdeutsche Religion S. 399.
445
dem Wasser grüne Wiesen befindlich sind, auf welchen die
Seelen sich aufhalten und diese werden auch für sich als
die Wohnorte der Abgeschiedenen dargestellt. In einem
mittelhochdeutschen Gedicht heifst es , dass dem Selbst-
mörder diese Wiese versperrt ist ') , wonach sie also als
ein abgesonderter Teil der Unterwelt erscheint. Diese An-
sicht bestätigt Saxo, welcher gleichfalls eine grüne Wiese
als einen Teil der Unterwelt kennt, und das scheint die
ursprüngliche Vorstellung zu sein, wie ja auch nach Ho-
mer die Asphodeloswiese neben der eigentlichen Unterwelt
liegt. Keltische Vorstellungen berühren sich hier wieder
mit den deutschen, wenigstens wird auch im Wigalois eine
unzugängliche Wiese erwähnt, auf welcher ein gequälter
Geist haust. Wenn nun unser Volk Wiesen, welche au
feuchten und sumpfigen Orten liegen, gern Totenwiesen
nennt und von manchen derselben erzählt, dass Geister auf
denselben spuken, so zeigt das wieder wie geneigt man war
für den altheidnischen Glauben allenthalben locale An-
knüpfungen zu suchen." Bei Müllers Ansicht, welche die
Seelenwiese in ein unterweltliches Reich verlegt,
bleibt es unerklärlich, weshalb die Sage dieselbe bald im
Berge, bald unter dem Wasser liegen lässt; während
jede Schwierigkeit sich hebt, sobald man in dem Berg
wie dem Brunnen, dem Meer oder dem Fluss die das
himmlische Lichtreich verdeckende Wolkenschicht oder das
himmlische Gewässer erkennt. Zu demselben Ergebnis führte
uns die genauere Untersuchung mehrerer einzelner Ueber-
lieferungen in Uebereinstimmung mit einigen unmittelbnren
Zeugnissen.
Zur weiteren Bestätigung gereicht es, dass das Innere
des Berges, in welchen Helden entrückt sind — der Wolke
also s. oben S. 2G5 — ebenfalls von blühenden Gärten und
Gewächsen erfüllt ist. Kaiser Friedrich der Rothbart sitzt
im Kiffiiäuser. Unten im Berg ist's herrlich und alles
strahlt von Gold und Edelgestein, und ob's auch eine un-
1) Mytb.2 782.
446
terirdische Hole ist, so ist's doch hell darin, wie am
sonnigteu Tage; die prächtigsten Bäume und
Sträucher stehen da und durch dies Paradies fliefst ein
Bach, wenn man aus dem eine Hand voll Schlamm nimmt,
so wird er sogleich Gold '). Nach anderer Sage wohnt
Kaiser Friedrich in emer grundlosen Berghöle bei
Kaiserslautern. Ein Mann, der sich einmal dort hinabliefs,
kam auf einen weiten Wiesen plan, da safs der Kaiser
von vielen Herren umgeben auf einem güldenen Stuhl '^).
Auch im Unterberg oder Wunderberg bei Salzburg, worin
Kaiser Karl verzaubert sitzt, befinden sich herrliche Gär-
ten und Wiesen '^). In einem Berg bei Lauenburg zeigte
sich eine tiefe Kluft. Man liefs zwei Missetäter hinab,
die kamen im Berge zu einem schönen Garten, darin
stand ein Baum mit lieblich weifser Blüte. Ein
Kind führte sie über einen weiten Wiesen plan zu einem
Schloss, wo mancherlei Seitenspiel erklang und ein Kö-
nig auf silbernem Stuhle safs*). Eine weifse Jungfrau
führt einen Burschen in den Thurnberg bei Durlach. Da
sitzen viele Ritter und Frauen um eine reichbedeckte Ta-
fel ohne zu essen und zu trinken. Dabei ist ein schöner
Garten, der mit den mannigfaltigsten Blumen und
Baum fruchten prangt. Sieben Tage, die der Bursche
daselbst zugebracht zu haben vermeint, sind sieben Jahre^).
Noch muss ich zweier Sagen gedenken, die uns sehr le-
bendig das Totenreich mit einem fruchtbaren Gar-
ten ausgestattet zeigen. In einen Berg bei Wertheim
ist durch Verwünschung ein Schloss versunken. Ein
Schäfer sinkt durch einen Schacht in die Tiefe dieses Ber-
ges und gelangt zuerst zu einer hellen leeren Stube. Von
hier führt ihn eine alte Frau in mehrere prächtige Ge-
mächer voll von Totenköpfen und Totengerippen,
1) Kuhn, Nordd. Sagen S. 217. No. 247, 1.
2) Georg Draud, Fürstliche Tischreden I. Grimm, Deutsche Sagen I,
S82, 295.
3) Grimm, D. Sagen I, S. 32. 33. No. 27. 28.
4) Grimm a. a. 0. I, 380, 291.
5) Baader, Badische Sagen S. 199, 215.
■447
endlich in einen schönen Garten, worin sie ihn allein lässt.
Nach 7 Tagen findet er sich aus dem Berge heraus, da ist
er aber 7 Jahre darin gewesen '). Ein gottloser Pfarrer
fallt durch ein Loch in der Erde zur Hölle hinab und
gelangt auf einen grünen Platz, der vor der Hölle liegt.
Da jagt ein stummer Jäger immerfort nach ei-
nem Stück Wild, ein Mädchen steht splitterfasernackt
am Brunnen und wäscht schweigend in einem fort, stumme
Musikanten und stumme Tänzer sind in ewigem Spiel und
Tanz begriffen. Alle zur Strafe, weil sie im irdischen Le-
ben diese Verrichtungen am Sonntag getrieben haben ^).
Auch GuSmunds Seelensitz Odäinsakr Unsterblichkeits-
wiese im Lande Glaesisvellr Glanz fei der s. oben S. 335
weist herrliche Früchte auf: Adhuc Guthmundus col-
laudatis sui horti deliciis eo regem percipiendo-
rum fructuum gratia perducere laborabat, blandimentis
nisus, illecebrisque gulae, cautelae coustantiam elidere cu-
piens. Wer von den Früchten des Gartens genoss, verfiel
den Toten 3).
Noch weitere Beweise für unsere Ansicht bietet der
wunderliche Garten mit Goldauen und silbernen Bäu-
men, der sich auf dem Glasberge befindet, so wie wir,
da die Zwerge Seeleu sind, auch nicht anstehen können,
die in oder bei den Bergen der Zwerge liegenden Gär-
ten als Zeugnisse für dieselbe Vorstellung in Anspruch zu
nehmen, eine Ansicht, bei der wir uns der Beistimmung
des Meisters W. Grimm zu erfreuen haben. Nach Bör-
ner *) leben die Heimchen in einer weiten B e r g h ö 1 e ,
die von einem Karfunkel tageshell erleuchtet
eine grofse Wiese in sich birgt, auf welcher Bäume
von Silber mit Blüten von Edelsteinen erglänzen, Di-
steln und Gräser aus Krystallen gebildet wuchern. Eine
1) Baader a. a. O. S. 405. Ueber mehrere weitere Keiiuzcichen davon,
dass der Schäfer sich hier iu dem Totenreich befindet s. Wilh. Müller, Nie-
ders. Sagen S. 399.
2) Prölile, Kinder- und Volksmärchen No. 25. S. 78 fgg.
3J Saxo Gram. VIII. ed. Klotz S. 249. Vergl. oben S. 309. 310.
4J Sagen des Orlagaus S. 53.
448
in diesen Zwergenberg verlockte Jungfrau musste daselbst
goldene Schafe hüten ^).
E. M. Arndt ^) hat in seiner Jugend von dem alten Hin-
rich Vierk gehört, dass in den neun Bergen bei Rambin
auf Rügen die Zwerge unter der Erde wohnen. Ihr Wohn-
sitz ist das Innere eines grofsen Berges, der durchsich-
tig von Anfang bis Ende ist, und eigentlich rings
mit Glas bewachsen. Innerhalb desselben wohnt je-
der Zwerg wieder in einem gläsernen Häuschen.
Erleuchtet wird dieser Ort durch einen an der Decke hän-
genden grofsen Krystall oder Diamant. In dem
Bero-e sind die schönsten Fluren undFelder, auf
denen Reben mit auserlesenen Früchten und
wunderliebliche Blumen prangen, aber kein Korn
wächst. Auf den Bäumen wiegen sich schim-
mernde lieblich singende Vögel. In diesen Berg
gelangt ein Knabe, der sich einer Zwergmütze mit silber-
nen Glöckchen bemächtigt ^). Die weitere Erzählung bei
Börner wie bei Arndt ist nicht ganz ohne apocryphe und
1) Diese Schafe sind nicht verschieden von dem goldenen Widder, s.
oben S. 63. 176 fgg., es sind Wolken. Wie Thunar mit den Böcken,
Freyja mit Katzen s. o. S. 81. 197. 271. 288, fährt Maria nach einer Schwei-
zersage sammt dem Christkind über das Solothumer Juragebirge in einem
Wagen, der von einem Lamme gezogen wird. Auf dem Portal der klei-
nen Klosterkirche von Schönthal ist diese Begebenheit, die sich im Jahre
1130 ereignet haben soll, in Stein ausgehauen. Hanhart, Schweizer Gesch.
I, 158. Rocliolz , Aargausagen I, S. 218. Maria erscheint hier ebenso als
Wolken- und Gewittergöttin = Holda, wie in folgendem Kinderreira aus Ti-
»ol, den ich Zingerles Mitteilung verdanke:
Es donnert und blitzt;
Im Himmel droben sitzt
Die Mutter des Herrn
Hat goldene Kern,
Hat goldene Kugeln.
Sie glitzen und blitzen,
Die Engel tun lachen,
Die Kugeln tun fallen.
Die Mutter Gottes tut suchen,
Die "Waben tun fluchen.
Geh schnell fort,
Sonst trifft sie dich tot.
2) Märchen und Jugenderinuerungen. Berlin 1818 S. 155 fgg.
3) Kocholz, Sagen aus dem Aargau I, S. 269. No. 184 (13).
449
unechte Zusätze. Die Richtigkeit der hier ausgezogenen
Angaben erpi'obt sich jedoch durch andere übereinstim-
mende Sagen. Bei Wolf, D. M. S. No. 13. S. 67. 68 ge-
lammt ein Knabe ebenfalls durch ein den Zwergen abefenom-
menes Mützchen in deren Berg; hier erglänzen die Wände
von lauter Karfunkelstein und in der Mitte steht ein
prächtiger Leuchter aus einem Edelstein gemacht. Bei
Hylten-Cavallius und Stephens übersetzt von Oberleitner
S. 124 fgg. No. VI, macht ein Hirtenjunge auf gleiche
Weise durch ein den Elfen geraubtes Mützchen mit gol-
dener Klingel sein Glück. Rocholz erzählt, dass eine Dienst-
raagd zu Unterirdischen als Gevatterin gebeten wurde.
Sie gelangte auf eine weite, helle Wiese, auf der eine Menge
zierlicher Häuschen stand. Ein jedes schien ganz von
Glas, denn von einer Wand zur andern war al-
les durchsichtig und die Lichtlein, die darin
brannten, leuchteten selbst durch das Dach hin-
aus. Zwischen diesen Häusern stand eine ebenso glän-
zend erhellte Krystallkirche '). Auch ein Mädchen
zu Barneize im Hannoverschen wird von den Unterirdi-
schen zu Gevatter gebeten. Als der bestimmte Tag ge-
kommen ist, wird sie abgeholt und unter einem Apfel-
baum, der auf dem Hofe steht, eine schöne breite Treppe
hinuntergeführt. Als sie unten angekommen, treten sie
in einen grofsen, schönen Garten; da scheint die
Sonne fast noch schöner als auf der Erde, die
Bäume blühen prächtig und hängen voller
Früchte, dass es nur so glitzert. Das Mädchen er-
hält eine Schürze voll Aepfel, die sind, als sie auf die
Oberwelt zurückkehrte, golden gewesen -).
Ein älteres sicheres Zeugnis seewährt uns die deutsche
Heldensage vom Zwergkönig Luarin. „Im wilden Tanne
zu Tyrol" hat derselbe einen „zarten und schönen Ro-
sengarten gepflanzt." Dietrich und seine Gesellen rei-
1) Rocholz, Sagen aus dem Aargau I, S. 269. No. 184 (13).
2) Kuhn, Nordd. Sagen S. 261. No. 293.
29
450
ten dahin, um der geraubten Jungfi-au Similt nach-
zuspüren :
Do kämen die helde kuon
üf einen anger gruon
zeime garten minnikKch.
do wären die parten rieh
von golde unt von gesteine.
mit eime vademe kleine
was der garte akimbevangen.
swemme solde nicht belangen
daz er sech in an!
er rauest et al sin tiüre län,
sus schoenheit an dem garten läk!
die rosen gäben suezen smäk
unde lieplichen schin ').
Dieser Rosengarten liegt freilich nicht im Berge, aber
offenbar war das in der älteren Gestalt der Sage der Fall.
Es erscheint nämlich im Luarin noch zweimal ein solcher
Lustaufenthalt mit der Zwergenwohnung verbunden, einmal
in der unmittelbaren Nähe des Zwergenberges, das
zweite mal in demselben selbst. Die Helden haben die
Umheguug des Rosengartens durchbrochen und Luarin be-
siegt, nun steht ihnen der Zugang zu des Zwerges Woh-
nung offen. Er führt sie dahin:
An dem morgen vruo
kämen si dem berge zuo.
do vor stuont ein plan,
der was wunniklich getan
as ich in jehen wil,
do stuonden boeume vil
mer als man sagen kän,
die wären lieplich getan
1) Luarin ed. Ettraüller v. 346 fgg. Vergl. die Recension bei Nyerup.
Bymbolae ad literaturam Teutonicam antiquiorem. Havniae 1787 S. 4: Mit
gold %Tid mit edelm gestein domit biet Laurein der dein die rosen schon be-
hangen — — — Die rosen gaben suessen smack pey der nacht vnd auch
den tack.
451
unde gäben suezen smäk
beidiu naht unde tak.
swaz vogelsanges man haben sol
des was der plan rehte vol
unt was ein michel wunder
iewelher sank besunder.
do horte man suezes singen
üz kein schön erklingen
daz ez under einander hal 'J.
Noch eines anderen Zwergenberges wird Erwähnung
getan. Die Helden halten Rast bei Luarins Neffen:
Do giengens in den berk
do sähen si manigen twerk,
unde horten maniger hande schal
in dem berge uberal,
vil manige selten suez erklangen
vil raange vogel lieplich sangen^).
Wie der von Arndt beschriebene Berg auf Rügen und
der andere im Orlagau nach Börners Mitteilung, ist auch
dieser Zwergensitz von einem Karfunkel erleuchtet:
Do der berk was üfgetän
do sähen seh in si dar gän
liebte reht as der täk.
von gesteine, sus inne läk
scheinez verren durchten walt;
do was froeude manechvalt.
do sprach der herre Dietrich
„deist varwe minniklich,
michne triugent die sinne min
sa git karfunkel den scbin,
der vil an dem berke stät^)."
Bei Caspar von der Roen, der in seinem Laurin die Ab-
kürzung einer anderen älteren Recension des Gedichtes
1) Luarin ed. Ettmüller 1509 fgg.
2) U37 fgg.
3) 1409 fgg.
29
452
giebt '), liegt der Karfunkel im Garten selbst^). Zwar
kennt schon die Copenhagener Recension des Luarin, die
nach Lachmanns Urteil ^) auf ein Gedicht des zwölften
Jahrhunderts zurückweist, die Trennung des Berges und
des Rosengartens; diese Trennung reicht jedoch schwer-
lich über das 12. Jahrhundert, d. h. die Zeit hinauf, in wel-
cher die alte tirolische Zwergraythe von einem Jungfrauen-
räuber Luaran, dem die gefangene Frau durch einen Hel-
den wieder abgewonnen wird, an die Dietrichssage geknüpft
ward *). Der Kampf mit dem Zwerge Luarin wird niira-
lich doppelt begangen, einmal im Eosengarten, zum zwei-
tenmale im Berge. Es ist klar, dass in der ursprüngli-
chen Sage nur von einem Kampfe in dem innerhalb des
1) S. Gervinus, Literaturgescliiclite II, S. 85. 86.
2) Der gart der ist mit lenge
eyner meille lanck
vnd vber zwerg eyner halben
sprich ich on allen Avanck,
es ist auch in dem garten
altzait lichter tag,
das macht der carfunkel
der altzait drjne lag.
Wer ist ein meil vom garten
der smekt die rossen gut;
er hot in also zarten
gezogen vnd behut,
mer den vierhundert jaren
ist alt, des der garten ist,
er hot in laug gezogen
ich weis selb nit die frist.
es get wol vmb den garden
ein mauer acht claffter lanck
vnd auch ein gülden pfarden
es sol niemahlz sein wauck
ich gleichs dem paradeisse
mit wun vnd freuden vil,
wer er jn todes weisse
er wurd gesunt on zil.
Caspar v. d. Roens Laimn bei Hagen und Primisser, Heldenbuch II, S. 161,
11. 12. 13. Als die Helden zum Garten gelangen v. 44: Do ging her aus
dem garden ein minnicklicher smack, do mit ein schein so zarden gleich als
der lichte tack. v. 45 : Von dem süssen gesmake gewimnen sie grofs kraft,
er was so sus vnd starcke wol von der rosen macht, der sie solt ane sehen
must al sein trauren lan vnd von den edeln steynen so ward geziert der plan.
8) Ueber Singen und Sagen
4) S. Müllenhoff, Zeitschr. f. D. Altert. VII, 531. Laurin ed. O. Schade S. X.
üeber die zwischen Bergen liegenden Rosengärten der Zwerge, die im
Tirol. Volksmunde fortleben s. V. Alpenburg, Myth. u. Sag. Tyrols S. 12G fgg.
453
Berffes belea;enen liosengrarten die Rede war. Auch der
Skandinavischen Volkssage sind die Gärten der Elbe un-
verloren. Eine Jungfrau „Stolz Margreth," die acht Jahre
bei dem Bergkönig im Felsen geweilt und ihm Kinder
geboren hat, antwortet ihrer Mutter auf die Frage:
Und wo, wo warst du die lange Zeit?
„Ich war so lang auf der blumigen Haid ')."
In vielen Gegenden von Schweden weifs das Volk von
verzauberten Elfengärten zu erzählen. Die Stellen,
wo es dergleichen geben soll, werden näher bezeichnet und
es wird immer Jemand namhaft gemacht, der in diese Gär-
ten eingeführt worden, dort unter Bäumen von her-
licherem Grün, als er je zuvor gesehen, umher-
gewandelt ist. Auch hat er Früchte gekostet, die
ihres gleichen auf der ganzen Erde nicht haben,
aber wenn man später den Ort wieder aufsucht, hat man
den Garten nirgend finden können. Als Stellen dieser Art
werden besonders eine kleine Holzung im westgotläudischen
Kirchspiel Berg, sowie eine kleine Holzung in Altana in
Westmannland, der Frauensteig genannt, aufgeführt^).
Mehrere Sagen berichten, dass ein Ritter zu seiner Braut
reitend beim Elfenhügel betört wird, der Tochter des El-
fenkönigs die Hand zu reichen. So wird er ins Elfenland
fortgezogen und dort in unbeschreiblich schönen Sälen und
nie zuvor geschauten Blumengärten am Arm der
Elfenmaid zwischen Rosen und Lilien umhergeführt.
Nachdem die kurze Frist einer Stunde, wie er geglaubt,
dahingeschwunden ist', macht er sich auf den Heimweg zu
seiner Braut. Er ist aber 40 Jahre, oder mehr bei den
Slfen d. i. den Toten gewesen ^).
Dass die Wohnung der weifsen Frau oder der Zwerge
wunderbar erleuchtet ist, wird durch vielfache Sagen be-
1) Sclnvedische Volkslieder der Vorzeit übers, von R. Warrens 1857
S. 44. Der Bergkönig.
2) Afzelius, Volkssagen und Volkslieder Schwedens übers, von Ungewit-
ter II, 300. Solche Elfengärtcn heifscn elfträdgärdar.
.3) Afzelius a. a. 0. iJ, 297. Zu oben S. 429 vergl. dass auch die Erd-
weibchen d. i. Zwerginnen den Kindern Erdbeeren pflücken. S. Rocholz,
Aargausagen l, S. 273. No. 185 (4).
454
zeugt. Am Zusammenfluss von Aare und Rhein wohnten
Zwerge im Berg. Hier befanden sich Säle voll Pracht,
goldene Leuchter standen darin, auf deren je-
dem acht Kerzen auf einmal brannten, die Wände
waren non Glas und warfen den Glanz der Lichter zu-
rück'). Die Hole des Zwergkönigs Gübich, der ja auch
im Glasberg wohnt s. oben S. 333 hat Wände von bhtzen-
dem Stufenerz, die Decke ist von einem Stück
Schwerspat, weifs wie der Schnee und von der
Decke herab hängt ein m-ofser Kronleuchter ccanz von
Krystallen und Edelgestein, gröfser als im Goslarschen Zehn-
ten. In der Mitte steht ein Tisch von Glaskopf-).
Im Hüggel bei Osnabrück, der Bergwohnung eines schmie-
denden Zwergkönigs, leuchtet von der Wölbung der
Decke und aus den Seitenwänden wunderbares
Licht ^). In dem aus Armesünderkuochen gebauten
Hause des Teufels, der darin 12 Bursche gefangen hält, ist
es Nachts so hell wie am Tage; das rührt von einem
grofsen Karfunkelstein an der Decke her, den der
Teufel gestohlen hat ''). Dieses Haus des Teufels ist
unverkennbar gleich der Zwergwohnung ein Seelenaufent-
halt. Der Berg, in welchem die Jungfrau von Tegernfel-
den mit den Seelen wohnt s. oben S. 273, Anm. 3 enthält
zuerst ein sehr geräumiges Gewölke, durch dessen
Decke Sterne hereinschimmern, dann einen grofsen
Saal, dessen Gröfse durch manches Hundert Spiegelkerzen
sich ganz endlos macht, ein zweiter Saal ist ebenfalls ker-
zenhell erleuchtet, der dritte, in welchem die Seelen der
ungebornen Kinder weilen, wie mit einem milchigen
körperlichen Licht erhellt^). Im Brunnen der St.
Kunibertskirche in Köln""'), worin die ungebornen Kindersee-
len bei der Mutter Gottes sitzen, ist es nicht dunkel, son-
1) Pvocholz, Sagen des Aargaus I, S. 280. No. 194 (13).
2) Harrys, Sagen Niedersachsens I, S. 92.
3) Wolf, Deutsche Hausmärchen S. 145 fgg.
4) Harrys a. a. O. ü, S. 44.
5) Rocholz, Sagen des Aargaus I, S. 235.
6) Wolf, Beiträge I, 163.
455
dern tageshell. In der Berghöle beim Stöckl, worin
die Kinderseelen um eine weifse Frau herumsitzen, herrscht
ein wunderbares Licht ').
Mustern wir nunmehr die beigebrachten Zwergsagen,
so finden wir folgende vier Angaben vereinigt: 1) Die Fel-
senwohnung der Zwerge ist der Glasberg, in welchem
wir bereits oben S. 334 fgg. das leuchtende Himmelsge-
wölbe erkannten-). 2) Dieser Berg ist von wunderba-
rem Licht erfüllt, ebenso wie der Brunnen oder die Berg-
höle der weifsen Frau. Auch von den Bergen in welche
Könige mit ihrem Heer verwünscht sind erzählt man, dass
sie sonnenhell durch einen Karfunkel erleuchtet wer-
den'*), 3) In diesem lichterfüllten Glasberg befinden sich
blumenreiche Auen. 4) Der Zwergensitz ist Seelen-
aufenthalt. Da nun Glasberg, Berg und Brunnen der
weifsen Frau auch an und für sich und in Ueberlieferun-
gen, die der Zwerge nicht erwähnen, als himmlische
Orte und als Seelen wohn sitze genugsam bezeugt sind,
und in ihnen allen ein blühender Garten sich findet,
gelangen wir zu dem, soweit ein Inductionsbeweis überhaupt
Kraft hat, sicheren Schluss, dass unsere Altvorderen hin-
ter dem Wolkenbrunnen, vom Wolkenberge bedeckt, ein himm-
lisches Seelenreich gelegen tocUmten, das von wunderbarem
Lichte erfüllt sei. Li diesem Lichtreich blühen die herr-
lichsten Gewächse, reifen die schönsten Früchte.
Was nun jenes wunderbare Licht in Holdas Seelen-
reich betrifft, so hat es offenbaren Zusammenhang damit,
dass von der Göttin wunderbarer Glanz ausstrahlt;
wo sie geht und steht, ist es glockenhell in der
dunkelsten Nacht. Als Frau Hulli einst einem Verirrten
heimleuchtet ist es so hell im Walde, dass man das
1) Zeitschr. f. D. Mytli. I, 463. Vergl. oben S. 25G.
2) Vergl. obcu S. 332; die Sagen aus Arndt und Rodiolz oben S. 448
und 449; sowie S. 454.
3) Baader, Badischc Sagen S. 218, 225. Auch Hulda und die Säligen
Fräulein in Tirol wohnen in Krystallgrotten, die von Gärten voll Wun-
derblumen, ewiggrünen Hügeln und Hainen umgeben sind. Alpen-
burg, Mythen und Sagen S. 4 fgg. 19. Ihre Holen gleichen grünen Lauben
a. a. 0. S. 7. In denselben befinden sich milderhellte gi-üue Rasenplätze S. 22.
456
kleinste Steinchen sehen kann'). Wie Frau Holda
sind die bei ihr weilenden Seelen Lichter -). Das Hardt-
männle bei Meier ^) ist mit Rundhnt und Grünrock beklei-
det, dennoch ist es selbst ein Licht und körperlich
so durchsichtig, dass man ihm alle Rippen im
Leibe zählen kann. Auch Luarin hat solchen Glanz.
Bei Caspar von der Roen meint Wittig als er ihn daher
reiten sieht, es sei ein Engel, Dietrich hält ihn für St.
Michael.
Das zwerck ist an der lenge
dreyer spane lanck
vnd reit in eytel golde
do von so süssen clanck,
wen es dorther thut reiden
er leucht recht als der mon,
wol einer meyllen weite
sieht man in glesten schon'').
In der krön lag ein karfunckel
vnd mancher edler stein;
die nacht war nie so dunkel
pey im war sunenschein ^).
Der Karfunkelstein ist hier wie im Berge nur ein spä-
terer Erklärungsversuch des wunderbaren Lichts, das der
Körper des Zwergkönigs, die Wand des Glasberges aus-
strahlt*^). Ein solch wunderbares Licht umgiebt auch die
nordischen Huldren '). Wir sind hiemit wieder bei den
1) Zeitschr. f. D. Myth. I, 23. 27.
2) Vergl. oben S. 310, Anm. 3.
3) Schwab. Sagen S. 349. No. 99.
4) Laurin str. 25.
5) Laurin str. 58. In der Bearbeitung bei Nj-erup syrabolae S. 6: Sein
ross wass zu einer Seiten vech (bunt) und zu der andern als ein rech,
darauff ein deck guidein, die gab in dem wald Hechten schein von
dem gestein alz der Hecht tag. — S. 7 : Sein heim der was guidein , darin
so lag manig rubein vnd auch darzu der karfunkel, die nacht was nie so
tvTikel, erleuchtet als der tagk von dem gestein daz an dem heim
lagk. Vergl. in der Copenhagener Fortsetzung des Luarin Nyerup a. a. O.
S. 66 fgg. die Beschreibung der Waflen des Zwergkönigs Walberan.
6) Uebrigens heifst der Bergkrvstall noiT. dvajrgstein Petersen, Nord.
Myth. 109.
7) Og huu var saa deilig og saa fiin. at det skinnede af hende.
Asbjömsen, HuldreeventjT S. 47.
457
Liösalfar im himmlischen Lichtlande Viöbläinn angelangt,
deren Glanz die Sonne überstrahlt, s. oben S. 322 fgg. 377
fgg. und erachten nunmehr diese nordische Vorstellung auch
im südnrermanischen Heidentum nacho-ewiesen. Das hohe
Altertum der eben erläuterten Vorstellungen wird nun auch
dadurch erwiesen, dass sie genau übereinstimmend bei den
stammverwandten Kelten sich wiederfinden, die, wie wir
gesehen haben, den ganzen Eibenglauben mit den Germa-
nen teilen. Unter dem Wasser liegt nach irischem Glau-
ben ein von Elfen bewohntes Gebiet „das Land der
Jugend" genannt, weil darin Niemand altert, also
ein Totenreich. Dort scheint die Sonne, Wiesen
grünen. Bäume blühen, Felder und W^älder wech-
seln mit einander ab. Leute, welche viele Jahre dort zu-
brachten, glaubten nur einen Augenblick dagewe-
sen zu sein. An gewissen Tagen bei aufgehender
Sonne ziehen die Elfen tanzend über die Oberfläche des
Wassers, das unter ihren Fülsen nicht weicht (vergl. das
Pressburger Regenlied oben S. 379) ^). An der Grenze
von Brecknockshire in Wales wohnen die guten Elfen
(tjlwyth teg) in einem See, der von einem Berge
rings umschlossen ist (sieh das vom Wolkenberge
umschlossene Wolkengewässer). Mitten im Berge öfiFnete
sich am ersten Mai eine Tür, die durch einen dun-
keln Gang unter dem See hindurchführt. Auf einer In-
sel mitten im See befindet sich ein Garten voll der
schönsten Früchte und Blumen, von denen die gu-
ten Feen ihren Lieblingen anbieten. Sie machen her-
liche Musik und ofl:enbareu die Geheimnisse der Zu-
kunft^). Schon Gervasius von Tilbury erzählt im 13ten
Jahrhundert^), bei dem Schlosse Pech (the Castle in Peak
in Derbyshirc) sei eine tiefe dunkele Hole. Dort hinein
1) Grimm, Irische Elfenmärcheu S. XVIII.
2) San Marte, Beiträge zur Brctonisclien Iltldcnsage S. 104. Davies
on the philosophy and rites of the British Druids. — Keyghthley, M^-tholo-
gie der Feen übers, von 0. L. B. Wolf II, 228. Hocker, Die Stammsagen
der "llohenzollem und Weifen S. 89.
3) Otia imperialia ed. Liehrecht S. 24, XLV. ed. Leibnitz p. 975.
458
verlor sich eine Sau. Der Hirte, die Schelte seines Herrn
fürchtend, wagt ihr nachzugehen und gelangt, nachdem er
im Berge lange durch einen dunkeln Gang fortge-
wandert ist, in einen glanzerfüllten Ort auf eine
weite Wiesenfläche (tandem ab opacis in lucidum
locum obvenit, solutum in spatiosam camporum planitiem).
Dort sind viele Ackerbauer beschäftigt reife Kornfrüchte
einzuernten. Er findet hier auch das verlorene Schwein
und kehrt mit ihm auf die Oberwelt zurück. Als er hier
ankommt, ist auf der Erde Winter. — Giraldus Cambren-
sis berichtet '), dass ein gewisser Elidor, der später Pres-
byter wurde, als Knabe einmal um die Schule lief und sich
vor dem strengen Praeceptor in dem Geklüft eines
Flussufers verbarg. Da erscheinen ihm zwei kleine Berg-
männchen und fordern ihn auf mitzukommen (si nobiscum
venire volueris, in terram ludis et deliciis plenam te duce-
mus). Er folgt ihnen auf einem dunkeln unterirdi-
schen Wege in ein wunderherliches Land voller
Flüsse^ Wiesen, Wälder und Felder (in terram
pulcherrimam , fluviis et pratis silvis et planis distinctissi-
mam). Dort scheint jedoch die Sonne nicht. Die Leute
darin sind äufserst klein von Wuchs, gelb von Farbe und
tragen langes über die Schultern herabwallendes Haar.
Aehnliches weifs Wilhelm von Newsbury mitzuteilen ^),
vielleicht aber nicht aus keltischer, sondern aus sächsischer
Ueberlieferung. In Ostangeln liegen gewisse tiefe Gräben,
welche den ags. Namen Vulfpyttas (Vulfputes) d. i. Wolfs-
bruuuen führten. In der Nähe derselben waren Arbeiter
bei der Aernte, da fanden sich zwei der Unterirdischen
ein, welche auf wunderbare Weise aus ilirer Heimat ent-
führt waren. Sie waren am ganzen Körper grün. In
ihrem Vaterlande, erzählten sie, gebe es Wiesen und
Viehweiden, die Sonne scheine daselbst nicht (sol apud
nostrates non oritur), sie lebten in ewiger Dämmerung, aber
1) Itinerar. Cambr. I, 8. Liebreclit, Gervasius von Tilbury S. 119.
2) Guillelm. Neubrigeusis ler. angl. 11. V. ap. rer. Brit. Script, vetust.
Heidelberg. 1587 I, 27. Liebrecht, Gervasius S. 118.
459
in ihrer immittelbaren Nähe, nur durch einen Strom
von ihnen getrennt liege ein glanzerfülltes Land
(terra lucida).. Wenn in den beiden letzten Sagen das El-
feureich sonnenlos ist, kennen es viele andere als licht und
hell. So wird im altenglischen Roman von Orfeo und
Heurodis das F a i r y 1 a n d als ein unterirdisches Land voll
gr unerwiesen geschildert, das in sommerlichem Lichte
ausgebreitet liegt:
When he was in the röche y-go
wele thre mile other mo
he came into a fair cuntray
as bright soonne summersday
smooth and piain and alle grene
hill no dale nas none y-seen.
amiddle the lond a castel he seigh
rieh and real wonderhigh.
all the utmoste wall
was clear and shiue of cristal^).
Bekannt ist, dass der altbrittische Nationalglaube auf einer
Insel ein Elysium gelegen dachte, welches von wunder-
baren Früchten und blühenden Gewächsen erfüllt
war und deshalb den Namen Avallach (Avallon) d. i.
Apfelinsel führte, zugleich aber auch als Glasberg ge-
dacht zu sein scheint, denn ein anderer Name desselben
war Ynisvitrin oder Ynisgutrin (Glasinsel), in engl.
Uebersetzung Glast onbury, Glastimbery (ags. Glä-
1) Keightley, Mythologie der Feen und Elfen übers, von 0. L. B. Woll'
I, 94 fgg. Als er vrur in den Felsen gegangen wol drei Meilen oder mehr,
kam er in ein schönes Land, so hell wie die Sonne am Sommer-
tag, schön und eben imd ganz grün, weder Hügel noch Tal war da zu
sehen. Mitten im Lande sah er eine Burg, reich und königlich und wuu-
dcrhoch; alle die äufsersten Mauern waren klar und schienen vou
Kry stall. Weiterhin heifst es: Es war immer hell da; denn wenn es dunkel
oder Nacht werden sollte, gaben die reichen Steine Licht, so hell wie
die Sonne am Mittag. Der Fain-king zeigt Heurodis in seinem Keich Fel-
der, Blumen und "Wälder. Vergl. die Bcschreibmig von Plutos Reich in
Chaucers raarchantes tale :
— — — for to teil
the beautce of the gardin and the well
that stood under a laurer alway grcne
ful often time he Pluto, and his queno
Proserpina and alle his faerie
disporten hem, and maken melodie
about that well and daunced, as nien told.
460
senburuh). Dieses Elysiura, wo die Seeleu der verstor-
benen Helden von gütigen Feen aufgenommen wurden, lo-
calisierte man in Glastonia, Glastonbury (auch Glessoburg
genannt), ags. Glästingaburh in einem Orte, an den
sich uralte Sagen knüpften, welche darauf hindeuten, dass
hier ein Hauptsitz der Druiden war ' \ Die Wichtigkeit
dieses Ortes für das brittische Heidentum veranlasste an
demselben schon frühe eine klösterliche Niederlassung, wel-
che von der Lebende bis ins 2te Jahrhundert n. Chr. hin-
aufgerückt wird, und bald bildete sich dort ein Mittelpunkt
kirchlichen Lebens -). Die Legende hielt an der sagenhaf-
ten Bedeutsamkeit des wirklichen Ortes Glastonbury als
Toteninsel fest, indess anderseits die Volkssage das ur-
sprüngliche mythische Avallach weiter ausschmückte. Wäh-
rend nach ersterer Arthur, der Hauptheld der Britten, in
Glastonbury begraben liegt, ist er nach der Volkssage
entweder mit seinem Heere in den Berg entrückt^),
von wo aus er im wütenden Heer umzieht *), oder von der
Fee Morgane auf die mythische Insel Avallach, Avallon
entführt, wo er in ewiger Jugend lebt, um einst zur Ret-
tuns: des Vaterlandes wiederkehren zu können. Der Pseudo-
gildas beschreibt dieses Eiland:
Cingitur oceano memorabilis insula, nullis
desolata bonis; non für, uon praedo, nee hostis
insidiatur ibi, nee vis nee bruma, nee aestas
1) So sollte nach Wilhelm von Malmesbuiy (De autiquit. eccles. Gla-
ston, ap. Gale I, p. 290 fgg.) ein gewisser Glasteing (vergl. den Namen
Glästingaburh) einer verlorenen Sau durch -weite Landschaften nachgefolgt
sein auf dem Wege der noch Sugewege genannt werde, bis er sie in Gla-
stonbury unter einem Apfelbaum ihre Ferkel säugend fand. Das Schwein
ist in der mysterieusen Sprache der Barden eine Bezeichnung des national-
wälschen Priestertums. San Marte Gotfried von Monmouth S. 423. Vergl.
übrigens oben S. 458 die Sage aus Gervasius von Tilbury.
2) S. darüber San Marte Gotfried von Monmouth S. 275. 421.
3) Myth.2 913. San Marte Gotfried von Monmouth S. 428. Kuhn,
Nordd. Sagen S. 495. Ausdrücklich heifst in Leydens Scenes of infancy
(Walter Scott, Wawerley Appendix I. Thomas the rhjnner) Arturs Halle im
Berge Fairyland. Vergl. Dunlop ed: Liebrecht Anm. 169 und S. 541a.
4) Myth.^ 895. Ueber Arthurs chace vergl. noch Dunlop, Geschichte
der Prosaroraane ed. Liebrecht S. 98. 170.
461
immoderata furit; pax et coucordia, pubes
ver manet aetemuni, nee flos nee lilia desnnt
nee rosae, nee violae, flores et poma siib una
fronde gerit pomus, habitant sine labe cruoris
semper ibi juvenes cum virgine, nullasenectus
nuUaque vis morbi, nullus dolor, omnia plena
laetitiae.
Der Verfasser der vita Merlini lässt nach Arthurs Ent-
rückung auf das Apfeleiland den weisen Taliesin dasselbe
preisen :
Insula pomorum, quae Fortunata vocatur
ex re nomen habet, quia per se singula profert:
non opus est illi sulcantibus arva colonis;
omnis abest cultus, nisi quem natura ministrat.
nitro foecundus segetes producit et uvas
nataque poma suis praetonso gerraine silvis;
omnia gignit humus vice graminis ultro redundans.
annis centenis aut ultra vivitur illic.
Nach dem Roman Ogier le Danois gelangt Ogier zur Mor-
gue la faye (Fee Morgane), die ihn schon bei der Geburt
zu ihrem Geliebten erkoren. Auf einer Seefahrt Schiff-
bruch erleidend, gelangt er m i tt e n i m M e e r zum Schlosse
Avalon. Dieses liegt auf einer Insel und ist ganz aus
leuchtendem Magnetstein gebaut. Durch eine Halle
tritt Ogier hinein und kommt, nachdem er mehrere fin-
stere Gänge durchschritten und die hütenden Tiere
getötet, in einen Obstgarten „tantbel et tantplai-
sant, que cestoit ung petit paradis ä veoir." In
diesem Elysium befinden sich bei der Fee Morgue, Artur,
Auberon und Mallambron (ung luiton de mer). Hier in
der Nähe liegt auch das Paradies, wohin Enoch und Elias
durch einen Feuerstrahl entrückt sind. Ogier verliert alle
Erinnerung an sein früheres Dasein und lebt in ewiger Ju-
gend zweihundert Jahre in diesem Totenlande,
ehe er auf die Erde zurückkehrt '). — Im Lai d'Ywenec
1) Keightley, Mythologie der Feen jimd Elfen übersetzt von O. L. B.
Wolf I, 85 fgg.
462
folgt die schöne Gemahlin des alten Avoez von Caerwent
sor Doglaz ihrem geliebten Elfkönig in das Fairyland.
Sie gelangt zuerst zu einem Hügel, in dem eine Tür
sich öffnet. Sie geht lange durch einen dunkeln
Gang im Berge fort. Endlich tritt sie aus demselben
heraus auf eine grofse Wiese, die zu einer breiten Ebene
mit Mooren, Wald und Haide sich erweitert. Sie fin-
det eine Stadt und ein prächtiges Schloss. Dort weilt
ihr Geliebter, der Elfkönig. Er liegt verwundet im Bette.
Die Pfosten desselben sind von edelm Metall, die Kerzen
und Leuchter, tcelche Tag und Nacht brennen, sind mehr
als alles Gold einer Stadt wert:
Les cierges e li chandelier
qui nuit e jur sunt alume
valent tut Tor dune cite ^).
Osschin (Ossian;, der Sohn des Fionn Mac Cumhal (Fin-
gal) hörte, dass ein Kornfeld Nachts immer zertreten werde.
Viele hatten dabei gewacht, ohne den Schadenstifter zu
entdecken. Da bleibt Osschin eines Abends auf dem Felde
zurück. Er hört in der Stille der Nacht ein Rauschen im
Korn und gewahrt ein weifs es Füllen ohne Makel. Das
Ross flieht, Osschin verfolgt es und fasst es endlich bei
der Mähne. Da tut die Erde sich auf, Ross und Ver-
folorer versinken und befinden sich bald in einem schö-
nen weiten Wiesenland. Es ist das Land ewigen
Lenzes und unverwelklicher Jugend Tir-na-Oige
(Land der Jugend). Hier wird das Füllen zu einer weifsen
glänzenden Juno-frau, die Osschin willkommen heifst und
ihn bald die Erde vergessen macht. Als der Held ein
Jahr, wie er meint, hier zugebracht, sehnt er sich zur
Oberwelt zurück. Da ist er aber dreihundert Jahre
bei den Toten gewesen^). Ein Pachter in Strathspey in
1) Keightley a. a. 0. II, 237 fgg.
2) K. V. K. Erin I, S. 162 fgg. Diese Sage ist im Eingange mit fol-
genden Märchen eins: 1) Bechstein, Märchenbuch S. 65 Der Hirsedieb. 2) As-
bjömsen und Moe übers, von Bresemann U, 189—202 Die Princessin vom
gläsernen Berge. 3) KtDI. III 3, 99 Märchen vom Dummling. 4) KHM.
463
der Nachbarschaft von Cairngorm in Schottland zog mit
seiner Familie und seinem Vieh in den Wald von Glena-
von, der als ein Sitz der Elfen bekannt ist. Zwei von sei-
nen Söhnen, die in einer Nacht ausgingen ein paar verlo-
rene Schafe zu suchen, kamen zu einem Elfen hügel
(shian) von grofsem Umfang. Zu ihrem Erstaunen strömte
das glänzendste Licht aus unzähligen Spalten
im Felsen, die das schärfste Auge niemals daran entdeckt
hatte •).
Gegenüber bedeutender Uebereinstimmung mit den
deutschen Sagen treten doch auch eigentümhche Züge in
der keltischen Tradition hervor, so das ausdrückliche Her-
vorheben des Zuges, dass man durch einen langen dun-
keln Gang wandeln muss, ehe man ins Fairyland gelangt.
Aus der Uebereinstimmung dieser Art erhellt aber, dass
die Vorstellung über die Trennung der Kelten und Ger-
manen von einander hinaufreicht und dass wir ganz richti<>-
die Nordische Mythe von Gimill in Viöbläinn (= Glasberg
und Engelland) als eine der voreddischen Zeit angehörige
in Anspruch genommen haben.
Den nordischen ViSbläinn fanden wir im deutschen
Engelland wieder. Auch dieses mythische Reich ist von
blühenden Gewächsen erfüllt. Ein Zaubersegen gegen
die Zahnrose lautet:
Kam eine Jungfer aus Engelland
Eine Kose trug sie in ihrer Hand,
Bis die Sonne unterging
Die sieben und siebenzigste Zahnrose verschwand*^).
Undeutlicher weil verderbt ist der folgende Kinderreim:
No. 57 Der goldene Vogel. 5) Molbcch, Udvalgte eventyr och fortällinger
No. 49. Myth.* 1216. 6) Sommer 96, 4 Der dumme Wirrschopf. 7) Schott,
Wallachische Märchen 253, 26 Das goldene Meermädchen. 8) Stier, Unga-
rische Sagen und Märchen S. 91, 14 Aschenbrödel. 9) Woycicki, Polnische
Sagen 119, 6 Die drei Brüder. In diesen Ueberlicferungen gelangt der Jüng-
ling, welcher im Saatfeld oder Obstgarten wachend das diebische Pferd oder
einen diebischen Vogel ergreift, zum Glasberg oder zum goldenen ScJdoss.
1) Grimm, Irische Elfeumärchen S. XXII.
2) Kuhn, A. d. Mark. Zeitschr. f. D. Altert. IV, 390.
464
1.
Kam ein Schiffchen von Engelland
War beladen mit Hirschlemirschle , Kirschlemirschle,
Grispelgraspelgrien
(Da kam der König von Zerin
Fragt nach Hirschlemirschle, Grispelgraspelgrien, la-
teinawär -).
2.
Es kommt ein Schiff von Engelland
Es ist beladen mit Lirum Lamm Kalimarum
Krismus Krasmus Krimm
Es safsen zwei schwäbische Weiber darin,
Die eine hiefs Biebe
Die andere hiefs Biebele.
Da sprach Frau Biebe zur Frau Biebele
Ob Lirum Lamm Kalimarum
Krismus Krasmus Krimm
Gut lateinisch war ^).
3.
Es kam ein Schiff von Neuem an,
Das Schiff, das war geladen
Mit Hirs und Mirs und Dinkelmirs
Mit Grischbes Graschbes Groll
Da kam die Frau Brigidian
Und fragt ob Hirs und Mirs und Dinkelmirs
Und Grischbes Graschbes Groll
Auch gut französisch war ^).
4.
Hier ist der Schlüssel zum Schiff
Mit Hirsemirse, Dintenmirse, Kritzekratzckrull.
Da kam der König von Serin
Und sprach:
Ist Hirsemirse, Dintenmirse, Kritzekratzckrull schon da?*)
1) Pommerelleu mündl. Var. Kam ein Schiffchen von der Wartenburg.
2) Berlin d. H. Reinicke.
3) Frankfurt a. M. mündlich.
4) Thöle und Strakerjan, Aus dem Kinderleben S. 68. Var.: Da war
465
Das volle Verständnis dieses Liedes, das sich bei genaue-
rer Einsicht als eine neue schwankhafte Umarbeitung eines
ernsten älteren ergiebt, bleibt mir verschlossen. Nur so
viel ist deutlich. Die ersten Zeilen enthalten den Sinn:
„Es kam ein Schiff von Engelland, das war beladen mit
Hirse (ahd. hirsi) und Dinkel (triticum spelta) und krau-
sem Grün(??) ')." In welchem Bezüge zu diesem Schiff die
Frau Brigidian (= Breide?) oder Bibia und Bibeli in der
ursprünglichen Dichtung standen, ist nicht mehr zu ermit-
teln. Wir werden weiterhin sehen, dass andere deutsche
Lieder ein mythisches Wesen Bibia binka kennen, welches
in Schweden den Namen Bibelibinke führt. Die Frage
ob „Hirse(mirse) und Dinkel(mirse) und crisp(-el
craspel) Grün" lateinisch sei, gehört der schwankhaflen
Umbildung an, welche aus dem durch Emphase und nichts-
sacfende Reim Wörter unverständlich gewordenen alten Liede
einen Scherz machte. Die Sprache macht höchst wahr-
scheinlich, dass unser Lied in Süddeutschland seinen Ur-
sprung nahm, wo (zumal in Schwaben) Dinkel ein Haupt-
erzeugnis des Ackerbaus ist. Einfuhr von Korn und Früch-
ten findet aus Grofsbritannien nach Deutschland keineswe-
ges statt, am allerwenigsten von dem nur in Süddeutsch-
land veredelten und gebauten, in Norddeutschland allein
wildwachsenden Dinkel, ebenso wenig werden Hirse und
ein kleiner Mann, der kam auf der Apotheke an und fragte, ob Hirsemirse,
Dintenmirse, KritzekratzekruU auch gut lateinisch wäre.
1) Hirse No. 4. hirs 3. hirscli-le 1; -mirse 4. 3. mirsch-le 1. ist Em-
phase, und dieses blofs zur Verstäriiung von Hirse gebildete Wort ist in Kirsclile-
mirschle 1 ; Diukelmirs 3 ; Dintenmirse 4 des Glcicliklangs wegen wiederholt,
ohne dass damit eine Bedeutung verbimden wäre. — Dinkel 3; daraus Din-
ten 4 volksetymologisch enstanden, durch den in den Mundarten niclit unbe-
zeugten Uebergang von k in t. Vergl. piwik = piwit Kiebitz; smacken =
schmatzen; tobold = Kobold; tuArk = Kork; twärsack = Quersack ; twiärk
= quärk; krätling Bretzel = Kr^kling ; Kartoffel aus tartufola von tartufo
(bianco) gebildet. S. Woeste, Zeitschrift für vergl. Sprachf. IV, 18G. —
Kirschle-mirschle 1. ist durch das Bedürfnis des Reims zu Hirschle-mirschle
hervorgerufen. Bei Krispel-kraspel möchte ich an lat. crispus denken; Kris-
jnus Krasmus zeigt den häufigen Uebergang von p zu m- Vergl. "Woeste
a. a. O. 184 -grien ist die Pommerellische Form für nhd. gruen, ahd. kruoni,
mhd. grueue.
30
466
Dinkel von Deutschland nach England ausgeführt. Da
mithin ein aus Engelland kommendes Schiff, mit diesen
Früchten beladen, nicht auf Grofsbritannien bezogen wer-
den kann, werden wir auch in vorliegendem Kinderreim
das himmlische Reich der Engel zu verstehen haben, aus
welchem (im Frühling) der Pflanzenreichthum der Erde zu-
geführt wird. Auffallend erinnert an unser Lied eine An-
gabe, welche Agobard, ein Franke oder Burgunde, der von
816 bis zu seinem Ende 840 als Bischof zu Lyon wirkte,
in seinem unter Ludwigs des Frommen Regierung bald
nach Karls des Grofsen Tode geschriebenem Werk: „Con-
tra insulsam vulgi opinionem de grandine et tonitruis" über
einen Volkglauben seiner Zeit macht. Er behauptet viele
Leute zu kennen, welche an ein Land mit Namen Ma-
gonia glauben, woher Wolken schiffe kommen. Aul
diesen Wolkenschiffen werde das vom Hagel zerschlagene
Getreide, sowie Früchte aller Art aufgenommen und in
jenes mythische Land fortgeführt. Die Luftschiffer spen-
den den Zauberern, welche das Wetter angestiftet haben,
für den Empfang der Früchte Belohnung '). Es lässt sich
nicht mehr herausfinden, ob diese Ueberlieferung keltisch
oder germanisch sei ^), Da wir aber gesehen haben, dass
die keltischen und germanischen Vorstellungen über das Ei-
benreich dieselben waren, werden wir darin zum mindesten
ein treffendes Analogon zu dem aus Engelland kommenden
Schiff erblicken dürfen. Der ursprüngliche Sinn der Mythe
von Magonia scheint mir dieser zu sein. Aus einem
himmlischen Lande kommt der Getreidesegen,
kommt der Pflanzenreichthum jederArt zur Erde,
1) S. Agobardi opp. ed. Baluze 1666. 8". I, 145: Plerosque autem
vidimus et audivimiis tanta dementia obrutos, tanta stultitia alienatos, ut cre-
dant et dicant quandara esse regionem quae dicatur Magonia ex qua na-
ves veniant in nubibus, in quibus fruges, quae grandinibus deci-
dunt et tempestatibus pereunt vehantur in eaudem regionem, ipsis vi-
delicet nautis aereis dantibus pretia tempestiariis et accipientibus frumenta
vel ceteras fruges. —
2) Wir werden diese Frage in der Zeitschr. f. D. Myth. einer besonde-
ren Erörterung unterwerfen.
__j467
hier vernichtet kehrt er zu seiner ursprüngli-
chen Heimat zurück; die Tempestiarii sind als Ver-
mittler erst in junger Zeit eingeschoben.
Dass ein derartiger Glaube bei den Germanen vor-
handen war, wage ich aus folgenden Zügen zu folgern.
Wir wissen bereits, s. S. 429 fgg. , dass in Holdas Seelen-
reich Blüten und Früchte sich finden, wenn auf Erden
der Winter wütet. Hier noch einige weitere Zeugnisse.
Bauersleute setzen ihr fünfjähriges Kind im Walde nieder,
während sie Holz lesen. Nachher können sie es nicht fin-
den, bis es mit Blumen und Beere?i gelaufen kommt, die
ihm die weifse Jungfer in ihrem Garten gegeben. Da
machen sich die Eitern auf und gehen auch zu dem
Garten, der in voller Blüte steht, da doch noch
kalte Jahreszeit ist. Das Kind wünscht sich alle Tage
zu der Jungfrau und stirbt. Es ist die ins Totenland ge-
langte Seele'). In der Christnacht, da alles voll
Schnee liegt, trifil ein Fuhrmann die weifse Jung-
frau mit einem Sommerhute bekleidet, wie ausgebrei-
tete Flachsbollen mit dem Rechen umwendet^). Alle
1) Bechstein, Thüringische Sagen IV, '221. Xo. 39. Vergl. Schmitz,
Sagen des Eifellandes I. 1843 S. 43. Hocker, Moselsagen No. 51. Hocker,
Die Stamnisagen der IlohenzoUern und Weifen S. 27.
2) Mone, Anzeiger f. Kunde der D. Vorzeit V, 175. Baader, Badische
Sagen 261, 277. Sehr oft erscheint die weifse Frau auf diese Weise Flachs-
bollen oder Waizenkörner sonnend, s. Myth.^ 912 fgg., ebenso Citronen
oder Quitten Baader a. a. 0. S. 203, 215. Nicht minder Bohnen Baader
a.a.O. 244, 255. Haselnüsse Baader a.a.O. 387, 450. Die Urschel
im Urschelberge bei Pfullingen leiht aus ihrem Berge (dem Elbenaufenthalt)
den Bauern Korn zur Aussaat und verlangt dasselbe erst nach der
Aernte wieder. Meier, Schwab. Sagen No. 5 , 4. 7. Der Teufel (wilde
Jäger) sagt zum General Luxemburg: Du hast mich gejagt durch Wasser und
Wind und ich habe dir im Winter reife Kirschen und grüne Pflau-
men bringen müssen, jetzt ists vorbei. Kuhn, Nordd. Sagen p. 477,
Anm. 66. Erinnert werden darf noch an ein nordisches Zeugnis. In der
durchweg mythischen Saga von Ketill Hoeng wird von einem Fruchtbar-
keitshügel (ärhaugr) erzählt, auf welchem die Einwohner von Gestrika-
land in Schweden um gute Aernte (til ärs) opferten. Auf diesem Hü-
gel haftete kein Schnee, er war W'inter und Sommer grün. (Ke-
tils-Hxngssaga cap. 5. Fornmannasög IL). Da Freyr Argud ist, und ihm
y-äx' Ho/Tjt' til ärs geopfert wurde, wird dieser Hügel ein Abbild des himm-
lischen Berges sein, welcher das Land der Lichtalfen verdeckte, das die Göt-
ter im Anfang der Zeiten Freir zum Zahngebinde schenkten. Grimnism. 5.
30*
468__
sieben Jahre, d. h. nach den sieben Wintermonaten erscheint
auf dem Frankenstein eine Aveifsgekleidete Jungfrau. Die-
selbe giebt einem Burschen in ihrer Hole eine Hand voll
Kirschen'). Diese Blüten und Früchte in Holdas Berge
haben aber zugleich Bezug auf den irdischen Pflanzenwachs-
tum. Nach hessischen Hexenacten ') fuhr ein gewisser Thiel
jährlich viermal, nämlich alle Fronfasten, in den Venus-
berg zu Frau Holda. Dort sieht er den ganzen Korn-
und Fruchtwachstum des Jahres vorgebildet. „Dieses
jähr erzeige sich zimblich mit frucht, obfs und
gewachsen; allein der wein würde nicht so gut,
als vorm Jahr, das hette er auch im berg gese-
sehen; man müste aber Gott darumb anrufen,
sonst würde man des segens verlustig, und wer'
die ax dem bäum an die wurzel gelegt." Halten wir
hiemit folgende Züge zusammen. Nach der oben S. 457
beigebrachten Sage aus Gervasius von Tilbury findet im
Eibenreich die Aernte statt, während auf Erden "Win-
terzeit herscht. Gervasius bemerkt: „Mira res: a mes-
sibus subterraneis veniens^ hyemalia frigora videt in
nostro hemisphaerio perseverare quod utique solis absen-
tiae (die Sonne weilt von der Erde verschwunden im Ei-
benreich) ac vicariae praesentiae merito adscribendum duxi.
Stimmt mit dieser Ueberlieferung überein, dass in Holdas
Brunnenreich zur Winterzeit (unter dem Schnee)
reife Erdbeeren wachsen s. o. S. 429 fgg., so zeigt die
oben S. 428 angeführte, wenngleich nicht klar deutbare,
Sage, wonach der Genuss der irdischen Frucht von
Seiten der Mütter den verstorbenen Kindern die himm-
lische Erdbeer frucht im Paradiese entzieht, dass ein
Zusammenhang und ein Wechselverhältnis zwi-
schen dem himmlischen und irdischen Pflanzen-
wach st um angenommen wurde. Maria (Holda), die Ge-
berin der himmlischen Frucht, lässt nach anderen Sagen
1) Bechstein, Thüring. Sagen IV, 144.
2) Zeitschr. f. D. Myth. I, 275.
469
mitten im Winter dreiAehren unter dem Schnee
hervorwachsen. In der Christnacht sollen dem Volksglau-
ben nach die Apfelbäume mitten im Schnee blühen
undFrüchte treiben und der Hopfen treibt ebenfalls in
der Weihnachtsnacht zwischen 11 und 12 fingerlange
saftige Schosse unter dem Schnee hervor'). Die
Christnacht ist an die Stelle der alten Wintersonnen-
wende getreten, in welcher, wie wir im nächsten Abschnitt
erweisen werden, das himmlische Seelenreich offen gedacht
wurde und seine Wunder, die Prototype aller Wesen und
Dinge schauen liefs. Das wiederkehrende Licht der Sonne
gab dem von der Wintertrauer gedrückten Gemüt die Ge-
währ des wiederkehrenden Frühlings. Das von den Dä-
monen bis dahin verschlossen gehaltene Lichtreich tat sich
auf und zeigte dem Menschen den für ihn aufbewahr-
ten Pflanzenwachstum. Bei Wertheim grünt es in
der Christnacht mitten im Schnee und es zeigen sich
Schätze, die schnell versinken ^), mit dem himmlischen Gar-
ten wird das Sonnengold o. S. 149 fgg. sichtbar. In Schwe-
den sieht man zu Weihnachten auf dem Wintereise
Zwerge mit Garben und Sicheln in voller Arbeit
und schliefst aus der Gröfse der Garben auf die
Ergiebigkeit der künftigen Aernte'^). Wie alt diese
Anschauungen sind, ergiebt die oben S. 440 erläuterte Sage
1) Die Belege für diese weitverbreitete Sage s. Ephemer, acad. uat. cu-
rios. II. d. 1, 872; Acta acad. nat. cur. 1737, 276; Mone imd Aufsess, An-
zeiger f. Kunde der Deutsclien Vorzeit III, 10; Zeitschr. f. D. Mytli. I, 106;
Pfeiffers Germania II, 233. Man scliränkte die Sage später auf einzelne
Bäume ein und einige Exemplare erlangten dadurch Bcrühmtlicit, dass man
als historische Tatsache anführte, von ihnen seien in der Weihnacht wirklich
Früchte gebrochen und dem Laudesherrn übersandt worden. Ein solcher Baum
stand bei Tribur am Khcin, ein anderer bei Gera, zwei im Stift Würzburg.
Die Aepfel dieser Bäume nennt man Dräutleinsäpfel, den Baum Dräut3-
apfelbaum. Vergl. Prätorius , Weihnachtfratzen S. 49. llappcl relat. cur.
I, 00. Mone, Anzeiger f. Kunde d. D. Vorzeit VIII, 180. Wolf, Hessische
Sagen 134, 214. Pauli, Schimpf und Ernst 1535, No. 535. Berckenmeyer,
Cur. antiq. I, 513. 554. 620. Kuhn, Nordd. Sagen I, 404, 132. Baader,
Badische Sagen S. 47, 57.
2) Mone, Anzeiger VIII, 181.
3) Dybeck, Runa IV, 82. Haupt, Zeitschr. f. D. Altert. IV, 501). Vergl.
Pfeiffers Germania II, 233.
470
bei Saxo, wo mitten im Winter dem Haddins blü-
hende Kräuter aus dem Seelenreich von einer Eibin cre-
bracht werden.
Ziehen wir aus dem vorhandenen Material den freilich
noch nicht ganz gesicherten, aber doch höchst wahrschein-
lichen Schluss „itn Winter geht der Pßanzenreichthum ins
Eibenreich und kehrt von hier im Frühling zur Erde zu-
rück.'^
Die weifse Jungfrau, welche zu Osterburg er-
scheint, trägt eine Rose oder Lilie in ihrer Hand (vergl.
oben S. 463 den Segen gegen die Zahnrose). In ihrer
Hole steht schon zu Ostern^ wo draufsen noch alles im
Schnee liegt, ein blühender Rosen- oder Lilien-
busch, oder in der Hole auf einem grünen Platze
blühen drei Lilien'). Im Schlossgewölbe von Wolfarts-
weier erscheint alle sieben Jahre (d. i. nach den 7 Winter-
monaten im Frühling), „wann die Maiblumen blü-
hen," eine weifse schatzhütende Jungfrau, in der Hand
trägt sie einen Straufs Maiblumen^). Im Frühling
eines Schaltjahres triflFt ein Mädchen an der verfallenen
auf einem Hügel im Walde liegenden Barbarakirche
bei Langensteinbach eine weifse Schlüsseljungfrau
mit grünen Schuhen, die hat einen Straufs blauer
1) Pröhle, Harzsagen S. 160. 162. Xo. I — III. Ham's, Niedersächs.
Sagen II, S. 58. No. 23. Die Blume in der Hand der weifsen Fj'au wird an-
derseits zugleich als eine hellstrahlende Kerze bezeichnet. („Die Kerze
ist eine Blume gewesen"). Dies giebt ims einigen Aufschluss darüber, worin
neben dem unsem alten unlösbaren Problem, wohin das Pflanzengrün den
Winter über verschwinde, die Anschauung des Himmels als Garten Anhalt
gefunden hat. Man fasste himmlische Naturerscheinungen als Blumen auf.
Dass die rote Blume, mit welcher der Schatzberg geöffnet wird, der Blitz
sei, war schon oben S. 153 berührt. In der Sieggegend beobachten die Land-
leute bei sonst heiterem Wetter ein leichtes Wolkengchilde, das sie Ilim-
melsblume, Himmelsrose oder Hildenrose nennen (über Hilde s. oben
S. 294). Es verspricht ihnen nach anhaltender Dün-e Regen. Montanus,
Die Deutschen Volksfeste S. 38. In Schwaben sagt man von den weifsen
Wölkchen (Schäfchen) „der Himmel blüht." Meier, Schwab. Sagen. Die
Kerze = Blume in der Hand der Osterrodcr Jungfrau könnte jedoch auch
Zusammenhang mit der seelischen Natur der Elbe haben, vergl. oben
S. 456, Anm. 3 die Sage aus Meier.
2) Mone, Anzeiger VIII, 304. Baader, Badische Sagen S. 209, 220.
471
Blumen in der Hand ^). FrauHulda sah man oft auf
einem Felsen in Franken sitzen, wann die Reben blüh-
ten und mit ihrem Dufte Berg und Tal erfüllten'^). Die
weifse Frau zu Tegernfelden s. o. S. 273, Aum. 3 kommt
im Frühling, wenn die Bäume ausschlagen, aus
dem Berg hervor, streift mit ihrer Hand den Blüten-
staub von den Weidenkätzchen und streut sie in den Bach,
der vorbeifliefst. Dann beginnt sie heilkräftige Kräu-
ter zu pflanzen. Das Kuchenblümlein (auemona pul-
satilla) wächst unter ihrer Hand, sie setzt manches
Hundert E n g el s ü fs c h e n von besonderer Kraft und Würze.
Damit stillt sie die grofse Schaar von Kindern (Seelen der
Ungebornen) , die bei ihr im Berge weilen ^). Nach den
angeführten Sagen erscheint die weifse Frau, Frau Holda
(Perahta, Frikka, Gode u. s. w.) im Frühling, weil dann
die Wiuterdämonen , die sie bisher gefangen hielten, von
ihr abzulassen gezwungen sind. Sie öÖhet dann ihren
himmlischen Garten. Ist es nun auf der einen Seite klar,
dass die Blumen, aus deren honigreichen Kelchen die müt-
terliche Göttin die Ki n der se eleu labt, die Früchte, mit
denen sie sie nährt, im himmlischen Lichtreich wachsen
müssen, so zeigt auf der andern Seite die Schilderung, wie
die weifse Frau im Frühling aus dem Berge kom-
mend Blumen pflanzt, dass man sich in der Tat die
irdischen Gewächse als Ausfluss des Eibenreichs dachte.
Wir sahen vorhin, dass die weifse Frau im Winter
Flachsknollen in ihrer Plöle ausbreitet, Holda und ihre
Begleiterinnen (in Tirol die Säligen Fräulein) werden als
Beschützerinnen des irdischen Flachsbaus vorzugs-
weise verehrt *).
Der hier versuchte Beweis wird durch folgende An-
gaben unterstützt. Perahta (Bertha) ackert und pflügt
1) Mono, Anzeiger V, 321.
2) Zeitschr. f. D. Myth. I, 27, VI.
3) Rocliolz, Sagen des Aargaus I, 221. 247.
4) Myth.^ 247, ebenso in der ganzen Mittelinark Frau Hölleru. Vergl.
über Tirol Hammerle, Neue Erinnerungen aus den Bergen Tirols 1854
S. 8. 14. 19.
472
mit ihrem Pfluge unter der Erde, wenn die Men-
schen oben pflügen und ackern; sie streut, wenn
der Landmann seine Felder besät, den besten Sa-
men zugleich mit aus. Auf ihr Gebot müssen die
Heimchen die Felder und Fluren der Menschen
bewässern, und wenn es zu trocken wird, die
QuellenausderTiefe zu den Wurzeln derBäume
und Früchte leiten^;. Im Zwergloch bei Hildesheim
schmiedeten die Zwerge unter der Erde Gold und Silber.
Von der Hitze ihrer unterirdischen Schmiede wuchs das
Korn oben so, dass es eine Pracht zu sehen war.
Es sollen bisweilen goldene und silberne Körner
in den Aehren gewesen sein. Seit die Zwerge
fort sind, wächst das Korn dort nicht mehr so
gut-). In der Gegend des Wohldenberges sah es vor der
Ankuft der Zwerge traurig aus. Da kamen die Zwerge,
leiteten Wasseradern dahin, erwärmten durch
ihre unterirdischen Feuer den Boden und mach-
ten die Erde fruchtbar^). Der Tanz der Schwei-
zer Bergmännlein auf den Matten zeigt ein gesegnetes
Jahr an *).
Der Inhalt der so eben zusammengestellten Sagen ist
kein anderer, als dass die Zwerge (als gute Wesen aufge-
fasst), also bei Holda im Glasberg weilende Seeleu, Gei-
ster der gestorbenen Voreltern, in Hervorbringung des
Pflanzenwachstums wirksam sind. Da die Zwerge als
schmiedende Wesen galten, so lag es nahe, die erstere Tä-
tigkeit mit der letzteren zu verbinden. Wie die Sonne als
Zwergenarbeit galt (erfiöi dverganna s. o. S. 378, Anm. 7),
so glaubte man, dass die himmlischen Künstler die Pflan-
zen schmieden und sie mit himmlischem Kegeuwasser —
die Zwerge sind ja Wolkendämonen — befruchten. Von
Frau Holda heifst es in Franken, dass sie frommen Mäd-
1) Börner, Sagen aus dem Orlagau. S 115.
2) Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen S. 116, 140, 13.
3) Colshorn, Märchen imd Sagen 118.
4) Grimm, Deutsche Sagen I, 387, 298.
473
eben bei der Feldarbeit bilft'). Dasselbe gilt in Tirol
von Frau Hulda und den Säligen Fräulein, ibren Beglei-
terinnen. Von den Zwergen wird vielfach berichtet, dass
sie den Menschen in den Verrichtungen des Ackerbaues
und namentlich in der Aernte beistehen. Oft gewahrt man
sie in den Wipfeln der Obstbäume sich wiegen und mit
einer reifen Frucht fällt wol auch ein Zwerglein herab.
Da wir nun Holda als die Wasserfrau und die Zwerge
ebenfalls als ursprünglich himmlische Wesen kennen und
noch weiter nachweisen werden, so ist es klar, dass die
Grundlage dieser Sagen in der Ueberzeugung wurzelt, dass
diese Wesen durch ihre Wirksamkeit das Wachsen und
Reifen der Gewächse förderten. Es ist eben nur eine nie-
dere Darstellung ein und derselben Idee, wie bereits W.
Müller ausgesprochen hat -). Dieselben Zwerge also, wel-
che wir vorhin oben S. 469 im Winter das Getreide im
himmlischen Lichtreich ziehen und einärnten sahen , brin-
gen es auch auf Erden zur Ileife.
Wie neben der Vorstellung, dass die Zwerge die Sonne
geschmiedet haben ^), die andere herläuft, dass die Son-
nenstrahlen lichte Elbe selbst sind, s. o. S. 378. 438, was
das S. 423 angeführte Dänische Sonnenlied noch bestimm-
ter ausspricht, indem es die Elfen (Engel), damit die Sonne
scheinen könne, zu unserm 1. Herrgott emporzuklimmen;
so mag auch neben dem Glauben, dass die Pflanzen kunst-
volle Zwergenarbeit seien, die andere gewaltet haben, dass
die Gewächse Elbe selbst, mit dem grünenden Gewände
zeitweihg umkleidete Seelen sind. Wir zeigten bereits oben
S. 439, dass sich die Seelen := Elbe in andern elementa-
ren Erscheinungen wirksam zeigen, sie spenden den Regen
1) Zeitschr. f. D. Mytli. I, 23.
2) W. Müller, Altdeutsche Religion S. 337. Unrecht aber hat der ge-
schätzte Gelehrte, wenn er als eine Veririung bezeichnet, dass bei anderen
Gelegenheiten die Zwerge diebischer Weise die Frucht von den Feldern steh-
len, die Körner für sicli einsannneln. Sie sind hier von ihrer bösen verderb-
lichen Seite als Winterdämonen aufgefasst, die den rflanzenreichtum den Men-
schen wieder nehmen und in ilir (himmlisches) Kcicli entführen.
3) Vergl. im Finnischen Epos den llmariueu, der Souuc und Mond
schmiedet.
474
und Schnee ^), sie verursachen Wind, von ihnen gehen die
Sonnenstrahlen und der Glanz aller Gestirne aus ^), Es
darf daher nicht befremden, sie auch in der organischen
Natur ihre Tätigkeit entfalten zu sehen.
Für diese Behauptung kann ich folgende Gründe auf-
weisen. Zunächst sind die Elbe Seelen, Seelen aber er-
scheinen als Blumen oder Bäume, s. oben S. 403. Ebenso
nehmen auch Elbe Pflanzengestalt au. Auf dem Kirchhofe
von Store -Heddinge in Seeland finden sich Ueberbleibsel
eines Eichenwaldes. Das sind, sagt der gemeine Mann,
des Elfenkönigs Soldaten, bei Tage sind sie Bäume, bei
Nacht tapfere Krieger. Im Walde bei Rugaard auf der-
selben Insel ist ein Baum, aus dem in der Nacht ein gan-
zes Elfenvolk wird, das lebendig herumläuft. An einem
andern Orte wächst ein Hollunderbaum in einem Pacht-
hofe, der sehr oft in der Dämmerung spatzieren geht und
durchs Fenster guckt, wenn die Kinder allein im Zimmer
sind ^). Die Buche Maren im Nidloese Wald bricht allen
Holzdieben in ihrem Bezirk Arm und Beine. Ein Bauer,
der sich mit einer Elfmaid (ellepige) verlobt hat, umarmt
statt seiner lieblichen Braut einen Eichstamm *). Bei Gun-
dalskol stand in alten Tagen eine Eiche, darin hat ein
Bjaergmand 200 Jahre gewohnt, ist aber vertrieben worden,
als die vielen Kirchenglocken ins Land kamen ^). Ein
Knecht in Södermanuland war im BegriiF einen Wachol-
der umzuhauen, als eine Stimme erscholl: „hau den Wa-
cholder nicht." Er kehrte sich nicht an die Warnung, da
rief es noch einmal: „ich sage dir, hau den Baum nicht
ab." Nach anderer Erzählung floss beim zweiten Hieb
1) Vergl. Wenn es schneit, so schiitteu die Engel ihr Bett aus.
2) Hierauf weist u. a. auch der Ghiube des hessischen Landvolkes, dass
die Sternschnuppen Gehülfen des bösen Feindes sind. Ruft man sie an
oder beschimpft sie, so werden sie wild und M'erfen mit faulen Käsen. Wenn
Jemand in demselben Augenblick, wann die Sternschnuppen fallen, einen
Wunsch hegt, geht er in Erfüllung. "Wolf, Hessische Sagen S. 137, 219.
3) S. Keightley, Mythologie der Feen und Elfen übers, von 0. L. B.
Wolf I, S. 172, nach Thiele, Danske folkesagii.
4) Petersen, Nord. Mythologie 108.
5) Grundtvig, Gamle Danslie minder I, S. 59.
_ 475
Blut aus der Wurzel, der Mann begann bald darauf zu
siechen und starb '). Im Hollunderbaum (sambucus nigra)
wohnt nach dänischem Glauben die Hyldemoer, man darf
ihn nicht umhauen, ohne plötzlich dem Tode zu verfallen,
ja nicht einmal etwas davon zu brechen war erlaubt, ohne
dreimal zuvor zu sprechen: „O Hyldemoer, lass mich et-
was von deiner Erle nehmen und ich will dich dafür etwas
von meiner nehmen lassen ^)." Ganz ebenso dachte man
sich in Deutschland die Bäume als belebte Wesen. Mit
der „Frau Hasel" führen unsere Volksheder Gespräche;
die Eiche, der Wacholder, die Fichte und andere Bäume
werden ebenfalls „Frau" angeredet. Auch bei uns galt
ein ähnliches Gebet an den Hollunder, wie im Norden:
Frau Ellhorn, gieb mir was von deinem Holz, dann will
ich dir von meinem auch was geben, wann es wächst im
Walde'')." Aehnhche Beispiele sind Myth.^ 617 fgg. zu-
sammengestellt. Ein Bauer will aus einem Kirschbäum-
chen eine Flegelrute machen. Als er hineinschnei-
det, ruft es aus ihr: „au weh!" Ebenso beim zwei-
tenmal, worauf der Bauer sich mit Grauen davonmacht.
Am folgenden Tage ist das Bäumchen verschwun-
den. Dasselbe wird von einer Birke erzählt, aus der es
beim Einschneiden „o Jesus" ruft, und die später nicht
wieder zu finden ist ■*). Die Nixjungfrau erscheint in der
Gestalt der Wasserblume Nymphaea, die davon Nix-
blume, Näckblad, Muhme, Mummel und, wie die
Nixen den Schwanjungfrauen gleichstehen, Swannebloom
Schwanblume genannt ist. Eine thüringische Sage kennt
eine feurige Kuh, die sich in einen Birkenbaum und
dann in ein altes Weib verwandelt^). Die Kamillen-
blumen (matricariae) heifsen auch Heermännchen und
1) Afzelius, Svenska sagohäfder II, 147.
2) Keightlcy a. a. O.
3) Arnkicl, Cimbrische lleidcnrcligion I, 179.
4) Baader, Badische Sagen S. 172, 184.
5) Bechstein, Sagenschatz des Thüringer Landes I, 126.
476
sind verwunschene Soldaten '). Man könnte wohl zweifeln,
ob Shakespeares Elfennamen Peaseblossom (Erbsenblüte)
lind Mustardsead (Senfsame), welche auf die Vorstellung
hinweisen, dass man sich die Elfen pflanzengestaltig dachte,
aus dem Volksmunde geschöpft sind ^), aber auch die heu-
tige Volks Überlieferung der Fläminge weifs davon, dass
nicht allein die Wasserbollen in lischleeren Weihern, son-
dern auch die Tröpfchen, welche sich an schattigen Orten
in den Blumen finden, von Elfen bewohnt sind, und ge-
wisse Kräuter Elfenblatt und Tooveressenkruyd, mit denen
die gleichen Vorstellungen einst verbunden gewesen sein
werden, darf man nicht abschneiden ^). Da die Hexensa-
gen grofsentheils auf Elbensagen beruhen, weisen die von
Grimm bereits beigebrachten Hexennamen dieselbe Spur:
Grünlaub, Grünewald, Lindenlaub, Lindenzweig, Eichen-
laub, Birnbaum, Birnbäumchen, liautenstrauch, Buchsbaum,
Hölderlin, Hurlebusch u. s. w. *). Eine Gräfin soll den
Namen des Zwergs Purzinigeli raten. Sie sagt Tanne,
Fichte, Föhre u. s. w. ^). Ich weifs nicht, wie begründet
die Angabe in Arndts Märchen und Jugenderinnerungen
sein mag, dass die Elbe, wenn sie alt werden, sich in
Bäume und Sträucher verkriechen und so verwachsen.
Sieht man einen auffallenden Knorren '^), oder hört wunder-
bare Klänge, Aechzer und Seufzer, von denen Niemand
weifs, woher sie kommen, so sei das der Elf im Baume.
Bestätigend zu den hier beigebrachten Angaben tritt nun
der durchgehende Zug der Sagen, dass die Elbe aller Art
grün gekleidet sind, oder wenigstens ein grünes Kleidungs-
1) Schmalfufs, Die Deutschen in Bölimen. Trag 1851 S. 102. Rocholz,
Aargauische Sagen S. 359.
2) Ich bin augenblicklich nicht in der Lage, William Bell, Shakespeares
Puck and his folkslore, London 1822 und James Prichard Halliwell, Illustra-
tions of the fairy mythology of a midsummernightsdream , London 1845,
nachzusehen.
3) Emancipation 1837, No. 163.
4) Myth.2 1016.
5) Zingerlc KHM. S. 228. No. 36.
6) Es stimmt dies damit, dass die Unformen an den Bäumen von Ma-
ren herrühren. Wolf, Beiträge II, 271.
477
stuck an sich tragen. Zunächst erscheinen die weifsen
Frauen mit grünen Schuhen'), oder auch ganz in grün
gekleidet ^), dieselbe Tracht finden wir bei den Nordischen
Huldre^). Andere Geister dieser Art tragen eine grüne
Schürze*). Grün wiederum sind sowol die Gewänder
von Nixen ^), Zwergen") und Hauskobolden ^) als
auch der Geister in der wilden Jagd und des wilden Jä-
o-ers selbst^), ja ein Hauskobold hat ein grünes Gesicht
und grüne Hände ^). Auf Rügen giebt es vier verschie-
dene Arten von Unterirdischen grise, schwarze, grüne und
weifse '").
Wenn nun auch die grüne Farbe der Nixe — wie
Wolf mit Recht bemerkt — daraus sich erklären möchte,
dass die Farbe des AYassers grün ist, so wie die grüne
Kleidung der wilden Jagd aus dem grünen Anzug der Jä-
ger, so heischt doch diese Farbe bei den andern Eiben
eine andere Erklärung. In Bezug auf die grüne Kleidung
der weifsen Frauen spricht sich Wolf") folgendermafsen
aus: „Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich in die-
sen Zügen eine Personification der Pflanzen sehe. Der mit
grünem oder gelbem Pantoffel bekleidete Fufs ist die Wur-
zel, die in der grünen, oder mit welken gelben Kräutern
bedeckten Erde wnirzelt. Sehr richtig stehen neben den
1) Baader, Badische Sagen. Kulin, Märkisclie Sagen S. 2üG. Stöber,
Elsäss. Sagen S. 21.
2) Wolf, Beiträge II, 240. 252. Thiele, Danske folkesagn I, 109. Som-
mer, Thüring. Sagen 17, 12. Brand, Populär antiquitae ed. EUis II, 279.
3) Faye, Norske sagn S. 42.
4) Kocholz, Aargausagen I, 214.
5) Grimm, D. Sagen I, No. 52. Thiele, Danske folkesagn II, 289.
Wolf, Beiträge II, 282.
6) Roeholz Aargausagen I, S. 359. "Wolf, Beiträge II. kap. Zwerge.
So Grundvig, Gamle Danske i folkenumde II, S. 74.
7) Roeholz a. a. 0.
8) Roeholz a. a. 0. I, 213. Schon 0' inn erseheint ,,i heklu granni"
in grünem Mantel. Fornaldarsög. I, 324. Vergl. den Grönjette.
9) Wolf, Niederl. Sagen 570, 474.
10) Zeitschr. f. D. Myth. II, 142, 3, 1. Auch die keltischen Sagen ken-
nen die grüne Tracht der Elfen. S. Walter Scott, Älinstralsy II, 152. 154.
160. 164. Grimm, Irische Elfenmärchen S. XX. XXXVII. Das wilde Ilccr
fährt grüngekleidet auf der Insel Man daher. Waldron, Works p. 132. Iri-
sche Elfenm. LXXXIV.
11) Beiträge II, 240.
478
Goldpantoffeln die gelben Haare, denn, wenn die Kräuter
welken, welkt auch der ganze Baum und sein Laub wird
gelb. Wenn die Eibin, welche die Pflanze bewohnt, diese
verlävSSt, tritt sie in ihrer göttlichen Klarheit d. h. weifs
auf, das Haupt mit goldenem Stirnband geschmückt oder
von weifsen Schleiern umwallt. Nur durch diese Annahme
erklärt sich der Zug in der Sage vom wilden Jäger,
der eine Menschenlende herabwirft, woran noch ein grü-
ner Schuh sitzt'), so wie jene andere die uns denselben
schildert, wie er die Moosweibchen mit ihren gel-
ben Haaren vor sich auf dem Pferde hält, so
dass sie von beiden Seiten herabhangen. So sind denn
diese Moosweibchen nichts anderes, als den weifsen ver-
wandte Waldweibchen und auch die Waldweibchen und
wilden Weibchen fallen mit ihnen zusammen." Die von
Wolf erwähnten Moosweibchen oder Waldweibchen ^) und
Lohjungfern sind nun allerdings Pflanzengenien. Die
Moosleute sind Geister klein von Gestalt und ganz in
Moos gekleidet. So oft ein Mensch ein Bäumchen
auf dem Stamme driebt, dass der Bast abspringt,
muss ein Waldweibchen sterben, und deshalb war-
nen sie auch die Landleute „schäl keinen Baum." Sie
stehen unter der Herrschaft einer Königin, welche die
Buschgrofsmutter heifst. Der einzige Schutz der Moos-
weibchen gegen den wilden Jäger sind Baumstämme,
die mit einem Kreuz bezeichnet wurden. Auch
schon Müllenhoff sprach aus, dass die Moosweibchen und
Moosmännchen Baumelbe, Personificationen des Blättergrüns
seien ^), Wolf trennt die vom wilden Jäger gejagten Loh-
jungfern und Bairischen Waldweibchen von den Thüringi-
schen Moosleuten, erstere weisen nach ihm im allgemeinen
auf Waldfrauen, auf Genien der Bäume hin, die letzteren
gelten ihm als Geister der mehr am Boden haftenden klei-
1) Kuhn, Nordd. Sagen 478, 76.
2) Vergl. über diese Menzel Odin S. 212, 6.
3) Sagen Vorrede S. XL VI, XL VII.
479 _
nereii Pflanzen '). Diese Auffassung ist jedenfalls zu ein-
seitig; mit ihr ist das Wesen der Moosleute, wilden Weib-
chen und weifsen Frauen keineswegs erschöpft. Die Moos-
weibchen helfen den Menschen in der Küche und bei der
Aernte, ara liebsten aber beschäftigen sie sich am Ofen
mit dem Unterhalten des Feuers, dem Brodbacken u. dgl.^).
Sie lassen sich ihren zerbrochenen Schubkarren wieder
ganz machen und verwandeln die abgefallenen Späne in
Gold ^), grade wie Frau Bertha, Holda, Göde ihren Wa-
gen verkeilen, dass die goldenen Spähne (die Blitzfunken)
davon fliegen, s, oben S. '~84, Anm. 2. 297. Wenn wir
nun in diesem Wagen bereits a. a. O. die Wolke erkann-
ten, wird der Schubkarren der Moosweibchen nichts ande-
res sein. Dass dieselben überhaupt den alten Wasserfrauen
gleichstanden, geht daraus hervor, dass die Jagd Wuotans
auf sie sonst von einer einzelnen Frau erzählt wird, wel-
che längst als die Frikka, Holda oder Freyja bekannte
Göttin, die alte Wasserfrau erkannt ist *). Besonders glei-
chen den Thüringischen Moosweibchen mit ihrer Königin
der Buschgrofsmutter die Säligen Fräulein in Tirol unter
der Herrschaft der Hui da. Diese helfen auch den Men-
schen bei der Aernte und den häuslichen Verrichtungen ^).
Auch sie werden von Wuotan verfolgt, nach der jetzigen
Sage von einem wilden Mann, der bei schönem Wetter
einen Mantel trägt, um wie er sagt, bei schlechtem tun
zu können Avas er wolle. Wenn er eines Stocks benötigt
ist, reifst er (der entwurzelnde Sturmgott) einen Baum-
stamm aus und der Baum mit den Wurzeln dient ihm als
Staggel. Auch Hui da und die Säligen Fräulein finden
nur dann Schutz auf ihrer Flucht, wenn sie einen
Baumstamm erwischen, in welchem ein Kreuz
eingehauen ist^). Offenbar aber sind die Säligen Fräu-
1) Beiträge II, 142.
2) Börner, Sagen des Orlagaus S. 189 fgg.
3) Bömer a. a. O. S. 205 fgg.
4) S. oben S. 290. 291.
5) S. Hammerle, Neue Erinnerungen aus den Bergen Tirols S. 21.
6) Firm. II, S. 669.
480
lein himmlische Wesen. Sie, die den Flachsbau fördern,
ziehen singend in den Lüften einher'). Was von den
Saugen Fräulein gilt, wird auch auf die Moosweibchen
Anwendung haben. Wiederum steht den Säligen Fräulein
die im Berge (der Wolke) wohnende Schwäbische Ur-
schel mit ihren Nachtfräulein gleich, die auch ein grünes
Gewand trägt. Auch die andern weifsen Frauen, die
grüne Kleidung tragen, geben sich als Wasserfrauen deut-
lich zu erkennen. So wohnt die grüne Jungfer auf dem
Hausberge bei Eisleben im verwünschten Schloss im
Berge (der Wolke) und erscheint nur alle 7 Jahre. Sie
trägt ein grofses Schlüsselbund -}. Ebenso wohnt die weifse
Frau von der Barbarakirche (Baader S. 164, 184) die ei-
nen grünen Schuh trägt, in der unterirdischen Hole bei
ihren Schätzen, welche eine Kröte und ein schwarzer Hund
hüten. Dasselbe Ergebnis liefern die andern Sagen, in de-
nen die weifse Frau grün bekleidet erscheint. Der grüne
Schuh an einer Menschenlende, die aus der wilden Jagd
herabfällt, s. oben S. 478 gehört keinem andern Wesen
1) Hamnierle a. a. 0. S. 20. — Firm. II, G69 wird von einem Säligen
Fräulein erzählt, das sich mit einem Menschen vermählt nnd mit ihm Kin-
der zeugt, aber mit denselben augenblicklich und für immer verschwindet,
als er ihre Herkunft offenbar macht. Sie giebt sich damit also als
Mare, als Bewohnerin des himmlischen Lichtre Ichs, wohin sie
wieder zurückkehrt, kund. — Eine andere Sage (Hammerle S. 8 fgg.)
berichtet, dass die Säligen Fräulein am Ausgang einer Berghöle im Mond-
schein auf bemoosten Steinen lagen und liebliche Lieder sangen. Ein Hirte
findet sich jeden Abend bei ihnen ein mid lauscht ihrem lieblichen Gesang.
Seine Fiau folgt ihm einst aus Eifersucht und schneidet dem einen Fräulein
die goldenen Haarflechten ab. Das Fräulein giebt dem Hirten nun ei-
nen Gürtel für seine Frau, der, um eine Zaunsäule gespannt, dieselbe sofort
zerreifst. Hier haben wir zunächst dieselbe Sage, welche von den wilden
Weibern im Unterberg (Grimm, D. Sagen I, 65) berichtet, dass ein Bauer
sich in eine wilde Frau ihrer schönen Haare wegen verliebte und sich
allnächtlich bei ihrer Lagerstätte einfand, ohne jedoch eine Untreue gegen
sein Weib zu begehen. Dieses folgt ihm einmal und findet ihn bei der wil-
den Frau schlafend. Da sagt die Bäuerin: „O Gott behüte deine schönen
Haare, was tut ihr da miteinander." Diese wilden Weiber im Unterberg
rauben Kinder, welche später in grünem Gewände auf den Felsen sitzend ge-
sehen werden. Die Gürtelgeschichte wird sonst von Drüten, Maren und Zwer-
gen erzählt.
2) Sommer S. 17, 12.
481
als der Bergjungfer, der Wolkengöttin, der Wasserfrau').
Durchaus nicht anders stellt sich die Sache, wenn wir die
andern grüngekleideten Mythenwesen ins Auge fassen. Im
Pilatusberge hausen Erdmännchen d. h. Zwerge, welche
grüne Röcke tragen. Als Wolkenwesen aber oder in der
Wolke hausende Winde geben sie sich durch folgendes
zu erkennen: 1) tragen sie Hüte mit der roten Blitzfarbe
und haben Gänsefüfse. Die Gans, die dem Schwan
mythisch gleichsteht, ist Symbol der Wolke; 2) wohnen
sie in der Berghöle; 3) locken sie Abends um die
Betglockenzeit die Kühe an sich und fahren mit
ihnen durch die Luft und schicken sie erst nach
3 Tagen ausgemolken wieder zurück. Vergl. oben
S. 50. 51. Gegen ein tägliches Milchopfer melken sie täg-
lich die Heerde und segnen überhaupt den Viehstand, s.
oben S. 52 fgg. ^).
Das Hardsmännli bei Meier No. 99 ist ein durchsich-
tiges Licht, als Seele, und dabei doch grün gekleidet.
Wenn der wilde Jäger in Moos gekleidet auftritt '^), so
kann das nicht auf die grüne Jägerkleidung gedeutet
werden.
Finden wir mithin, dass Moosweibchen nach einigen
Sagen himmlische Wasserfrauen sind, nach anderen in der-
selben Gegend als Pflanzengenien auftreten, so sind wir
— denke ich — wol berechtigt, in ihnen Seelen zu sehen,
welche zuweilen in den coelestischen Erscheinungen des
Regens und Windes walten, zu Zeiten zur Erde herabge-
stiegen einen Pflanzenleib ausfüllen. Wenn die weifsen
Frauen, Zwerge und ähnliche Wesen, die ja auch Seelen
sind, gerade in denjenigen Ueberlieferungcn, welche sie als
1) Mit Recht trennt Wolf, Beiträge II, 142 fgg. die von Wuotan ge-
jagten Moosweibchen und die gejagte einzchie Frau als zwei besondere Sa-
genfamilien, aber beide sind für xniserc Betrachtung d. h. in ihrem Ursprünge
nur eins. Die letztere ist die Wasserfrau als Göttin aufgefasst, die crstcren
stellen die Wasserfrauen in ihrer Vielheit als Eibinnen dar.
2) Rocholz, Sagen des Aargaus S. 325 fgg. 231, I. (50).
3) Ilammerlc a. a. 0. S. 20.
31
482
Wind- oder Wolkengeister (Wasserfrauen u. s. w.) schil-
dern, grüne Kleidung trugen, so möchte ich darin eine
Erinnerung der Sage daran sehen, dass auch ihnen es zu-
stand, zu Zeiten in Pflanzengestalt zu erscheinen. Die See-
len der Abgeschiedenen, die Elbe haben ihre Wirksamkeit
in allen Lebensäufserungen der Natur.
Vielleicht darf man auch in der Edda eine Spur die-
ser Vorstellungen erkennen. Es ist mehrfach von iviöjur
Waldgeistern (d. i. die im Baume oder Holze leben) die
Rede, im dunkeln Liede Hrafnagaldr OSins 1. heifst es:
elr i vis ja aldir bera „es nährt (oder mehrt) die ividie,
die Zeiten gebären." Ganz richtig, wie mir scheint, fasst
Petersen ') ividja als „den friigtbare natur" auf, die Elbe
sind, wie schon ihr Name s. oben S. 46, Anm. 4 besagt,
die nährenden, und darum auch in den Pflanzen wirksa-
men Lebensgeister. Nun sagt die Vala '^) :
Niu man ek heima,
niu iviöi,
mjötviö moeran
fyr mold neSan ^).
Also in jeder der neun Welten befindet sich ein Wald,
der als Aufenthalt der iviöjur gedacht sein muss, da die
For iviör nur aus iviöja geschlossen scheint "). Offenbar
liegt uns hier eine Vervielfältigung des irdischen und himm-
lischen Pflanzenwaldes nach der eddischen Neunzahl der
Welten vor. Dieselben Geister, welche im irdischen Baume
leben, bewohnen den himmlischen Pflanzenwald, wie die
Huldre, weifsen Frauen, Zwerge u. s. w. im himmlischen
Aufenthalt das grüne Kleid beibehalten.
Noch dunkler als das eben dargelegte Verhältnis der
1) Nordisk mythologi S. 103.
2) Völuspä 2.
3) Neun Welten weifs ich — neun iviör (Innenwälder), — den ruhm-
reichen Mittelstamm (die Esche Yggdrasill, den Weltbaum) auf dem Grunde
nieden.
4) Die Form ivi'Sr hat sprachliche Schwierigkeit und deshalb setzt der
Schreiber des Cod. Aniamagn. das sprachlich gefügigere, aber hier sinnlose
viSjur.
483__
Elbe = Seelen zur Pflanzenwelt, das ich keineswegs
als bereits erwiesen, sondern nur vermutungsweise aufge-
stellt wissen will, ist dasjenige der Elbe zur Tierwelt.
Kommt der irdische Pflanzenwachstum aus dem himmli-
schen Lichtreich, so werden wir vermuten dürfen, dass da-
selbst die irdischen Kräuter vorgebildet sind, dort ihre Pro-
totype haben. Ob auch die Tiere? Wie ich in Wolfs
Beiträgen II. im Capitel über die Seelen ausgeführt habe,
können die Seelen die mannichfaltigsten Tiergestalten an-
nehmen. Von mehreren derselben wissen wir nun bereits,
dass sie in Engelland, dem himmlischen Lichtreiche, zu
Hause sind. Ich nenne den Schwan, den Hasen — der
nur eine andere Gestalt des Hundes der wilden
Jagd, eine Personification des Windes und da-
rum psychopomp ist — den Marienkäfer u. s. w.; vom
Storch werden wir weiterhin reden. Vom Bock sagt ein
pommerellisches Rätsel: Es kommt ein Männchen aus En-
gelland, hat'n beschlagenen Backenbart ').
Weiteres Material zur Entscheidung der oben ange-
führten Frage scheint ein von mir bereits Zeitschr. f. D.
Myth. III, 225 fgg. 398 teilweise besprochenes Lied zu
gewähren. Ich habe dasselbe an ersterem Orte irrtümlich,
in Folge einseitiger Berücksichtigung der holsteinischen
Variante, als Tierhochzeit bezeichnet.
1.
Hott hott habermann
treck din vader sin stäweln an,
sett di up dat beste pert,
bistu hundert daler wert.
he red' bet hier, he red' bot dar,
he red' wul hen na Franken.
un as he hen nä Franken kern
da muss he sin Verwunderung sen.
1) Iliezu vergl. man Ir. Elfenmärchcn S. XL. ,,Dic Ziegen sind die
Frexmde der Elfen, sie stehen mit denselben in gutem Vernehmen und sollen
mehr wissen, als man dem Anschein nach glauben möchte."
31*
484
dar set de ko bit für im spunn
dat kalf leg in de weg iin sung.
de katt, de wusch de schötteln üt
de hund, de knaed de botter üt,
de fleddermüs, de fagg dat hüs,
de swölken mit a^r spitze snüt,
de swölken drögen den dreck herüt.
un achter de gröte schün
da döschten dre kapün u. s. w. ').
2.
Kikeriki, du grote hän,
wann wiltu üt to denen gän?
un as ik üt to denen ging,
sach ik en grotet wuuner an.
Bälam leg inne weg un sung,
bükü set ant für un spunn,
de müskatt'n karrn de botter.
Fleddermüs
fägd dat hüs,
de brummers häln de koi to hüs,
de flegen schull'n se melken.
Achter in de schüne
do stunnen dre kapüne. u. s. w. ^).
3.
Kikeriki du rode hän,
len mi din vergüldten sporn,
ik will därmit na Thomas gän.
Un as ik vor Thomas döre kam
1) MUllenhofF, Sagen S. 475 fgg. Iliezu vergl. Schmidt, Bremenser Kin-
der- und Ammenreime S. 10, 3: Ik guug mal hen na Grambke, da kek ik
uuner de planke, un as ik in dat bürlius kam, da seg ik mit verwundrung
an: de ko , de sat bit für un spunt, dat kalf lag inner wegen un sung, de
katte karm de botter, de hund, de wusch de schottein. De fleddermüs, de
fegd' dat hüs, de swalke drog den stof herüt met eren langen flegeln. Sunt
dat nig dikke lägen?
2) Friedrichstadt in Schleswig miindl. Die Fortsetzung Zeitschr. f. D.
Mjth. UI, 226. 1
485
dö seg ik'n egen verwundrung an;
de kö, de set bit für im spunn
dat kalf leg inne weg un sung
de katte wusch de schötteln,
de hund, de drög se af.
de fleddermüs
de fegt dat hüs,
de swälken drögen't müU hennüt,
un för de gröte döre
da stunden so grote kapünhäns före,
de fungen an to schreien:
van hier an
van dar an,
haben wTint de rike mann,
de let üs allens wassen,
god ha wer un göd flassen^).
4.
Hop hop hop habermann!
tu dm perd de spören an,
ri därmit nä Amsterdam,
van Amsterdam nä Spanien
(van Spanien na Oranien).
Un as ik nä Oranien kam
do sog ik 'n grötet wunder an.
de ko, de set bit für un spunn,
de kalf, de leg in de weg un sung.
de katte wusch de schötteln.
de fleddermüs, de fasgt dat hüs,
de swälken drögen't müU hennüt,
de kreien smükken de wanden
mit rötsideneu banden,
un baben stund de brüt,
de har'n gröten bürrock an,
dar hungcn wol düsend klokken an.
de klokken fungen an to klingen.
1) Oldenburg Thölc und Strakerjan, Aus dem Kinderlcbeu S. 86.
486
lewe engeis fungen an to singen:
hierhen, darben
bäben wänt de rike mann,
rike mann to pere;
üse lewe here,
let wassen
göd körn un god flassen,
göd körn un göd linsät
(froken es dat nig'n göden hüsrät) ').
5.
Kikeriki! säd de han,
trock sek blanke steweln an,
he gonk ut to frigen
en dat land Marigen,
un as he wedder na hüse kam
mäkt de hund dat bett,
de katte wascht de schötel up,
de müs, de faegt dat hus,
de spärling drög den dreck üt,
he flog wol öwer de wide se,
he fung e feschke,
win en de kann,
röp üt, röp üt! ^).
1) Thöle und Strakerjan a. a. 0. S. 87, daraus Firm. I, 231. Vergl,
Bochum (Grafsch. Mark) d. "Woeste: Kükerükü siet use Mn, hiät twäi gülne
spuaren an, hä geng ok wual näm dynien un wul sin geld verswymen (ver-
smimeln, durchbringen); de kau de sät bim für un span, de katte käimde
bueter, dat kalf lag in der waig' un sang, de rüe wosk de schüetel, de pliaer-
müs da kiärde 't hüs, de mügge drang den dreck herüt op den baiden flU-
gels. — Iserlohn : Kückelekük sag' uese häne, da räit 'e de fair spuären räne,
un räit dämed nä Amsterdam. Te Amsterdam was nUms te hius,
as katten un ruiens alläine. De katte wosch de bueter, de ruie käirde 't
hius iut, de pliaermüs smäit den drek heriut, et kähveken sät fiiärm fuir un span.
2) Pommerellen mündl. Die beiden ersten Zeilen auch: De grote tipp-
hän de ging met blanke sporen. Die dritte und vierte Zeile auch: he gonk
op de frige en det land Marige. Vergl. Simrock, Kinderb. ^ 154, 624: Ki-
keriki du rode hän, o len mi doch din sparen! ik well üt to frien gän,
dat sali nich lange waren! Meklenburg d. Cand. Latendorf in Neustrelitz:
Kürekükü het unser hän. Kum wi will'n hen frigen gän. As wi vor kü-
küriikii kemen segen wi'n groten wunder an. u. s. w. — Barmen d. Woeste:
Kückelükü federhän, tüh dine geülnen spörkes an, gang üt freien en de
häwerdeien! as ek en de häwerdcien kom, da woar u. s. w.
487
6.
Ist sie tot, so bleibt sie tot,
Wir wolln sie begraben unter die Rosen rot.
Wir wolln sie begraben vor die Kirchentür,
Dann beten die Geistlichen alle Sonntag dafür.
Wir wolln sie begraben unterm Rosenstrauch,
Dann wächst eine schöne Blume darauf.
Dann kommt ein Ritter schön und gut,
Und steckt die Blume an seinen Hut.
Als nun der Ritter nach Stolzenburg kam.
Da safs die Kuh beim Feuer und spann;
Die Katz wusch die Schüsseln;
Die Fledermaus kehrt das Haus;
Die Schwalbe Avarf den Dreck heraus.
Anne Marie safs hinter der Trapp
Und füttert das Kind mit Zuckerpapp,
Met Nateln •).
7.
There was a wee yowe
hippin frae knowe to knowe,
it lookit up to the mune (moon)
and saw mae ferlies na fyfteen.
it took a fit in ilka band
and hippit awa' to Airland,
fra Airland to Aberdeen.
and when the yowe came home again,
the gudeman was outbye herdin the kye
the swine were in the spence (innerroom), ma-
kin the wej,
the gudewife was butt an' ben, tinklin the keys
and lookiu over lasses, makin at the checse,
the cat in the ashehole, makin at the brose —
down feil a cinner and burnt the cat's nose,
and it cried: yeowe, jcowe, jeowe! ^).
1) Münstersche Goschichteu uud Sagen S. 213.
2) Chambers, Populär rhymca of Scotlaud S. 45.
488_
Dass dieses Lied kein Spottgedicht, ergiebt sogleich
der eruste altertümliche Ton, iu welchem es gehalten ist,
nur die schottische Variante spielt ins Scherzhafte über.
Da aber noch zu wenige Varianten vorliegen, um mit Si-
cherheit den echten Bestand des ursprünglichen Liedes
herauserkennen zu können, wage ich es nicht mit Bestimmt-
heit für mythisch zu nehmen, kann aber nicht unterlassen
die Aufmerksamkeit auf folgende Dinge hinzulenken. Das
Land, wo die wunderliche Wirtschaft sich befinden soll,
wird in I. Franken genannt, was in dem neapolitanischen
Liede oben S. 422 unserm „von Enge 11 and nach Spanien,
von Spanien nach Oranien" gleichsteht. Diese letztere
Lesart ist nun offenbar für 4. anzunehmen, da Amsterdam
durch die Erinnerung an ein anderes Lied hineingekommen
ist'). Entsprechend hat 7. die Wendung: to Airland,
fra Airland to Aberdeen. Sehr beachtenswert und
mit Engelland ganz gleichbedeutend ist in 5.: „dat land
Marigen," d. h. Marieuland. Maria tritt nun auch in 4.
auf, denn keine andere als sie ist die Braut ^) , und in 6.
wird sie ausdrücklich genannt. Auf ein himmlisches Reich
weist auch die Türe des h. „Thomas" in 3. In diesem
Lande ^) nun wohnt — wenn die darauf bezügliche Stelle
zum alten Bestände des Liedes gehört, was ich vorläufig
1) Vergl. Sirarock, Kiuderb.^ 30, 12G.
Zuck, zuck Habermann,
Treck diu Vader sin Stebeln an ;
Rüd damit nach Amsterdam,
Von Amsterdam nach Sachsen,
Wo die kleinen Kinder auf den Bäumen wachsen. Und oft ähnlich.
2) Vergl. iu einem holsteinischen imd ebenso iu einem altmärk. Liede:
Maria ging die Trepp hinan, Hatt'n roten Rock an, Die Glocken fiugeu au
zu klingen, Maria fing au zu singen. — Simrock, Volkl. 144, 71: Maria hob
ihr Röcklein auf, Sie trat wol in das tiefe Meer. Als sie wol iu die Mitte
kam, Da fingen alle Gottes Glöckleiu zu läuten au. Maria trat
auf einen Stein, Da ging dem Schiffsmaun das Herz entzwei. — Tirol d. J.
V. Zingerle: Oben im Himmel, sein viele Englein; sie sitzen auf Stühle imd
singe und spiele; imd die Mutter vou Gott hat die Glocken in der
Hand, und schüttelt die Haare. Die Engel tun tanzen und der Vater von
Gott hat an goldanau Wagen. Die Engel tun ziehen, die Lampclu tun klin-
gen, die Hirteu tun singen.
3) Ueber das mythische St. Thomaslaud = dem Paradiese s. Menzel,
Odin S. 314.
noch nicht entscheiden kann — hoch oben (vergl. die stu-
fenweise Anordnung der Sitze bei Frau Gode-Hrösa oben
S. 304) der reiche Mann, der gutes Korn und gu-
ten Flachs wachsen lässt, siehe oben No. 3. und 4.
Während mehrere andere Ausdrücke unseres Liedes auf
Redactionen im Mittelalter und dem Beginn der Neuzeit
(etwa das IGte Jahrhundert) hinweisen '), möchte ich hier
eine noch ganz heidnische Formel vermuten. Denn genau
so wird Freyr als Arguö und Fegjafi (Aerntegott und
Reichtumspender) ^) bezeichnet. Er waltet über dem Wachs-
tum der Ackerfelder (hann rxör fyrir avexti jaröar) und
zugleich überdemReichtum der Menschen (feswli manna)^);
dieses letztere aber nur darum, weil er selbst reich ist.
Auch sein Vater Njörör heifst Fegjafandi guö und wird
vorzugsweise reich (auöigr) genannt. Auöigr, sem
Njörör war sjorichwörtliche Redensart ^). Er ist so reich
und schatzglücklich (svä auöigr ok fesnell), dass er
allen, die ihn anrufen, Landbesitz und fahrendes Gut ge-
ben kann ^). Frau Holda, die deutsch -heidnische Göttin,
1) Dass der Hahn in ein fremdes Land zieht, wird in No. 2 durch
den dem Lehns- und Gefolgswesen entnommenen Ausdruck: „wann wultu iit
to denen gän" ausgedrückt. Vergl. oben S. 42G: „livor hier du v;i;t a tjene"
vom Storch. Der rote mit Glocken besetzte Rock ist eine Tracht, welche
im löten Jahrhundert sehr beliebt war, mit dem IGten aber alhnälig ver-
schwindet. Die Scliellcnkleidung ist freilich uralt, und im Orient sehr früh
nachweisbar. Zeitig kam sie zu den nordeuropäischen Völkern; Kruse will
Spuren davon sogar in Livisehen Gräbern gefunden haben. Kruse, Anastasis
der "Waräger Reval 1841 S. C. 9. 44. u. s. w. Im Jaiire 1103 gab ein päbst-
liches Breve den Mönchen von St. Ambrosius zu Mailand die Erlaubnis ,,fe-
rendi tintinnabula in cappis." Vereinzelt kommen die Glocken an Ritterklei-
dungen vor. Ein allgemeiner Schmuck wurde im löten Jahrhundert das rote
Kleid mit vielen Glöekchen. Im IGten schränkte sich aber diese Tracht auf
die Tänzer und Narren ein, dagegen wurde sie nun in abenteuerlicher und
keiner historischen Wirklichkeit entsprechenden Weise als aUfränkische Tracht
auf den Porträts der Vorfahren angewandt. S. Schcil)le, ,,Dic gute alte Zeit."
(Kloster VI.) S. Ö4 Igg. 90 fgg. Rosenkranz. Neue Zeitschr. für die Ge-
schichte der german. Völker. Halle 1822 I, 11 fgg.
2) Skäldskaparm. cap. 7.
3) Gylfaginnmg 21.
4) Vatiisdiclasaga 202.
5) Gylfag. 23. Vergl. GriOtbjorn gceddan hafa Freyr ok NjörÖr at Jjar-
aüi. Egilssaga 671.
490
spendet vorzugsweise den Flachs. Ist nun Freyr Herr
von Liösälfaheimr, das unserm Holdasitz „Engellaud" ent-
spricht, so wird wahrscheinlich , dass ein dem nordischen
Freyr bei uns entsprechender Gott, ein Genosse der Holda,
den oben beschriebenen Platz einnahm.
Die Maren sind zugleich himmlische Kühe und spin-
nende Wasserfrauen, s. oben S. 78 fgg. Wir fanden
die Herrgottskühlein, dieLadycow die den Maren gleich-
steht s. oben S. 245. 353. 366 fgg. spinnend, s. oben S.
350, No. 18. 350, No. 17. 18. Die Kinderseelen bei Frau
Göde, Hrösa, Holda haben Schafgestalt. Der Marien-
käfer wird aufgefordert, seine (Wolken-;Kühe zu melken
s. oben S. 251. 356, wie die andererseits den Maren gleich-
stehenden Geister des wilden Heeres (Maruts) dies tun.
Halten wir dazu die Angaben: „de ko, de sat bit für un
spunn;" „dat kalf leg inne weg un sung (Var. dat bä-
lamm leg inne weg u. s.w.)');" „de brummers hälu de
koi to hüs, de liegen schulin se melken;" so ergiebt sich,
1) Kalb und Lamm stehen sich mythisch gleich als Gestalt von See-
len. Wie die Seelen bei Frau Rose-Göde u. s. vr. teils als Hunde, teils als
Schafe, teils als Hühner auftreten, sehen wir die beiden erstem Gestalten
in folgender Sage wechseln, die wir zugleich dazu benutzen, den S. 299 ver-
sprochenen Nachweis der Lammgestalt der Seelen nachzuholen. Ein Mann
aus Eppiugen findet im Walde ein blockendes Kalb, das er mit nach
Hause nimmt und in seinen Stall sperrt. Als er wieder nach dem Kalbe
sieht, steht eine hochbetagte Frau in altertümlicher Tracht da, die sagt: ,, Schon
über hundert Jahie schwebe ich als verwünschter Geist zwischen Himmel und
Erde, ohne erlöst zu werden. Manchmal nehme ich die Gestalt eines Hun-
des, manchmal die eines Schafes, mitunter die eines Kalbes an. Weil
ich in dein Haus gebracht worden bin, gehe ich nicht mehr hinaus, will mich
aber mit jedem Winkel begnügen." Die arme Seele wurde in einen Kasten
verwiesen. Baader, Bad. Sagen 280, 298. Vergl. 192, 208 wo berichtet
wird, dass urselige Geister die Gestalt von Kühen, Schafen, Schweinen
und Ratten annehmen. In Freiburg spuckt die Seele eines Studenten (Baa-
der a. a. O. 48, 58), zu Heilbronn der Geist eines Metzgers (a. a. 0. 274,
293), zu Augsburg das Gespenst einer Hebamme (Schöppner HI, 238, 1228),
zu München die Seele einer Hausfrau als Kalb. Die letztere wird in eine
Fla-sche gebannt (Schöppner III, 226, 1212). Besonders oft führen die so-
genannten Stadt- oder Dorftiere, Spuckgeister die auf den Strafsen der Stadt,
beim Dorfe oder an Kirchen ihr Wesen treiben, die Gestalt von Schafen
Kälbern. Als Kalb: Stöber a.a.O. 36, 24. 86, 67. 124, 110. 344,280.
430,320. Schambach u. Müller, Niedersächs. Sagen 196,214,3. Grundtvig,
Gamle, Danske minder II, 255, 422 B. Als Schaf: Stöber a.a.O. 225,
173. Als weifse Lämmer: Stöber a.a.O. 228, 176. 309, 240. Wolf,
491
dass unser Lied nicht ganz ohne mythische Analogie in
unserer Volkspoesie dastelit. Auf die Frage selbst, zu de-
ren Lösung es vielleicht geeignet sein dürfte, kommen wir
wieder zurück.
12) Ein fränkisches Sprichwort sagt: „Wer Him-
mel und Hölle zugleich sehen will, der reise nach
Engelland ^)." Ob dieses Sprichwort mythische Bedeutung
hat oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden. Wäre er-
steres der Fall, so dürfte es etwa mit den auf den folgen-
den Blättern zu entwickelnden Vorstellungen in Zusammen-
hang stehen.
Wir haben das S. 328 mitgeteilte Lied bisjetzt nur
teilweise erläutert. Wir teilen zunächst noch ein paar wich-
tige Varianten mit und schreiten dann zur Untersuchung
der noch ungedeuteten Züge.
War well met no Angland gön?
Ängland es verschlösse,
der seh lössei es zerb röche.
Wanneh krigge mer ne neue Schlössel?
wan dat köönche (Körnchen) rief es,
wann de müll stief es,
wann de bäcker backe kann,
wann da brau er braue kann.
Lischen op da plante (Gras)
löfs dat pöppchen danze!
Niederläud. Sagen 647, 551. Als graues Schaf aiieli GniiuUvig, Ganile
Daiiske minder 11, 253, 421 A. 256, 422 B. Als weifses Lamm cbeudas.
S. 254. Diese Schafe und Kälber der Dänischen Sagen (die Kirkcvarsler
d. h. omina ad ecclesiam accepta hcifsen), sind Todesvorzeichen. Sic
zeigen den Zusammenliang der deutsclicn Spuclitiere, Dorfticre mit den Folge-
geistern (s. oben S. 307). Bald in Gestalt eines Kalbes, bald in Gestalt
zweier weifscn Lämmer erscheint das Spucktier Stöber 225, 173. Audi
Zwerge, d. i. Seelen, haben Schafges talt, Seifart, llildesheim. Sagen 36,
25. Wie eine Ileerde Schafe trappeln sie bei ihrem Abzug über die Biücke.
Ein Zwerg bei Ilocholz heilst selbst Lämmli.
1) Reynitscli, Trübten und Truhtensteine, Gotlia 1802 S. 124. Der
Verfasser setzt hinzu: ,,Die Alten glaubten die Hölle nördlich in Britannien.
Das obige Sprücliwort wird zwar jetzt vom licutigcn Wolleben gesagt, ist
aber eine alte Saga."
492
danz, daüz lingekiddel!
morge kütt der spillmann widder! ').
Fragen wir nun zunächst „Was bedeutet das Ver-
schlossen sein des Engellandes? Nach dem vorhan-
denen Material werden wir diese Frage dahin beantworten
müssen, dass man das himmlische Lichtreich, in welchem
die Seelen wohnen, nicht allezeit offen, sondern auf ver-
schiedene Weise zu Zeiten verschlossen wähnte. Zunächst
waren es die Dämonen des Winters (s. oben S. 184 fgg.)?
welche die Göttin Holda sammt den Seelen gefangen hiel-
ten, das himmlische Lichtreich verschlossen. Im Frühling
ward die Göttin befreit. Dieser Vorgang ist wiederum in
einem Kinderspiel erhalten, das ich in weiter Verbreitung
nachzuweisen vermag:
1.
Ein Mädchen kauert sich auf die Erde, zieht ihr
Oberkleid in die Höhe und über dem Kopf zusammen.
Die mitspielenden Kinder, bis auf eins, das herumgeht, ste-
hen um sie und halten den Rock fest. Das umherge-
hende fragt:
Ringel ringel tale ringen,
Wer sitzt in diesem Turm drinnen?
„Königs, Königs Töchterlein."
Darf man sie auch anschauen?
„Nein, der Turm ist viel zu hoch.
Man muss einen Stein abhauen."
Nun schlägt das herumgehende Kind eine der Hände
herab und diese lässt den Rock los. Dann beginnt Frage
und Antwort von Neuem. Sind alle Steine gefallen, so
1) Köln Firm. I, 460. Vergl. Rusekranz Wacklewanz, wer well mett
110 Engellaud fare? Eiigelland es geschlosse, der schlössel es zer-
broche. Wann krigge mer ne neue schlössel? wann dat könche
rif es, wann dat müll stif es, wann de bäcker backe kann, wann
de brauer braue kann. Liesgen hiuger de plaugen, leet de pöpclier danze.
Köln d. Hocker. — Krone kraue wicklefane, we well inet no Holland fare?
Holland es geschlosse, de schlössel es zerbreche, wanne kriege
mer ne neue? wenn dat könsche rip es, wenn de niöle pip es, wemi de
poppe danze op de gröue schanze, tiisken! Bilk; Leysers Nachlass.
^93
läuft das Königstöchterlein nach und welches erhascht wird,
muss in den Turm ').
2.
Zink zink Tellerlein,
Da sitzt des Königs Töchterlein
In einem hohen, tiefen Turm,
Wer's will sehen muss die Stange brechen'^).
3.
Ring ring tale ring.
Wer sitzt denn hier in diesem Ding?
„Eine kleine Königin,
Ward so fest gemauret."
Die Mauern wolln wir stechen.
Die Steine wolln wir brechen.
Hand weg, Hand weg! ^).
4.
Kling klang: gloria.
Wer sitzt an diesem doria?
Da sitzt ne Königstochter drin.
Kann man sie nicht zu sehn kriegn?
Nein! der Turm ist viel zu hoch.
Das schadt nicht, das bädt nicht.
Mauern muss man brechen.
Steine muss man stechen ■*).
1) Wundcrhorn 1808 III, 87; daraus Grimm, KHM. II, 1819, XVI.
Simrock, Kinderb. =* 201, 831. Fast gleichlautend im Elsass: Stöbor, Elsäss.
Volksbüchl. 32, 58. Im Aargau: Rocliolz, Alemann. Kinderlied II, 410, 28.
Düsseldorf: d. Lehrer Engels. — Var.: Ting tang torian — Ein schönes,
schönes Töchterlein. Yergl. Simrock, Kiuderb.'^ 202, 832. Pfullingen. Meier,
Kinderr. aus Schwaben S. 103, 375.
2) Grimm, KIIRI. II. 1819 S. XVI.
3) "Weifsenfeis d. IL Niese. Vergl. Alttöplitz bei Potsdam: Kattun kat-
tun in diesem Ring; es sitzt ne Königstochter drin. Die Mauern kann
man brechen, die Steine kann man stechen. Scliädt niclit, brädt nicht. Jung-
fer komm und folge mich.
4) Holstein mündlich. Vergl. Siegen: Kling klang: gloria. Wer sitzt
in diesem doria? Eine kleine Königstochter, die man nicht zu sehen kriegt.
Steine wolln wir brechen; morgen woUn wir stechen. Ilänsclien mit dem
roten Rock, fass dich hinten an meinen Rock. VergL MüllenhotF, Sagen
494
5.
Ringel ringel Dorne,
Wer sitzt in diesem Korne?
„Da sitzt ne schöne Jungfer drin,
Die kann man nicht zu sehn kriegn. "
Das Tor ist geschlossen,
Der Schlüssel ist zerbrochen.
Schöne Jungfer komm heraus,
Und such dir einen andern aus ').
6.
Ringel ringel Dornau,
Wer sitzt in diesem Kornau?
Da sitzt ne schöne Jungfer drin.
Man kann sie nicht zu sehn kriegn.
Das schadt nicht, das badt nicht.
Da kommt der rote Fuhrmann,
Schöne Jungfrau fass mich an ^).
7.
Wer sitt in dissen bögen trön?
„dar sitt en königsdochter in"
kann ik se nich to sen krisrn?
S. 395. Vergl. aus dem Oldenburgischen d. Frl. E. v. DIncklage-Campe Kling
klang: gloria! Wer sitzt in diesem toria? „Das ist ne Frau von Königin."
Kann ich sie wol zu sehn kriegn? „Ach nein, ach nein, das kann nicht sein,
es ist ne grofse Mauer drum." Die Mauer will ich brechen, die Steine will
ich stechen. „Einen Stein, doch ja nicht mehr." Göttingen d. II. Biblio-
thekar Müldener: lOing klang: gloria! Wer sitzt in diesem doria? Eine
kleine Königin, die man nicht zu sehn kriegt. Die sitzt in festen Mauern.
Die Mauern wolln wir brechen, Steine woUn wir stechen. Salzfisch, Schmalz-
fiscli, komm raus und friss mich.
1) Berlin mündl. ; fast ebenso d. HH. Mathias und E. Grimm; Trebbin
d. H. Lackowitz ; Joachimstal.
2) Simrock, Kinderb. ^ 202, 883. Weifsenfeis in Sachsen d. H. Grofse.
Fiedler, Kinderreime aus Anhalt-Dessau 65, 91. Vergl. Berlin: Ringel rin-
gel dorne , wer sitzt in diesem Korne ? Königs, Königs Töchterlein. Nein,
nein das ist sie nicht, ist die feste Mauer. Mauer willst du brechen. Cou-
sinchen willst du stechen, komm hinter mir, komm hinter mir; er mein Alter
folge mir. Aehnlich Hagens Germania I, 304. In Hemer (Grafsch. Mark)
nach Woestes briefl. Mitteilung: Hori katori, wer sitzt in diesem dori? Eine
schöne Königsjungfer, kann man nicht zu sehen kriegen. Mauern muss man
brechen. Steine muss man stechen. Königsjungfer folg mir nach.
495
„se is so fast vermüret"
de miir, de will nich bräken
de sten de will nich (lies: ik) stäken.
enen sten bräk ik iit.
„beide ögen fallt di üt."
Nä, ncä!
schät nich, bat nich.
sten un ben verlat mi.
kling, klang kloria
kumm un folg mi achternä ').
8.
Wer sitt up dissen bogen tron?
„da sitt en königsdochter in."
kann ik se nich mal to sen krign?
„nä raöder na!"
ik will di 6k gäwen twe pär schö.
„nä moder nä!"
ik will di ök gäwen en gollncn ring.
„nä moder nä!"
ik will di 6k gäwen 'ne sulwerne kutschen!
„nä moder nä!"
ik will dl ök gäwen 'ne goUne kutschen!
„nä moder nä!"
ik will di 6k gäwen de halwe weit.
„nä moder nä!"
ik will di 6k gäwen de gansse weit.
„ja moder ja!"
De müren will wi bräken,
de stene will wi verstäken.
Ann Margrete, Graurock!
de d6t de kummt, de d6t de kummt.
Die Verhüllte steigt nun herab von ihrem Sitz und jagt
hinter den andern her, um sie zu fangen ^).
1) Holstein: MüUenhofl', Sagen 485, 5. Vcrgl. Simrock, Kinderb.' 157,
438. — Oldenburg: Thöle und Strakerjan, Aus dem Kinderleben S. 40.
2) Schmidt, Bremenser Ammenrcimc S. 64, 2.
496
9.
Sitzt eine Frau im Häusle
Spinnt so zarte Seide,
Zart, zart wie ein Haar,
Hat gesponnen sieben Jahr,
Kann man sie auch sehen?
Nein, der Turm ist viel zu hoch,
Man muss einen Stein abhauen.
Die Königstochter im Turm macht während des Spiels die
Gebärde des Spinnens ').
10.
Sitzt e Frau im Gartehaus
Mit sieben kleinen Kinderlein.
"Was möcht sie gern, was möcht sie gern?
Ein Gläsle voller kühlen Wein,
Und e Stängele Pretzel drein.
Zart, zart wie ein Haar,
Hat gesponnen sieben Jahr.
Kann man sie auch schauen?
Nein, der Turm ist viel zu hoch,
Man muss 'neu Stein abhauen^).
Neben dem gewöhnlichen Schlüsse, dass das zidetzt vom
Turm entfernte Kind die Königstochter vorstellen muss,
wird in Tübingen auch so gespielt. Sind alle Hände ab-
geschlagen, so fassen sich die Kinder hinten am Rock an
und rufen: Darf man den blutigen Mann sehen? „In einer
halben Stunde." Später fragen sie wieder. „In einer Vier-
telstunde." Endlich heifst es „in einer Minute." Der Ober-
rock fällt; die Kinder rufen:
Blutiger Ma,
reg mi nit a.
Inzwischen fängt die Eingetürmte eine andere.
1) Meier, Kinderreime aus Schwaben S. 102, 375.
2) Meier a. a. 0. 103.
497
11.
Wer wohnt in diesem Döruelein?
„'s Königs, 's Königs Töchterlein."
Darf man sie auch beschauen?
„O ja, man muss eine Hand abhauen."
Der Münsterturm ist noch so hoch,
Me muefs ne Hand abbreche lo.
Sind alle Hände abgeschlagen, so wird die Königstochter
gefragt: Was witt lieber Wasser oder Wy?
„Wy"
So schlage - n - alli zämmi dry.
Alle springen fort, das aus der Mitte ihnen nach. Wel-
ches gefangen wird, muss in die Mitte *).
12.
Tink tank Türmelein,
Was sitzt in diesem Türmelein?
Prinzessin; „Eine schöne Prinzessin."
Wasessensiegern?
Prinzessin: „Zucker, Rosinen und Mandelkern."
Was trinken sie gern?
Prinzessin: „Wein."
Kann man sie nicht sehen?
„Ach nein, ach nein, ach ach nein!"
Der Turm ist gar zu hoch.
„Mau muss die Steine brechen."
Dannn wird der Turm umgeworfen, und alle Kinder,
welche ihn (nämlich den Oberrock über dem Kopfe der
Prinzessin) hielten, aufser dem Sprecher laufen davon und
verstecken sich. Der Sprecher tritt hinzu und bricht
Steine, indem er mit den Händen auf den Turm losschlägt.
Dann erlöst er die Prinzessin, welche nun die Kin-
der suchen muss ^).
1) Basler, Kinderreime 1857 S. 27, 72. Vergl. Weimar d. K. Köhler:
Kling klang gloria! wer sitzt in diesem toria? ,,e3 ist iJcs Königs Töchtcr-
lein." Was trinkt sie gern? ,,ein Gläschen Wein." Was isst sie gern?
,,'nen Kuchen fein." Der Turm, der Turm ist viel zu hoch, es muss ein an-
drer gebauet sein.
2) Ilcmschlag in Westphalcn d. Lehrer Kuhn.
32
498
13.
Die Jungfer sitzt im Kreis
Mit sieben junge Maus.
AVas isst sie gern? was trinkt sie gern?
Ein Gläschen Wein, ein Butterbrod!
Stein, Bein mit der Hand herab! ').
14.
Sat en mäksken en de mür
sponn so fine slde,
so fin as en här,
so grof as en bar.
drop sat se sewen jär.
as de sewen jär cm weren
wurd se schulten dochter,
wurd är kröne flochten.
thymejän mairän
schulten dochter hingerau!
Nach diesen Worten tritt eins der, mitspielenden
Kinder aus dem Kreise heraus und stellt sich hinter die
Sprecherin. Beide beginnen nun den Umgang und Ge-
san"- von Neuem, bis der ganze Kreis aufgelöst und Schul-
ten Dochter allein dasitzt. Da ruft mit einmal eins von
den Kindern: „Ach schulten dochter es geschtorwe"
und bittet zum Begräbnis. „Gü mechte doch tom begräft-
nis käme on gebackne lüs on flog metbrenge. Gü motte
awerst en schwärt kled anhewwe. De kent hett, hangt
en annert innen rök on morge es et schwärt '^)."
15.
Teng tang tellerang
de rosen fallen au.
do sot en königsdochter
op eren goUnen stöl
de hadd de här geflochte.
1) TLüiingeu, aufgez. von Kichard Krell.
2) Pomraerelleu mündlich.
499
All wen ek schlön
de sali achteran gön.
Bei den letzten Worten lässt eins der haltenden Kinder
das Oberkleid der Königstochter los und folgt dem umher-
gehenden. So geht es fort. Sitzt zuletzt die Königstoch-
ter allein im Turm, so lüftet die Führerin des Zuges den
Turm ein wenig, guckt hinein und sagt: „Die Frau ist
halb krank," nach einer Weile „die Frau ist ganz krank,"
darauf „die Frau ist halb tot," „die Frau ist ganz tot."
Dann treten die übrigen Kinder herzu und singen „a bom-
belam , a bombelam" '). Die Königstochter aber springt
auf und erhascht eins '^).
16.
Ein Mädchen sitzt im Kreise. Die andern, bis auf
eins, heben das Oberkleid der Sitzenden in die Höhe und
halten es mit beiden Händen gefasst. Die Ueberschiefsende
geht um den Kreis und fragt: „Tink, tiuk tällering — wer
ist die Schönste in diesem Kring?" — Die andern: „Der
König und sein Töchterlein, die wollten sich gebre-
chen mit Steinchen mit Beinchen." (Besser in Iser-
lohn: „Dem Könige sein Töchterlein"). — Die Fragerin:
„Eine Hand davon!" (In Iserlohn: „Eine Hand muss abl").
Bei dem letzten Worte schlägt sie dem nächsten Mädchen
auf die Hand, die dann loslässt. So geht es herum, bis
alle eine Hand frei haben. Bei einem zweiten Umofanofe
wird jede auf die andere Hand geschlagen. Sobald ein
Mädchen ganz los ist, fasst es die Fragerin hinten an, zieht
mit ihr weiter und stimmt in ihren Sang ein. Sind alle
frei, so muss die Königstochter die Hände falten und es
wird ihr das Oberkleid ganz über den Kopf gezogen. Sie
stellt so die scheinbar Tote vor. Eine aus dem Kreise
fängt an zu läuten, worauf eine andere geht um den Doc-
ter zu holen. Der Docter kommt und fragt, was die schein-
1) Diese Worte „a l)onibelain, a bombelam" bezeichnen das Läuten der
Sterbeglocke. Vergl. ein anderes Kinderspiel aus Meurs Firm. I, .S98: Abom-
bt'lam. „Wat bedüt dat lüen?" Aue nian es dOt. Vergl. u. S. 510, Anm. 1.
2) Meurs d. II. Grecf.
32*
500
bar Tote gegessen habe. Der Umstand antwortet : „Ileifse
Dickemilch und kaUen Pfannkuchen." — Der Docter:
«Dann soll sie "wol tot sein!" Er sieht sie sich an und
sacrt: „Sie ist tot!" Nun wird der Läuterin gesagt: „Höre
nur auf mit läuten! die Königstochter ist tot," Der Um-
stand legt die Tote auf die Erde, hockt ringsmum nieder
und hält die Hände vor's Gesicht. Aber die Tote erhebt
sich, schlägt jeder auf die Hand und legt sich wieder hin.
Nun stehn alle auf und rufen: „Sie ist wieder lebendig ge-
worden!" Dann laufen sie davon. Die Königstochter
springt auf und läuft ihnen nach. Wer zuerst von ihr ge-
hascht wird, muss in einem neuen Spiel ihre Stelle ver-
treten ').
17.
„0ns liewe vrouwke van boven."
wie staet er hier an mynen toren?
„mag ik er eenen steen aftrekken?"
eene steen kan my niet letten.
„mag ik er dan wel twee aftrekken?"
twee is veel te veel
rydt er al met eenen door!
Dies wird so lange wiederholt, bis unsere 1. Frau einwil-
ligt, dass zwei Steine abgebrochen werden^).
18.
"Wien is er al onder de torre
„Tlogier, Rogier!
fransch schabelierl"
De steentjes zyn al't hoogeu,
Rogier, Rogier u. s. w.
„'k zal een steentje aftrekken,
Rogier u. s. w."
Zy zyn nog veele 't hoogen,
Rogier u. s. w. °).
1) Deilinghofen in Westphalen, briefl. d. Woeste.
2) Wodana II, 218, 17.
3) L. de Baecker, De la religion du nord de la Fr.ince avant le cLri-
stianisme S. 162. Vergl. unten No. 22.
501
19.
Den jomfrii er i kloster sat
ring rang, faldri faldra roede roser!
Ritter: hvad er der i det kloster at se?
ring rang! falder i saug, falla de roedeste roser I
„det er en jomfru saa fin og skjoen,
ring, rang u. s. w.*
og kan vi ej faa den jomfru at se?
„der er so stierk en mur omkring."
saa ville vi br^kke en sten eller to.
„en sten eller to kan ej forslaa."
saa ville vi brcekke den halve mur.
„den halve mur kan ej forslaa!''
saa ville vi brrekke det halve kloster.
„det halve kloster kan ej forslaa."
saa ville vi braskke det hele kloster,
„nu har vi faaet den jomfru at se."
ring, rang! falder i sang, falla de roedeste roser!
Bei der vorletzten Strophe v^^irft die Jungfrau das verhül-
lende Obergewand zurück und die letzte wird von Allen
gesungen.
20.
Den jomfru er i kloster sat,
den ridder hau gaar udenfor.
og hvor skal han den jomfru faa?
og han ma bryde en sten eller to.
en sten eller to vil ej forslaa.
ja saa maa hele muren gaa^).
21.
Her er saa deilig en jomfru at sce!
ring, rang! falderirang, faldcri roede roaer!
„den jomfru vil jeg have at sce!"
ring u. s. w.
1) Sv. Grundtvig, Gamle Daiiskc mludei- i Iblkciuuude. Zweite iSaiuiu
hing S. 301, 444. aus Kopenhagen.
2) Giundtvig a. a. 0. aua Jütlaud.
502
den jomfru er bag klosterets mur.
„om jeg skal bryde en sten eller to!''
en sten eller to kan ei forslaae.
„om jeg skal bryde den halve mur."
den halve mur kan ei forslaae.
„om jeg skal bryde den hele mur."
den hele mur er alt for tyk ').
22.
Une jeune fille se met a genoux, plusieurs autres l'eu-
tourent et elevent sa robe au-dessus de sa tete ce qui forme
une espece de tour. Une autre enfant representant le franc
cavalier s'avance en chantant:
Oü est la Marguerite?
ho gai! ho gai! ho gai!
oü est la Marguerite?
ho gai! franc cavaher.
Le groupe lui repond:
• eile est dans son chäteau
ho gai! ho gai! ho gai!
eile est dans son chateau.
ho gai! franc cavalier.
Le cavalier:
Ne peut-on pas la voir? etc.
„les murs en sont trop hauts."
j'en abattrai un' pierre. etc.
Ici le cavalier enmene une jeune fille du groupe:
„Une pierre ne suffit pas"
j'en abattrai deux pierres.
11 enmene encore une autre personne du groupe:
„Deux pierres ne suffis'nt pas"
j'en abattrai trois pierres.
Meme jeu et raeme reponse se continuc jusqu'a ce que
l'on ait enmene toutes les jeunes fiUes, qui tenaient en l'air
la robe de la Marguerite, Celle qui reste la dernitre la
1) Fünen d. Frau Doctor Bieraatzki.
503
tient a eile seule et fermee au-dessiis de la tete de la
jeune fille.
Le cavaller sans chauter:
Qu'est-ce qu'il y a la dedans,
„un petit paquet de linge ä blanchir."
je vais chercher nion petit coutean pour le couper.
La jeune fille lache sa robe, qui lalsse a decouvert la Mar-
guerite celle-ci se leve et s'enfuit, les jeunes filles courent
apres eile et le jeu finit ').
23.
Unter uusern Kinderspielen, schreibt mir Mila y Fon-
tanal in Barcelona, ist das folgende hauptsächlich bei Mäd-
chen in Gebrauch. Sie wählen eine, welche die Rolle der
Alten übernimmt. Man lässt sie niederhocken, nimmt ihr
den Rock oder das Kleid in Art einer Glocke oder eines
Wittwengewandes über dem Kopf zusammen, das die Spiel-
gcnossinnen mit den Händen festhalten, aufser einer, wel
che herumgeht und singt:
La vella, vella sorda
quan fila may se torba.
son marit es mort!
fiqueu-lo al clot.
si per cas no hi cap,
fallen -li lo cap,
si par cas no hi entra
talleu-li lo ventre.
da hon son aquestis hombres
que pasan per a qui?
son dotcc comptes
la gent de mal viatje.
posa la plancha al foc,
posa-li ben pisada
echa y armilla
brodada de seda . . . '^).
1) Du Mersan Chausons et roiules cnfantiues. Paris 184G p. 20 ftcg.
2) Die alte, taube Frau — Verwirrt sicli nie beim Spinnen. -
504
Nach und nach lässt eins der Mädchen nach dem andern
die Glocke los. Sie gehen dazu über, eine Runde zu bil-
den und singen, in die Hände klatschend, das obige Lied,
bis die Alte allein bleibt.
Von den mitgeteilten Fassungen unseres Kinderspieles
ist vorerst zu bemerken, dass in No. 8. der Passus von
„ik will di 6k gäwen twe pär scho" bis „ik will
di 6k gäwen de gansse weit," so wie in No. 5. die
Worte „das Tor das ist geschlossen, der Schlüs-
sel ist zebrochen" eingeschoben scheinen, das erstere
aus dem S. 274. 275 aufgezeichneten Chorreigen, die an-
deren aus dem S. 328 besprochenen Kinderreim, was um
so leichter geschehen konnte, da es sich hier wesentlich
um dieselbe Anschauunsc wie dort handelt. Eine solche
Einschiebung, so wahrscheinlich sie auf den ersten Blick
sein möchte, fand jedoch in No. 9. 10. 11. 12. 13. 14.,
die einige Züge mehr als die übrigen Fassungen enthalten,
nicht statt. Denn die Angabe des schwäbischen Liedes
No. 9. „spinnt so zarte Seide, zart zart wie ein Haar, hat
gesponnen sieben Jahr," wird durch das westpreufsische
No. 14. und das catalanische No. 23. als wirklich zum Be-
stände des Textes gehörig bezeugt, durch No. 9. aber ist
die Fassung No. 10. und durch diese sind wieder 11. 12.
und 13. als echt gewährleistet. Dass die zahlreichen an-
deren Recensionen nichts von den hier genannten Zügen
wissen, ist kein Gegenbeweis, da auch die Fassungen 8.
10. 14. 15. 16. 23. gemeinschaftlich, wenngleich in unter
sich abweichenden Formeln, vom Tode der Königstochter
berichten, ohne dass die anderen Spieltexte davon zu sa-
gen haben.
Ihr Mann ist tot! — Leg ihn in die Gi'ube. — Wenn diese ihn etwa nicht
fasst, — Sclilage ihm den Kopf ab; — Wenn er da etwa nicht hineingeht,
— Durchliaue ihm den Bauch. — Von wo sind diese Leute, — Die hier
durchgehen? — Es sind zwölf Grafen, — Leute bösen Weges. — Lege das
Schwert (?) ins Feuer, — Leg es wol gelegt, — Wirf dahin den Waftenrock,
— Genäht mit Seide ... Vielleicht stammt dieses Lied aus Castilien, we-
nigstens gehören die Worte ,,aquestris hombres," ,,per a qui," „echa" dem
castilianischen Dialect an.
_ 505
Gehen wir nun zu dem Inhalt des Spieles über, so
sehen wir eine Königstochter mit 7 Kindern spinnend im
Turme eingeschlossen sitzen. Die dänischen Varianten 19.
20. 21. nennen diesen Turm ein Kloster, und dieselbe
Auffassung findet in No. 4 statt, denn wie bereits Pastor
Schnitze richtig erkannt hat '), wird in den Worten „kling
klang: gloria" der klösterliche Gesang „gloria in excel-
sis" gemeint. Da aus dem Mittelalter viele Erzählungen
darüber umgehen, wie ein Ritter seine gefangene Geliebte
aus dem Kloster befreit, war es sehr natürlich und lag es
sehr nahe, die eingeschlossene Königstochter als eine ge-
zwungene Nonne zu betrachten. Dass diese Auffassung
aber eine späte und unberechtigte ist, sehen wir aus dem
einstimmigen Zeugnis der andern Versionen. In Schwaben
und Westphalen heifst unser Spiel „Prinzessin erlö-
sen." Die Erlösung ist bekanntlich ein technischer Aus-
druck unserer Mythologie. Er wird von der Befreiung
der weifsen Frau gebraucht, welche nach zahlreichen
Sagen im Berge oder in einer in den Berg versun-
kenen Burg verwünscht sitzt bei ungeheuren Schätzen.
Alle sieben Jahre öffnen sich Berg oder Burg und die
Jungfrau tritt hervor an das Tageslicht. Wir wissen be-
reits, dass diese weifse Frau die unter dem Namen Ilolda,
Perahta, Fria u. s. w. verehrte Göttin, die alte Wasser-
frau ist, dass der Turm oder das Schloss in welchem
sie weilt, die Wolke bedeutet, welche entweder regenlos
am Himmel hängt, oder von den Dämonen des Winters
in Bann gehalten wird ^). Wir sahen ferner dass für diese
Wolkenburg gradezu in der deutschen Sage der Ausdruck
Turm (witte törn, grummeltörn) gebraucht wird. Zu Ilcr-
meskeil an der Mosel sitzt Frau Ilolla spinnend im
Berge ^). Am Main triift der krumme Jacob Frau Hulli
im Walde, wie sie das Spinnrad tritt und dazu in einem
1) In den llarudiscu, Magilcburgor Correspoiuk'iit 1856 No. 2C1 — ü-1.
2G6 — 69.
2) S. oben S. 186. Zcitscliv. 1". D. Mvtli. III, 377 fgg.
3) Zcitschr. f. D. Myth. I, l'J4, 17.
506
fort mit dem Kopfe nickt '). Wenn sie ausgeht, trägt sie
immer ihren Spinnrocken als Gehstock mit sich-). So
sitzt die Göttin nach unserm Kinderspiel die sieben Win-
termonate hindurch (das bedeuten die sieben Jahre) in
der winterlichen Wolkenburg No. 9. 14. auf gol-
denem Stuhl. Eine niederländische Sage bewahrt uns
diese mythische Vorstellung sehr klar. „De oude hoof,"
ein Turm in Lieuwaarden soll auf einem Stückchen
Land oder einem Kohlblatt auf dem Wasser d ah er-
geschwommen sein. In ihm safs eine alte Frau und
spann. Als die Einwohner den Tnrm antreiben sahen,
banden sie ihn mit einem Drätchen an den Platz fest, wo
er nun steht ^). Der schwimmende Turm ist nichts anderes
als eine Localisierung der im Himmelsmeer treibenden
Wolke.
Bei der Göttin befinden sich die Seelen „sieben kleine
Kinderlein" No. 10. oder sieben Mäuse No. 13. (vergl.
oben S. 79, Anm. 6) ■*). Die Zahl sieben ist für eine un-
bestimmte Menge hier eingetreten, weil sie die sieben
Wintermouate vom Dämon gefangen gehalten werden. Dass
die hier genannten Kinder wirklich Seelen sind, ergiebt
sich nach S. 309 — 314 aus den Fragen „Was möcht sie
gern? ein Gläsle voller süfsen Wein und ein Stängele Pre-
tzel drein." No. 10. — Was witt lieber Wasser oder Wy?
11. Was isst sie gern, was trinkt sie gern? 13, wofür 12
noch das richtigere Was essen sie gern? was trinken
sie (die Kinder) gern? bewahrt hat. Der Teil unseres
Spiels, von dem hier die Rede ist, kommt auch für sich
als Rinscelreihen vor:
«.
Ringe ränge Rosenkranz
Die Frau die safs im Klingel
Mit den sieben Kinderlein
1) Herrlein, Sagen des Spessarts S. 180.
2) Herrlein a. a. O. 181. 182.
3) Zeitschr. f. D. Myth. I, 37.
4) Oder ist dieses „maus" vielleicht ein blofses Eeimwort zu Kreis?
507
llätt so gern ein Gläschen Wein,
Auch ein wenig Zückerchen drein.
Juchei, Lina, Juchei!^).
. '^'
Ringe, ringe, Reihe,
Sind der Kinder dreie,
Sitzen auf dem Holderbusch
Rufen Alle: musch, musch, musch!
Setzt euch nieder.
Es sitzt ne Frau im Gartenhaus
Mit sieben kleinen Kinderlein.
Was essens gern?
Fischelein.
Was triuken's gern?
Roten Wein.
Setzt euch nieder! '*).
In dies(3m zweiten Liede sind die ersten 4 Zeilen, welche
gewöhnlich allein und ohne Fortsetzung vorkommen ^) und
überdies gar keinen begrifflichen Zusammenhang mit dem
angeschobenen Reim verraten, abzutrennen. Was nach Ab-
lösung derselben und des Refrains in der letzten Zeile von
ß. übrig bleibt, scheint ein Bruchstück der Recension No.
10. oben S. 496, worin die Befreiung der Göttin ausgelas-
sen und der Leich zu einem gewöhnlichen Ringeltanz um-
gestaltet ist. Aus ß. lernen wir nun, dass die Frage we-
gen des Essens und Trinkens sich auf die Kinder bezieht,
ich glaube, dass dieselbe nichts anderes ausdrücken soll,
als dass die Gefährten . der Göttin nach menschlicher Ge-
burt verlangende Seelen sind '•).
1) Wielil, Kreis Gummersbach, Regierungsbezirk Köln.
2) Gräter, Bragur III, 17^0, 245. Rocholz, Liederiiebel. Esslingen
1841, 8. S. 4!) aus Jean Pauls Flegcljahrcn. Wundcrhorn III, 544. Grimm,
KIIM. 1819 II, XV. Simroek, Kinderb.^ 200, 827. Erk , Volkslieder Heft
2G, 366. Wielil, Kr. Gummersbach.
3) Z. B. Thöle inid Strakerjan 36; Fiedler 69, 99; Pommerellcu mündl.;
Tirol d. Zingerle; Baaden in Nicdcrösterreich d. Wurtli; Züreli d. Runge.
Schwaben, Meier, Kinderr. Ü7, 367. Göttingen d. Bibliolliekar Miildener.
4) Sollte das Iblgeudc seholtischc Kindersi>icl (Chambers iiopular rhy-
508
In No. 14. 15. 16. wird ausgeaialt, dass die Göttin
gestorben ist, aber bei Oeffnung des Turmes wieder auf-
lebt. In No. 10. ist dieser Zug in eine blofse Verwun-
dung abgeschwächt und in Folge dessen zugleich die Göt-
tin zum Helden gemacht (blutger ma reg mi nit a). Wir
verdanken Wilhelm Müllers vielfachen Nachweisungen die
Kenntnis davon, dass die milden Götter und Göttinnen,
welche des Sommers Ilerlichkeit spendeten, im Winter in
das Totenreich verzaubert gedacht wurden, dass man so-
gar annahm, sie seien gestorben und sie mit den symboli-
schen Attributen der Toten ausstattete '). Zu diesen At-
tributen gehört auch die Taubheit s. oben S. 304, wel-
che uns in unserm Spiel No. 23. entgegentritt. Eine sehr
merkwürdige Bestätigung unserer Deutung bietet eine
schwäbische Form des Spiels. In Bühlertann heifst es
„der blutige Hund." Sind alle Hände abgeschlagen,
so wird der Rock der Eingetürmten oben zusammengebim-
den und man sagt ihr „sie solle sich waschen und
kämmen." Darnach wird der Rock losgebunden und
während alle vor dem blutigen Hunde '^) fliehen, sucht
mes of Scotland 65) mit uusem Liedern zusammenhängen? Ein Kind steht
im Kreise, die andern tanzen herum und singen:
Here is a poor widow from Babylon,
with six poor children all alone.
one can bake, on can brew
one can shape and one can sew,
one can sit at the fire an spin
one can bake a cake for the king.
Come choose you east, come choose you west (vgl. o. S. 417)
come choose the one that you love best.
Dann wählt das Kind in der Mitte eins aus dem Kreise und singt:
I choose the fairest, that I do see,
(Janie Hamilton) ye'll come to me. u. s. w.
Das Spiel läuft auf eine blofse Liebesgeschichte hinaus. Hat es nicht aber
etwa ältere Grundlage?
1) W. Müller, Nibelungensage.
2) Der Skalde Hiälti verglich spottend Freyja mit einem Hunde (Fom-
mannasög. II, 207:
Vil ek eigi gog geyja
grey })ikkir mer Freyja,
a; muu auuat tveggja
Obiuu grey eöa Frej'ja.
Hund war freilich bei den Nordgermanen wie bei den Helleuen ein böses
509
sie eine andere zu fangen'). Das Ungekämmtsein,
Schmutz und Entstellung am Körper ist ein symbolischer
Ausdruck, der die Toten bezeichnet^). Der Zug, dass
die Eingemauerte gestorben ist, kehrt auch noch in ei-
ner bisher nicht berührten schwäbischen Variante ^) wieder,
welche die Eigentümlichkeit hat, dass sie dem im Turm
eingeschlossenen Mädchen, das von „seinen Kindern"
umgeben ist, einen ofienbar alten Namen giebt, auffallender-
weise aber den Mannsnamen „Graf Rucker." Rucker
ist die heutige Form des ahd. Hruodger, dem ein Fem.
Hruodgera zur Seite gestanden haben wird'*). Als die-
ser letztere Name später zu Ruckere wurde, trat eine nahe-
liegende Verwechselung mit dem Masc. Ruthere-Ruckere ^)
ein und er wurde zu Rucker; Erinnerungen der Helden-
sage an den Markgrafen Rüdiger mögen die Umgestaltung
in einen Mann und Grafen befördert haben. Hruod-gera
stellt sich nun zu Hruod-peraht = Wodan, wie Berthold,
Hildebertha, Friggaholda zu Bertha und Holda und ist
der Hruodsa neben Hruodso oben S. 285 fgg. vollständig
analog. Der Ausdruck: „de dot de kumt" in No. 8 be-
zeichnet Holda-Hruodgera entweder auch als die im Win-
ter gestorbene sommerliche Göttin, oder er weist dar-
auf hin, dass sie die Seelen der Sterbenden wieder zu sich
heranzieht, selbst als Todesgottheit waltet, siehe oben S.
263 fgg.
Durch einen Helden, ursprünglich einen Gott — sei
es nun Thunar oder bei Sachsen vielleicht Freä - Fro,
Schimpfwort, aber sollte nicht vielleicht dennoch eine alte Mythe vorhanden
gewesen sein, welche Oöinn dem Stunngott, Frcyja der an der Spitze des wil-
den Heers einherzielienden Göttin die Gestalt des Hundes, des Windsymbols
s. oben S. 217 beilegte? Diese Gestalt könnte auch der deutschen Göttin
zugestanden haben, deren Begleiter als Hunde dalierfahren s. oben S. 302.
1) Meier, Kinderreime S. 105.
2) S. Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen 399. 400. Vcrgl.
396 — 99. Simrock, der gute Gcrliard und die dankbaren Toten S. 157 fgg.
3) Meier a. a. 0. S. 138. 139. No. 428.
4) Vergl. die Namen: Adalgaria, Autgaria, Hartgaria, Ilildigcra, Tcut-
garia, Waltcaria, Wandelgaria und den einfachen Namen Gera.
6) W. Grimm, Heldensage 171, 313.
510
bei einigen Stämmen vielleicht selbst Wodan — wird die
gefangene Göttin befreit, die Winterburg des Riesen zer-
brochen. Der rote Fuhrmann in No. 6. könnte Thunar
den Fahrenden, Okul^örr s. oben S. 121 bezeichnen. Das
catalanische Spiel hat hierüber einige alte Züge bewahrt,
welche den andern Varianten verloren sind. Offenbar ist
das Lied unvollständig. Es fehlen nämlich die Verse, wel-
che vom Umsturz der Mauer, vom Abbrechen der
Steine handeln, so dass diese Handlung, welche über-
einstimmend mit den deutschen Recensionen vor sich geht,
ohne begleitenden Text bleibt. Offenbar ist oder war die-
ser Zug auch im Text ausgedrückt. Dafür lernen wir,
dass der Gemahl der tauben alten Frau (der Winterriese,
der die Göttin zu seinem Weibe, zur Däsapatni gemacht
hat) nun, da der Befreier in den Turm eindringt, tot hin-
sinkt *). Sein Leichnam soll in eine Grube geworfen wer-
den und, wenn er da (wegen seiner Riesengestalt) nicht
hineingeht, zuerst um den Kopf gekürzt, dann mitten durch
zerstückt werden. Gegen diese Auffassung des Toten als
des vom Gotte gefällten Winterriesen liefert der barcelo-
nische Frühlingsgebrauch keinen Gegenbeweis, dem zufolge
zu Mitfasteu der Winter unter dem Bilde eines alten
Weibes entzwei gesägt wird ^). Denn dieser Gebrauch
stammt, wie Grimm bemerkt, wahrscheinlich aus romani-
scher Tradition, während die Vorstellungen in uuserm Liede
germanischeu Ursprungs sind, vielmehr bietet das Entzwei-
sägen der Alten, das auch slavischen Stämmen bekannt
ist, eine vollgiltige Analogie zur Zerstückelung des Win-
1) Dieser Zug ist in einem deutschen Spiel selbständig ausgebildet.
^Yoeste, Yolksüberlief. S. 10, 3 aus Iserlohn: Ein Mädchen sitzt und spinnt.
Frau, Frau bat spinn i so flitich? ,,Iek spinn minem mann en güll-
nen rock.'' Bä es u'e mann? „Imme kükenstall." Bat daiit hai do? ,,Hai
föert de küken." Söffi der man hengon^'' ,.Ne, ne!" Ah barümme nit?
,,No dann gätt men! it mäut se awwer nicht jaggeli!" Seh! Seh! — Frau,
Frau se lütt. ,,Bat bedütt't?" Umann es dot. ,,Bai hiätt dat don?"
lek! lek! lek! — Nun springt das Spinnmütterchen auf und verfolgt die
Kinder. Vergl. Firm. I, 397 Meurs.
2) Myth.* 742.
terriesen! *) Die zwölf Grafen, welche nach dem spani-
schen Liede die Befreiung ausüben, scheinen durch die
12 Paladine der Komantik veranlasst; es war natürlich,
den Retter und sein Gefolge als die Krone der Ritterschaft
aufzufassen '^). Die letzten Zeilen zeigen grofse Dunkelheit.
Bedeuten sie, wenn sie überhaupt kein müfsiges Anschieb-
sei sind, der Kampf sei nun vorüber, der Waflfenrock könne
ausgezogen werden? ^).
Dass unser Lied wirklich mythische Grundlage hat,
erhärtet sich durch den durchaus abweichenden Ton und
den Mangel aller altertümlichen Züge in ähnlichen Spie-
leu, welche eine blofse menschliche Kampfscene aus der
Zeit des Mittelalters zur Darstellung bringen. Ich hebe
in der Anmerkung einige romanische Beispiele aus *).
1) Vergl. oben S. 77. 89. 163. 202 den Zug, dass der Dämon mit zer-
brochener Schulter, grade durch den Eücken gehauen zusammensinkt.
2) Nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist, ob der Ausdruck ,,la gent
de mal viatje" bedeutet: ,, Leute die einen schlechten Weg gehabt liaben"
oder ,, Leute die auf bösem Wege wandeln" (dei-en Weg durch Verwüstung
bezeichnet ist? furchtbare Helden V).
3) Plancha bedeutet im heutigen Catalanischen auch das Bügeleisen (fer
a repasser). Sollte es der Sinn etwa dieser sein: „Lege das Bügeleisen ins
Feuer, glätte das (im Kampf) zersauste 'Wams?
4) Du Mersan rondes enfantines S. 37: ,,la tour, prends gardo."
Deux jeunes filles figurcnt la tour; elles se tiennent par les mains. Le duc
est assis, son fils est pres de lui; il est cntoure de ses gardes. Le colonel
et le capitaine promenent devant la tour, en chantant: „la tour prends gardc
de te laisser abattro." La tour: ,,Nous n'avons garde, nous n'avons garde, do
nou3 laisser abattre." Le colonel: ,,J'irai rae plaindre an duque de Bour-
bon." La tour: Va t'en te plaindre au duque de Bourbon. Le colonel et
le capitaine: „Mon duc, mon prince, je viens me plaindre h vous." Le
duc; Mon capitaine, mon colonel, que nie demandez vous? ,,Un de vos gar-
des pour abattre la tour." ,,Allez mon garde pour abattre la tour." Le
garde se Joint aux deux officicrs, qu'il suit e l'on raarche aiitour de la tour
cn chantant: La tour prends garde de te laisser abattre. La tour: Nous
n'avons garde de nous laisser abattre. — Le meme jeu recommencc cn de-
niandant deux, trois, quatre, six gardes selon le uombre de joueurs. On con-
tinue la marche et (juand le duc n'a plus de gardes h, donner on revient ii
lui. ,,Votre eher fisse pour abattre la tour." ,,Je vais moi-mcme pour abat-
tre la tour." Le duc se met h. la tcte de ses gardes, il cherchc h, pe'netror
dans la tour, en forfant les deux jeinics filles h separer leurs bras; chacunc
cssayc l'une aprös l'autre; et cclle (jui parvicnt ii abattre la tour est procla-
mde Duc h, la place de l'autre. — Eher, doch kaum wahrschcinlidi dürfte
dem folgenden Spiel eine mythische Erinnerung, und zwar dieselbe wie in
512
Auf die während der 7 Wintermouate in der Wolke
gefangen gehaltene Göttin, welche die voranstehenden Lie-
der nachweisen, bezieht sich auch ein anderer nicht so voll-
ständig erhaltener Chorreigen. Am Johannistag werden
im oberharzischen Bergdorfe Lerbach von den Kindern
kleine Tannenbäume ausgeschmückt. Diese drehen sie von
der Linken zur Rechten (wie die Sonne geht) und singen
dazu: „o Tannenbaum, o Tannenbaum, du bist ein edles
Reis" oder auch „die Jungfer hat sich rumgedreht. "
In den Harzer Bergstädten, wo der Johannistag
noch kirchlich begangen wird, schmückt man grofse Tan-
nenbäume mit bemalten Eiern und Blumen und führt um
sie einen Tanz auf, dessen begleitender Text so gesun-
gen wird:
Die Jungfer hat sich umgedreht
So rar
Wie ein Haar,
So klein
Hühnerlein;
Dreifsig, vierzig, fünfzig Jahr
Die Jungfer wandt' sich um.
Nur junge Mädchen sind Teilnehmerinnen des Tanzes, wel-
che oft auch beim Spielen die Namen der einzelnen Spie-
lerinnen nennen:
„la Marguerite" s. oben S. 502 zu Grunde liegen. Du Mersan a. a. 0. S. 11
,,L e beau cbäteau." Les jeunes fiUcs forment deux rondes vis-h-vis Tun
de l'autre et chantent en dansant. Ou cede une jeune personne qui va re-
joindre le premier rond et le jeu continue jusqu'ä ce, qu'il ne reste plus qu'unc
seule personne du deuxieme rond. Quand la derniere jeune personne est re-
ete'e seule, le graud rond l'entoure et le jeu finit. 1er rond: Ab mon beau
cbäteau nia tant' tire lire, lire! Ab mon beau cbäteau ma tant' tire lire, lo!
— 2me rond: Le notrc est plus beau, ma tant' etc. ,,Nous le detruirons
ma tant' etc." La quelle prendrezvous? ma tant' etc. ,, Celle que voici! ma
tant' etc. (montrant une jeune fille)." Que lui donnrez-vous? ma tant' etc.
,,De jolis bijoux." Nous en voulons bien ma tant' etc. — Dasselbe Spiel
wird in Piemont nach der Mitteilung des Ilerni C. Nigi'a mit folgenden 'Wor-
ten begleitet: Me castel l'e bei. Lantantirolirolena. Lantantirolirola! :,: ,,rme
Vb 'ncor pi bei." Noi lo piglieruma. „Noi lo guamaruma." Noi lo bruse-
ruma! ,,Noi lo difrenduma. Cosa vastu cercand autoru al me castel?" Vado
cercand, vado cercand madama pülisera (ich suche, ich suche die Frau Floh)
,,la troverai pas, la troverai pa, l'ö morta sota tera." La troverb ben,
la troverö ben Yh custa la pi bela.
513 _
(Emilie) hat sich umgedreht,
Der Liebste hat den Krauz bescheert.
Wir treten auf die Kette;
Kette klingelt hell und klar;
Es sind gewesen sieben Jahr,
Sieben Jahr sind 'rum
Die (Jette) dreht sich 'rum ^).
Der Text dieses Tanzes ist sehr verdorben, in reinerer und
besserer Gestalt lernen wir ihn in weiter Verbreitung durch
alle deutschen Gaue kennen, aber abgelöst von dem Feste,
zu dessen Verherlichung er ursprünglich gehörte. Wir he-
ben aus der reichen Fülle des vorliegenden Materials nur
die wichtigsten Varianten aus:
1.
Ringel ringel Rosenkranz,
Fuchsschwanz,
Safs auf einer Weide,
Spann so klare Seide,
So klar wie ein Haar;
Spann wol über sieben Jahr.
Sieben Jahr gesponnen.
Sieben Jahr sind um und um.
Alte Hex' dreh' dich um ^).
Spann an, spann an gröne side,
gröne side was so rar,
spann an öwer sewen jär.
sewen jär un de warn um,
da kerd sik mamsell Drüksken um.
Drüksken hat sik umekert,
korante, matante, matante! ^)
1) Pröhle, Zeitschr. f. D. Myth. I, 81.
2) Leipzig d. Dr. Hildebrand.
3) Münsterschc Geschichten und Sagen 265, 8.
33
514
3.
Kres kres Kessel
Morgen wird es besser,
Morgen kommt die schöne Braut,
Die so schöne spinnen kann,
Sitzt auf de Weide,
Spinnt en Fähnchen Seide.
Grüne Seide hats' gesponnen,
Jumfer (Lieschen) dreh' dich rum
Kikeriki! ').
4.
Rohe rohe Seide
Spinnt ein Fädchen Seide,
So klar
Wie ein Haar,
Da vergingen sieben Jahr.
Sieben Jahr sind um und um,
Jungfer N. N. dreht sich um.
Weil sie sich hat umgedreht,
Hat ihr Liebster ihr 'neu Kranz bescheert,
Von lauter grünen Blättern.
Ei wie wird der Bräutgam lachen,
Wenn Fräulein N. N. wird Hochzeit machen ^).
5.
Ringel ringel Rosenkranz,
Fuchsschwanz.
Wir treten auf die Kette.
Die Kett' ist klar
Wie ein Haar,
Sieben Jahr sind umme.
(Häuschen, Gretchen) dreht sich rumme,
(Häuschen) hat sich rumgedreht.
Der Braut ist nun ein Kranz beschert*^).
1) Fiedler, KindeiT. aus Anhalt-Dessau S. 66-
2) Jüterbogk.
3) Fiedler a. a. 0. 63, 90. In Reppichau lautet der Reim: Ringel rin
515
6.
Wir gehen um die Kette,
Spiefsglasglätte.
Die Kette soll sich schlingen.
Welches ist die schönste Jungfer
Unter diesem Ringelein?
Jungfer N. N. kehr sich um,
Kehr sich dreimal um und um,
Bis die Juno-frau wiederkommt
Aus der Erden, aus der Erden.
Morgen wird es besser werden ').
7.
Ek hebb en spölken gesponnen,
ek hebb en häspelschen gewonnen,
ek sät all op enem fasten drät,
wo ek söwen jär op sat,
de söwen jär, de sind all öm,
do dreit sik N. N. öm.
N. N. hätt sik ummedreit,
dat hätt ärr vader on möder lert.
von Isaak, von Isaak,
von lüter klären Isaak ^).
8.
(Die Mitspielenden gehen im Kreise umher die Hände aufhebend und drehen
sich mehrere Male um.)
Was wollen wir denn machen,
Dass wir alle lachen?
Kommen wir alle so so (die Hand herauf.)
gel Rosenkranz , Fuchsschwanz. Wir treten auf die Kette , dtiss die Kette
klingen soll, klar klar wie ein Haar; hat golebet sieben Jahr. Sieben Jahr
sind umme. N. N. dreht sich imime, N. N. hat sich umgedreht; ihr Liebster
hat se 'n Kranz bescheert von de grüne Weide. In Zehmitz: Wir treten
auf de Kette, dass de Kette klang. Da kam ue schöne Dame, die so
schöne sang. Was wird Musjöli (Jungfer) N. N. sagen, wer er (sie) wollte
gebeten sein? Drehen Sie sich um, sein Sie nicht so sehre dumm.
1) Meier, Kinderr. aus Schwaben 106, 379.
2) Meurs. Häspelchen soll ein Weisbrod bedeuten.
33*
516
Sieben Jahr gesponnen,
Sieben Jahr gewonnen,
Sieben Jahr die "Wolken herum,
Dann dreht sich dieser und der herum ').
9.
Feder blüht auf meinem Hut,
Hält ich gern, das war mir gut.
Jungfer die soll tanzen
In ihrem grünen Kranze,
Jungfer die soll stille stehn.
Bis dass der Kreis herum soll gehu.
Dreht auf den Schlüssel,
Bis dass es klingt.
Welches ist die feinste Magd,
Die so singt.
Jungfer N. N. erst genannt,
Hat den Schlüssel in der Hand.
Spring einmal um und drum ^).
10.
Spinde spinde a noegle garn
saa fiint, saa fiint som sejlgarn.
for (Anna) ville vi bukke
for (Anna) ville vi neje
for (Anna) ville vi svinge.
Dieses dänische Spiel wird so ausgeführt. Die Mitspieler
stellen sich in einen Kreis und singen umhertanzend die
obigen Verse. Wessen Name darin genannt wird, muss
sich so herumdrehen, dass er dem bisherigen Nachbar zur
Rechten die linke und dem zur Linken die rechte Hand
giebt, somit dem Kreise den Rücken zukehrt. Wenn sich
alle umgedreht haben, wird das Lied noch einmal gesun-
gen mit der Veränderung, dass statt des Namens eines
einzelnen Mitspielers die Worte „for os alle" (für uns alle)
1) Elberfeld und Barmen aufgez. 1843 d. Iloffmann v. Fallersleben.
2) Salchendorf bei Siegen d. Lehrer Siebel.
517
eintreten, und alle Kinder auf einmal sich umdrehen, so
dass sie wie zu Anfang des Spieles stehen *),
Dieselbe Spielweise hat dnrchgehends in den deutschen
Reigen statt, die wir vorhin anführten, nur dass der Kreis,
wie er sich allmählich von innen nach aufsen kehrt, auch
erst allmählich in die frühere Stellung zurückkehrt.
Die Harzer Sitte beweist uns, dass wir es hier mit
einem auf den Sommer oder den Frühling: bezüglichen
Liede zu tun haben. Ursprünglich wurde unser Chorrei-
gen gewiss beim Frühlingsanfang gesungen. Wie aber
u. a. der Eintritt Thunars in die nur alle 7 Jahre geöff-
nete Schatzhöle, den Wolkenberg s. oben S. 153, in man-
chen Sagen aus einem Grunde, den wir gleich wahrneh-
men werden, auf den Mittsommer (den Johannistag) ver-
legt wird -), so unser Lied. Sehe ich recht, so stellt das-
selbe denjenigen Vorgang dar, den wir S. 419 fgg. zu
schildern suchten. Während der 7 Wintermonate
verweilen die Elbe oder Seelen im himmlischen Lichtreich,
gleich Holda spinnend. Sie führen dann gleichsam den
nach innen geschlossenen Reigen. Sind diese 7 Monate
herum, so treten sie in die Aufsenwelt hervor, um das Blät-
tergrün zu wirken ^). Nur anders ausgedrückt ist diese Vor-
stellung, wenn — wie es nach unserm Liede scheint —
der Frühlingsgott (Thunar?) sie bräutlich empföngt und ih-
nen den grünen Kranz aufs Haupt drückt.
Zum vollen Beweise des eben Gesagten dient eine
noch nicht angeführte Aargauer Variante unseres Reigen-
tanzes. Zur Zeit des Frühlings schlingen die Kinder die
Hohlstengel des Löwenzahns (taraxacum pratense) zu einer
ebenso langen Kette zusammen, als der Kreis zum Ringel-
reihen grofs werden soll. Diese Kette muss so im Spiel-
kreise gehalten werden, dass sie während des gleichzeitigen
1) Falster d. Fräulein E. Boekmann. Spiniii?, spinne ein Knäuel Garn,
so fein, so fein wie Segelgarn. Vor (Anna) wolln wir uns verbeugen, vor
(Anna) wolln wir uns verneigen, vor (Anna) wolln wir uns schwingen.
2) Zeitschr. f. D. Myth. III, 384.
3) Diese Auffassung erklärt auch, weshalb man im Harz die Tannenbaum'
dien umdreht und dabei sagt: „die Jungfer hat sich umgedreht" s. o. S. 512.
518
Kindertanzes einen inneren Ring bildet. Der Text zum
Ringtauz lautet:
Trettet zue, trettet zue,
sparet nit die nüe schueh!
trettet üf das chettemli,
dass es sol erchlingle.
wer die schönste jumfre sig
i dem stanze ringle.
Ein tag rise,
zweu tag ise (Var. spiefse, schlifse),
drei tag rumpedipum,
(Ida, Ida) kehr dich um!
(Ida) hat sich ummeg'kehrt
hat der chatz den schwänz üszerrt.
Siebe jör g'spumie
acht jör sunne
nünmol rumpedipum,
eher dich no-ne-mölen um,
bis (der Fritzli) zue der chumt.
Sobald eins der Mitspielenden mit Namen aufgerufen
wird, tritt es in die Mitte des Kreises und tanzt da Solo,
bis ein zweites und dann ein drittes auf gleiche Weise ge-
nannt ist, die dann zusammen im Kreise einen inneren
Reihn bilden. Schliefslich gehen sie durch die gehobenen
Arme des äufseren Kreises hindurch, ziehen diesen nach
sich und stellen dadurch die ursprüngliche eine Kette wie-
der her ^). Nächst dem tatsächhchen Erweis, dass das
Lied wirklich als Chorreigen beim Frühlingsempfaug diente,
treten uns noch mehrere Bezüge auf den Frühlingsanfang
deutlich entgegen. Nach Wintereis, Schnee und Ha-
gelschlossen (rise, ise und schlifse) , nach dem sieben-
monatlicheu Spinnen der Göttin und ihrer Gefährten, dreht
der Kreis sich um und es folgt längere Zeit Sonne (8
Jahr Sonne). Der Löwenzahn, aus welchem die beim
1) Kocholz, Alemann. Kinderlied u. Kinderspiel I, 174, 288. II, 467, 94.
519
Aargauer Tanze gebrauchte Kette geflochten ist, heifst wie
solsequium , heliotropium aargauisch Sunnewirbel d. i. Son-
nenwende, und hat somit in unserm Chorreigen seinen
richtigen symbolischen Platz.
Neben der bisher erläuterten Vorstellung, dass das
Lichtreich (Engelland} durch die Winterdämonen ver-
schlossen sei, läuft aber im Volksglauben noch eine andere
her, welche ich hier nur andeuten, nicht ausführlich erör-
tern kann.
Gewöhnlich ist das Lichtreich verborgen, zumal
keinem menschlichen Auge der Blick in dasselbe gestattet,
aber zu gewissen Zeiten öffnet es sich und lässt seine Her-
lichkeit schauen, die Menschen daran Teil nehmen. Solch
eine Zeit heifst Wunschstunde. Saemund der Weise
(Saemundur hinn fröSi) sagte, dass eine Wunschstunde
(öskastund) an jedem Tage wäre, aber nie länger als
einen Augenblick (augnabragö) und könnten die Menschen
sich dann wünschen, was sie wollten. Andere sagen, die
Wunschstunde kehre nur jeden siebenten Tag wieder,
nämlich am Laugadagr (Sonnabend). Einst safs Saemund
in seiner Badstube bei seinen Dienstmägden. Da saffte
er: „Wolauf Mädchen jetzt ist Wunschstunde, wünscht
euch, was ihr wollt." Da rief die eine:
Eina vild' jeg eiga mjer
oskina svo goöa,
aS jeg setti synina sjö
meö Sffimund' hinum fröSa! ^)
„Og daeir, ])egar ]iü f^eöir hinn siöasta"^), rief Saemund
über diesen Wunsch erzürnt. So geschah es. Saemund
ehelichte später die Magd und zeugte mit ihr sieben Söhne,
beim siebenten starb sie in den Geburtswehen ^). — Nach
den meisten Sagen tritt eine solche Wunschstunde jedoch
nur selten ein, nämlich am Sommer- und Wintersol-
1) Eines wollt ich haben zu gutem Wunsche, dass ich hätte sieben
Söhn' mit Saemund dem Weisen.
2) Und stirb, wenn du den siebenten gebierst.
3) Islensk Ecfintyri S. 44.
520 •
stiz und beim Frühlings- und Herbstanfang. Wie
wir oben S. 468 sahen, ist Frau Holdas Berg nur viermal
im Jahre geöffnet^ nämlich alle Fronfasten. — Schwäbischer
Volksglaube sagt, wenn man sich in der Neujahrsnacht,
die das Wintersolstitz vertritt, auf eine Kreuzstrafse stelle,
so sehe man den Himmel offen und erfahre, was im
kommenden Jahre sich zutragen werde ').
Derselbe Gedanke ist darin ausgedrückt, dass am
Christtag (oder Sylvester), am Johannistag, zu Michaelis
und am ersten Mai (oder im März) die Schatzhölen,
die BeriTwohnungen der weifsen Frauen offen
stehen, die versunkenen Städte aus dem Wasser (dem
Himmelsmeer) emporsteigen u. s. w.
Die üebereinstimmung der Gebräuche am Frühlings-
und Herbstanfang, sowie bei der Sommersonnenwende zeigt
uns, dass im Wesentlichen dieselben Anschauungen an
diese Tage sich knüpften, wie an das Mittwinterfest. Da
an diesem jedoch die Vorstellungen am reichlichsten und
deutlichsten hafteteten, begnügen wir uns, hierüber das Er-
srebnis unserer Untersuchuno; mitzuteilen, den Versuch des
Beweises auf spätere Gelegenheit versparend. Die Ge-
bräuche, welche vom Landvolk in Nord- und Südgerma-
nien um die Weihnachtzeit (am St. Andreastag Nov. 31.
St. Nicolas Dec. 6; St. Thomas Dec. 21; Christtag Dec. 24;
Stephanstag, Sylvester bis zu dem heil. Dreikönigstage)
geübt wurden und werden, der Aberglaube welcher von
dieser Zeit umgeht, trägt die Spuren sehr verschiedener
Zeiten, heidnischer wie christlicher, an sich.
Die älteste Vorstellung, welche von späteren heidni-
schen Anschauungen sehr in den Hintergrund gedrängt
wurde, scheint mir diese zu sein. In den letzten Wochen
vor dem Wintersolstiz, wenn immer dunklere Nacht über
die Erde hereinbricht und sie ewig zu begraben droht,
dachte man sich das Lichtreich der Seligen (Liösalfaheimr,
Engelland) vollständig geschlossen. Das Herz versank in
1) Meier, Schwäbische Sagen 468. 221.
521
düstere Trauer, bis die Wiederkehr des Lichtes im Win-
tersolstiz aufs neue den Himmel zu erschliefsen schien, und
12 oder 21 Tage lang geweihten Blicken seine Herlichkei-
ten zeigte, ihnen den Vorschmack und die Gewähr des
wiederkehrenden Frühlings bot. Drei Wochen vor dem
Mittwinterfest ') begann die lange Nacht. Dann zogen un-
gestört die unseligen Geister (Jölevretter) durchs Land, die
Trolle (s. o. S. 190 fgg. 205) kamen von den Bergen und
hatten gröfsere Macht zu zaubern, als sonst. Man durfte
Wolf, Fuchs, Maus und andere Tiere nicht bei rechtem
Namen nennen, weil Hexen oder böse Geister in ihrer Ge-
stalt zu vermuten waren. In Norwegen zogen um diese
Zeit Jünglinge (Jolasveinar) mit geschwärzten Gesichtern
und Tierhäuten durch das Land, welche diese unsehgen
Geister darstellten, selbst in Berlin hat sich eine Erinne-
rung an dieselben in den sogenannten Waldteufeln er-
halten^}. Mit dem 21. oder 22. December jedoch (Söl-
hvörf) öffnete sich das Lichtreich der seligen Geister der
Liosälfar wieder und es begann ein Fest, dessen älteste
Feier Freyr, dem Herrn des Lichtlandes Liosälfa-
heimr'') galt. Nun steigen die seligen Geister wieder
zur Erde herab, der unterbrochene Verkehr mit den Men-
schen ist wieder eröffnet. Der Volksglaube drückt diesen
Gedanken so aus. Zu Weihnachten und Neujahr
(beide vertreten den altheidnischen Jahresanfang am Mitt-
wintertagej sindZichtage (flyttadagar) derAlfen, dann
wechseln diese ihren Wohnsitz und kommen in die Häu-
ser der Menschen. Man setzte ihnen daher in Nord- wie
Südgermanien in der Neujahrs- oder Weihnachtsnacht ei-
nen gedeckten Tisch mit Speise hin, und brachte ihnen ein
Opfer Alfablöt oder Englöl dar. Das auf diese Weise geöff-
nete Lichtreich liefs während „der sogenannten 12 Nächte
1) Drei Wochen vor dem Wintcrsolstiz am 2. December begann im Nor-
den das Julfasten, drei Wochen vor dem clnnstl. Weihnaclitsfest zeigt St. Ki-
eolas Dec. 6 den Beginn der heil. Festzeit an.
-i) S. Kuhn, Nordd^ Sagen 405, 134.
3) Grimnism. 5.
522
oder so lanjxe der Julfriede währte (drei Wochen vom
21. Dec. ab) seine Wunder, die Prototype aller Wesen
und Begebenheiten schauen. Wer sich nüchtern auf einen
Kreuzweg begab (das Abbild des von der Sonne durch-
kreuzten Himmelsrains s. oben S. 393), wo er kein mensch-
liches Licht sah, keinen Hahn krähen hörte, sah die Be-
gebenheiten des künftigen Jahres (ärsgang) im Bilde an
sich vorüberziehen. Wer in einen Brunnen schaute, ein
Abbild des himmlischen Brunnens, in welchem die Seelen
weilen, sah darin die Seele seines zukünftigen Ehegemahl,
dasselbe geschah, wenn ein Mädchen um Christnachtmitter-
nacht nackend einen Kreuzweg mit dem Besen kehrte, und
auf sehr mannigfaltige andere Weise hervorgerufen. Die
Gewächse im himmlischen Lichtreich wurden sichtbar').
Tat sich im Wintersolstiz das Lichtreich auf, um die
himmlische Fortdauer des Pflanzenreichtums zu zeigen, so
öffnete es sich am Aequinoctialtage des Herbstes, um die
auf Erden erblichene Sommerherlichkeit in sich aufzuneh-
men. Deshalb antwortet das Kinderlied oben S. 491 auf
die Frage „Wann ein neuer Schlüssel zum verschlossenen
Engelland da sein werde," „Im Herbst, wann das Korn
reif ist wenn der Bäcker backen kann und der
Bräuer brauen kann."
Diese Antwort stimmt genau mit den Worten über-
ein, welche der abziehende Storch von sich sagt:
Adebar langben
wenn wult du üt to lande ten?
wenn de rogge riepet,
wenn de pogge piepet,
wenn de gäle beren
in de böme glären (glänzen),
wenn de rode appeln
in de kästen klappern
will laugeben
to lande ten *).
1) Vergl. im Allgemeinen W. Menzel. Die Somienwende im altd. Volks
glauben. PfeiflFers Germania II, 228 — 239.
2) Vergl. Stork stork sehnibel schnabel, wenn du wilt inn himmel
fahre, heint oder moam, bring'n sack voll koam! Wenn der rogge reift,
wenn der müller pfeift u. s. w. Firm. II, 418 aus Memmingen.
523
Im Herbst verlässt der Storch unsere Gegend, nach
dem ursprünglichen Volksglauben die Erde und kehrt in
seine Heimat (to lande) zurück, ins Eibenland, Holdas
Lichtreich, wo er sein Federgewand abstreift und Men-
schengestalt führt. Ein Reisender, welcher in ein fer-
nes Südland gelangte, wurde, wie in mehreren Gegenden
berichtet wird;, hier von einem Manne ') sehr freundlich
aufgenommen, der ihn als alten Bekannten begrüfste und
ihm erzählte, er sei der Storch, der jährlich Sommers auf
seinem Dache zu nisten pflege. Der Storch, Holdas Tier,
gehört zu den Eiben, von denen wir S. 483 fgg. gespro-
chen haben.
Aus den vorhergehenden Ausführungen und Andeu-
tungen wird immerhin so viel ersichtlich sein, als zur Er-
klärung der Formel „Engelland ist geschlossen" oben
S. 491 nötig ist. Erachtete man das himmlische Seelen-
reich zu gewissen Zeiten im Jahre geweihteren menschli-
chen Augen geöflPnet, glaubte man , dass zu diesen Zeiten
besonders die Seligen (Liösalfar) auf die Erde herabstie-
gen, mit den Menschen verkehrten, so musste andererseits
gerade nun auch der Eingang in das himmlische Land
die serino;ste Schwierio;keit darbieten.
Blicken wir noch einmal auf die Zeugnisse über En-
gelland zurück, so müssen wir uns gestehen, dass dieser
mythische Name, wie verbreitet auch einzelne ihn enthal-
tende Formeln und Lieder sein mögen, seinen eigentlichen
Sitz im westlichen Teil von Niedersachseu, in
Westphalen und den angränzendeu oder von doi't aus co-
lonisierten Landschaften (z. B. in Pommerellen, das seine
Ansiedler vorzugsweise aus der Cölner Gegend empfing)
habe. Unsere Untersuchung ergab aber ferner, dass die
Anschauungen, welche in der Volkspoesie mit dem Namen
Engelland sich verbinden in ganz Deutschland, sowie bei
den nordgermanischen Stämmen nachweisbar sind, und dass
dieselben einen engen Zusammenhang mit Vorstellungen
1) Auch die Araber glauben, der Storcli sei vordem ein Marabu (Priester)
gewesen, den Allah um seiner Sünde willen verwandelt liabe. Vergl. Kennie,
Baukunst S. 133, Sommer, Tasehenb. z. Verbreit, geogr. Kenntnisse XXI, 49.
524
verraten, welche, insoweit sie dem skandinavischen Norden
angehören, mit grofser Wahrscheinlichkeit als bereits vor-
eddisch betrachtet werden müssen.
§. 5. Holda und die Nornen.
Bisher lernten wir das himmlische Seelenreich vor-
zugsweise als den Sitz Holdas mid der Elbe kennen; eine
Anzahl teilweise weitverbreiteter Kinderlieder erweitert un-
sere Kenntnis auf sehr vollkommene Weise ').
1.
Sonnche Sonnche scheine
Maria! Kathareine!
Zu Frankfurt in dem Boppehaus,
Da gucke drei Mareie draus.
Die an spinnt Seire (Seide),
Die anner wickelt Weire (Weide),
Die dritte schliefst den Himmel auf.
Da guckt die liebe Sonn' heraus^).
2.
Rite rite Ross!
Zu Babel liegt ein Schloss,
1) Die mythische Bedeutung des nachstehenden Liedes hat bereits J.
Grimm, Myth.^ 388 erkannt. Ausfülirlicher handelten darüber Rocholz, Ale-
mannisches Kinderlied I, 138-149 und J. "\Y. Wolf, Beiträge II, 178—186.
Als ich Ostern 1853 "Wolf zuerst kennen lernte, brachte ich denjenigen Teil
meiner gegenwärtigen Arbeit, welcher über die Nomen handelt, zum gröfsten
TeU. ausgearbeitet mit. Er hatte schon 1852 der Friedensgesellschaft in Dan-
zig vorgelegen. Auch Wolf hatte sich damals vorzugsweise mit diesem Teil
der Mythologie beschäftigt. Als ich den Freund 1854 kurz vor seiner Krank-
heit auf längere Zeit wiedersah, hatte er seine Erläuterungen zum Druck be-
fördert, ich meine neugew-onnenen und etwas veränderten Anschauungen neu
zu Papier gebracht. Ich hatte die Freude, ihn in den Hauptsachen von der
Wahrscheinlichkeit meiner Deutung zu überzeugen.
2) Messel bei Darmstadt d. Lehrer Gluck s. oben S. 388. Vergl. Ber-
lin und Umgegend mündlich und Hagens Germania VIII, 226: Dreie sechse
neune! Im Garten steht ne Scheune, im Garten steht ein Hinterhaus (Hüh-
nerhaus), da sehen drei goldne (Yar. alle) Engel (Var. die lieben Puppen)
heraus. Der (die) eine spinnt Seide, der (die) andere spinnt Kreide (spielt
mit Kreide; spinnt Wolle), der (die) dritte schliefst den Himmel auf, da
schaut die liebe Sonne heraus, da sehen alle Engel (die lieben Engel, die
lieben Puppen) heraus.
525
In Rom; da liegt ein Glocken haus,
Da gucken drei schöne Nonnen heraus.
Die eine spinnet Seide,
Die andere spinnet Kreide,
Die dritte schliefst den Himmel auf,
Lässt ein Bischen Sonn' heraus
Anne Marieke bleibt drinnen ').
3.
Kling klang Glöckchen!
Im Garten steht ein Döckcheu,
Im Garten steht ein Hühnerhaus,
Sehn drei seidne Döckchen heraus.
Eins spinnt Seiden,
Eins flicht "Weiden,
Eins schliefst den Himmel auf;
Lässt ein Bischen Sonn heraus.
Daraus Maria spinne
Ein Röcklein für ihr Kindelein
Ei so fein! ei so fein! ^).
4.
Dreie sechse neune!
Im Garten steht ne Scheune,
Im Garten steht ein Hinterhaus,
Da sehen drei goldne Mädchen heraus.
Die eine spinnt Seide,
Die andere karrt Steine,
1) Aus Magdeburg d. Dr. Janicke.
2) Wunderhorn 1808 III. Anh. S. 71; daraus Simrock KB.« 27, 171.
Vergl. Weimar d. Eeinh. Köliler: Liebe, liebe Sonne, scheine auf die
Tonne, scheine auf das Glockenhaus, guckten drei alte Jungfern her-
aiis. Die eine die spann Seide; die andere die arbeitte; die dritte schloss
den Himmel auf, licfs ein bischen Sonne raus, liefs ein bis-
chen drinne, dass die heilige Maria konnte spinne. Ebendas. : Scheine
liebe Sonne! drei Döckchen auf der Wonne! eins spann Seiden, eins
drehte Weiden, das dritte schloss den Himmel auf, liefs ein bischen
Sonne raus, liefs ein bischen drinne, dass die liebe Maria konnte s]}inne.
526
Die dritte schliefst den Himmel auf,
Da guckt Mutter Maria heraus ^).
5.
S' sünneli schint,
s' vögeli grint,
s' hocket unterm lädeli,
s' spinnt e side fädeli,
s' spinnt en lange fade,
er langet bis go Bade,
von Züri bis üf Hauestei,
von Hauestei bis vdederum hei.
z Rom ist es guldigs hüs,
lueget drei Mar ei e drüs.
die eint spinnt side,
die andere floride,
die dritt schnätzlet chride,
die viert spinnt haberstrau,
die feuft isch eusi liebi frau
(sie sitzt ennet a der wand,
hat e aepfel i der hand).
sie goht durh-ab zum sunnehüs
und 16t die heilig sunne üs
und löt de schatten ine
für ihre liebe chline,
und wemm-mers g'hört singe
chömmt alli engel z' springe ^).
1) Berlin d. H. Klitzing. Vergl. Berlin mündl. : Drei Engel sitzen
im Garten; einer zieht die Leine, einer spielt die Geige, einer schliefst
den Himmel auf, da kommt Mutter Maria heraus. Ebendas. : Auf dem
Hofe (im Garten) steht ne Scheune, im Hofe steht ein Hlihnerhaus
(Taubenhaus, Bilderhaus, Schilderhaus), da gucken drei goldne Püpplein
heraus. Die eine schabt Kreide, die andere spinnt Weide, die dritte
schliefst den Himmel auf, da sieht Mutter Maria mit Jesus her-
aus. Aehnlich vielfach in Berlin, Weifsenfeis in Sachsen d. Semin. Lorbeer;
Genthin d. H. Reinicke; Leipzig d. Dr. Hildebrand. Varr. da schaut der hei'
lige Petrus heraus ; da schaut Louise zum Fenster hinaus ; die di-itte guckt
zum Himmel hinauf, da gingen sie alle die Trepp hinauf.
2) Rocholz, Alemann. Banderlied S. 139, 273.
527^
6.
Reite reite Rössle
z' Bade steht en Schlössle,
z' Bade steht en Wirtshaus,
Gucket vier Marien raus.
Die ein' spinnt Seide,
Die ander' spinnt Reiste,
Die dritt spinnt Haberstraii,
Die viert sait: bliüt di Gott, mei liebe Fraul^)
7.
Sonne Sonne fürer I
Schatte Schatte untere!
Es leg se an a Roanle
Find i a goldenes Boanle.
Dort oben auf jene Glocka
Steand drei Docka:
Die erste spinnt Seiden,
Die zvreite lernts Geigen,
Die dritte ziehts Lädle auf.
Las st die heilig Sonne rauf,
Die vierte spinnt Haberstrauh,
Trost se Gott und unser liebe Frau ! ^)
8.
Ride ride ressle!
z' Basel steht e schlessle,
z' Rom steht e Glockehüs;
s' luege scheue jumfre drüs.
eine spinnt side,
d' andre spinnt wide,
d' dridde, die spinnts klore guld,
d' vier de isch mi'm häwele hold^).
1) Wurmlingen. E.Meier, Kiuderr. aus Schwaben 5, 14. Gönningen,
a. d. Schwab. Alp. aufgez. von mir. Var. Zu Stuttgart steht es Schlüssle, zu
Stuttgart steht e Guckehaus, die dritte spinnt llaberstrau, bhuet di Gott
mei liebe Frau.
2) Ebendaher. Meier 21, 66.
3) Vom Oberrhein. Stöber, Elsass. Volksbüchlein 30, 52, daraus Firm.
528
9.
Rite rite rössli!
z' Bade stoht e schlössli,
z' Klingnau e brünneli
z' Kaiserstuel e sünneli^
z' Freiewil e chäpeli,
d' maidli traget schäpeli,
d' bube traget male,
der güggel chunt go cbraije:
güggehü,
z' morge-n-am drü
chömmt dreie Mareie
die eint spinnt side,
die ander scbnäflet chride,
die dritt schnidet haberstrau,
bliüet mer gott mis chindli au! ').
10.
Sonne Sonne scheine!
Fahr über Kheine,
Fahr übers Glockehaus,
Gucken drei schöne Puppen heraus.
Eine, die spinnt Seide,
Die andere wickelt Weiden,
Die dritte geht ans Brünnchen
Findt ein goldig Kindchen^
Wer Solls heben?
Die Tochter aus dem Löwen.
Wer soll die Windeln waschen?
Die alte Schneppertäschen ^).
II, 512. Simrock, Kinderb. ^ 48, 173 mit Varr. drei schöne Jungfern, wik-
kelt Weide.
1) Aargau. Rocholz, Alemann. Kinderlied 140, 274.
2) Wuuderliom 1808 III. Anh. S. 70. Daraus Dichtungen aus der Kin-
derwelt. Hamburg 1815 S. 74. Simrock, KB.^ 46, 169. Vergl. Messen
bei Darmstadt d. Lehrer Gluck: Reiter Reiter Rösschen, dort unten steht ein
Schlösschen. Da sitzen drei Jungfrauen drin. Die eine die spinnt
Seide, die andere ivickelt Weide, die dritte geht zum Brunne, hat e
Kind gefunne. Wie solls heifse? Wie die junge Geifse. Wer soUs hebe?
^29
11.
Stork Stork Steine,
Mit de lange Beine,
Mit de korze Knie,
Jung fr au Marie
Hat e Kind gefnnne
In dem kleinen Brunne.
Wer Solls hebe?
Der Petter mit der Gese.
Wer soll die Winnel wasche?
Die Mad mit der Plapperdäsclie '),
12.
Stork Stork Stane,
Fligk iber Hane,
Fligk ibers Bäckerhaus
Gucke drei Boppe raus.
D' an spinnt Seide,
Die anner wickelt Weide,
Die dritt' giht oiCn Brunne
Hot e Kindchc funne.
Wie Solls haafse?
„Hockele Hockele Gaase."
Wer Solls hebe?
„Der Bäcker oder der Peter."
Wer soll die Winuele wasche
„s' Kathche mit der Lappentäsche."
Stork! Stork! Stork!-).
Der Mann mit dem Löwe. Wer soll die Windeln wasche? Die Frau mit
der Lappctasclie. — Darnistadt. A\'olf', Beiträge II, 179, 5: Zu Darmstadt
steht ein schönes Haus, da schauen drei alte Jungfern licraus. Die
eine spi nnt S cide , die andere wickelt Weide, die dritte .iteht am Bnin-
nen hat ein Kindchvn funnen. Wie Solls heilsen? u. s. w.
1) Dict7.enbach in der Wetterau. Zeitschr. f. D. Mylh. I, 475. Pom-
merellen niilndl.: Storli Stork Steine, mit de lange Beine, mit de körte Knie.
Jungfrau Marie hat 'n Kind gefunden, war in Gold gebunden.
2) Aisbach a. d. Bergstrafse Firm. II, 34. Wolf, Beiträge II, 180, 7.
— Jugenheim an der Bergstrafse von mir aufgez. : Storch Storch Steine, flieg
über Uhcine, flieg übers Bäckcrhaus, gucke drei Puppe raus, die ein'
spinnt Seide, die andere dreht Weide, die dritte f/eht zum Bi-nnne hat e
34
530
13.
Storch Storch Stane
Mit de lange Bane,
Flieg hinein ins Bäckerhaus,
Da schauen drei alte Jungfern heraus.
Die eine spinnt Seide,
Die andere flicht Weide,
Die dritte hatn roten Rock
Wie des Schneiders Geisbock ').
14.
Stork Stork Schnibelschnabel
Mit der langen Ofengabel,
Willst du lernen Silber tragen?
Wenn die Rogge reife.
So gange wir ge pfeife.
Im Unterland is au e Haus
Gucket alte Frauen raus u. s. w. ^).
15.
Storch Storch Schnibelschnabl
Mit der lange Heugabi
Fheo-t übers Glockähaus,
Gucket drei Fräule raus.
Die oin spinnt Seidn,
Die oin spinnt Kreidn,
Die oin spinnt Blitzblä,
Hol mi da der Guckuck a.
16.
Der Reiter reift a Rössle,
In Stuttgart steht a Schlössle,
In Stuttgart steht a Guckehaus,
Gucket drei schöne Jungfere raus.
Kvndche funne. Wer solls taife? Der PfaiTer mit de Seife Wer solls
hebe? Der Peter und die Käthe. Wer soll die Windlen ^väsehe.^ Die Ka-
the mit der Lappetäsche.
1) Michelstadt im Odenwald. Wolf, Beitr. II, 180, 6.
2) Meier, Kindern aus Schwaben 29, 05.
3) Buchau in Schwaben d. Stud. Birlingcr.
531
Die ein' spinnt Seide,
Die ander wickelt Weide,
Die dritte spinnt en rode Rock
Für den liebe Herregott').
Besser lautet in einem sonst genau übereinstimmenden Liede
der Schluss:
Die anner wickelt Weide,
Die dritte spinnt e rode Rock
For unsere lieive (Karel u. s. w.) Bock -).
17.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9
Zu Hamburg steht ne Scbeun,
Zu Hamburg steht ein Haus,
Sehn drei alte Jungfern heraus.
Die eine macht Kreide,
Die zweite näht Seide,
Die dritte näht Hemde;
Mir eins, dir eins, dem besoffiien Schneider keins ^).
18.
Rite rite rössli,
ze Bade stöt e schlössli,
ze Bade stöt e güldi hüs,
es lüeged drei Mareie drüs,
die eint spinnt side,
die ander schnätzelt chride,
die dritt schuit haberstrau
bhüet mer Gott mis chindli au *).
1) Meier, Märchen aus Schwaben S. 294, 87. Meier, Kiiulcrreimc aus
Schwaben 5, 15: Var. steht e rotes lTnvs\ spinnt Weide.
2) ]\Iittelsaar. Firm. II, 555. In Stuttgart lautet nach Wolfs Aufzeich-
nung Beitr. II, 179, 3 der Schluss: Die dritte spinnt e Rock für unsere alte.
Lumpendock.
3) Pommerellen mündlich; Wolf, der Beiträge II, 181, It dieses Lied
nach meinen Collectaneen mitteilt, nennt irrtümlich Hamburg als Fundort.
Berlin d. H. Krause: 1-9 Wie hoch steht die Schcun? Wie hoch steht
das Haus? Da schauen drei Jungfrauen zum Fenster hinaus. Die erste
spinnt Heide, die zweite wickelt Seide, die dritte jiäkt Ilemdchen: für
mich eins, für dich eins und für den falschen Juden auch eins.
4) Aus der Schweiz, Myth.^ 388; daraus KB.^ 48, 174. Ebenso in
34*
532
19.
Ritta i-itta rössle
z' Bladez ist a sclilössle,
z' Kenzig ist a glockehus,
es luegen drei poppa drus,
die erst spinnt sida
die zwoat glorifigat,
die dritt tuts töarle üf
und lots hälig sünneli üs^.
Fassen wir die vorstehenden Lieder näher ins Auge,
so zeigt sich uns zunächst ein inniger Zusammenhang mit
den oben S. 389 384 fgg. aufgeführten Sprüchen. Dort
oben wo der Eingang in das himmlische Lichtland ist,
am Himmelsram (s. oben S. 392. 393)^-) liegt ein golde-
nes Haus oder Schloss. In diesem wohnen drei
schöne oder drei alte Jungfrauen, die auch als die
drei Marien bezeichnet werden No. 1. 5. 9. 18. Bemer-
kenswert ist No. 2 die Variante: drei schöne Nonnen.
Die Verrichtungen der beiden ersten Jungfrauen sind
iu den meisten Fassungen gleichbleibend. Die eine spinnt
oder näht Seide No. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 12. 13
15 16. 17. 18. 19; die andere wickelt 1. 10. 12. 16; flicht
3-' dreht 3. Anm. 2. 12. Anm. 2; oder spinnt 4. Anm. 1
Weide; oder wie andere Varianten sagen die vom fernsten
Zürch d. H. Euuge und AppenzeU Firm. II, G65. Var.: die ander schnatzet
Zt die dritt sinnnt hallrstran bhüet mer Gott mis buehU au Zurch ci
rV Zin^^erle: Ritta ritta rössle, dort oba steht a schlössle, dort oba steht
a'gülde^ hus, da luigen drei maideli drus, die eine «P^^^* l^^"^^^^ ' "^^/^
:.!it schnitzlet kreide, die ^n" röstet haberstrau; o V^^^^^
mei schätzli au. - Elsass, Stöber, \olksbuchlem oO, ^l'/'^^f ^^^^^ ^
ross, ze Basel steht e schloss, - ^-d steht eherrehus gucke d ex s ehern
jungfre 'rus, d' ein spinnt seide, d' ander draid ^-eide , d dritt schniea
hawwerstro, 's hindd macht es au eso.
U Rankwil in Vorarlberg. Vonbun, Vorarlberg. Sagen I80O b. 6b. —
Graubi^ndten d. H Hitz: Rite rite rössli, z' Bade steht e schlossli; dort
itgfdrUungfraue üs, dy aini spinnt side, die -^re schabet chr.de
die dritte cät ins -loo-^ähüs und lät de helig sunnan us^^ar.. Die
tut g^tlndlnleUei; holet MuskateUer; Muskateller, suefser Wem, morge
wemmer lustig sein.
2) Aus diesem Worte ist Rom in No. 3. 5. dmch die Form roau wahr-
scheinlich rolksetymologisch entstanden.
533
Osten und Norden des deutschen Landes bis zum äufser-
sten Süden verbreitet sind '), sie spinnt 2. 8. 15, schabt
4 Anm. 1. 19 Anm. 1. schnäflet 9. schnätzelt 18. schnitzelt
18 Anm. 4. macht 17. Kreide^ Reiste 6. oder Hede 17 Anm.
3. — Die Tätigkeit der dritten wird jedoch sehr verschie-
den angegeben. Sie spinnt entweder einen roten Rock 13.
16, oder ein Hemd 17, oder sie spinnt Haferstroh 5. 6. 18,
oder sie spinnt das klare Gold 8. Sie schliefst den Him-
mel auf, da guckt die heilige Sonne heraus 1. 2. 3. Sie
tuts Türlein auf 19, schliefst das Lädle auf 7, und lässt
die heilige Sonne oder etwas Sonne heraus. Endlich sa-
gen No. 10. 12, dass die dritte an den Brunnen geht und
ein Kind findet. Die Bedeutung dieses Zuges wird durch
die damit verbundene Fortsetzung klar. Das Kind ist eine
in menschlichen Körper eintretende Seele, der Brunnen
ist Hol das Kinderbrunnen. Deshalb wird gefragt:
„Wer soll das Kind (aus der Taufe) lieben?'^ Die Ant-
wort lautet: „Der Pate und die Göthe'^ (Gode d.i. Pa-
tin, was in „ der Peter und die Käthe " „ die Tochter aus
dem Löwen" u. s. w. entstellt ist). „Wer soll die Win-
deln waschen?" In No. 11 tritt Holda (Maria) als Fin-
derin des Kindes ein, in einem anderen Spruche ihr hei-
liges Tier die Katze.
er.
Hop hop heserlman
unsa kaz had schtiferln an
rennt dämid af HoWabrunn
findt a kindl in da simn.
„wiä sulls hoafsn?"
Kizl oda Goafs'l.
„wear soll's heb'n?"
d' Sofferl mid da reb'n.
„wear soll d' windl wäsch'n?"
d' Wabcrl niid da blaudadäschn ').
1) Wolf hat somit entpc'liii'den Unrecht, wenn er diese Lesart Beitriii^c
11, 183 blofs für sehAveizerisch liält mul sie darum als Verderbnis venverfen will.
2) Oestcn-eich. Volkslieder von Ziska uud SehoUkv. Pcsth 1811) S. l-',
534
ß-
Hist host Edelmann,
Die Katz legt die Stiefel an,
Springt in den Brunnen.
Hat ein Kindlein funnen.
Wie Solls heifsen?
Endle Bendle Geusen.
Wer soll die Windeln waschen?
Drei alte Plaudertaschen').
Y-
Hopp hopp Edelmann!"
D' Katz hat Stiefel an.
Reitet übern Bronua,
Hat a Kindle gfunna;
Wie Solls heifse?
Böckle oder Gaisle.
Wer soll d' Windle wasche?
D' Amme mit der schmotzige Tasche-).
d.
Eins zwei drei
Meiner Mueter Gschwei,
Hat es Chindli gfunde,
Häts in Plunder blinde.
Wie muefs es heifsen?
Gitzi oder Gaifsen.
Wer muefs de Windle waschen?
S' Buebli mit der Lumpetäschen ^).
2; daraus teilweise KHM. III.'' 268. Bei Pressburg lautet das Lied: Hopp
liopp Hoselmann , d' Katz hat die Stiefeln an , reit damit nach Hollabrnnn ;
Hollabrunn is Kiritä. — Hollabrunn ist ein Marktflecken in Unteröstreich.
1) Simrock, KB.* 47, 170. Oberrhein. Stöber, Elsäss. Vollcsbüchl. 26,
43: Hist hood Edelmann, d' Katz leit d' Stiefel an, springt in den Brunne,
hat e Kind gefunde. Wie solls heifse? d' Mäcker mit der Gaise. Wer
soll d' Windle wasche? du du alte Lumbedäsche.
2) Meier, Kinderr. aus Schwaben 4, 11.
S) Aargau. Rocholz, Alemann. Kinderlied I, 129, 263. Elsass ; Stö-
ber, Volksbüchlein 26, 42: Eins zwei drei. Mienre Mueder G'schwei, het emol
e Kindeigfunde; wie solls heifse? Zucker uff de Gaise. Wer solls he wwe?
535
s.
De Mad geht uf de Brunne,
Hat e Kindche funne.
Wie Solls heilse?
Zickel oder Geifse.
Wer soll de Winnie wasche?
Unser alti Schlapperdäsche ').
Hopp hopp Habermann,
Zieh dem Bäcker die Stiefel an.
Reil't er nach dem Brunnen,
Findt ern kleinen Jungen.
Wie soll er heifsen?
Eduard von Preul'sen.
Wer soll die Windeln waschen?
(Clara) mit der Rumpeltaschen ^).
V'
Eins zwei drei,
Hicke hacke hei,
Hicke hacke Hornsporn;
Zwanzig Kinder sind verlorn.
Wie solln sie heifsen?
Karl oder Weifsen.
Wer soll die Windeln waschen?
Geh du alte Plappertasche ^).
Fliädermiis wo is diu hüs?
bäwen up dat rathüs.
Der Schnioder iinn der Wewwer. Wer soll d' Wiiidle wäsclm? Unsri aldi
lüinkelbuiikelkuiikcldäsclie.
1) Mittclsaar. Firm. II, 55G.
2) Berlin mündl. ; Sanssouci d. II. Schulz: Hopp, hopp, hopp, hopp
llabcrmaun, zieh dem Bauer die Hosen an, dass der Bauer reiten kann ; reift
er übern Brunnen, find't er'n kleinen Jungen. Wie soll das Kindleiu
heifsen? Es ist der Prinz von Preulsen.
3) Pommerellen mündl.
^36
wat makst du dar?
ik kämme min här,
wel morgen met kindken nä kerke gän.
wu sali dat kindken heiten?
Anne Marie Margreiten,
well sali dat kindken waren?
de appel (lies: apen) im de baren.
well sali dat kindken weigen?
de müggen und de fleigen.
well sali dat kindken begräwen!
de köster on de räwen ^). .
i.
Ilirz hirz hörn,
de kö de legen em körn.
wu es da der hirte?
döscher zweie birke.
wat mächt he dou?
junge, junge höndcher (Hunde).
wie sünn die da heifse?
knöppcl of der geifsel.
wer sali se da hewe,
de knewel darnewe.
wer sali se da trou? (tragen)
der wou (wagen).
wer soll se da schleppe?
der äte (Grofsvater) -).
Es entsteht nun die Frage, ob in No. 10. 12. die Stelle
„geht zum Brunnen" u. s. w. ursprünglich oder erst
aus dem so eben aufgeführten selbständigen Liede, von
welchem oben S. 529 No. 1 1 die ursprünglichere Fassung
sein mag, herübergenommen ist. Wir dürften das erstere,
d. h. die Verbindung der drei alten Jungfrauen mit dem
Kinder brunnen unbedingt bejahen, wenn in No. 12. 13.
15 die Erwähnung des kin der bringenden Storches,
1) Münstersche Gescliichten und Sagen 228, 2.
2) Salchcndoif bei Siegen d. Lehrer Siebel.
537
der die Seelen aus Holdas Born holt, unzweifelhaft echt
wäre. Aber auch hier macht die Wiederholung der For-
mel „flieg übers Back er haus, gucken drei Jungfrauen
heraus" den Gedanken rege, dass zwei verschiedene Lieder
nämlich „zu — steht ein goldig Hans, da gucken
drei Puppen heraus" und Storch Storch Steine,
flieg übers Bäckerhaus, hol mir'n warmen Weak
heraus" ') ungehörig mit einander vermischt sind, wie
bereits J. W. Wolf annahm. Gleichwol machen No. 14. 15
diese Annahme zweifelhaft und No. 9 scheint wiederum un-
abhängig den Brunnen zu bestätigen. Man sieht die
Acten sind noch nicht spruchreif, die Varianten liegen
noch nicht in genügender Anzahl vor, um aus ihnen über
den ursprünglichen Text ein sicheres Urteil zu fällen.
Die fraglichen Stellen enthalten — fiills sie sich be-
währen sollten — den Sinn: Drei Jungfrauen wohnen
dort oben, wo das himmlische Lichtreich sich öffnet und
der Kinderbora liegt, s. oben S. 255. 379, wo der Storch
seine Heimat hat. Die eine von ihnen schreitet zum Brun-
nen und holt eine Kinderseele hervor, die zum Eintritt in
menschliches Dasein bestimmt ist. Da nun die Tätigkeit
der dritten Jungfrau als Türschliefserin des Himmels un-
bedenklich echt ist, so möchte ich auch die Variante „die
dritte geht zum Brunnen u. s. w." für alt halten.
Die drei Jungfrauen stünden demnach in einer engen
Beziehung zu dem neugcbornen Kinde. Dieselbe Beziehung
auf das neu ins Leben tretende Kind zeigen die Formeln
„die viert' isch mim bäwele holdNo. 8." „tröst se
Gott und unser liebe Frau No. 7." „bhuet mer
Gott mis chindli au No. 9. 18."
Für das Glück oder das Leben des Kindes wird beim
Nahen, bei der Wirksamkeit der Jungfrauen gefürchtet,
offenbar haben sie das Schicksal desselben zu bestimmen.
1) S. u. a. Simrock KH.^ 146, 586. 147, 588. Mcicr, Kindcir. aus
Schwaben 29, 93 und nielirfacli. Doch könnte möglichenvei.se auch unige-
kcnrt dieser Reim aus der Formel hervorgegangen sein, welche den Anfang
von No. 15 bildet.
538 •
Schon Grimai erkannte in ihnen die drei Schicks alsjung-
frauen der germanischen Mythologie.
Diese Deutung bestätigt sich zunächst durch die Be-
trachtunix der weiteren Züfje unseres Liedes. Die zweite
Jungfrau spinnt (dreht oder flicht) Weide. Dieses Wort
ist offenbar eine volksetymologische schriftdeutsche Umdeu-
tung von Schweiz, wid, gemeinobd. wide, mhd. wide, ahd.
widi, nd. wede von goth. vijjan fesseln, wozu altn. vidja Fes-
sel, vadr Strick gehören'). Wide bezeichnet ein aus
Baumgerten geflochtenes oder gedrehtes Seil, das zum Hen-
ken diente -). Unser einfaches Altertum drehte statt des
hänfenen Strickes Zweige von frischem, zähem Eichen-
oder Weideiiholz ^). Mithin haben die Worte „die dritte
dreht Weiden^' den Sinn „sie windet Fesseln" oder „das
Todesseil." Bekannt ist, dass die poetische Sprache des
MA. , höchst wahrscheinlich auf Grund althergebrachter
Formeln, dem Tode Bande, Seil und Stricke beilegte'*).
— Der Ausdruck „ die dritte spinnt Kreide " ist dunkel.
Ich vermute, dass er ursprünglich lautete „ die dritte ruft
Kreiden.'^ Das veraltete Kreide mhd. kride ^) heifst Feld-
geschrei, Kriegsruf, Loosung, Parole. Diese Formel wäre,
falls unsere Ansicht richtig ist, an die Stelle eines gleich-
bedeutenden älteren in der ursprünglichen unzweifelhaft
alliterierenden Fassung des Liedes getreten.
Nicht minder schwierig ist die Erklärung des „Ha-
ferstrohspinnens" in No. 6. 7. 9. 18.
1) Grimm, Gram. U, 26.
2) RA. 683. 684. Doch kommt wide auch in der abgeleiteten Bedeu-
timg Gespinnst vor. Vergl. u. a. Renner 4847: Ein gitik mensch tuot als
diu spinne diu nach iemeilichem gewinne ir gewide spinnet iiz irm libe.
3) Da besonders Weidengerten zu diesen Stricken verwandt wurden,
dürfte doch vielleicht an wide (salix) zu denken sein, so dass zu übersetzen
wäre „saligna vimina flectit."
4) Myth.2 805. Panzer, Beitrag I, 353.
5) Ein aus ital. grida, prov. crit Geschrei entlehntes Wort, über dessen
Fortleben s. Schmeller, Bair. WB. II, 387. Schmid, Schwab, idiot. s. v.
kreyden. Ich sehe, dass auch Kocholz , Alemann. Kinderl. I, 148 dasselbe
Wort zur Erklärung heranzieht, aber mehrere nicht dahingehörige damit ver-
mischt.
539
Indessen bieten sich mir folgende Anhaltspunkte. Im
Volksliede „von idel unmogehken dingen," das sehr viele
mythische Bestandteile enthält (s. oben S. 322. 405, Anm.
2) heifst es:
Ik wet mi ene schöne magd,
de minem harten wol behagt;
ik n?eme se gern to wiwe,
konde se mi von haferstroh
spinnen de Jtlene (zierliche) side ').
Wie in demselben Liede u. a. die Bedingung gestellt
wird: „so schast do mi de glasenborg mit enem perd up-
riden," welche Forderung einer, sehr vielen Märchen ge-
meinsamen, Legende entnommen ist, so findet auch das
Spinnen des Haferstrohs im Märchen seine Verwirk-
lichung. Eine Müllerstochter soll drei Kammern voll Stroh
zu Gold spinnen und wenn sie das kann dem König hei-
raten. Der Zwerg Rumpelstilzchen hilft ihr und sie ge-
winnt den König ^). Dieselbe Geschichte wird von frü
Freen mit dem groten düme d. i. der Göttin Frikka
erzählt. Diese spinnt für ein Mädchen Roggen stroh zu
Gold^). Das Mädchen wird dadurch die Gemahlin des
Königs. Endlich knüpft sich dieselbe Erzählung an drei
alte Jungfrauen, die drei Schicksalsgöttinnen, wie wir wei-
terhin zu erweisen versuchen werden, welche als Gegen-
1) ■\Viinderhom 11, 407. Vcrgl. Eik, Liederliort 385, 152: So sollst
du mir von Haferstroh wol spinnen die feinste Seide. Vergl. eben-
das. 336, 153. Simroclv, Volksl. 567, 366. Ich vvelfs ein braunes Mägde-
lein, das nahm ich geril zum Weibe, doch sollt' es mir von Haferstroh
erst spinnen klare Seide. Das Lied findet sich auch bei Slaven viel-
fach wieder, dass es aber hier nur entlehnt ist, geht aus dea starken Ab-
schwächungen der slav. Varr. hervor. Am treusten blieb eine slavonische
Bearbeitung bei Celakowsky Slowansk(? närodny pjsne. W. Praze 1822 — 27
I, 68, Avo die Geliebte aus Maienregen Seide und aus der Haferälire Zwirn
spinnen soll. Weit abweichender ist z. B. das lausitzische Lied bei Haupt
und Schmaler T, 178 CLI, 17: Da dyrbis ty wot wosancy rjanu denku zidu
pzazö ,,musst du mir von Pferdehaaren Seide spinnen weich und fein."
2) KHM. No. 55.
3) Pröhle, Unterharz. Sagen S. 210. 211 in zwei A^'arianten. Die erste
vermischt frü Freen mit dem Zwerg Punipcrnelle. Eine gleichartige Vermi-
schung geschah bei MüUenhoH' S. 409 VIH. „fru Kumpeiitrunipen."
540
gäbe für ihre Leistung sich ausbedingen zur Hochzeit
eingeladen zu werden '). Es scheint nach diesen Zeug-
nissen das Haferspinnen in einer, noch nicht klar zu durch-
schauenden Beziehung zur Hochzeit und dem Eheleben zu
stehen. Die drei Schicksalsjungfrauen, die Göttin
Fria (Frikka) oder ein Zwerg spinnen das Schicksal der
Ehe, Gold aus Stroh ^).
Fassen wir nunmehr die Angaben unserer Lieder noch
einmal zusammen. Am Himmelstor beim Kinderbrunnen
der Holda wohnen drei Jungfrauen, deren eine Seidenfäden,
die andere Todesbande spinnt, die -dritte ein Gewebe
(Hemd, roten Rock u. s. w.) webt, oder aus Haferstroh Fä-
den zieht, die das Schicksal der Ehe zu bestimmen schei-
nen. Nach anderen Fassuno-en öffnet die eine der Jung-
frauen den Zugang zum himmlischen Lichtreich und —
wenn wir einzelnen Varianten Glauben schenken dürfen —
holt sie aus Holdas Brunnen eine Kinderseele, um sie
in menschlichen Körper eintreten zu lassen. Auf das
Schicksal dieses Kindes wirken die vorhin genannten
Tätigkeiten ein.
Ob in unserm Liede die Wendungen „Maria! Katha-
reine No. 1; Anne Mar ieke bleibt drinnen No. 2; daraus
Maria spinne ein Röcklein für ihr Kindelein No. 3; da
guckt Mutter Maria heraus No. 4 noch auf das Dasein ei-
ner vierten, von den drei Jungfrauen verschiedenen Göttin
im urspiniglichen Texte schliefsen lassen, wage ich noch
nicht zu unterscheiden. Dafür sprechen könnte das Her-
vorheben einer vierten „die feuft^) isch eusi liebi frau"
No. 5; „die viert' sait: bhuet di gott, mei liebe frau'*
No. 6; „die vierte spinnt Haberstrauh" No. 7; „die vierde
1) KHM. Ko. 14.
2) Keinen Zusammenhang liiemit hat es, dass auf Grund verschiedener
Anschauungen das Hafer stroh iu unsern Volksliedern als aphrodisisches Sym-
bol vorkommt, z. B. Simrock, Volksl. 310, 194. Meier, Kinderreime aus
Schwaben 64, 244. Simrock, KB.^ 158, G22. Vergl. Finn. I, 55, wo
reifes Gersten stroh als Bild der mannbaren Jungfrau verwandt ist.
3) Lies: ,,die viert," denn „die andere floride" ist müfsiges Ein-
schiebsel.
541
isch mim bäwele hold" No. 8. An letzterer Stelle tritt bei
Simrock KB.^ 48, 170 die vierte auf, obgleich vorher
nur von drei schönen Jungfern die Rede ist. Doch weifs
ich nicht, wie weit auf die Echtheit dieses Textes Ver-
lass ist. Diese vierte ist, im Fall weiteres Material sie
als echt bestätigt, die Göttin Hol da, in deren Gesellschaft
die drei Schicksalsjungfrauen erscheinen.
Um die Richtigkeit unserer Deutung zu erproben, um
genauere Einsicht in einzelne Angaben unseres Liedes zu
erlangen und schliefslich eine Kritik des Textes versuchen
zu können, wird es nötig sein, die nordischen wie die deut-
schen Mythen von den Schicksalsjungfrauen im Zusam-
menhang zu betrachten, und mit unserm Hymnus zu ver-
gleichen.
§. 6. Die Nordischen Schicksalsjungfrauen.
A. Die Nurnen als Wasserfrauen (Apas).
Unter der Weltesche Yggdrasill quillt ein Brunnen^
Uröarbrunnr. Völuspä 1 9 :
Ask veit ek standa
heitir Yggdrasill
har baömr ausinn
hvita auri:
])aöan koma döggvar
J?a3rs i dala falla
stendr a3 yfir groenn
UrSar brunni ').
Aus einen Saal neben diesem Brunnen kommen drei
1) „Eine Esche weifs ich stehn, heifst Yggdrasill, ein Ilochbaum benetzt
mit weifseiu Nebel. Von da konunen die Taue, die in die Täler fallen; im-
mergrün steht er (der BaumJ über Urös 15 runncn." Die Kecension der
Völuspä, welclie der Verfasser von Gylfaginning benutzte, trägt in unserem
Verse die Spuren einer neueren nach Art der Skäldenpoesie umgearbeiteten
Eecension: Ask veit ek ausinn, heitir Yggdrasils, här baÖmr heilagr hvila
auri; Jjaöan koma döggvar, er i dali falla, stendr bann ;u yfir grunn IVÖar
brunni Gylfag. XVI. — Die Trennung von ask und Yggdrasils (der Genitiv
hat in der Volkspoesie nur bei der Nebeneinanderstellung des Namens und
des Appellativs z. B. Fenris ülfr, Yggdrasils askr GeltungJ von ausinn und
hvita auri ist der Kunstpoesie geniUfs.
542
Jungfrauen, die das Schicksal der Menschen bestimmen.
Vöhispä 20:
]iaSau koma raeyjar
margs vitandi
j^rjär or j^eim sal '),
er und ]>olli stendr -) :
])asr log lögSu,
]>xr lif kuru,
alda börnum
orlög seggja ^).
Der Verfasser von Gylfagiamng umschreibt diese Stelle
der Völuspa so : „Viele schöne Stätten sind im Himmel und
waltet über ihnen allen göttlicher Schutz. Da steht ein
schöner Saal unter der Esche bei dem Brunnen und aus
dem Saal kommen drei Mädchen, die so heifsen: ürSr,
VerSandi, Skuld; diese Mädchen schajBfen den Menschen
das Lebensalter- dieselben nennen wir Nomen" ^). Auch
wird erzählt, dass die Nörnen, welche am Uröarbrunnen
wohnen, täglich Wasser aus dem Brunnen nehmen und
dazu den Dünger, der um den Brunnen liegt, und spren-
o-en es über die Esche, damit ihre Zweige nicht verdorren
oder verfaulen. Das Wasser ist so heihg, das Alles was
in den Brunnen kommt, so weifs wird wie die Haut, die
inwendig in der Eierschale liegt. Den Tau, der von der
Esche auf die Erde fällt, nennt mau Honigfall (hunängfall);
1) So liest Cod. Amamagn., Cod. Reg. dagegen sse d. i. See. Erstere
Lesart vdrA auch durch Gylfag. 15 bezeugt. Dagegen passt saer See kei-
neswegs zum Prädicat stendr im folgenden Halbvers; es ist, wie man deut-
lich sieht dadurch in den Text gekommen, dass man [)aSan (von dorther,
von dem Baume Yggdrasill und seiner Umgebung her) einseitig auf den zu-
letztgenannteu UrSarbruunr bezog. Mithin hat Petersen, Nordisk Mythologi
S. 135 Um-echt, wenn er See für die richtige Lesart erklärt.
2) Hier sind durch spätere Hand die Verse eingeschoben: „Urg hetu
eiua, aSra YerSandi — skäru a skiSi — Skuld ena ]>riSju." Die Einschie-
bunn- geht schon daraus hervor, dass durch sie der fomyröalag gestört wird.
Wir kommen auf das Einschiebsel wieder zurück.
3) Von da kommen Mädchen vielwissende, drei aus dem Saal, der imter
dem Baume steht. Sie legten das Weltgesetz, koren das Leben, bestimmen
den Zeitenkindern das Schicksal.
4) Gylfag. 15.
543
davon ernähren sich die Bienen ^). Auch nähren sich zwei
Vögel in Urös Brunnen, die heifsen Schwäne und von ih-
nen kommt das Vogelgeschlecht dieses Namens ').
Fassen wir nunmehr die hier zusammengestellten My-
then näher ins Auge, so ergiebt sich, dass die Nornen zu-
nächst himmlische Naturgottheiten, Wasserfrauen, Apas
sind.
Die Esche Yggdrasill ist längst als ein Bild des Luft-
himmels erklärt, der über unsern Häuptern sich ausspannt ^).
Dieser Baum, sagt Gylfaginning, ist aller Bäume gröfster.
Seine Zwei2;e überbreiteu die 2;anze Welt und rasen über
den Himmel *) empor. Drei Wurzeln halten ihn aufrecht.
Die eine reicht zu den Äsen, darunter Yiep-t der heilige
Uröarbrunnen, die zweite Wurzel reicht zu den Hrim-
thursen, darunter liegt der Brunnen des weisen Miuiir
oder Mimi, nach welchem der Baum auch Mimameiör heifst,
und die di'itte Wurzel erhebt sich über Niflheimr. Unter
dieser Wurzel dehnt sich der Brunnen Hvero-elmir aus,
in welchem eine Unzahl schcufslicher Wurme liegen, zu-
mal der Drache Nidhöggr, die unablässig die Esche be-
nagen.
Der Uröarbrunnen ist ein himmlischer. Gylfag. 15
sagt ausdrücklich: „Die dritte Wurzel der Esche erhebt sich
im Himmel (l'ri?!ja rot asksins stendr ä himni), dahin
reiten die übrigen Äsen zu ihrer neben dem Uröarborn an
1) Die Bedeutung dieses Zuges in der germanischen Mythologie werden
wir gleich erweisen. Hier ist nur auf einen ähnlichen Glauben im klassi-
schen Altertum aufmerksam zu machen. Man meinte alles Ernstes der Ho-
nig falle durch die Luft als ein Tau vom Himmel auf die Erde, wo beson-
ders von Eichen, Linden und Rohrblüten die Bienen ihn fix und fertig ein-
schlürften und dami mit dem Munde wieder ausspieen, während die Blumen
ihnen nur das Wachs lieferten. Im goldenen Zeitalter bedurfte es der Bie-
nen nicht einmal, denn so reichlich waren die Eichen mit Honig betaut, dass
er heruntertroft". Vergl. Ovid, Metam I, 112:
Flumina jam lactis, jam flumina nectaris ibant,
Flavaqnc de viridi stillabant ilice mella.
Vergl. Voss zu Virgils Georg. IV, 1.
2) Gylfag. 17.
3) Gräter, Nord. Blumen S. 55. Idunna und Hermode ISIG No. 22.
4) Limar hans drclfast yllr heun allan ok standa vür himni.
der Esche Yggdrasill gelegenen Geriehtstatt über die
Brücke Bifröst d. h. den Regenbogen hinauf, Thörr
aber watet um ebendahin zu gelangen durch die Gewitter-
güsse (heilög vötn Körmt, Ürmt und beide Kerlög) '). Das
Wasser dieses Uröarbrunnens kann mithin wieder nichts
anderes als das himmlische Gewässer sein. Die auf dem-
selben schwimmenden Schwäne erinnerten schon frühere
Forscher an die seh wangestalteten Valkyren, in denen
Wolkenfrauen, Apas zu erkennen sind. Wenn es heifst, dass
das Wasser des Uröarbrunnens so heilig ist, dass es alles
verjüngt und verklärt, so ist das deutlich dieselbe Eigen-
schaft, welche dem Jungbrunnen der löunn zusteht (s. oben
S. 196. 273). Der letztere wird mithin dem UrSarbrunnen
identisch sein. Diesen Schluss bestätigt die Edda selbst.
Hrafnagaldr Oöins erzählt nämlich, dass Urbr, die älteste
Nörne, von welcher der UrSarbrunnr den Namen trägt, den
Trank Oörscrir bewachen sollte, auf der Esche Ygg-
drasill Wipfel sitzend. Aber sie sank von der
Esche herab^) in die Unterwelt zu Hei, der To-
teno-öttin, deren Reich unter der dritten Wurzel
liest. Da haften nimmer der Erdeugrund und Himmels-
strahlen, unaufhörlich ergiefsen sich die Ströme
der Luft^); denn Baldr der Gott der Unschuld ist dem
Tode nahe, der Weltuntergang steht bevor. Für UrSr
wird nun im Verfolg des Liedes iSuun die prüfende Jung-
frau (dis forvitin ) '') , der Tränke Ausgeberin (veiga selja)
eiuo-eführt. Sie ist die in die Unterwelt hinabgesunkene
Urör; Heimdallr, der weiseste der Äsen ist an sie abge-
sandt, sie nach dem durch so drohende Vorzeichen ange-
1) Gylfag. 15. Tergl. Uhland, Mythus von Thorr S. 23. Oben S. 147.
182. Zeitschr. f. D. Myth. II, 298.
2) Dvelr i dölum dis forvitin Yggdrasils frä aski hnigin.
3) Stendr asva strind ne rögull, lopti meÖ Isevi linnir ei straumi.
Hrafnag. üBins 5.
4) Forvitinn bedeutet eigentlich neugierig, aber auch forschend. Vergl.
das davon abgeleitete fortvitnast nachforschen, nachgrübeln. Dass fon-itin
für forvitra vorauswissend, vorschauer.d stehe, wie Simrock zu glauben scheint,
wcifs ich durch keine Parallelstellc zu belegen.
545
deuteten Geschick zu befragen, indess Oöinn auf seinem
Hochsitz Hliöskiälf, von dem aus er alles sieht und hört,
nach Entfernung jedes Zeugen ängstlich herablauscht:
Fragte der Weise (Heimdallr)
Die Wärterin des Tranks,
Ob der Asensöhne,
Und ihres Gesindes,
Des Himmels, der Hölle,
Des Heims der Erde
Urzeit, Alter,
Endziel sie wisse ').
Die Nörne, die aller Wesen Schicksal von der Ge-
burt bis zum Tode voraus weifs und vorher verkündet,
schweigt aber, durch dies Schweigen der ganzen Welt das
entsetzlichste Unheil vorhersagend, Zähren entrollen ihren
Augen.
Der Brunnen Mimirs, welcher unter der zweiten Wur-
zel der Esche Yofccdrasill liesrt, ist wiederum nichts ande-
res, als ein Bild des himmlischen Wolkengewässers. Oöinn,
heifst es, hat darin sein Auge als Pfand verborgen, aber
jeden Morgen trinkt Mimir Met aus Alvaters (C)öins) Pfand.
Schon längst hat man in diesem Auge das Weltauge, die
Sonne erkannt^). Oöinn selbst, der ursprüngliche Sturm-
1) Hrafnagaldr Ööins 11. Frä enn vitri veiga selju banda burSa ok
braiita sinna (d. h. der Einheriar, die in der Götterdäiniueriing sowie die
ganze Welt luitergelien sollen) bK'ruis, heljar, heims ef vissi ärtiÖ, ivü,
aldrtila.
2) S. Petersen, Nordisk Mythologi S. 170. Koj'ser, Nordmandenes re-
ligionsforfatning i hedendommen S. 26. J. Grimm, Mytli.^ G65. W. Mül-
ler, Altd. Religion S. 184. lieber die Auffassung der Sonne als Auge
vergl. oben S. 142. 378 und W. Grimm, Die Sage von Polypheni. Berlin
1857 S. 27. — Hrafnagaldr Ögins 5 setzt die oben S. 544 angeführte Be-
schreibung der dem Weltuntergang vorausgehenden Zeiclien fort: ,, Moerum
dylsk i Minus brunni visa (vissa oder vissa) vera. Es verbirgt sich im mä-
ren Mimirbrunnon der Menschen Ilersclierin (oder der Mens('lien Sicherheit),
was N. M. rcterscn bereits a. a. 0. richtig dahin deutet ,,die Sonne verbirgt
sich für immer in Mimirs Brunnen." Dass diese Auffassung des üöinsauges
die richtige sei, geht auch noch aus folgender Erwägung hervor. Wir wis-
sen, dass das himmlische Gewässer im irdischen Brunnen häufig locali-
siert wurde. Eine solche Localisierung kann es nur sein, wenn der Schwei-
zer Volksglaube sagt, man solle nicht in das rinnende AVasser sehen,
35
546
gott erscheint hier als Himmelsgott im Allgemeinen, wie
in der Mythe von Hligskiälf und der langobardischen von
Wodan, der durch ein Fenster zur Erde sieht. Der Brun-
nen, in welchem die Sonne verborgen ruht, lässt keine an-
dere Deutung als auf das Wolkengewässer oder das
Meer zu. Dass aber das erstere gemeint sei, erhellt aus
dem nordischen Dichtergebrauch der Wörter hreggmi-
m i r und m i m i r für Himmel, sowie aus dem klaren Zu-
sammenhang der obigen Mythe.
Vergegenwärtigen wir uns, dass nach unseren früheren
Untersuchungen Hrimthursenland , wo der Mimirbrunnen
liegen soll, in der Wolkenregion zu suchen ist; dass die
Riesen als böse Himmelsdämonen die Himmelsgewäs-
ser gefangen nehmend das Sonnenlicht bald mit finsterer
Wolke verdunkeln, bald mit den Schatten der Nacht ver-
decken, oder (als Hrimthursen) mit winterlicher Dun-
kelheit trüben^), s. oben S. 168 — 213, so ergiebt es sich,
■weil man da in Gottes Auge schaue. Tobler, Appenzell 309 b. Myth.^
133. Im Mölltal in Kärnten sagt man nach einer Mitteilung von Mathias
Leser den Kindern, sie dürften nicht mit dem Stein in den Brunnen wer-
fen, denn darin sei Gottes Auge. Schlägt schon hier UebereinstimmuDg
der deutschen und nordischen Ueberlieferung durch, so bricht eine solche noch
in andern Zügen hervor. Aus der obigen Mimirmythe entspross die sinnbild-
liche DarsteUnng Ogins als einäugig, wofür Mjth. * 133 zahlreiche Beläge
gesammelt sind. Die Einäugigkeit scheint nun auch von Wodan durch den
Eingang und die Einkleidung einer ganzen Reihe siebenbirgischer Märchen
bezeugt zu werden, deren Kern übrigens selbständig und unabhängig von die-
sen Wodansmythen ist. S. Schuster, Wodan, ein Beitrag zur Deutschen My-
thologie 1856 S. 16 fgg. Aus der Uebereinstimmung der deutschen und nor-
dischen Sage folgt aber, dass 05ins-W6dans Einäugigkeit über die Zeit der
Trennung der Nord- und Südgermanen zurückreicht und daher natursymbo-
lische Deutung In Anspruch zu nehmen berechtigt ist. W. Grimm a. a. O.
legt dar, dass die Mythe von Hligskiälf und dem durch ein Himmelsfenster
schauenden Wodan nur ein anderer Ausdruck für die Auffassung der Sonne
als Auge des Höchsten, des Himmelsgottes ist.
1) Gervasius von Tilbury erzählt I, 5 (ed. Liebrecht S. 1) wahrschein-
lich nach Comestors (f 1178) Historia evangelica cap. 7: Sunt qui dicant
st eil am magorum suo completo ministerio in puteum cecidisse Bethlehe-
miticum et illic eam intro videri autumant. Ausführlicher berichtet
davon bereits Gregor von Tours, Mirac. I, 1 (s. Liebrecht Gervasius S. 53).
Geht diese Fabel weit über Gregors Zeit hinauf oder hat sie sich damals un-
ter germanischem Einfluss gebildet? Wäre das letztere der Fall, so könnte
die Sage bedeuten, dass man in der heiligen Weihnacht, wo auch die Mäd-
chen ihren Geliebten im Brunnen, dem Abbild des himmlischen Ge-
wässers, schauen s. oben S. 522, die wiederkehrende Sonne in neuem Glänze
leuchten sieht.
547
dass die ursprüngliche Naturbedeutung unseres Mythus der
Raub des himmhschen Weltauges durch einen ebenfalls
himmlischen Dämon ist. Dieser Gedanke erscheint in ver-
schiedenen Formen und wird mehrfach auch so ausgedrückt,
dass Kiesen und Zwerge das Sonnenauge auf ihrem Kör-
per, an ihrer Stlrne tragen ; ein lichter Gott reifst es ihnen
aus, die gefangene Sonne befreiend ').
OflPenbar hat erst eine spätere > Zeit in den Mythus
vom Raube des 08insauo;es ethische Motive hineinsretra
gen, welche bereits Keyser scharfsinnig blofsgelegt hat ^).
Sind diese unsere Auseinandersetzungen richtig, so ist
Mimirs Brunnen im Grunde mit dem Uröarbrunnr eins und
nur insofern von ihm verschieden, als er das vom Dämon
bewachte Wolkengewässer bedeutet. Eine Angabe der
Snorraedda befestigt unsere Erklärung. In H od d mimirs
Holz (Hoddmimis hollt) sollen, nur von Tau lebend, die
beiden Menschen geborgen werden, welche nach der Göt-
terdämmerung die neue Erde zu bevölkern bestimmt sind.
Hoddmimir d. h. Hort-Mimir ist kein anderer als unser
Mimir, der den Schatz des Sonnengoldes s. oben S. 149
fgg. bewacht; sein Holz ist die Esche Yggdrasill. Von
hier nehmen aus Urös = Iguns = Holdas Brunnen oder
dem Baume selbst, wie wir nachweisen werden, die Men-
1) S. W. Grimm, Die Sago von Polyphem 1. c. Der die Winterburij
bauende Jötunn s. oben S. 184 fordert vom heiligen Lorenz oder Esborn Snare
eins seiner Augen s. Menzel, Odin S. 21, ursprünglich vom höchsten Gotte.
In der ältesten Mythengestalt raubte er das A^tge wirklich. Das Welt-
auge, die Sonne ist also Winters in Jotungewalt. Daher wird auch in deut-
schen Frühlingsliedcrn gesungen: „Stecht dem Winter die Augen .aus."
2) NordmaMidenes religionsforfatning 1. c. ,,Die Riesen sind älter als
die Äsen und schauen deshalb tiefer in der Vergangenheit Dunkel. Sie ha-
ben der Äsen und der Welt Entstehung gesehen und scliauen in deren Zu-
kunft. Um beides müssen die Äsen bei ihnen Kunde erfragen. Der Ilim-
melsgott OÖinn selbst sucht Kunde der Vergangenheit bei dem Riesen Mi-
mir (d. h. dem kundigen) und dies gesclüeht in den Stunden der Nacht
wenn die Sonne, des Himmels Auge, vom Erdenrund in die Welt der Riesen
hinabgesunken ist. Da erspäht Oöinn der Tiefe Heimlichkeiten und sein Awa
ist zum Pfand gesetzt fiir den Trank den er aus dem Brunnen der Kund-
schaft erhält. Aber in der Morgenröte Glanz steigt die Sonne wieder hervor
aus der Welt der Jötune, da trinkt der Weisheit Wächter aus goldenem Honi
den klaren Met, der aus O'Siiis Pfände strömt. Himmel und Unterwelt tei-
len sich gegenseitig ihre Weisheit mit."
35*
548
sehen ihren Ursprung, von hier soll auch die Schöpfung
des neuen Geschlechts ausgehen '). Auch der dritte Brun-
nen unter der Esche Yggdrasill, Hvergehnir ist ursprüng-
lich mit den beiden andern, dem ürSarbrunnr uud Mimir-
brunnr identisch und nur eine weitere Differenzierung. In
dem grofsen Abgrunde, der am Aufiiug der Zeiten war,
erzählt Gylfaginuing 4, in Giunüngagap bildete sich am
nördlichen Ende die Nebelwelt Niflheimr, in deren Mitte
ein Brunnen Hvergelmir d.i. der rauschende Kessel ent-
stand. Aus ihm ergossen sich zwölf Ströme, Elivägar d. h.
die fremden Wogen genannt, aus welchen der Urstoff alles
Seins entspross. üeber Niflheimr erhebt sich nun die dritte
Wurzel des Baumes Yggdrasill und an ihr nagt beständig
der Drache Niöhöggr von unten auf^). Diesen Drachen
Niöhöggr lernten war aber bereits oben S. 322 als den
Giftwurm kennen, der in Niflheims Wasserhölle (Näströnd)
die Leichname der Meineidigen und hinterlistigen Mörder
aussaugt. Wir sehen hier also wiederum einen Brunnen
vor uns, aus dem das Leben seinen Anfang nimmt, und
wohin die Toten zurückkehren. Wir haben nun schon oben
S. 167. 190. 207. 325. 439 gezeigt, dass die Wasserhölle
ursprünglich ein coelestischer Aufenthalt war. Falls
raeine und Zachers Deutung'') des Orentil-Örvandill als
Lichtwesen, als Feuerfunke richtig ist, so ergiebt die
Mythe, dass Thörr den Örvandill über die Eisströme der
Elivägar trägt, auch für diese die Bedeutung des im
Winter von den Hrimthursen eingefrorenen Wolkenge-
wässers. Die cosmogonische Mythe, dass aus Hvergel-
mir und den Eliviigur der Ürstoff der Welt strömte, be-
sagte mithin anfänglich nichts anderes, als dass im Norden
herabströmende Regengüsse, die zu Eis erstarrten, die erste
1) Mit dein hier gefundenen Resultat, dass Mimirs Braunen = Holdas
Kinderbrunnen ist, stimmt auch, dass die deutsche Sage Mimi als Herscher
der Elbe = Seelen kennt. Vergl. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. lY,
98 fgg.
2) Vergl. Simrock, Handb. d. D. Myth. S. 14. 15.
3) Grimnism. 35. Gylfag. 15. 16.
4) Zacher, Das Gothische Runenalphabet 34 fgg. Zeitschr. f. D. Myth.
IL 316 fgg. Vergl. oben S. 170. 224.
549
feste Materie im Chaos schufen. Dass die eddische Cos-
mogonie das Himmelsgewölbe erst später aus "Vmirs des
Urriesen Schädel entstehen lässt, ist kein Gegenbeweis,
denn die eddische Mythologie bietet hier wie überall die
systematische Ordnung verschiedener sich ursprünglich wi-
dersprechender Anschauungen und Vorstellungen, die ne-
beneinander herliefen. Diese Systematisierung, vielleicht
jedoch schon eine frühere Zeit hat Hvergelmir in die Tiefe
unter die Erdscheibe oder nördlich neben diese verlegt ').
In diesen drei Brunnen zeigt sich nicht allein eine
gleiche Grundanschauung, sondern zwischen dem Uröar-
born und Hvergelmir waltet auch ein strenger Paralelis-
mus, der ihre ursprüngliche Einheit weiter beweist. Hver-
gelmir liegt nördlich (vergl. oben S. 322), der UrÖarbrunnr
sein Gegensatz südlich, wie aus einer Strophe Eilifs GuS-
rünarsonr von Christus hervorgeht;
Setbergs kveöa sitja
su'6r at Uröarbrunni
svä hefir ramr konüngr remöan
ßoms banda sik löndum ^).
1 ) Dass unter der dritten Wurzel der Eselie die unseligen wohnen, sagt
Grimnismäl 31 in einer anderen Form: „Drei Wurzeln strecken sieh nach
dreien Seiten unter der Esclie Ypgdrasill. Hei wohnt unter einer, Ilriintlnir-
sen unter der anderen, aher unter der dritten die Menschen." Mit Unrecht
schliefst Simrock, Handbuch S. 38. 39 aus dieser Stelle, dass Gjdfaginning 15
nur misverstiiudlicli Ur'ös Brunnen im Himmel liegen und die dritte Wurzel
bei den Äsen liegen lässt. Wenn der Verfasser von Gylfaginning auch Grim-
nismäl kannte und benutzte, so lag ihm hier doch eine andere Quelle vor,
wie die abweichende Nennung der Äsen und Hvergelmirs für die jNIenschen
und llel in jenem Liede lehrt imd wir haben keinen Grund die Meldung die-
ser anderen Quelle anzufecliten. Wenn Simrock meint, dass, falls die dritte
AVurzel zum Himmel reichte, oder der Brunnen selbst im Hinnnel lüge, die
Götter nicht über die Asgard und Mi'ögard verbindende Brücke Bifröst, den
Regenbogen zu reiten braucliten, so bedenkt er nicht, dass bei aller Svste-
matisierung die Vorstellungen einer jeden Mytliologie nie in strengem logi-
schen Zusannnenliang stehen und dass der Regenbogen nur die Götterstrafse
überliaupt bezeichnet, ohne dass der Weg auf ihr notwendig immer zur
Erde führen niüsste. Warum aber, wie derselbe Gelehrte a. a. O. S. 34 be-
merkt, keine Wurzel Yggdrasils zu den Äsen reichen kann, da die Zweige
über den Himmel liinaufreichen sollen sehe ich niclit ein, da die Wurzel sehr
wol im Äsenliimmel haftend gedaclit sein kann, während die Aeste über dem-
selbe.i sicli teilen (ok standa yjir himni).
2) Skitldskaparm. cap. 52. SuE. Arn. I, 446.
_550
Südlich liegt auch GimilP), dem nördlichen Nä-
strönd-Hvero-elmir entoreoreno-esetzt und wir werden hier-
nach eine nahe Beziehung von Gimill zum Schicksalsbrun-
nen vermuten dürfen. Hieraus folgt, dass der Brunnen der
UrS dasselbe im guten, wie Hvergelmir im bösen Sinne
ist; Mimirs Quelle aber, die wie das ganze Riesenland eben-
falls nördlich gedacht ist, fällt noch näher mit Hvergelmir
zusammen und ist nur durch Modification der Auffassung
von diesem verschieden.
Wenn den vorstehenden Untersuchungen zufolge die
Esche Ygordrasill über dem Wolkenf^ewässer sich erhebt,
so weisen auch noch weitere Züge ihr die Naturbedeutung
eines Wolkensebildes zu. Heimdalls lauttönendes Hörn
(hljöS) ist unter dem äthergewohnten heiligen Baume ver-
borgen :
Veit hon Heimdallar
hljöö um fölgit
undir heiövönum
helgum baSmi -)-
In Heimdallr haben w4r Zeitschr. f. D. Myth. H, 309
fgg.; ni, 117; oben S. 115. 125, Anm. 4 einen Gewitter-
gott, in seinem „ Ton, " dem Schall des Gjallarhorns den
Donnerhall nachgewiesen. Dieses Hörn ist in der Wolke
verborgen, dort wo die Sonne in Mimirs Brunnen ruht.
Denn dieselbe 31ste Strophe des Völuspä, fährt fort:
A ser hon ausask
aurgum fossi
af veSi ValföSrs ^).
und Gylfaginning 15 berichtet, dass Mimir täglich von
dem Brunnen unter der Esche, worin Weisheit und Ver-
stand verborgen ist, aus dem Gjallarhorn trinkt. —
Der Mittelstamm (oder Schicksalsbaum mjötuSr aus
1) Gylfag. 17.
2) Weifs sie (die Vala) Heimdalls — Laut verborgen — Unter dem
äthergewohnten — Heiligen Baume. Yöluspä 31.
3) Einen Strom sielit sie sich ergiefseu — Mit schäumeudem Strudel —
Aus Walvaters Pfand.
r)5i
uijötvi^r) entzündet sich beim Gjallarhorn wenn Heiiu-
dallr einst laut in der Luft (a lopti) sein Hörn zum Be-
ginne des Weltgerichts bläst'); d.h. die Wolke hallt von
donnerndem Gewittergetöse wieder, furchtbares Unwetter
verkündet das Hereinbrechen des jüngsten Tages.
In Yggdrasils Krone sitzt ein Aar, der viele Dinge
weifs. Im Adler haben wir bereits mit ühland ein nord-
germanisches Bild des Windes erkannt.
Simrock hat entschieden Recht, wenn er a. a. O. S. 36
lehrt: Yggdrasils über Vallhöll reichender Wipfel wird Gyl-
fag. 39 als ein selbständiger Baum aufgefasst"). „Die Ziege,
welche Heiörün heifst, steht oben in Vallhöll und weidet
in dem Laube des vielberühmten Baumes (er mjök er nafn-
fra^gd) Leraör. Aus ihren Eutern rinnt Met, welcher täg-
lich eine Schale von solcher Gröfse füllt, dass alle Einher-
jar sich davon sättigen können. Noch merkwürdiger ist
der Hirsch Eikthyrnir, der auf Vallhölls Dache steht und
desselben Baumes Zweige abweidet, und von seinem Ge-
hörn fallen soviel Tropfen herab, dass sie nach Hvergelmir
fliefsen und daraus folgende Ströme entspringen: Siö, Viö,
Sekin, Ekin, Svöl, Gunn|?rö, Fjörm, Fimbulj^ul, Gipul, Gö-
pul, Gömul, Gelrvimul: diese strömen um der Äsen Wohn-
sitze nieder. Noch werden die folgenden genannt: ]'yn,
Vin, fjöll, Böll, Gräö, Gunn]>räinn, Nyt, Naut, Nönn, Ilrönu,
Vina, Vegsvinn, |)jöönuma ^).
Die Ziege Heiörün ist schon oben S. 64, Anm. 1 als
der Wolkenkuh identisch nachgewiesen; auch der Hirsch
Eikthyrnir giebt sich deutlich als ein Bild der Wolke,
von dem die Regenflüsse ausströmen, zu erkennen*).
1) Völuppä 47.
2) Es geht das nämlich aus dem Znsammenhang in Grimnlsmäl hervor,
woraus hier der Verfasser von Gylfaginniiig entlehnt.
3) Gylfag. 39. Grimnism. 20 — 29 wird noch gesagt, dass von diesen
Flüssen alle Wasser kommen (])aöan eiga vötn öU vega). Die erste Abtei-
lung bis Geirvimul ,,liverfa um liodd goSa" schlingen sich um der Götter
Hürde, die anderen „falla gununum u;er en Mla til Heljar he'öan" fallen den
Blenschen näher und strömen von da in die Unterwelt.
4) Wenn daneben auch ein Sonne nhirsch in der germanischeu My-
552
Den Namen Yggdrasill erklärt man OSins Träger aus
OSins Beinamen Yggr und drasill Träger oder Ross und
erinnert, da in alten Formeln für hangen der Ausdruck
„am Galgen reiten" gebraucht wird'), an die Angabe
des Havamal, dass ÖSinn neun Tage sich selber geweiht
am windigen Baume, der Esche Yggdrasill hing und
Eunenlieder erdachte. Diese Mythe vergleicht sich trefiend
mit der hellenischen von Hera, der Wolkengöttin, die Zeus
mit den Gewitterhämmern (äxuovsg) an den Füfsen zum
Himmel hinausgehängt hat. "Wir sahen schon öfter oben
S. 95. 271, dass Wodan mit dem wilden Heer zeitweilig
im Kinderbrunnen, d. i. der am Himmel hängeuden Wolke
seinen Aufenthalt hat. Das Haugen Oöins am windigen
Baume ist, vv^eun unter diesem ein Wolkengebilde zu
verstehen ist, nur ein anderer Ausdruck für dieselbe Vor-
stellung. Kommt der Tau, der in die Täler fällt, eben-
falls von der Esche Yggdrasill d. h. der Wolke, so weist
die Angabe, dass von diesem Tau die Bienen sich nähren,
nicht minder auf ein Wolkengebilde hin. Wir haben
oben S. 371 Bienenschiff (byskip) als poetische Bezeich-
nuno: der Wolke kennen a:elernt.
Nach Sonneuunteriranof bildet sich häutig ein Wolken-
gebilde, das einem Baume mit ausgebreiteten Aesten gleicht.
Zu Tilleda am Kifhäuser und zu Bartelfelde am Harz
nennt man dasselbe Wetter bäum und sagt, danach re-
giere sich das Wetter; wohin die Spitzen gehen, dahin
werde sich der Yv'ind wenden. In der Uck-^rmark nennt
man dieses Wolkengebilde den Abrahams bäum, an an-
dern Orten Adamsbaum. Man sagt „der Abrahams-
baum blüht, es wird regnen." Blüht er nach Mittag zu,
so giebt es gutes Wetter, nach Mitternacht, so giebt es
thologie anerkannt -vrerden muss, s. Simrock, Bertha die Spiunerin S. 77 fgg.
Zacher, Das gotlnsche Runenalphabet S. 87 fgg., so haben wir darin ein neues
Beispiel für das oben S. 37 fgg. Anm. 6 beobachtete Zusammentreffen der
Licht- und Wolkensymbole.
1) Einen dürren Baum soltu reiten. Wehner ed. Schilter 222b. |?ät
bis byre ride giong on galgan. Beow. 182. Ridend svesajj hälej> in ho|>-
man. Beow. 183. KA. 41.
553_
Regen '). Aus Skandinavien sind mir dergleichen Aus-
drücke noch nicht bekannt geworden, gleichwol stimme ich
mit A. Kuhn a. a. O. S. 324 darin überein, dass eine der-
artige Anschauung, ein aus dem Wolkenbrunnen (UrSar-
brunnr, Mimisbrunnr, Hvergelmir) sich erhebender Adams-
baum die Naturgrundlage der Yggdrasillmythe gebildet
habe. Da mit diesem Baume, wie wir noch weiter sehen
werden, die Bedeutung eines Lebensbaumes schon früh ver-
knüpft war, so war mit der irdischen Localisierung von
Mimisbrunnr und der unterirdischen von Hvergelmir die
Erweiterung der Yggdrasillmythe zum Sinnbilde des Vv elt-
gebäudes schon gewissermafsen gegeben.
Hiemit sollen weitere philosopische und ethi-
sche Ideen, welche zur Bildung dieses Mythus
mitwirkten, und in der Eddenlehre die Natur-
bedeutung vollständig überwuchern, keineswegs
abgeleugnet werden^;.
Die Göttinnen, welche in so enger Verbindung mitB au m
und Brunnen stehen, müssen aufser oder vielmehr vor
der ethischen Idee, welche durch sie personificiert ist, eben-
falls eine Naturbedeutung, sie müssen eine nahe Beziehung
1) Kuhn und Schwartz, Nordd. Sagen S. 455, 412.
2) Kuhn und Weber vergleichen Ind. Studien I, 397 mit Yggdrasill den
indischen Feigenbaum Ilpa, der am alterlosen Strome steht und
durch seineu Anblicli jung macht. Dieser Baum trägt alle Früchte
der Welt. Er hat seine Wurzel nach oben mul die Zweige nach unten ge-
richtet. Honig oder Soma tröpfelt von seinen Zweigen und wunderbare Vö-
gel sitzen auf denselben. Dieser Baum heifst aucli a^.vattha d. i. Rossstand,
Pferdestätte (s. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 4G8) wie der Baum, in wel-
chem Agni, das Gewitterfeuer sich, die Gemeinschaft der Götter fliehend, in
Rossgestalt barg. Diesen A9vattha- oder Feigenbaum hat Kuhn bereits gleich
dem ^oiifoc; in der Sage des Demeter- Frinys als die Wolke gedeutet luid
mit dem Vogelbeerb anm, der Thorr rettet (Thors björgj, s. oben S. 14.
21 zusammengestellt (Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 4G7. Zeitscln-. f. D.
Mytli. III, 3'.)0). Der Baum Ilpa wird eine diesem acvattlia ähnliche Katur-
bedeutung liaben. Die Zusammenstellung des A9vatthabanmes, in dem Agni
sich verbirgt, mit dem Vogelbeerbaum befestigt sich durch eine von Kuhn
aufgefundene Vedenstelle, voiiach man die Kühe dreimnl mit der Rute des
a(]vntthn schbuj , um sie milchreich zti machen. Das Kälberquieken s. oben
S. 19 ist also bereits urindogermanische Sitte, imd — da Blilz- und Wol-
kensymbole begreiflicherweise leicht wechseln — wird die zu diesem Belnif
benutzte A^vattiiarute ein Symbol des göttlichen Vajra sein, wie die Vogel-
beerrutc ein Abbild von Thunars ülitzhammer ist.
554
zum himmlischen Gewässer gehabt haben. Diese Natur-
bedeutung leuchtet nun auch im Eddeuglauben aus aller
Verdunkelung ihres ursprünglichen Mythus hervor. Im er-
sten Liede von Helgi Hundmgstöter wird das Erscheinen
der Schicksalsjuugfrauen so beschrieben: Ein Zeitpunkt war
vor Alters, da Aare sangen, heilige Wasser ran-
nen von Himmelsbergen, da hatte den Helgi, den
mutstarken Borghildr geboren in Brälundr. Nacht ward
in der Burg, Nornen kamen, die dem Edihng das Al-
ter bestimmten, sie hiefsen den Fürsten hochberühmt wer-
den und als der Herscher besten gelten. Sie schnürten
da mit Kraft die Schicksalsfäden, davon brachen die Bur-
gen in Brälundr '). Ausbreiteten sie das goldene Band und
mitten nnter dem Mondessaal festigten sie es.
Unter Windbrausen und Gewittersturm (denn das be-
deuten die singenden Aare und heiligen Wasser, die von
Himmelsbergen rinnen, s. oben S. 182) wird Helgi gebo-
ren; der Aufruhr der Natur zeigt des Helden weltbewe-
gende Gröfse vorbedeutend an. Als es Nacht wird, nahen
die Nornen; so stark schnüren sie im Gewittersturm die
vorbedeutenden Schicksalsfäden, dass davon Burgen zusam-
menbrechen. Das schicksalkündende Unwetter ist also der
Göttinnen Werk, sie haben Blitz, Donner, Regen und Wind
erregt, um dem Volke ihres Schützlings einstige Macht
schon- jetzt im Bilde vor Augen zu führen. Spricht schon
dieser Zug den Schicksalsjungfrauen Gewalt über die Ele-
mente zu, so geht ihre Naturbedeutung noch mehr aus dem
Zuge hervor, dass sie ihr goldenes Seil unter dem Mondes-
saal d.h. am Himmelsgewölbe befestigen. Dieser An-
gabe tritt eine andere aus der Eyrbyggjasaga zur Seite,
1) Der Verderbnis in den Worten: „{>ä er borgir braut i Brälundi" ist
mit Siclierlieit nicht abzuhelfen, da ein Femininum |)ätta für Jiattr im vor-
hergehenden Verse sonst nicht zu belegen, die Verschreibung von brutu in
braut aber schwer annehmbar ist. Die Zusammensetzung borgir - braut
für borgar - braut , oder borgbraut ist grammatisch imzulässig. Unerhört
endlich wäre es, dass beim JMasc. wie oft beim Neutr. Plur. das Verbum im
Sing, stünde. Der Sinn der Stelle ist jedoch in jedem Falle klar und ge-
sichert.
555
um den Nörnen die Herrschaft über die Naturpbünomene
am Himmel zuzusprechen. Zu Froöä auf Island war in
einem Gehöft eine grofse Heizstube (elldaskäli). Darin
pflegten die Hausleute Abends vor dem Nachtmahl um
das Feuer zu sitzen. Eines Abends zeigte sich an der
Bretterwand des Hauses (ä veggj'ili) ein Halbmond (tüngl
hälfr), so dass alle ihn sahen, die im Hause waren. Der
ging rückwärts und von der Sonne abgekehrt um das Plans
und verschwand nicht, so lange die Leute am Feuer sa-
fsen. Auf die Frage, was das zu bedeuten habe, sagte ei-
ner der Anwesenden, Thori, das sei ein Uröarmäni (Mond
der UrSr) „und," fügte er hinzu, „ein allgemeines Sterben
(mandauöi) wird statthaben." Die ganze Woche zeigte
sich der ürSarmond Abend für Abend und bald darauf
starb der gröfste Teil der Hausbewohner').
Fördern diese Züo-e unsere Untersuchuno-en nur so-
weit, um die Wirksamkeit der Nörnen in himmlischen Na-
turscheinungen zu erkennen, so lässt sich aus andern My-
thenresten noch mit Sicherheit ihre Stelle im älteren Na-
turkultus erkennen. Die bisher namhaft gemachten Edden-
stellen wissen nur von drei Schicksalsjungfrauen. AVir
haben aber noch Zeugnisse dafür erhalten, dass die Drei-
zahl eine Einschränkung aus einer gröfseren Mehrzahl ist.
In einer ojäenbar eingeschobenen Strophe in Fafnismul 13
heifst es:
Hverjar 'ro J^oer nornir,
er nauSo-öufflar 'ro
ok kjösa moeSr frä mögum?
„Sundrbornar mjök
hygg ek at nornir se,
eiguö ]>cev rett saman ;
sumar eru askungar,
sumar älfkungar
sumar doetr Dvalins" -).
1) Eyrbyggjasaga cd. Tliorkeliii. Ilavn 1787 caii. LH. S. 368 fgg.
2) Welches sind die Nörnen — Die notlösend hcifscu Und Mütter
niügeu entbinden? — „Verschiedueu Gesclilecüts — Wähn' ich die Nöraeu,"
556
Der Verfasser von Gylfaginning giebt folgende Inter-
pretation dieser Stelle: ürör, VerSandi, Skuld, diese Mäd-
chen bestimmen den Menschen die Lebenszeit (skapa mön-
num aldr), sie nennen wir Nörnen. Aber es giebt noch
mehrere Nörnen, die welche zu jedem Menschen kommen,
der geboren wird, um ihm die Lebenszeit zu bestimmen
(at skapa aldr) und sind diese vom Göttergeschlecht, an-
dere vom Alfengeschlecht, noch andere vom Zwergenstamm.
Da sprach Gängleri „Wenn die Nörnen über der Menschen
Schicksale walten, so teilen sie ihnen erstaunlich ungleich
zu, denn einige Menschen leben glücklich und im Wol-
stande, die andern geniefsen weniger Glück und Ruhm,
einige erreichen eine lange, andere eine kurze Lebenszeit.
Här sagte: Gute Nörnen und von gutem Geschlechte (vel
aettaSar) stammende bestimmen eine gute Lebenszeit (skapa
gööan aldr), geraten aber Menschen in Unglück, so wal-
ten üble Nörnen (illar nörnir) darüber."
Von einem Unterschied zwischen den drei Nörnen
Urör, VerSandi und Skuld und den andern ist hier nichts
zu gevi^ahren, sie alle bestimmen der Menschen Lebenszeit
(skapa mönnum aldr). Aus unserer Stelle geht aber her-
vor, dass neben dem Glauben an die drei Schicksalsjung-
frauen eine andere Vorstellung herlief, wonach diese meh-
rere waren und eine ganze Klasse mythischer Wesen um-
fassten; Götter, Zwerge und Alfen haben ihre eigenen
Schicksalsgöttinnen. Die guten Nörnen (gööar nörnir),
welche nach dem Schluss der eben angezogenen Stelle den
Übeln Nörnen (Ijötar nörnir) entgegenstehen, könnten nur
eine andere ethische Auffassung derselben Wesen sein;
wenn die Schicksalsgöttinncn Glück bescheereu sind sie
gute Nörnen, wo sie Unglück verhängen üble. Aber der
Zusatz „velsettaöar zeigt, dass auch hier von einer ganzen
Götterschar die Rede ist, welche ihrem Begriife nach in
das Wesen der Schutzgeister (fylgjar, hamingjar), zumal
— Nicht haben sie eiue Abkunft. — Einige sind vom Äsenstamm, — Ei-
nige ÄU'engeschlechtes, — Einige Zwergeutöchter.
557
der Völker- oder Familienschutzgeister (kynfylgjar, ^ttar-
fylgjar) hinüberstreift. Es entsteht nun die naheHegeude
Frage, ob diese Mehrzahl nicht eine späte Erweiterung,
die Dreizahl das Ursprüngliche sei. Diese Frage löst sich
zu Gunsten der Mehrheit, sobald wir ins Auge fassen, dass
in allen concreten Sagenzügen die Nörnen mit den Wesen
der grofsen Götterschar der Valkyren zusammenstimmen ^).
Die Valkyren sind göttliche Mädchen, ebenso schön
als furchtbar. Sie kredenzen in Vallhöll den gefallenen
Helden den Met. In Schwangewand fliegen sie über
Meer und Land, und baden in stillen Seen, oder sie rei-
ten durch die Luft auf Wolkenrossen, von deren
Mähnen Tau in die Täler und Hagel in den Wald
fällt, daher wird die Erde fruchtbar-). Sie ziehen,
von Oöinn ausgesandt, in die Schlacht, um den Käuipferu
beizustehen und auszuwählen, wer zu OSinn zu Gaste kom-
men solle, d. h. wer zu sterben bestimmt sei. Der Ver-
fasser von Gylfaginning sagt cap. 36 von ihnen: Oöinn
sendet sie zu jeder Schlacht, ihrem Urteil unterliegt es,
ob ein Mann dem Tode geweiht sei und sie bestimmen
den Sieg i]>ver sendir Oöinn til hverrar orostu, ji^r kjösa
feigö ä menn, ok räöa sigri). Sehr schön ist in dem auf
Eirikr Blöööx im lOten Jahrhundert gedichteten Eiriksmäl
beschrieben, wie die Valkyren zum Empfonge dieses Kö-
nigs in Vallhöll die Bänke bestreuen, die Gefafse scheuern
und Wein bringen müssen, während Sigmundr und Sinfjötli
dem Helden entge":eno:ehen. Nach dem Eiriksmäl ist etwa
20 Jahre später von Eyvindr Skäldaspillir das Häkonar-
mäl auf Häkon den Guten von Norwegen gedichtet, der
gegen die Söhne des Eirikr Bloööx um 951 fiel. Da se-
hen wir Gündul und Skögul mitten im heifsen Kampfe.
Göndul spricht, gestützt auf den Speerschaft und der Kö-
nig vernimmt, was die göttlichen Mädchen von des Rosses
1) Ueber ihre ethische Verwandscliaft s. bereits Frauer, Die Walkvrien
der skandinav.-german. Götter- «ml Heldensage. Weimar 1846 S. 3G fgg.
2) Helgaquiöa lijörvarössonar 28: Marir hristusk, stöö al" mönum {)eirra
dögg i djüpa dali, hagl i hava viön, }?aÖaii kenir me') öldum är.
558
Rücken reden, wo sie sorgenvoll sitzen mit dem Helm auf
dem Haupt und den Schild in der Hand. Dann geleiten
sie ihn nach Vallhöll *). Adler und Raben, die Tiere,
welche Oöinn begleiten, nach dem Blute der Erschlagenen
lechzend, heifsen auch der Valkyrien VögeP). Das
Schicksal der kommenden Schlacht verkünden die Valky-
ren voraus, indem sie ein blutrotes Gewebe weben. Nach
der Njalssaga sah am Tage der Schlacht von Dublin 1014
ein Mann auf Katanes zwölf Jungfrauen zu einer Kammer
reiten und dort verschwinden. Er guckte durch ein Fen-
ster in das Gemach und gewahrte da, dass die Frauen ein
Gewebe aufgeführt hatten; Menschenhäupter hingen statt
der Gewichte herab, und Gedärme dienten statt des Zet-
tels und Einschlags, ein Schwert vertrat das Schlagbrett,
ein Pfeil den Weberkamm. Dazu sangen die Jungfrauen:
Weit ist geworfen — zum Beginn der Schlacht —
Des Webstocks Aufzugwolke, es regnet Blut;
Schon ist über die Gere das graue Gewebe
Der Krieger gespannt, das die Freundinnen füllen
Mit des Schlachtenwerks blutrotem Einschlag.
AVir weben, wir weben das Gewebe der Schlacht (vef
darraSar)
Das der junge König vor sich hat;
Fern sollen wir gehen und in die Schlachtreihen stürzen,
Wo unsre Freunde die Waffen wechseln'').
Von einem ähnlichen Gewebe träumt Ingibjörg, der
Gattin Pälnis in Vorahnung kommenden Kampfes. Das
Gewebe ist grau. Ein Gewichtstein fällt herab, Ingi-
björg hebt es auf und siehe da es ist ein Menschenhaupt,
1) S. Eiriksinäl bei Snom Ileimskringla Iläkonar Gögasaga cap. 30. 32.
33. Fagrskinna edd. Muuch og Uuger 1847 S. 32. Frauer, Walkyrien
1846 S. 7 fgg.
2) S. HelgaquiSa Ilmidingsbana II, G.]
3) Saga af Njali, Kaupmamiahöfn 1772 S. 27G fgg. Frauer, WalkjTien
S. 12 fgg.
^59^
das Haupt Königs Haraldr Gormssonr '). Da in den alten
eddischeu Volksliedern die Valkyren niemals in so grauen-
hafter Weise wie hier auftreten, müssen wir als Zutat der
getrübten Sage des Uten Jahrhunderts die Menschenhäup-
ter und Gedärme aus diesen Schilderungen entfernen, dann
bleibt als alte und echte Grundlage der Sage stehn, dass
die Valkyren ein Gewebe verfertigen, an welches das
Schicksal der Schlacht geknüpft ist. Der schauerliche Val-
kyriengesang in der Njälssaga, aus dem wir oben zwei Stro-
phen anführten, ist etwa im Anfang des Uten Jahrh. ent-
standen, am Ende dieses Jahrhunderts bereits in die Saga
verwebt ^), ein bedeutend früheres Denkmal aber, das spä-
testens im 9ten Jahrhundert gedichtete Volkslied Völun-
darquiöa erzählt noch ganz einfach, wie c?A'ei Valkyren
im Begriff in die Schlacht zu fahren (nach Able-
gung ihrer Schwanhemden, wie die prosaische Einleitung
sagt) am Wasser rasteten und kostbares Leinen
spannen (dyrt lin spunnu):
Meyjar flugu sunnan
Myrkviö igögnum,
Alvitr unga,
orlög drygja;
]>ser ä sasvarströnd
settusk at hvilask,
drosir suörcenar
dyrt lin spunnu ^).
Aus dieser Stelle geht zugleich hervor, dass die Val-
kyren ihren Wohnsitz, ihre Heimat in einem Walde ha-
ben (myrkvigr s. oben S. 384. 385), sowie dass dieser
Wohnsitz im Süden liegt'').
1) J6msvikingasaf';a. Kaupmannahöfu 1824 S. 13.
2) S. Rosselet „Isländische Literatur" bei Ersch und Gruber Sect. 2.
XXXI, S. 300.
3) Völundarqu. 1. Müdclien flogen von Süden durcli den Dnnkcl-
wald, Alvitr die junge Scliicksal auszuführen, am Secstrande safsen sie und
nüiten, die südliclien Jungfrauen spannen kostbares Linnen.
4) Auch IlclgaquiÖa Iluudingsbana I, IC heifsen Valkyren disir su'Ör«-
nar südliche Götterfrauen.
560
Die Nörnen haben mit den Valkyren das Feld des
Scbicksalwirkens gemein. Heifst es von jenen orlög
seggja'), sie sagen den Schicksalsspruch, so wird von
diesen der Ausdruck orlög drygja gebraucht, d. h. sie
führen den Schicksalsspruch aus, insoweit er den Krieg
betrifi't. Hierin liegt nun allerdings ein in der klassischen
Zeit des germanischen Heidentums wolgefühlter Unter-
schied; die Nörnen bestimmen wer sterben soll, die Val-
kyren geben dem Urteil Wirklichkeit, sie erspähen, wer
dem Tode durch höhere Fügung geweiht sei (kiösa feigS
A, menn) und führen die Gefallenen zu Oöins Sitz. Aber
selbst in der vollen Blüte des Heidentums ist der Unter-
schied nicht consequent und klar gezogen. Während in
den angeführten technischen Ausdrücken die von uns be-
zeichnete Grenze gezogen würd, sehen wir in der Sage die
Valkyren nach eigenem Ermessen in den Kampf eingreifen
und entscheiden, die Helden zum Tode bestimmen, wofür
o-erade die ältesten heldensaglicheu Volkslieder in der so-
o-enannten älteren Edda den ausreichenden Beweis liefern.
Andererseits sind die Nörnen von der Ausführung der Schick-
sale im Kriege keineswegs ausgeschlossen. Von der Nörne
Urör wird gesagt, dass sie zum Schlachtfeld fahre heljar
ask at velja (die Esche der Hei, d. h. den zum Tode
bestimmten Helden zu wählen) s. oben S. 382, Anm. 7.
Völuspji 24 führt unter den Valkyren Skuld auf:
Sä hon valkjriar
vitt um komnar,
görvar at riöa
til Go8}nööar.
Skuld helt skildi,
en Skögul öunur,
Gunnr, Hildr, Göndul
ok Geirskögul *).
1) Völuspä 19.
2) Sie (die Vala) sah Vallc;_vncn weither kommen, bereit zu reiten zum
Volke der Götter, Skuld hielt den Scliild , Göndul war die andere, Gunnr
Hildr, Göndul und Geirskögul.
^561
Gleich darauf wird geschildert, wie der erste Kampf
(fölkvig) in der Welt entbrannte. Gylfaginning 36 bemerkt:
GuSr und Rota und die jüngste Nörn, welche Skuld
heifst, reiten jedesmal aus, Todeswahl zu halten (at kjosa
val) und über den Kampf zu entscheiden (ok räöa vigum).
Wie Adler und Rabe der Valkyren Vögel, heifsen die
Wölfe der Nörnen Grauhunde:
Ekki hygg ek okr vera
ülfa doemi
at vit mynim själfir um sakask
sem grey nörna,
l^ar er grägug eru
i auön um alin ').
Diese Auffassung der Wölfe bestätigt eine andere Stelle:
}>at er iö |;riSja
ef l^ü l^jöta heyrir
Ulf und asklimum,
heilla auöit verSr ]?er
af hjälmstöfum
ef ]>ü ser ]?ä fyrri fara ^).
Auch eine Erzählung bei Saxo zeigt, wie der Volks-
glaube keine strenge Unterscheidunor von Nörnen und Val-
o o o
kyren zu machen wusste. Hother hat beschlossen den
Baldr, der gleich ihm um die Hand der schönen Nanna
buhlt, aus dem Wege zu räumen. Auf der Jagd verirrt
er sich und gelangt in die Wohnung von Waldjung-
frauen (silvestrium verginum conclave; vergl. Myrkviör
und die Kammer oben S. 558, Anm. 3). Von ihnen mit
Namen angeredet, fragt er wer sie seien. Sie antworteten,
durch ihre Leitung und Aufsicht werde vorzüg-
1) Hamdism. 30: Nicht ziumt uns beiden nach der Wölfe Beispiel uns
selbst grimm zu sein, wie der Nörnen Grauhunde, die geiräl'sig sich
fristen im öden Forst. — Helganui'Sa Ilundingsb. I, 13 heifsen die Wölfe
„ÖSins Grauhunde" Viörisgrey. Bei den luselschweden auf Worms heifst der
Wolf noch jetzt gä grahunn alter Grauhund. Russwuini, Eibofolke II. §. 359,
2. S. 200.
2) Sigurgarqu. 11, 22. Das ist der dritte (gute Angang) wenn unter
der Esche (dem irdischen Abbilde Yggdrasils) du den Wolf liörst heulen;
über Ilelmträger hast du Sieg zu hoffen, siehst du ihu vorwärts faliren.
36
562
lieh das Geschick des Krieges bestimmt (suis diicti-
bns auspiciisque maxime bellorum fortunam gubernari). Oft
wohnten sie ungesehen den Schlachten bei und
verschafften durch heimliche Hilfe ihren Freun-
den den Sieg (optatos successus). Denn sie vermöch-
ten Glück und Unglück nach Willkür auszutei-
len (conciliare prospera, adversa infligere posse pro libitu),
vrobei sie anführten, wie (durch ihre Fügung) Baldr beim
Anblick der badenden Nanna in Liebeswut ent-
brannt sei. Sie warnten ihn, Baldr mit Waffen anzu-
greifen, da er ein Halbgott sei. Als Hother dies vernom-
men, verschwand das Haus mit den Jungfrauen und er
fand sich unter freiem Himmel '). Wie Frauer ganz rich-
tig bemerkt"), spricht in dieser Schilderung der Zug, dass
die Jungfrauen au Baldrs Liebeswut Schuld sind, dass sie
Glück und Unglück nach Gefallen austeilen, dass sie Hö-
ther vor dem Kampf mit Baldr warnen, Nörnencharakter
an, während die Lenkung des Krieges, das unsichtbare
Erscheinen an der Seite der Krieger mehr den Valkyren
gemäfs ist.
Wenn man selbst geneigt sein möchte, in allen diesen
Zügen eine spätere Vermischung von Nornen und Valky-
ren zu sehen, die der ursprünglichen Mythe fremd war, —
und für einige der beigebrachten Zeugnisse ist eine solche
Syncrasie wol unzweifelhaft anzunehmen — , so geht dar-
aus doch mit Sicherheit hervor, wie beide Götterkatego-
rien der Idee nach so nahe zusammenfallen , dass sie füg-
hch als Differenzierungen einer Uridee betrachtet werden
dürfen. Viel gewichtiger ist aber die Uebereinstimmung
in folgenden Punkten: 1) Die Valkyren wohnen im himm-
lischen Walde MyrkviSr, die Nöruen unter dem Wolken-
baume Yggdrasill; beide liegen südwärts s. oben S. 549.
559. 2) Die Valkyren tragen Seh wanhemdeu, baden sich
in Seen und rasten am Gestade, die Nornen wohnen
1) Saxo ed. Klotz III, S. 54.
'2) A. a. (). S. 38.
563
am Brunnen, dem sie nach einer Lesart in Strophe 19 der
Vökispa sogar entsteigen. Auf ihrem Brunnen schwimmen
Schwäne. Wie die Valkyren im Vogelgewand durch die
Luft fliegen, fliegt die Nörne UrSr wie ein schwarzer Vo-
gel (sem fuglinn svarti) am Vorabend einer Schlacht über
Land und Meer, s. oben S. 382. 3) Die Valkyren verfer-
tigen ein Gewebe (spunnu lin), an welches sich das Schick,
sal der Schlacht knüpft, die Nörnen spinnen die Fäden,
an die das Geschick des ganzen Lebens gebunden ist.
Diese Uebereinstimmung wird noch zutrefiender, wenn wir
weiterhin bei Vergleichung oberdeutscher und angelsächsi-
scher Ueberlieferung sehen, dass hier das Gespinnst der
Nörnen kein blol'ses Seil, sondern ein Mnrkliches Gewebe
ist, mithin der Unterschied, den die nordische Sage hier
wieder zwischen Nörnen und Valkyren macht, auf Rech-
nung der DijÖferenzierung zu setzen ist. 4) Wie die Val-
kyren OSinn und den Einheriar das Trinkhorn reichen, be-
wacht die Nörne Urör den Göttertrank Oörccrir ^), der mit
dem Urgarbrunnen ursprünglich identisch ist ").
Die soeben zusammengestellten Züge ergeben sich bei
unbefangener Betrachtung als selbständige Entwickelungen
ein und derselben Grundform. Sie lehren uns, dass Nör-
nen und Valkyren ursprünglich dieselben Wesen waren,
und dass es gelingen muss die Grundbedeutung jener zu
erkennen, sobald die Urgestalt dieser uns klar vor Augen
liegt. Unter den Valkyrennamen begegnet uns Mist Ne-
beP) und die Wolke heilst der Mist Ross (Mistar
1) Die Identität ÖJSroerirs mit dem Uröarbrunm- suchte bereits Simrock
Edda''^ 395 aus liävam. Str. 141 darzutuu. Es folgtaber aus dieser Stelle nicht not-
wendig. Dass Oöroerir ebenfalls nichts anderes als das Woll<engewässer bedeute,
geht aber aus der Mythe hervor, dass der Trank OÖrocrir vom Riesen Sut-
tüngr in einen Berg (den Wollcenfels) verschlossen wurde, woraus der Gott
Oöinn ihn befreite, den Dämon überlistend, indem er die Hilfe der Kiesen
maid Gunnlög (Däsapatni-Devapatni s. oben S. 193, Anm. 1) anrief.
2) Wie die Xörne Urgr auf der Esche Yggdrasill sitzt s. oben S. 5 44
heifst es von einer Valkyre ,,das3 sie von Hugins Baum d. i. aus der Wolke
oder der Luft zu den Helden gesprochen habe. Helgaqu. Hundingsbana I,
53. ]}1 kvag [?at Sigrün särvitr fluga at hölda sker af hugins barri.
3) Helgaqu. Ilundingsb. I, 4G. Grimnism. 30.
36*
564
raarr) '). Den Rossen anderer Valkyren trieft Tau aus
den Mähnen, der in die Täler fällt, und ein fruchtbares
Jahr erzeugt. Da wir nun die Rosse längst als Symbole
der Wolken kennen s. oben S. 37fgg. , so ist zunächst
klar, dass die Reitpferde der Valkyren die Wolken sind.
Wie aber die Apvinen, Diosküren, Gandharven, Kentauren
und ähnliche Wesen ursprünglich selbst Rosse waren, spä-
ter als Reiter dargestellt wurden, leidet es keinen Zweifel,
dass auch die Valkyren anfänglich als Wolkengöttinnen
selbst, d. h. himmlische Wasserfrauen (Apas) galten. Dar-
um vermögen sie durch Luft und Meer zu fahren,
darum bricht, wo sie daherkommen, männerverderbendes
Unwetter aus, so dass Blitze züngeln und Stralen in die
am Gestade liegenden SchiflPe schlagen '). Nun erklärt sich
auch die Schwangestalt der Jungfrauen, und warum sie
im (himmlischen) Wasser baden, s. oben S. 38 fgg. Weil
hinter der Wolke das himmlische Licht verborgen ruht
(weshalb Wolkensymbole mit Lichtsymbolen in fortwähren-
dem Tausch stehen, s. oben S. 37 — 41) fasste man die
Göttinnen, sobald sie aus der Wolke als selbständige Per-
sönlichkeiten heraustraten, als Lichtwesen auf, wie wir das-
selbe bei den Mären und anderen Wesen unserer Mytho-
logie beobachten. Danach ist die folgende Darstellung der
Valkyren zu beurteilen. Als Helgi nach der Schlacht ge-
gen die Hundingssöhne auf der Wahlstatt ausruht, bricht
ein Licht über dem Berge Logatjöll hervor, und aus dem
Lichte kam Wetterleuchten, Helme erglänzten auf der Him-
melsaue (Himinväugr) und Jungfrauen erschienen mit blut-
bespritzten Panzern und Speeren, von denen Strahlen nie-
derleuchteten. Diese Grundbedeutung der Valky rensage
vorausgesetzt, erklärt sich die weitere Entwickelung auf
die einfachste Weise. Als himmlische Wasserfrauen (De-
vapatnis) standen sie mit dem erst später zum Himmels-
1) Helgaqu. Hundiugsb. I, 46.
2) Helgaqu. Hundingsb. II. ed. Muuch S. 91.
3) Helgaqu. Hundingsb. I, 15.
565
gott und Götterkönig erweiterten Sturmgott üöinn , dem
Anführer des wilden Heeres in enger Verbindung. Er
kehrte mit den Seelen in der Wolke, dem himmlischen
Kinderbrunnen ein s. oben S. 95. 271 und erlabte sich
sammt seinen Geistern am Wolkengewässer s. oben S. 64.
Der Sturm jagt die Wolken vor sich her, die Wasser-
frauen ziehen an der Spitze des wilden Heers durch die
Luft s. oben S. 261 fgg. 271. 287 fgg. 291. Diese Vor-
stellung nahm bei vorschreitendem Anthropomorphismus die
folgenden vier Gestalten an: 1) Die himmlischen Wasser-
frauen sind (Vsins Gefährtinnen. 2) Sie reichen den See-
len den Trank des himmhschen Gewässers. 3) Sie em-
pfangen den aus dem dahinsterbenden Körper als Lufthauch
entfliehenden Geist bei sich und führen ihn, durch das
Himmelsmeer dahinziehend, in das hinter dem Wolkenge-
wässer liegende lichte Seelenreich. 4) Sie führen Oöins
Geisterschar an, wenn sie auszieht.
Die ethische Entwickelung der Mythologie schritt wei-
ter, die Wasserjungfrauen gestalteten sich in immer höhe-
rem Grade zu freien, nach menschlicher Weise handeln-
den Persönlichkeiten. Der gewaltige Umschwung aller
Verhältnisse, welchen der Beginn der Völkerwanderung in
der ganzen germanischen Welt hervorrief, richtete das Sin-
nen und Trachten des Volkes vorzugsweise auf den Krieg')
und gestaltete danach unbewusst auch die Religion um.
Nun stellte man sich ÖSinn nach Art irdischer Könige als
Heerführer mit einer Gefolgschaft vor, sein Seelengeleite
wurde auf eine kriegerische Heldenschar eingeschränkt, die
Geister des wilden Heers verengten sich zu den Einheriar,
des Gottes Seelensitz, nach menschlicher Weise als Halle
gedacht, gestaltete sich zu VallhöU und die Wasserfrauen,
Oöins Gefährtinnen, empfingen und bewirteten nur in der
Schlacht gefallene Kämpfer. Das Heer, an dessen Spitze
1) Diesen Process hat sehr schön II. Riickert dargelegt in seiner „Kul-
turgeschichte des Deutschen Volkes in der Zeit des Uebergangs aus dem Hei-
dentum ins Cln-istentuni. Leipzig 1853. Ud. I." Das Urteil über die reli-
gieuse Entwickelung ist jedoch verfehlt und berulit auf mangelnder Sadikenntnis.
566
sie auszogen, ist ein Kriegsheer geworden. Nur ein Schritt
in der dichterisch weiterschaffenden Volksphantasie darüber
hinaus, und die frei beweghchen Seelenempfängerinnen stie-
gen zur Erde hinab und nahmen den dem Leichnam sich
entringenden Geist schon auf dem Schlachtfelde selbst in
ihre schützenden Arme auf. Musste es da nicht scheinen,
als ob sie selbst den töthchen Ausgang des Krieges her-
beigeführt, das Schicksal der Schlacht gelenkt hatten? Die
Wasserfrauen wurden Valkyrien, Valmeyjar. Zu den
vielfachen Bildern, unter denen man die Wolke erschaute
gehörte das Gewebe, sämmtliche Wasserfrauen sind Spin-
nerinnen '). Das Gewebe der Valkyren machte die allge-
meine Entwickelung des Mythus dieser Göttinnen mit, es
trat in Beziehung zum Kriege. AllmähUch genügte die
Einfachheit der alten Göttergestalten nicht mehr und der
Widerspruch zwischen ihnen und der Wirklichkeit wurde
offenbar. Der Volksgeist selbst begann an ihnen zu deu-
ten. Demselben Gesetze, welches die Geschichte der Spra-
che fast durchgehends aufzeigt, folgten die mythischen Ge-
bilde, das Concrete wurde zur Abstraction. So geschah
es, dass man bald in den Valkyren nichts anders als Per-
sonificationen des Krieges selbst und einzelner Situationen
in demselben erschaute. Wie diese Metamorphose allmählig
sich vollzog, sehen wir deutlich an den Namen^ welche die nor-
dischen Lieder den Valkyren beilegen. Geirdriful Speere wer-
fend, Geirörul die Lanzennährende, Hiälm]>rimul die unter dem
Helme Tönende (?), Hiörj^rimul mit dem Schwert Tönende(?),
Skögul die Hochragende, die im Kampf Vorstehende, Vor-
dringende;, Geirskögul die mit dem Speer Hervorragende,
Göndul die Zauberische sind noch dichterische Benennun-
gen leibhafter Gestalten; Her^ötur Heeresfessel, Thryma
(aus jTumia) die Donnernde, Tosende neigen schon zur
Abstraction hin ,• Hrist Erschütterung, Guör, Gunnr, Hildr
Kampf, Randgriö Wut der Schilde, Skeggöld Beilaltcr stel-
len Personificationen des Krieges selbst dar. So erschei-
1) Vergl. Lauer, System der griech. Mythologie 371 fgg.
567
nen die Valkyrlen gröfstenteils in den mythologischen Göt-
terliedern der sogenannten älteren Edda, die hei den sag-
liche d weisen sie in ihrer alten concreten Gestalt, wel-
che noch deutlich die Naturgrundlage erkennen lässt, auf,
wenngleich andererseits auch schon mitten in die Men-
schenwelt hinabgezogen und als menschliche Jungfrauen
aufgefasst ')• Das ist eben das Wesen der Heldensage,
dass sie die Götter, die schon zum vollen Anthropomor-
phismus^ zur freien Beweglichkeit menschlichen Charakters
gediehen sind, nun wirklich in den Kreis der Menschheit
herabzieht, sie von irdischen Müttern gebären und selbst
dem Tode verfallen lässt. Dabei aber nimmt sie eine Reihe
alter aus der Naturgrundlage herstammender Züge in die
Schilderung ihrer Persönlichkeiten auf, welche nun festge-
bannt und versteinert die Kunde früherer Sagenperioden
auf die Nachwelt weitertragen, indess dieselben Götter,
insoweit sie unvermenschlicht im lebendigen, sich fortent-
wickelnden Religionsbewusstsein fortdauern, allem Wechsel
und jeder Veränderung der Weltanschauung des Volkes
unterworfen sind und je mehr und mehr alle Züge aussto-
fsen, die an ihre ursprüngliche Naturgebundenheit er-
innern ^).
Nunmehr ist es auch klar, weswegen die Valkyren in
so hohem Grade mit der krieggerüsteten Göttin Freyja
(Valfreyja, Hildr) sich berühren, der die Hälfte der Gefal
lencn gehört, die den Äsen den Met einschenkt und deren
1) S. das Tatsäclilielie über diesen Unterschied bei Fraiier u. a. O. 51
fgg. Petersen, Nordisk Mythologi 237 i'gg.
2) Vergl. über diesen Entwickclungsproeess Steintlials Auf'sat;^ „^ur ^'ci-
gleichenden Mythologie." Wissenschaftliche Beilage zur Leipziger Zeitung
1857 No. 50 — 55. Die Anfänge der abstracten Auffassung unserer Göttin-
nen fallen schon dem 5ten oder Gten Jahrhundert zu, wie die Uebereinstim-
mung des Namens Hilde bei Südgernianen und Nordgennanen beweist, wo-
von weiter unten. Die Vollendung dieses Vorgangs vollzog sich jedoch au-
gensclieinlich in jener Zeit, als zum zweitenmale und in erhöhtem Mal'se die
nordgermanische Welt eine kriegerische Erregung ergriff; da im Anfange des
Sten Jahrhunderts der Beginn der Vikingerzüge alle Furien krieggewohnten
Lebens entfesselte laid durch Berülirung und Bekaiuitschaft mit den Schätzen
und der Kultur des Südens die normannische Weltanschauung uneiuUicii er-
weitert wurde.
568
Vogel der Schwan ist, dass sie als reine Vervielfältigungen
derselben erscheinen. Wir lernten auch in Freyja die alte
Wasser fr au kennen s. oben S. 288 fgg. Sie gehörte
ursprünglich ebenfalls zu der Schar, aus der sie als ein-
zelne Göttin, die Valkyre als Glied einer Genossenschaft
heraustrat.
Gerade diejenigen Züge, welche auf die Naturgrund-
lage der Valkyren hinweisen, hat der Mythus derselben
mit den Nörnen gemein. Wir gelangen dadurch zu dem
Schluss: Auch die l^drnen waren anfänglich in der Schar
der Wasserfrauen mit einbegriffen.
Dieses Ergebnis vermögen wir noch auf anderem Wege
durch Analogie zu bekräftigen. In ganz später nach-
eddischer Zeit werden Zauberweiber und Völen mit dem
Namen der Nornen belegt. So heifst es in einer Verwün-
schungsformel :
Troll ok älfar
ok töfranornir,
büar bergrisar
brenni ];inar hallir,
hestar troöi ]?ik,
hati ])ik Hrim|>ussar
sträinn stängi J'ik,
stofnar ängri J^ik,
nema J>ü vilja miun gjörir ').
In der Nornagestsaga wird eine Sage von wirklichen
Nörnen erzählt, diese aber als menschliche Zauberfrauen
dargestellt. Sie heifsen dem Verfasser Nörnir, völvur
und „späkonur, er späöu mönnum aldr." Die Verwechse-
luno; der Nörnen mit den Völen und Zauberweibern wäre
nicht möglich gewesen, wenn beide nicht in der Tat eine
innere oder äufsere Verwandschaft mit einander gehabt
1) HerraiiÖs og Bosissaga (saec. XIV) k. 5. Fornaldarsög III, 205.
TroUe und Alfen und Zaubernomen, nachbarliche Bergriesen sollen deine Hal-
len verbrennen, hassen sollen dich die Hrim]?ursen, Rosse dich treten. Das
Stroh steche dich , Baumstubbeu ängstigen dich , wenn du meinen Willen
nicht tust.
569
hätten. Man glaubte, dass Zauberweiber (Völen) im Lande
umherfahreud, dem Kinde sein künftiges Schicksal nicht
sowol bestimmten, als weissagten. Die Edden lehren uns
die Vökir als göttliche von Riesen entsprossene d. h. ur-
alte und verderbliche Frauen kennen, die von aller Ver-
gangenheit Kunde haben, von der Zukunft weifsagen und
durch Zauber den Naturkräften gebieten. Sie unterschei-
den sich mithin von den Nörnen nur dadurch, dass jene
das Geschick bestimmen, sie es verkünden. Von den Nör-
nen giebt uns Gylfaginning die Definition „Nornir eru ]'£er,
er nau]? skapa." Nörnen sind die, welche die Lebens-
not bestimmen; von den Völur heifst es: Völur heita
]i:ier, sem vil spä d. i. Völen heifsen die welche Leid vor-
hersagen.
Von älterer Naturbedeutung der Völur ist uns in den
Eddaliedern nur eine Spur erhalten, sie sollen nach Hyn-
dluljöö 32 von Viöölfr d. h. Waldwolf stammen, der sei-
nem Namen nach ein Waldgeist war. Dieser Zug weist
ihnen sogleich auch Verwandschaft mit den Valkyrien an ')
und lässt uns vermuten, dass auch sie aus der Schar der
Wasserfrauen sich losgelöst haben. Die vergleichende My-
thologie gewährt uns die sichere Bestätigung dieser An-
nahme. Der Name Vala, Valva oder Völva (diese drei
Formen sind gebräuchhch) entspricht dem walachischen
Vilva. Mit diesem Namen bezeichnet der Walache die
Wolkenwelt belebende Geister, welche in Gestalt eines
Lindwurms (wie die deutschen weifsen Frauen als Dä-
sapatnis) in Wolkenhorden durch die Luft fahren und ent-
1) Wie die Völur späkonur, wurden die Valkyren in jüngerer Zeit mit
dem gleiclibedeutenden Ausdruck spädisir benannt. Von Sigmundr wird
Völsüngasaga cap. XI. Fornaldarsög. I, 144 gesagt: en svä hlifgu honum
lians spädisir, at hann varö ekki särr ok engi kunni töl hversu margr
nia'ör fcl fyrir honum, hann haf'öi bäöir hcn'ör blo'ögar til axlar. — Äsmundr
Kappabani träumte, dass eine kanipfgerüstete Frau bei ihm stand imd
sprach: Ilvat veit ottabragö f>itt, |hi ert :\!tlaör at vera forgängsmaör an-
nara, en ^u ottast 11 incnn, ver erum spädisir jjinar ok skulum per vöni
vuitta moti mönnum |)cim er ])u ätt vi'JS at reyna. Fomaldarsög. II, 484.
Weiteres über die Verwaudschaft der Völen und Valkyren s. bei Wcinhold,
Die Deutschen Frauen S. 60.
570
weder segensreiche Witteruncr, oder verheerende Regengüsse
schicken. Jedem Land, jedem König ist eine Vilva zuge-
teilt. Sie führen in der hohen Luft Kämpfe auf, deren
Ausocano; für das unter ihrer Obhut stehende Land über
die Witterung entscheidet '). In anderer Gestalt^ als licht-
weifses Mädchen mit schwarzen Locken, tritt dasselbe We-
sen bei den Serben unter dem Namen Vila, bei den Illy-
riern als Willa auf. Die südslavische Willa ist Ländern,
Bergen, Schlössern vorgesetzt. Sie ruft aus den Bergen
die Helden an -). Die Vila der Serben bewahrt sehr treu
die ursprüngliche Natur der Wasserfrau. Sie wohnt in der
Wolke:
Türmt 'nen Turm die weifse Vila
Nicht im Himmel, nicht auf Erden
Auf dem Berge, in den Wolken.
In den Turm baut sie drei Tore;
Eins der Tore ganz von Golde,
L^nd ein zweites Tor von Scharlach.
Wo sie baut das Tor von Golde,
Will das Söhnchen sie vermählen,
W^o sie baut das Tor von Perlen,
Will die Tochter sie verloben;
Wo sie baut das Tor von Scharlach^
Will die Vila selber sitzen.
Sitzen will sie da, zuschauen
Wie der Blitz spielt mit dem Donner
Und lieb Schwester mit zwei Brüdern,
Und die Braut mit ihren Führern.
Blitz besiegt im Spiel den Donner,
Liebe Schwester beide Brüder
Und die Braut die Hochzeitführer ").
Oft wird die Vala Wolkensammlerin genannt. So
sagt im Liede „Serbische Mädchensitte " das Mädchen:
1) Schott, Walachisclie Märchen S. 296.
2) Anton, Versuch über die alten Slaven II. S. 52.
3) Talvj, Vülk'flieder der Serben II, 03.
571
„Weder bin ich klug, noch albern,
Auch die Vila nicht, die Wolken sammelt,
Bin ein Mädchen, darum seh' ich vor mich" ^).
Beim Kampfe Markos mit Mussa redet die Vila
aus den Wolken-). Wie die Valkyren wohnt sie nach
anderer Form desselben Mythus aber auch im tiefen Walde
und auf Berggipfeln und wird daher gern „die Vila des
grünen Waldgebirgs" genannt. Wie die Völen wei-
fsagt sie und ist heilkundig. Sie nimmt, gleich den Val-
kyren die Seele zu sich. Ein von der Mutter durch un-
vorsichtige Reden dem Teufel übergebenes Kind wird von
den Vilen geholt. „Die Vilen sollen dich holen" ist land-
läufiger Fluch. „Welche Vilen haben dich besie-
get?" heifst: Welches Todes bist du gestorben. Aus der
Wolke schiefsen sie tötliche Geschosse auf die Menschen
und lieben es zu Kampf und Mord anzureizen ; sie nehmen
sich aber auch einzelner Helden an und schliefsen mit ih-
nen Blutbrüderschaft. Sie erscheinen einzeln unter beson-
deren Namen ^). Den nordischen Völen legt die Sage
schlangengezäumte Wölfe bei, auf denen sie reiten, die Vila
jagt auf schlangengezäumten Hirschen daher. Der Gedanke,
welcher aus den Wasserfrauen die weissagenden Vilen und
Völen schuf, ist die Vorstellung des plätschernden Regens
und lauten Donnerhalls als Rede^).
Wir sehen, dass die Mythe von den slavischen Vilen
fast denselben Entwickelungsgang durchgemacht hat, den
wir bei den Valkyren nachwiesen und bei den Nomen
wahrscheinlich fanden, wir sehen ferner, dass die Sage von
den Völen, die mit den Nörnen auf das engste sich be-
rühren, demselben Bildungsgesetze folgte, und finden da-
1) Talvj a. a. 0. 4.
2) Talvj a. a. O. 235.
S) Schwenck, Slavische Mythologie S. 255 fgg.
4) Vergl. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 162. Auch die indisclien
Apas heilsen in den Veden oft Göttinnen der Rede, väc. Rigv. I, 61, 8
wird von ihnen gesagt: ,,Ihni ja, dem Indra webten die Frauen, die Göt-
tcrgemahlinnen (Devapatnis) einen Lobgesaug in der Ahischlacht." Vergl. oben
«. 115 Thors Bartruf.
572
durch unsere Ansicht neu bekräftigt, dass auch die Nörne7i
einst Wasserfrauen waren.
Wir wiesen schon oben S. 557 darauf hin, dass die
Nörnen auch mit den Folgegeistern Fylgjen oder Haming-
jeu, besonders den Geschlechts- oder Familienfylgjen (set-
tarfylgjur kynfylgjur) ') in naher Verwandschaft stehen. Die
Fylgjen s. oben S. 306 fgg. sind Schutzgeister, die teils
den einzelnen Menschen von der Stunde der Geburt an
durchs ganze Leben begleiten, teils ganzen Geschlechtern
und Familien zur Seite stehen. Sie erscheinen bald ein-
zeln bald in Scharen. Berühren sie sich schon in diesen
Zügen mit den Völvur, sowie den slavischen Vilven und
Wilen, so wird die üebereinstimmung noch gröfser, wenn
wir uns erinnern, dass die Fylgje in der Glückshaube
ihren anfänglichen Sitz hat, s. oben a. a. O. die Vila Kin-
der, die mit Glückshäubchen geboren werden, zu sich nimmt.
Auch in die Valkyren rinnen die Fylgjen unmerklich über.
Oft heifst es, dass Kämpfer ihren mächtigen Fylgjen
den Sieg verdankten. Dem Glümr erscheint die Hamingja
seines Grofsvaters Vigfüss behelmt als Valkyrie und bie-
tet ihm ihre Folgschaft an. Er nennt sie, ihre Erschei-
nung beschreibend, felliguör darniederstreckende Val-
kyre -). Utsteinn, ein Gefolgsmann Königs Hälfr, wünscht
den Kampf mit Ulfr, weil er hofft, dass seine Disen ihm
behelmt zur Seite stehen würden, Ulfr dagegen spricht die
Erwartung aus, dass alle Disen der Hälfsrecken gestorben
seien ^). Wie Nörnen und Valkyren verkündigen die Fylg-
jen oft die Ereignisse der Zukunft vorher; auch sie sind
in das Leben des Menschen eingreifende Schicksalsmächte.
Gisli Sürssonr hatte zwei Fylgjen, die eine war gut, die an-
dere böse, welche ihn beide verschieden berieten. Die gute
führte ihn zu einer Halle, wo seine toten Verwandten um
1) S. über diese besonders Job. Erici, Observationum ad extiquitates
septentrioiialium pertincntium specimen Havniae 1766. Observ. 11. De geuiis
tutelaribus S. 175 fgg.
2) Viga Glünissaga cap. 9. I&lcndingasög. HI, 345.
3) Hälfssaga cd. Björn S. 27.
573
Feuer safsen und offenbarte ihm die Jahre seines Lebens,
die er noch haben werde, wenn er ihr folge Die böse
reizte ihn zu Streit auf und übergoss ihn mit Bhit, um ihn
zum Kampfe zu weihen (s. oben S. 311). Wir werden se-
hen, dass ebenso die Nornen zu todesgefährlichem Kampf
antreiben. — Noch deutlicher geht die Verwandschaft der
Fylgjen mit den Nornen aus folgender Ueberlieferung her-
vor. Als das Christentum durch König Olaf den Heiligen
srofse Ausbreituno- in Norwegen fand, hörte ein cjewisser
Thidrandr auf seinem Hof von Norden her Rossegestampf
und siehe da kamen neun Weiber schwarzgekleidet auf
schwarzen Pferden dahergeritten, gezogene Schwerter in
den Händen, die ihn angriffen und zur Verteidigung nö-
tigten. Von Süden her eilten neun weifsgekleidete Frauen
auf weifsen Rossen ihm zu Hilfe, aber er fiel verwundet
zu Boden, starb und ward nach Heidensitte im Hügel bei-
gesetzt. Seine Freunde schlössen, dass die neun schwar-
zen Frauen die bösen Fylgjen gewesen seien, welche ihn
vor Einführung des Christentums noch an sich zu reifseu
und nach Vallhöll zu führen trachteten, die weifsen such-
ten ihn davor zu schützen, erreichten aber ihr Ziel nicht ').
Ein Volkslied in der älteren Edda bezeichnet die Nornen
geradezu als Hamingjen. Vafthrüönir wird nämlich von
Oöinn gefragt:
Hverjar 'ro ]>xr meyjar
er liga mar yfir
froögeSjaÖar fara?
Der Riese antwortet:
jjrjär ])jööar falla |'orp yfir
meyja Mögjjrasis
hamingjur einar
J?eirra i heimi eru
\>6 J'aer meö jötnum alask '^).
1) Olafs Trvggvasonars. II, cap. 57.
2) Vafj^riVSnism. 48. 46. „Welclie sind die Mäddien, diu über der
Tränke Meer weisheitsvoll üiliren?" „Urei der Maide Mög|jrasirs über des
574
Der Tränke Meer (liöa mar) ist, wie ich mit Finn
Magnussen und Petersen annehme, das himmlische Gewäs-
ser der UrSarborn. Unsere Stelle besao^t deutlich: Un-
terMögl'rasirs Jungfrauen sind drei die vorzüglichsten (oder
einzigen) Schützerinnen der Menschen. Diese drei Mäd-
chen sind die Nörnen am Uröarborn, die aber der Ver-
fasser des Vafj'rüdnismäl noch als einer gröfseren Schar
angehörig zu nennen scheint '). — Wie Valkyren und Vö-
len werden die Fylgjnr eine Naturgrundlage gehabt haben.
In der Tat sahen wir oben S. 306, Anm. 2 ihre Identität
mit den Maren. Sie sind Seelen, die als Lufthauch in
die Wolke eintretend, nun selbst Wolkengestalt führten,
Wasserfrauen wurden (vergl. oben S. 89) ^). Die Wolken,
welche die Seelen der Toten nach dem Glauben des Al-
tertums in sich bargen, und am Himmel hinwandelnd
die Wanderung des Menschen auf Erden als treue Gefähr-
tinnen begleiteten, gaben in Verbindung mit dem Gefühl
der Hilfsbedürftigkeit gegenüber den Mächten der Natur
und des Menschheitslebens und mit dem Herzensbedürfnis,
die abgeschiedenen Lieben auch über das Grab hinaus sich
vereinigt zu wissen, die Veranlassung zur Entstehung des
Fylgienglaubens. Wir sehen also auch hier aus den
Wasserfrauen den Nörnen verwandte Schicksals-
mächte sich hervorbilden; ja die Sage von Thidrandr,
die durch verschiedene andere nordische Ueberlieferungen,
sowie den Eingang des althochdeutschen Gedichtes Muspilli
sich ihrem Kerne nach als alt erweist, zeigt dass noch die
spätere Zeit ganze Genossenschaften göttlicher, schicksal-
wirkender Frauen Elemente des Nörnen-, Valkyren- und
Hamingjenglaubens ungeschieden in sich vereinigten.
Volkes Wohnsitz schweben, die einzigen Hamingjen derer die in der Welt
sind, wenn auch bei Riesen auferzogen.
1) Doch ist diese Auffassung nicht unumgänglich geboten. — Durch Er-
ziehung der Nomen bei den Riesen ist eine Erinnerung an ihre in jüngerer
Zeit fast ganz vergessene elementare Bedeutung ausgedrückt. Zugleich
soll damit ihr hohes Alter gekennzeichnet werden. Von Mög]?rasir (,,nach
Kindern verlangend?") ist sonst nichts bekannt.
2) Vergl. Atlam. 26: ,,Konur hugöak daugnr koma i nott hingat, vx-
rit vart bünar, vildi jjik kjosa, bygi ])er brälliga til bekkja sinna, ek
kveö aflima orönar per disir."
575
Icli schliefse diesen Abschnittt mit einer indischen
Analogie. Aus dem (hiramhschen) Milchmeer s. oben S. 97
stieg sammt den Wasserfrauen, den Apsarasen die Göttin
Cri oder Lakshmi hervor, die Gemahlinn Vishnus, der in
den Veden anfangs noch Sonnengott ist, welcher auf dem
Vogel Garudha (der Wolke) s. oben S. 38 reitet; später
zum Herrn des himmlischen Gewässers und der Luft
sich erweitert, in der Epenzeit Gott des bewegten Lebens
in jeder Bedeutung des Wortes wird '). Als Lakshmi einst
die Erde verliefs, verschmachteten alle Menschen und Tiere
vor Hunger und Durst, alle Teiche und Brunnen
trockneten aus und alle Bodenfrüchte verdorrten'^).
Durch die junge Sage sieht man noch deutlich die Natur-
grundlage der Wasserfrau hindurch; ebenso lässt sich die-
selbe in dem Zuge erkennen, dass der Lakshmi die Kuh,
die irdische Vertreterin des Wolkentieres, heilig und das
Erntefest geweiht war. Lakshmi von W^urzel laksh =
raksh behüten, bewachen ^) bedeutet ursprünglich die Be-
wachende, Bewahrende, dann Glück. Wir gewahren, wie
die zeugende Naturkraft des himmlischen Elements die Ideen
des Keichtums, der Fruchtbarkeit, der Liebe, der Ehe, der
Huld weckten, die in Lakshmi vereinigt sind. Der Athai'-
vaveda VH, 11 lehrt uns neben der Göttin Lakshmi, die
sachlich unserer Freyja, Frigg, Holda sich vergleicht, eine
Schar von Lakshmis erkennen, welche auffallend den Fylg-
jen ähneln: „Flieg hinweg von hier, unheilvolle Lakshmi,
geh zu Grund, von hier aus fliege dorthin, mit eisernen
Haken hängen wir dich an unsern Feind. Die Lakshmi
die, mich zu verderben wünschend, unfreundlich auf mich
sprang, wie eine Schlange (vandanä) auf den Baum, die o
Savitar entferne von hier anderswohin, als nach uns, Gold-
handiger, Heil uns spendend. Hundert undeineLakshmi
sind zugleich mit dem Körper des Sterblichen bei
1) S. Wuttke, Geschichte des Heidentums II, S. 270 fgg.
2) Padmapuränam kap. 9. Uttarakhandam. S. AVolllicini, Altindische
Mytliologie S. 82.
3) Von laksh kommt laksliana das Zeichen, ursprünglich das Bewah-
rende; von raksh räkshasa vor dem man sich zu hüten hat, Kiese, Dämon.
576
der Geburt geboren; die unheilvollsten entsenden wir von
hier, die heilvolleu gewähre uns Jatavedas (Agni). Diese
hier trennte ich, wie auf der Tenne die getrennten Kühe,
verweilen mögen die reinen Lakshmis, die unheilvollen (Pä-
pis) habe ich vernichtet."
B. Die Noruen als Güttinuen des Todes, der Geburt und der Heirat.
Valkyren, Völen, Nornen und vielleicht auch die Fylg-
jen bildeten ursprünglich eine Schar, die der Wasser-
frauen. Aus der Vorstellung, dass die Seele im Augen-
blick, wo sie dem Körper enteilt in der Wolke, dem
himmlischen Gewässer Aufnahme findet, erzeugte sich der
Gedanke, dass die darin weilenden und webenden göttli-
chen Frauen auf das Leben des Menschen unmittelbaren
Einfluss üben. In dem Tode, der das endliche Ziel aller
Entwickelung ist, tritt das Eingreifen des Schicksals am
Entschiedensten hervor und je mehr der Naturmensch vor
diesem Freudenmörder ein natürliches Grauen empfindet,
desto lebendiger greift gerade hier zuerst das Bewusstsein
einer höheren auf sein Dasein einwirkenden Macht Platz.
Verschiedene andere natürliche Ideenverbindungen und psy-
chologische Motive wirkten dahin jene Vorstellung zu be-
festigen und in den schicksalwirkenden Wasserfrauen eine
Scheidung eintreten zu lassen. Die Eddenreligion grenzte
die einzelnen Gruppen scharf und bestimmt gegeneinander
ab, dem verfallenden Heidentum blieb es aufbehalten, sie
wieder zu mischen. In den niederen Schichten des Volks-
glaubens war ihre Trennung nie vollständig vollzogen.
Während der Valkyrensage vorzugsweise die seelen-
bergende Tätigkeit der Wasserfrau, den Völen der prophe-
tische Erguss rar sehenden Regens zu Grunde lag, bildete
sich die Nörnenraythologie aus einem neuen Moment der
Wolkennatur. Die schwarze dunkele Gewitter-
wolke erschien als Bild des Todes.
Unserem Geschlechte einoreboren und tief in der Ei-
SCenheit menschlicher Art begründet ist das Streben, in
der Natur Abbilder geistiger Wahrnehmungen zu suchen.
577
Noch heute entlehnen wir zum gröfsten Teile die Bezeich-
nungen abstracter Begriffe aus der sinnlichen Aufsenwelt.
Die primitive Menschheit war so mit der Natur verwach-
sen, sie empfand dieselbe so unmittelbar, „dass ihr keine
ethische Empfindung ohne Anlehnung an ein Naturobject
blieb, während wiederum die Naturempfindung zu einer
ethischen sich verklärte ')." Oft reichte ein einzelner, so-
gar ganz unwesentlicher Vergleichungspunkt hin, um die
Combination herbeizuführen. Mit ewigen Schatten um-
florte der Tod das Auge, welches so hell in die Welt hin-
ausschaute, in die dunkele Hügelkammer bargen die Nach-
gebliebenen die Asche der abgeschiedenen Verwandten,
schwarz war die Farbe der Nacht in welche des Todes
Zwilhngsbruder, der Schlaf, auch die Mächtigsten auf das
Lager niederzwingt^); in der Finsternis, wenn das leben-
dige heitere Licht des Tages erloschen ist, wirkte das Ge-
fühl der Hilflosigkeit, das die Quelle aller Religion ist, in
der Seele am ergreifendsten, so ergreifend, dass nur die
Schrecken des Sterbelagers diese Wirkung überbieten. So
musste Nacht und schwarzes Dunkel überall, wo es
erscheint, die empfängliche Seele au die Finsternisse des
Todes gemahnen. Plötzlich und als allgemeines Naturge-
setz unbegriffen trat das Ende des Lebens, die Vernich-
tung ein. Die schwarze Gewitterwolke, die Verderben
drohend eine Zeitlang über den Häuptern hinzieht, dann
mit einem Male vernichtend sich entladet, verschmolz auf
1) S. die schöne Auseinantlersetzung von Lauer, System der griech. My-
thologie S. 20 — 49. Vergl. Otfr. ]Müller, Prolegomena zu einer wissenscliaftl.
Mythologie S. 258: „Symbol ist ein äufseres, siclitbares Zeichen, an welches
sich eine geistige Regung, Gefülü oder Gedanke l^nüpft. Diese Anknüpfung
des Gedankens an das Zeichen war, wo sie stattfand, dem Volke natürlich
und notwendig und sie geschah unwillkürlich und in diesem geglaub-
ten realen Zusammenhang des Bezeichneten und des Zeichens hat das Sym-
bol sein AVesen." — Ebendas. 269: Die Natur M'ird in durchaus enger Ver-
bindung mit dem Menschen erfasst und die geistigen Principe beider als iden-
tisch und homogen ; ja der Mensch erscheint wie in echter Identitätsphiloso-
phie oft nur als ein besonderer abhängiger Naturgeist. Es geht daraus eine
dämonische Betrachtung der Natur und des ganzen Lebens hen'or, die (hirch die
überwiegende Auflilärung verdrängt, später nur noch als Aberglauben fortbesteht.
2) Vergl. Beow. 2746 vom toten Draclien: ,,nu se wjTm ligeö, swe-
feo säre wund." Nun der Wurm daliegt, schläft totA\'und.
37
578
diese Weise den Naturmenschen unwillkürlich mit dem Ge-
danken an den unvorhergesehen eintretenden nächtigen
Tod; vergeblich auf Erden nach einer wirkenden Ursache
umblickend, fand er dieselbe in den in der Wolke weben-
den göttlichen Frauen.
Eine willkommene Bestätigung unserer Entvnckelung
gewährt eine indische Analogie. Skr. käla heifst schwarz,
blauschwarz, das davon abgeleitete Femininum kälä bedeu-
tet sowol die Nacht, als eine schwarz aufziehende Wol-
kenmasse. Kala auch ist ein Beiname des Totenffot-
tes und der seelengeleitende Hund dieses Gottes heifst
wiederum ^yama schwarz '). Im Rigveda kommt kala
nur einmal vor und hat hier die abgeleitete Bedeutung
Zeitpunkt, Zeit; AV. ly, 53. 54 lesen wir es in Liedern,
welche von Macht und Wesen der Zeit handeln, deren
Begriff hier an den der Weltordnung oder des Schick-
sals streift. Mit käla, wozu gr. xrj?ug, y.yjlldog Schmutz-
fleck, y.ij?udu'(oj schmutzig sein, y.tj'/.ag y.ij'/.üöog Wind und
Regen ankündigende Wolke zu gehören scheint, hängt
nach Bopps ^) und Leo Meyers^) Urteil y/jo die Todes-
göttin , y.r]oci schaden zusammen *). Die Keren sind bei
Homer eine Schar von Todesgöttinnen ^) , Göttinnen des
Sterbens, besonders des gewaltsamen Todes. Wir können
sie unsern Valkyreu vergleichen '^) , ohne dass beide histo-
1) S. Weber, Ind. Studien II, 295 fgg.
2) Gloss. Sanscr. 71.
3) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. V, 375.
4) Doch ist freilich diese Ableitung nicht gang unbedenklich, da bei den
einsylbigen Wörtern im Griechischen häutig Abfall eines Endconsonanten oder
Zusammenziehung stattfand. In Bezug auf letzteres vergl. yfjo, xiao = skr.
kayat Part, von ki denken, y.xiao = kshayat von kshi besitzen; für erste-
res sind /.ir^v = i.ir,vq, XV" ^^ /J^''^ (vergl. mens-is, ans-er Gans) Belege. So
dürfte xrjo, zj/oo:,- von krit schneiden mit zeud. kerent zaubern, skr. kritya
Zauber kommen, und mit xfur-o-uo-q herzzerschneidend (aus xagr mit Suff.
^o, ma wie oaü.-i-iio-q) zusammenhangen. Kr^o wäre dann die Schneidende,
Tötende.
5) II. XII, 325:
titTcriq /'*? Kfjoeq icfiaiäaiv ß-ancvoio
(.tvoiai, ok; ovx loti q:vyili'y (Iootov^ ovo vnalv^ui.
6) Dieser Vergleich ist schon mehrfach ausgesprochen z. B. von Preller,
Griech. Myth. I, 525.
579
risch identisch sind. Sie erscheinen mit Eris und Kydoi-
mos auf dem Schlachtfeld, in blutgetränktem Ge-
wände, die Verwundeten und Sterbenden herum-
zerrend ^). Jedem, der gewaltsamen Todes sterben soll,
ist bei der Geburt schon eine eigene Ker zugeteilt,
die ihn zur bestimmten Zeit ereilt ^). Unter den Beiwör-
tern der Ker (y.ay.i], öAo?; u. s. w.) ist fiilaiva die
Schwarze das gebräuchlichste und ebenso heifst der
Tod dunkeP). Aus der Nacht sind diese unheilvollen
Göttinnen geboren, wie man zu Hesiods Tagen dichtete *).
Neben der Ker erscheint bei Homer eine andere Schick-
salsgöttin Moira bis auf zwei Stellen^) stets in der Ein-
zahl. Das Wort Molga ist entstanden aus Möoia von
Wurzel «o(), mar, skr. mr töten *'), bedeutet also die Tö-
tende. Allmählich und zwar bereits in vorhomerischer
Zeit vergafs man diese bestimmte Bedeutung des Wortes
und aus der gewaltigsten Kundgebung des Geschickes, dem
Tode entspross die Bedeutung des Geschickes im Allge-
meinen, geradeso wie auch fiögog Tod, und zwar gewalt-
samer Tod bei Homer bereits den Sinn „Geschick, Le-
bensloos" hat, das den Menschen durch sein ganzes Erden-
dasein begleitet und ihm schon bei der Geburt zugeteilt
ist. Aus diesem Grunde bedürfen sowol Molga wie fxogog
der Ergänzung durch ein daneben gestelltes ß'ccvatoq (&d-
vaTog 'Aal Molga xgaTanj; ß^ävavog ts fA.6gog te). Die alte
1) II. XVIII, 535-540.
2) II. XXIII, 79.
3) II. XVI, 687: •^ t av vniy.q'vye Kijgu xaz?})' fnXavoq ^avctTOto.
4) Hesiod. tlieog. 211:
JVv^ ö irixs ari'yfQÖv xf Moqov y.al Krjoct fiiXaivai-
y.at Qär uTOv.
5) Od. VII, 197:
ciffff« Ol ytlcia KaiaxXwO-K; T{ ßuQflai'
yfiio/ih'c) riiaavTü iJrw^ ort fdv Ttxf layitiQ.
II, XXIV, 49: tP.t^kJi' yao Moi^ai. &ti(t6v -O-iaav a,v-&()wnoi,aiv.
6) S. Ahrens, Griechische Formenlehre des homerischen und attischen
Dialects §. 157. S. 185 durch Epenthesis, wie -Ktva) aus Ttrtw, ualvouai,
aus ^uvioficu, afidrwv aus äfifviuv, xfigo) aus x(qi,i,), (U)T(iQa aus <)nriQia,
Xc(q(oi' aus xffjio)}', fitlaiva ;ius /itkavta u. s. w. entspringt. Vergl. Curtius,
Griech. Schulgrammatik §. 55. S. 17.
37*
580
sinnliche und persönliche Bedeutung der Moira bricht aber
nicht allein in den Beiwörtern y.oaTcui], olovi u. s. w. her-
vor, sondern noch mehr in den Schilderungen, wie sie selbst
in den Kampf hinabschreitet, dicht an den Menschen
herantritt'), ihn würgt und tötet-); ihn mit Händen er-
fasst und zu Boden reifst '^j, ihn packt und mit Finster-
nis s seine Augen umhüllt^), ihn mit Banden fesselt,
so dass er in freier Ausführung seiner Entschlüsse behin-
dert wird ^). Wie die Nöru, spinnt oder webt die Moira
das Geschick "), dieselbe Tätigkeit wird aber in einer über-
wiesenden Mehrzahl von Stellen den Göttern im Allsemei-
nen zugeschrieben'). Wenn es erlaubt ist, dieses Weben
und Spinnen auf alte Naturanschauung zurückzuführen.
1) n. XXIV, 131. XVI, 852:
a).).ä Tot riöri
äy/t 7iaQfaTrjy.ev -d-afuzoc; y.al MoTga xQaTanj.
2) II. XVI, 849: äX).a fif Molo' oAojJ y.al jitjzovq f'y.iavsv vvoq.
3) Odyss. II, 100. HI, 238:
fii; oTf xiv fiiv
MnTo ol.nii y.aS-ü.Jiat TavtiXfyio:; &ai'äTOio.
Vergl. Sophocl. Ajax. 511: ftoloa xov (jvaavTa y.u&iO.f.
4) IL V, 83:
Tov di xctr oact
l'XXuße nooqA'(}(n; &at'aToq y.al ]\Iinnct y.oaTCCirj.
II. XII, 116: 7ioo(T&Bv '/au iiiv Moloa (Victwi'I'ho? ai.t(piy.alvipiv
l'yXit länuivrioq ayavov Atv/.a).ldao.
5) II. XXII, 5: ^Ey.xoon d ar'xnv iiflvai, oXoti Molo ineärjffif.
Od. in, 269: d).V ozf dtj iiiv MoToa &f(j)v iTtiSrjrri dafxiirai.
Od. XI, 294: y_<x).i7i7j ()s \)-iov y.aia Molo inidr^nfv.
Analog legt die vedische imd epische Mythe der Inder dem Todesgott Yama
Stricke und Seile bei, mit denen er und seine Boten den Menschen fes-
seln; Band und Seil schrieben auch altdeutsche Dichter dem Tode zu.
6) II. XXIV, 209:
Tol öw<; no&i Moloa yoarai^
ylviOidvü) inirviGt kifio, 6t? ftiv riy.ov uvxi].
Od. VU, 197: äaaa oi Aiaci xaiay.Xm&e^ it ßaQilai,
yfivouivo) vtjaai'TO ).lv<j>, oxi uiv xf'y.i f.tt]XT]().
n. XX, 127: ßffff« Ol Alaci
yeivofiii'd) infvriai ).iio)
7) Od. III, 208: iney./.waav &fol oXßov.
Od. VIII, 579: &(ol iniy.luaavio oXf&oov diO-Qwnoiq.
Od. XI, 139: xä fxiv ä,Q nov intx/.waav &(ot avxol.
Od. XVI, 64: o»? ydo 6i i-nixXoiatv xayt datficav.
Od. IV, 208: o)xt KoQvluiv oXßov inixXo'iafi yafj,iorxC xt yino-
liiroi xt.
581
so ergiebt sich auch die Moira, aus einer gröfseren Schar
hervorgetreten, differenziert. Wir dürfen um so eher ver-
muten, dass auch sie aus der Genossenschaft der Wasser-
frauen ausgeschieden ist, als die ihr nahe verwandten,
schwangestalteten (y.vy.vuuo()(foi) Grsden^), Erynuien '^j und
Gorgonen ^) aus Göttinnen der Wolke entsprungen sind.
In homerischer Zeit hat die ganze Götterwelt schon
einen überwiegend ethischen Charakter angenommen, es
zeigt sich das Streben, die gediegenen plastischen Gestal-
ten des Volkso-laubens zu verflüchtigen und zu vergeisti-
gen ■*). Dieses Streben hat denn auch die Moira bereits
in den Kreis der Abstractionen hineingezogen und jene
früheren, die volle Leibhaftigkeit persönlicher Auffassung
au sich tragenden Formeln abgeschwächt. Man hatte nun
den Tod als Naturnotwendigkeit, als Ausfluss eines allge-
meinen Schicksals erkannt, und ein unpersönliches (.iolQa
und cdoa im subjectiven Sinne des einem Jeden zugefalle-
nen Lebenslooses vertritt häufig den Platz der lebendigen
1) S. Panofka, Perseus und die Grata S. 217. Auch die Graia er-
scheint ursprünglich in der Einzahl. S. Panofka, Verlegene Äh-then 1839
T. I, 1. Das eine Auge der Graien, das Weltauge (s. W. Grimm, Sage von
Polyphem S. 28), die Sonne kehrt auch bei drei alten Weibern in einem
norwegischen Märchen wieder. S. Asbjürusen und Moe übersetzt von Brese-
mann No. 2J. Lillekort S. 162.
2) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. I, 454.
3) a. a. O. I, 460.
4) Dem Jib(; rooc; (Jtö? f(f/d>.ntn rö)jf(a II. XVII, 409) wird ein tä-
tiges Eingreifen zugeschrieben. Keben (k'r älteren Vorstellung, dass der Göt-
terstaat auf menschliche Weise sich gliederte, so dass Zeus den König (/Ja-
(TtAfi'is') , die eigentlichen Olymposbewohner {d(ol OlvfiTiini,) die aristokra-
tische ßoflri der Geronten (bei Homer ,9d)y.0i;, s. Od. V, 3. II. VIII, 439.
Hesiod. theog. 802) die Versammlungen sämmtlicher Götter auch der Nnn-
phen und Wassergottheiten die Volksversammlung {dymia s. II. XX, 3. VIII,
2) darstellten (vergl. Teuftel, Zur Einleitung in den Homer S. 20 fgg.), tut
sich eine monotheistische Richtung hei-\'or, welche die Wirksamkeit der ver-
schiedenen Götter vielfach als Ausfluss von der des Zeus, als in seinem Auf-
trag und Namen erfolgt anschaut (s. Nägelsbach, Homerische Theologie S. 108).
Daneben läuft der pandämonistische Zug, überall da wo die Reflexion in ei-
ner Reihe mannigfaltiger Erscheinungen ein einheitliches Gesetz erkannte. In
diesem Allgemeinen einen neuen Gott zu erkennen, der jenes Einzelne entwe-
der schafl'e oder selbst der Geist desselben sei. So traten neben die alten
Vülksgötter abstrakte Personificationen wie Dciraos, Phobos, Kydoimos, Alke,
Aisä, Enyo, Eris u. s. w. (s. Nitsch, Zur Odyssee I, S. XIII — XV. Nägels-
bach a. a. 0. S. 89 fgg.).
582
Göttin '). Die nur in zwei Stellen bewahrte Mehrzahl der
tötenden (uoioai) oder spinnenden (y.ccTcr/JM&eg) Frauen
gehört noch einer älteren Schicht des Volksglaubens an.
Der letztere, der aus einzelnen Sagen vorzüglich aber durch
den Kultus zu unserer Kunde gelangt, hielt auch später
an der Persönlichkeit der Moiren fest. Hesiod weifs, dass
sie sammt den Keren aus der Nacht geboren seien. Ihre
Zahl ist bei ihm schon auf drei beschränkt, sie heifsen
Klöthö (die Spinnerin), Lachesis (Lofsung) und Atropos
(die Unabwendbare). Der dritte Name Atropos drückt
die unausweichliche Notwendigkeit der Schicksalsbeschlüsse,
namentlich in der Stunde des Todes aus, ist also nur ein
anderer Ausdruck für Moira im ursprünglichen Sinne des
Wortes. Diesen Sinn scheint das Volk in einzelnen Gauen
noch lange durchgefühlt zu haben-). Von dem Act, in
welchem das Schicksal am gewaltigsten eingreift, dem Ende
des Lebens, richtete sich der Blick naturgemäfs auf den
Anfang des irdischen Daseins und neben Atropos trat
Klöthö die Spinnerin, welche schon bei der Geburt jedem
Menschen das Geschick vorausbestimmt. Beginn und Auf-
hören, das erkannte man, lag in einer Hand; nun entfal-
tete sich in Wiege und Grab, Geburt und Tod, nicht mehr
im Tode allein die Wirksamkeit der Moiren. Diese Stufe
der reliofieusen Entwickeluug bewahrte u. a. der Kultus in
Delphi, denn hier liefs man nur zwei Moiren gelten. Mit
Eileithyia Aphrodite Urania, und anderen Geburtsgöttin-
nen vereint, dachte sich der Volksglaube die Moiren bei
Entbindungen angerufen^). Bekannt ist die schöne.
1) Die Auffassung und Stellung der Mooia im homerischen Gottesbe-
wusstsein, die auseinanderzusetzen hier nicht der Ort ist, erörtert Teuffei
a. a. 0.
2) Unter Xeugriechen gelten Mira, Tichi und Kisiko (j; Mofgä, fj
Tvyr tÖ PoiI.iy.ö) als die drei Parzen. S. Eulambios 6 duaoavzoi; t/iot
TapotJa Ti;i; dfa'/e,r,i&fCar,i 'E'ilado^ Petersburg 18 i3 p. XXVU, woher
die Wörter ^luzaoj;;, zw/.oo^^txo;, y.aln^oujo:; glücklich, xay.Ofioiooq, y.axo-
qCCiy.oq, unglücklich (s. Sanders, Volksleben' der Xeugriechen 144) kommen.
Neugriech. öi^tzo, ital. rischio Geschick stammt von oqitw- Vergl. Ad. El-
lison, Versuch einer Polyglotte der europ. Poesie I, 271. D. Sanders, Ueber
das deutsche WB. II, 126.
3) S. Preller, Griech. Myth. I, 330. Panofka, Ueber Venusidole 1843
583
seit Phrynichos von den Tragikern oft bearbeitete Legende
von Meleager, dem Sohn der Althaia. Als der Säugling
am siebenten Tage nach alter Sitte um das Feuer
der Hestia getragen wurde und Namen erhielt,
traten die Moiren zur Mutter und sprachen: „Dann wird
dein Kind sterben, wenn jenes auf dem Heerde brennende
Scheit von der Flamme verzehrt ist." Athaia entreifst den
Scheit der Flamme und legt ihn in eine Lade; nach Jah-
ren, über den Sohn erzürnt, zündet sie ihn an, und der
kräftige Jüngling stirbt plötzlichen Todes.
Der dritte wichtigste Augenblick im Leben des Men-
schen ist der Zeitpunkt, wann er zur Gründung eines ei-
genen Herdes schreitet. Er bildet die Mitte zwischen
Geburt und Tod und reihte sich sehr bald unwillkürlich
diesen Momenten ein. Die Moiren finden wir daher auch
bei Hochzeiten zugegen und die Bräute pflegten der
Hera relsia^ der Artemis und den Moiren zu opfern').
Aus der Wirkung in diesen drei Hauptmomenten des
menschlichen Lebens entwickelte sich meiner Ansicht nach
die Dreizahl der Moiren. Der Name Lachesis freilich
gehört einer anderen Gedankenreihe an; man stellte sich
vor, dass Zeus oder die Moiren der Menschen Schick-
sal durch Lofsung bestimmen*^); ursprünglich eriofste wol
jeder der Götter, wer seiner Gewalt zufallen sollte ^). Die
weitere Entwickekmg des Moirentheologems gehört nicht
an diesen Ort.
Wie die hellenische Schicksalsgöttin vom Endiger
S. 319. Die Albanesen glauben, dass am dritten Tage nach der Geburt drei
unsiclitbare Frauen (i^aitif) am Bette des Kindes schicksalbestiunnend er-
scheinen. Dem Ausspruch der letzten stinnnen die andern bei. Jedes dem
Kinde zustol'sende Ereignis wird auf diese Satzung bezogen, indem man .sagt:
So haben es die Fatiten geschrieben, d. h. festgesetzt. Hahn, Albanes.
Studien 148. Hier waltet Eintluss römischen Glaubens.
1) S. Preller a. a. O. O. Müller, Trolegomena S. 137.
2) Vergl. die Wagschalen II. VHI, G9 fgg. 11. XXH, 209 fgg.
3) S. II. XXIII, 79: äX).' fftf fih' Ki]n aiitpt/avf aii'yiiitj, tlTifo kä/t
yiLvoftfvov Till). ,,Mich hat die fmelitbarc Ker versclilungen, die mich bei
meiner Geburt zu ihrem Anteil eriofste." Geradeso wie man bei Erbteilungen
das Leos (xA^/ont;) warf, wird ).cty/aifi-i' oft von den Göttern gebraucht, diu
(gleichsam bei Verteilung der Erde), ein Land, eine Stadt, u. s. w. als Au-
teil erlangt haben.
584
aller Dinge dem Tode ausging, so auch die römische. Der
Römer nannte seine Parze ursprünglich Morta die Tö-
tende'). In des Livius Andronicus Odyssee stand der
Vers:
Quando dies adveniet, quem praefata Morta est ^)
und Caesellius Vindex führte in seinen Commentarii anti-
quarum lectionum Nona, Decuma, Morta als die drei
Schicksalsgöttinnen auf. Nona und Decima werden auch
von Varro als Parzen bezeugt ^). Diese beiden Göttinnen
fallen begrifflich zusammen, sie sind nach den Monaten der
Geburt benannt.
Gehört nach den vorherigen Untersuchungen die Drei-
zahl der Parzen und Moiren, ja ihre Auffassung als
Göttinnen des Schicksals im Allgemeinen einer verhältnis-
mäfsig jungen Zeit an, so dürfte der Glaube an die tö-
tenden Wolkenfrauen schon in die gemeinsame indo-
germanische Urzeit hinaufreichen. Die Westarier kennen
einen in Scharen auftretenden weiblichen Dämon Na^us
d. h. die Tötende, der mit den Drukhs (das sind die
indischen Druhj-us s. oben S. 155 fgg.) eng verbunden ist.
Er bringt Lebenden den Tod oder wirft sich auf die Leich-
name verstorbener Menschen. Dasselbe Wesen scheinen
aber auch die Altrussen gekannt zu haben, denn Nestor
erzählt, dass die Einwohner von Polotsk (PleskowJ von
1) Mortus, a, um ist das eigentliclie Part. Perf. zu mori, das in der
Sprache der Urbanität durch das erweiterte Adjectiv mort-u-us (wie an-
nuus von annus) vertreten wurde, aber, wie franz. mort, ital. morto zeigen,
in der Volkssprache lebendig war. Ursprünglich hat mori sowol die transi-
tive Bedeutung töten, wie die intransitive sterben; vergl. provenc. morir
sterben und töten. Das Suffix tu, skr. ta, goth. ])a, j?u hat nicht immer
passive, sondern oft auch active Bedeutung. Vergl. skr. näthita anflehend
und angefleht; lat. cautus der vorgesehen hat, ausus u. s. w. Aus der Be-
deutung ,, getötet habend" entwickelte sich der Sinn tötlich, wie in immen-
sus, contemptus, acceptus (= gratus) aus dem Begrifi" wiederholten Leidens
der natürliche Uebergang in den Zustand dauernder Eigenschaft stattfand.
Vergl. invictus, indomitus , infectus, incorruptus, inexhaustus, inaccessus, in-
comprehensus, gr. aTOfmoi; biegsam u. s. w.
2) üebersetzung von Homers: ti<; ori xiv fnv Molo oIotj y.a9-iX>,(Si
TavtiXtyfoq Ä^aiaroio. Vgl. oben S. 580, Anm. 3.
3) GeUius N. A. III, 16.
585
den Nawje d. h. die Tötenden durch nächtlichen Alp-
ritt getötet wurden.
Von demselben Wortstamm, welcher den Bildungen
na^us, nawje zu Grunde liegt, leitet sich das nordische
nörn ab. Es ist die Wurzel NAK (skr, na^, lat. nec-are),
wovon lat. nec-s; nee -esse, griech. vt/.v-g^ vsx-Qog, goth.
nahv-s, altn. när, lith. nahwi sterben, nahwe tod, nahwigs
tötlich, slav. nawiti morden. Nach vielen verunglückten
Versuchen ') wurde von J. Grimm die richtige Etymologie
gefunden-). Wie das goth. (Subst.? Adject.?) viduv-airns;
ahd. dio-rna (aus diu-arna); altn, j^erna; goth. eis-arn; ahd.
isarn; ags. bläc-ern (atramentarium), cweart-ern (custodia),
heal-ern (anla), holm-ern (navis), hord-ern (gazophylacium),
medo-ern (apotheca mulsi), l'ryd-ern (turmarum statio), win-
ern (cellarium) ist von einem verlorenen Substantiv des in
goth. naus Plur. naveis, altn. när Plur. näir erhaltenen
Stammes NAHV, welches Tod bedeutete, die Form
NAHVARNS goth. NAVAIRNS, d. h. die Tötende
abgeleitet. Die älteste nordische Lautuno; musste naurn
sein, indem der Vocal der Ableitungssylbe mit dem Stamm-
vocal verschmolz. Gothisch au verdichtet sich nun im
Altnordischen entweder zu 6 oder ä; für ersteres zeugen
die Beispiele: goth. dau (mortuus est), mavi (virgo), goth.
FLAUS, ags. fleä (pulex), laug (meutitus est), smaug (ir-
repsit), sau-il (sol) = altn. dö, moer, flö, 16, smö, söl.
Der Uebergang in a ist im Ganzen häufiger, mitunter sind
1) Eülis, Edda 138 deutete norn = die Rettende aus goth. nasjan, ags.
nerjan; Holmboe Ordbog S. 2(54 = die Leitende aus einer sehr fraglichen
Wurzel nr, die leiten bedeuten soll. Petersen, Nordisk Mythologi 140 =
die Einengende oder die Zusammenknüpfende aus niörva oder snir-
fan. Weinhold, Zeitschr. f. D. Altert. VI, 461 die Wassergeborne aus
skr. nira, nära Wasser. Munch, Die nord.-genn. Völker, übers, von Claussen
S. 218 = die Gedrängte, Enge aus njörunn, njarunn = ags. nearu.
J. Grimm dachte Myth.^ 1213 einen Augenblick an ahd. noran, mhd. norn,
Part, von niosan ( stenuitare ) wegen der wcilsagenden Kraft des Niesons.
Selig Cassel tischt, Weiniarsches Jahrbuch II, 380, Anni. 36 die directc Ab-
leitung aus Moloa niit Uebergang des m in n auf. Statt Aurinia (d. h.
Alb-rüna) will er Norinia oder Naurinia = Norn bei Tacitus lesen (!I!j.
2) Diphthonge nach ausgefallenen Consonanten S. 189.
586
beide Formen vorhanden z. B. 16 (coma) neben lä ^). Es
darf daher nicht Wunder nehmen, neben nörn demselben
Stamm a- lautend in nar zu begegnen. Sehr schön hat
MüUenhofF-) die gothische Form in dem Volksnamen der
Naharnavali, dessen Schreibung in den Handschriften
schwankt, aufzuweisen versucht; er stellt den letzteren in
Navarnahali = goth. Navairnehaleis (d. i. qui dearum fa-
talium tutela gaudent vgl. altn. halr = helid vir fortis) wie-
der her. Ich vermag Grimms Deutung durch eine nordi-
sche Analogie über allen Zweifel zu erheben. Wie nörn,
Gen. nörnar, Plur. nörnir ist das Fem. förn. Gen. förnar,
Plur. förnir Opfergabe, Opfertier gebildet. Dieses Wort
führt wie nörn auf Wurzel NAK, skr. na^, goth. NAHV,
so auf PAK, skr. pa9, goth. FAH V weiden zurück, wovon
skr. pa^u, lat. pecu, goth. faihu, ahd. vihu „das weidende
Tier" sich ableiten. Faihu, vihu gingen aus älterem fahu
hervor, zu welchem förn = goth. fahvairns, favairns sich
verhält wie goth. aiz zu eisarn.
Die tötenden Göttinnen der schwarzen Gewitter-
wolke, die Nörnen, stehen auch nach nordischem Glauben
in unverkennbarer Beziehung zur schwarzen Nacht.
Während der Nacht treten sie an Helgis Wiege s. oben
S. 554. Mit Absicht ist in dem Bericht darüber das Him-
melsgewölbe mänasalr (Mondessaal) genannt''); auch in
der Sturlüno-asacca flieort Urör als schwarzer Vogel zur
Nachtzeit daher, wo der Mond auf das Totenfeld scheint
s. oben S. 382. Sie oflPenbart durch den Mond (üröar-
mäni) künftige Seuche s. oben S. 555.
Wie die Nörnen zur Erde niedersteigen, um Mord
und Tod zu veranlassen, ist öfter geschildert. S. oben
S. 560 fgg. SigurSarqu. 24, wo zu bemerken ist, dass die
Nörnen oft allgemein göttliche Jungfrauen disir genannt
werden:
1) S. Grimm, Gram. I.^ 457.
2) De poesi chorica S. 8, Anm. 1. Ihm stimmt J. Grimm, G. D. D. S.
S. 715 bei.
3) Es hätte sonst ebensowol der Ausdi-uck solar hüs, gruud, land ver-
wandt werden können, vergl. oben S. 327.
587
J'at er fär mikit
ef l'ü foeti drepr,
]7ars ]>ü at vigi vegr;
tälardisir standa
j'er ä tvoer hliöar
ok vilja ]?ik säran sjä ^).
Die Schicksalsfrauen reizen Sörli und Hamdir
auf ihren Bruder Erp zu töten ^). — SigurS durch
Grimhilds Zaubertrank seiner früheren Geliebten vergessen,
hat dem Gunnar die Brynhilldr erworben und ruht nun in
jenes Gestalt, durch ein Schwert geschieden, neben ihr.
Aber zwischen ihnen her gingen grimme Nornen
(gengu j^ess ä milli grimmar üröir, SigurSarqu. III, 5).
Aus den Folgen dieser Nacht sollte das ganze entsetzliche
Geschick, der vollständige Untergang des Völsüngen- und
Budlüngengeschlechts sowie der Giukünge hervorgehn. An
des schlafenden Atli Bette treten Nornen, um ihm in wei-
fsagendem Bilde seinen und seiner Söhne Tod zu zeigen ^).
Auch der Germane wird zunächst die Geburt als Aus-
fluss ein und derselben Macht, welche den Tod verhängte,
empfunden und von da aus erst die Idee des Schicksals
weitergebildet haben. Daher weifs die Sage auch vor-
züglich noch davon zu berichten, dass Nornen sich um
den Neugebornen bekümmern. Zunächst bestimmen sie,
vrelche Seele in menschlichen Körper eintreten
soll. Völuspä 20: „J'ajr lif kuru alda börnum" "*). Dann
1) Grofse Gefahr ist das, mit dem Fufs anzustofsen, wenn du zum Kampf
dich anschickst, trügende Nöriicu stehen dir zu beiden Seiten und wollen
dich verwundet sehn.
2) Hamdism. 29: hvöttumk at disir.
3) Guörünarqu. II, 37—41.
4) Den Nomen werden an dieser Stelle drei Verrichtungen zugeschrie-
ben : ]>a;r log lögöu , {joer lif kuru alda börnum , orlög seggja. Sie schufen
zuerst die Weltordnung, das allgemeine Geschick aller Wesen, dann koren
sie den Menschenkindern das Leben, endlich bestimmen sie fort und fort den
Lebenden ihre Einzelgeschicke. Das Bestimmen des Lebens und die Bestim-
mung der Schicksale während des Lebens fallen also niclit zusammen. Ver-
fügen, richten kann man nur über etwas Vorliandenes. Nach unseren bishe-
rigen Ergebnissen über den Eintriit der Seelen aus dem Seelenbrunnen in
menschlichen Körper wird daher für die ältere Zeit die Lebenskiesung in der
588
stehen sie notlösend den Müttern zur Seite. Aufser der
sclion oben S. 555 angeführten Stelle Fafnism. 12. 13 ist
hier noch zu erwähnen die Vorschrift in Sigrdrifum. 9:
Bjargrünar skaltu kunna
ef ])ü bjarga vilt
ok leysa kind frä konum;
ä löfa jjffir skal rista
ok of liSu spenna,
ok biöja ])ä disir duga*),
Da die geburtshelfenden Nomen als holde Mächte
erscheinen mussten (vergl. oben S. 573 hamingjar einar),
so sind sie es ohne Zweifel, welche neben Frigg und Frcyja
als „ hollar vtettir " bei Entbindungen angerufen wurden,
wie in Oddrüuargrätr 10 (s. o. S. 295, Anm. 1). Auf den
Faeroeer heifst noch heute die erste Mahlzeit, welche eine
Frau nach der Entbindung geniefst, Nörnagreytur d.i.
Nörneugrütze ■-); wahrscheinlich opferte sie davon den
Schicksalsjungfrauen für ihren gnädigen Beistand in den
Wehen.
Erst nach der Geburt bestimmen die Schicksalsjung-
frauen dem Kinde die Dauer seines Lebens und den Cha-
rakter desselben. Borghildr hat den jungen Helgi geboren;
Nacht wird in der Burg, eines Tages alt ist der Säugling,
eh die Nörnen schicksalschaffend erscheinen, s. oben S. 554.
Sie bestimmen seine künftigen Eigenschaften und sein
Lebensfflück.
oben angegebenen Weise aufzufassen sein. Nur in soweit ist mit dem blo-
fsen Geschenk des Lebens das Geschick desselben bestimmt, als das letztere
durch die natürlichen körperlichen Verhältnisse u. s. w. bedingt wird. Vergl.
Oegisdrecka 48, wo Loki zu Heimdallr (dem Gewittergott) sagt: ]>er var i
ärdaga iÖ Ijota lif um lagit, aurgu baki pü. munt x vera. «Dir ward in
Urzeit dies leide Leben bestimmt, mit nassem (schäumendem) Rücken musst
du immer dastehn."
1) „Hilfrunen sollst du kennen , wenn du helfen willst und lösen Kin-
der von Frauen. In die flache Hand soU man die ritzen und um die Ge-
lenke spannen und flehn, dass die Disen beistehen. " Wenn Sigurör ormr i
auga im Begriff die Heerfahrt gegen Eysteinn von Upsal zu rüsten, sich da-
bei vermisst, ihn der Krone zu berauben ,,ef disir duga," so ist ungewiss,
ob Valkyren oder Xomen gemeint sind, wahrscheinlich die ersteren.
2) Antiquarisk tidskrift 1849—51 308, a.
589
Wie ich vermute wähnte man, dass dies in dem Au-
genblick, oder wenigstens um die Zeit geschah, wenn das
Kind durch die Wasserbesprengung in die Menschheit wirk-
lich eintrat, s. oben S. 310 fgg. Denn von da an war es
erst fähig, Menschengeschick zu erfüllen '). Den Beweis für
meine Ansicht glaube ich in einer Reihe abergläubischer
Meinungen und Gebräuche finden zu dürfen. Die Insel-
schweden auf Worms sagen, die Gevattern müssen wäh-
rend der Taufhandlung den Pastor oder das Kind anse-
hen, denn wenn sie sich umsehen sieht das Kind Gespen-
ster und bleibt geistersichtig-); durch das Umsehen he-
ben die Gevattern die Wirkung der Taufe und des Nör-
nengesanges auf und das Kind behält seelische Natur, vergl.
oben S. 313. Was man dem Kinde während der Taufe
anwünscht, erfüllt sich. Wir werden davon zahlreiche Bei-
spiele aus Deutschland beibringen. Auf Falster setzt der
Vater bei der Fahrt zur Tanfe das Kind auf das eine Ross,
damit es furchtlos wird; die Mutter wirft auf dem Wege
einen mitgebrachten Kuchen dem ersten Armen zu, damit das
Kleine mildtätig werde, die Patin muss dem Prediger rasch
antworten , damit das Kind schnell lesen lerne u. s. w. ^).
Wenn das Kind zum erstenmal gebadet wird, legt man
Geld in das Wasser, so wird das Kind reich. Ein Beu-
tel mit Pfennigen ausgenäht, wird ihm auch um den Hals
gehängt ■*).
Wir sehen hier während der Taufe, die an die Stelle
der älteren heidnischen Wasserbesprengung trat, ebenso
wie auch das erste Bad des Kindes dieselbe vertritt, dem
Kinde künftige Eigenschaften mitgeteilt und sein Le-
1) So sind Askr und Embbla sclii cksalslos (örlöglausar), ehe
Oöinn ihnen Seele (önd), Hojnir und Loöurr Leben, Blut, bl übende Farbe
und menschliche Geberde (vergl. oben S. 301) ) gegeben haben. Vö-
luspä 17. 18.
2) Russwurm, Eibofolke II. §. G71. S. 6G. Vergl. Kreutzwald - Boec-
1er S. 23.
3) Sv. Grundtvig, Gamle danske minder i folkcmunde II, S. 108.
4) Erik Fernow, Beskrifning öfver Wärmeland. Götheborg 1773 p. 253
fgg. Myth.' CIX, 19.
590
bensglück vorausbestimmt'). Dies aber gewährten
nach heidnischem Glauben, wie wir aus dem Helgihed ab-
nehmen können die Nörnen. Auch hier folgt der Schick-
salsbestlmmuug durch die drei Jungfrauen unmittelbar der
Act der Namengebung, von dem, wie wir wissen, die Was-
serbesprengung einen unerlässlichen Teil bildete. Es heifst
nämlich. Helgaqu. Hundingsb. I, 6. 7, nachdem der Nör-
nenbesuch geschildert ist, dass der König selbst aus dem
Schlachtlärm kam, um dem jungen Fürsten edeln Lauch
zu bringen (själfr gekk visi or vigj^rimu, üngum foera itr-
1) Wenn Simrocks Uebersetzung richtig wäre, "würde Hävam. 159 be-
reits ein eddisches Beispiel solches Aberglaubens bieten. Es ist die Rede
von Runenliedem, welche OÖinn weifs: bat kann ek j^rettanda, ef ek skal
|)egn üngan verpa vatni ä, mimaS hann falla, hott hann i fölk komi, hnigra
sä halr fyr hjörum. „Dies dreizehnte kann ich, soll ich einen jungen Degen
in's Wasser werfen (bei Simrock: soll ich ein Degenkind in die Taufe tau-
chen), nicht wird er fallen, wenn er auch gegen eine Kriegsschar kämpft,
nicht beugt sich der Held vor Schwertern." Der Ausdruck verpa vatni ä
kann nicht wol von der heidnischen Taufe gebraucht sein, da diese in Was-
serbegiefsung (ausa vatni) bestand, entgegengesetzt der christlichen Taufe, die
in älterer Zeit wenigstens im Norden noch im Flusse geschah. So wurden
die Isländer in der heifsen Quelle zu Laugardal getauft. Ich glaube viel-
mehr, dass sich unsere Strophe auf die im Norden, soviel ich weifs, sonst
nicht erwähnte Sitte bezieht, die neugebomen Kinder in kaltes Wasser zu
tauchen, um sie kräftig zu machen. Dass diese Sitte bei den Südgermanen
bestand, bezeugt Galen in seinem Buch über Erhaltung der Gesundheit: ,,Wer
unter uns möchte es ertragen, das neugeborne Kind, das von Mutterleibe
noch warm ist zum Flusse zu tragen {inl rä tÜiv nnxa^iMv q)iofi,v
öfi'Kara) und, wie die Germanen tun sollen, in das kalte Wasser gleich
glühendem Stahl zu tauchen, sowol um ihre natürliche Kraft zu erproben, als
auch um den Körper abzuhärten?" — Otto Sperling, De Baptismo ethnicorum
Havniae 1700 S. 146 erzählt, dass er einen Holsteiner kannte, welcher nach
Sitte der Altvorderen sein neugebomes Kind mit Schnee wusch; und SchefFer,
Lapponia cap. 26 berichtet von den Lappen: Infantes recens natos abluunt
prius aqua frigida, vel nive, ac tum demum immittunt calidae. Auch bei
den Nordgermanen wird diese Sitte bekannt gewesen sein, welche Aristoteles
Polit. VII, cap. 17 den Galliern beimisst. Sie scheint nach Strabos Aussage
Geogr. 1. III. (vergl. Sidon. Apollin. panegyr. Anthem. Cons. dict. cann. 2,
35 fgg.) noch bei andern Naturvölkern Nord- und Mitteleuropas verbreitet
gewesen zu sein, hat aber nichts zu tun mit dem wol nur keltischen Ordale,
die Echtheit des Kindes dadurch zu erforschen, ob es in fliefsendes Wasser
(die meisten Berichterstatter nennen den Rhein) geworfen oben schwimmt oder
untersinkt. Nach meiner Auffassung ist mithin die obige Stelle so zu ver-
stehen: „Ich (OÖinn) weifs ein Runenlied, das bei dem ersten der Abhärtung
wegen vorgenommenen Flussbade des Kindes, dasselbe furchtlos und stichfest
macht." Mit Wasser besprengen, begiefsen würde „vatni verpa" lauten ohne
Präp. Vergl. Beow. 2790: Hine eft ongan wäteres weorpan.
591
lauk grami). Er nannte ihn Helgi und schenkte ihm ein
Schwert und viele Güter zur Namengabe ').
Saxo erzählt: Mos erat antiquis super futuris libero-
rum eventibus parcarum oracula consultare. Quo ritu Frid-
levus Olavi filii fortunam exploraturus nuncupatis solemni-
ter votis, deorum aedes precabundus accedit, ubi introspecto
sacello ternas sedes totidem nymphis occupari cognoscit.
Prima indulgentioris animi liberalem puero formam
uberemque humani favoris copiam erogabat. Eidem
secunda beneficii loco excellentiam liberalitatis con-
donavit. Tertia vero protervioris ingenii invidentioris-
que studii femina sororum indulgentiam aspernata con-
1) Der herliche Lauch, den Sigmundr seinem Sohne bringt, ist ein
Kreuz der Ausleger. Die annehmbarste Erlilärung hat bis jetzt Kassmann
gegeben), der (Heldensage S. 76) darin das reine Kraut (chrenecrüda) er-
kennen will, welches nach altdeutschem Recht bei Uebergabe von Grundstük-
ken als Symbol dargereicht wurde, RA. 110 fgg. Aber abgesehen davon,
dass in Skandinavien bei dieser Handlung nur ein ganzes grasbewachsenes
Rasenstück angewandt zu sein scheint, RA. 116; kommt Sigmundr keines-
wegs mit der unmittelbaren Absicht nach Hause, den Sohn zu beschenken,
sondern ihn durch Kniesetzung als den seinigen anzuerkennen, mit Wasser
zu begiefsen und mit Namen zu begaben; die Sclienkung der Grundstücke
folgt erst in zweiter Linie. Weit eher dürfen wir dalier in den Worten ,,foera
itrlauk" eine mit der Wasserbesprengung unmittelbar zusammenhängende Sitte
vermuten. Vielleicht helfen folgende Winke auf die Spur. Der Lauch diente
im skandinavischen Norden zur Vertreibung von Zauber. Nach Sigrdrifum.
8 schützt es vor Gefahr heimlicher Giftmischung, wenn man bei der Einseg-
nung des Tranks Lauch in den Met wirft. Wahrscheinlich von Schwe-
den wenn nicht von Russen übernommen war die von Forselius saec. XVIL
berichtete ehstnische Sitte , den Kindern vor der Taufe Brod, Geld und
Knoblauch in die Windeln zu binden, teils in der Absicht um sie da-
durch vor Zauberei zu sichern, teils in dem Glauben, dass es ihnen dann an
jenen Dingen im ganzen Leben nicht mangeln werde. S. Kreutzwald-Boec-
1er S. 20. Die Annahme der Entlehnung wird niclit allein dadurch unter-
stützt, dass nach Kreutzwalds Untersuchungen den Ehsten der Gebrauch des
Knoblauchs als Schutzmittel nicht bekannt ist (sie wenden assa foetida , wie
sonst, so auch beim Kinde an), sondern noch mehr durch das Einbinden
des Geldes und Brodes in die Windel. Dies letztere wird freilich unter
den Ehsten noch heute geübt. Es ist aber eine uralt germanisch -slavische
Sitte, die bei den Inselschwedcn (Kusswurm, Eibofolke H. §. 2. 72. S. 67)
so wie bei den Böhmen (s. llanus, Uebor die altertümliche Sitte der Ange-
binde. Prag 1855 S. 20) bis auf diesen Tag iu Geltung steht und durch die
Benennungen des Patengeschenks in den oberdeutschen Dialeeten Strick, Hel-
seta, Würgete, Angebinde (s. J. Grimm, Ueber Schenken und Geben S. 184)
wie wir weiterhin sehen werden, mit dem Schicksalsseil in Verbindung tritt.
592
sensum ideoque earum donis officere cupieus futuris pueri
moribus parsiraonii crimen adfixit ').
Norna-Gestr erzählt von seiner Jugend, dass sein Va-
ter Groenmgr völvur zu sich ladete, „er kallaSar voru spä-
konur ok spaöu mönnum aldr (var. lect. örlög)." Sie
kamen mit grofsem Gefolge, um dem jungen Gestr sein
Schicksal vorauszusagen (ok skyldu j^air spä mer örlaga;
l'aer skyldu tala um mitt mal). Das Kind lag in der
Wiege, daneben brannten zwei Kerzen (offenbar zur Ab-
wehr der Alfen, damit sie keinen Wechselbalg bringen
sollten). Die Frauen verhiefsen dem Knaben, er solle ein
Glückskind werden und mehr im Lande gelten, als andre
seiner Verwandten, Voreltern und Häuptlinge. Die jüng-
ste Nörn war zu wenig beachtet worden, auch gab es
da Raufbolde, die sie von ihrem Sitze stiefsen. Hierüber
wurde sie zornig und hiefs die andern ihren guten Wün-
schen Einhalt tun „ich aber bestimme ihm, dass er nicht
länger leben soll, als die neben ihm angezündete Kerze
brennt (]>viat ek skapa honum ]?at, at hann skal eigi lifa
lengr, en kerti ]>at brennr, er tendrat hiä sveininum)." Da
ergriff die ältere Völva das Licht, leschte es aus und gab
es der Mutter mit der Anweisung, es nicht eher wieder
anzuzünden, bis der Sohn den letzten Tag des Lebens zu
sehen wünsche. Der Knabe erhielt von dieser Begeben-
heit den Namen Nornagestr Nörnengast; er lebte 300
Jahre; dann zündete er die Kerze an und gab sich so den
Tod *).
Offenbar liegt dieser Erzählung eine ältere Sage von
den wirklichen göttlichen Nörnen zu Grunde, die dem
Kinde den Gang seines Lebens bestimmen, nicht blofs
vorhersagen; eine Sage welche der Meleagerlegende s. o.
S. 583 sehr ähnlich, aber gewiss echt germanisch ist, da
unserem Altertum die Auffassuno; des Lebens als brennen-
1) Saxo, Histor. Dan. VI, 102.
2) Nörnagestssaga cap. 12.
593
des Licht geläufig war'). Die jüngere Tradition, welche
die Nornen mit Wahrsagerinnen vermischt, versteht diese
Symbolik nicht mehr und deutet die Lebenskerze auf das
zur Abwehr der Elbe angezündete Licht '-). Die Gaben
der Nomen stimmen mit denen im Helgiliede überein, Macht,
Ruhm und Glück in allen Unternehmungen, daneben stek-
ken sie dem Leben die Grenze. Wie dem Helgi Ruhm
und edeles Aussehen beschert wird, teilen die Jungfrauen in
der obigen Sage aus Saxo dem Olaf eine edle Entwicklung
des Körpers, Edelsinn und Gunst bei den Menschen, da-
neben aber das Laster des Geizes zu. Die Schicksalbe-
stimmung an der Wiege (nach der Geburt, bei der Dica-
tion) bezog sich mithin wesentlich auf die innere und äu-
fsere Entwickelung des jungen Menschen selbst, und ist
vom Verhäusren einer Schickung: während des Lebens ver-
schieden.
Bei Saxo, wie in der Nornagestssaga tritt neben den
guten eine böse Norn auf, welche die wolwollenden Be-
stimmungen jener einschränkt oder zunichte macht. Ein
solcher Gegensatz war durch sich selbst gegeben, sobald
neben den c-rausamen Todesgöttinnen den Nomen /car'
k^o'/J]v^ die milden Spenderinnen des Lebens, die Schick-
salsgöttinnen der Geburt sich entwickelt hatten. Ich denke
mir die Genesis der in diesem Abschnitt dargelegten Vor-
Stellungen etwa in folgender Art. Man wird ursprüng-
lich die Einheit der im Tode und der bei der Geburt
sich äufsernden Schicksalsmacht nicht in der Weise em-
pfunden haben, dass man ein und dieselbe Persönlichkeit
mit beiden Wirkungen betraut dachte. Neben die tö-
tenden Göttinnen der schwarzen Wolke, der Nacht,
traten die geburt fördernden Wasserfrauen der wei-
fsen AVolke, die mit Tag und Licht sich berührt; aber
beide Scharen wurden als eine Einheit erfasst. So er-
1) S. KHM. No. 44. Pröhle KVM. No. 13. KUM.' III. S. 69 fgg.
Oben S. 310, Anm. 3. Panzer, Beitrag I. S. 308. Zeitschr. f. D. Altert VI.
380 fgg.
2) Vergl. oben S. 318, Anm. 3.
38
594
klärt sich, wie der Verfasser von Gylfaginning noch spät
davon Kunde haben konnte, dass die notlösenden Nor
nen eine besondere Abteilung bildeten. Nach und nach
verengte sich auf jeder Seite die Genossenschaft zu einer
einzelnen Person; es gab nun nur eine Nörne der Geburt
und eine des Todes; neben sie stellte das Volksbewusst-
sein — wie ich vermute — eine dritte Norne der Heirat
(wofür ich freilich aus nordischen Quellen für jetzt kein
Beispiel beizubringen vermag); und dann erst, nachdem die
Dreiheit sich herausgebildet hatte, überkamen alle Nomen
die Macht über das Schicksal im Allgemeinen.
0. Die Nuriien als Urteilerinnen beim Göttergericht.
Mit der Ausbildung der altgermanischen Staats- und
Rechtsverhältnisse zu derjenigen Stufe, auf welcher wir das
Leben unserer Vorväter zu Tacitus Zeit erblicken, ging die
allmählich wachsende staatliche Organisation von Asgarö
Hand in Hand. Wödan-OSinn wurde der allwaltende Her-
scher des Götterstaats, der sich ganz als Abbild des mensch-
lichen formte. Wie sich unter den Gaufürsten das Volk
zum Dinge versammelte, um seine gemeinschaftlichen An-
gelegenheiten zu beraten, so die Götter „l^ä gengu regln
öll ä rökstöla ok um |?at gsettusk" ^). Nur darin unter-
scheidet sich die Götterversammlung von dem menschlichen
Dingre, dass dort auch die Frauen Sitz und Stimme ha-
ben; hier dem Weibe jeder Zutritt, jede Rechtshandlung
versagt ist. Vergl. Senn väru jesir allir ä l'ingi, ok äsyn-
jur allir ä mäli, ok um ]?at reöu rikar tifar, hve |?eir Hlör-
riSa hamar um soetti ^). Einer ähnlichen Erscheinung be-
gegneten wir oben S. 581, Anm. 4 bei Homer.
1) Völuspä 6. 9. 27. 29. Da gingen die ratenden Mächte auf die Ver-
sammlungsstühle und hatten Acht darauf (darum bekümmerten sie sich). Das
dunkele rök in rökstoU stelle ich zu goth. rikan, ciuhfi^i'; doch dürfte rök-
stoll vielleicht Herscherstuhl bedeuten, wenn man lat. reg-ere, reg-s neben
skr. räjan, goth. reiks, altn. rikr erwägt. Vergl. altn. rökr (goth. KAKUS
= riquis), skr. rajas.
2) Thrymsqu. 14. Zugleich kamen die Äsen alle zum Dinge, und die
Äsynjen alle zur Gerichtsstatt, und darüber berieten die mächtigen Himmels-
595
Sobald man anfing eine höhere einheitliche Weltord-
nung zu glauben, sobald man in den Göttern die Stützen
oder Tragebalken des Weltgebäudes (goth. anzeis, ahd.
ensi, alts. Es, altn. Aesir) die Bande, welche das All in sei-
nen Fugen zusammenhalten (altn. höpt, bönd), die bera-
tenden Mächte, die alle Dinge voraus bedenken (altn. regin,
rögn; bliSregin, holl regin; uppregin, ginregin; alts. reganu),
die Abmessenden erkannte, welche allem Werdenden natür-
liche Grenze und Ebenmais setzen (mjötudr, mjötudar (?)
ags. metod, meotud, PI. metödas (?); alts. metod, meto-
dös (?) musste der Beratung der Götter alles Leben und
Entstehen auf Erden und im Himmel unterlie<2:en. So sehen
wir in der Völuspä nicht allein den Krieg gegen die Va-
nen, und die Tötung des jötunischen Baumeisters Gegen-
stand der Besprechung in der Ratversammlung der Äsen
bilden, sondern auch die Schöpfung der Nacht und des
Tages, die Ordnung der Gestirnbahnen u. s. w.; und wie wir
oben S. 583. vermuten durften, dass die Olympier darum
lofsten, welche Personen oder Verrichtungen ihrer Macht
anheim fielen, wird im Dinge der nordischen Götter bestimmt
„hverr skyldi dverga dröttir skepja." Völuspä 9.
Im Vordergründe stand die Lenkunsr des Menschen-
lebens. Hatte der Germane sich bis dahin vor allgewalti-
gen Göttermächten gebeugt, die nach individuellem Gutdün-
ken über ihn verfügten, so sah er jetzt in der Willkür Ord-
nung; nach Urteil und Recht und unter Zustimmung der
ganzen Göttergemeinde wurde dem Menschen das Schick-
sal zugeteilt. Bei dieser Vorbestimmung nahm die Götter-
versammlung ganz das Verfahren einer wirklichen Gerichts-
verhandlung an.
Im altgermanischen Gerichtswesen besteht ein strenger
Unterschied zwischen dem Richter und dem Urteiler
mächte, wie .«ie dem Illorri'cSi den Hammer verschafften. Dieselbe Formel
kehrt Vegtamsqu. 1 , nur pHegen hier die lichten Götter darum Rat, „wie
Baldr habe so schwere Träume." — l^ing und mal sind hier, wie ich wol
nicht erst zu erwähnen brauche , gleichbedeutend und nur des epischen Pa-
rallelismus wegen nebeneinandergestellt.
38*
596
oder Schöffen. Der Richter stellt das Gericht an, und
hat die Leitung des ganzen Verfahrens. Er legt den Tat-
bestand vor oder stellt ihn durch Zeugenverhör fest. Dann
erst fragt er den Urteiler. Diesem liegt es ob, zu ant-
worten, den richtigen Spruch zu ermitteln und zu bezeu-
gen, was nach altheiligem Brauche der Väter im einzelnen
Falle als Recht zu betrachten, zu tvm oder zu lassen erfor-
derlich sei. Dies Amt des Urteilers hiefs tuom, altn. dömr,
altfr. döm, ags. döm '), goth. döms, ein Wort, das ursprüng-
lich das Gerichtsvverk überhaupt bezeichnet. Antwortete
der Urteiler auf die Frage des Richters ohne weiteres, so
sagte er das Urteil (kveöa, segja); war der Rechts-
brauch umständlicher, so legte er es ausführlicher dar, er
wies es (visa). Hatte man aus mehreren Rechtssitten zu
wählen, so wurde die passende gekoren (kjösa). War
der Handel verwickelt, oder es stand dem Urteiler kein
Präcedenzfall vor Augen, so musste das Urteil erst gefun-
den, oder neu geset zt (setja) oder gelegt werden (leggja).
Bald wurden diese Formeln alle synonym gebraucht für die
Tätigkeit des Urteilers überhaupt; in diesem allgemeinen
Sinne hiefs ein Urteil zu stände bringen gemeinhin altn.
skapa, altd, skephan, goth, skapjan, wovon scabinus, altd.
scepho Schöffe. Was der Schöffe geschaffen hat legt, oder
setzt (d. i. sanctioniert) der Richter (setja, leggja) und diese
gelegten oder gesetzten Urteile (log) bildeten das Recht,
die Satzung (goth. bi-lageins, bei Jornandes bellagi-
nes). Richter war der Fürst, auf Island der Godhi. Den
Ort der Gerichtshandluug beschatteten häufig heilige
Bäume -).
Vom Ding der Götter über menschliches Schicksal bie-
tet die Gautrekssaga ein Beispiel. OSinn erzieht in der Ge-
stalt eines Greises, der sich Hrosshärsgrani nennt, den
Starka^r. Einst in der Nacht weckt er den Zögling. Sie
rudern zu einer kleinen Insel und gehen zu einem Gereute
1) Dazu goth. domjan, altn. doema, ags. deman, altfr. dema, ahd. tuomjan.
2) RA. 749 fgg. 794 fgg.
597
im "Wald. Da war eine grofse Menge Volks zum Dinge
versammelt (i rjöörinu war fjölmenui mikit ok var ]^ar |)ing
sett). Elf Männer safsen auf Stühlen, der zwölfte Stuhl
war leer. Hrossharsgrani setzte sich auf denselben und
alle begrüfsten ihn als Ööinn (heilsuöu allir üöni). Er
sprach, die Schöffen (döm-endr) sollten Starkaös Schick-
sal bestimmen (doema örlög Starkags). Da ergriff Thörr
das Wort und sprach; „ Älfhildr, Starkaös Grofsmutter,
wählte ihrem Sohne zum Vater lieber einen hundweisen
Jötunn als Äsathörr, darum schaffe (skapa ek) ich das dem
Starkaör, dass er niemals Sohn noch Tochter haben soll
und so sein Geschlecht beendigen, üöinn sprach, ich schaffe
ihm (]?at skapa ek hon um), dass er drei Menschen-
alter leben soll. Thörr schafft ihm, dass er in jedem der-
selben ein Nidingswcrk (eine Schandtat) vollbringe, ööinn
verleiht ihm das beste Waffenwerk und Gewand, Thörr
versagt ihm Land und Grundbesitz. Oöinn teilt ihm flih-
rende Habe im Ueberfluss zu. Thörr legt ihm auf (}?att
legg ek ä hann), dass er niemals glaube genug zu ha-
ben. Oöinn verleiht ihm Sieg und Geschicklichkeit in jedem
Kampfe, Thörr, dass er in jedem eine unheilbare Wunde
davon trage. Oöinn schenkt ihm Dichtergabe, so dass er
gleich fertig dichte und spreche; Thörr urteilt, dass er seine
eigenen Lieder vergessen solle. Oöinn schafft ihm, dass er
bei den vornehmsten und besten Männern angesehen sei.
Thörr spricht „verhasst sein soll er dem gesammten Volke."
Alle Urteiler aber bestätigen das Gesagte durch ihren
Spruch (]?ä dcemdu dömendr alt j^etta a hendr Starkaöi, er
J)eir höföu ummielt).
Auffallend ist bei dieser Erzählung, dass Oöinn so-
wol als Richter, wie als Urteiler auftritt; und dass die
Götter nicht als freiwaltende, ül^er das All gebietende Po-
tenzen erscheinen, vielmehr in ihren Urteilssprüchen über
die enore Grenze nicht hinausgehen, welche ihrer besonde-
ren Macht durch den Mythus gesteckt wird. Sie sprechen
nur das zu, was sie selbst auszuführen, zu verleiben,
zu hindern im Stande sind.
598
Nach mehreren Liedern kommen die Götter unter der
Esche Yggdrasill, als heiligem Gerichtsbaum zum Dinge
zusammen. So heifst es in Grimnism. 29:
Körmt ok Örmt
ok Kerlaugar tvaer
])asr skal ]?6rr vaöa
hverjan dag,
er hann doema ferr
at aski Yggdr asils ').
Der Verfasser von Gylfaginning antwortet auf die Frage
„wo liegt die Hauptstätte oder das Heiligtum (höfuSsta-
Srinn eSa helgistaSrinn goSanna) der Götter?" „bei der Esche
Yggdrasill; da halten die Götter täglich Gericht (|?ar skulu
guSin eiga döma sina hvern dag)." Etwas weiterhin be-
richtet derselbe Schreiber: Unter der dritten Wurzel der
Esche, die im Himmel sich erhebt, liegt der üi'öarbrunnen ;
da haben die Götter ihre Dingstatt (l?ar eigu guöin dom-
staS sinn ^). Diese Angaben der jüngeren Edda haben au-
genscheinlich keine andere Autorität als die obige Strophe
des Grimnismal. Aus anderen Liedern aber geht deut-
lich hervor, dass an jenem Orte ein Göttergericht gedacht
wurde, bei dem die Götter als Richter, die Nornen als Urtei-
lerinnen fungierten, illr er norna dömr Hervarars. cap. 20 ^).
In Thiodolfs Ynglingatal ") heifst es von Hälfdanr hinn
mildi: „nörna döms of notit haföi, d. h. er hatte der Nor-
nen Urteil abgenutzt. Fafnir spricht zu Sigurör:
Norna döm ]>u munt
fyr neisum hafa,
1) Körmt und Örmt und beide Kerlög muss Thorr jeden Tag durch-
waten, wenn er ausfährt bei der Esche Yggdrasill Gericht zu halten. — Au-
fser dieser Stelle vergl. man Loddfafnism. 1 (Hävam. 111), wo davon die
Rede ist, dass am Üi'öarbrunnen ein hularstol steht d. h. wie Keyser, Nord-
msendenes religionsfoifatning i hedendommen S. 59 aus Hävam. 79. 135.
VafjjrüSnism. 9 schliefst, ein Stuhl von dem aus die Godhen öffentlich den
alten Glauben zu lehren pflegten. Von diesem Stuhle aus hört man von
Göttergerichten und Runensitzung (of rünar heyrda ck doema ok regindöma,
ne um risting J^ög'öu).
2) Gylfag. ib.
3) Fornaldarsög. I, 508.
4) Ynglingas. cap. 52.
599
ok ösvinns apa;
i vatni |^ü druknar
ef 1 vindi roer;
alt er feigs foraS ').
Aber nicht allein der allgemeingehaltene Ausdruck norna
domr findet sich, sondern von der Tätigkeit derselben wer-
den alle jene technischen Ausdrücke gebraucht, welche das
Geschäft des Urteilers bezeichnen:
Nörnir öölingi aldr um skopu. Helgaqu. Hundings-
bana I, 2. Nörnir heita ]>xy ernauSskapa Skäldskaparm.
c. 75 Sn. c. Havu. I, 557. Goöar nörnir skapa göSan
aldr. Gylfag. XV. Ljötar nörnir sköpu oss langa ]>rä. Si-
guröarqu. III, 7. Aumlig nörn sköp oss i ärdaga, at ek
skylda i vatni vaöa. Siguröarqu. II, 2. fyr sköp um nörna
Fafnism. 44. ef okr göö um sköp geröi veröa. SigurSarqu.
III, 56. vinnat skjöldüngar sköpum Helgaqu. Hundingsb.
II, 27. sköp Nörna. Krakum. 24. Fornaldars. I, 308.
Nörnir log lögöu. Völuspä 20. orlög segja. Vö-
luspä 20. kveld lifir maSr ekki eptir kviö nörna. Ham-
dism. 31. Uröar orS Fjölsvinnsmäl 47.
Visa nörnir. Hrafnag. ÖS. 1. ]>sdv lif kuru alda bör-
num. Völuspä 20. Die Findung des Urteils geschah in
zweifelhaften Fällen durch Lofsen mit heiligen Runenstäb-
chen, eine Handlung, welche eine schöne Untersuchung
Müllenhoffs ^) uns umständlicher kennen lehrt. Die älteste
zu Tacitus Zeit gebräuchliche Weise war diese. Ein Ei-
chen- oder Buchenzweig ward in Stäbchen zerlegt, diese
jede für sich mit einer Rune gemerkt, und dann wie sie
fielen auf ein weifses Tuch hinpfestreut. Hiervon wurden
unter Gebet an die Götter drei, jedes für sich und eins
nach dem anderen aufgenommen und nach dem darauf ein-
geritzten Zeichen erklärt. Aehnliche im Norden gebräuch-
liche Weisen der Lofsung mit Runenstäbchen legt Müllen-
hoff a. a. O. dar. Ein solches Lofsstäbcheu hiefs teinn,
1) Fafnism. 11.
2) Zur Runenlehre 1852 S. 28 fgg.
600
oder rünakafli. Der technische Ausdruck für die Zube-
reitung dieses Lofszweiges, das Zurechtschneiden des Hol-
zes, wodurch es zum Kefli oder Runenstäbchen wird, und
das Ausschneiden der Rune daran, ist skera ein Wort,
welches auch sonst gewöhnlich von der Formgebung ge-
braucht wird (z. B, skera örvar, skera cros) '). Auf diese
Tätigkeit bezieht sich die bereits oben S. 542 erwähnte
Einschiebung in Völuspä 20, wo von den Nomen gesagt
wird:
UrS hetu eina,
aSra VerSandi
— skaru a skiöi — ')
Skuld ena jjriöju.
Vergangenheit hiefs man die eine, die andere Gegenwart —
diese schnitzten am Lofszein — Zukunft nannte man die
dritte. Es ist ein feiner Gedanke, der dem Interpolator
alle Ehre macht, dass Verfjanjrenheit und Gej^enwart die
Lebenslofse zuschneiden, die die Zukunft aufzunehmen be-
stimmt ist; mit anderen Worten, dass aus den Taten der
Vergangenheit und Gegenwart die Geschicke der Zukunft
hervorgehen. Die durch gemeinschaftliche Tätigkeit des
Richters (Goöi, Jarl u. s. w.) und ürteilers (lögsögumaör^)
1) Vergl. die späteren Formeln: iaek will skjoerse ok skiptfe, lot min
witse, ok fathserni mina ratha d. h. ich will schneiden und schlichten, mein
Lofs wissen und meines väterlichen Erbes mächtig sein. Haben bei Erbtei-
lungen die Brüder Gut an mehreren Orten, so sollen die väterlichen und müt-
terlichen Verwandten möglichst gleiche Teile machen, sodann ,,3eghu möther-
nis frsendger lot skiajrre ok fsethajrnia skjöti halda ok mothaernis fraendser lot
up takse (sollen die mütterlichen Verwandten Lofs schneiden, die väter-
lichen im Schofse halten, und die mütterlichen Lofs aufnehmen). S. Homej'er,
Üeber das germ. Lofsen. Berlin 1854 S. 2-1. 25.
2) SkiÖ , Sachs, skid , ags. scead bedeutet gespaltenes Holz, ist mithin
ein durchaus zutreffender Ausdruck für das sonst gebräuchlichere teinn.
3) Vergl. Lag skulu vera skipaS ok satt allmenni til styrsl. Up-
landsl. form. — Das richterliche Verhalten der Äsen zum Urteil der Kör-
nen, zur SchicksalbestimmuDg erhellt mit einiger Deutlichkeit aus Vö-
luspä 63:
|)ä kemr hinn riki
at regindömi
öäugr ofan,
sä er öllu raeJSr:
eemr bann doma
601
U.S.W.) zu Stande gebrachte Satzung heifst lag plus log (aus
lagu) „das Gelegte," das hiervon mit der Verstärkungs-
sylbe ur-ör- (Gram. II, 787.) abgeleitete plur. örlög ist
terrainus des Schicksals, des höheren durch die Götter
rechtskräftig geraachten Ausspruchs der Nomen. Frauen
sind bei allen deutschen Völkern von gerichtlichen Hand-
lungen ausgeschlossen^); wie kam es, dass man ihnen das
Urteileramt am Göttergericht anvertraute? Es ist klar,
dass die Nomen, was ja auch der Gesammtname bestätigt,
schon Lenkerinnen des Schicksals waren, ehe man die gött-
liche Weltregierunsr nach Art der menschlichen Rechts-
und Staatsverhältnisse geregelt dachte. Als dies später ge-
schah, vermochte man die Nomen nicht zu beseitigen, sie
wurden in die neue Ordnung mit eingereiht. Ohne Beach-
tung des Widerspruchs zu den menschlichen Verhältnissen,
liefs man Asynjen und Nornen am Göttergericht teilnehmen.
Bei Ausbildung seiner mythischen Vorstelhing verfährt der
Volksgeist niemals mit Consequenz, in unserem Falle durfte
man um so weniger Anstand nehmen Göttinnen am Ge-
schäft der Männer teilnehmen zu lassen, da die Sage ihnen
bereits im Kampfe eine der männlichen durchaus eben-
bürtige Stellung anwies (vgl. Valfreyja, die Valkyrien etc.).
ok sakar leggr,
vesküp setr,
pau er vera skolu.
Da kommt der Mächtige zum Göttergericht, der Starke von oben, der
Alles beherscht. Er bietPt Gericht (ordnet die Thinge an) und legt Ecchts-
händel bei und sanctioniert heilige TJrteilsspriiclie, die währen sollen. — Der
christliche Gott, auf den sich diese Strophe bezieht, wird darin als Erbe
der heidnischen in Ragrarök getöteten Götter dargestellt; seine Welt-
regierung nach Art eines Gerichts gedacht, dem er als fürstlielier Richter
vorsteht. Diese Vorstellung ist augenscheinlich den heidnischen Göttorver-
hältnissen und zwar dem schickfalbestimmenden Göttergericht entnommen.
Auch dass Snorri die Äsen zu Godhen in Upsala macht, dürfte auf euiie-
meristischer Auslegung des Umstandes beruhen, dass sie als Richter den ur-
teilenden Nomen zur Seite standen. Vergl. Gu'örünarqn. II, 3 vom Fürsten
eakar doema.
1) S. Weinhold, Die deutschen Frauen.
602
D. Die Nörnen als Göttinnen der dreigeteilten Zeit.
Ein weiterer Fortschritt in der Mythologie der Nör-
nen vollzog sich in einer noch späteren Periode, Man
fasste die schicksalbestimmenden Mächte als Personificatio-
nen der in Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
dreigeteilten Zeit. Die drei Nörnen heifsen danach UrÖr,
VerSandi, Skuld '). Unter ihnen tritt besonders UrSr, die
Vergangenheit (eigentlich die gewordene; von veröa wer-
den aus dem plur. praeter, uröum gebildet) hervor. Nach
derselben heifst das heilige Wasser unter dem Baume Ygg-
drasill Uröarbrunuen, ein Ort auf Island führte nicht min-
der den Namen Uröarvatn -). In der Sturlüngasaga s.
oben S. 382 und im Hrafnag. OSins s. oben S. 544 er-
scheint Urör allein, ohne VerSandi und Skuld. Als Per-
sonification der Vergangenheit macht sich Urör jedoch nur
in wenigen Stellen geltend. Grimhildr mischt der Guörün
einen Trank, der sie Siegfrieds vergessen machen soll;
dieser Vergessenheitstrank ist gekräftigt mit der Macht der
Vergangenheit ( U r 8 a r magni) '*). Eine Mutter, Gröa über-
liefert ihrem Sohne die Kunde schützender Runenlieder:
]>ann gel ek ]>er annan
ef ]>ii ärna skalt
viljalauss ä vegum;
UrSar lokur haldi }er
öllum megum,
er l^ü ä sraän ser *).
Die Erinnerung an eine in Genuss und unter Edeln ver-
lebte Verlan o-enheit soll das Herz bewahren und schützen,
wenn es unter ungünstigen Verhältnissen und niedriger Um-
gebung: dem Schlechten anheimzufallen in Gefahr ist. Gull-
1) Völ. 20, vergl. oben S. 542.
2) Landnämab 189.
3) Gugrünarqu. II, 21.
4) Grogaldr 7. Dies zweite Lied singe ich dir — wenn du irren wirst
wonnelos auf den Wegen, sollen der ürg Riegel auf allen Seiten dich schüt-
zen, wo du auf Niedriges (Schlechtes) schaust.
603
rönd, Gjükis Tochter wirft der Brynhildr vor: UrSr ö6-
linga hefir ]>\\ sd veriö; rekr ]>ik alda hverr illrar skepnu ^).
Gewöhnlich jedoch haftet am Namen Urör nur der Be-
griff der Schicksalsmacht überhaupt und es werden damit
selbst Vorstellungen verbunden, welche sich auf die Zukunft
beziehen. So heifst der todverkündende Mond in der Eyr-
byggjasaga s. oben S. 555 UrSarmäni. Als SigurSr und
Brynhildr beisammen ruhn, schreiten grimme Nornen; die-
selben werden mit dem Gesammtnamen Uröir bezeichnet
„gengu ]?ess ä milli grimmar Uröir." Vgl. oben S. 587.
Wenn hier Urör als Appelativum ganz an die Stelle von
Nörn tritt, so liegt der Gedanke zu Grunde, dass das Ge-
schick überhaupt voraus bestimmt, geworden ist, wenn es
sich auch etwa erst in der Zukunft erfüllen soll. Vergl.
Fjölsvinnsm. 47: Uröar oi'öi kveSr engi maör, ]?ött )?at se
vis löst lagit. Wir sehen hier mithin schon im Ansatz,
aber nicht durchgeführt Urör, PI. Uröir zum Gattungsna-
men der Nornen erwachsen.
Während UrSr so bedeutsam hervortritt, wird Ver-
gandi die Gegenwart (die werdende fem. part. praes. v.
veröa) nie einzeln genannt. Dagegen zeigt sich Skuld (die
werden sollende part. praet. von skula), die Zukunft als selb-
ständige Persönlichkeit, wenngleich sie nicht so tief in das
Volksbewusstsein eingedrungen zu sein scheint, wie Urör.
Der Verfasser von Gylfaginning berichtet, dass Skuld,
der Nornen jüngste täglich zum Schlachtfeld reite, um To-
deswahl zu halten (vergl. oben S. 56 J). In der späteren
Heldensage ist Skuld zu einer menschlichen, zauberkundi-
gen Fürstin geworden. Sie ist die Tochter Helgis. Die-
ser hörte Nachts ein Seufzen und lieis ein halberstarrtes
Wesen ein, das bald die Gestalt eines ^\''eibes in seidenem
Gewände annahm. Die Alfkona verschwand am Morgen
und liefs sich auch nicht wieder sehen ; nach 3 Jahren aber
sandte sie dem Helgi eine Tochter Skuld. Erwachsen,
1) GuSrünarqu. I, 2-1.
_ 604_
macht diese mit einem grofsen Heere ihrem Stiefbruder
Hrolfr Kraki das Dänenreich streitig. Zu der Kriegsschar,
die Skuld zum letzten entscheidenden Schlafe c:e<]cen Hrolfr
ausrüstet, stofsen Alfen und Nomen.
Aus der Betrachtung der Körnen als Personificationen
der dreigeteilten Zeit floss ein Unterschied derselben hin-
sichtlich des Alters. UrSr, die Vergangenheit galt als die
älteste, VerSandi, als die jüngere, Skuld, die Zukunft, als
die jüngste Schicksalsjungfrau. Die eben angeführte
Stelle Gylfag. 36 und die oben S. 592 besprochene Sage
von NornaiTest bieten dafür Belenje. Aus dieser Betrach-
tung floss aber noch eine andere Vorstellung. Sobald man
das Schicksal nicht allein, wie ursprünglich, im Tode, son-
dern auch in glücklichen Ereignissen des Lebens gewaltig
fühlte, musste eine Scheidung unter den Nornen in gute
und böse eintreten. „Gute Körnen," sagt Gylfag. 15,
„und von gutem Geschlecht entsprungene verschaffen gute
Lebenszeit, wo aber Menschen in Unglück geraten, da wal-
ten böse Nörnen (illar nörnir)." Nun eine spätere Zeit die
Sciiicksalsjungfrauen auf die Dreizahl beschränkte und als
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auffasste, übertrug
man Neid und Misgunst auf die ungewisse Zukunft, sie allein
konnte noch schaden. So übt die jüngste Nörn in der
Nörnagestsaga hemmenden Einfluss auf das Geschenk der
andern, und die dritte Schwester bei Saxo s. oben S. 591
gewährt dem jungen Olaf üble Eigenschaften.
Die Umwandlungc der aus Göttinnen der dunkelen Ge-
witterwolke erstandenen Todes- dann Schicksalsjungfrauen
in Personificationen der Zeit lag teilweise schon in jener
Naturo-rundlacce begründet. Wir sahen oben S. 578 wie
käla schwarz sowol zur Bezeichnung der dunkelen Wolke,
wie der Nacht und der Zeit verwandt wird. Wir sahen
ferner, s. oben S. 555. 586, dass der ursprüngliche Begriff
der Nörnen als Göttinnen der schwarzen Wolke in den von
Beherscherinneu der dunkeln Nacht unmerklich übergeht.
Von hier aus war der Uebergang in den Begriff der Zeit leicht.
_ 605
Kuhn ') hat auf eine hiermit zusammenhängende Vorstel-
lung aufmerksam gemacht, von welcher die Auffassung der
Schicksalsgöttinnen als Zeitgöttinuen ihren Ausgang genom-
men haben könnte. Er glaubt nämlich, — auf eine, wie
wir sehen werden, unrichtige Beobachtung gestützt und
darum irrig — dass die deutschen Schicksalsjungfrauen von
der Naturanschauung der Morgenröte ausgegangen seien.
Die Göttin des Frührots bei den vedischen Indern, die
Ushas, wird als wiederkehrende Erscheinung häufig als Glied
einer Mehrheit aufgefasst. „Ushas folgt dem Pfade der
dahingegangenen, sie die erste der zukünftigen unendlichen.
Rigv. I, 113, 8." „Die Morgenröte leuchtete auf, das Ab-
bild der gegangenen die erste der ewigkommenden." Rigv.
I, 114, 15. — Sie gehen dahin und kommen wieder.
Risv. 123, 12. Aus einer solchen Auffassunaj der schon
personificierten Morgenröte meint Kuhn, gestaltete sich die
Betrachtung derselben als Zeitgöttin und die doppelte Drei-
teilung in „gestern, heute, morgen" und „Morgen, Mittag,
Abend." Ferner sei die Nacht als Schwester der Morgen-
röte gedacht. So bildete sich eine dritte Dreiheit „Abend,
Nacht, Morgen." Aus dem Begriffe der Zeit, der sich
auf diese Weise mit den aus der Morgenröte erwachsenen
mythischen Frauengestalten verband, sei nun zunächst die
Idee des Schicksals erwachsen, und dieses naturgemäfs in
die Dreiheit „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunlt gespal-
ten." Was Kuhn nach Analogie der indischen Vorstellun-
gen für die deutsche Göttin de;" Morgenröte annimmt,
dürfte (wir haben freilich keinen Beweis dafür, dass dem
wirklich so war) viel wahrscheinlicher von der Nacht an-
zunehmen sein. Nach Nächten, nicht nach Tagen zähl-
ten unsere Alten: Nee dierum numerum, ut nos, sed noc-
tium computant; sie constituunt, sie condicunt, nox ducere
diem videtur, berichtet schon Tacitus Germ. XI; die Nord-
germanen besafsen dieselbe Zählung. An die Nacht knüpfte
1) Zeitschr. f. vergl. Sprachf. III, 499 fgg.
606
sich mithin der Begriff der Zeit; die Wiederkehr der Nächte
mochte den Gedanken „der Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft" rege machen. Wenn auf diese Weise schon die
Naturgrundlage der germanischen Schicksalsjungfrauen die
Entfaltung des Begriffs der dreigeteilten Zeit zum min-
desten bejjÜDStigste, so kam nach voller AusbilduDgf des
Schicksalsbegriffes noch ein Moment hinzu. Die Natur-
notwendigkeit, die über dem Leben der Menschen und der
Welt waltet, vollzieht sich in der Zeit nach ihrer dreifa-
chen Beziehung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft;
die Zeit ist es, die jeder Lebensfrage Entscheidung bringt.
Die Reflexion heftete sich an die lebendigen Göttergestal-
ten der Nörnen und drohte sie in blofse Abstraction auf-
zulösen ^) ; aber der Anthropomorphismus war im Volks-
glauben noch zu mächtig und durch die Abstraction brach
die concrete Persönlichkeit der Schicksalsjungfrauen wieder
lebendis: hervor.
§. 7. Die südgermanischen Schicksalsgöttinnen.
A. Als GöttinueD der dreigetheilteu Zeit.
Im Wesentlichen hatte sich auf deutschem Boden der
Glaube an die Schicksalsjungfrauen ganz in derselben Weise
entwickelt, wie im verwandten Norden. J. Grimm hat be-
reits an reichlichen Beispielen erwiesen, dafs der Name
für die südgermauische Nörn, ags. Wyrd, sächs. Wurth,
WurS, ahd. WÜKD war-), ein Wort, das jenem nord.
Urör o-enau entspricht, woraus hervorgeht, dass jene dritte
Entwickelungsstufe des Nornentheologems, die Auffassung
der Schicksalsgöttinnen als Personificationen der Zeit auch
im südiTermanischen Keligionsbewusstsein eingetreten war.
1) Dieses Bestreben ging so weit, dass selbst der Urgarbrunnen als Bild
des Blutbades aufgefasst wurde. Der Skalde Körmakr schildert (Skäldskap.
k. 49. SnE. I, 428) wie eine Schlacht heftig entbrannte. Der König der
Kährer des Wolfes schritt, das tönende Feuer OÖins (das Schwert) vor sich
hertragend, den Seinen mutig voran. Da kam Urbr zum Brunnen (körnst
Urgr at brunni).
2) Myth.2 377.
^07
Wir werden dafür weiterhin noch andere Spuren nam-
haft machen können. Bei oberdeutschen Stämmen ist ein
persönliches Wurd nicht nachzuweisen, aber eine althoch-
deutsche Glosse bei Graff I, 992 gewährt wurt fatum,
woraus das einstio;e Dasein der Person wahrscheinlich wird.
Veröandi und Skuld begegnen in südgermanischen
Quellen nicht als persönliche Wesen, wir sahen aber be-
reits oben S. 603, dass auch im Norden Urör den Ansatz
gemacht hatte, die Schwestern zurückzudrängen und zur
Bezeichnung aller Nornen zu erwachsen.
B. Die Schicksalsgöttiunen als Urteilerinnen beim Göltergericht.
Wie im Norden wurden bei Südgermanen die Schick-
sale der Menschen als Vollziehungen nach Recht und Ge-
setz im Göttergericht gefällter Urteile gedacht. Denn auch
dem Altsachsen heifsen die Schicksale giscapu. Godes
giscapu Helj. 10, 17. 16, 19. thiu berhtun giscapu Helj.
11, 16. 23, 17. thiu helagon giscapu Helj. 124, 9. Gleich-
bedeutend ist der Plur. regino giscapu, regano gis-
capu Helj. 79, 13. 103, 3 Götterurteil, Tod. Dieser Aus-
druck ist noch ganz heidnisch, regan sind die Götter =
altn. regin s. oben S. 595, Gott als der alles abmessende
Schöpfer heifst alts. metöd, ags. metöd, altn. mjötuör; da-
her die Ausdrücke für das Schicksal alts. metöd 6 gis-
capu der Götter Urteile Helj. 66, 19. 147, 11. (a. 1. o.
var. lect. metud giscapu), metödigisceft Helj. 67, 11. ags.
metodsceaft Schicksal, Tod (aedm. 104, 31. Beöw. ed.
Grein 1055 und öfter). Da alts. scapan, ags. sceapan, scep-
pan, ahd. scafan öfter den generellen Sinn ordinäre, desti-
nare, decernere als den speciellen gerichtlichen gewährt ^) ;
so geben die aufgeführten Formeln allein keinen Beweis
für unsere Ansicht; und um deswillen ist auch auf die ahd.
Glossen scephenta parca, creatrix -) scefentun parcae,
1) Vcrgl. Sachs, scepeno (judex, d.h. Urteiler, Schöffe, nd. Schöppe)
EA. 77G.
2) Zwetl. Gl. 128a. Grimm, Giam. II, 342.
608
fata *); gascaft, fatum; kascaftlih fatale^); cascaftliho
Adv. fatale^); steffara parca *) kein besonderes Gewicht
zu leo-en. Denn einmal bleibt es zweifelhaft, ob diese Aus-
drücke schon dem Heidentum angehörten, oder von den
Glossatoren erfunden wurden; hatte aber das erstere statt,
so ist wiederum nicht zu entscheiden, ob die Bedeutung
die „Bestimmende" im Allgemeinen oder die „Urteilende"
im Besonderen dem Worte scephenta zu Grunde liegt ^).
Weiter führt uns die Bemerkung, dass der dem altn. or-
lö,"- d. h. Urgesetz entsprechende Ausdruck auch in den
übriaen Dialecten für das Schicksal verwandt wird: ahd.
urlac, ags. orläg, alts. orlag, orlcgi. Zur vollen Gewiss-
heit aber erheben uns die folgenden Formeln: loetaö hilde-
bord her on bidan wudu wälsceaftas Wy rda gefdnges").
Wyrda ge])ingu Cädm. 250, 4. Ags. wyrdgescap, wyrd-
scipe Schicksal. Wyrda gesceaft Schicksal, der Nör-
nen Bestimmung. Wyrdgesceapum zufällig. — Helj. C, 13:
Bed aftar thiu that wif wurdigiscapu. Helj. 103, 7:
tho quämun ok wurdegiscapu themu odagan man, or-
lag h u i 1 e.
Wie dem Urteiler das Teilen zustand (fries. dela,
dema and dela), heifst es vom Schicksalsspruch Helj. 15,
17: Tho gifragn ic, that iru thar sorga gistöd, that sie
thiu mikila mäht metodes tedelda wred wurdigiscapu.
Auch die Weisung des Urteils begegnet uns beim Schick-
sal. Helj. 14, 13: im habda gewisid waldandes craft
lano-a hwila. Das Bezeichnen des heiligen Lofszeins mit
1) Gloss. Salamonis Prager Handschrift; die Prüflinger Handschrift die-
ser Glossen bietet scephenten, parcae fata. Vergl. Schm. a. 527 schefentun
parcae, fata. GrafF VI, 454.
2) Reichenauer, Gloss. z. Bib. in Carlsruhe cod. 86. GrafF VI, 451.
Vergl. scaft'unga tem. lex.
3) Gloss. in Gregor, honi. Cod. Tegerns.
4) Gloss. in Persii satyr. Graff VI, 662. Vergl. Zeitschr. f. vergl.
Sprachf. I, 133.
5) Für letzteres entscheidet sich Grimm, RA. 750. Vergl. eö-scefil le-
gislator; ewasceffinä scribae ; easceffarä legum conditores; fränk. scabinus
(f. scapinus) judex, arbiter (Schöffen).
6) Beow. ed. Grein. 398. Lasst erwarten hier eure Kampfschilde und
des Waldes Schlachtschäfte der Nornen Gericht.
609
der Rune hiefs merken, das Runenzeichen marce, sächs.
gimerki^). Daher wohl schreiben sich Formeln wie Helj.
4, 13: so habed im wurdgiscapu metod gimarcod.
Helj. 149, 13: Ac it habad waldand god alomahtig fader
an odar gimarcod; Helj. 18, 10: so ic wet, that it he-
lag drohtin marcoda mahtig selbo. Helj. 45, 14: buta
so it the helago god gemarcode mahtig. Cädm. Gen.
ed. Grein 791: }>u Eve häfst yfele gemearcod uncer sjl-
fra siö.
Merkwürdig ist eine Stelle aus Vintlers Blume der
Tugend (gedichtet 1414), welche bereits J. Grimm, Myth.^
379 anmerkte, Zingerle neuerdings aus der Insbrucker Hand-
schrift vollständiger und richtiger mitteilte ^) :
Und ist des üngelauben so viel.
Das ich es nicht gesagen kau.
So haben etleich Leut den Wan,
Das sew mainen, unser Leben,
Das uns das die Gaclischepfen (geben)
Und das sew uns hie regieren.
Auch sprechen etleich Dieren (Dirnen)
Sew ertailen dem Menschen hie auf Erden.
Ob diese Vorstellung, welche zu Vintlers Zeit Volks-
glaube gewesen zu sein scheint, in der Tat aus deutschem
Heidentum übrig und die Benennung Gächschepfen d. h.
die jähen, raschen Urteiler als eine Bestätigung für die
ahd. Glosse scephenta zu betrachten ist, bedarf noch
weiterer Untersuchuuof.
C. Die Schicksalsjungfrauen als Göttinnen des Todes, der Geburt
uud der Heirat.
Weiter ins Altertum zurückschreitend, finden wir den
Begriff der Schicksalsgöttinnen als tötende Wesen auch
den Südgermanen zustehen. Freilich der Name Norn ist
nicht mehr nachzuweisen — wenn wir eine s. oben S. bSii
1) Vgl. Helj. 7, 13: -wordgimerkuin writaii.
2) Pfeiffers Germania I, 238.
39
610
angeführte unsichere Spur abrechnen. — Die Sache aber
wird durch eine nicht unbeträchtHche Reihe alter Formeln
hinlänglich bezeugt, welche die Schicksalsgöttin schildern,
wie sie blutgierig in den Kampf schreitet und die Helden
tötet, wie sie dicht an den Menschen herantritt, ergreift
und in den Tod dahinreifst.
Him was Wyrd ungemete neäh, seo J)one gomelan gre-
tan sceolde, secean sävle hord, sundur gedaelan lif viö lice.
Beöw. Gr. 2420. Die Schicksalso-öttin war ungemessen
nah, welche dem Alten entgegenschreiten sollte^ suchen der
Seele Hort, sonderteilen das Leben vom Leibe. Thiu
Wurdh is at hcmdim Helj. 141, 9. 146, 2 die Nörn steht
vor ihm, Thiu Wurth nähida thuo Helj. 163, 16 die
Nörn nahte. Wyrd wälgrira, die schlachtgrimme Norn
Cädm. 61, 12. Hine Wyrd fornam Beöw. Gr. 1205.
Ina iru Wurth benam märi metodo gescapu Helj. 66, 18.
Die eft Wurth farnimid Helj. 111,14. AntthatWurd
fornam Herodes thana cuning, that he forlet eldeo barn,
mödag mannö dröm Helj. 23, 7. Bis Wurth fortriss Herodes
den König, dass er verliefs der Zeiten Kinder, er der Stolze
der Menschen Leben. Wyrd forsveöp ealle mine magas
to metodsceafte Beöw. Gr. 799: Wurth riss dahin alle
meine Verwandten nach Schicksalsspruch. Us seö Wyrd
scyöed heard and hetegrim Andr. 1561: Wyrd verletzt uns
hart und hassgrimm — hie seö Wyrd besväc forleölc and
forlaerde Andr. 613: Das Geschick täuschte, verführte. —
In die eben beigebrachten, ursprünglich ganz persönlichen
Formeln traten als Wyrd, Wurth zum unpersönlichen Schick-
sal erblasste andere synonyme Abstracta ein, Tod, Schlacht
u. dsl. Daher lesen wir: DeäS was uno-emete neäh Beöw.
50453. Död is at hendi Helj. 92, 2. er hat den tot an
der haut Reinh. 1480. se ]?e hine deäS nimeSBeöw. Gr.
440. thena död fornam Helj. 67, 20. mec deäö nimeb
Beöw. Gr. 1481. wig ealle fornam Beöw. Gr. 1080. güS
fornam Beöw. 1123. hine svylt fornam Beöw. Gr. 1436.
oöSe güö nimeS feorhbealu frecne freän eowerne Beöw.
Gr. 537. inan wie furmara Hildebrandsl.
__61J
Dem Zeugnis solcher Formeln treten lebendige Sagen-
züge erläuternd an die Seite. Bekannt ist das schöne Mär-
chen vom Dornröschen. Einem König, so wird erzählt,
wird ein Töchterchen geboren. Zwölf weise Frauen
sind zur Feier dieses glücklichen Ereignisses eingeladen,
jeder wird ein goldener Teller vorgesetzt. Sie
beschenken das Kind mit ihren Wundergaben,
Tugend, Schönheit, Reichtum u. s. w., als die drei-
zehnte, die nicht geladen ist, zürnend hereintritt und den
Fluch ausspricht, sie solle sich in ihrem fünfzehnten Jahre
an einer Spindel zu Tode stechen. Die zwölfte mildert den
Tod in einen hundertjährigen Schlaf. Der König verbietet
alle Spinnräder. Als aber die Königstochter 15 Jahre alt
ist, findet sie in einem verfallenen Turm eine alte Frau,
die spann mit ihrer Spindel Flachs. Das Mädchen sticht
sich mit der Spindel in den Finger. Sogleich fällt sie sammt
dem ganzen Schlossgesinde in tiefen Schlaf. Kings umher
wächst eine feste, dichte Dornhecke, die das Ganze ein-
schliefst. Nach hundert Jahren bahnt sich ein Königssohn
den Weg durch diesen Hag, und weckt Dornröschen und
mit ihr ihr ganzes Hofgesinde durch seinen Kuss zu neuem
Leben. Das Schloss ist damit gleichfalls entzaubert ').
Ganz ähnlich ist die französische Erzählung bei Perrault.
Zur Taufe der kleinen Königstochter sind die Feen des
Landes, sieben an der Zahl, als Gevatterinnen gebeten au-
fser einer uralten, die nicht geladen war, weil sie seit 50
Jahren ihren Turm nicht verlassen hatte und für gestor-
ben galt. Jeder der Feen wird goldenes Geschirr vor-
gesetzt. Während des Gastmahls erscheint die Alte, sie
ist erzürnt, da man ihr kein goldenes Geschirr vorzusetzen
vermag. Sechs Feen begaben das Kind mit guten
Gaben, die Alte spricht aus, die Königstochter werde
sich mit einer Spindel in die Hand stechen und daran ster-
ben. Da tritt die siebente der jungen Feen hervor und
erklärt, nicht sterben solle sie, nur in tiefen Schlaf fallen.
1) KHM. No. 50.
39*
612
Die Prophezeiung erfüllt sich; die Königstochter stirjit
sich an der Spitidel und versinkt in Zauberschlaf, um das
Schloss wächst dichter Wald, wovon die Jungfrau den Na-
men 5,1a belle au bois dormant" erhält. Nach 100 Jahren
dringt ein König durch den Hag und erlöst die Prinzessin,
die von ihm zwei Kinder Aurore und Jour gebiert. Im
Pentamerone wird V, 5 unter dem Namen Talia dieselbe
Sao:e berichtet. Die Weisen und Wahrsager (sacciente
e nnevine) verkünden bei der Geburt der Talia, das neu-
gehorne Kind icerde sich einst an einer Flachsagen zu Tode
stechen. Es soll nun kein Flachs ins Schloss gelassen wer-
den. Eines Tages aber sieht Talia eine spinnende Alte
vorübergehen und beim Ergreifen des Kockens stöfst sie
sich eineAgen unter den Fingernagel und sinkt tot
zu Boden. Der Vater lässt sie unter einem Tronhim-
mel auf einem Sessel niedersetzen und dann das Schloss
verschliefsen. Ein König dringt von einem Falken ge-
leitet in das Schloss und geniefst die Liebe der Schlafen-
den. Nach neun Monaten gebiert sie zwei Zwillinge Luna
und Sole. Feen legen ihr die Kinder an die Brust. Als
diese einst die Mutterbrust nicht finden können, fassen sie
die Finger und saugen und ziehen so den Flachsagen
heraus, worauf Talia aus ihrem Schlafe erwacht.
Die Grundlage dieses Märchens ist die bereits oben
S. 505 fgg. erläuterte Mythe, dass eine himmlische Göttin, die
Wasserfrau, (? ) die das Licht der Sonne in ihrem Schofse
hält, Mutter von Morgenröte und Tag, von Mond und
Sonne, die Nachts oder Winters vom Dämon getötet
oder in Schlaf versenkt wird, bis ein lichter Gott die
Umzäunung, in welcher sie gefangen gehalten wird, durch-
bricht und sie zu neuem Leben erweckt. Als man vom Dä-
mon kein lebendiges Bewusstsein mehr hatte, und die ganze
Sage in das Gebiet der Menschheit hinabsank, musste der
Zauberschlaf oder Tod anders motiviert werden und dies
geschah, indem man sich vorstellte, dass ein böses göttli-
ches Zauberweib die Jungfrau mit spitzem Nagel (Spin-
del, Dorn) in die Hand oder ins Haupt gestochen.
613
Im wesentlichen Grunde ist diese Sage von Dornrös-
chen mit der von Brynhilldr eins, wie bereits die Grimms ')
erkannten. Auch diese Sage wusste ursprünglich nur, dass
die Göttin in der flammenden Wolke eingeschlossen in Zau-
berschlaf oder Tode ruht, bei Sigufrit sie, den Drachen er-
legend, befreit. Zur Heldensage herabgesunken bedurfte
aber auch sie für den Zauberschlaf eines Anlasses und die-
ser wurde in der Annahme gefunden, dass Oöinn die Schild-
maid Brynhilldr mit dem Schlafdorn (svefn]?orn) gesto-
chen habe. Diesen Schlaf dorn kennen auch andere nor-
dische Ueberlieferuno;en. Nach der Göng-u-Hrölfssaffa ruht
der tapfere Hrölfr an der Seite der schönen Königstochter
IngigerSr. Ein gewisser Vilhjälmr, der ihn so sieht, ent-
brennt in Neid und stöfst ihm den Schlafdorn ins Haupt
(stakk Hrolfi svefu])orn). Ingigerör will ihn wecken. „Ich
wecke ihn, ruft Vilhjälmr" und schlägt ihm beide Füfse ab.
Dann ergreift er die Königstochter und zieht mit ihr von dan-
nen. Hrölfr liegt bis zum Abend, wie tot. Da beugt sich sein
treues Ross Dulcifal über ihn, beschnuppert ihn und zieht
so den Schlafdorn heraus. Der Held erwacht, ergreift sein
Schwert Hreggviöarnautr, kriecht aufs Ross und jagt dem
Räuber nach -). Helgi Hälfdanarson von Dänemark trinkt
mit der Königin Olöf von Saxland Brautlauf. Sie wünscht
die Verbindung nicht und sticht ihn, als er trunken im
Schlafe liegt mit einem Schlafdorn (stingr honum svefuj^orn),
schabt ihm alles Haar ab und legt ihn in einen Leder-
sack "}. Diesen schickt sie auf Hrölfs Schiff. Seine Leute
öffnen neugierig den Sack, und dabei fliegt der Schlafdoru
heraus (hrytr svä burta svefnjwrninn), der König erwacht *).
Auch in Deutschland ist der Schlafdorn bekannt (auch ab-
gesehen von der Benennung der wilden Auswüchse des
Rosenstrauches, Schlafapfel, Schlafkunz und dem
1) KHM. III, ^ 85. J. Grimm bei Liebrecht, Pentamerone des Ba-
sile I, XII.
2) Fornaldarsög. III, 303-306.
3) Auf Schiften hatte man Ledersiickc (hü^iföt), die als Betten dienten
und worin gewöhnlich zwei zusammen schliefen. Wcinhold, Altnord. Leben
S. 234.
4) Fornaldarsög. I, IG.
614
Aberglauben, dass Schlafende nicht erwachen, wenn man
ihnen denselben unter das Kopf küssen legt. Myth.- 1157.
Auf diesen Auswüchsen der Dorn rose soll Maria die Win-
deln Christi getrocknet haben). Nichts anders ist nämlich
der giftige Kamm, den die alte böse Königin Snewittken
ins Haar steckt, worauf sie tot hinsinkt KHM. 53. Im
walachischen Märchen „der Zauberspiegel," das unserm Sne-
wittken entspricht erfolgt die Tötung noch deuthcher durch
eine Blume, welche die böse alte Mutter der schönen
Jungfrau ins Haar steckt'). Mandschiferu (Eisenfresser)
wird von einer bösen Hexe, welche ihm die erlöste Prin-
zessin misgönnt, mit einer verzauberten Nadel in den
Kopf gestochen, worauf er tot hinsinkt^). Nichts an-
ders bedeutet es, wenn eine böse Zigeunerin der Ungebo-
renen, Niegesehenen eine Zaubernadel in den Kopf
stöfst, und diese darauf in eine Taube verwandelt wird.
Die Taube ist die Seele der Getöteten ^). Derselbe Zug
kehrt in Tirol wieder. Eine Hexe drückt der schönen
Pomeranzenjungfrau eine Zaubernadel in den Kopf,
worauf sie eine Taube wird. Die Taube sucht bei ihrem
Bräutigam Schutz, der die Nadel auf dem Kopfe findet,
herauszieht und so die Verwandlung löst *). Auch bei
Magyaren wird erzählt, dass drei Königstöchter in ein Rie-
senhaus gerieten. Die jüngste verspricht die Riesin zu
putzen. Anstatt sie aber zu kämmen, schlägt die flinke
Kleine der Frau mit einer eisernen Klammer auf den
Kopf, so dass sie tot hinstürzt^).
Während nach Sigrdrifumal ÖSinn als Todgott und
Schlachtenherscher die Valkyre mit dem Svefn]?orn sticht,
weisen die anderen von uns angeführten Ueberheferungen
1) Schott 105.
2) Schott a. a. O. 220.
3) Schott a. a, O. 251.
4) Zingerle, KHM. 59 No. 11 „vorn reichen Grafensohn." Bei Wolf
(Deutsche Hausm. S. 23) senkt ein altes Weibchen, das vor einem
Waldhaus spinnend sitzt, einen Soldaten in Zauberschlaf, indem es ihm
den Zopf aufsteckt.
5) Stier, Magyarische Märchen S. 41. Anklänge gewährt auch ein Fin-
nisches Märchen vom Wetehinen. S. Schiefner, Mj'thengehalt der Finnischen
Märchen S. 609.
615
den tötenden Nagel (Nadel, Spindel, Flacbsagen, Dorn
u. s. w.) einer alten Frau zu. Eine unbefangene Betrach-
tung muss dartun, dass die Schicksalsgöttin gemeint
ist, welche mit eigener Hand den Menschen tötet.
Denn offenbar ist die alte spinnende Frau, welche
Dornröschen die Spindel in die Hand treibt dieselbe,
welche ihr bei der Geburt Unglück weifsagt, bestimmt.
Wir werden sehen, dass auch die 12 goldenen Teller,
die den weifsen Frauen vorgesetzt werden, sie als Schick-
salsgöttinnen bestätigen. Der Schlafdorn, oder Tötungs-
nagel war vielleicht ursprünglich ein Speer, oder eine
andere spitze Waffe, womit die Schicksalsgöttin eigen-
händig den zum Tode Bestimmten niederstreckte. Diese
Vorstellung ergiebt sich auch durch die folgende Unter-
suchung als ein wahrscheinliches Erbteil der südgermani-
schen, wie der nordgermanischen Stämme aus jener Zeit,
welche der Auffassung der Nornen als Urteilerinneu am
Göttergericht voranging.
Weifse Flecke an den Nägeln bedeuten nach west-
preufsischem Volksglauben Glück. Man sagt „die Nägel
blühen." In Tirol nennt man dieselbe Erscheinung „Na-
gelblüh" und glaubt, dieselbe zeige Glück und Frucht-
barkeit an'). In Baiern heifst es, wer weifse Flecke au
den Nägeln hat (nicht allein unter Kindern, sondern auch
unter erwachsenen Leuten), dem blüht Glück oder eine
Freude^). In der Wetterau scheint diese Verheifsung
auf die Kinder als die einzigen Gläubigen eingeschränkt zu
sein ^). In Holstein verbietet man, solche Nägel abzuschnei-
den, auf denen weifse „Sterne" oder „Blomen" sich fin-
den, denn an sie knüpft sich eine glückliche Zukunft,
besonders wenn sie auf einem Nagel der linken Hand sicht-
bar werden"). Dagegen galt es im 17. Jahrhundert als
1) V. Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols S. 372.
2) Zeitschr. f. D. Myth. II, 100. Die Ausdrücke sind von der land-
läufigen Redensart hergenommen: „Das Glück blüht." Der Sinn des Volks-
glaubens ist nur „Nagelflecke bedeuten Glück."
.3) Wolf, Beiträge' I, 206, 10.
4) Schütze, Schleswigholst. Idiotie. II, HG. Müadl.
616
Todesvorzeichen gelbe Flecken (yellow specldes)
auf den Nägeln zu haben *). Ebenso sagt Christoph Männ-
ling ^) „grofse Herren meinen an der veränderten Farbe
der Perlen und Corallen ihren Lebenszustand zu pro-
biren, wie auch an den Nägeln." Hiermit stimmt die
Sitte der Kinder in Ypern überein, welche an den weifsen
Flecken auf den Nägeln abzählen, wieviel Lügen, oder
Todsünden sie begangen haben ^). Auch rheinischer
Glaube ist es: „wer weifse Flecken an den Nägeln hat,
lügt, jeder Flecken ist eine Lüge*). Die Todsünde über-
haupt und die Lüge als einzelner Fall, sind hier als Ur-
sache an die Stelle der Wirkung, des Todes getreten. In
Bunzlau sagt man, wer weifse Flecken auf den Nägeln hat
bleibt in seinem Vaterlande ^). In einigen Gegenden Pom-
merellens unterscheidet man zwischen den Nägeln der rech-
ten und linken Hand. Weifse Flecken auf der ersteren
bedeuten Glück, auf der letzteren Unglück. Werden die
Nägel gelb, so stellt sich nach dem Glauben benachbarter
Gegenden bald Not oder Sorge ein''). Männling sagt^):
„So müssen auch die Nägel an den Fingern Propheten ab-
geben. So viel weifse Pünktlein daran anzutreffen, so viel
Glück, wo aber lauter weifses, so ist es der sichtbare
Tod, der vor der Türe steht." Nach Burton ^) sind schwarze
Flecken auf den Nägeln ein schlechtes Vorzeichen. Weifse
Flecke auf den Nägeln dagegen heifsen in England „Gifts"
Gaben und bedeuten Glück ^). Aus allen diesen Volksan-
schauungen geht hervor, dass man auf dem Nagel ein ge-
1) Melton, Astrologaster 6. Brand, Populär antiquities III, 177. Wolf,
Beiträge I, 246.
2) Denckwürdige Curiositäten derer sowol in- als ausländischer aber-
gläubischer Albertäten. Frankfurt und Leipzig 1713 S. 337.
3) Wolfs Papiere.
4) Wolf, Beiträge I, 290, 475.
5) Myth.« CLVII, 1070.
6) Mündl.
7) a. a. O. 230.
8) Melancholy ed. 1621 p. 214.
9) British Apollo fol. London 1708 I, No. 17. Brand a, a. 0. III, 178.
617
heimes Zeichen erblickte, welches über das zukünftige
Schicksal Auskunft gab.
Nah verwandt diesem Glauben ist die Volksmeinung-
bei Danzig, dass gelbe Flecke an den Fingern Tod
bedeuten. Diese Meinung herscht auch in England. Bei
Reed heifst es '):
When yellow spots do on your hands appear
be certain, then you of a corse shall hear!
Bei Worms sagt man : Gelbe Flecken am Fino;er bedeuten
Zank. Sind sie so grofs, dass man sie mit einem Finger
nicht bedecken kann, so wird der Streit von Belang: d. h.
es stirbt einer-). Derselbe Glaube herscht in der Wet-
terau ^). In Frankfurt a. M. *) , sowie am Niederrhein ^)
sagt man: gelbe Flecken an der Hand bedeuten Verdruss.
Noch weiter vom Nagel ab liegen die dänischen „död-
ningskneb, dödningsknib, dödningspletter," To-
desvorzeichen. So heifsen blaue Flecken, die man mitun-
ter Morgens am Körper findet. Sie sagen baldigen Tod
eines Freundes oder Verwandten voraus '^). In Belgien wie-
derum nennt man doodsneepen schwarze Flecke auf der
Haut Todkranker. Am Niederrhein heifsen blaue
Male von irgend einem Stofs, den man vergessen, Geister-
pitsche. Sie deuten auf den Tod eines Freundes oder
1) Old plays VI, 357.
2) Myth.' LXXXIX, 53G.
3) Wolf, Beiträge I, 240, 478.
4) Wolfs Papiere.
5) Wolf, Beiträge I, 240, 476.
6) Myth.' CXV, 144. Docdningsknseb nennt sie Holberg im Peter Paar
I. 4. Ausg. 1772 S. 71. Die alten Aerzte sahen sie für Scorbutflecken an.
„Quaeri solet, an lividae istae corporis maculae , quas nostro idiomate doed-
ningsknib appellari audinius , mortem amicorum portendant. Saepissime
quidem contigit ut, et hae oculos, et fama de amicis defunctis aures nobis
simul feriant, non tarnen ideo certissima ex illis praesagia desnmere licet,
optimi sane machaones ejusmodi maculas scorbuticas ut plurimas esse obser-
vaverunt. Probatis itaque artificibus in sua arte credendum est. Sixt. Aspacli,
Dissertat. de variis superstitionibus Havn. 1677. 40. p. 7. Aucli Olivarius
(Dissertat. de superstitionibus quibusdam vulgaribus Danorum circa moritu-
ros. Havn. 1740. 4". I, p. 6. §.1) bekämpft die prophetische Bedeutung der
Docdningepletter.
618
eines Nachbarn'). Unter den Vorzeichen, welche Bar-
ton Holiday in seiner raxvoyafiia sig. E. b. aufzählt, heifst
es auch: that a yellow death-mould may be never
appear upon your hand or any part of your body."
So viel ich bis jetzt sehen kann, ist jener Glaube an
die Vorbedeutsamkeit der Näscelflecken aus dem Volksoflau-
ben des Mittelalters in die Chiromantiken des 16. und 17.
Jahrhunderts übergegangen. Die Chiromantiker schöpfen
gröfstenteils aus den alten Physiognomikern Melampus, Po-
lemo, Adamantius. Beim Adamantius findet sich die fol-
gende Stelle^): üvv/sg Til.arkeq Xe.vy.oi v7i6^av&oi ivcfvovg
civdoog' OL Sä orevoi y.cu Tioouvjxeig y.cd y.VQTol üvaia&i^rov
yctl ß-riQiüSovg. Beim Polemo ^) : ovv/Eg nlateig ?^svxoi
vn6S,av&oi eicfvi] S}]}.ov6t ävdna, oi Ök orevoi y.cd TiQOurj-
y.Big y.cu y.vQZOi ävccio&}]Tov y.cu Oi^olmSi] ävÖQa öijuaivov-
(jiv oi öe öcftödga oy.ohol äonaya S^Xovaiv ärdga' fiiXQol
Ticcvv bw/sg {.lilaveg TiavovQyov ävöga öiiuaivovGLV , oi
Sk CTOoyyvXcu ovv/sg Tichw f.ioiyovg ävdoag Gi'juah'ovaiv.
An diese Stelle scheint in unsern älteren Chiromantiken
der oben berührte Volkso-laube von den Nagelflecken an-
geschlossen *). Vergl. Chiromantia in certi autoris ed.
Rousseus Noriberg. MDLX: Ungues lati, longi, tenues
et albi ac splendide subrubentes signum est ingenii optimi
ac bonitatis, oblongi autem et angusti, soliditatem et firmi-
tatera denotant. Inflexi vero hominem impudentem et ra-
pacem ostendunt et si in talibus demonstrationibus sint
digiti valde macri, ethycam passionem et soliditatem de-
moDstrant. Ungues valde breves malevolum et discordem
1) Montanus, Deutsche Volksfeste I, 92.
2) Adamantii, Phisiognom. lib. II. cap. III. ap. Franz, Scriptt. physiogn.
Graec. 377.
3) Physiogn. I, XXIII.
4) Die auch aus jenen griechischen Quellen her\'orgegangenen Physio-
gnomiken des 16ten und 17ten Jahrhunderts wissen davon gröfstenteils nichts
z. B. Decisiones physionomiae Petri de Albano, scriptae 1535. Venetiis 1548.
8". — Liber physionomiae raagistri Michaelis Scoti Venetiis per Melchiorem
Sessa 1508. — Joh. Bap. Portae Neap. de humana physiognomia 1. 1. VI.
Neap. 1602 f. — Praecepta chiromantica Nicolai Pompei. Hamburgi 1680.
kl. 8 0.
619
indicant. Pallidi vero, vel nigri ac asperi ac quasi rotundi,
luxuriosum et in venerem promptum ostendunt: Et dicunt
quidam, quod si quaedam punctura alba reperiatur in
unguibus, amicos et benedictiones ostendit; si nigra inimi-
cos, persecutiones, maledictiones, et nova damna demonstret,
in quibus fuerit reperta ^)." Vergl. Antioch. Tibertus -):
„üngues longi et rubidi bonam naturam et ingenium, longi
et ex albo maculati amicitiam, benignitatem, et bonitatem,
ex nigro aliove maculati colore persecutiones et damna,
parvi et nigri cum puncturis invidiam et malitiam demon-
strant." Erst die späteren Chiromantiken bilden die Lehre
von den Nägelflecken mehr ins Einzelne aus.
Ich hebe einige Stellen aus: „Die glücklichen Zeichen
auf den Nägeln sein allezeit weifs, die unglücklichen ent-
weder rot, schwarz, gelb, oder nur tiefe Punkte als wenn
solche mit der Nadel in die Nägel eingegraben wären ^)."
„Zum öfteren lassen sich an den Nägeln sehen Pünkt-
chen: als weifse, schwärzliche, rötliche und braune, zu Zei-
ten Grübchen oder Striemen. Weifse bedeuten insgemein
Gesundheit, ein fröhliches Gemüte, und Glück nach dem
Gemüt desselben Fingers. Schwarze Flecke oder Grüb-
chen Ungesundheit, prae ceteris paribus den Tod,
darneben Traurio;keit oder Unglück. Rote und braune
Krankheiten. Ein unglückliches Zeichen durch ein anderes
vermehrt, bedeutet auch Vermehrung des übelen Zustandes.
Sind sie zerteilt oder zerbrochen, bestehend gleichsam aus
kleinen verworfenen Pünktchen, oder gehen sie auf die
Seite des Nagels hinauf, so haben sie nicht absonderliche
Wirkung. Ein weifser Punkt, oder andere glückliche Signa-
tur auf dem Nagel des Daumens bedeutet glücklich und
martialisch sein vmd auch Liebesperson sonderlich in rebus
1) Vergl. Phisionomei, complexion vnd art eines ieden menschen. Zwi-
ckaw 1530. kl. 4". fol. 9a „weifs tröpflein auff den negeln zeigt an gute
freund vnd zuwurfF guter ding, alles gut nachreden ; so aber die mit schwartz.
deut gar das widerspicl."
2) Antiochi Tiljerti D. de chiromantia 1. 1. III. denuo recogn. per Joa.
Dryandrum medicum Marpurgensem. Moguntiae MDXLl. II, 109.
3) Institutiones chiromanticae. Jenae ap. Sam. Krebs 1673 c. XXV.
620
juridicis et medicis; ein glückliches Zeichen an dem Nagel
des Zeigefingers Glück von jovialischen oder geistlichen
Sachen; auf dem Mittelfinger Glück von Eltern, Verwand-
ten und Hausleuten; auf dem Sonnenfinger Gnade bei Bö-
sen und Ehre bei Guten; auf dem kleinen Finger Gunst
der Schreiber, Gelehrten und Kaufleute ')." — „Weifse
Pünktchen, Kreuze, halbe und ganze Zirkel auf den Nä-
geln bedeuten Glück und Gesundheit, nicht allein demje-
nigen Menschen, bei dem sie gefunden werden, sondern
auch Anverwandten und Patronen. Sie bedeuten ferner
ein fröhliches Gemüt und schwangern Weibern Glück im
Gebären und gesunde 6 Wochen. Schwarze Punkte,
Zeichen oder Grübchen dagegen bedeuten Krankheiten oder
Tod, den Schwangern Gefahren. Gelbe Flecken auf den
Näo-eln bedeuten in Pestzeiten Pest, sonst friftisce Krank-
heit, Gift und Schlägerei. Gelbe Flecke an den Fingern
oder auf dem Rücken der Hand sagen Glück vorher.
Die Zeichen oder Punkte müssen in einer graden Linie in
der Mitte hinaufgehen, eine Abweichung nach der Seite
hin bedeutet eine Verminderung des Glücks oder Unglücks.
Jeder Nagel teilt sich .in drei Teile. Flecken an der Wur-
zel des Nagels bedeuten, dass man in den letztvergangenen
4 Wochen ein noch unbekanntes Glück und Unglück ge-
habt, Zeichen in der Mitte, dass ein solches Geschick in
der Gegenwart, d, h. in den nächsten 4 Wochen eintreffen
werde, Zeichen an der Spitze des Nagels endhch, dass in
dem auf die 4 wöchentliche Gegenwart folgenden Monat
eine Wendung des Geschicks bevorstehe -). Aus derarti-
gen Chiromantiken ist wol Brown's Angabe geschöpft, dass
die weifsen Flecke auf den Nägeln Glück, blaue Misge-
schick, auf dem Daumen Ehre, auf dem Zeigefinger (Fore-
finger) Reichtum vorbedeuten; ferner „that spots in the top
of the nails signify things past, in the middle things pre-
1) CoUegium curiosum privatissimum physiognom.-chirom. nietroscop.-
chirom. Francof et Lips. ap. Guill. Stock. 1704. p. 78.
2) Philipp Mayen, Chiromantia et phisiognomia niedica, wie auch Chi-
romantia curiosa. Drei5den und Leipzig 1712. p. 92 — 101.
621
sent, in the bottom events to come ')." Ebendaher stammt
wahrscheinlich auch Griesbachs '-) Aussage, dass weifse
Blumen auf dem Nagel des Daumens Glück im Spiel,
weifse Punkte auf dem Gold- und Zeigefinger Ehre bedeu-
ten. Die Zusätze, welche in den späteren Chiromantiken
sich finden, scheinen gröfstenteils aus den beiden Büchern
des Melampus tibol naluwv jnavrixij und nsoi Ü.cciiov tov
ocüuarog ^lavnxi] misverständlich in der Weise zusammen-
getragen, dass Zeichen, welche jener auf andere Körper-
teile bezieht auf die Nägel übertragen werden. In jedem
Fall steht fest, dass der oben dargelegte Volksglaube nicht
aus den Chiromantiken stammt und wahrscheinlich ist, dass
diese die Volkstradition aufgrifien, und aus ihr von Zeit
zu Zeit einzelnes entlehnten, um ihr Material zu erweitern ^}.
1) Brand, Populär antiquities III, 351.
2) Griesbach, Abhandlung von den Fingern und deren Verrichtungen
und symbolischer Bedeutung, insoferne sie der deutschen Sprache Zusätze
geliefert aus aller Art Altertümer erwogen. Leipzig. Eisenach 1757 S.
270. 271.
3) Gar keinen Zusammenhang mit unserer Divination aus den Nägelflecken
hat die schon von den Alten gekannte und geübte (vgl. Pauly, Realencypl. s. v.
magia) Ony chomautie oder Onymantie, welche mit dem Ivristallsehen aufs
Engste verwandt ist. Im Mittelalter, das die ganze Superstition der alten
Welt «als Erbteil übernahm, wurde sie oft angewendet. Gervasius von Til-
bury schreibt 1211 in seineu Otia imperialia cap. XVII ed. Liebr. p. 6: Sunt
et quidam, qui a virginibus tantum videntur ; caro enim incorrupta magis spi-
ritualiter habet intuitus, unde asserunt nigromantici in experimentis gladii,
vel speculi, vel unguis solos oculos virgineos praevalere. — Johann von
Salisbury (f 1182) erwähnt im Polycr. II, 38 das Wahrsagen aus Krystallen,
Spiegeln, Becken und den mit Oel bestrichenen Nägeln. Im löten Jahrhun-
dert sagt Dr. Hartlieb, der Leibarzt Herzog Albrechts von Baiern, in seinem
„buch aller verbotten kunst" 1455 c. 83: ,,Die kunst pyromancia treibt man
gar mit mangerley weis und form. Etlich meister der kunst nemen eins rain
chind und setzen das in ir schofs und heben dann sein band uff und lassen
das in seinen nagel sehen, vind beschweren das chind und den nagel mit
einer grofsen beschwerunge und sprechen dann dem chind in ain ore driu
unchunde wort; der ist ains Oriel, der andern beschwaig ich von ergrung we-
gen. Darnach, so fragen sie das chind, umb was sie wollen und mainen, das
chind Süll das sehen in dem nagel. Das ist alles ain rechter ungelaub und
du Christenmensch solt dich hütten darvor." — Bodin, de daemonomania ma-
gorum vom ausgelassenen wütigen teufelsheer, übersetzt von Fischart. Strafs-
burg 1651, 232: Disz, so man onvmantiam nennet, geschieht, wan man
die fingernägel oder chrystall mit sonderlichen gewissen conjeetionen, oder
zubereytungen reibet und darauff ctliciio wort, die ich zu wissen nicht boger,
richtet und folgend eyn jung kind, das nie corrumpirt worden, darein sehen
lässt, dass es von dem so es gefraget wird besche\-d geb. S. 458 erzählt
622
Wir besitzen im Gegenteil Zeugnisse, welche jenen Volks-
glauben in die einheimische heidnische Vorzeit hinaufrücken.
Auf den Fasroeer nennt man nämlich die weifsen Flecke auf
den Nägeln Nörnaspör (Nörnenspuren) und sagt„N6r-
naspor boSa manns eySnu/' „Die Nörnenspuren ver-
kündigen der Menschen Schicksale vorher ^)." Wir haben
sogar in einem Liede der poetischen Edda ein Zeugnis für
den erwähnten Volksglauben. Im Sigrdrifumäl nämlich
werden die verschiedenen Arten der Runen aufgeführt:
Älrunen sollst du kennen,
dass des andern Frau
dich nicht trüge^ wenn du traust.
Auf das Hörn ritze man sie
und den Rücken der Hand
und merke den Nagel mit N. ^).
Die Rune N lautet im nordischen NauSr (ags. neäS oder
nyS, goth. nau|)s) ^) Not^ und ist unzweifelhaft Symbol der
Nornen *), von denen es im Skäldskaparm. heifst ^) „nor-
nir heita]?aer, es nauö skapa," Völundarqu. 3 tritt NauSr
derselbe Bodin ein Beispiel solcher Vorschaii. „Zu Tolose ist im 1553 jar
ein sehr erfahrner medicus gewesen, Ogier Ferrier genannt, der ein sehr wol
erbauenes und wolgelegenes haufs bei der bursch bestanden und dasselb bei-
nahe umb nichts , dieweil es von gespenst und ungeheuer nicht sicher noch
geheym war. Aber er belvümmert sich wenig darum. Als nun dieser arzet
solch ding hört, die ihm gar fremd fürliämen, auch vermerclit, dass man nit
sicher in den keller gehen, noch bisweilen unangefochten schlafen konnte, da
fühl ihm ein, wie damals eyn junger Student aus Portugal da studirte, der
an eyns jungen kinds nageln absehen könnt, was in eyn haus und
ort verborgen were. Den beschickt er, der braucht sein kunst. Da sagt das
töchterlein als es gefragt ward, es sehe eyn weib ganz herlich und reich-
lich mit gülden ketten geschmeyden und kleinoden geschmückt, M'elchs bey
einem pfeiler eine kertz in der band hielte. Der Student sagt alsbald zum
doctor, dass er bei einem pfeiler im keller graben liese , so werd er eynen
schätz finden. — Hiemit in Verbindung steht der aargauische Glaube , ein
Kind könne sich im linlien Händchen sehen, so lange es noch in keinen Spie-
gel geschaut hat. Rocholz, Alemann. Kinderlied 318, 776.
1) Antiquarisk tidskr. 1849 — 51 305, 4.
2 ) Sigdrifum 7 : Ölrünar skaltu kunna, ef jjü vill aunars kvaen velit ]jik
i trygg, ef jju trüir; ä horni skal [aer rista ok ä handar baki, ok merkja
ä nagli N auö-
3) S. Kirchhoff, Das gothische Runenalphabet S. 25. Zacher, Das go-
thische Alphabet S. 15.
4) Vergl. Liljencron, Zur Runenlehre S. 23.
5) Cap. 75. SnE. Arnam. I, 557.
623
sogar persönlich als Schicksal auf „Nauör um skilgi. "
NauSr war mithin ein Zeichen des Geschicks, zunächst
des Todes. Das ags. Runenlied legt Neäg jedoch auch
heilsame Schicksalswirkung bei.
Not ist in der Brust
den Menschenkindern,
doch gereicht sie zu Hilfe
und zum Heile beides,
wenn sie darauf
hören zuvor ').
Einige Strophen weiterhin sagt Brynhildr ausdrücklich, dass
auf dem Nagel der Norm selbst eine Rune stehe. Es
ist von Hugrunen die Rede, welche Oöinn zuerst aus-
erdacht :
Auf dem Schilde stünden sie vor dem scheinenden Gott
Auf Arvakrs Ohr und Alsvigrs Huf,
Auf dem Rad, das da rollt unter Rögnirs (OSins) Wagen,
Auf des Rosses Zähnen, auf des Schlittens Bändern,
Auf des Bären Tatze, auf des Dichters Zunge,
Auf den Klauen des Wolfs, auf des Adlers Schnabel
Und blutigen Schwingen, auf der Brücke Kopf,
Auf des Lösenden Hand, auf des Lindernden Ferse,
Auf Gold und Glas, auf der Menschen Heilmitteln
(ominibus)
In Wein und Würze, auf der Völe Sitz,
Auf Speeres Spitze und Rosses Brust,
Auf dem Nagel der Norn (a nornar nagli), und
der Nachteule Schnabel '^).
Wie bereits Müllenhoflf dargetan hat ^), bezeichnen die
Hugrunen „die wesentliche eigentümliche Kraft, die den
Dingen einwohnt, tugent würde man mhd. sagen, was im
1) W. Grimm, Deutsche Runen 219. 227: nyö ^yö nearu on breostum
niöa bearnum, weoröeS heo swä ]?eäh to helpe oftost, and to haele gehwäöre,
gif hi bis hlystaö cerör.
2) Sigrdrifum. 15. 16. 17. Für den Dichter und das Ross sind hier
die poetischen Ausdrücke Bragi, Sleipnir und Grani gebraucht.
3) Zur Runenlehre S. 47.
Nordischen hier im höheren Styl hugr Geist, oder Seele
der Dinge heilst." Wer diese kennt, sieht kommende Er-
eignisse voraus und vermag sie zu berechnen, während sie
Uneingeweihten verborgen bleiben. Nach Tacitus Bericht •)
entnahm man aus dem Wiehern -) und Schnauben schnee-
weifser vom Priester umgeführter, in heiligen Hainen von
Gemeindewegen gehaltener Rosse weifsagende und mah-
nende Zeichen. Dass solche Rosse auch im Norden gehal-
ten wurden, wissen wir, wenngleich keine Stelle über ihre
Anwendung in der Mantik berichtet ^). Daher erklärt
sich die Rune auf des Rosses Zähnen. Die weifse Farbe
lässt vermuten, dass sie dem Sonnengott geweiht waren.
Im Norden weideten heilige Rosse beim Tempel des Son-
nengottes Freyr. Vermute ich recht, so wurde die W^ei-
fsagung nicht allein aus dem Wiehern der Rosse genom-
men, sondern auch die Gegend wohin sie horchend die
Ohren spitzten, die Art ihres Ganges*) wurde in Be-
tracht gezogen. Hieraus würde sich erklären, warum auf
Arvakrs und Alsviörs, der beiden himmlischen Sonnenrosse
Ohr und Huf°) Runen stehen. Sie sind Vorbilder der
1) Germ. 10.
2) Am 24sten December gehen die Mädchen in der Lausitz an die Türe
des Pferdestalles und horchen, ob eins wiehert. Geschieht dies, so verhei-
raten sie sich im nächsten Jahre. Haupt und Schmaler, Wendische Volksl.
II, 260. Nach der Chemnitzer Eockenphilosophie Myth.' LXXVI, 239 soll
fleifsig zuhören, wer Pferdegewieher vernimmt, denn sie deuten gut Glück an.
Vergl. Myth.2 604.
3) Myth.2 022.
4) Aus deutschen Gegenden ist mir nichts Hierherdeutendes bekannt.
Unter Slaven aber herscht der Glaube, dass sich etwas Ungewöhnliches be-
geben werde, wenn Jemand ausreitet und das Eoss scharrt. Schwenck,
Slavische Mythologie S. 41. In den slavischeu Volksliedern gilt das Stol-
pern des Eosses für ein übles Anzeichen. Jahrbücher f. slav. Liter. 1853
1. H. S. 24. Ueber den Gebrauch heiliger Eosse zur Wahrsagung bei den
Slaven vergl. Hanus, Zur slavischen Eunenfrage 1856 S. 41 (a. Archiv f. k.
östr. Geschichtsqu. B. XVIII.)
5) J. Grimm erinnert Mvth.^ 621 an einen Zug der Tiersage. Die be-
reits bei Aesop bekannte (Eeinhard Fuchs CCLIII) im neugriechischan Epos
Paddooi' Xi'y.oi- y.a.1 dlovnov^ öii'jvrjaK; woaict wiederkehrende (J. Grimm,
Sendschreiben über Eeinhard Fuchs 7, 3) Fabel vom Esel, der durch den
Wolf sich einen Dorn aus dem Fufs ziehen lässt und ihn darauf durch einen
Schlag ins Gesicht betäubt, wird in der germanischen Ueberliefenmg auf den
Maulesel oder die Stute übertragen. Ersterer heifst den Wolf unter sei-
625
zur Weifsasjuno; gebrauchten irdischen Sonnenrosse. Ein
gewöhnliches Zaubermittel des Nordens die Neidstange,
welche meistenteils aus einem auf einen Stab aufgerichte-
ten Rosshaupt bestand, wurde auch in der Art verfertigt,
dass man eine Stange, die ein aus Holz geschnitztes Men-
schenhaupt trug, in die Brust eines geschlachteten Rosses
steckte '). Erklärt sich daraus die Rune auf des Rosses
(Sleipnirs) Brust? Des Wolfes An gang ist gut s. oben
S. 561 ^). Deshalb ist auf seiner Klaue eine Rune geschrie-
ben, ebenso auf dem Schnabel der Eule, da deren Ruf Tod
vorhersagt. Der Adler ist Symbol des Windes, wenn er
die Klauen senkt, entsteht Sturm ^). In Heubuden bei
Danzig hielt eine alte Frau neben andern Zaubermitteln
ein buntes Stück Glas in Ehren. Sie nannte es Glücks-
glas. Finden wir mithin, dass die Hugrune auf denjenigen
Gliedern geschrieben steht, durch welche die höhere Natur,
die Zaubermacht heiliger Tiere oder Persönlichkeiten sich am
meisten kund giebt, so wird auch die Rune auf dem Na-
gel der Nörn vermuten lassen, dass durch den Nagel
die Kraft oder das eigentliche Wesen der Schicksalsgöttin
sich am lebendigsten äufsert. Es ist dies in der Tat der Fall.
Denn man stellte sich, wie wir gesehen haben, in älterer
Zeit die Nörne vor als selbst in die Schlacht, oder an das
Bett des Menschen herantretend und mit grausamer Hand
ihr Opfer ergreifend. Man wird nicht verfehlt haben, ihr
scharfe Nägel, furchtbare Krallen beizulegen, wie sie den
Gestalten der Unterwelt zugeschrieben zu werden pflegen*).
nem Huf den Namen seines Vaters lesen (Extravag. 423), letztere giebt ihm
darunter das Alter ihres Füllens (Haltrich, Tiersage 27, XII) oder den Preis,
Tim den sie dasselbe verkaufen will (IJeinaert und Reinke) zu lesen. Bei den
Slaven in der Lausitz (Haupt und Schmaler II, 161) lässt die Stute wie-
derum den Wolf einen Dorn aus dem Fufse ziehn. Gab es eine deutsche
Ueberlieferung, wonach Schrift unter dem Huf des Rosses zu lesen war und
ist diese in die fremde Tierfabel hineingetragen? und wenn dem so war, ist
es erlaubt, diese Schrift mit der Rune auf Alsvißrs Huf 7,usammenzuhalten?
1) Myth.' 625.
2) Vergl. Myth.'^ 1079 fgg.
3) Myth.2 600. Vergl. oben S. 186.
4) In Hesiods scut. Herc. erscheinen die Keren und Moiren mit Kral-
len V. 248-267:
40
626
Es lieo-t auf der Hand, wie die grausame tötende Schick-
salso-öttin mit den leichenbungrigen mordlustigen Riesinnen
sich berührt; wir sahen bereits oben S. 198, dass eine Rie-
sin wie die todverküudende Eule heilst. Unter den Na-
men der Trollvveiber finde ich auch HarSgreip (bei Saxo
Harthgrepa) die Hartgreifende und Loöinfingra (villosa
dio"itis) aufgeführt'). Die schatzhütende weifse Frau von
hohem Wuchs, welche auf dem Schlosse zu Thurmberg mit
dem Schlüsselbunde an der Seite erscheint, trägt lange
Fino-ernägeP). Sie wird dadurch als getötet, als Seele
oder als tötende Göttin = Holda s. oben S. 263 bezeich-
net. Es wird hiernach deutlich sein, weswegen auf dem
Nao-el der tötenden Schicksalsgöttin eine Rune
steht; und weshalb die Rune NauSr, das Zeichen der Nör-
nen, auf den Nagel geritzt, heilsame Schicksalswendung
hervorbringen soll. Der Nagel, ursprünglich das Symbol
at (5J fiiT avToi't;
Krnf^ y.väi'taij '/.ivy.ovq a^ußmaai odoviaq,
Seu'o>-:iol ßloavooi t« datpoivoi r unXrixol ts
8i]ot.v ty_ov niol 7H--xx6i'tuiv. ■jiäaai' 8 äo i'evro
alticc f^iilav Tiiiiiiv' ov dl tiomtov (.K/xanouv
y.itinrov fj -nlntovxa vtovzutov, aaq)l ftfv avXM
ßn).}.' ow/aq f^t iyäXovi;, ipf/r; d' A'idoade xaTilcv
Taoraoov iq y.ov6ev& , «t dh q^Qii'uq ivx auiaO-i'XO
aiuaxoq arJ^OjMtoi», x6%' fxiv q inxtxa y.ov 07i(aao>,
ailJ ö' ouaäov y.ccl /xöjlov i&vvfov avitq iovaat,.
K).o)&(i} y.ccl Aa/jaCq ffq.ir i(pi(Txaaav' ^ fth' vqttjaifmv
"jixooTtoq ovTi nü.iv /iiycci.fi O-foq, aD. rioa, ijyt
xöyv ys ufi' nD.atuv 7iooq>fu}';q x t'jv ri qkt ßvx ax t] rs.
Tiäaaiy d' üuqt hl (puxl /tta/rjv doiftdctv i&ivxo.
deivd. d^ iq dilXijXnq doaxov ö//,a«crt &VftrjVaacn.
iv &' 6vv/_aq yiiQaq ts \)-na(Tfiaq iawauixn.
Ttceo i3' 'AyJ.vq ftcTTfjxfi iniauvyf^rj xa y.ul atit],
^).WQy], ävaxalirj, ).ifio) xaxaTZfnx7]vlft^
yovvoTia/7]:, fiay.Qol ä ovvxfq yiC otaffiv iTtijaav.
Vergl. Hör. epod. 5, 91 — 95:
Quin, ubi perire jussus exspiravero,
nocturnus occurram Furor,
petamque vultus Umbra curvis unguibus
(quae vis deorum est Manium)
et inquietis assidens praecordiis
pavore somnos auferam.
1) Skäldskaparm. k. 75.
2) Baader, Badische Volkssag. S. 198, No. 215, Auch die seelenraubenden
Nixe haben Krallen. Sommer, Sagen No. 34 S. 38. Nach Sommer a. a. 0. 172
sollen auch die nordischen Skogsrä (vgl. oben S. 53) Krallen an den Fin-
gern haben. Riesen mit eisernen Fingernägeln s. Rocholz, Aargaus. II, 223.
627
der tötenden Nor n, war ein den Nornen überhaupt ge-
heiligtes Glied geworden '). Wie der feroeische Glaube uns
lehrt, galten die weifsen Punkte auf den Nägeln als
Zeichen , welche die Nornen selbst auf das ihnen heilige
Glied vorbedeutsam gemerkt. Wir sahen, dass auch in
Deutschland jene Zeichen schicksalverkündende Kraft hat-
ten. Werden sie nicht auch hier als Zeichen der Schick-
salsgöttinnen gegolten haben? Mit Sicherheit wird erst
weitere Forschung hierüber urteilen lassen. Es fragt sich
nämlich, ob die Nägelflecke nicht etwa von uralter vorger-
manischer Zeit her als Schicksalszeichen galten, die nur
im Norden zu den Nornen in Beziehung gesetzt wurden,
bei Südgermanen aber nicht. In Lausanne, wo burgun-
dische Uoberlieferung nachwirkt, sagt man ebenfalls, „les
taches oder des points blancs apportent du bonheur;" in
Krakau: „kwitnie szczentcie za posnochcziem , das Glück
blüht unter den Nägeln;" in Böhmen: roste nin stesti es
wächst ihm Glück ^);" in der Lombardei: „jeder Nagel-
flecken bedeutet eine Lüge '^j." Hier überall dürfte ger-
manischer Einfluss angenommen werden. Aber auch die
Südslaven meinen, soviel Flecke einer auf den Nägeln hat,
soviel Eier hat er der Grofsmutter gestohlen '^). Eine nicht
unwichtige Stütze für die Deutschheit der Snperstition und
ihre Beziehung auf die Schicksalsgöttinnen bietet jedoch
der schwäbische Glaube: „Wenn ein Nagel am Finger blüht,
hat man Glück. Andere sagen, soviel weifse Flecke
man habe, soviel Jahre lebe man noch"^).
Dass die Rune der Nörn vom Nagel und dem Fin-
ger schon in heidnischer Zeit auf die Hand übertragen
w^urde, geht aus der oben S. 622 angeführten Str. 7 des
Sigrdrifumfil hervor, wonach die Älrune auf den Rücken
der Hand (ä handar baki) geritzt werden soll. Hiemit
1) Vergleiche Wodans geheiligtes Glied, die Woedenspanne, Woenlct.
Myth.'-* 145.
2) Mitteilung von Prof. Hanns in Prag.
3) Mitteilung des Dr. Bossi aus Mailand.
4) Mitteilung des Kaplan Matkovi(5 aus Agraiii.
5) Meier, Schwab. Sagen 503, 361.
40*
628
häno-en nun unzweifelhaft die Döduingsknib sowie die an-
deren oben angemerkten schicksalverkündenden Flecke zu-
sammen, da diese, wie deutlich verfolgt werden kann, von
der Hand aus auf den übrigen Körper übertragen sind.
Der heutige Aberglaube unter Dänen schreibt sie gespen-
stischen Wesen, den Doedningern zu, „diese sollen sich (wie
Oldenburg „om gjenfaerd'- berichtet) auf Kirchhöfen auf-
halten, die Leute erschrecken und nach ihnen greifen.
Sie verursachen damit teils das innere Leiden, welches
Grep genannt wird, teils die blauen oder gelben Flecke,
welche sich auf den Händen befinden, und doedninge-plet-
ter heifsen." Sei es nun, dass jene Geister eine Abschwä-
chung der älteren Nomen sind, sei es, dass anderen Un-
terweltswesen, Nachtgeistern ') dieselbe Verrichtung zuge-
schrieben wird, wie den Schicksalsgöttinen, immerhin be-
zeuo-t unsere Stelle in Verbindung mit dem deutschen Glau-
ben oben S. 618 Anm. 1, dass man persönliche mythische
Gestalten, tötende Schicksalswesen als Ursache derselben
dachte.
Mit der nachgewiesenen Heiligkeit des Nagels im
Dienste der Schicksalsgöttinnen hängt mannigfacher an-
derer Aberglaube zusammen. Auf Island sagt man „Naer-
skornar nöglur foer mörgum öfeigum i hei komiö; auf den
Fseroeer Kväldskorin naglur verSur ofta öfeigum manni at
bana" (am Abend geschorene Nägel werden oft eines ge-
sunden Mannes Tod-); in Deutschland; „es seind auch
viele abero-läubische Kranke, welche sich nicht getrauen die
Näo-el abzuschneiden, wie sie ich weifs nicht was für eine
Gefahr dadurch sich zuziehen sollen ''). Ebendahin zielt
auch der rheinische Glaube, mit den Nägeln etwas Geseg-
netes berühren sei Todsünde. Da die Nomen mit Freyja-
Fria — wie wir sehen werden — in enger Verbindung stehn,
1) Zum Teil den Toten selbst. S. Myth.i CXLVIII, LV den Segen
gegen den Grep (GrifF): Jeg gjör at dette menneske for berggrep, for söegrep,
for dödmansgrep, for alle de grep, som falde imellem himmel ochjord.
2) Antiquarisk tidskr. 1849 — 51.
3) Eines Weimarschen Medici muthmafsliche Gedanken von denen Vam-
p^Ten. Leipzig 1732 S. 69.
629
erklärt sich daraus vielleicht der Glaube, dass man Frei-
tags die Nägel schneiden müsse ').
Mit dem Abschneiden der Nägel war von alters her
mannigfache Superstition verbunden. Schon Hesiod lehrt
(op. et. d. 742):
ftijö' ccTid Trevrö'Qoio ■d'eMV h'l öuiri t9a?.eüj
ccvov änd y'AojQov ra^ivsiv äi&wvi ütö/jOG).
Plin. bist, natur. XXVIII, c. s. sect. 5: Unguis rese-
cari nundinis Romanis a digito indice raultorum pecuniae
religiosum est, capiUum vero contra difluvia ac dolores ca-
pitis XVII luna atque XXIX ^). Petron satyr. cap. 104:
Audio enim non licere cuiquam mortalium in nave neque
ungues, neque capillos deponere nisi quum pelago ventus
irascitur. Merkwürdig ist die mehrfach vorkommende Sitte,
die abgeschnittenen Nägel aufzubewahren. Zarathushtra
gebot, die abgeschnittenen Nägel und Haare in einem Loch
unterhalb des Hauses, so grofs wie des Fingers unterstes
Glied, 10 Schritte fort von reinen Männern, 10 vom Feuer,
30 vom Wasser zu vergraben und dem Ahuna-vairya oder
Vogel Ashözusta zu weihen als Schwert, Bogen, raschflie-
gende Pfeile und Schleudern gegen die Daevas. Unterbleibt
dies, so fällt man den bösen Geistern selbst anheim ''). In
einem ostpreufsischen Heidengrabe am Fufs des Aplenker
Schlossberges fand Gisevius einen 5 Ellen langen Gürtel,
mit einer viereckigen Kapsel am Hakenende versehen, die
an einer kurzen Kette hing. Die Kapsel war vernietet;
man öffnete sie und fand Menschennägel, wie es schien iu
Spinngewebe eingewickelt. Offenbar ein Amulet. Ein ähn-
1) Myth.' CXIV, 138. Dänemark — Wer Freitags die Nägel schneidet
hat Geld. Panzer, Beitrag I, 157, 4. On ne doit pas se couper les ongles
un des jours de la semaine ou il taut une K pour ecrire le nom de ce jour.
De Nore, Mythcs coutumes etc. p. 99). (Montagne noire). Man würde sich
dadurch Nagelwurzeln zuziehen, Wolf, Beitr. I, 251, 623. In England ver-
bietet man die Nägel am Christfest zu schneiden Wolf, Beitr. I, 246, 530.
Die Nägel am Freitag abschneiden liilft vor Zahnweh. Tettau und Temme,
Preufs. Sagen 283. Es bringt Glück. Wolf, Beitr. I, 238, 455. Dagegen soll
mau die Nägel nie Sonntags schneiden, sonst hat man die Woche hindurch
Unglück. Wolf, Beiträge I. 217, 179. Mündl. Wulkow bei Ncuruppin d.
Kantor Amthor.
2) Spiegel Avesta, Fargard XVII, S. 225.
3) Atque digito indice moveri pecuniam religiosum est. Gronov.
630
lieber Gürtel mit der Kapsel ist bei Tilsit gefunden wor-
den '). Hiermit stimmt nabe der Braucb alter Weiber bei
Danzig überein, die abgeschnittenen Nägel sorgfältig in
einem Säcklein verwahrt unter die Schwelle zu legen. Das
bringt dem Hause Glück. Beschneidet man (in Oldenburg)
Nägel an Händen und Füfsen und tut sie sammt den Haa-
ren in ein Tuch, das man 3 Tage vor dem Neumond in
das Loch eines Hollunderbaums steckt, und darin mit einem
Pflock verkeilt, so wird man der Unfruchtbarkeit ledig ^).
Auch gegen die Epilepsie hilft es, Nägel von Händen und
Füfsen in einen Eichbaum zu verkeilen ^). Gegen das Fie-
ber soll gut sein, dem Patienten an Händen und Füfsen
die Nägel abzuschneiden, in ein Tuch zu legen und einem
lebendigen Bachkrebs auf den Rücken zu binden, der wie-
der ins Wasser geworfen wird ■•). Die Aerzte des gemei-
nen Volks unter den Russen beschneiden den Kranken
dann und wann die Nägel an Händen und Füfsen, nehmen
ein Ei, machen mit Geschick einen Riss, tun die Nägel
hinein und verkleben die Oeffnung, worauf sie das Ei in
den Wald legen, damit ein Vogel es wegtrage und die
Krankheit dazu^).
Unter den Kassuben zu Ruzau bei Putzig lehren die
alten Frauen noch heute, man müsse sorgfältig die Nägel
abschneiden und in einem Säckchen auf der Brust tragen,
sonst habe man sie nach dem Tode wieder zu su-
chen. Dieser slavische Glaube erinnert an das Gebot der
Eddenlehre, dem Toten ja die Nägel zu schneiden, um den
1) Gisevius, Neue preufs. Provincialbl. VI. 1848 S. 334. Anm. 3.
2) Most, Die sympathetischen Mittel und Kurniethoden, gesammelt und
zum Teil selbst geprüft, historisch kritisch beleuchtet und naturwissenschaft-
lich gedeutet, Rostocic 1842 S. 63.
3) Most a. a. 0. 62.
4) Enthüllte Geheimnisse der S^inpathie. Schwäbisch Hall s. a. S. 15.
5) Ermann, Archiv f. wissenschaftl. Kunde Russlands I. 1841 S. 627.
Sogar bei den Peruanern wurden dem Kind, wenn es in der Zeit vom lOten
bis 12ten Jahre einen neuen Namen erhielt, die Haare und Nägel abgeschnit-
ten und aufbewahrt ; oder der Sonne , mitunter den Schutzgeistem geopfert.
Müller, American. Urreligion S. 389 nach Cieza, Cronica, del Peru. Sevilla
cap. 66.
631
Bau des aus den Nägeln der Gestorbenen zusammengesetz-
ten Totenschiffes Naglfari zu verhindern, und das damit in
Verbindung stehende Hereinbrechen des Weltuntergangs
in die Länge zu schieben ^). Die sinnreiche Deutung, wel-
che Simrock davon gab^), dürfte sich dahin modificieren,
dass die symbolische Bedeutung der Nägel im
Mythus der tötenden Schicksalsgöttinnen min-
destens mitgewirkt, das letzte Verhängnis über
die Welt durch ein aus Nägeln erbautes Schiff
herbeiführen zu lassen.
Wie wir demnach die südgermanischen Schicksalsgöt-
tinnen als eigenhändig tötende Wesen nachweisen können,
lehren uns ältere Zeugnisse dieselben auch als Vorsteherin-
nen der Geburten kennen.
Nicht mit Sicherheit auf o-ermanischen Glauben zu be-
ziehen ist, was der h. Eligius (Bischof von Vermanton,
■\- um 681) in seinem „Sermo ad omnem plebem de recti-
tudine catholicae conversationis" verbietet: Nullus sibi pro-
ponat fatum vel fortunam aut genesin, quod vulgo na-
scentia dicitur ut dicat „qualem nascentia attulit,
taliter erit"^). Hiermit aber stimmt ein augenscheinlich
deutscher Ueberlieferung entnommenes Zeugnis bei Burk-
hard von Worms überein: ed. Colon. 1548 p. 198c. Cre-
didisti, quod quidam credere solent, ut illae quae a vulgo
Parcae vocantur, ipsae vel sint vel possint hoc facere
quod creduntur id est dum aliquis homo nascitur et
tunc valeant illum designare ad hoc quod velint, ut quan-
docunque homo ille voluerit in lupum transformari possit,
quod vulgaris stultitia werwolf vocat, aut in aliam ali-
quam figuram p. 198d. fecisti ut quaedam mulieres in
quibusdam temporibus anni facere solent, ut in domo tua
niensam praeparares et tuos cibos et potura cum
1) Nach Thom. Bartholin, histor. anatom. rar. cent. III. hist. 78 ver-
fertigen die Engel ihre Posaunen aus den mit ins Grab gcuommeneu Nägeln
der Toten.
2) Ilandb. d. D. ]Mvth. 149 fgg.
3) Mytb.' XXX.
632
tribus cultellis supra mensam poneres, ut si venissent
tres illae sorores, quas antiqua posteritas et antiqua stul-
titiaParcas nominavit, ibi reficerentur et tulisti divi-
nae pietati potestatem suam et noraen suum et diabolo tra-
didisti, ita dico, ut crederes illas quas tu dicis esse sorores
tibi posse aut hie aut in futuro prodesse.
Wir entnehmen aus diesen Stellen zunächst die Ge-
wissheit, dass die deutschen Schicksalsgöttinnen bei
der Geburt der Kinder zugegen waren und bestimmend
auf das zukünftige Leben derselben einwirkten. Ihnen
stellte man auf einem besonderen Tische Speisen hin.
Diese Nachricht stimmt einerseits mit der nordischen Nör-
nengrütze (nörnagreytur) s. oben S. 588, anderseits mit
den goldenen Tellern, welche im Märchen von Dorn-
röschen s. oben S. 611 den weisen Frauen vorgesetzt wer-
den. Die Stelle bei Burkhard erweist, dass wir mit Recht
in den weisen Frauen des Märchens die Schicksalsgöttin-
nen erkannten. Dass wir dort die Spindel ebenfalls rich-
tig als Schicksalsnagel auffassten, geht aus einem italiäni-
schen Märchen im Pentamerone hervor. Eine edele Jung-
frau Cilla springt über ein Rosenblatt und wird davon in
3 Tagen schwanger. Sie flieht zu befreundeten Feen und
kommt heimlich mit einem hübschen Töchterchen nieder.
Jede der Feen verleiht dem Mägdelein — das Lisa ge-
nannt wird — einen Zaubersegen; die letzte von ihnen je-
doch, welche rasch herbeieilen wollte um das Kind zu se-
hen, verrenkte sich unglücklicherweise den Fufs und stiefs
aus Schmerz darüber die Verwünschung aus, dass wenn
Lisa einst im Alter von ? Jahren von der Mutter ge-
kämmt würde, diese ihr aus Vergesslichkeit den Kamm
im Haar stecken lassen und Lisa dadurch sterben sollte.
Lisa stirbt auf diese Weise, die Mutter schliefst ihren
Leichnam in 7 Krystallsärge. Nach Jahren wird Lisa
durch ihre eifersüchtige Muhme aus den Särgen herausge-
rissen, der Kamm springt heraus und sie erwacht '). Hier
1) Pentamerone übers, von Liebrecht I, S. 218 Die Küchenmagd.
633
entspricht der Kamm genau dem Werkzeug, durch wel-
ches Snewittken getötet wird. Wir erkannten darin eine
andere Gestalt des Schicksalsnagels. Der Tod durch ihn
wird der Lisa wie Dornröschen schon bei der Geburt durch
eine böse Schicksalsmacht zuerkannt.
Was Burkhard bezüglich der Verwandlung in den
Werwolf sa2;t, findet Analo2;ien in norddeutschen Sa<2;en.
In Pommerellen erzählt man, dass durch einen während
der Taufe gemurmelten Spruch, Kinder dazu verwünscht
werden können, Maren zu sein. Dieses Unheil kann nur
durch eine zweite Taufe abgenommen werden ^). Eine
Wirtstochter war zur Verwunderunsj ihrer Ano;ehörio;en an
jedem Morgen todmüde. Ein alter Bettler, der einst im
Krug übernachtete, hörte wie sie in der Nacht sich bitter
beklagte ausfliegen und Menschen und Tiere drücken zu
müssen. Da riet er dem Vater, sie noch einmal taufen zu
lassen. Als dies geschehen war, wurde das Mädchen ge-
sund. Von einem Deutschen in ganz kassubischer Gegend
(in Grofsendorf am Fufse der Halbinsel Heia) hörte ich die
folgende Sage, Eine grofse Gesellschaft fuhr zur Kirche,
um ein Kind taufen zu lassen. Im letzten Wagen safsen
1) Der gleiche Glaube hat auf der Insel Rügen statt, s. Zs. f. D. Myth.
II, 139. Auch Kuhn, Nordd. Sagen 91, 102 bringt bei, dass die Märte ein
von den Paten verwünschter Mensch ist. Die vollständige Uebereinstimmung
dieses Glaubens mit dem von Burkhard von Worms erwähnten geht aus fol-
gender Parallele deutlich hervor. In Ostfriesland sagt man, von 7 Mädchen
aus einer Ehe unmittelbar aufeinander geboren, ist eins ein Werwolf. Myth.'
CLIX, 1121. In Moorhausmoor: Wenn 7 Knaben oder 7 Mädchen in einer
Familie sind, so ist eins davon ein Nachtmahr, weifs aber nichts davon.
Kuhn, Nordd. Sagen 420, 198. Höchst merkwürdig ist der Myth.» CXVI,
167 beigebrachte dänische Aberglaube, wonach eine Braut vermittelst eines
gewissen Zaubers sieh eine schmerzlose Geburt verschaffen kann, aber alle
ihre Söhne werden Werwölfe, alle Töchter Mären ,,naar en pige ved mid-
nat udspänder mellem fire kjeppe den binde, i hvilken föllet er, naar
det nastes, og derpaa nögen kryber derigjennem da vil hun kanne föde bjöm
uden smerte, men alle de drenge hun undfanger, blive värulve og alle de
piger blive marer. Vergl. Westerdabi, Om svenska seder p. 28: Oni bruden
kryper genom en sela, fär hou barn utan möda, hvilka dock skola blifva
muror. — Myth.^ 1050 ist aus Thiele, Danske folkesagn I, 133 beigebracht,
dass der Werwolf bei Tage in Menschengestalt erscheine, aber an den über
der Nase zusammengewachsenen Augenbraunen zu erkennen sei.
Gerade daran erkennt man auch die Maren, s. z. B. Kuhn, Nordd. Sagen
721, 193. Grimm, D. Sagen No. 80. — Vergl. noch Wierus de präcstigiis
daemonum 174. MüUenhoff, Sag. No. 322 S. 242. Wolf. Beitr. II. 264. 65.
634
drei alte Weiber. Sie berieten unter einander, was sie
dem Kinde anwünschen sollten. Die eine sprach, es soll
eine Mahrt werden und die Baumspitzen drücken. Die
zweite stimmte ein, meinte aber, es solle den Dornstrauch
drücken. Die dritte aber sagte „nein, Wasser und Eis
sollte es billig martern (d. h. mährten)." Diese Reden
hörte ein Mann, der hinter einem Baume stand, der lief
zum Vater des Kindes und sagte es ihm. Die drei Ge-
vatterinnen wurden eiligst vom Taufzuge ausgeschlossen
und so das Kind gerettet. • — Ob hier, wie Wolf) an-
nimmt, die Schicksalsgüttinnen einst an Stelle der drei al-
ten Weiber standen, wird sich schwerlich erweisen lassen.
Die Gegenwart der Schicksalsgöttinnen bei der Taufe dürfte
übrigens durch folgenden Aberglauben bezeugt werden.
AVenn ein Kind hundert Jahre alt werden soll, muss man
aus drei Kirchspielen Gevatter dazu bitten -). Hiezu halte
man noch, wer zu Gevatter stehen soll und sich schon zur
Kirche angezogen hat, darf nicht sein Wasser abschlagen,
sonst wird das Kind unreinlich ^). Wenn die Paten wäh-
rend der Taufhandlung an die Mondsucht oder ein ähnli-
ches üebel denken, stöfst dies späterhin dem Patchen zu *).
Wenn das Kind zur Taufe getragen wird, soll die Mutter
währenddess zehnerlei Arbeit tun, dann wird das Kind recht
fleifsig und lernt viel. Während der Tanfe darf man das
Kind nicht schütteln, sonst reifst es nachher viel Kleider
entzwei^). Im Emmental (Kanton Bern) heifst es: wenn
man dem Täufling vor dem Gange zur Kirche ein Stück-
chen Käse und Brod einbindet, so leidet er in seinem
Leben keinen Mangel. Im Emmental und Oberaargau:
wird auf dem Wege zur Kirche oder zurück mit dem Täuf-
lins: rreruht, so wird er immer einen beschwerlichen Kirch-
1) Beiträge II, 200.
2) Rockenphilos. I, 29.
3) Rockenphilos. I, 58.
4) Tettau und Temme, Preufs. Sagen 279.
5) Kuhn, Xordd. Sagen 432, 271.
635
gang haben') oder er bekommt einen schweren Tritt ^).
Wenn die Gote das Kind aufnimmt, um es zur Taufe zu
tragen, muss sie es küssen. Dann bekommt es Grübchen
beim Lachen^). Legt man in des Kindes erstes Bad
drei Pfennige, so hat es immer Geld; eine Schreibfeder,
so lernt es leicht; einen Rosenkranz, so wird es fromm;
ein Ei, so bekommt es eine klare Stimme ■*). In der Mark
wird das neugeborne Kind in ein Laken gebunden, still-
schweigend unter den Tisch gelegt und erst hervorge-
nommen, wenn die Mutter ins Bett gebracht ist, sonst ist
das Kind nicht ruhis;. Vor dem darauf folgenden ersten
Bade wird der Knabe auf ein Pferd gesetzt, das zu dem
Ende in die Stube gebracht wird, das Mädchen muss but-
tern. "Während des Badens wirft der Vater häufig ei-
nen Gulden in die Wanne, damit das Kind reich werde *).
Wird beim Kochen des ersten Breis oder der Tauf-
mahlzeit gesungen, so lernt das Kind gut singen").
Aus den beigebrachten Zeugnissen geht hervor, dass
man Wünschen und Vorbedeutungen während der Taufe
Erfüllung im künftigen Leben des Kindes verhiefs. Da
an Stelle der Taufe auch das erste Bad des Kindes tritt,
steht zu vermuten, dass diese Superstitionen ursprünglich
von der heidnischen Wasserbesprengung galten "). Obige
1) Zeitschr. f. D. Myth. IV. 2, 23. 3, 25.
2) Kocholz, Alemannisches Kinderlied 295, 661.
3) Rocholz a. a. 0. 295, 657.
4) Aus dem Lande ob der Eus. Myth.' XCVII, 735.
5) Kuhn, Mark. Sagen 364.
6) Canton Bern (Oberaargau, Eniniental), Zeitschr. f. D. Myth. IV. 2,
18. Vergl. noch Wolf, Beiträge I, 206, 3. 4. 14. 207, 22. 24. Kuhn,
Mark. Sagen 364 fgg.
7) Darf für das Dasein der heidnischnn Wasserbegiefsung in Deutsch-
land die folgende Stelle aus einem Briefe Gregors an Bonifaz a. 732 nam-
haft gemacht werden: Quos a paganis baptizatos esse assreuisti, si ita
habetur ut denuo baptizes in nomine sanctae trinitatis mandamus.
(?) Ep. Bonifac. ed. Giles ep. XXV. p. 68. Teber diese Frage bei anderer
Gelegenheit etwas Ausführlicheres. Man vergl. übrigens zu S. 313 noch: Um
demütig zu werden wird ein neugcbornes Mädchen unter den Tisch ge-
legt und in die Tatschen werden ihm Brod und Käse eingewickelt, damit es
nie Mangel leide ,,bi bube isch das öppe nit sollt nötig." Jer. Gotthelf, W^ie
636
Stelle aus Burkhards Decretensammlung macht mehr als
wahrscheinlich, dass die gute oder böse Schicksalseinwir-
kung während der Taufe ursprünglich von den Kornea aus-
gehend gedacht wurde. Untersuchen wir nun Avelcher Art
dieselbe war, so bezog sie sich, wie im Norden s. oben
S. 588 einerseits auf gewisse Eigenschaften, andererseits
finden wir weiteren Halt für das was wir oben S. 311 fgg.
zu erkennen glaubten, dass nämlich mit der Wasserbegie-
isung erst die Körperlichkeit des jungen Menschen als ge-
festigt betrachtet wurde. Nichts anderes scheint nämlich
die Analyse des Zuges zu ergeben, dass die Schicksalsgöt-
tinnen bestimmen, ob das Kind Werwolf, Mär u. s. w.
werden, d. h. seelische Natur behalten, oder zu wirklicher
Menschheit gedeihen soll. Ich führe noch die folgenden
Züge an. Wenn während der Taufe die Uhr schlägt,
stirbt das Kind; wenn die Uhr vor der Taufe schlägt und
das Kind stirbt, wird es ein Lichtmann'). Wenn ein
Kind zwei Freitage ohne Taufe lieo-t, wird es geister-
sichtig (kann schichtern)-). Man muss das Kind tief
überdeckt zur Kirche tragen, sonst fressen es Sonne
und Luft 3).
Dass die deutschen Schicksalsgöttinnen aber auch des
Lebens Anfang selbst, das Eintreten der Seele in mensch-
lichen Körper bestimmten, lässt sich mit grofser Wahr-
scheinlichkeit aus der Formel sächs. aldarlagu, aldar-
gilagu, dies vitae, vita Helj. 118, 23. 125, 15 ags. aldor-
Anne Bäbi Jowäger haushaltet. Solothurn 1843 II, 137. — Evangiles des
quenouUles V, 87: (daraus aufgenommen in der alten Weiber Philosophey.
Zeitschr. f. D. Myth. III, 316, 83. 84. Eockenphilosophie Xo. 132—133):
Quant un enfant est nouveau ne, se c'est un filz, il le convient porter au
pere, et lui bouter des pieds contre la poitrine et pour certain,
jamais ne fera l'enfant male fin. Glose : Fremine Fauvelle dist k ee poins
que , quant une femme est acouchie d'une fiUe , il conviens l'asseoir sur la
poitrine de la mere, en disant: Dieu te face preude femme et jamais eile
n'aura honte de son corps.
1) Das Buch vom Aberglauben. Leipzig Scbwickert 1790 S. 261.
2) Woeste, Volksüberlieferuugen 56, 20.
3) Kocholz, Alemannisches Kinderlied 295, 662.
_637_
lege fatum schliefsen. Diese Formel stimmt genau mit dem
altnord. aldr um sköpu. Völuspä 20, s. oben S. 587 *).
Für das Auftreten der Schicksalsgöttinnen bei der
Heirat sparen wir uns ein schlagendes Beispiel auf. Hier
sei erwähnt, dass in Warthe bei Templin um Mitternacht
des ersten Hochzeittages drei als Frauen verkleidete
Männer mit geschwärztem Gesicht erscheinen, „de masch-
kers" genannt. Die Braut musste mit ihnen tanzen. Auch
in Golze bei Neustadt- Eberswalde treten gewöhnlich am
zweiten Hochzeittage solche verkleidete Männer, doch nicht
in bestimmter Anzahl auf-). In der ehemaligen Grafschaft
Ruppin heifsen diese Gestalten „Feien". Sie erscheinen,
während der Hochzeitzug sich nach der Kirche bewegt
und suchen durch allerhand Possen den feierlichen Zug zu
stören und seinen Ernst in Lachen zu wandeln ^). Bereits
Kuhn **) und Weinhold *) haben die Vermutung ausgespro-
chen, dass diese Feien die Schicksalsgöttinuen darstellen
sollten, welche das Geschick der Ehe bestimmend, weihend
erschienen.
D. Die Schicksalsgöttinuen als Wasserfrauen.
Wie die nordischen Nornen muss auch den südgerma-
nischen Göttinnen Drehen des Schicksalsseils zugeschrieben
gewesen sein. Auf die Befestigung des Fadens lässt die
Formel zurückschliefsen: „So man mir at burc senigeru ba-
nun ni gifasta. Hildebrandsl. Wackern. LB. 66, 13.
Dass das Gespinst dieser Göttinnen vorzugsweise als gan-
zes Gewebe gedacht wurde, versichern uns die ags. Aus-
drücke; Me l^ät Wyrd gewäf; Me Wyrd gewäf and for-
geaf. Cod. exon. 355. Ac him dryhten forgeaf wigspeda
1) Ags. aldor streift häufig in den Begriff von Seele über. Vergl.
Cädm. Gen. ed. Gr. 1071. 120S. 2790.
2) Kuhn, Nordd. Sagen 433, 280.
3) Kuhn, Mark. Sagen 362.
4) Mark. Sagen V.
5) Weihnachtspiele.
638
gewiofu. Beöw. 1386 ^). Die letztere Stelle zeigt die oben
S. 563 behauptete Identität des Nornen- und Valkyreoge-
spinnstes, so wie die enge Verwandschaft der Göttinnen
unter einander. Das Spinnen und Weben der Schicksals-
göttinnen bestätigt auch ein angelsächsisches Rätsel, worin
es heifst:
Wyrmas mec ne äwagfon "VVyrda cräftum
])ä l>e geolo godwebb geatwum frätwaÖ -).
Ags. godwebb, sächs. goduwebbo, godowebbi, fries. god-
wob, ahd. cotaweppi drückt Seide, oder anderes kostbares
Gewebe^), vorzüglich aber Purpur Stoffe aus. Etymo-
logisch ist es „ G Otter ge webe" zu erklären; die altnor-
dische Form güövefr Kampfgewebe scheint eine blofse
volksetymologische Umdeutung aus Gudvefr. Wenn nun
unser Ilätsel auch keineswegs ausdrücklich sagt, dass
die Wyrden das Godwebb weben, sondern ihnen nur
wunderbares Gewebe überhaupt beilegt, so macht diese
Stelle es doch wahrscheinlich, dass man das Purpurge-
wand als Abbild eines kostbaren von den Schicksalsgöt-
tinnen gefertigten Gewandes betrachtete und deshalb Göt-
tergewebe benannte*). Zauberhafte Nothemde, die gegen
Hieb und Stofs sicherten, waren purpurn. Vergl. Saxo
VI, 293: Purpureum quoque, quo nuper ab Helga do-
natus fuerat, sentibus amiculum injecit, ne contra saevien-
tia grandinis tela indutamentorum umbracula mutuatus vi-
deretur. Wir kommen auf die Sache zurück.
Ein angelsächsischer Name der Schicksalsgöttin war
Meten, die Abmessende. Boeth. 35, 6 heifsen die Par-
zen: jjä gram an mettena, ]>e folcisce men hätaS. Dieser
Ausdruck stimmt mit den schon oben S. 595 namhaft o-e-
1) Vergl. Myth.- 377. 387.
2) EttmüUer, Angelsächs. Lesebuch 298, XVIII, 9. 10. Wurme mich
nicht webten mit der Wyrde Kräften, diejenigen welche das goldgelbe Got-
tesgespinst mit Zurüstungen bereiten.
3) Es wird mit Gold alliterierend zusammengestellt: gold ende godwebb.
Cädm. 218, 28. Mit goldu endi mit godowebbiu Helj. 102, 14. goedda ek
gulli ok güö^efium Gügrunarhv. 16.
4) Vergl. auch Rocholz, Alemann. Kindcrlied S. 143.
machten Formeln mjötudr und metod überein. In Nie-
dersachsen nennt man die am Beginn des Frühlings, be-
sonders aber des Herbstes meist an nebligen Morgen auf
Zäunen oder Gräsern hängenden oder schwebenden Fäden
das Gewebe kleiner Spinnen der aranea obtectrix, lycosa
saccata und tetragnatha extensa') Mettjes oder Metten^),
Slämetj es ''), Sommermetj es, Metjen, Mettken-
sommer. Im Ditmarschen sagt man, wenn Felder und
Sträucher oft ganz voll davon hängen: „de Metten hebt
spunnen.'-^ Man würde irren, wollte man in Dialekten^ die
deutlich davon maedjen, mredken unterscheiden, das Wort
auf Mädchen deuten. Wir dürfen es unbedenklich für je-
nes ags. meten erklären ^). Das herumfliegende Gewebe
wurde also als Arbeit der kunstreich spinnenden und we-
benden Schicksalsgöttinnen betrachtet und darum bringt
es auch Glück, wenn ein solcher Faden an den Kleidern
hängen bleibt ^). Auf dieselbe Vorstellung weisen die Aus-
drücke Mädchensommer, Alte weibersommer. Im
Englischen heilst das Gespinst gossamer d. h. gods-samar
Gottes Schleppkleid. Da letzteres Wort auch im Nieder-
sächsischen fortlebte, so ist höchst wahrscheinlich, dass je-
nes -so mm er nur eine volksetymologisehe Umdeutung ^)
von saraar Schleppkleid und das polnische babie lato, böh-
misch babske lato ^) eine Uebersetzung der Umdeutung ist.
Die nahe Verwandschaft der Schicksalsgöttinnen mit Holda
(Frikka u. s. w.) und den Eiben zeigt sich darin, dass an-
dere Landschaften von diesen das Gespinsel ableiten. Es
heifst Mariengarn, Marienfaden ®), westphähsch unser laiwe
1) Nach Blumenbach soll auch der Tau als Pflanzenausdunstung sich
verdichtend zur Bildung dieser Gewebe beitragen.
2) Bremer WB. I, 799.
3) Schleswigholst. idioticon III, 87. Wol durch Assimilation aus slap-
metjes = Schleppmetten.
4) S. MüUeuhofT, Nordalbing. Studien I, 218. Höchstens wäre an Meta,
Metje Diminutiv von Margareta zu denken.
5) Wolf, Beiträge I, 237, 436.
6) Vergl. die Ausdrücke: fliegender Sommer, Sommerflug, Sommerseidc.
7) Myth.2 744.
8) Myth.2 440.
640
früen suemer '). Es soll ein üeberbleibsel des Grabge-
wandes der Mutter Gottes sein, welches sie gen Himmel
fahrend fallen lassen -). Im bairischen Altraühltale zieht in
Herbstnächten die Mutter Gottes mit den 11000 Jungfrauen^),
bei Passau die Madonna mit den Eiben*), im Donautale
Mutter Gnut mit den 11000 Jungfrauen ^) um und über-
webt das Land mit der Seide der Grasweben. In der
Altmark bei Salzwedel glaubt man, dass die Marienfäden
von der Spinnerin im Monde herrühren '^). Spinneweben
heifsen schwed. dvärcfsnet Zwerofnetz.
AVenn dieser Volksglaube uns belehrt, dass man in
späterer Zeit wenigstens die grauen Sommerfäden land-
schaftlich als wirkliches Gespinst der Schicksalsgöttinnen
ansah, so zeigen uns andere, namentlich oberdeutsche Sa-
gen, zu deren Betrachtung wir nunmehr übergehen, was
ursprünglich unter dem Gewebe derselben zu verstehen
sei. Von den verschiedensten Seiten bereits hat man sich
dahin geeinigt, die von Panzer in Baiern so zahlreich auf-
gefundenen Sagen von drei Jungfrauen auf die deutschen
Schicksalsgöttinnen zu deuten. Im ganzen Umfange ist das
jedoch keineswegs zuzugeben. Ich knüpfe die Betrachtung
an folgende Ueberlieferungen an. Bei Unterigling in Nie-
derbaiern giebt es grofse Waldungen, welche den Gemein-
den Iglino; und Kizio-hofen in Folge einer uralten Stiftung
gehören sollen. Diese Stiftung soll von drei Jungfrauen
herrühren, für welche noch in neuerer Zeit Vigilien abge-
halten wurden. In älterer Tradition hiefsen sie Hayl rä-
tinnen, in der heutigen Sage die drei Jungfrauen.
Sie wohnten auf einem Hügel, bei dem Umentrümmer das
1) Zeitschr. f. D. Myth. U, 97.
2) Yergl. die filamenta Divae Yirginis oben S. 367, die nichts anders als
Mariengam sind. — Auch französisch heifsen die Fäden cheveux de la St.
Yierge.
3) Schöppner, Bair. Sagenbuch III. 163, 1127.
4) Pangkofer, Altbair. Gedichte 1854 II. 327. Bei Rocholz, Alemann.
Kinderlied 142.
h) Schöppner a. a. O. III, 162 Vorbemerkung zu Xo. 1127.
6) Temme, Sagen der Altmark. Berlin 1839 S. 41.
641
einstige Dasein heidnischen Anbaus bezeugen. Neben dem
Hügel liegt ein Weiher. Jener heilst der Jungfern-
büchl und der dazu gehörige Wald der Frauenwald.
In den Jungfernbüchl ist das Schloss der drei Jungfrauen
versunken. Sie wohnen darin noch jetzt, man hört biswei-
len aus der Tiefe den Hahn krähen und die Fräulein sin-
gen. Sie erscheinen bisweilen noch jetzt. Die eine ist
kreideweifs, die andere hat ein rot und weifses Kleid, die
dritte trägt mitunter ein weifses Kleid und schwarzen
Schleier; mitunter ist sie ganz schwarz; sie hat ein
grimmiges Antlitz mit feurigen Augen, und wird
sehr gefürchtet. Ein schwarzer Hund folgt ihnen. Die
zwei lichten sind selig, aber die dritte ist verdammt. Die
zwei weifsen haben zwei Köpfe und einen Sinn,
die dritte will sich aber niemals in den Willen
der andern fügen. Kinder schreckte man mit der Dro-
hung: „seid ruhig Kinder, sonst kommt die böse und
bindet euch an das Seil und die guten ziehen."
Diese dritte nannte man die Held, sie und ihr Seil wur-
den sehr gefürchtet. Wollte man ein Mädchen zu-
rechtweisen, so rief man ihr zu „du wirst gerade so wie
die Held weifs und schwarz und gehst ganz verloren." Die
Sage weifs auch davon zu berichten, dass die drei Jung-
frauen vom Staufersberg bis zum Jungfernbüchl ein Seil
spannten. Bis ins vorige Jahrhundert wurde ein Stück
Leinwand aufbewahrt, welches angeblich von den bei-
den guten Jungfrauen gesponnen war, Wöchnerin-
nen erhielten davon ein handgrofses Stück; darauf legten
sie sich, um leichter zu gebären. Den drei Jung-
frauen wurden bei der Aernte drei Kornähren als Opfer
auf das Feld hingelegt ^).
In Staufen bei Reichenhall befindet sich eine Hole, die
das Frauenloch heifst. Unter dieser Hole liegt der Fal-
kensee. Hierin wohnen drei Frauen, die wilden
Frauen genannt. Eine dieser wilden Frauen war halb
1) Panzer, Beitrag I, No. G6 S. 53 — 60.
41
642
weifs und halb schwarz, die anderen beiden weiCs.
Wurde in den nächst umliegenden Dörfern ein Kind ge-
boren, so kamen die wilden Frauen ins Haus und san-
gen, solchen Kindern prophezeite man Glück.
Bei Hochzeiten wurde der Gesang der wilden
Frauen gehört, wenn die Braut aus dem Hause der El-
tern schritt. Oft war am Frauenloch schöne Wäsche
aufgehängt. Die Leute sagten dann „die wilden Frauen
haben ihre Wäsche aufgehängt. Jetzt wird es schö-
nes Wetter." Im Fraueuloch liegt ein Schatz vergra-
ben, den ein schwarzer Hund mit glühenden Augen be-
wacht ^).
Bei Grafenau in Niederbaiern liegt der Rachel see.
Im Rachelsee sollen drei verwunschene Fräulein ge-
haust haben, von welchen eine die böse war. Sie soll
eine Magd mit Pantoffeln erschlagen haben. Ihr oberer
Körper war weifs, der untere schwarz. In der Tiefe des
Rachelsees liegt ein Schatz-).
Auf dem Schlossberg bei Grünwald nächst München
wohnten drei Jungfrauen. Die eine war ganz weifs, die
zweite von der Lende an weifs, unten schwarz, die dritte
bis zum Hals weifs, abwärts ganz schwarz. Die weifse
ging voran, die halbvveifse folgte, die schwarze ging zu-
letzt. Ein schwarzer Hund begleitete sie. Jede der
Jungfrauen hatte einen Rocken an der Seite hängen und
sie spunnen Flachs mit der SpindeP).
Auf der Burg Botenlaube in Unterfranken wohnten
drei Schwestern, welche aber in die Tiefe versun-
ken sind. Zuweilen lassen sie sich sehen. Zwei waren
kreideweifs, die dritte halb schwarz und halb weifs
mit einem Geifsfufs. Nur die zwei weifsen waren gut
christlich, die dritte war die böse. Bei Kindtaufen
war diese dem Kinde immer eutgeffen. Sie wohn-
1) Panzer a. a. O. No. 14. S. 11.
2) Panzer a. a. 0. No. 105 S. 83.
3) Panzer a. a. O. No. 50 S. 38.
_643
ten auch Hochzeiten und Begräbnissen bei, ja selbst in den
Krieg zogen sie mit, ritten auf Pferden und wirk-
ten mehr, als die Ritter selbst').
In einem jetzt versunkenen Schloss in der März-
burg bei Kaufbeuren wohnten drei Jungfrauen; zwei
waren weifs, eine schwarz. Sie erscheinen noch jetzt
in den heiligen Nächten und wandeln bis zu den 3 Kreu-
zen, wo allen, die eines schnellen Todes verstorben
sind, Kreuze gesetzt werden ^).
Auf dem Karlstein liegt ein Schloss, da wohnten vor
undenklichen Zeiten drei Frauen, die man vor grofsen
Ereignissen singen oder jammern hörte. Sie spann-
ten von einem Berge zum andern eine lederne Brücke^).
Betrachten wir die in diesen Sagen erhaltenen Züge,
so ergiebt sich in der Tat das einstige Dasein eines Kul-
tus''), der drei göttlichen Jungfrauen dargebracht war, in
welchen sich die Gestalten der Schicksalsgöttinnen in einer
dem nordischen Mythus ganz analog ausgebildeten Weise
unmöglich verkennen lassen. Sie erscheinen begabend oder
Unheil spendend bei der Geburt, bei der Heirat und
dem Tode der Menschen, so wie bei allen grofsen Er-
eignissen. Sie singen dabei, durch die Gewalt ihrer Zau-
berlieder erfolgt die Schicksals wirkung. Sie spinnen.
Ihr Gespinst ist Wöchnerinnen hilfreich (vgl. S. 555. 588),
es wird aber auch mit ihrem Seile gedroht, es bringt den
Tod. Von den drei Schwestern ist die eine böse, sie
handelt stäts gegen den Willen der anderen (s. oben S.
604). Sie vorzugsweise führt das tötende Seil, sie tötet
auch mit eigner Hand. Der Name Heilrätinnen, eu-
phemistisch wie Eumeniden, ist ein durchaus passender
1) ranzor a. a. 0. No. 201, S. 180.
2) Panzer, ßeitr. 11, 139. No. 213.
3) Panzer I, 13. S. 10.
4) Wie den Heilrätinnen wird in Norddeutsohland dem Wodan, im Oden-
wald den Engeln (Eiben) eine Korngabe als Opfer dargebracht. Zu Ehren
dreier Jungfrauen, über deren Sage aber nichts Näheres beigebracht ist, wur-
den nach Panzer I, 176. S. 154 in der Kirche zu Lehrberg bei Ansb.ich je-
den Sonntag nach Pfingsten an die Kinder Rretzeln verteilt.
41 *
644
Name für die Scliicksalsgöttinnen. Die dritte böse, tö-
tende heifst Held. Panzer, Simrock und Wolf haben
diesen Namen schlechthin für Hella genommen: da aber
im bairischen Dialekt unorganisches euphonisches d nach
1 nur bei Verlängerung der Stammsylbe eintritt, z. B. kol
(carbo), Plur. kölder ; all (oranis) alder, schmal (angustus)
Comper. schmalder, so muss das Wort anders erklärt wer-
den. Es ist deutlich eine Ableitung von helan celare durch
das Suffix goth. ij?, ahd. id, das vorzugsweise zur Bildung
abstracter starker Feminina verwandt wurde (Gram. II,
242 fgg-)' Heiida musste „die Umhüllung, Verhüllung"
bedeuten'); ein zutreffender Name für die tötende Schick-
salsgöttin. Der abstracte Name für die concrete Gestalt
darf nicht befremden, da UrSr, VerSandi, Skuld, Wyrd
u. s. w. eine vollständige Analogie gewähren ').
In einigen Orten und zwar weit durch die deutschen
Südlande in Tirol und Strafsburg, in Ober- und Nieder-
baiern haben sich Einzelnamen dieser drei Jungfrauen er-
halten. Sie heifsen:
Fürpet Gwerpet Ainpet
Wilbetta Warbetta Einbetta
Wilbett Walbett Ainbett.
Das Wort betta, welches in diesen Namen den zwei-
ten Teil der Composition bildet, ergiebt sich deutlich als
ahd. peta, ein von pitjan bitten abgeleitetes Wort, das in
der gewöhnlichen Rede neben pita nur in der Bedeutung
preces vorkommt. Wie aber im zweiten Compositions-
teil '^j von Namen Abstracta überhaupt active Bedeutung
1) Bei Graff IV, 844 findet sich freilich nur helid tugurium, und die
Glossen: helitin tegumine; inpi-lielida velamina angegeben.
2) Vergl. MüUenhofFs sinnreiclie und gewiss zutreffende Erlclärung des
Namens Velleda aus ahd. Willida.
3 ) Freilich finde ich bei Foerstemann den Stamm pitjan nur anlautend
im Pittheri (Namenb. S. 440). Ob Bitto hiehergehört, oder Hypocoristicum
ist, -wage ich nicht zu entscheiden; ebensowenig ob die Formen Pito und
Bita unserm Vcrbura oder pitan zufallen. Die Formen Peto, Peta, Betta ge-
ben keine Entscheidung, da sie auch Verkürzungen aus Patufrit, Patuhilt
U. s. w. sein können. Dagegen weist, so viel ich sehe, Petuni, Bcttuni (bei
Foerstemann S. 198 unter badu) ein sicheres Beispiel für unsern Stamm auf.
645
anzunehmen lieben und z. B. ahd. kepa, kipa, alts. gifa,
gibha, gebha; ags. gifu, geofu donum in solchem Falle die
Bedeutung donatrix hat^), so muss peta Bitte in unsern
Namen als „die Bittende" oder vielmehr die An wün-
sch ende gefasst werden. Unter den Bedeutungen von
pitjan, bidjan zählt der Gebrauch im Sinne von „anwün-
schen" durchaus nicht zu den seltenen. Ubiles pitent
maledicunt Notk. 36, 22. Sie mo batin ubiles Otfr. III.
20, 140. Kuotes piten benedicere N. 10a, 3. Die imo
guotes pitent — die imo aber ubeles pitent N. 36, 22^).
Desselben Ausdrucks bedient sich das eddische Hclgilied,
um die Schicksalbestimmung der Nomen zu bezeichnen:
]?ann bä'Su fylki,
frsegstan veröa
ok buölünga
beztan ikkja ^).
"Wir erhalten hiernach für die Namen der drei Schwe-
stern folgenden Sinn. Will-bett bedeutet precatrix grata,
exoptata oder bona; quae ex voto bene precatur homini-
bus ^). Dasselbe sagt das spätere Fürpet aus, d. h. die
Fürbitterin ^). Der Name der dritten Jungfrau Ainpet,
Einbett bedeutet terroris precatrix, Gwerpet und Wal-
bett sind aus ahd. wer, werra bellum, scandalum; gawer
seditio ags. war, werre bellum und ahd. wal strages als
1) S. Willigip fem. saec. 9. St. Feter. Thiadgif Lacombl. Niederrh.
Urk. No. 95. a. 855. Ags. Eädgifa, alts. Odgifa. Vergl. ags. gifa donator,
beähgifa torquium donator, sincgifa thesauri donator.
2) S. GrafF III, 52. 53.
3) Holgaq. Ilundingsb. I, 2. Vgl. Str. 4 von der dritten Xorn: ey baö
hon halda.
4) Vergl. alid. willi-köson blandire (kosön loqui , lind-koson blandire,
argkosön maligna loqui, distrahere, trugikoson doluni loqui), wil-niaht vale-
tudo; wille-waltig liberalis; willi-komo benedietus; sächs. wil-spell bonus nun-
tius; ags. wil-boda gratus nuntius; wil-euma benedietus, qui gratus advenit,
wilgest hospes acceptus ; wil-däg dies exoptatus; wil-fägo.n voti coinpos; Tvil-
gifa voti largitor, donator exoptatus; wil-gestealla socius gratus; wil-ge-
sweostor sorores quae ex intimo aninio germanarum aniore inter se conjunctae
sunt. Wil-helm qui libenter comites populumcpie tutatur. Vergl. W. Mann-
hardt, De nominibus Gernianorum propriis, quae ad regnum referuntur S. 16.
5) Vergl. schon ahd. ih furi sie bittu, ualles furi weralt bittu, nibi
furi thie. — T. 178, 1. Graff III, 54.
646
bellorum precatrix deutbar. Wir finden mithin auch in
den Namen die Charakterverschiedenheit unter den drei
Schwestern angedeutet, welche in der Sage hervortritt.
Der freundlichen Schwester steht eine schreckende zur
Seite. Wir dürfen vermuten, dass auch hier der Begriff
der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich einmischt.
Die Göttin der Vergangenheit (Wurt) ist die milde, freund-
lich begabeude; sie ist es, die vorzugsweise des Kindes
Wiege, seinen ersten Morgen zulächelnd begrüfst; der Ge-
genwart, dem Leben des Menschen gehört der Kampf in
dem des Mannes Tatkraft zur Geltung kommt, sie ist die
Erregerin der Kriege; Schrecken in sich tragend steht
selbst dem todverachtenden Germanen die dunkele Zukunft
vor Augen.
Die drei Jungfrauen Wilbett, Warbett, Einbett sind
von der Legende in ihr Bereich gezogen worden, die sich
ihrer bemächtigte, sie zu christlichen Heiligen stempelte
und sie der grol'sen für jede Einschaltung offenen Gesell-
schaft der heiligen Ursula einverleibte, ohne dass die Häup-
ter der Kirche, Pabst und Concilien (so viel ich weifs) je
davon Kunde nahmen und den frommen Volksglauben au-
torisierten. So konnte sich ihr Kult auch in Gegenden
verbreiten, wo er ursprünglich nicht gewesen sein mag.
Ihre Legende hat aber noch die heidnische Sage vollstän-
dig, nur um ein Weniges gemildert bewahrt. Sie wohnen
in einem Kloster auf einem Hügel, der ganz von Wasser
umgeben ist, oder neben einem Heilbrunnen liegt.
Zwei von ihnen sind schneeweifs, die dritte ist
schwarz, trägt aber weifse Schleier. Im Berge besitzen
sie eine Goldader. Sie spannen von einem Felsen
zum andern ein Seil. Sie verleihen unfruchtbaren
Eheleuten erwünschte und gesunde Kinder, und
den gebärenden Frauen eine glückliche Entbin-
dung, lu einer ihrer Kapellen, zu Schildturn in Kieder-
baiern bewahrt man eine hölzerne Wiege, welche von
unfruchtbaren Frauen zur Erlangung von Frucht-
barkeit in Bewegung gesetzt wird, ehemals soll eine sil-
647
berne Wiege dagewesen sein. Sie haben sich ina Leben
der Heilung und Pflege von Kranken gewidmet.
Sie sind Pestpatroninnen. Während der Pest ange-
fleht verleihen sie Sicherheit des Lebens. Zu Pestzelten
stellte man daher Fackelprocessionen zu ihren Kapellen bei
nächtlicher Weile an').
Ebenso deutlich wie die ethische Seite, welche in die-
sen Sagen und Legenden von den Schicksalsjungfrauen her-
vortritt, ist nun aber auch noch die Naturgrundlage ge-
blieben, aus welcher diese Theologeme sich hervorgebildet
haben. Wir können deutlicher als im Norden beobachten,
dass die Wasserfrauen auch der deutschen Nornen Ahn-
mütter gewesen sind.
Unsere drei Jungfrauen wohnen entweder im Berge
oder im See. In beiden aber erkannten wir längst ein
Bild der Wolke (s. S. 182. 255). Zum mindesten ist
der Hügel auf dem sie wohnen von Wasser umgeben.
Sie sind sammt ihrem Schlosse und einem grofsen Schatze
in den Berg verwünscht, versunken'-) und dies lässt
sie als ursprünglich mit den im Berge eingeschlossenen
schatzhütenden oder verwünschten weifsen Frauen
identisch erscheinen, die ja Wasserfrauen sind^). Ihr Schatz
ist das Sonnengold. Dies geht einerseits daraus hervor,
dass der Schatz in diesen bairisclien Sagen entweder im
Berge oder im See oder Brunnen"), d.h. hinter dem
himmlischen Gewässer liegt; oder von Drachen gehütet
wird ^).
1) S. Panzer, Beitrag I. 23, 29 No. 87 S. 69.
2) Panzer I, 58 S. 46. 114 S. 99. 47, 36. 54, 43.
3) Vergl. z. B. Panzer I, No. 47. Ein Mann holte sicli Schätze aus
dem verwunschenen Schlossberg bei Wolfratliausen. Vor der Berghöle
lag ein schwarzer Hund mit glühenden Augen. Im Zimmer lagen drei
Jungfrauen iu Betten. Eine davon war oben weifs, unten schwär;-., die
andern schliefen. Auf der Geldkiste lag eine Schlange mit einen goldenen
Schlüssel im Mund, er nahm ihn heraus und schloss die Geldkiste auf.
4) Panzer I. No. 22. 94. 105. 183. 208. 215. Vergl. Panzer a. a. 0.
S. 294.
5) Vergl. oben S. 149 fgg. Hinter der Simnen^-pitze im Säven (Tirol)
liegt der Drachettsee , hierin haust ein Drache, der sich oft am Ufer sonnt.
Ebendaselbst sonnen sich Schätze. Panzer I. No. 2. Bei AVolfrathauseu, wo
^648 _
Auf dieselbe Vorstellung führt uns auch die mehrfach
vorkommende Angabe, dass unsere drei Jungfrauen der
Erlösung bedürftig sind. Auf dem Jungfernberg bei
St. Georgen haben dreiJungfrauen ein Kloster gehabt,
eine davon war halb weils, halb schwarz. Sie safs auf
einer Kiste und machte einen Spruch, was man tun müsse,
um sie zu erlösen. Da keiner die Erlösung vollbringen
konnte, versank sie mit der Kiste und sprach den Wunsch
aus, dass die Gegend zu Wasser werde. Hierauf ent-
sprangen dem Jungfernberg mehrere Quellen, deren
Zusammenfluss jetzt den Ammersee bildet^). Im Schnel-
lertschloss sind drei Schwestern verwunschen; eine ist
halb weifs, halb schwarz, die andern weifs. Sie erschie-
nen einem Manne, und baten sie zu erlösen. Eine sagte,
sie werde als Schlange kommen und ihn dreimal küssen;
reicher Lohn erwarte ihn, wenn er sich unerschrocken zeige.
Als aber die Schlange kam, rief er „Herr Jesus" und alles
war verschwunden^).
Zu den erlösungsbedürftigen weifsen Frauen stellt
unsere Schwestern der Zug, dass die zwei weifsen und die
dritte Frau zu gewissen heiligen Zeiten (in der Christ-
nacht, zu Advent und an den hohen Festen, Sonnwendtag
u. s. w. ) erscheinen oder ihren Gesang hören lassen.
Vergl. oben S. 520 ').
In den gewöhnlichen Erlösungssagen ist die verwünschte
Frau häufig ganz schwarz , im Verfolg der Erlösung wird
sie weifser und zuletzt ganz weifs. Bereits Kuhn ") hat
drei Jungfrauen, zwei weifse und eine schwarze erscheinen, liegt der Dra-
chenfels, wo oft nach Schätzen gegraben wurde. Von da aus ziehen
drei unterirdische Gänge. Panzer I. No. 47. Im Drachen fels bei Pirraa-
senz wohnt ein Drache, der mit Gewalt durch ein Locli im Felsen heraus-
fuhr. Davon heifst dieses Loch das Drachenloch. Auf diesem Felsen be-
findet sich ein Brunnen in welchem ein silbernes Kegelspiel liegt. Da-
selbst erscheinen drei Schwestern in weifsen Gewändern. Panzer I.
No. 215.
1) Panzer I. S. .TS, No. 45.
2) Panzer I. 195, No. 212. Vergl. No. 138, 40. 47.
3) Panzer 40. 77. 93. 136 u. s. w.
4) Zeitschr. f. D. Myth. III, 382.
649
für diesen Zug das Verständnis geöffnet „schwarz ist der
Wetterwolke (der verwünschten Wasserfrau) natürliches
Kleid; je mehr sie aber ihren Regen über die Erde ergiefst,
oder symbolisch ausgedrückt, je mehr die Erlösung der
Wasserfrau aus den Händen des finsteren Dämons, der sie
gefangen hält, gelingt, um so lichter wird ihre Hülle, bis
sie endlich seinen schwarzen Krallen entrissen, als weil'se
Wolke von den Strahlen der wiederhervorbrechenden Sonne
umsäumt, von dannen zieht und dem kühnen Helden (dem
Donnergotte), der den Dämon besiegte, ihren Schatz den
reichen Wassersegen und das Sonnenlicht zurücklässt. "
Hieraus ergiebt sich nun auch die zutreffende Deutung
für die zwei weifsen und die dritte schwarze Schwe-
ster unserer Sagen. Jene waren ursprünglich Göttinnen
der lichten Wolke, diese waltete in der schwarzen verder-
benschwaugeren Gewitterwolke. (Vergl. oben S. 577. 593.)
Eine spätere Zeit, welche diesen Ursprung der gött-
lichen Frauen nicht mehr verstand, sah in den Farben of-
fenbar Symbole ethischer Begriffe; und fasste die weifse
Farbe als Ausdruck guter Gesinnung bei den beiden ersten
Schwestern, und die schwarze bei der dritten als Abbild
ihrer inneren Tücke '). Dies geht mit Sicherheit daraus
hervor, dass eine Ueberlieferung die dritte Jungfrau halb
schwarz, halb menschenfarbig nennt '^). Ebenso ist
die nordische Totengöttin Hei halb schwarz, halb men-
schen färb ig. Der gleiche Gegensatz von schwarz und
weifs als der guten und bösen zeigt sich in der ver-
wandten Sage von Thidrandr s. oben S. 573. Auch hier
wird dieselbe Naturbeziehung, wie in unserem Falle die
Grundlage bilden.
Eine grofse Anzahl von uns noch nicht berührter Sa-
gen erzählt, dass die beiden guten oder weifsen Jungfrauen
mit der schwarzen oder bösen gemeinschaftlich einen Schatz
besafsen. Eine der guten stirbt, die andere erblindet. Die
1) lieber diese Farbensymbolik s. Siinrock, Handbuch S. 350.
2) Panzer a. a. ü. No. 65.
650
üeberlebenden teilen sich in den Schatz, aber die böse
schwarze betrügt ihre blinde Schwester um ihren An-
teil ^). Nach anderer Ueberlieferung sind beide guten Jung-
frauen blind, und werden von der bösen nächtlichen betro-
gen, noch andere variieren dahin, dass nur eine blinde
Schwester von den zwei andern einer ganz schwarzen und
einer halb schwarzen um ihr Erbteil verkürzt werden. Da
wir gesehen haben wie die Beojriffe der dunkeln Nacht
und der schwarzen Gewitterwolke ineinander über-
gehen, s. oben S. 578. 586, so dürfte die folgende Deutung
dieser Sage Wahrscheinlichkeit für sich haben. Die Göt-
tin der dunkeln Wolke, wie der dunkeln Nacht raubt den
Frauen des Tages ihren Schatz, das Sonnengold ^^j. Die
Drei zahl der Schwestern sowol, als die aus der Natur-
grundlage nicht erklärliche Blindheit der weifsen sowie
der Tod der ältesten Jungfrau sagt uns, dass auch in
diese Sage schon ethische Gedanken hineingetragen sind.
Vermute ich recht, so deutete man in jüngerer Zeit die
alte physische Mythe etwa in folgender Weise. Die Zu-
kunft betriin;t Gegenwart und Verganorenheit ihre Schwe-
1) Panzer a. a. 0. I. No. 4. IG. 34. 47. 49. 77. 110 u. s. w.
2) Kuhn giebt Zeitschr. f. vergl. Sprachf. III, 452 eine andere Erklä-
rung „die Kacht verliert ihr Erbe, das Licht des folgenden Tages an den
kommenden." Seiner Deutung steht aber entgegen, dass nur einmal unter
sehr vielen Varianten die Betrügerin ein weifses Gewand trägt. Ue-
berhaupt geht er von der unrichtigen Voraussetzung aus, dass die Schick-
salsgöttinnen von der Morgenröte ausgegangen seien. Er stützt sich dabei
auf einige Sagen in Panzers Sammlung, welche die enge Verbindung der drei
Schicksalsschwestern mit der Göttin Ustara zeigen sollen. Selbst, wenn wirk-
lich Spuren von Ostaraglauben darin enthalten sein möchten — was über-
aus unsicher aber an sich nicht unwahrscheinlich ist, da die Gottheiten der
Wolke mit der des Lichtes sich beiühren s. S. 37 fgg. 564, so ist das doch
noch ganz etwas anderes, als wenn Ostara die Grundgestalt der drei Schwe-
stern wäre. Von den von Panzer S. 280 §.10 als Beleg beigebrachten sechs
Sagen sind Xo. 53 und 145 als mythisch ganz beziehungslos zu streichen.
Aus den Angaben der übrigen, dass in der Asterstube Wichtein wohnten Xo.
139; dass in der Osterharde ein Schloss Namens Frauenberg versunken
sei No. 70; dass auf der Spitze des Heslasberges , auf dem drei Jungfrauen
eine schwarze und zwei weifse erscheinen, eine Osterwiese liegt No. 162;
dass endlich auf der Osterburg drei Jungfrauen gesehen werden, von denen
die Sage sonst nichts zu melden weifs, lässt sich Kuhns Folgerung keines-
wegs rechtfertigen.
651
Stern um den Schatz (ihrer Leistungen, Satzungen, Erfin-
dungen). Diese sind blind über sich selbst. Die Gegen-
wart wähnt noch zu sein, siehe da steht schon die dunkele
Zukunft, um sie zu verkürzen. Nach mehreren Varianten
ist die Vergangenheit schon tot, und die böse beraubt nur
noch die übrige Schwester die Gegenwart. Bei meiner
Deutung ist freilich vorausgesetzt, was erst strenger als
oben S. 646 zu beweisen wäre, dass auch bei den bairi-
schen drei Schicksalsjungfrauen schon der allgemeingerma-
nische Gedanke an die dreigeteilte Zeit Platz gegriffen
habe %\
Wir kehren zu anderen Aeufserungen der physischen
Natur unserer Schwesterdreiheit zurück.
Der sicherste Beweis dafür, dass unsere drei Schicksals-
schwestern Wasserfrauen sind, liegt in ihrem Gespinnst. Die
drei verwunschenen Fräuleins auf dem Hargenstein spann-
ten ein Seil vom Hargenstein bis zu dem etwa eine
halbe Stunde entfernten Ehrenberg. Auf dem Seile hin-
gen sie weifse Tücher auf. Sahen die Leute das
Seil mit den weifsen Tüchern, so sagten sie, es
icird gutes Wetter^ die Fräulein hängen die Wäsche auf-).
Vergl. oben S. 642 Anm. L Zwei weifse und eine halb
schwarze Jungfrau wohnten auf dem Rachelberg. Bei der
Nacht sahen die Leute daselbst oft die von ihnen in der
Laube auf Seilen aufgehängte Wäsche''). Auf den
Ehrenberg bei Porchheim hatten drei schöne Fräulein ihr
Schloss und die Gabe ihre Wäsche nur in die Höhe
1) In der Zeitschr. des Yereins f. hess. Landeskunde 1850 B. V. S. 369
— 375 findet sich ein Aufsatz von Rulil „Saba, Trenta und Thesa, die drei
altnordischen Nomen," worin aus der Sage, dasis Saba, Trenta und Thesa,
drei Riesenjungfrauen einsam für sich jede einen Berg bewohnten und Grün-
derinnen der Sababurg, Desenburg und Trcndelburg wurden, ein Mythus von
den Schicksalsgöttinncn leichtsinnig gefolgert wird. Kach den später von
Lyncker, Hessische Sagen No. 53 — 59. 209. 250. 251. 211.212 beigebrach-
ten weiteren Sagen, in denen namentlich eine der Jungfrauen als blind er-
scheint, scheint indessen allerdings ein Rest unserer Mythen von den 3 Jung-
frauen hier vorzuliegen. Die Sache wäre weiterer Untersuchnng wert.
2) Panzer I. No. 1.
3) Panzer I. No. 21. S. 18. Vgl. Zs. f. D. Myth. II. 345, 33 eine über-
einstimmende Sage aus Tirol; a. d. Schweiz Rocholz,Aaigaus. I. S. 151.No. 128.5.
652
zu werfen, so blieb sie in der Luft hängen. Eine
war schade}ifroh. Da verloren sie die Gabe ').
Derselbe Zug findet sich nun auch in der Sage der
anderen aus den Wasserfranen hervorgegangenen Göttinnen
deutscher Mythologie, z. B. bei den schatzhütenden Frauen,
Berge und den Nixen. Im verwünschten Schloss zu Göt-
zintren finden sich neben anderen Schätzen auch Kisten
und Kasten mit o;esticktem Weifszeusr. Ein Handwerks-
bursch sah weifsgekleidete Frauen, die goldgewirkte
Wäsche zum Trocknen aufhingen ^). Die Nixen trocknen
auf den Saal weiden bei heiterem Wetter ihre Wäsche^).
Ebenso breitet die schwedische Meerfrau ihre Gewänder
über die Büsche *). In mehreren Sagen und Legenden ^)
ist dieses Aufhängen der Wäsche so ausgedrückt, dass gei-
sterhafte Wesen oder Heilige Zeuge und Kleider nur
in die Luft zu werfen brauchen, so bleiben sie an
den Sonnenstrahlen hängen.
Das goldgewirkte Gewebe^ welches frei in der Luft
schwebt, an Sonnenstrahlen hängt und gutes Wetter ver-
kündigt, kann nichts anderes als die sonnendurchleuch-
tete, oder lichtumsäumte Wolke bedeuten. Es steht
allen ehemaligen Wasserfrauen und Wolkengeistern zu, bei
den Schicksalsgöttinnen sind nur ethische Ideen daran ge-
knüpft, die bei den andern Wesen unserer Mythologie nicht
daran haften.
Statt der aufgehängten Wäsche tritt in unsern Sagen
häufig ein Seil ein, das die drei Schwestern von ei-
nem Felsen zum andern spannen. In mehreren Va-
rianten wird für dieses Seil eine lederne Brücke ge-
il Panzer I. Xo. 157. S. 129.
2) Baader, Badiscbe Sagen Xo. 225, 218.
3) Sommer, Sagen aus Sachsen und Thüringen No. 34 S. 39. Gleicher-
weise waschen und trocknen die vom wilden Jäger gejagten wilden Weiber
ihr Zeug. Zeitschr. f. D. Myth. II, 33. Vergl. Rocholz, Aargausagen I. Xo.
115. 128, wo der Zug sich wiederholt, dass die Wäsche geschieht, so oft
schlechtes Wetter kommt.
4) Püttmann, Xordische Elfenmärchen S. 147.
5) z. B. Wolf, Xiederländische Sagen Ko. 336. Wolf, Deutsche Sagen
Xo. 278.
653 __
nannt, welche zwei Berge miteinander verbindet. Augen-
scheinlich liegt auch hier die Vorstellung eines Wolken-
zuges zu Grunde, der zwischen zwei Bergkuppen zu hängen
scheint. Wir sehen hier deutlich die Entstehung des Glau-
bens, dass die Schicksalsgöttinnen am Himmel ein Seil
ausspannen, an welches das Geschick des Menschenlebens
geknüpft ist. Vergl. oben S. 554, 5.
Einige Male wird erwähnt, dass die drei Frauen ihre
Wäsche im Brunnen waschen^). Hiezu vergl. fol-
gende Sage. Den Wäscherinnen im Waschbach zu Ober-
bronn gesellte sich Abends eine weifsgekleidete Frau zu,
die Niemanden anblickt noch anredet, sich still an einer
entfernten Stelle niederlässt, und Plemden wäscht. Es
ist der Glaube verbreitet, dass dies Totenhemden seien und
jedesmal ein Glied aus der Familie der anwesenden Wä-
scherinnen sterben müsse-).
Da auch dieser Zug, insoweit ihm keine ethische Be-
deutung beigelegt wird, den drei Schicksalsfrauen mit den
andern Wasserfrauen gemein ist, so ist nicht auszumachen,
ob auf jene oder diese in ihrer Gesammtheit die folgenden
Superstitionen zu beziehen sind. Wenn die (sc. himmli-
schen) Weiber oder Mägde Säcke waschen, regnets bald ^).
Kegnets Vormittag, so wird Nachmittag noch besser Wet-
ter, wenn die Spitalweiber sich ausgeräuspert *). Wenn die
Spitalweiber aufstehn, wirds gut Wetter ^). Hieher gehört
1) z. B. Panzer I. No. 52, S. 40.
2) Stöber, Sagen des Elsasses No. 261, S. 331. Vergl. oben S. 250,
Anm. 5, dass der Jlarienkäfer = Mär 1 anders d. i. landress, franz. lavan-
diere Wäscherin heifst.
3) Mytb.» LXXV, 185. Pommerellen mündl.
4) Myth. ' C'I, 826. Ilicmit hängt auch zusammen, dass nacli dem
Aberglauben Maria beim Regen ihren Schleier, St. Verena (Rocholz, Aar-
gausag. I. S. 14) ihren Rock wäscht, worauf gutes Wetter in Aussicht steht.
Sie müssen, heilst es, am Sonnabend oder am Nachmittag Schleier und Rock
trocknen.
5 ) Pommerellen mündlich. Auf blofsem Vergleicli freundlichen Gesichts
mit heiterem Wetter beruht der Glaube: Wemi die Weiber Wäsche wasclien
wollen, muss alles im Hause freundlich aussehen, so bekommt man gut AVet-
ter. Myth.' CLVIII, 1092. Wenn alle Weiber mit freundlichem Gesicht
aufstehen, haben die Leute gut Waschen. Ponnnerellen.
_ 654
denn auch der Volksglaube, wenn es schneit und die Flok-
ken herunterfliegen „schüddet de aule wiwer den pels ut" ').
Besonders gilt dies vom Februarschnee „de allen wywer
schüt de schüärten" oder bedden,"-) geradeso wie
sonst von Frau Holle, den Engeln (Eiben) oder St, Peter
sacrt, dass sie als Wolkenwesen beim Schneefall Federn und
Dunen pflücken, das Bett auswettern ^). Daher heilst der
Februar wywermont oder alle wywerraont. Durch
diese abergläubischen Meinungen wird der Sinn der Wä-
sche klar. Die Wasserfrauen, zu denen unsere Schick-
salsjungfrauen zählen, sind als Wolkengöttinnen auch des
Befrens und darnach des Schnees gewaltig. Wenn es reg-
net, waschen sie ihr Zeug, die dunkle Gewitterwolke, wie-
der weifs *).
Nehmen wir hinzu, dass der Volksglaube dieser Sym-
bole sich teilweise noch bewusst ist (so sagt man in Süd-
deutschland ,, so Avollte ich ja lieber mit den Hexen auf
dem Schwarzwald Nebel spinnen^), so wird gegen un-
sere Auffassung nichts zu erinnern sein. Ein wichtiger
Beweis liegt in der folgenden Sage: Zwei Schwestern (die
dritte ist hier nur ausgelassen) besitzen einen grofsen Schatz.
Eine ist blind und wird von der andern um den Schatz
1) Strodtmann Osnabrück. Idiotie. 336.
2) Woeste, Zeitschr. f. D. Myth. I, 388.
3) MüUenhoff, Sagen Xo. 601 S. 583.
4) Vergl. oben S. 431, Anm. 1. Ganz anders ist die Wäsche in folgen-
der Sage. Ein gottloser Müller bei Eutin war gestorben. Nachts ritt der
Baueruvogt bei der Aue (dem Bach) vorbei, da hörte er noch Zeug klopfen,
konnte aber wegen der Dunkelheit 2siemand sehen. Er rief „was wascht
ihr hier noch so spät?" Da antwortete es ihm „wir waschen dem Müller
den Staub aus der Seele.'' Das ist recht schön, sagte der Bauemvogt,
wenn die Lauge nur gut ist. „Willst du sie mal proben?" rief es und man
goss ihm etwas aufs Pferd. Am andern Morgen war diesem Haut und Haar
abgebrannt. S. Müllenhoff, Sagen No. 207 S. 152. Finnen. I, 44. Zu ver-
gleichen steht vielleicht die von Wolf, Beiträge II, 186 unrichtig beurteilte
Stelle aus Gotfrieds Tristan (vergl. Myth.- 387. Simrock, Handbuch 385),
-wo von Blicker von Steinachs reinem Sinn gesagt wird, dass ihn Feen ge-
sponnen und in ihrem Brunnen geläutert und gereinigt haben. Gehen diese
TJeberlieferungen auf alte mythische Vorstellungen zurück, so liegt in ihnen
ein Zeugnis für die Erneuerung der Seele im Jungbrunnen s. oben
S. 273.
5) Wolf, Beiträge II, 31).
655
betrogen. Die blinde kommt in den Himmel, die böse
wohnt in einer Hole zn Waldkircben in Niederbaiern.
Dort sitzt Liicifer mit einer Kette angebunden und be-
wacht den Schatz; so lange dieser nicht gehoben ist hat
Lucifer die Jungfrau in seiner Gewalt^). Wir se-
hen hier deuthch, die betrügende Schwester ist die dun-
kele nächtige Gewitterwolke, die vom Dämon (Ahi-
Agi) sammt dem Schatze bewacht wird; wenn der Schatz,
das Sonnengold, einst gehoben, befreit ist, ist auch die
schwarze Jungfrau aus des Bösen Gewalt. Bei Grimm,
D. Sagen No. 9 kehrt diese Sage wieder. In der schatz-
bergenden Hole ist der Teufel bei drei Jungfrauen unter
den Tisch festgebunden.
Wir dürfen uns nach den vorausgehenden Untersu-
chungen durchaus nicht wundern, wenn wir die drei Schwe-
stern, von denen eine schwarz ist neben zwei weifsen, auch
in solchen Sagen auftreten sehen, welche ganz den Cha-
rakter der Nixen tragen. Nach Panzer No. 208 tanzen
sie auf Hochzeiten; einmal bleiben sie zu lange aus, und
als sie in den See zurückkehren, quillt alsbald ein Blut-
strahl aus der Tiefe herauf Die Nixen sind eben auch nur
aus dem himmlischen Gewässer in das irdische herabge-
sunkene Wolkenwesen; die Sage von unsern drei Schick-
salsjungfrauen musste mithin (wegen der physischen Grund-
lage) unmerklich in die verwandte Nixensage übergehen,
und aus demselben Grunde finden wir sie ebenfalls mehr-
fach mit andern Eiben, zumal den Wichtein verwechselt.
Zu einem neuen Zeugnis, dass ihrer Grundnatur nach
die drei Schicksalsjimgfrauen mit den andern Wasserfrauen
identisch waren und aus diesen durch Differenzierung her-
vorgegangen sind, dienen folgende Lieder:
1) Panzer, Beitr. II. No. 79 S. 56. s. oben S. 87. Bemerkenswert ist,
dass der christliche Name Lucifer fiir den heidnischen Dämon hier einge-
drungen. Der Teufel heifst Lucifer als gcfuUner Engel, indem man auf ihn
das biblische Wort bezog „Wie bist du doch vom Himmel gefallen du schö-
ner Morgenstern."
_^ 656
1.
Nimm hiu das.
Was ist das?
Ein schöner Einer.
Was steht darin o-eschrieben?
Drei schöne Jungfrauen.
Die erste heifst Pinka,
Die zweite Knoblapinka,
Die dritte Sesiknikknakknoblapinka.
Da nahm Pinka einen Stein
Und warf Sesiknikknakknoblapinka an das Bein;
Da fing Sesiknikknakknoblapinka an zu Schrein ').
2.
Hier hast du den Schlüssel zum Garten,
Worin drei Jungfrauen warten.
Die erste heifst Binka,
Die zweite heifst Bibiabinka,
Die dritte heifst S in gkningknangknabiab ab ia bibia-
binka.
Da nahm Binka einen Stein
Und warf Bibiabinka ans rechte Bein,
So dass Singkningknangknabiababiabibiabinka fing ent-
setzlich an zu Schrein ^).
3.
Hier ist der Schlüssel zum Garten,
Worin die drei Jungfrauen warten.
Die erste heifst Benka,
Die zweite Bibiabenka,
Die dritte Zezeknikknakknabiababiabibiabenka.
Da nahm Benka den Stein
1) Pommerellen. Zeitschr. f. D. Mrth. I, 110 von Wolf nach meinen
CoUectaneen mitgeteilt. Hier ist aber irrtümlich Schicknicknacknoblapinka
gelesen. Daraus in der verderbten Lesung übergegangen in Simrocks KB.^
282, 990.
2) Bredebroe in Xordschleswig. Mündl.
657
Und warf Bibiabenka ans Bein,
Da sprach Zezeknikknakknabiababiabibiabenka „lass das
sein!"^.
4.
Tag detta!
Hvad er det?
Den första Jungfrun hette Bibeli-binke
Den andre Viger i Vinke.
Jungfru Vinke tog up eu sten,
slosc tili Bibelibinkes ben.
Fru Sole satt pä bara sten
och spann pä sin forgyllande ten,
tre timmar förran solen rann upp ^).
5.
Es schwammen drei Enten über den Rhein,
Die hatten drei goldene Schnäbelein.
Die eine hiefs Klira,
Die andere Klara,
Die dritte hiefs Klunk.
Da nahm Klira einen Stein
Und warf Klara an das Bein.
Da weinte Klira Klara Klunk
Sieben Tag' und eine Stund ').
6.
Det var tre stenar i en ask
Den ene heter Lunta,
Den andra heter Klunta,
Den tredje heter Kafveli'Liunta.
1) Oldenburg, Thöle und Strakerjan, Kinderleben S. 67.
2) Dieses Lied wird bei Gelegenheit eines Spiels gesungen, das „fru
Soletopp" heifst. Der Spielordner geht im Kreise umher und stellt sich
an, als gebe er einem der Mitspielenden etwas in die Hand. Aas Smäland
und Oeland. Arvidson, Svenska fornsängor III, 389. Nimm hin das? Was
ist das? Die eine Jungfrau heifst Bibelibinke, die andre Viger i Vinke.
Jungfrau Vinke nahm 'nen Stein und warf ihn nach Bibelibinkes Bein. Frau
Sonne safs auf kahlem Fels und spann auf ihrem vergoldenden Rocken, drei
Stunden bevor die Sonne aufging.
3) Gönningen auf der Schwäbischen Alb unweit Reutlingen mlindl.
42
658
Lunta Klunta tog en sten,
Slog pä Kafveli-Luntas ben.
Star Lunta,
Star Klunta,
Star Kafveli-Luntas ben^).
7.
Det kom en jungfru tili en fru med en ask
sä sa' hon „Hari ligga tre jungfrur. "
Den ene heter Skral,
den andra heter Skaleral,
den tredje heter Skaleraldiskral ^).
Karen er Mären jat tög om en röp;
Karen wild en bridman ha, en Maren wild 6k;
Karen nöm en stin
en smet Mären aur bin:
„uha min bin, hud blef de stin?"
de stin, de set ön Maren hör bin ').
9.
Karen an Mären
lep trinj a särn,
an trinj am a runk.
Karen wul a man ha
an Maren uk
do näm Karen an stian
an smed Mären üüb-t bian
an do hed Karen a man allian *).
1) Upland aus der ungedruckten Sammlung von Hylten- Cavallius und
Stephens. Hier ist ask in der Bedeutung Gefäfs genommen, offenbar aber
ist in No. 6 und 7 ursprünglich ask Esche gemeint.
2) Södermannland ; ebendaher.
3) Nordfriesland. MüllenhofF, Schleswigholst. Sagen 501, 4.
4) Friesisch. Mecklenburg bei Haupt, Zeitschr. f. D. Altert. VIII, 372.
659
10.
Ich ging einmal nach Buschlabe
Da kam ich an ein Mühlenhaus,
Da schauten drei alte Hexen heraus.
Die erste sprach: komm iss mit mir,
Die zweite sprach: komm trink mit mir.
Die dritte nahm nen Mühlenstein
Und warf ihn an mein linkes Bein.
Da schrie ich laut: „o weh, o weh!
Ich geh' nicht mehr nach Buschlabe! ')."
11.
1,2,3,
Bicke backe bei,
Bicke backe Haberstroh.
Es wurden einmal drei Kinder geborn;
Die safsen an einem Tische.
Eine liefs mich mitessen.
Die andre schluff mir auf die Fresse.
Die dritte nahm nen Ziegelstein
Und warf ihn an mein Hinterbein.
Da nahm ich meine Lampe
Und lief die Treppe runter.
Als ich dann nach Hause kam,
Legt ich mich auf die Ofenbank u. s. w. ^).
12.
Petrus schloss den Himmel auf.
Warf 'nen Korb mit Semmeln raus.
Sagt' ich: gieb mir eine.
Gab er mir gar keine.
Sagt' ich: gieb mir zweie.
Gab er mir nur eine u. s. w.
Sagt' ich: gieb mir zebne.
1) Bergstrafse. Zeitschr. f. D. Myth. I, 110. Ingenheini mündl.
2) Leipzig d. Dr. Hildebrand.
42*
660
Führt er mich nach Jene.
Kam ich an ein grofses Haus,
Da guckten drei alte Hexen heraus.
Die erste sprach: iss mit mir,
Die zweite sprach: trink mit mir,
Die dritte nahm 'nen Mühlenstein,
Warf ihn wieder mein böses Bein.
O weh! o weh! o weh!
Mag nicht wieder nach Jene gehn ').
13.
Hinter meiner Mutter Stubentür
Steht ein alter Birnbaum (Var. : Kirschbaum)
Darauf sitzen drei alte Jungfern (Var.: Weiber).
Die erste hiefs Jungfer Perlalinz (Var.: Perlaminz),
Die zweite Jungfer Perlapliuz,
Die dritte Jungfer Perlapuff.
Da fiel Jungfer PerlapufF
Von dem Baum und stiefs sich die Hüft.
Da sprach Jungfer Perlalinz
Zu Jungfer Perlaplinz:
„Komm lass uns gehn und holen
Bast von der Lindeu,
Dass wir Jungfer Perlapuff
Das linke Bein verbinden^)."
Betrachten wir diese Lieder näher, so zeigt sich, dass
]s^o. 10 — 12 auf Wesen von der Art der witten wiwer
sich beziehen, zu deren Charakteristik ich die folgende
Sage mitteile. Bei den Hünebetten in der Gegend von
Vfapservaen in Drenthe safsen alte Weibchen mit Platt-
füfsen bei goldenen Spinnrädern, sie zu beleidigen
war gefährlich. Ein Knecht neckte sie dennoch. Er ritt
zu Pferde an ihren Hügel und rief:
Old wiQen plattfoet
komstoe mar oet,
as 't kwaad dut!
1) Weimar d. Reinhold Köhler.
2) Pommerellen müDcil.
661
Die Weibchen warfen ihm mit grünen Knochen
nach. Ein Knochen traf des Pferdes Fufs, da lahmte es
zeitlebens '). Andere weifse Frauen die geneckt wurden,
warfen dem Friedensstörer ihr Handbeil nach-).
Knochen und Beil sind Gestalten des Blitzes, den die wei-
fsen Frauen als Gemahlinnen des Dämons (Däsapatnis)
auf den in den Wolkenberg eindringenden Befreier schleu-
dern ^), den sie am Fufs verwunden ^). Die Einladung zum
Essen und Trinken ist ein sehr gewöhnlicher Zug in den
Sagen von den weifsen Frauen und Eiben, meist so ge-
wandt, dass eine weifse Jungfrau, die Elfentochter u. s. w.
aus dem Berge hervortretend dem vorbeireitenden Helden
ein Hörn mit Met reicht ^) ; die Wasserfrau spendet ihrem
Befreier den Trank des Himmelsgewässers '').
Dieselben Wesen könnten nun auch in No. 1 — 7 ge-
meint sein, nur mit anderer Wendung des Mythus. Die
Wasserfrau der einen Wolke schleudert gegen die der an-
deren den Blitz, wie die Sage Riesen kennt, welche sich
gegenseitig ihre Beile in den Fufs werfen '). Diese Stufe
der Mythenentwickelung stellen No. 8. 9 dar. Allein in
jenen Liedern lässt die Aufführung bestimmter Namen schon
erkennen, dass drei aus der Schar der Wasserfrauen nam-
haft und j)ersönlich hervorgetretene Gestalten gemeint sind.
Ich stehe nicht an, die Schicksalsgöttinnen darin wieder-
zufinden. In den angegebenen Namen tritt uns zunächst
Pinka, Binka, Benka, Binke oder Vinke bedeutsam
entgegen. Dieses Wort stammt von einem verlorenen Ver-
bum, das J, Grimm WB. I, 1471 aufstellt, BINGA, BANG,
BUNGUN, wovon altn. bänga, engl, bang, Schweiz, ban-
1) Wolf, D. Märchen und Sagen No. 472, S. 581.
2) Wolf a. a. 0. 221 S. 326.
3) S. oben S. 179. 180, vorzüglich Zeitschr. f. D. Myth. III, 105. 106.
4) Vergl. den hinkenden Hephästos, den am Fufs getroftenen Erlöser des
Schatzes oben S. 153. Zeitschr. f. D. Myth. III, 384. 387.
5) S. Kuhn, Nordd. Sagen S. 471, Anm. 33.
G) Vergl. oben S. 565.
7J Zeitschr. f. D. Myth. III, 105. 106.
662
gen ^), tundere, pulsare, percutere, sich herleiten. In man-
chen Formen dieses Stammes tritt im Anlaut p, im Inlaut
k ein, z. B. in dän. banke pulsare, = altn. bänga; bair.
punken stofsen, dreschen-), neben Schweiz, punggen mit
Füfsen stofsen ^), ferner in pinkeln mingere (eigentlich hu-
mum aqua ferire •*) neben binken, bingeln, binkeln ^) —
bangein , pangeln und bankein pertractare , contrectare ").
Pentschen oder pinken heifst ein Spiel, in welchem Blech-
stückchen gegen die Mauer geworfen, geschlagen werden,
wobei die Weite des Abspringens den Mafsstab des Sie-
ges abgiebt ''). Binkebank oder Pinkepank ist ein Schall-
wort, den Stofs vorzüglich des Hammers auf den Ambofs
nachahmend. Hiezu stellt Grimm bingeln mit kleinen
Glocken läuten, mit dem Klöpfel gegen das Erz schla-
gen und verbindet damit Bunge Trommel, bair. punken,
pauken. Mhd. nhd. Bunkel Schlag ^), Stofs; bair. PünkeP)
hervorragender Teil, bauschige Masse, wol ursprünglich
durch Schlagen entstandene Beule, wie bair. Pinken die
Blatternarbe. Aus dem angeführten Wortvorrat ") erhellt,
dass Binka, Pinka die Schlagende, Stofsende bedeuten
rauss; es kann schwerlich zweifelhaft sein, dass hier sto-
fsen in der abgeleiteten Bedeutuno; von töten zu nehmen
ist. J. Grimm vermutet WB. I, 1104 Verwandschaft un-
seres BINGEN mit Wurzel BAN ferire, pulsare, percu-
tere, woraus goth. banja vulnus, ags. benn, altn. ben vul-
nus, ahd. pano percussor, interfector, altn. bani, ags. bana,
1) Stalder I, 130. Dazu gehört Bengel fustis.
2} Schmeller, Bair. WB. I, 287.
3) Stalder I, 242.
4) Hennig, Preufsisches "WB. 187.
5) S. Grimm, DWB. II, 35 s. v. benken.
6) Grimm a. a. 0. I, 1104. S. noch mhd. pinken Funken schlagen,
ndd. ,,für anpinken"' vergl. Grimm a. a. 0. I, 420.
7) Ob damit ein gewisses Glücksspiel Pinkewink, Binklebank, Pinke-
bank, das Weigand, Zeitschr. f. D. Altert. VI, 485 erwähnt, weifs ich nicht.
Im Allgäuer Passionsspiel heifst ein Teufel Binkenbank. Myth.^ 1017.
8) Neidhart, Beneke Beitr. S. 402. DWB. II. 525.
9) Schm. I, 387.
10) Schwerlich darf zur Erklärung unseres Namens der Pinea optima«
regis in den Urkunden Aethelberhts von Kent a. 605 (Kemble I. S. 4. 6
u. s. w.) angezogen werden.
663
fries. bona, altn. bani occisor entspringen. Die deutsche
Wurzel BAN stimmt zu griech. (pLN in cpovog und die-
ses wird entweder zu skr. van aus bhan ferire gezogen^)
oder mit han, dhan occidere griech. ß-svelv ferire, pulsare -)
zusammengestellt. B i n k a die Tötende entspricht dem Sinne
nach genau dem Worte nörn.
Das Wort Babia, Bibia widersteht jeder anderen Deu-
tung als aus mhd. habe, nhd. habe (slav. baba, litt, boba)
anus, avia, mater ^) , einem Worte das möglicherweise aus
slavischer Sprache herübergeholt, sehr früh in Deutschland
aufgenommen und namentlich in den oberdeutschen Dia-
lecten weit verbreitet ist. Babiabinka oder das abgfelautete
Bibiabinka sagt also „Moera avia" aus und „Sesikuikknak-
babiabibiabinka scheint diesen Begriff noch in verstärktem
Mafse ausdrücken zu sollen „parca vetustissima," Zu be-
merken ist, dass wir oben S. 464 bereits ein Wesen
Biebe Biebele kennen lernten, dass dem von Baba,
Biba abgeleiteten Bib-eli in No. 4 genau zur Seite tritt.
Wir hätten somit in unserm Lied — um Binka durch
Nörn zu übersetzen — eine (tötende) Nörn zar' t|o;//;V,
und eine alte und uralte Nörn, ein Beweis, dass wir
uns hier auf dem Boden der Sage von den drei Schick-
salsgöttinnen und zwar in der Stufe ihrer Eutwickelung be-
finden, welche die Idee der dreigeteilten Zeit mit ihnen
verbindet. Die Zukunft (die tötende Göttin) schädigt Ge-
genwart und Vero;ano;enbeit: die Verwundun<]j der Vergan-
genheit steht der Beeinträchtigung durch den Schatzbetrug
in den bairischen Sagen ganz gleich *).
Wie in No. 5. 6 Lunta, Klunta; Klira Klara Klunk
zu erklären sind, weifs ich nicht zu sagen. Klara, wovon
Klira nur ablautende Form ist, erinnert an die Sonnen-
1) Bopp, Gloss. Sanscr. 308a. DWB. I, 107G.
2) Zeitschr. f. vergl. Spracht". IV, 438.
3) DWB. I, 1058. Benuke-Müllor I, 75.
4) Wäre es erlaubt in Kiiob la-pinka nur eine Verstärkung des einfa-
chen Pinka zu sehen? Knobla könnte aus kliuban spalten (wovon Klul't
forceps klobo aucipiila) sich herleiten, wie unser Knoblauch, ahcl. chnobe-
louch aus ehlovolouch, clilowloch entspringt.
664
heilige St. Clara und Lucia s. oben S. 395 und 422, um
so mehr da No. 4 Frau Sonne in Verbindung mit unsern
Jungfrauen kennt. St, Clara mag in einer älteren Form
von 5 die Stelle der Fru Sole in 4 eingenommen haben
und daher ihr Name in die Stelle der vergessenen ersten
beiden Namen geraten sein; Klunk und Klunta scheinen eines
Ursprungs. In Kafveli-Lunta steckt das S. 600 besprochene
kafli, schw. kafle, das hier in der archaistischen Bedeutung
Lofszweig, Lols erhalten ist. Kafveli-Lunta „Lofszweig-
Lunta" ein passender Name der lofsenden Vergangenheit.
Nach No. 6. 7 sitzen die schwedischen Nornen, wie
die eddischen auf einer Esche (denn in No. 6 ist für ßte-
nar ein anderes Wort in der Bedeutung Jungfrauen zu
lesen^). Sollte auch der Ring in No. 1, welcher nur mis-
verständlich eine Inschrift zu enthalten scheint, den Ge-
richtsring, den Umstand (corona) bedeuten? Vergl. die
Redensart „zu Ding und Ring gehen." RA. 747. Wich-
tig ist das abermalige Auftreten der schon oben S. 283.
287. 293 fgg. der Holda identisch befundenen Göttin, Frau
Sole und zwar in Verbindung mit den Nornen^). Diese
sitzen während der Nacht bei ihr, der Sonne, die schon
3 Stunden vor Tagesaufgang auf ihrem vergoldenden Rok-
ken spinnt''). Wo anders als in Engelland dem himmli-
schen Lichtland = ags. GliS, wo die Sonne Nachts weilt
s. oben S. 365, von wo die Gestirne ihr Licht empfangen
s. oben S. 378. Der vergoldende Spinnrocken der Frau
Sonne = Freyja deutsch Frikka, Holda stimmt genau zu
1) „Stenar" ist wie in No. 7 „ligga" für „sitta" durch Misverständnis
von „ask Esche" in „ask Gefäfs" in den Text gekommen. Stand etwa
„quinnor" da?
2) Beachtenswert ist, dass die Kune S61 angewandt wurde ,,at stinga
sömu thorn" Jemanden einzuschläfern, den Schlafdorn zu stechen. Liljegren,
Pvunlära S. 10. Vergl. oben S. 611 fgg.
3) So sitzt nach Sturlaugssaga hins Strafsama ( Fornaldarsög. III, 592
fgg.) Ve freyja (d.h. Freyja sacrosancta, domina templij auf einem Stuhl
unter dem Tonveg spinnend. Wir erkannten bereits oben S. 287 fgg. Iden-
tität von Freyja und Sole. Frau Wulle sitzt ebenso spinnend im Felsen, der
Frau WuUenloch heif&t. Kuhn, Nordd. Sagen S. 217 No. 246. Aehnlich
Holda s. oben S. 505. Vergl. Myth.' XLIV. Basler Fhs. saec. XV: Unam
vetulam novi, que credidit Solem esse deam, vocans eam sanctam do-
minam.
665
den BeuennuDgen der den Orionsgürtel bildenden Sterne
„Friggerok *), Frejerock, schwed. Mariärok, dän. Marirok-),
deutsch Jacobsspindel '').
Mit No. 6 stimmt No. 13 darin überein, dass der in
diesem Liede dargestellte Mythus zu einem Zaubersegen
verwandt wird, ähnlich wie im Schluss der zweiten Mer-
seburger Formel. Der Mythus ist oiFenbar mit anderer
Wendung derselbe, wie in No. 1—6. Die eine der drei
Schwestern wird am Fufs verwundet ••). Sie sitzt auf dem
Baume und sinkt von diesem herab, wie die Nörne der
Vergangenheit, Urör im ISorden s. oben S. 544. 545. Was
geschehen ist, verlässt das Leben imd gesellt sich den To-
ten zu. Wir dürfen vermuten, dass alle drei Schicksals-
jungfrauen auf dem Baume sitzend gedacht wurden.
In den Legenden von den heiligen Schwestern Wil-
betta, Guerbetta, Ainbetta, siehe oben S. 644, tritt ein
Kirschbaum oder Birnbaum bedeutsam hervor. Auf
der Mitte des steilen Wegs von Michelbach nach Meran
ist auf ihr Gebet ein Kirschbaum aufgewachsen und ein
1) Ihre Gloss. Sueog. s. v. p. 663.
2) Finn Magnussen, Lex. Myth. 361a. 376.
3J Myth.^ 279. Vergl. Myth.^ 248. 689.
4) Darf man etwa in den Namen Perla-linz ein älteres Pera diu (der?)
lint (d. i. Bera die Schlange); in Perla-plinz ein älteres Pera diu plintä
(die blinde Bera) vermuten, welches späterhin misverständlich als Eigen-
name componiert wäre (vergl. den Namen Bcrilind, Perelind, Peralind, För
stemann, Namenb. 226)? Der Auslaut in -linz wäre dann unorganische Ver-
schiebung wie in nhd. zwerg = mhd. twerc, oberd. linz (Icnis) = mhd.
lint, nicht hypocoristisch wie in Linzo (Förstemann 846) und den Femininis
Roza, Liuza, Muoza, Reinza u. s. w. Des Reimes wegen ist dann pliuz der
Analogie von linz gefolgt. Pe'ra, Bera (von heran) die Gebärende, die Ahn-
mutter wäre ein passender Name der Schiclcsalsgöttinnen. Die mythische Be-
deutsamkeit desselben habe ich bereits Zeitschr. f. D. Myth. IH, 145. 146
auseinandergesetzt. Pera die Schlange wäre die dritte, böse Jungfrau, die in
der Gewalt des Dämons (s. oben S. 655) und selbst Drache (s. oben S. 153
Anm. 2i ist. Die zweite Scliwester wäre die eine blinde der oberdeutschea
Sagen. Perla-puff (an Stelle eines älteren Namens getreten) ist blofses
Reim wort zu Hüft, ahd. mhd. Huf (Hüfte). Doch dürfte sie etwa schon der
Ablautsvocal des Plur. praet. der zur Bezeichnung entfernter Vergangenheit
verwandt wird (vergl. Binde, Band, Bund; Trank, Trunk; ubarwint," ubar-
want, ubarwunt; Grab, Grube, Gruft) als Göttin der Vergangenheit charak-
terisieren. Aus Pera bildete sich entweder die abgeleitete Form Perila (s.
Berila Pol. Irm. S. 224) oder bei der Composition trat die Silbe al eupho-
nisch ein, vergl. z. B. Kund-1-olt, Hilde-n-olt. Ich gebe dies alles für nichts
weiter als einstweilige Vermutungen.
666
Quell entsprungen; diese mit einem Bilde der h. Jung-
frau versehene Stelle heifst noch jetzt Jungfernrast ^).
Zu Langenaltheim in Mittelfranken wurde eine Kirche an
der Stelle gegründet, wo drei Schwestern einen Birn-
baum und eine klare frische Quelle fanden^). Der
Baum tritt in den meisten Sagen von unsern drei Jung-
frauen nicht auf, nur in der Legende — den Grund da-
von scheint mir Wolf, Beitr. II, 177. 178 zutreffend dar-
gelegt zu haben. Dagegen ist der Wohnort der drei Schwe-
stern fast überall von Wasser umgeben, bei einem Brun-
nen oder See gelegen*^). Ich stehe nicht an in diesem
den im Norden Uröarbrunnen benannten Quell, das Wol-
kengewässer, in jenem Baum aber den Baum zu erkennen,
der uns in Skandinavien als Yffg-drasill ento;eo;entritt. Wir
sahen oben S. 543. 544 — 549, dass sich der Baum Ygg-
drasill über dem Seelenreich erhebt; seine eine Wurzel
geht zu Hei oder Niflheimr hinab. Hiermit vergl. man
die fol2;enden Saofen. Vor Rendsburcr lieget der Nobis-
krug. Da ist ein Schloss versunken. Aus diesem steigt
in gewissen Nächten eine Prinzessin hervor, setzt sich
in einen wilden Apfelbaum am Wege und weint
und jammert. Mehrmals nahm die Prinzessin Leute mit
sich ins Schloss, sie sind aber nie wiedergekommen. Man
warnt daher jeden zum Nobiskrug hinauszugehen „die Prin-
zessin möchte ihn einschliefsen *)."
Bei Tönningen ist ein Schloss versunken, worin drei
verwünschte Jungfrauen wohnen. Ueber dem ver-
wünschten Schloss erhob sich ein grofserBaum,
dessen Stamm sich eben über der Erde in zwei
starke auseinandergehende Wurzeln teilte. Un-
ter diesen Wurzeln ging ein gemauerter Gang in die Erde.
Da stieg einer, der Schloss und Jungfrauen erlösen wollte,
hinab und kam an eine eiserne Tür. Da tötete er ein
1) Panzer, Sagen No. 7.
2) Panzer a. a. 0. I. No. 163. S. 143.
3) z. B. Panzer a. a. 0. I. No. 9. 21. 31. 40. 45. 105. 203. 205 u. s. w.
4) Müllenhoff, Sagen S. 346, No. 463.
_667_
Kalb wie es zur Erlösung erforderlich war; an einer zwei-
ten Tür ein anderes Tier. Vor der dritten Tür aber stan-
den seine eigenen verstorbenen Eltern; die konnte
er nicht töten und kehrte unverrichteter Sache wieder
heim ^).
Der Nobiskrug ist Seelenaufenthalt ^), die in ihm woh-
nende Prinzessin Todesgottheit, oder Seelenherscherin, wer
zu ihr gelangt kehrt nie wieder. Im versunkenen Schloss
von Tönningen weilen die Verstorbenen. Ueber beiden
aber erhebt sich ein (Apfel-) Baum, /m Baume sitzt
die Jungfrau des Nobiskruges.
Hiermit hängt nun auf das Engste zusammen, dass
die Elbe (d. i. Seelen) in oder unter einem Baume
wohnen. Im Norden wohnen die Elbe meist unter dem
Hollunderbaum; in Deutschland liegt der Eingang zu den
Wohnungen der Unterirdischen unter einem Apfelbaum^),
einer Rüster *) , in der Ellernkuhle ^) u. s. w. In Schwe-
den wohnen sie w^ einem beim Hofe stehenden Baum
(boträ) *'). Ein Baum, in welchem Bilwisse wohnen, heifst
Pilbisbaum ''). Aus dem Astloch solcher Bäume schauen
die Elbe heraus. Die Astlöcher in den Bäumen heifsen
daher in Schottland Elfbore, in Jütland Ausbor ^).
Auf dem Hügel, wo Elbe hausen, wird folgender Reim
15mal gesprochen:
Ällkuon, ällkuon, est du her iun
saa ska du herud paa 15 iege pinn '■*).
Wer in ein solches Astloch schaut, erlangt verborgene
1) Müllenhoff, Saaten S. 350, No. 466, 2.
2) S. Myth.2 954. Kuhn, Nordd. Sagen S. 131, No. 152; S. 484.
Zeitschr. f. D. Myth. I, 4, 4. IV, 2, 20.
3) Kuhn, NÖrdd. Sagen S. 262, No. 292.
4) Kuhn, Nordd. Sagen S. 105, No. 120, 1.
5) Kuhn, Nordd. Sagen S. 166, No. 189, 6.
6) Myth.' CXII, 110. Auch in Deutschland vergl. Kocholz, Aargau-
sagen I, S. 89. Henne, Schweiz. Bl. 1833, 186.
7) Myth.'^ 442.
8) Thiele, Dansko Sagu II, 18. Molbeeh, Dansk Dialectlex. S. 22. 94.
9) Eibfrau bist du hier innen, so sollst du heraus durch 15 Ellenast-
löcher. Molbeeh, Dialectle.x. 99. Myth.^ 430.
668
Dinge zu sebeu, wird geistersichtig^ oder erblindet. Da
der gewöhnliche Seelenaufenthalt das himmlische Gewässer
oder das hinter diesem liegende Lichtland ist, so darf man
nicht anstehen in dem Baume den Wolkenhimmel, in
dem Astloch aber, aus welchem die Eiben hervorschauen,
dasselbe wie die Tür o. S. 389 fgg. zu erkennen, aus wel-
cher die Engel hervorblicken s. oben S. 379. Es ist die
den Wolkenflor durchbrechende Sonne. Wir sind nach
und nach bereits auf verschiedene Spuren davon getroffen,
dass die Wolke als Baum aufgefasst wurde. Das Wald-
haus der Riesen o. S. 177. 178; so wie der Holda o. S. 268;
der Wald Myrkviör s. oben S. 384, der Busch wohin der
Marienkäfer fliegt oben S. 250, Anm. 2. 354, wohin der Gott
beim Regen fährt o. S. 375. 76 erschien uns nicht weniger,
wie Yggdrasill s. S. 552. 569 als Bild der Wolke. Wir
dürfen hinzufügen, dass die Dornhecke, von welcher
Dornröschen umschlossen wird, s. oben S. 611 fgg. das
Gehege ist, womit der Dämon das Himmelsgewässer, Mond
und Sonne einschliefst, folglich die Wolke bedeuten muss ').
AVir können diese Vorstellung jedoch noch weiter ver-
folgen. Die Kinder(seelen) kommen nach S. 255 fgg. aus
dem Brunnen d. i. der Wolke. Für den Brunnen tritt
nun mitunter in ein und denselben Gegenden, welche jenen
kennen, ein holer Baum ein. Im Westphähschen kom-
men die Kinder gemeinhin aus Brunnen oder Teichen; in
Gummershausen aber holt man sie aus einer holen Linde;
1) Hierher -wäre auch die von Wolf, Beitr. II, 177 bereits mitgeteilte
Saoe von Zoppot bei Danzig (Wolf schreibt fälschlich Joppos) von im Wald
verwachseneu Jungfrauen zu zielien, wenn nicht Bötticher (Der Seebadeort
Zoppot Danzig 1842 S. 165) die glaubhaftere Variante lieferte: Die Fischer
erzählen, ihre Grofsmütter hätten noch gehört, dass zwei verwünschte Fräu-
lein im Schloss gewohnt hätten, welche einst früh am Morgen einen Fischer,
der eben nach dem Walde ging um Holz zu holen zu Hilfe gerufen und ihn
gebeten hätten, sie doch aus dem Schloss zu retten. Der Fischer reichte ih-
nen durchs Fenster sein Beil, welches zum Abhauen der Baumäste einen
langen Stiel hatte, um sie vermittelst dessen herauszuziehen. Unglücklicher-
weise brach das Beil vom Stiele los, als die eine Jungfrau es bereits erfasst
hatte und das Schloss versank. Hier haben -wir ganz deutlich den die ver-
wünschte Wasserfrau befreienden Gewittergott. Meine bei Wolf mitgeteilte
Fassung der Sage stammt aus einer Quelle, deren Treue sich mir bei neuer
Nachforschung an Ort und Stelle etwas verdächtigt hat.
669
in Halver aus einer alten holen Buche. In Kückelhausen
ist es eine hole dicke Eiche; ebenso in Gevelsberg und im
Bergischen •). In Tirol werden die Kinder ebenso bald
aus dem Brunnen, bald aus Bäumen geholt. Zu Bruneck
bringt man sie aus dem grofsen holen Eschenbaum, der bei
dem Schiefsstande steht, oder sie rinnen auf dem Wasser
daher. In Meran wachsen sie auf der Mut (einem Berge)
an den Bäumen ^). Im Aargau heifst ein solcher Baum
geradezu der Kindlibirnbaum ''). Mitunter sind Baum
und Brunnen zu einer Scenerie verbunden. Im Ziller-
tal holt man die Kinder aus der Mariarastkapelle auf dem
Hainzenberge. Hinter dieser Kapelle liegt ein Brunnen
und oberhalb ein Baum, in welchem die Mutter Gottes ge-
wesen sein soll ''). Zu Nierstein in Rheinhessen steht eine
grofse Linde. Daher holt man in der ganzen Gegend die
Kinder. Unter der Erde fliefst hier ein Brunnen, den hört
man rauschen und unter der Erde die kleinen Kinder ju-
beln und schreien, wenn man das Ohr auf die Erde legt ^).
Bronner erzählt in seinem Leben '') : „Da fragte ich mei-
nen Vater einst bei Tisch: wo ist denn unser Brüderlein
hergekommen? Die Hebamme safs auch dabei. Diese
Frau da, sagte er, hat es aus dem Krautgarten herbeige-
bracht, du kannst noch heute den holen Baum sehen,
aus dem die kleinen Kinder immer herausschauen,
die man abholen lässt, sobald man ihrer verlangt." Es
war eine hole Weide an einem Teich. Bronner
schaute hinein und sah den Knaben im AVasser. Sein
Vater hiefs ihn rufen: „Buben wo seid ihr?" und er zwei-
felte nicht mehr.
Vergleichen wir hiermit die folgende Sage: Bei Nau-
ders in Tirol steht ein uralter Lärchbaum, der heilige
1) Zeitschr. f. D. Myth. 11, 92.
2) a. a. 0. II, 345. Weitere Beispiele s. bei Zingerle, Sitten, Bräuche
und Meinungen des Tiroler Volkes S. 1 fgg.
3) Rocholz, Sagen des Aargaus I, S. 87, No. 7G.
4) Zeitschr. f. D. Myth. II, 344.
5) Wolf, Hess. Sagen 13, 15.
(!) Zürch 1795 I, ''23. 24. Grimm KIIM. TI.^ 1819 LXT. LXII.
670
Baum genannt, aus dessen Nähe Niemand Bauholz oder
Brennholz zu nehmen wagt, bei dem zu schreien oder zu
lärmen bis in die letzten Jahre für himmelschreienden
Frevel galt. Er soll bluten, wenn man hineinhackt, und
der Hieb dringt zugleich ebensoweit in den Leib des Frev-
lers, wie in den Baum. Vom heiligen Baume holt man
die Kinder, besonders die Knaben. In unmittelbarer
Nähe werden die Ruinen des „heiligen Baumschlos-
ses'* gezeigt, das mit unermesslichen Schätzen in die
Tiefe verwünscht ist. Hier hausen drei Jungfrauen,
wovon eine halb weifs, halb schwarz ist. Sie seh-
nen sich nach Hebung des Schatzes und Erlösung ihrer
selbst •).
Die angeführten Sagen lehren zunächst, was wir u. a.
auch schon S. 297, Anm. 4 wahrnahmen, dass die Elbe
(= Seelen) und die Seelen der Neugebornen eins sind und
denselben Aufenthalt haben, den Wolkenbaum, der sich
über dem Wolkengewässer erhebt. Dieser ist einerseits
mit Yggdrasill und dem Uröarbrunnen (vergl. oben S. 547.
548), andererseits mit Holdas Kinderborn und Kinderbaum
identisch. Das Tarforster Weistum von 1592 erwähnt ge-
radesweges einen „frauw Hollen baum"^). In einem
gerichtlichen Protocoll von 1749 wird in der Nähe von
Wertheim ein ^frauen Hüllen bäum" genannt^).
Ergiebt sich hiemit die mythische Echtheit des Zuges,
1) Zeitschr. f. D. Myth. lY, 36. 37. Panzer, Beitrag II, S. 154.
2) Chart. Max. XIII, No. 417. Hocker, Die Stammsagen der Hohen-
zollem und Weifen S. 115.
3) Zeitschr. f. D. Myth. IV, 19, 1. Vergl. zu oben S. 326, Anm. 1.
394^. die Variante aus Müller und Weitz, Die Aachener Mundart Leipzig
und Aachen 1836 S. 278:
Op Zent- Zellester berg
do schingt de sonn esu -wärm
do steht e gölde böumche,
do steht e gölde stöulche.
We setzt dorop? Maria.
Do kaucht Maria 'nen appelbrei,
do kommen alle herrgottskenger bei,
do kommen alle de engelcher
kleng en grüfs, nacks en blüfs,
Jeses in Maria schüfs.
671
dass die drei Jungfrauen Perlalinz, Perlaplinz und Perla-
puff auf dem Baume sitzen '), von dem die eine = Urör
(in die Unterwelt, zu den Toten in der Wolke) hinabsinkt;
so scheint es andererseits auch nicht schwer zu erkennen,
weshalb die Beschädigung der dritten Schicksalsjungfrau
durch Lähmung des Fufses ausgedrückt wird. Als Was-
serfrauen wurden die drei Schwestern mit einem Platsch-
fufs, Schwanfufs oder Geifsfufs gedacht. Auf dieses nach
physischer Sage hervorstechende ungestaltete Glied wandte
sich die Symbolik, als hinzugetretene ethische Beziehungen
eine Verwundung in den Mythus brachten. Die Misge-
stalt wurde als Folge der Verwundung aufgefasst -). Wir
sahen schon oben S. 642 dass die dritte Jungfrau einen
Geifsfufs trägt; sie wird — nebst ihren Schwestern —
einst ganz geifsgestaltig gedacht sein; die Geifs ist ein
Symbol der Wolke s. oben S. 63. Ebenso vermutete schon
Weinhold '^), dass die Nörnen Schwangestalt führten.
Die Witten wiwer, mit denen die alten Hexen in unserer
No. 10. 11. 12 zusammenstimmen, tragen Plattfüfse,
wie sonst die Zwerge Geifsfüfse, Gansfüfse, Plattfüfse als
Abzeichen ihrer ehemaligen Geifs- und Gansgestalt, als
alte Wolkenwesen besitzen. Nun haben wir bereits oben
S. 539 auf die folgenden Sagen aufmerksam gemacht. Ein
Mädchen soll Stroh zu Gold und Silber; Werg zu Seide;
Moos zu Golde oder ganze Fuder Flachs auf einmal zu
Garn spinnen, zu Zeug weben und zu Hemden nähen und
wenn sie dies vermag den König heiraten. Drei alte
Frauen, die unvermerkt hinzukommen, verrichten für sie
die Arbeit und bedingen sich nur aus, zur Hochzeit ein-
geladen zu werden und als ihre Muhmen zu gelten.
Diese drei sind am Körper verunstaltet. Sie haben näm-
lich:
1) Vergl. Myth.' XCII, 621. Wer auf einen Baum sieht, auf dem eine
Weibsperson sitzt, wird blind. — Mehrfach treten in Sagen spinnende Zau-
berweiber, auf Bäumen sitzend auf.
2) Vergl. oben S. 305 die hinkende, blinde Alte.
3) Die Deutschen Frauen S. 38. Vergl. oben S. 6.57. No. .5.
Breitfufs
Plaitfufs
Breiten Ftifs
breiten Daumen
breiten Daumen
grofsen Daumen
breiten Daumen
grofse Nase
Triefnase
lange Nase
672
breite Lippe ')
herunterhängende Lippe '')
breites Gesäfs ^ )
breites Gesäfs *)
dickes Gesäfs ^)
dickes Gesäfs ® j
dickes Gesäfs ')
grofse Nase
dicke Lippen
grofsen Mund
tellergrofse Augen
In der zuletzt angeführten litauischen Sage treten drei
Laumes ^), in deutschen Varianten ein Zwerg, Frü Freen'')
oder eine elbische Frau^"), im Pentamerone Feen '^) ein.
Frü Free hat ebenfalls einen grofsen Daumen, Die
voraustehenden Märchen deuten die Unförmlichkeiten der
Gestalt aus allzu eifrigem Treten und Handhaben des
Spinnrads. Da dieses aber erst 1530 von Jürgens erfun-
den wurde (in älterer Zeit hielt man den Kocken zwischen
den Knieen, die Spindel in der Hand), so ist es klar, dass
diese Motivierung der Gebrechen erst neu in das Märchen
hineingetragen ist. Der Plattfufs erklärt sich nunmehr nach
allbekannten Analogien als Schwanfufs, der breite Daumen
durch die Kralle der Norn s. oben S. 626 die herabhän-
gende Lippe steht bereits einem altnordischen Trollweibe
zu, die Hengikjapta heifst '-). Für das dicke Gesäfs
1) Müllenhoif , Sehleswigholst. Sagen und Märchen No. 8. S. 409 fgg.
Die drei Frauen heifsen danach. Bretföt, Brctdüm, Bretlipp.
2) KHM. No. 14.
3) Hylten-Cavallius und Stephens, Schwed. Märchen übersetzt von Ober-
leitner 8.214 fgg. No. XI. Die drei Frauen heifsen danach: Storfötamor,
Stortummamor, Störgurapamor.
4) Praetorius, Glückstopf S. 404—406.
5) Büsching, Wöchentl. Nachrichten I, 355 — 360.
6) Asbjörnsen und Moe, Nor\-egische Märchen übersetzt von Bresemann
No. 13. S. 80.
7) Schleicher, Litauische Märchen S. 12.
8J Die Laumes sind teils unsern Mären, teils andern Eiben identisch.
S. oben S. 79. Schleicher a. a. 0. S. 91 fgg. Offenbar ist aber erst nach
saec. XVI. unser Märchen zu den Litauern von aufsen her eingewandert und
die Laume hineingetragen.
9) S. oben S. 539. 540. Auch in einer Yar. bei de Baecker, Religion
du Nord de la France S. 284 ist es ein Kobold ,,myn haentje" genannt.
10) Pröhle, Märchen für die Jugend No. 20. 585.
11) Pentamerone 4, 4 übers, von Liebrecht II, 44.
12) Skäldskap. k. 77. Eddubrot Arnamagn. 557. SnE. Havn. II, 554:
Hengikiapta ; Eddubr. Arnam. le,5. SnE. II, 615: Heingikiapta; SnE. I,
551: Hengikepta. Vergl. hengiklettr Niederhangende Klippe hengiläs Hänge-
Rchloss. Kjaptr Rüssel, Rachen, Kinnbacke.
673
(über welches Wolf, Beiträge II, 224 zu vergleichen ist)
möchte ich nach S. 260, Anin. 6 eine Analogie in dem
holen muldenförmigen Rücken Holdas und der Elbe (s. o.
S. 259) suchen ').
Unsere drei alten Frauen gehören ihrem Grund-
wesen nach zu der Schar der kinderraubenden Elbe und
Göttinnen, sie selbst werden mit Grimm ^) und Wolf ^) für
die Schicksalsgöttinnen mit Wahrscheinlichkeit zu halten
sein. Wie sie das Glück der Ehe gewähren, sind sie
Todesgöttinnen in prägnanter Weise. Nach Müllenhoff
wohnen sie auf dem Kirchhof und um sie zu rufen,
muss das Mädchen auf einen Grabstein treten.
Die Unterscheidung, wo in unsern Sagen die Schick-
salsjungfrauen anzunehmen sind, ist schwer, da sich in je-
der Art zeigt, wie sie aus der Schar der übrigen Wolken-
wesen nur als DiflPerenzierungen heraustraten. Auch die
weifsen Frauen und die Nixen spinnen, singen und
weifsajren *) und erscheinen vorbedeutend bei grofsen Fa-
milienereignissen; nicht minder die Zwerge^). Alle diese
Wesen sind menschenraubende d. h. tötende seelenempfan-
gende Geister. Wenn wir in jenen Frauen die rohen volks-
tümlichen Originale der nordischen Valkyren und Völen,
der slavischen Wilen s. oben S. 563 fgg. 568 fgg. erken-
nen, so lehrt uns ein angelsächsischer Zaubersegen, wie
sie in weiterer Fortbildung genau den Valkyren entspre-
chend als schicksalwaltende Wesen über das Glück des
Menschen bestimmten:
Sitte ge sigewif, sigaö tö eorSau,
naefre ge wilde (1. wille) tö wuda fleogan!
1) Auch die vom wilden Jäger in Steiermark gejagten Wildfrauen sind
im Rücken holil oder muldenförmig gestaltet. Zeitschr. f. D. Mytli. II, 32.
Schon ein Trollweib Skäldskaparm. k. 75 hcifst Bakrauf von bak n. Rücken
imd rauf f. Loch, Kluft.
2) Myth.2 387. 1287. Pentamerone übers, von Liebrecht I, XVL
3) Beitr. II, 201.
4) S. Wolf, Beitr. II, 227. 251. 254. 285. 286.
5) Vergl. Pröhle, „Die Zwerge in Familiensaffen." Unterharz. Sagen
S. 182 fgg.
43
674
beo ge swä gemyndige mines godes
swä bis mannagehwylc metes and eSeles ^).
Hier überall sehen wir mithin schon ethische Motive
aus den Natursymbolen herausentwickelt, überall Ansätze
zu den Gestalten der bestimmt umgrenzten Schicksalsfrauen,
die wir über die Geburt, die Heirat und den Tod zu-
gleich gebietend in den Bairischen Sagen von den drei
Schwestern und verwandten Mythen wiederfinden. Wie
sich hieraus später auf dem von uns S. 605 angegebenen
Wege die Auffassung als Göttinnen der dreigeteilten Zeit
durch naturgemäfse Gedankenfolge ergab, ist aus den Myth.^
377, Anm.* 386 beigebrachten Analogien, aus dem classi-
schen Altertum ersichtlich.
§. 8. Das Noraenseil.
Von den bei Helgis Geburt das goldene Schicks als seil
spannenden Nörnen heifst es, dass sie goldene Fäden
am Himmel befestigten und zwar dieselben um das Ge-
biet spa?inten, welches der junge Held künftig besitzen
sollte:
Östlich und westlich
Die Enden bargen sie
— In der Mitte lag das Land des Fürsten —
Einen Faden nordwärts
Warf Neris Verwandte
Ewis: halten hiefs sie das Band ^).
Nach Siguröarqu. H, 5 umdonnert alle Lande das Schick-
sal mit dem Seile, j^rymr um öll lönd örlög simu. Dem
Geschick entrinnen heifst „of sköp gänga" d. i. über das
Geschick hinausgehen. Es folgt hieraus, dass man das
Abmessen des Schicksals, wovon die Wyrd den Namen
1) Setzt euch Siegweiber, steigt zur Erde nieder, -wollet nicht zu
Walde (in den Wolkenwald, Myrkvigr) fliegen. Seid so eingedenk mei-
nes Glückes, wie jeder Mensch der Speise und der Heimat.
2) Helgaqu. Hundingsbana I, 3 Jjser austr ok vestr enda fälu, [lar ätti
loföüngr land ä milli; brä nipt Nera ä norÖrvega, einni festi, ey bag hon
halda.
675
Meten (vergl. oben S. 639) hat, nicht blofs figürlich, son-
dern in ganz eigentlichem Sinne verstand und glaubte, dass
durch das von den Nornen gesponnene Seil eine Grenze
gesetzt werde, innerhalb der das Leben, das Glück, der
Besitz u. s. w. des Menschen sich zu bewegen habe, und
über welche er nicht hinaus kann ^). Bei Helgi scheint die
ümspannung seines Erbguts mit dem Schicksalsseil das-
selbe gegen Zersplitterung schützen, es festigen zu sollen.
Wenn uns nun Adam von Bremen in den von ihm selbst
später hinzugefügten Glossen zu seinem Geschichtswerk mit-
teilt, dass eine Goldkette den Tempel von Upsala
umgab ^), so werden wir vermuten dürfen, dass diese den-
selben Zweck erfüllen sollte, dass sie ein Abbild des golde-
nen schützenden Nörncnseiles war. Neben dem Tempel
stand ein immergrüner Baum neben einer heiligen
Quelle''), bei der Gericht gehalten wurde: prope illud
templum est arbor maxima, late ramos extendens
aestate et hieme semper virens, cujus illa generis
sit, nemo seit. Ibi etiam est fons, ubi sacrificia solent
exerceri et homo vivus immergi, qui dum imraergitur, ra-
tum erit votum populi. Schon Grimm vermutete KA.
798, dass dieser Baum und diese Quelle Abbilder von
Yggdrasill und dem Uröarbrunnen sein sollten. König Oere
von Dänemark liegt in einem Hügel im Walde von Odds-
herred bestattet. Um den Hügel (die Wohnung des
Verstorbenen) soll eine Goldkette (zum Schutz gegen
Ruhestörer?) vergraben liegen "*).
1) Das Helgaqu. Hundingsb. I, 2. Siguröarqu. II, 5 zum Ausdruck für das
Schicksalsscil verwandte altnord. Fem. sim, Plur. simar, dän. sime, alid. sinio,
niederd. erhalten in leige-simen (Leine womit die Pferde beim Ptlügcn ge-
lenkt werden), doncnsim (Schlinge von Pferdehaar zum Drosselfang) , griech.
iKct; hat schon an und für sich ursprünglicli die Bedeutung Grenze. Vergl.
skr. siman und sim.ä Grenze und simä Linie, Grenzlinie. S. Zcitschr. f. vgl,
Sprachf. I, .S74. IV, 41.
2) Catcna aurca templum circumdat, pendcns supra domus fastigia la-
teque rutilans advcnantibus eo quod ipsum delubrum in plauitie situra mon-
tes in circuitu habeat positos ad instar theatri.
3) Vergl. vom heiligen Gerichtsbaum Yggdrasill: Stcndr a; yfir ;;roenn
UrSar brunni. Er steht immergrün über llri5s Brunnen.
4) Thiele, Danske folkesagn 1813, S. 10.
43*
676
Das goldene Seil, welches Haus oder Land schützend
umschliefst, kehrt nun auch in vielen südgermanischen Ue-
berlieferuugen wieder. Um den Nagelberg bei Mittelfran-
ken, der einst von drei Jungfrauen bewohnt wurde, ist
eine goldene Kette gezogen. Andere sagen die Kette
sei solang, dass sie zweimal um den Berg geschlun-
gen werden könnte, sie liege in der versunkenen Heiden-
burg ^). Den Urschelberg bei Pfullingen in Schwaben, auf
welchem ein heidnisches göttliches Wesen (= Holda) die
Urschel mit drei Nachtfräulein haust, umschliefst
eine goldene Kette '^). Eine goldene Kette umgiebt
auch den anmutigen Kegelberg der Achalm ^). Krempe
besafs eine Glocke, welche sehr schön tönte. Die Ham-
buro-er wünschten sie zu haben und boten dafür eine gol-
dene Kette, die um ganz Krempe herumreichen
sollte *). Ein Stiftsfräulein von Schännis erbot sich der
Stadt Aarau eine goldene Kette machen zu lassen, die
rings um die Mauern ginge ^). Die Friesen nannten
ihren Damm einen goldenen Reif (geldenne höp), der
um ganz Friesland liege ^). Ein Vater schickt seine
drei Söhne aus. Wer von ihnen die feinste Kette mit
nach Hause bringt, die gerade um das Haus herumpasst,
soll den Hof erben. Der jüngste erhält von einer verwun-
schenen Maus, die sich schliefslich zu einer schönen Kö-
nigstochter entzaubert, eine feine Kette, die so klein ist,
dass sie in der Westentasche getragen werden kann, aber
um das ganze Haus herumpasst''). In einer pom-
merellischen Variante dieses Märchens erhält Hans von ei-
ner Katze, die später erlöst die lieblichste Jungfrau wird,
eine goldene Kette, die dreimal um des Vaters
1) Panzer, Beitrag I. No. 178, S. 155.
2) Meier, Schwab. Sagen No. 3, S. 5.
3) Meier a. a. 0. No. 378, 3. S. 344.
4) Bechstein, Deutsches Sagenbuch No. 199. S. 182.
5) Rocholz, Sagen des Aargaus I, 20.
6) Grimm, G. d. d. S. 673.
7) Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen M. No. 7. S. 269.
677
Haus und Hof herumreicht. Ob damit auch die fol-
gende slavische Sitte zusammenhängt? Der Prager Müu-
zer (trapezita) musste jährlich am Gallifeste einen Gold-
faden an das Kladrauer Kloster liefern. An einer andern
Stelle wird diese Leistung genauer dahin angegeben: Tra-
pezita filum aureum circa altare, et argenteum circa
ecclesiam annuatim solvere debet ').
Unsere Kette tritt wiederum in einer grofsen Anzahl
von Liedern, die an Jahresfesten gesungen wurden, zu Tage.
1.
De sidenschnur geit um dat hüs,
de herr de guckt tom fenster herüt.
Nüges jär schon es wolgedän.
Wat dreit de herr an siner band?
'N schrifbok was von gold so blank.
Nüges jär es wolgedän.
Nu willt wi den herren laten stän,
un willt nä siner früen gän.
Wat dreit de frü an erer band?
En rosenkranz, was von gold so blank.
Nüges jär es wolgedän.
Schwarte strümp und schwarte schö,
dämet tritt se de kerken hinto. Nüges u. s. w.
De schwarten siden bänner,
schnewitt sin ere bänner. Nüges u. s. w.
Nu willt wi de fruwe laten stän,
un willt nä eren j unker gän.
Wat dreit de soen an siner band?
'Ne flinte was von gold so blank. Nüges u. s. w.
He hängt sin kränzlin an dat schwert,
he es 'ne schöne frölen wert. Nüges u. s. w.
1) Kladauer Stiftungsurkunden ex. orig. sublato archiv. c. r. aul. Vindob.
cop. in mus. boh. ap. Erben regcsta Bohem. et Morav. 1855 p. 177, 178.
Hanns, Ueber die altertüml. Sitte der Angebinde S. 27. Oder bedeutet hier,
wie oft im Latein des MA., circa nur anV ,, circa altare, circa ecclesiam sol-
vere" an den Altar an das Kloster liefern? — In einer Klechde ist ein glä-
sernes verzaubertes Schloss von einer tönenden Saite umhegt. S. Woy-
cicki, Polnische Volkssagen übers, von Lewestam S. 141 No. 11.
678
Wat dreit de dochter an ere band?
'Ne lüg', de was von gold so blank.
De perlen sin in gold beschlagen,
de jumfer soll dat von golde drägen. Nüges u. s. w.
Wie schön steit er de kragen ?
Se is von allen adel. Nügcs u. s. w.
Nu gewe de lewe got glück im heil
un gewe se uns ne gawe
in dissem nügen järe ^).
2.
Herr Geschworner ist er drinne?
Wir wollen ihm eins singen,
Zu diesem neuen Jahre.
Appel rot und weifs Geblüt
Zu diesem neuen Jahre.
Herr Geschworner hat ein frisch Gemüt;
Die Goldschnur geht ums Haus,
Herr Geschworner schmeifst 'nen blanken Taler 'raus ^).
3.
Wir treten her und ohne Spott.
Einen schönen guten Abend, den geh' uns Gott.
Wir ziehen eine Goldschnur über das Haus;
Wir ziehen ein schwarzbraunes Mädel heraus.
Das Mädel, das sprach mit falschem Wort:
Warum hat sich der Engel so schwarz gemacht?
Der Schwarze der ist uns wol bekannt,
Das ist der König von Mohrenland u. s. w. ^).
4.
Dei golne schnör geit ümme dat hous,
dei häre kuket taun fenster herout.
1) Leysers hdschr. Nachlass.
2J Lautental im Harz. Kuhn. Nordd. Sagen 408, 147.
3) Aus einem Stemdreherlied im Samland N. Pr. Provinclalbl. VI. 1848
S. 209. Vergl. in einem Liede aus Insterburg:
Wir ziehen die Goldschnur wol um das Haus,
Herodes der schaut zum Fenster heraus.
679
neues jähr schöne wolln wir saan,
ach herr geh er uns eine gäbe u. s. w. ").
5.
Sträufschen ob dem ster(n)chen
lecht meinem herrchen!
göllem fodem um det haus!
geft de fosigteier raus!
stellt de leider ohn de wand,
schneidt de speck drei ehlen lang,
oder mer Schecken euch de wolf ant haus ^).
6.
Beim Herumführen der Maibraut singt man in der
Mark : ,
Maibrüt, Maibrüt!
wat gebet ju de kleine Maibrüt?
gebet ju wat, so hett se wat,
so hett set ganze jär wat!
gebet ju nist, so hett se nist,
so hett se't ganze jar nist.
Klopfe klopfe ringelken,
wi sinn 'n par arme kinnerken.
Teit (zieht) en snaur um dat hüs,
tritt 'ne kleine junfer rüt!
Tram tram tricken
uf mein mitken, uf mein blut ^).
7.
Am ersten Mai geht in Tamm im Elsass das Maire-
sele (Mairöschen) um und sammelt Gaben. Dabei singen
die begleitenden Kinder:
S' isch e gähler fade um das hüfs
der herr spazeert dreimal dri un drufs.
1) Lerbach im Harz. Prölilc, llarzbilder S. 50.
2) Fastnachtslied aus Manderschcidt. Solimiti! , Sitten und Sagen des
Eifler Volkes S. 16.
3J Kuhn, Märkische Sagen S. 322.
680
so fahre mir vo maie in die rose.
Mir hawe gemacht
da kränz in einer nacht,
so fahre mir vo maie in die rose u. s. w.
Mairesele kehr di dreimal um,
loss di b'schoie 'rum un'n um.
So fahre u. s. w. ')
8.
Das Sechseläuten und das ist da
Es grünet hür alles in Laub und Gras,
In Laub und Gras der Blüten so vil,
Drum tanzet 's Mareieli im Saitenspil.
Tanz' nu, tanz' Mareieli, tanz'.
Du hast gewunne den Rosenkranz.
Neig' di, o neig' di Mareieli, neig' di.
Neig' du di vor des Herren Hüs,
Es schauen vil schöne Damen drüs.
Ein roter Apfel, ein bruner Kern,
Die Frau ist hübsch, sie lachet gern,
Ein goldenen Faden zieht er um si's Hüs,
Ade, nu ist das Maienlied üs ').
9.
Der Meye-n-isch chome, nu das isch ja wahr:
Es grüenet jitz alles i Laub u-n-i Gras.
I Laub u-n-i Gras sy der Bluestli so viel,
Drum tanzet 's Mareyeli im Saitespiel.
Nu tanz, nu tanz, Mareyeli tanz!
Du hesch es gewunne: ne Rosechranz.
Mir haue der Meye, mir tüe-ne i d's Tau;
1) Stöber, Elsäss. Volksbüclilein 58, 127. Daraus Firra. II, 515. Zu
Mulhausen Stöber 53, 117 singt man:
Sydefade um das hüs
s' lüäge scheeni jumfere drüs.
Sydefade um das hüs
s' lüäge scheeni herre drüs.
2) Beim Frühlings um gang (Sechseläuten) der Knaben und Mädchen
(Mareielisj mit einem Maibäumchen zu Zürch. s. Vernaleken, Alpensagen 1858.
S. 362.
681
Mir singe's dem Bure sy'r fründliche Frau.
Der fründliche Frau und dem ehrliche Ma,
Der üs e so richlich belohne cha.
Die Büüri isch Laub, u si git is so gern
Schön Öpfel und Birre mit brunem Chern.
Get use, get use viel Eier und Geld,
So chönne mer wyters, und zieh über Feld.
Get use-n-ihr Lüt, get is Anken u Mehl!
Die Chuechli sy hür no bas als fern.
E chetti voll Gold wol z' rings um das Hüsl
U jitzen isch uses schön Meyelied üs ').
10.
Zu Biringen, Schöntal und anderen Orten in Schwa-
ben singen die in der Weihnachtszeit umziehenden Knaben:
Heut ist die heilige Nacht,
Wo Jesus Christus geboren ward.
Schenkt ei klare Wei!
I wünsch dir Glück ins Haus nei!
Das Haus, das ist gefangen
Mit drei silbernen Stangen.
Es sitzt ein Engel hinter der Tür,
Der wirft Aepfel und Bire für.
Gebt mir au baldera (bald herab?)
Liebe Jungfrau Maria! ").
1) Bei gleicher Gelegenheit aus andern Kantonen. Vernaleken a. a. 0.
2) Meier, Schwäbische Sag. 458, 193. Vgl. zu den silbernen Stangen:
Holstein. MüUeuhoif, Sagen 487, 8: All min schäp to hüs! ,,Ik dörf nicli."
Wo fajr nich? „Foer de grote Roggenwulf." Wo sitt he denn? ,, Achtern
tun." Wat mäkt he dar? ,,Hc slipt sin ta;n." W^at will he denn? ,,A11
de schäp de käl afbiten." De bösen wülfe sunt gefangen twisclien
twen isern Stangen! All min schäp kämt to hus ! — In Belgien Wolf,
Wodana I, XVIII.: Herderke laet u schaepkes gaen! ,,Ik en darf niet."
Van wie? ,,Van mynheer de wolf." Mynheer de wolf zit gevangen
tuschen twee yzerne stangen, tuschen de zon en tuschen de maen.
Herderke laet u schaepkes gaen! — Variante mitgeteilt von Dykstra. Wolfs
Papiere: Herder herder laet jou schaapkes gaan ! ,,Ik durf niet." Waaroom
niet! ,,0m de rüge, rüge wolf niet." De rüge, rüge wolf zit gevan-
gen tussen twee yzeren kniip stangen, tussen de zon en de mann.
Herder herder laet jou schaapkes gaan! Vergl. das Fangspiel (Stöber, El-
säss. Volksbüchl. 37, 60): Dreimol yseri Stange! Wer nidd lauft wurd
gfange; dreimol yseri schnitz, wer nidd lauft wurd gfitzt ; dreimol iwwer de
682
Die letzten Varianten müssen, wie mir scheint, den zu-
nächstliegenden Gedanken zurückdrängen, die um das Haus
gezogene Schnur solle nur andeuten, dass die Bewohner
des Hauses so lange in Haft sind, bis sie den bettelnden
Kindern etwas gegeben haben. Vielmehr drückte das Be-
fangensein des Hofes mit dem goldenen Seile ursprünglich
günstige Vorbedeutung für das Schicksal der kommenden
Zeit aus '). Meine Ansicht unterstützen mehrere Zauber-
segen zur Verhütung und Abwehr des Feuers, und jedes
anderen Unglücks:
a.
Mein Haus, das sei mir umbeschwaifen
Mit engelischen Raifen,
Mein Haus sei mit bedeckt
Mit einer englischen Deck^).
b.
Umb mein Haus vnd Hoffreyt gehen drey Bandt,
Die segnet Gott vnd Sanct Johann,
Mit seiner gebenedeyten Handt;
Vnd die vier Evangelisten
Begeren Jesu Christi.
Wo die Wort werden genennt.
Da würdt keine Jungfraw geschendt.
So würdt auch kein Haus vnd kein Hoffreytt abgebrendt ^).
c.
Umb mein Haus vnd Hoff gehen drey Schloss
Und umb mein Haus und Hoff gehen drey Bandt,
Die leget Gott vnd ').
Rhyn, -wer nidd lauft isch itiati. Vergl. oben S. 422: Die kroon die staet
gespannen met vier yzere bannen.
1) Ganz in Abrede zu stellen ist Wolfs Vermutung Beitr. I, 104.
2) Myth.» CXL, XXV.
3) Zeitschr. f. D. Mytli. III, 319. „Ein segen, das deinem hause noch
deiner hofireyt kein vnglück wiederfahren noch begegnen kann.
4) Ebendas.
683
Wie hier die drei Bande, die von Engeln gewobe-
nen Reifen das Haus vor Unglück bewahren, ist ein
andermal üble Schicksalswirkuug damit verbunden. Der
König von England hatte den schönsten Obstgarten im
ganzen Lande; aber er trug keinen Apfel. Das kam da-
her, weil eine schwere goldeneKette dreimal rundum
den Garten vergraben war. Als man diese ausgrub,
wurde der ganze Garten wieder fruchtbar').
Statt der Goldschnur tritt o. S. 677. 79. No. 1. 7
eine seidene Schnur ein. Wir werden danach verste-
hen, weshalb den Kosengarten Luarins und Krimhilts ein
seidener Faden umhegt:
daz diu raüre solde sin
daz was ein vadem sidin.
Dieser Faden war symbolisch. Zum Schutz konnte
er an und für sich nicht dienen, wol aber als Abbild des
von den Schicksalsgöttinnen oder anderen Gottheiten ge-
sponnenen Seiles, dessen Zerreifsung Tod oder Unglück
bringen musste. Auch sonst kommt derartige Umhegung
bei Bannforsten vor. Der Bannforst zu Thomm im Hoch-
walde bei Trier war durch einen Seiden faden gehegt.
Niemand vom gemeinen Volke durfte ihn betreten, oder in
der Nähe Holz fällen-). Nach dem Selterser Weistum:
Item dieser Bann stöfst an zweier Herren Land, nämlich
an die Grafschaft von Wied, an die Herschaft von Ysen-
burg und an die Grafschaft von Diez und in welcher der
dreyer Herren Land der Bann stöfst aisfern als es gienge
ein seiden Faden darumb und soll als frei sein^ dass
ihn der Bannherr nicht zubrechen soll ^).
Wie die goldene Kette, der Seideufaden die umfrie-
1) Asbjörnscn und Moe übersetzt von Bresemann II, S. 171. Vergl.
noch : Zu EmbUren bei Rendsburg steht ein Mädchen auf der Hausdiele. Ein
wunderlieblicher Vogel weist sie unter die Wurzel eines holen Baumes
(vergl. oben S. G68) wo eine Schachtel mit einer zwei Ellen langen silber-
nen Kette findet, die noch Familienkleinod ist. MüUcnhoff, Sagen S.
353, No. 468.
2) Hocker, Des Mosollandes Sagen, Geschichten u. Legenden 362. 413.
3) RA. 183.
684
digte Gemarkung oder das Haus gegen Angriffe von au-
fsen schützen soll, dient letzterer auch dazu, Jemand im
Innern des umhegten Raumes festzuhalten. Er darf die
gesteckte Grenze nicht überschreiten. Nach dem Cölner
Hofrecht (saec. XH. ) wurde ein gefangener Dienstmann
durch blofsen Fadenzug eingesperrt. „Sic autem reclude-
tur; filum stammeum (1. stammineum) de poste ad po-
stem per medium ostii tendetur et in utroque fine
sigillum cereum appendetur et cum sol in mane ortus fue-
rit, camerae ostium aperietur et usque ad occasum solis
apertum stabit." Nachts wird von innen geschlossen. Be-
suchende sind zulässig: „ita tarnen ut ingredientes et egre-
dientes filum et sigilla nee rumpant, neque laedant."
Aehnliches enthält das Hildesheimer Stiftsrecht: were ok
dat en denestman des biscopes hulde verlöre . . he scol an
sine kemenaden komen, de scol men beslütenmet eneme
sidenem vademe, dar ne scal he nicht üt komen, he
untrede sek der scult mit minnen eder mit rechte -).
Es wäre recht wol möglich, dass den angeführten
Rechts Symbolen kein anderer Gedanke zu Grunde liegt,
als der der Festigung überhaupt. Doch kann ich mich
des Glaubens nicht entschlagen, dass ihnen ursprünglich
eine religiöse Idee zu Grunde lag. Sie lassen sich doch
wol schwerlich von der in reichlichen Beispielen aufgewie-
senen Goldkette trennen, die noch tief in unsere Mytholo-
gie verflochten erscheint, und einerseits mit Nörnen, Eiben
und weifsen Frauen eng verbunden ist, andererseits Glück
oder Unglück bringt und abwendet ^). Was namentlich
die zuletzt angeführte Haftung durch vor die Türe ge-
spannten Faden betrifft, so stellt sich ein abergläubischer
1) RA. 182.
2) RA. a. a. 0.
3) Ihre Entstehung erklärt sich, soweit sie auf physischem Grande be-
ruht, aus dem oben S. G52 erläuterten zwischen den Bergen schwebenden
Nornenseil. Vielleicht nicht mit Uniecht macht Rocholz, Alemann. Kinderl.
I, 141 auf den Eingang des oben S. 526 mitgeteilten Liedes aufmerksam,
wonach ein Seidenfaden von Baden nach Zürich, von Zürich bis zum
Hauenstein (einem badischen Grenzstädtchen im Schwarzwald), von Hauen-
stein bis wiederum heim gezogen ist.
685
Gebrauch daneben, welcher beweist, dass auch von dieser
symbolischen Handlung Einwirkung auf das Schicksal er-
wartet wurde: „Fille, qui veult savoir le nom de son mari
ä venir doit tendre devant son huis le premier fil,
qu'elle filera cellui jour et de tout le premier homme
qui par illec passera savoir son nom. Sache pour certain
que tel nom aura son mari^)."
Hiemit nun scheinen die folgenden Sitten zusammen-
zuhäno;en. Wenn im Elsass der Bräutioram dem Dorfe
der Braut sich naht, ist eine Kette queer über den
Weg gespannt. Ein in Stroh gehüllter Bursche, der
den Bräutigam begleitet, sucht die Kette mit seinem Pferde
zu sprengen, aber vergebens, das weifs man schon. „Qui
vive, ruft er dann, Antwort oder — ." Auf der Stelle er-
scheinen dann einige weifs gekleidete Mädchen und
überreichen einen Straufs. „Frieden!" heifst es dann!
„Ja wir wollen auf die Gesundheit des Bräutigams trinken,
wir wollen ihn betrachten und darum spannten wir die
Kette." Inzwischen wird leise unterhandelt, der Bräuti-
gam bewilligt gewöhnlich 30 — 40 Francs, die vertrunken
werden. „ Laissez passer ! " Ein dickstämmiger Bursch
springt wütend mit einer schweren Keule aus dem Hause:
„Glück und Segen!" ertönt es nun, „wir haben den
Teufel auf den Kopf geschlagen. Lebe wol!"
Der Zug rückt weiter ^). Aehnliche Sitte gilt in Mähren ^).
In Niederösterreich werden Nachts vor der Hochzeit zwei
Bäume vor dem künftigen Wohnhaus der Brautleute errichtet
und mit einem roten Bande so verbunden, dass Niemand
ohne dasselbe wegzunehmen ins Haus kann. Nach der Hoch-
zeit wird es von den Vermählten im Beisein der Eltern gelöst*).
Als äufseres Zeichen des neugeschlossenen Ehebundes
1) Les evangiles des quenouilles (Bruges 1475) I, G nouvelle cdition
Paris MDCCCLV p. 18. Hieraus aufgenommen in „der alten weiber philo-
sophey." Zcitschr. f. I). Myth. III, 329, 1. Chemnitzer Rockenphilosopliie
bei Grimm Myth.' LXXH, 110.
2) Alexander Weil, Sittengemälde aus dem elsäss. Volksleben bei Pröhle
Hausbüchlein f. das Volk und s. Freunde II, 109.
3) Mitteilung von J. Feifalik.
4) Vernaleken, Alpcnsageu 39G, 59.
686
wurde statt des Ringes, wie es scheint in älterer Zeit ein
Band, vorzüglich ein Goldband angewendet'). In ei-
nem schwedischen Spieltanze aus der Landschaft Nerike,
welcher eine Verlobung darstellt, heifst es:
Komm komm Maria lieb und reich mir deine Hand
Hier hast du das Ringlein und um den Arm das
Band 2).
Und Alle in dem Kreis hier bezeugen mir es laut,
Maria hat gelobet hier zu werden meine Braut ^).
In einem upländischen Reihen wird gesagt:
Hier hast du Ring und Verlobungsband*),
Du sollst mich nicht betrügen ^).
In einem dänischen Volkslied^):
Der Herr zieht heraus sein goldnes, goldnes Band,
Er bindet es um seiner Liebsten Hand').
In einem anderen:
Das rote goldne Band um ihren Hals er wand,
„Das geb ich dir, da ich dich treu erkannt ^).''
Dass auch hier nicht das blofse Festmachen, der
Ehe -Bund durch das Band ausgedrückt werden sollte,
glaube ich aus folgenden Gebräuchen und Liedern folgern
zu können. Zur ersten Windel muss das Brautband
der Mutter genommen werden ^). In einem fränkischen
Hochzeitlied (im Dorfe Buch bei Röttingen ^") wird gesagt:
Die Braut, die hat ein schönes Band,
Giebt übers Jahr ein "VVickelband.
1) S. Weinhold, Die Deutschen Frauen S. 226 fgg.
2J Här bar du ringen, silfband om din arm.
3) Dybeck, Runa 1842 IV, 70.
4) Ocli här har du ringen och fastningeband.
5) Dybeck, Runa IV, 75.
6) Fünen durch Frau Dr. Biernatzki.
7) Den herre drager ud sit guUe, gulle baand, han binder det om sin
allerkjserestes haand.
8) Sv. Grundtvig, Gamle Danske minder II, 279: Han slog roeden guld-
baand omkring hendes hals. ,,det giver jeg dig, for du ikke er falsk."
9) Kuhn, Mark. Sagen 364.
10) Mitgeteilt von Alexander Kaufmann, Bremer Sonntagsblatt 1855 No.
23. S. 182.
687
Durch die Doren reifst der Schnee.
Heut ein Mädchen und nimmermeh!
Es tritt unser Wickel- oder Wiegenband auch sonst
bedeutsam hervor und zeigt sich mit mythischen Begriffen
verflochten. Dieses und somit auch das mit ihm zusam-
menhängende Brautband ist nämhch nur irdisches Abbild
eines göttlichen Bandes. In einem beim Frühlingsumgang
gesungenen Liede '), begegnen die Worte :
Wir wünschen der Frau 'ne goldne Wiege,
Damit soll sie ihr Kindlein wiegen;
Wir wünschen der Frau ein goldnes Band,
Damit bind' sie ihr Kindlein zu.
Nach anderen Liedern stammt aber dieses Band aus
dem himmlischen Lande der Engel:
1.
Ikke Brikke von Engelland
Bring mi doch e sidne Band.
„Sidelband dat bring ek nich,
Engelland dat kenn ek nich" ^).
2.
Moder för nä Schack,
brocht e weg on e lak;
väder för nä Engelland,
brocht e blanke windelband,
windelband dat wer so blank,
dat dat kind in de wege sprang ^).
1) Wunderhom III. 1808 Anhang 37. Daraus Erlach IV, 412. Sim-
rock KB. 2 221, 892.
2) Wiegenlied. PommeroUen miindl.
3) Halbinsel Ilela bei Danzig, mündl. Vergl. N. Preufs. Provincialbl.
XXVII. 1842. Aus dem Samland aufgez. von Reusch:
Wie de brüt tor triong för,
"WSBT se blank geilochte:
as se wedder nä hüse ka;m,
fond sik e junge dochter.
Motter för nä Schnake,
väder for nä Engelland
brocht e weg 6k e windelband,
688
3.
Schocke, schocke brom
Vater reist nach Rom '),
Mutter reist nach Engelland,
Und bringt den Kindern goldnes Band ^).
4.
Suse kinneken süse!
dat kind leg in de groupe,
vader un mouder sünd wit von hüs,
de kön wi uich roupen!
Us vader is int Heenland,
de hält US kind en leehband
mit twe sülwerne knöpken,
dann lert üs kind löpken ^).
5.
In einer Fortsetzung des bekannten Kinderliedes „Hans
de sat im schösten un flikde sine scho":
As de brüt to kark ging,
dö har se nix to dön;
as se wedder rüt kem,
har se'n jungen son.
Hans reit nä Engelland
hal sin kind 'n windelband
(Engelland dat wer versläten,
slötel wer im loch afbräken) *).
windelband w£er altoblank,
vader niBm't to bökseband.
Schnaaken ist ein Dorf unweit Königsberg am Kurischen HafF.
1) Ist dieses rom auch aus Roan entstanden?
2) Aus den russischen Ostseeprovinzen d. Cand. J. v. d. Smissen. — An
die 4te Zeile schliefst sich die Fortsetzung: Die Kinder wolln es essen, da
falln sie in den Kessel. Die Kinder wolln es trinken, da falln sie in den
Winkel. Da kommt der grofse Trippetrapp und steckt die Kinder in den
Sack. Da schreien die Kinder ei! ei! ei! O lass mich los. Ich geb dir
Butterbrod, ich geb dir Tabacksdos', ich geb dir Apfelmofs.
3) Bauerschaft Dersum in der Herschaft Campe -Dincklage in Hannover
D. Fräulein E. Freiin von Dincklage- Campe. Leehband, Gängelband. Heen-
land ein Ort an der holländischen Grenze bei Bunde.
4) Holstein mündlich. Vergl. Berlin aufgez. von H. Reinicke:
689
Hiemit nun vergl. man:
Storch, Storch, Steine
Mit de lange Beine,
Mit de korze Knie.
Jungfrau Marie
Hat e Kindche funne,
Isch mit Gold umbunne.
Wer Solls hewwe?
Der Pätter oder die Got.
Wer soll die Winnie wasche?
Die Mäd mit der Lapperdäsche ').
Eine Danziger Variante hierzu (s. oben S. 529, 11
Anm. 1) bietet „Hat'n Kind gefunden, war in Gold ge-
bunden" und eine Aargau er Recension s. oben S. 534, d
liest: Hat es Chindli funde, häts in Plunder bunde."
Zu erwähnen ist noch ein tirolisches, obwol sehr verderb-
tes Lied:
Storch, Storch, trauni,
Storch, Storch, brauni
Füfs und lan<Te Finjrer,
Sollst mir eine bringen.
Als die Braut zur Kirche ging.
War sie bunt geflochten:
Als sie wieder raufser kam,
Hatt' sie ne junge Tochter.
Reist der Vater nach Engelland,
Holt dem Kind ein Wickel band.
Als der Vater wiederkam.
War das Kind gestorben.
Hab' ich dirs nicht gleich gesagt;
Bleib bei deiner Wiegen,
Nimm den Fuchsschwanz in die Hand
Und kehr dem Kind die Fliegen.
Die Lesart Engelland kehrt wieder in Aufzeichnungen aus Berlin d. H.
Runge und d. H. Bunk und aus Oranienburg bei Berlin d. H. Dupr(<, dage-
gen tritt Pommerland (s. oben S. 347) ein, Alttöi>litz bei Potsdam und
Treuenbrictzen d. H. Sasse. — Oranienburg: Gii ngelband = Wickelband. —
Alttöplitz: Und als er wieder zu Hause kam, war das Kind begraben mit
Schippen (S(!haufeln) und mit Spaten. — Trcucnbrietzcn ; Oranienburg; Ber-
lin (Bunk) schalten nach ,, Wickelband" ein: Die Mutter ging nach Dresen, holt
dem Kind 'n Besen.
1) Dietzenbach bei Oft'enbach d. H. Rosenstiel.
44
690
Leg mir eine hin
Mit einer goldenen Krün
Storch, Storch, trauni,
Mit den langen brauni,
Komm, klappr' ja! ').
Krün kann kaum etwas anderes sein, als „die Kring"
d. h. der Ring, da Kroan Krone absteht.
Das Ergebnis, welches wir aus diesen Liedern zu zie-
hen haben, kann zunächst kein anderes sein, als dass zum
Gedeihen des neugebornen Kindes ein goldenes Band
nötig erachtet wurde, das aus Enge Hand, dem himmli-
schen Lichtreich, dem Sitz der Ungebornen s. oben S. 373
ffifsr., stammt, auch mit dem Kinderbrunnen der Holda in
Verbindung steht, und sich dadurch mit Wahrscheinlich-
keit als heidnischer Vorstellung angehörig zu erkennen giebt.
Vermute ich recht, so diente dieses Seil die Körperlichkeit
des Neugebornen zu festigen, die Verbindung zwischen Kör-
per und Seele herzustellen ^). Ich stütze mich dabei auf
folgende Gründe.
Der Körper galt unserm Altertum als ein blofses Ge-
wand der Seele. Der Ausdruck dafür ist altn. hamr und
hams, ags. hama, homa, sächs. hämo, ahd. hämo, altfr.
homa, hama, wozu goth. gahamon, ufar-hamon, ana-hamon,
ivÖveö&ai, iTiEvSvsoß'ai; and-hamon, af-hamon, anexdvsiv,
ixövsa&at und ahd. hemidi, nhd. Hemde gehören. Danach
heifst der Leib altn. lik-amr, lik-ami (aus lik-hamr), ahd.
lih-hamo, nhd. Leich-nam, alts. lik-hamo, ags. lic-hama,
flaesc-hama d. i. Körpergewand, Fleischgewand. Ebenso
heifst der Vogelkörper altn. fjaör-hamr, ags. feöerhoma,
alts. fetherhamo, Federgewand; der Wolfskörper altn.
ülfshamr, der Seehundskörper faer. köpahamr und nicht
minder ist von einem trölls-hamr Riesenkleid d. h. Rie-
1) Zingerle, Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes S. 161.
No. 72.
2) Es scheint nach S. 689 Anm., dass das Kind stirbt, da das Seil
zu lange ausbleibt.
691
senkörper die Rede '). Unter gewissen Umständen ist es
der Seele möglich dies Körpergewand zu verlassen und be-
liebig in ein anderes zu schlüpfen. Da nannte man ha-
maz das Gewand umziehen, die Verwandlung hiefs hama-
skipti. Eine Hexe, die in fremder Menschen- oder Tier-
gestalt Umfahrten (ham-farir) hielt, wurde ham-hleypa
genannt, ein Wort, das auch Männern zusteht '^) ; ein sol-
cher hiefs ham-ramr gewandmächtig. Die Verwandlung
in andere Gestalt geschieht rein äufserlich durch Anziehen
des anderen Körpergewandes. Als Loki die geraubte löunn
wiederholen soll, bittet er Freyja um ihr Palkengewand
(vals-hamr), er fährt hinein und fliegt als Falke nach
Thrymheirar. Thiassi verfolgt ihn, als er mit löunn da-
vonflieht, indem er Adlergewand nimmt (tekr ar-ha-
minn) als Adler ^). Um Thors Hammer wiederzusuchen
erbittet sich Loki von Freyja ihr Federgewand (Qaör-
hamr"*); er fliegt damit und das Federkleid (d. h. der Vo-
gelkörper) rauschte (fjaör-harar dunSi ^). Valkyren fliegen
als Schwäne durch die Luft. In Seen sich badend le-
gen sie die Schwankörper (älptar-hamir) ab und tragen
menschliche Gestalt "). Eine Valkyre nimmt zum Fluge
Völsüngas. cap. 2 auch Krähengewand an (hun brä ä sik
kräku-ham ok flygr). Sigmundr und Sinfjötli fanden im
Walde ein Haus, darin lagen zwei schlafende Männer. Ihre
Wolfskörper (ülfa-hamir) hingen über ihnen, denn sie
waren verwünschte Königssöhne, und konnten nur jeden
zehnten Tao; aus ihren Wolfs2;ewanden fahren. Sisfmundr
und Sinfjötli fuhren in die Wolfskleider und nahmen Wolfs-
geberden und Stimme an; so verwandelt stifteten sie gro-
fses Unheil in ihrer Feinde Land'). Die Seehunde (ko-
1) Völuspä 32.
2) Fornaldarsög II, 390.
3) BraKilricöur k. 56.
4) Muiitü iner, Freyja, fjaörhanis Ijä!
5) ThrymsquiSa 3. 5.
6) Völiinöarqu. Vorr. ed. Muncli S. 72. IlcIrciS Bryiih. 6. Fornaldar-
II, 375. 37G.
7) Völsüngas. k. 8. Ycigl. Petersen, Nordisk mythologi p. 149 fgg.
44 *
692
par, selir) sind nach feroeischem Glauben Nachkommen
ertrunkener Menschen, welche am heiligen Dreikönigsabend
jährlich einmal ihr Seehundskleid, ihre Haut (kopahamar,
hüS, bjalvi ') ablegen und anderen Menschen gleichend (li-
kir öörum menneskjum) am Ufer tanzen und spielen. Ein
Bursch belauschte diesen Tanz und sah das schönste Mäd-
chen aus einem Seehundsbalge fahren (koma üt ür einum
köpa-hami). Er raubte das Seehundsgewand und gab es
ihr trotz ihrer Bitten „geva sär hamin aftur " nicht zu-
rück. Sie heiratete ihn und gebar ihm mehrere Kinder.
Einmal aber vergafs er deu Schlüssel seines Kastens zu
Hause. Die Frau fand das Seehundskleid (sä hamin liggja
]ja) konnte ihrer Sehnsucht nicht widerstehen, schlüpfte hin-
ein (og för i hann) und verschwand im Meer '^).
Dass dieselbe Auffassung auch den Südgermanen eigen
war, bezeugen aufser dem Worte lih-ham folgende For-
meln. Von einem bösen Geist heifst es: j^ät he mid feöer-
homon fleögan meahte, windau on wolkne. Cädm. Gen.
ed. Gr. 417. Von einem Engel: thuo thar suogan quam
engil thes alowaldon obhana fan radure faran an fether-
hamon. Helj. 171, 23. Von den Vögeln: farad an fe-
Sarhamun. Helj. 50, 11. In deutschen Sagen kehrt häufig
der Zug wieder, dass elbische Jungfrauen durch üeber-
werfung eines Gewandes, eines Hemdes oder Schleiers
sich in Schwäne verwandeln. An stillen Weihern legen
sie dieses Hemd ab und haben nun wieder menschliche
Gestalt ^). Umgekehrt sind sieben Knaben in Raben ver-
wünscht und fliegen in dieser Gestalt herum, d. h. sie sind
getötet, sind Seelen"). Die Rückkehr in menschliche Ge-
stalt erfolgt, als ihre Schwester sieben Hemden spinnt,
webt und näht^). Höchst merkwürdig ist die Erzählung
1) Vor"-!, altn. bjälfi vestis ampla, informis, pellicea.
2) Andquarisk tidskrift 1849—1851 S. 192 fgg. Vergl. Wolf, Beitr. II,
308. Grimm, Ir. Elfenm. XL VII fgg. Myth.^ 1049, Aum.*. Thiele, Daaske
SagQ III, 51. Liebrecht Gervasius S. 134.
3) S. die Beispiele gesammelt bei Wolf, -Beitr. II, 211 — 219; von der
Hagen, Schwanensage: Reiffenberg, Le Chevalier au cygne Brüssel 1846.
4) Vergl. darüber AV. l^Iüller in Pfeiffers Germania I, 425.
5) KlIM. III,^ 81. Kuhn, Märkische Sagen S. 286.
693
KHM. No. 49. Eine Stiefmutter wirft 6 Knaben weifs
seidene Hemdchen über den Kopf, worauf sie sogleich
als 6 Schwäne davonfliegen. Sie werden wieder zu Men-
schen, als ihre Schwester schweigend 6 andere Hemden
aus Sternblumen (vergl. o. S. 383 fgg.) spinnt und den 6
Schwänen überwirft. Am einen Hemde fehlte noch der
linke Aermel. Deshalb brach dem jüngsten Bruder der
linke Arm und er hatte dafür einen Schwanflügel. Das
Hemd, welches die Rückkehr und Verwandlung in mensch-
liche Gestalt bewirkt, ist mithin der menschliche Körper
(lih-hamo ^). Nimmt Jemand dem im Walde herumlau-
fenden Werwolf die bei Seite gelegten menschlichen
Kleider weg, so muss er Werwolf bleiben ').
Schon W. Grimm äufsert '^) : Ich vermute die geheime
Kraft, wodurch eine solche Haut sich dem menschlichen
Leib anschloss und selbst eine Umgestaltung desselben be-
wirkte, lag in einem Ring, oder einer goldenen Kette.
So verwandelt sich eine Frau in einen Werwolf, indem sie
einen Ring über sich wirft ^), Nach dem franz. Lais de
Mehon p. 49. 50 verwandelt sich der entkleidete Mensch,
mit einem Zauberring berührt, alsbald in einen Wolf. Nach
dem Glauben der Inselschweden erkennt man in Werwölfc
verwandelte Brautleute an weifs en Ringen um den
Hals^). Gewöhnliche Annahme des Volksglaubens ist,
die Verwandlung werde durch einen um den Leib ge-
bundenen Riemen bewirkt. Dieser Gürtel sei nur
drei Finder breit und aus der Haut eines Menschen ge-
schnitten ^). Nach polnischer Sage legte eine Hexe ihren
Gürtel auf die Schwelle eines Hochzeithauses, Braut und
Bräutigam und sechs Brautfühi-er darüber tretend, wurden
1) Aus dieser Auffassung dos Körpers als Gewand wird es auch erklär-
lich, wie nach nordischer Sage Sigurör und Gunnar die Gestalt tauschen kön-
nen. Der Grund dieses Tausches ist freilich cia tieferer, mythisciicr.
2) Myth.^ 1050.
3) Heldensage 388.
4) Myth.'* 1049.
5) Russwurm, Eibofulke II. §. 300. 10 S. 203.
G) Myth.- 1050.
694
in Werwölfe verwandelt. Nach drei Jalaren bedeckte die
Hexe jeden Werwolf mit einem Pelz (dem menschlichen,
lihhamo), dessen Har nach aufsen gewandt war. Sogleich
wurde derselbe wieder Mensch. Nur dem Bräutigam reichte
die Decke wol über den Leib, nicht über den Schwanz
und er behielt bei sonst menschlicher Gestalt den Wolfs-
zagel '). Nach einem dänischen Volksliede kämpft ein von
seiner Stiefmutter in einen Bären verwandelter Held (mann-
biönn, Mannbar, wie man in Norwegen sagt, altu. biarn-
heöinn s. oben S. 290, Anm. 2) mit einem Ritter:
Denn sie ists, die mich bezaubert hat;
Sie tats mir an so falsch.
Und band mir dies Eisenband um den Hals.
Kannst du dies Eisen zerbrechen nicht.
So blas ich dir aus dein Lebenslicht.
Der Hofmann macht ein Kreuz über ihn.
Das Band zerbrach, der Bär ging hin.
Und war ein Ritter hold und fein.
Des Vaters Reich ward wieder sein ^).
Als ein alter Bär in Ofodens praestegjeld, der 6 Menschen
und 60 Pferde getötet hatte, endlich selbst getötet wurde,
fand man bei ihm einen GürteP). Nach der Uebertra-
gung der 7 weisen Meister jagt ein Ritter vergeblich eine
schneeweifse Hindin, er findet am Fluss eine nackte schnee-
weifse Jungfrau mit goldener Kette in der Hand, die
er ihr fortnimmt. Sie ist nun in seiner Gewalt, er trägt
sie in sein Zelt, ehelicht sie und sie wird die Mutter der
7 Schwankiuder *). Das in ein Rehkälbchen verwandelte
Brüderchen KHM. No. 41 trägt ein goldenes Strumpf-
band als Halskette. Eine in Hirschgestalt umgehende
Seele hat eine Goidkette um den Hals^). Ebenda trägt
1) S. Woycicki, Klechdy 101 — 113. 152 — 158.
2) Kjitmpeviser S. 147. Danske Viser I, 184.
3) Sommerfeldt, Saltdalens prgestegjeld p. 84.
4) Vergl. AD. Blätter I, 128 fgg.
5) Thiele, Danske folkesagn 1843 S. 8.
605
König Frodes Hirsch eine Goldkette'). Nach Mu-
säus ^) geschieht die Verwandhmg in einen Schwan durch
einen Schleier mit goldener Krone, die darunter ge-
setzt wird. Ein Wirt ist durch Zauberei einer Frau län-
ger als ein Jahr Gans gewesen und mit den Gänsen um-
geflogen, bis ihm einmal eine andere Gans das Tuch lein,
worin der Zauber lag, vom Hals abgerissen^). Notker
kennt einen Schwan ring. Er übersetzt die Worte Ps.
79, 14 „singularis ferus depastus est eam": „der einluzzo
wildeber, der mit demo suaneringe ne gät, habet in sus
frezzen." Er setzt den wilden Waldeber dem zahmen, der
seine Natur geändert hat, entgegen. Das scheint ein Ring
zu sein, der Verwandlung in Schwangestalt und an-
dere Tiergestalt mit Beibehaltung menschlicher, men-
schenfreundlicher Gesinnung bewii'kte ■*).
Andererseits hängt aber von Goldring oder Gold-
kette die Rückkehr in menschliche Gestalt ab. Die Wolfs-
häute, in welche Sigmuudr und SinQötli fahren, hängen
neben den Männern, die jeden lOten Tag davon befreit
wurden. Von diesen Männern wird gesagt, sie hätten da
im Gebüsch gesessen mit dicken Goldringen. Da
nachher die Völsünge, welche nicht im Besitz der Ringe
1) Thiele a. a. 0. S. 16.
2) Volksmärchen „Der geraubte Schleier.''
3) Niclas von AVyl, in s. Uebersetzung des Apulejus. Mj'th.'* 1048.
4) W. Grimm, Heldens. S. 30. "Wie hier (wegen Häufigkeit der Schwan-
verwandlung) der Eber den Schwanring trägt, hat in einem pommerelli-
schen Märchen ein König seine Tocliter demjenigen versprochen, welcher einen
wilden Eber zu erlegen vermag. Ein graues Männchen schenkt dem dum-
men Hans eine Gold kette. Diese wird über den Eber geworfen und das
Tier ist gefangen und zahm, Ist hier der Eber wie oben S. 317. 318 Vo-
gel und Wild als spuckender Geist in Wildschweingewand gedacht, welcher
erst durch die Goldkette Körperlichkeit erhält, greifbar wird? — In Eh-
ningen geht in den Adventsnächten eine kleine weif sc Sau um, welche
eine Kette um den Hals trägt. Zu derselben Zeit zeigt sich eine weifso
Gans im Flecken. Meier, Schwab. Sagen S. 225, No. 255, 2. Auch andere
Gespenstertiere z.B. der Hund im Schatzberge bei der weifscn Frau tragen
goldenes Halsband, z.B. Baader 299, 323. Wenn KlIM. No. 76 ein
verräterischer Kocli verwünscht wird ,,du sollst ein schwarzer Pudelhund wer-
den und eine goldene Kette um den Hals liabcn," so scheint diese
Kette wieder das die Tiergestalt festigende Seil zu sein.
sind, die Wolfshaut nicht verlassen können, sondern Gei-
ster bitten müssen, sie ihnen abzunehmen, war, wie es
scheint, die Verwandlung in Menschengestalt durch diese
Ringe bedingt ^). Ein Königssohn ist zu Zeiten in einen
Baum, zu Zeiten in eine Taube verwandelt. Seine Rück-
kehr in menschliche Gestalt hängt von einem Ringe ab,
der in Gewalt einer bösen Hexe ist -). Beatrix gebiert 7
Söhne mit Silberketten um den Hals. Als man ihnen
die Ketten abnimmt, werden sie in Schwäne verwan-
delt. Als später diese Ketten wieder über die
Schwäne geworfen werden, kehren sie dauernd in
menschliche Gestalt zurück^).
Die Seele konnte jeden Leib wie ein Gewand anzie-
hen oder ausziehen; die Verbindung zwischen Geist und
Körper wurde erst durch ein goldenes Seil, eine gol-
dene Kette, einen goldenen Ring, mit einem Worte
ein Band gefestigt, welches dem neugebornen Menschen
aller Wahrscheinlichkeit nach die Schicksalsgöttinnen wäh-
rend der mit der Namengebung verbundenen Wasserbe-
sprenguug spunnen. Durch dieses Seil wurden zu gleicher
Zeit gewisse Eio-enschafteu dem Charakter des nun voil-
ständig zur Menschlichkeit durchdringenden Kindes mitge-
teilt. Wir fanden oben S. 611 fgg. wahrscheinlich, dass
während der Wassertaufe die Schicksalsgöttinnen
bestimmen, ob das Kind zur vollen Körperlichkeit durch-
drincren oder seelische Natur d. h. die Fähigkeit der Seele
den Körper nach Gefallen zu verlassen und zu wandeln,
behalten soll, vergl. oben S. 310 — SIS''). Wir sahen fer-
ner, dass von den Schicksalsjungfrauen in diesem Mo-
ment dem jungen Erdenbürger Eigenschaften oder dauernde
1) S. Völsungas. cap. XII. W. Grimm, Heldensag. 388.
2) KHM. No. 123.
3) Grimm, D. Sagen II, S. 201. No. 534 fgg.
4) Hierfür spricht nun auch die Bestimmung der lex Salica, dass vor
der Namengabe ein Kind nur mit halbem Wergeid gebüfst und dem Fötus
gleichgestellt wird.
697
Glücksgüter beigelegt werden, s. S. 588. 589. 634 fgg. *).
Diese Eigenschaften oder Glücksgüter werden aber durch
ein Band mitgeteilt, das um den Neugebornen geschlungen
wird. Unter den Inselschweden an Russlands Küste bin-
det man bei der Taufe einige Silbermünzen in die Win-
deln und Salz in einen Zipfel des Tuches, welches bei
dieser heiligen Handlung dem Kinde über die Augen ge-
legt wird '^K Auch in Schweden ist neben dem Glauben
an Zauberkraft des Taufwassers die Sitte verbreitet, dem
Täufling einen Pfennig oder ein Stück Brod ins Taufzeug
einzunähen, wodurch er Reichtümer erlangen solP). Bei
Gernsbach im Speierschen windelt man beim Wickeln des
Kindes etwas Brod und Salz mit ein"). Ebenso bindet
man dem Taufkinde Brod und Käse beim Kirchgang ein ^).
Das Patengeschenk wird bei den Inselschweden dem
Täufling in die Windeln (oder die Wiege) gesteckt '').
Nicht anders muss der Pate in Tirol vor der Taufe das
Taufgeld in die Fatsche (Windel) legen "'). Vergl. oben
S. 591, Anm. Dieselben Sitten haben nun auch bei Sla-
ven statt. Christus und Petrus bereisen in Bettlergestalt
die Welt, werden von einem armen Manne zu Paten ge-
beten und beraten nun unter einander („co mu budou va-
zat") was sie dem Knaben binden wollten. Der heilige
Petrus bindet ihm, dass es ihm auf der Welt wolergehe,
Gott der Herr bindet ihm, dass es ihm nach dem Tode
1) Die Stelle Hävam. 159 ist gegen meine oben S. 590 ausgesproclieue
Ansicht doch wol auf die Wasserbesprengung zu beziehen. Die Con-
struction ist nämlich, wie ich nunmehr einsehe: ef ek skal vatui verpa ä
jjegn üngan. „Wenn ich soll mit Wasser sprengen auf einen jungen
Helden."
2) Russwurm, Eibofolke II, S. 66, §. 271. S. 221, §. 365, 1.
3) Afzelius übers, von Ungewitter III, 162.
4) Myth.» XC, 564.
5) Zeitschr. f. D. Myth. IV, 2, 23.
6) Russwurm, Eibofolke II, S. 67, §. 271.
7) J. G. V. Zingcrlc, Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes.
Insbruck 1857 S. 139, 973. Auch im Aargau geben Gottc und Götti ihrem
Taufkinde zur fäsclien (ins Wickclband auch zur hülsen genannt s. ilavon
unten S. 700 ) als Angebinde einen grofsen Drabantertalcr und einen kleinen
Angster, dann wirds später für Grofs und Klein sorgen. Rocholz, Alemann.
Kinderl. 296, 665.
698
wol ergehe *). Einem Kinde etwas bei der Taufe schen-
ken heifst böhm. diteti pH kftu zaväzati^ einem Kinde
etwas bei der Taufe zubinden oder einbinden. Man braucht
für das Patengeschenk auch die Ausdrücke naloziti, za-
loziti anlegen, einlegen, und zakläditi einlegen.
Bei einem armen Manne will die reiche Nachbarin nicht
Gevatter stehen. „Solchen Bettlern wie ihr — sagt sie —
muss man viel einlegen (za-loziti)." Ein zauberhaftes
Weib übernimmt nun die Patenstelle und sagt „aus dem
Dukaten, den sie dem Kinde einlege (z toho dukatu co
diteti zaklädäm) sollten mehrere werden. Als der Mann
heimkehrt, heifst er seine Frau das Eingewundene (Ge-
schenk) herausnehmen, damit sie sehe, was für eine seltene
Patin das Kind hatte (vyndej zävinek, abj'S videla jak
vzacnou kmotru melo"). Das Weib griff unter die
Windeln und zog eine Hand voll Dukaten heraus (zena
sahla za plenu a vytähla hrst dukatu '-). Auch pflegt man
in Böhmen zu sagen „ kmotfi dävaji na povijan" d. i. die
Paten geben an das Wiegen band. Ofi'enbar stehen
diese Sitten und Redensarten mit den folgenden in engem
Zusammenhang. In mehreren deutschen Gegenden heifst
das Patengeschenk Eingebinde. Besold erklärt Ein-
bindgeld: munusculum, quod recens baptizato infanti da-
tur, fasciis quasi indere, numum charta involutum muneri
dare. In Luzern sagt man dafür Einbund, in Schlesien
Gebindnis^). Im Lesachtal in Kärnten legt der Pate
dem lünde sein Patengeschenk in das Taufkleid (kresem-
pfat.). Dieses Taufgeschenk wird Bind band, Täf- Bind-
band genannt *). In Oesterreich Tirol und Kärnten heifst
das Patengeschenk Bindband, bei Höfer I, 85 Bund-
1) Kulda mor, povesti I, 178. Hauus, Die altertümliche Sitte der An-
gebinde S. 7.
2) B. Nemcovä bäcliorsky. Mariska IV, 4 — 10. Aufl. 2. Prag 1855.
Hanns a. a. O. 8.
3) S. J. Grimm, Ueber Schenken und Geben. Abhandl. d. Berl. Aka-
demie 1848 S. 134.
4) Ein solches Geschenk Bindband genannt ivird auch bei der Fir-
melung von den Paten gegeben. Vergl. Geiler von Keisersberg, Seelenpara-
dies Bl. 128: Vatter vnd muotter, die ein kind houd, das jnen lieb ist, spre-
chend: „wir wollen unsserem kind das gold in den buossen legen."
699
band. Hieraus geht hervor, dass man ursprünglich das
Patengeschenk mit einem Bande, Seil, Strick an den
Leib zu binden pflegte. Noch lange war und teilweise
noch ist es Sitte an Namens-, Geburtstagen, den
jährlichen Wiederholungen des Tauftages Jemanden mit
einem Bande zu binden oder ihm ein Geschenk an den
Körper zu binden. Im Lesachtal bindet man das Kind
am Namenstage mit einem Bande und schenkt ihm etwas.
Dieses Geschenk heifst Bindband. Im 17ten Jahrhun-
hundert liefsen die schlesischen Dichter (namentlich Opitz,
Gryphius und Fleming) keinen Namenstag vorüber, ohne
in damals zierlichen Gelegenheitsgedichten zu binden,
anzubinden oder ein Band zu knüpfen. Abwesen-
den wurden Bänder mit dem Reim übersandt. „Wir
pflegen unsere G eburtstage festlich zu begehen, schicken
einander in gutem Anwunsche „Bindebrieflein, ge-
schenkte Bändlein"'). Hieraus entspriefst der Aus-
druck Angebinde für Geschenk bei der Taufe, Firme-
lung, am Geburts- und Namenstage, ein Wort, das erst
späterhin und keineswegs allgemein für Geschenk bei fest-
lichen Gelegenheiten überhaupt verwandt wurde ^). Noch
deutlicher weisen auf das Einschnüren des Leibes mit
einem Bande die schweiz-schwäbischen Namen des Ge-
burtsgeschenks, Patengeschenks, Hochzeitsgeschenks die
1) Butschky, Patmos. Leipzig 1677 S. 50. Grimm, DWB. II, 31.
Opitz singt (Poet. Wald. Amster. 1645 S. 48):
Doch mein williges Gemüte,
Darmit ich euch zugetan,
Uebertrifft des Bandes Güte,
Welches ich jetzt knöpfen kann.
Weil der Sinn nun nicht gebricht.
So verschmäht das Band auch nicht.
Fleming, Geist- und weltl. Poemata. Jena 1651, 42.
So soll er, aller Blumen Schein,
IMit Blumen angebunden sein?
Nicht mit Blumen nur allcine.
Dieses Band soll auch sein seine,
Das wir haben aufgewunden,
Darmit sei er angebunden.
2) S. Grimm, DWB. I, '295. 338. II, 32 s. \v. Angebinde, binden,
Bindeband, Bindebrief. Ucber Schenken und Geben S. 135 fgg.
helseta oder wörgeta (gleichsam ahd. halsida, worgida)
von helsen, würgen, ein Band um den Hals drehen^).
Im Aargau heifst würget e der Geburtstag^), in Appen-
zell wörgeta das Geschenk am Namenstage. Die Per-
son, deren Tag gefeiert wird, wird gewürgt, zugleich aber
mit etwas beschenkt^). In Schwaben heifst halsen am
Geburtstage würgen, Subst. das Geburtstagsgeschenk, Ge-
schenk der Paten am St. Niclastage *), halse ist Hoch-
zeitsgeschenk. In der Schweiz dagegen ist helsete das
Geschenk an Kleidern (Hemden, Strümpfen u. s. w.), wel-
ches die Kinder am Neujahrstage von ihren Paten empfan-
gen^). Schliefshch heifst das Patengeschenk im Elsass
auch Strick, in Schwaben Strecke*^). In der Schweiz
einstrickete von einstricken mit dem Seil festbinden.
Dieses Band nun, der Strick, das Halsband (wor-
getli), womit bei der Taufe oder der jährlichen Wieder-
kehr des Namenstages und Geburtsfestes der Mensch um-
schnürt, mit welchem an seinen Körper die glückvorbe-
deutende Gabe der Paten festgebunden wurde "), ist ofi'en-
bar eine symbolische Nachbildung des Schicksalsseils, wo-
mit die Körperlichkeit des Neugebornen während der
Wasserbesprengung gefestigt und in welches Glücksgüter
und Eigenschaften für den von nun an sich bildenden Cha-
rakter des jungen Menschen eingewunden wurden ^). Wir
erkennen es in dem o;oldeuen Wiegenseil aus Engelland ^)
1) Vergl. worgetli Halsband, Stalder II, 457; mhd. helsinc laqueus,
coUare Bou. 57, 92.
2) Rocholz, Alemann. Kinderl. II, 321, 809.
3) Tobler, Appenzell. Sprachschatz 451.
4) Schmidt, Schwab. Idiotikon 259.
5) Stalder II, 37.
6) Schmidt, Idiotik. 510.
7) Von dieser symbolischen Sitte ist wol der Gebrauch des 17ten Jahr-
hunderts ein Eest, Geldgeschenke, bei welchem Anlass sie auch erfolgten,
auf den Aermel, um den Arm zu binden. Grimm, Schenken und Ge-
ben 135. DWB. II, 32.
8) Sollte nicht hieraus auch die Formel, wynnum bewunden, mid
welan be wunden mit Glück (Wohlstand, Macht, Kraft) umwunden von
Menschen; gold welan wunden im Gegensatz zu gold galdre bewun-
den (s. Gram. IV, 752. Myth.* 122G. Nordalbing. Studien I, 19. 23) er-
klärlich werden?
9) Bei den sogenannten wilden Iloclizeiten in Tirol wird ein langes
701
oben S. 687, sowie in dem goldenen Band wieder, welches
um das Kind im Brunnen geschlungen ist s. oben S. 689.
Höchst merkwürdig wird in einem westphälischen Liede,
das oben S. 249 mitgeteilt ist, der Marienkäfer, der die
Kinderseelen bringt (s. oben S. 255) aufgefordert, eine gol-
dene Kette vom Himmel herabzubringen (brenk ne
güllue kie mit). Ist dieser Zug echt und ist das unsere
Schicksalskette?
Nach der Ynglingasaga erhenkt Skjälf ihren Gemahl
A^ni mit einer goldenen Halskette. Diese Halskette
ist ein Erbkleinod im Geschlechte der \nglinge und an
sie schon seit mehreren Generationen böser Fluch geknüpft.
Skjälf ist aber ein Beiname der Freyja'), deren vorzüg-
lichstes in der Mythe stark hervortretendes Attribut eine
goldene Halskette (Brisingamen) ist. Mithin ist die
Halskette bei Skjälf am richtigen Platz, bei den früheren
Gliedern der Genealogie späterer Zusatz, der Fluch (in
Geschlechtssagen, insoweit er sich auf mehrere Generatio-
nen bezieht, stets ein Product jüngerer Zeit, vergl. Pelo-
piden und Labdakiden), bezieht sich nur auf die innere
Kraft der Kette, ist nicht von aufsen an dieselbe geheftet.
Freyja, die Geburtsgöttin, führt zugleich die tötende Schick-
salskette, an welche der Fluch der Vernichtung geknüpft
ist. Als eine besonders altertümliche, auszeichnende Art
der Tötung lässt sich die Erdrosselung mit goldener Hals-
kette mehrfach in deutscher Sage und Geschichte beob-
achten, Walthari tötet den Trogus^ indem er ihm die Gold-
spauge um den Hals drückt:
Exin
Alpharides „morere", inquit, „et haec sub tartara transfer,
enarrans sociis, quod tu sis ultus eosdem."
His dictis torquem collo circumdedit aureum-).
Seil als Wiegenband zum Angebinde dargebracht. Zingerle, Sitten, Bräuche
und Meinungen S. 142 No. 992. Vergl. S. 139. No. 980. S. a. Rocholz,
Alem. Kinilerl. S. 290 „Wiogenscil, Dcisclsoil."
1) Skäldskaparm. k. 75. SnE. Arn. I, 557.
2) Waltharius manufortis 1056. 59. Grimm und Schmeller. I-at. Gu-
dichte S. 39. Ebenso soll Isern Hiunerk den König von Böhmen in der
702
König Konrat wollte den jungen Herzog Heinrich von
Sachsen aus dem Wege räumen. Erzbischof Hatho von
Mainz übernahm die Ausführung des Unternehmens und
liefs eine goldene Kette mit wunderbarer Kunst formen.
Damit sollte Heinrich erdrosselt werden. Der Goldschmied
verriet aber dem Herzog den Anschlag ^). Nach Kirch-
hof') wurde noch 1499 zu Venedig ein Candiot, der einen
Schatz gestohlen hatte, mit einem vergüldten Strick
gehenkt.
Das Wort sanskr. mani (gemma, margarita, monile),
pers. minu, griech. ^ävvog, /növvog, ficcvur/.r/g, lat. monile,
ahd. Plur. menni (monilia), (cf. manili lunula, i. quam mu-
lieres portant in pectore), alts. ags. men, Plur. menas; altn.
men, welches im altn. Brisinga-men, ags. Brösinga-mene
dem Namen des Freyj aschmuckes verwandt ist, ward ge-
wönlich von kostbarem, aus Metall geschmiedetem
Halsschmuck gebraucht; in älterer Zeit galt ein gerra.
mani, das Grimm ^) in den Eigennamen Manikolt, nhd.
Mangold wiedererkennt. Nun heifst der Henker span.
manigoldo, worin Diez *) das deutsche Wort Manigold,
Manogald oder Maniwalt, d. i. „der mit dem Hals-
bande", „der der Halskette waltet" nachgewiesen hat.
Wie leicht auch die beigebrachten Zeugnisse wiegen, es
scheint mir zwischen der goldenen Halskette der Freyj a-
Skiälf und dem Henken noch ein anderer tiefer greifender
Gedankenzusammenhang zu sein, als die einfache Auffas-
sung des Galgenstrickes als Halsband. Ich vermute, dass
man in dem tötenden Galecenband ein Abbild des von
der Schlacht bei Cressy mit der goldenen Kette, die er am Halse trug, zu
sich gezogen haben. Miillenlioff, Sagen S. 25 No. XXIV.
1) Dietmar von Merseburg I, kap. 11.
2) Wendunmat III, 257. Philipp der Grofsmütige von Hessen sollte
auf des Kaisers Geheifs, Heinz von Lüder, den treuen Verteidiger von Zie-
genhavn in Ketten aufhängen lassen. Er nahm seine goldene Kette vom
Halse, liefs seinen Obersten, ohne ihm wehe zu tun, aufhängen, gleich wieder
abnehmen und verehrte ihm dieselbe unter grofsen Lobsprüchen seiner Tapfer-
keit. Hormayr, Taschenbuch f. D. vaterl. Gesch. 1842 S. 246.
3) Gram. III, 453. Myth.^ 498.
4) Wörterb. d. Roman. Sprachen 416.
703 _
Freyja-Holda oder den Schicksalsgöttinnen gesponnenen,
geflochtenen Seiles erschaute und darum der goldene
Halsschmuck symbolische Bedeutung hatte. Er ge-
mahnte seine Träger und Trägerinnen sowol an das Ge-
burtsseil, wie an den Todesstrick. So ist erklärlich, wes-
halb in Heljand 52, 6, wo davon die Rede ist, dass man
die Perlen nicht vor die Säue werfen soll (Math. 7, 6)
das Halsband heilig genannt wird: Ne sculun gi suinum
teforan iuwa meregriton macon, ettho medmo gestriuni,
helag halsmeni. Mit dem Galgenstrick wurde mannig-
facher Zauber getrieben. Ein Seil, woran Jemand erhenkt
ist, um den Kopf gebunden, heilt Kopfweh'), Zahnschmerz'^)
u. s. w. Beachtung verdient die Sitte in Ulten, wenn die
Leiche auf dem Totenbette liegt, einen Nähfaden in Kreuz-
form über sie zu ziehn ^).
§. 9. Noch einmal die Nornenlieder.
Nunmehr sind wir ausgerüstet, um auf die Lieder §. 5
oben S. 524 zurückkommen zu können. Seit der obige
Abschnitt gedruckt ist , hat Vernaleken *) noch mehrere
Varianten bekannt gemacht, wovon drei (aus Zürch, dem
Thurgau und Appenzell) zu unserer No. 18 oben S. 531
in blofs mundartlicher Verschiedenheit stimmen, doch ge-
währen sie sämmtlich „spinnt haberstrau" für „schnidt
haberstrau." Nur eine Aufzeichnung aus Glarus verdient
Erwähnung (vergl. oben S. 526, No. 5):
Rite, rite rösseli
det obe stät es schlösseli,
det obe stät es guldig hüs!
luged dri jungfraue drüs.
Die erst spinnt side,
die ander goldwieden,
1) Has^ens Germania VII, 43G. Wolf, Beiträge I, 2-17, 5G1.
2) Wolf a. a. O. 247, 562.
3) Sitten, Bräuclie und Meinungen des Tiroler Volkes. lusbruclc 1857
S. 25, 204.
4) Alpensagen. Wien 1858 S. 119 No. 97.
704
die dritt gät is sunnenhüs
und lät die guldig sunne üs.
Ebenso ist noch eine Basler Aufzeichnung zu bemerken r
Rite, rite rössh
z' Basel stoht e schlössli,
z' Liestel stoht e herehüs,
luegi schöni maiteli drus:
eis spinnt side
's ander schnitzlet kride,
's dritt machts d' türe'u uf
und lofst der rege-n-iue ').
Nach den von uns gepflogenen Untersuchungen kann
es kaum mehr zweifelhaft sein, dass in jenen Liedern wirk-
lich von den Schicksalsgöttinnen die Rede ist, welche dem
neugebornen Menschen das Schicksalsseil spinnen.
Der heidnische Inhalt der Lieder wird vorzüglich durch
ihre Berührung mit den oben S. 389 fgg. erläuterten Ueber-
lieferungen gewährleistet. Die Form aber, das muss auf
den ersten Blick auffallen, reicht keineswegs in so hohe
Zeit hinauf; so dass wir notgedrungen annehmen müssen,
dass wir hier Umdichtungen eines oder mehrerer älterer,
wahrscheinlich alliterierender Lieder vor uns haben, wel-
che bei Verwandlung des Textes um der Reime willen den
Sinn mit ziemlicher Sicherheit festhielten. Dies dürfen wir
bei der Beurteiluno; der einzelnen Lesarten nicht aus den
Augen lassen.
Side ahd. sida (sericum) kann an die Stelle eines Gold-
seils getreten sein, wie in den oben S. 677. 679 (vergl. S.
682) angeführten Liedern, möglicherweise aber ist es Um-
deutung eines ahd. vielleicht nur zufällig nicht erhaltenen
SIDA (laqueus) vom Stamme SEI}>A (SEIDA?), SAIJ^,
SI1>UM, ahd. SIDü (SITü), SEID, SIDUMES (Gram.
II, 46 No. 507b), das aus ahd. seid, said (laqueus), bi-
1) Basler Kinderreime S. 10. Zu No. 8 oben S. 527 ist ebendaher
S. 9 nachzutragen: Eite rite rössli, z' Basel stoht e schlössli, z' Basel stoht
e glockehüs, luege schöni maiteli drüs. Eis spinnt side, 's ander wickelt
Wide; 's dritt spinnt klorigold, das isch de liebe maiteli hold.
705
seidon inlaqueare, ags. säd (säö?) laqueus neben ahd.
seito (laqueus, funis), seita (chorda) gefolgert werden darf.
In jedem Fall kommt das Seidespinnen mit dem Spinnen
des Goldseils bei Helgis Geburt überein, das Weidespin-
nen s. oben S. 538 stimmt zu dem Seil, an welches die
dritte der bairischen Jungfrauen, die Held, bindet s. oben
S. 641, sowie zu der tötenden Halskette oben S. 701 fgg.
Im Namen Warbette, Gwerpet oben S. 645 fanden wir
denselben Gedanken ausgedrückt, den die von uns S. 538
vermutete Formel „die dritte ruft kreiden" gewährt.
Vgl. die Sage von der Burg Botenlaube oben S. 642. 43.
In unsern Liedern werden die drei Jungfrauen auch
als „die drei Mareien", „drei schöne Nonnen" be-
zeichnet s. oben S. 532. In den Bairischen Sagen treten
die drei Schwestern häufig als drei Nonnen auf) und die
verwandten Nixen ^) und witten wiwer ^) sind in Sagen und
Liedern ebenso häufig zu Nonnen geworden, wie Zwerge
zu Mönchen. Ebenso zeigt sich in den bairischen Ue-
berlieferungen bereits die Neigung, die drei Schwestern in
die drei Marien ( Molen J übergehen zu lassen*). St.
Wilbett, Warbett und Ainbett bewohnen für sich ein klei-
nes Kloster; auf dem Jungfernberg bei St. Georgen ha-
ben zwei weifse und eine halbschwarze Jungfrau ein Klo-
ster gehabt^) und Fridlev in der Absicht „parcarum
oracula consultare, deorum aedes precabundus accedit, ubi
introspecto sacello ternas sedes totidem nymphis
occupari cognoscit (s. oben S. 591)." Nach Völ. 19 woh-
nen die Nörnen in einem Saal beim Uröarbrunnen unter
der Esche Yggdrasill. Mit dieser Scenerie stimmt das
goldene Haus, Sonnenhaus (Puppenhaus, Hinterhaus,
Glockenhaus, Hühnerhaus, Bäckerhaus, Herrenhaus) über-
1) S. Panzer I, S. 376. Wolf, Beitr. II, 178.
2) Wolf, Beitr. II, 275. 277.
3) Zeitschr. f. D. Myth. II, 145, 4, 1.
4) S. Panzer I, S. 66. 67. 68. 106. 114.
5) S. weitere Beispiele Panzer I, S. 374, §. 38.
45
706
ein, aus welchem unsere Lieder die drei Jungfrauen her-
vorschauen lassen. Doch ist das kein wesentlicher Punkt.
Viel wichtiger ist die Wahrnehmung, dass der, wie ich
hoffen möchte, augenscheinlich geführte Nachweis, dass die
nordischen Nörnen und deutschen Schicksalsgöttinnen ihrer
Grundnatur nach Wolkenfrauen waren, die den Schatz
des Sonneugoldes verschlossen halten, mit dem Ausgang ei-
nes Teiles unserer Lieder in Uebereinstimmung steht, wonach
zu zwei schicksalspiunenden Jungfrauen eine dritte sich ge-
sellt, welche das Tor des Himmels aufschliefst, die
Sonne heraus und den Regen hineinlässt. Dieses
Herauslassen der Sonne kehrt auch anders gewendet in
dem schwedischen Liede oben S. 657 No. 4 wieder, wel-
chem zufolge Frau Sole, drei Stunden bevor die Sonne
aufgeht, bei den Schicksalsjungfrauen auf vergoldendem
Rocken spinnt (vergl. oben S. 664}.
Auch dass der Kinderbaum und Kinderbrunnen Frau
Holdas mit dem Brunnen und Baum der Schicksalsgöttin-
nen identisch war, glauben wir oben S. 670 erwiesen zu
haben, und daraus ergiebt sich, dass kein innerlicher Grund
die Echtheit der Variante zu bezweifeln nötigt, welche aus-
saort, dass die dritte Schwester an den Brunnen geht und
darin ein goldenes Kindchen findet s. oben S. 536 fgg. Die-
ser Zug kehrt auch noch bei Panzer H, 596 in zwei Lie-
dern') wieder, welche wiederum mit dem S. 533 fgg. aufge-
führten Kinderreim ^) näher verwandt sind. Ich vermag
daher um so weniger die oben S. 536. 37 aufgestellten,
aus dem Zustande des überlieferten Textes geschöpften Be-
1) Das eine vom Rhein stimmt fast wörtlich zu unserer No. 10 oben
S. 528, das andere aus München: Am Glockenbach sind drei Poppe-
len drinnen, die eine spinnet Seide, die andere -wickelt Weide, die dritte sitzt
am Brunnen, hat ein Kindlein gfunnen. Wie soll das Kindlein heifsen? La-
perdon und Dida. Wer soll das Kiudlein waschen? Der mit seiner Klapper-
daschen. Hängt ein Engelein an der Wand, hat ein Eielein in der Hand.
Wenn das Eielein herunter fand, hätt die Sonn ein End.
2) Zu a bringt Vernaleken, AJpensagen 121 ebenfalls eine Variante:
Hopps hopps Eserlmo, d' katz' reit' d' stieferl o'; reit damit nach Hollabrunn,
sitzt a biawarl auf da sunn. Wia muifs 's hoafsen? böckl oder goafsl.
Wer muifs d' windel waschn? rt ahnl (Grofsmutter) mit da pludataschn.
707
denken, dass hier zwei ursprünglich nicht zusammengehö-
rige Lieder vermengt sind, zu beseitigen und stelle diesen
Punkt weiterer Untersuchung anheim. Ebensowenig wage
ich zu entscheiden, wieweit der rote E,ock, das Hemd
No. 3 S. 525. No. 13 S. 530. 16. 17 S. 531 Glauben ver-
dient. Nach No. 3 könnte es scheinen, als sei damit ein
himmlisches Gewebe gemeint. Die Legende legt dem Pro-
pheten Elias feurige Windeln bei. Nach finnischer
Mythologie trägt Ukko der Gewittergott ein feuriges
Hemd'), offenbar die rotschimmernde Wolke, in welche
sich das Gewitter einhüllt. Obgleich nun nach S. 652 eine
derartige Vorstellung hier nicht befremden könnte, scheint
hier eine andere Anschauung zu walten. Wie Wolf, Beitr.
H, S. 184. 193 vermutet, wurde dem Kinde von den Schick-
salsjungfrauen ein Gewand gesponnen; aber nicht ein über
den Körper geworfenes Schicksalshemd, sondern den lih-
ham selbst möchte ich von den Göttlichen orewebt und are-
fertigt glauben, die das Eintreten der Seele in die Mensch-
lichkeit bestimmten. Doch hierüber lässt sich noch nicht
näher urteilen, ehe nicht Echtheit und Alter der in Rede
stehenden Angabe der Lieder entschieden sind.
Ueberhaupt bleibt der Kritik in Bezug auf unsere Lie-
der nicht geringe Arbeit übrig. Zufrieden ihre Einstim-
mung mit sicher mythischen und in das vaterländische Hei-
dentum hinaufreichenden Sagen von Holda und den Was-
serfrauen, nordischen und deutschen Schicksalswesen nach-
gewiesen zu haben ^), entsage ich vorläufig dem Vortrage
von weiteren Vermutungen über ihre ursprüngliche Form
und Anordnung, die ich noch nicht tiefer begründen kann,
und überliefere nur das Material, soweit es mir erreichbar
war, zur gewissenhaften Nachprüfung meiner Darstellung
und zu eindringenderen Studien. Nur auf einen Gegen-
1) Schiefner, Finnische Mythologie S. 43. Kalevala R. 43 v. 197 fgsr.
rimarinen erbittet sich dieses Gewand, um sich gegen die Pohjolawirtin im
Kampfe zu schützen.
2) Die Oestr. Blätter f. Literatur und Kunst 1857 No. 47. 48 enthal-
45*
JOS
stand wünschte ich noch schliefslich die Aufmerksamkeit
zu lenken. Es ist ein sehr verderbtes Lied aus Bremen^):
In der Buchtstraten, in der Buchtstraten -),
da steit en glad hüs,
da kiekt alle awend
dre j umfern herüt.
De mänd de schint wol up dat swin,
dat swin dat sprung up Metje ern schöt,
Metje kreg en schewen fot.
Maria de kam de treppen herdal,
se harn bunten rock an,
dar hungen wol hundert klokken an,
de klokken fungen to klingen,
Maria fung an to singen:
kling klang klorian!
Kind will uä der schöle gän u. s. w.
Der Eingang stimmt zu den Liedern von den drei
Mareien oben S. 524 fgg. , aber auch zu vielen durchaus
nicht mythischen deutschen und romanischen Volksliedern,
Metje kann das oben S. 639 besprochene Metje = Metten
Schicksalsjungfrau sein, aber ebenso gut die Abkürzung
von Meta = Margaretha. Auffallend aber gesellt sich Met-
jes schiefer Fufs zu der Beinverwundung und dem Hin-
ken der drei Jungfrauen oben S. 671. Ein goldener Eber
(Gullinbursti) spielt im Mythus der nordischen Freyja (die
unserer Holda gleichsteht) und ihres Bruders Freyr eine
Hauptrolle, ein solches heiliges Schwein ist auch für die
deutsche Ueberlieferung vielfach bezeugt, wenngleich die
südgermanische Mythologie von einer Göttin Namens Frouwa
ten einen schönen Aufsatz von Dr. Klun über die Rojenice (Sujenice) die
Schicksalsgöttinnen der Slovenen, welche dem Menschen bei der Geburt be-
stimmen, welches Todes er sterben soll. Aus den reichlich beigebrachten Sa-
gen geht hervor, dass auch die Rojenice den gröfsten Teil ihres Mythus mit
den zelek zene Wunschweibern und bele zene weifsen Weibern gemein haben.
Auch sie sind aus der Schar der alten Wasserfrauen differenzierte Gestalten.
1) Schmidt, Bremenser Kinder- und Ammenreime S. 7, V, 1.
2) Eine Strafse in Bremen.
nichts weifs. Liegt mithin in unserem Liede sagenhafte,
alte Ueberheferung zu Tage? Ich entscheide noch nicht.
§. 10. Schluss.
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen lassen sich in
folgende Hauptpunkte zusammenfassen.
1) Die Seele des Menschen galt unserem Altertum als
Lufthauch S. 269. 270. ^ 300 fgg. 301 Anra. 3. 404.
405. Feuer s. oben S. 310").
2) Bei dem Tode den Körper verlassend gesellt sich
die Seele dem ihr naturgemäfsen Elemente zu. Als Luft-
hauch zur Höhe emporsteigend vereinigt sie sich mit dem
Wind und fährt im Mäitenden Heer um oder sie weilt in
der Wolke, oder dem himmlischen Gewässer überhaupt, oder
sie waltet im Licht der Sonnenstrahlen. Ja in fast jeder
hervorragenden Aeufserung schädlicher oder segensreicher
Naturkräfte wurde die Tätigkeit abgeschiedener Menschen-
seelen erkannt. Als solche Elementargeister heifsen die
Seelen Elbe. Wir stellen darüber noch einige wenige Züge
zusammen.
Die Elbe sind sämmtlich Seeleu und zugleich Ele-
mentargeister. Vom wilden oder wütenden Heer
ist es bekannt, dass es aus den Seelen der Verstorbenen
besteht, die im Sturme umfahren. In einem Teile von
Süddeutschland heilst es das Nachtvolk oder das Nacht-
gejäge. In einigen Gegenden der Schweiz ist die Vor-
stellung des Sturmes fast ganz zurückgetreten^ dieselbe
tritt jedoch neben anderen Zügen darin hervor, dass von
dem Nachtvolk leise Musik (das Sturmlied) ausgeht.
Im Berner Oberlande stellt man sich unter Nachtvolk,
1) Vergl. Meier, Schwäbische Sagen 257, 287. Rocholz, Aargausagen
II, S. 185. Weht der Wind mehrere Tage anhaltend, so bat sich einer er-
henkt. — Wolf, Niederländ. Sagen 616. No. 51'J. Wenn sich ein Wirbel-
wind erhebt, ist nahebei eine Frau im Kindbett ohne Beichte verstorben.
Zingerle, Sitten, Bräuche und Meinungen S. 25, 200: Wenn ein Tugendhafter
stirbt, geht die Seele als weilses Wölklein aus dem Munde.
2) Vergl. Zingerle, Sitten S. 26. No. 215; 28, 226.
710
in Graubünclten unter Toteuvolk, in Wallis unter To-
te nschar einen Geisterzug vor, der durch sein Erschei-
nen einen nahen Todesfall verkündioft. Es trägt mit lei-
sem Gerede Leichname um, der knöcherne Tod mit der
Geige geht ihm vorauf. Das Nachtvolk klopft an die Tü-
ren. Wer ihm antwortet muss mit ihm ziehen und stirbt
bald. Zwei Kinder lagen eins schlafend, eins wachend auf
dem Kreuzwege. Das letztere hörte bald ein Geräusch
zusammenschlotternder Gebeine und mehrere betende Stim-
men. Es war das Nachtvolk. Bald rief eine Stimme „Sol-
len wir die Kinder aufwecken?" „Nein" antwortete eine
zweite Stimme, „eins wird uns bald nachfolgen." Das Kind
hatte nichts gesehen und starb bald. Dass aber das Schwei-
zer Nachtvolk mit dem wilden Heer wirklich eins ist,
geht daraus hervor, dass auch von ihm die Sage von der
getöteten und wiederbelebten Kuh erzählt wird ') s. oben
S. 77 f(r<r.
Das wilde Heer zieht, wenns anderes Wetter ge-
ben soll '^j mit Musik (dem Sturmgebraus) daher. So
oft die Töne ansetzen, neigt sich das Gras der Matten
und das Laub der Buchenwälder wogt ^). So oft diese
Musik gehört wird, giebt es ein fruchtbares Jahr'*).
Das wilde Heer giebt der Kuh Milch s. oben S. 50. Es
führt aber auch Kühe (die Wolken) mit sich, jagt sie und
melkt sie aus s. oben S. 50 fg-ff. Nur eine andere Form
dieser Vorstellung ist es, wenn es heifst, dass wo das
wilde Heer durchzieht, die Kühe auf unsichtbare Weise
gequält und gepeinigt würden, so dass sie laut brüllten,
und am nächstfolgenden Morgen nur wenige und schlechte
Milch geben ^). Die W^olkenkühe sind eine andere Form
der Wolkenfrauen oben S. 78 fgg. Wir lernen demnach
verstehen, was es mit folgender Mythe auf sich hat. Die
1) Vernaleken, Alpensagen 407 fgg. No. 107 — 111.
2) Vernaleken a. a. 0. S. 89.
3) Rocholz, Aargausagen I, S. 71. No. 80.
4) Rocholz a. a. O.
5) Vernaleken S. 87. No. 72.
711
wilden Jäger (das wilde Gjaid) jageü in Steiermark die
hinten muldenförmig gestalteten Wildfrauen, die bei
Bächen wohnen und darin ihre Wäsche besorgen (Was-
serfrauen). Es heifst daselbst aber auch, dass den
Schlitten der wilden Jäger Mägde ziehen, die ein
Schmied alljährlich mit Hufeisen neu beschlagen muss^).
Hiemit steht nun einerseits in Verbindung, dass der wilde
Jäger und sein Gefolge die Saligen Fräulein, die Lohjung-
fern, Moosweibchen, Pfaffenköchinnen, Meerfrauen u. s. w.
jagt^), andererseits dass der Teufel auf Hexen, die zeit-
weilig in Pferdegestalt verwandelt sind, durch die Luft
reitet und ihnen Hände und Füfse mit Hufeisen
beschlagen lässt^). Auch werden geradezu die Pfaffen-
köchinneu als des Teufels Pferde genannt •*) Der Sinn die-
ser Sagen ist ganz deutlich dieser. Die Sturmgeister ja-
gen, reiten die Wolke, die sie bald als Kuh melken, ihren
Kegen zu ergiefsen zwingen, bald als rossgestaltete Was-
serfrau ^) zu eilig dahinbrausendem Ritte besteigen.
Wenn mit anderer Wendung dieser Mythus auch so
ausgedrückt wird, dass die Wasserfrauen (Freyja, Holda,
Frikka, Berhta, Gode) an der Spitze des wilden Heeres ein-
herfahren s. S. 261. 284. 290, so gehen dieselben andererseits
mitunter selbst in den Begriff des Windes über, gerade so,
wie die Indische Saranyus ") die Bedeutung des Regens,
der Wolke und des Sturmes in sich vereinigt '';. So sagt
man in Belgien, wenn Wirbelwinde wüten und alles mit
sich fortreifsen, das sei die fahrende Mutter, die
1) Zeitschr. f. D. Myth. II, 32. 33.
•2) S. Wolf, Beitr. II, 142 fgs- Kuhn, Nordd. Sagen S. 481.
3) Stöbcr, Sagen des Elsass 281, 218. Baader, Bad. Sagen 275, 294.
Tettau und Temnie , Preufs. Volkssageu 193, 198. Venialeken, Alpensagen
283, 203. Müllenhoff, Sagen S. 226. No. 309. 310.
4) Zeitschr. f. D. Myth. III, 314, 60. Wolf, Niederländ. Sagen S. 690,
Anm. 258.
5) S. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Spraehf. 430 fgg. , oben S. 38.
G) Zeitschr. f. vcrgl. Spnichf. I, 446.
7) Darum nehmen die Göttinnen auch mitunter Uundegestalt an, s. oben
S. 508, Anm. 2. Frau Holle bellt wie ein Hund, lierrlciu. Sagen des
Spessarts S. 89.
712
ihren Umzug hält '). In Westflandern heilst es, wenn der
Wind recht pfeift, „hör' Alvinna weint." Das ist eine
Frau, welche wegen einer Heirat") verwünscht ewig um-
fahren muss ^). Als solche Windgottheiten reiten die Was-
serfrauen die Wolke; so jagt Frau Holda auf weifsem
Rosse dem Rollegaul. S. oben S. 262.
Trat in dem Namen Alvinna = Eibin schon elbische
Natur der Geister des wütenden Heers hervor, so bezeugt
dies auch der Name Elbel, den der wilde Jäger bei Mihla
führt *). Wie schon oben S. 44 fgg. behauptet wurde, sind
die drückenden Mären oder Märten, in Baiern Drüten
dem wütenden Heere identisch. Dass sie Seelen sind ist
hinlänglich bekannt ^). Als Windhauch kommen sie durchs
Schlüsselloch ins Zimmer, geradeso wie das wilde Heer (To-
tenschar) durch eine Oeffnung in der Mauer, die nie zu-
gemauert werden kann (d. h. durch welche fortwährender
Zugwind fährt) dahin braust*^). Die Mären, welche bald
männlich, bald weiblich sind, drücken aufser Menschen auch
Steine, Wasser, Eis, Bäume und andere leblose Ge-
genstände. Ein Baum, den ein Mär drückt, zittert be-
ständig, wenns auch noch so stilles Wetter ist
und allmählich verkümmert und vertrocknet er '). Wo die
Mär in ihrem Fluge auf Kornhalmen ausruht^ entsteht
schwarzer Raden, wo sie auf den Hopfenstengeln ruhen
will, wird der Hopfen schwarz. Alle Unformen an den
1) Wolf, Niederländ. Sagen 616, 518.
2) Wie Freyja s. oben S. 295, Anm. 5.
3) Wolf a a. 0. 669, 584.
4) Bechstein, Deutsches Sagenbuch S. 382, 450.
5) Merbitz, De infantibus suppositüs vulgo Weehselbälgen II, §.8 er-
zählt von einem edeln Baiern, cujus uxor defuncta, quum mortem ejus im-
patienter fcrret non tantum rediit se resuscitantem dicens, sed marito etiam
convixit et liberos peperit. Quae tarnen postniodum , quum convitiis et
blasphemiis ut prinio promiserat non abstineret, veste muliebri super arcam
e qua quidpiam deproniere volebat derelicta iterum evanuit. — Ganz das
nämliche erzählt Kirchhoff im Wendunmut von einer Frau von Lustnau bei
Tübingen. Hier haben wir Marensagen mit dem vollen Bewusstsein der See-
lennatur.
6) Vernaleken a. a. 0. 409, 110.
7) Zeitschr. f. D. Myth. II, 140. III. und oben S. 634. Vergl. Panzer
I, No. 109. S. 89, wo die Drüte Muss an einem Schindelbaum sich zu Tode drückt.
713
Bäumen und die sogenannten Märentakken (gewisse Schma-
rotzergewächse) sind Spuren davon, dass die Mär auf ih-
rem Fhige dort ruhte'). Auch in Tirol sagt man, dass
die Truden und Hexen, wenn sie keine Menschen plagen
können, die Eschen, Fichten und Lärchenbäume drücken
und daher die verkrüppelten Bildungen und knolhgen Aus-
wüchse an diesen Bäumen entstehen -). Ist am Baum ein
frischer Ast verdorrt, so sagt man „die Drüt sei
drauf gesessen " und nennt ihn Drütenpflätschn ^). Wir-
belwind heifst Drütenwind *). Halten wir diese An-
gaben mit den oben S. 45. 46 besprochenen Segen zusam-
men, so lässt sich die Bedeutung der Maren als Sturm-
geister durchaus nicht mehr anfechten. Wenn es nun
weiter von den Mären heifst, dass sie nächtlich Menschen
sowie Kühe und Pferde drücken oder reiten, die
man dann Morgens zitternd und schweifstriefend mit ver-
filzten Haaren Morgens im Stall findet^), so steht auch
dieser Zug den Mythen vom wilden Jäger völlig gleich.
„Wenn die Kühe schwitzen und zittern, werden sie nach
der Milch geritten." In hessischen Hexenprocessacten
wird von einem Hexenmann (der hier nur an die Stelle
des Mär tritt) gesagt, dass er auf einer kuhe reitte und
im land zu Hessen milch hole *"'). Die von den Mären ge-
rittene Kuh ist ursprünglich die Wolke, welche ihre Milch,
den Regen zu ergiefsen gezwungen wird, das von ihnen
gerittene Ross gleichfalls das Wolkenross, und diese my-
thische Vorstellung erst späterhin auf die warklichen Tiere
übertragen. Ebenso entsprang der Glaube an menschen-
drückende Mären aus dem Glauben an die von den Sturm-
geistern gejagten, gerittenen Wasserfrauen, der älteste Mär
ist incubus. Da aber die Windgeister selbst oft auch als
1) Wolf, Beitr. II, 271.
2) Zingerle, Sitten und Bräuche S. 62, No. 504. 506.
3) Panzer, Beitr. 11, 298, 7.
4) Panzer a. a. 0. II, 164, 267.
5) S. Wolf a. a. O. II, 272 fgg.
6) Zeitschr. f. D. Myth. I, 277.
714
weiblich gefasst wurden, so lag es nahe, aus der gedrück-
ten (Wasser-)Frau =z (Wolken-)Ross einen Mann zu ma-
chen. So erzählt Asbjörnsen '), dass eine Hexe (= Märe)
auf ihrem Mann zur Hexenversammlung ritt. Durch den
Rat eines Fremden belehrt wie ers anstellen sollte, kehrte
der Mann aber das Stück um und ritt auf dem Rücken
seiner Frau durch die Luft zu Hause. Ein entschiedenes
Kennzeichen des von uns behaupteten Ursprungs tragen
die Märensagen darin an sich, dass die echte Volksüber-
lieferung keine succubae kennt, so viel sie auch von weib-
lichen Mären zu berichten weifs, welche sich ihrem Lieb-
sten über die Brust legen und drücken. Auch der Aus-
druck „dich hat geriten der Mar", „der Alp zoumet
dich" weist deutlich darauf hin, dass in der alten Sage
von einem Ritt auf der (rossgestalteten) Wasserfrau die
Rede war.
Wie Frau Holda^, Frikka, Gode teils als Wolkenfrauen,
teils als Windpersönlichkeiten auftreten, wie das wilde Heer
oft im (himmlischen) Brunnen seinen Aufenthalt hat, oder
im Wolkenberge sich birgt, stellen die Mären sich aber
andererseits als vollkommene Wasserfrauen, als AYolken-
kühe u. s. w. selbst dar, s. oben S. 78 fgg. Auch in an-
derer Hinsicht zeigt sich in den Märensagen ein durch-
stehender Dualismus. Die Mären sind von wunderlieblicher
Menschengestalt und dies zeigt, dass man sie sich als se-
lige Geister dachte. Nach einigen Sagen kommen sie
durch ein Astloch in der Wand mit den Sonnenstrah-
len ins Haus ^). Andererseits aber erscheinen sie bei
Nacht, die Sonne und allerlei Amulete, z. B. der Don-
nerkeil, vertreiben sie (die Wolkendämonen). Dieselben
Wesen sind mithin als feindliche Dämonen aufgefasst, ein
Verhältnis, worüber oben S. 167 zu vergleichen ist. Dass
nun wirklich die Seelen böser Menschen als drük-
kende Mären gedacht wurden, geht mit Sicherheit aus
1) Iluldreeventyr 177. 178. Vcrgl. MüUenhoff, Sagen No. 310.
2) Myth."'* 1217 zu S. 430.
715
der Eyrbyggjasaga hervor. Ein gewisser Thorolfr Baegi-
fötr war im Zorn und Aerger gestorben. Schon am Abend
seines Begräbnistages liefs er sich wieder sehen, belästigte
alle Hausgenossen; die Ochsen, welche ihn zu Grabe ge-
fahren hatten, wurden von der Mär geritten (tröllriöa)
und alles Vieh, welches Thorolfs Grabhügel zu nahe kam,
wurde wild, unsinnig (ajr)?iz |)at ok »pti til bana), geradeso
wie Menschen welche dem Huldufolk im Norden, in Deutsch-
land allerlei Eiben zu nahe kommen wahnsinnig, oder blöd-
sinnig (ellevild, elbertrötsch) werden. Später gesellen sich
dem Thorolfr viele Tote zu, die er ins Grab nachholt „enn
allir menn, |?eir er letuz, voru senir i ferb meö honum."
Da hörte man oft Nachts lauten Donnerhall und von
häufigem Alpdrücken (voru menn J>ess varir, at opt
var ri]?it skälanum '). Vergl. oben S. 190. 191.
Die drückenden Mären heifsen auch Alp, Nachtmenn-
lin, Nachtweibchen, Nachtmutter, Schrätlein, Truden,
Nachtogojeli, Doarseli, Bolworn. Als Seelen erscheinen sie
in der Gestalt von Insecten, besonders Schmetterlingen und
deshalb werden die Schmetterlinge Toggeli, Schrät-
teli und Schratta genannt. Nun heilst ein Schmetter-
ling im Aargau auch Donnerkeil"). Der Donnerkeil
wiederum wird Maresten, Ylfagescot, Elfarrow, Elflint,
Elfbolt, Märenzitze, nord. vcettelys d. h. Wichtellicht, Mä-
renfoet, und die verfilzte Mähne der Pferde, das verwirrte
Haar der Menschen Mürklatt, dän. Marelock, Alpzopf,
Drutenzopf, Wichtelzopf, Schretelzopf genannt. Hieraus
geht hervor, dass Schretel, Wichtel und Mären im Wesen
eins sind, oben S. 296 ist gezeigt, dass sich ihnen als gleich-
bedeutend auch die Heimchen = Seelen im Gefolge der
Perahta gesellen. Diese Göttin führt aber auch das wü-
tende Heer an: „Was anders als alle Folter- und Rumpel-
geister, unnatürliche Irrwische, Frau Herodias oder Frau
Hulde, die alteBerchte mit ihrem wütenden Heer,
1) Zeitschr. f. D. Myth. IV.
2) Rocholz, Aargaus. II, S. 202.
716
Schretel, Wichtel, Trollen und Bergmännel, dann lauter
Teufel?"'). So tritt auch von dieser Seite Einheit jener
Wesen mit dem wütenden Heer zu Tage. Die Heimchen
der Perahta machen (mit dem himmlischen Gewässer) als
Wolkeugeister den Boden fruchtbar; als Gewitterwesen
werden sie und die anderen Elbe in gleicher Richtung ge-
wirkt haben. Wenn es nur ein wenig stark donnert
(tönderla), so glaubt man in Appenzell, dass es nur ein
Jauchzen zu Belebung der ganzen Pflanzenwelt
sei^).
Die ursprüngliche Identität der Mären und weifsen
Frauen liegt auf der Hand ''), aber auch die Zwerge sind
von Hause aus nichts anderes als die in den Elementen
waltenden Seelen der guten oder bösen Verstorbenen, der
Voreltern s. oben S. 207. 208. Sie heifsen deswegen ge-
radezu Öllerkes, ÜUerken, Ülleken, Ölken, Aulken,
Ölkers d. h. die Aeltern, die Alten "). Hiemit stimmt denn
auch, dass die letzte Zwergenfrau, welche im Berner Has-
litale gelebt hat, „die gute Frau t/fe" d. h. Ahnmutter
hiefs ^). Sie wohnen in Grabhügeln; bei ihnen lebt man
ewig, jeder Zeitunterschied verschwindet in ihrer Gesell-
schaft "). Als Tote holen und rauben sie auch Kinder,
zumal ungetaufte in ihre Löcher. Als Seelen bezeichnet
sie auch die Mythe dass sie älter sind als der älteste Wald,
dass sie vor den Menschen und Riesen erschaffen wurden
u. s. w. "). Sie sind aber auch Windgeister und stehen
dem wilden Heere gleich. Die Erdmännle in Schwaben
ziehen als ein grofses Heer mit Getrappel und Gebraus
durch die Luft ^). Dicht bei Stolberg wohnten im Walde
1) Mathesius, Auslegung der Festevaiigelien S. 22.
2) Vcrnalekeu, Alpensagen S. 420, 151.
3) Vergl. noch besonders Grimm, D. Sagen I, No. 122.
4) S. Kuhn, Nordd. Sagen
5) Alpenrosen 1823, 212.
6) S. Pröhle, Unterharz. Sagen S. 50. No. 120. Kocholz, Aargausagen
I, No. 194, 18 S. 281.
7) S. ^Volf, Beitr. II, 323. 326. 327.
8) Meier, Schwab. Sagen S. 65, No. 75.
717
die Zwerge. Sie zogen zu ganzen Scharen über die Stadt
weg in der Luft mit einer wundervollen Musik
(dem Sturmlied '). Der Schneider Nepomuk von Contay
wird von einem ziegenfüfsigen Zwerg durch die Luft
getragen '^). Wie das wilde Heer oben S. 50 ziehen die
Zwerge Kühe in die Luft und schicken sie aus den Wol-
ken ausgemolken zurück s. oben S. 481. Wie das wilde
Heer setzen sie über das (Wolken-)Gewässer, zahlen dem
Fergen zum Lohn einen Pferdeschinken s. o. S. 364. Der
Wechselbalg der Zwerge ist gleich dem Hunde des wilden
Jägers s. oben S. 303. 304 Anm. 1 ^). Die Zwerge leiden
keinen Kümmel im Brod, geradeso kann der wilde Jäger
keinen Kümmel und Salz zur Pferdelende geben *). Als
Winde, den Geistern des wilden Heers identisch zeigen
sich die Zwerge auch darin, dass sie die Kühe und Men-
schen reiten und drücken ^) , und die Mähne der Pferde
vei'filzen ''), so wie dass sie auf Ziegen (== Wolken s. oben
S. 63) reiten '). Wie das wilde Heer das Geleit der in
den (Wolken-)Berg verwünschten Kaiser bildet, ziehen die
Zwerge zum Kaiser Otto in den Rammeisberg **). Unter
den nordischen Zwergnamen findet sich Vindr (der Wind),
Gustr (Hauch), Vindälfr. Im Emmental wohnen kleine
Leute schön von Angesicht und Gestalt in golde-
1) Pröhle, Unterharz. Sagen S. 171, No. 453.
2) Reithard, Sagen aus der Schweiz S. 487.
3) Dieser Hund ist der Wind. Weil zwischen zwei geöffneten Türen
starker Zugwind ist, glaubt man dass der wilde Jäger durch Scheunen, Häu-
ser u. s. w. bei geöffneten Türen ziehe; und dass auf dem Herde durch den
Schornstein her beständiger Luftzug herscht, drückt die Sage dadurcli aus,
dass sie den Hund der wilden Jagd auf dem Herde liegen und Asche fres-
sen lässt.
4) Pröhle, Harzsagen S. 126.
5) Zeitschr. f. D. Myth. I, 192, 12.
6) Woeste, Volksüberlief. 4 No. 4. Kuhn, Nordd. Sagen S. 224, XVII,
No. 228; S. 313, No. 3G3.
7) Luarin reitet avif einem Ross, „sam ein geiz." Ein Zwerg reitet auf
einer Ziege Pröhle, Unterliarz. Sagen No. 375. Vergl. Wolf, Beitr. H, 276.
Die Maruts reiten auf Rehen und Hirschen durch die Luft, vergl. Kuhn,
Zeitschr. f. vergl. Sjjrachf. I mit Goldketten geschmückt. Ebenso tragen die
Zwerge Goldketten, Müllenhoff, Sagen S. 280.
S) Pröhle, Unterliarz. Sagen S. 51.
718^
nen und krystallenen (s. oben S. 455) Wohnungen im
Schois der Berge. Sie heil'sen Nachtvölklein, Nachtleut-
lein oder Zwerge. Sie singen auf steilem unzugänglichen
Berggipfel sitzend so schön von ihrer luftigen Höhe herab,
dass die Leute die Engel des Himmels zu hören glauben.
Einem Bauer schlachten sie einst ein schönes Kalb und
geben ihm davon zu essen. Am anderen Tage ist das
Kalb wieder lebendig; nur das Stück Fleisch, welches der
Bauer gegessen, fehlt '}. Vergl. oben S. 57 fgg.
Andererseits geben sich die Zwerge aber auch als Ge-
witter- und AVolkenwesen kund. Als Gewitterwesen cha-
rakterisieren sie die oben S. 48. 49 angeführten Züge, ihre
Vorliebe für Erbsen und die von Wolf, Beitr. II, 324.
325 zusammengestellten Sagen, sowie dass sie fast sämmt-
lich kunstreiche Schmiede sind. Als Wolkengeister end-
lich geben die mannigfachsten Sagenzüge das Zwergenvolk
zu erkennen. Sie wohnen im (Wolken-) BergC;, der durch
die rote Blume (den Blitz, wie die Schatzhöle der weifsen
Frau) geöflEhet wird-), oder im (himmlischen) Brunnen.
Die Querxe auf dem breiten Berge in der Oberlausitz ver-
danken ihren Ursprung dem Querxborne, aus dem be-
ständig welche hervorquellen ^) , mit ihrer Wohnung ist
meistens ein Gewässer (Quell, See u. s. w.) verbunden*).
Das Schloss der Zwerge (== Grummeltörn) verschwindet,
wenn Feuerfunken darauf fallen '"). Als Wolkenwesen tra-
gen die Zwerge Geifsfüfse oder Gansfüfse, Abzeichen ih-
rer einst völligen Gans- und Ziegengestalt. Sie treten in
engster Verbindung mit den weifsen Frauen auf '^). Gleich
1) Vemaleken, Alpensagen No. 134. S. 179 fgg.
2) Hanys I, S. 20, No. 6. Schambach und Müller, Niedersächs. Sa-
gen S. 133. '
3) Zeitschr. f. D. Myth. IV, 312.
4) S. Rocholz, Aargausag. I, S. 330, 1. Pröhle, Unterharz. Sagen S.
29, No. 71. Schambach und Müller S. 115. No. 9. Schöppner I, No. 89.
"Wasser des Lebens im Lande der Zwerge s. Haltrich , Siebenbirgische Mär-
chen S. 8.
5) Schöppner. Bair. Sagenbuch II, No. 570.
6) Stöber, Sagen des Elsasses S. 28, No. 20. Schöppner II, S. 291,
No. 776. S. 334, No. 810. IIL 8. 128, No. 1078.
719
diesen werden sie auch vom wilden Jäger gejagt ^), gleich
diesen breiten sie weifse Laken (das Wolkengewebe) aus-);
und ihr stäts sich ergänzendes Tischchen deck dich ist
gleichfalls die stäts wieder neu sich erzeugende Wolke.
Wie in den Märensa2;en tritt auch bei den Zwergfen eine
doppelte Seite hervor. Teils sind sie hässlich, unförmlich
und schädlich ^), teils von lichter, schöner Gestalt und wol-
wollend. Die Zwerge im Elsass geniefsen seit undenklichen
Zeiten ewige Jugend, sie haben zierliche Gestalt und ihre
Augen, die wie Sterne glitzern, einen eigentümlichen
Schein*); meistens dagegen sind die Zwerge alt, dun-
kel und böse, häufig ist gute und schlimme Natur in ein
und derselben Sage gemischt. Wir gewahren hier deutlich
das oben S. 167 geschilderte Verhältnis. Die Zwerge sind
gleich den andern Eiben in den Elementen waltende See-
len abgeschiedener Menschen; sie gelten als schön und gut,
insofern sie dieselben in ihrer woltätigen Wirkung vertre-
ten und wahrscheinlich glaubte man (wenigstens ursprüng-
lich), dass die Seelen guter Menschen in lichte, gutmütige
Zwerge übergingen, die Seelen der Bösen als schädliche
Dämonen wirkten. So wird auf dem Schenkenturm bei
Würzburg ein Schatz von einem Drachen und einem
Zwerg bewacht, sie sind Seelen von Raubrittern^).
Die Kobolde und Hausgeister sind nicht weniger See-
len '''). Von den Seelen ungetaufter Kinder sagt Cyriac.
Spangenberg: Etliche sprechen, es werden kobolt draufs,
die inn den heuseren jrre gehen vnd deme gesinde jhre
arbeyt fürthun '). Kobold = Wirbelwind s. Myth. ^
LXXXVIII, 522. In Benzigerrode flog- ein Hund mit
1) Müllenhoff, Sagen No. D. S. 372. Vergl. jedoch MüUenhoffs An-
merkung.
2) Müllenhoff S. 280. No. 380.
3) S. Wolf, Beitr. II, 309.
4) Stöber, Sagen des Elsasses S. 4, No. 2.
5) Schöppner, Sagcnb. II, No. 705.
6) S. Simrock, Haiulbuch d. D. Myth. S. 484. Vergl. Rocliolz, Aar-
gausag. I, S. 302, No. 215, 94. "
7) Ehespiegel. Strafsburg 1576, 387b. Kocholz, Alemann. Kiiulerliod
S. 346.
720
gluhem Schwanz durch die Luft. Dieser soll zum wilden
Jäger gehört haben, aber auch der Uhlius (der Teufel) ge-
wesen sein und den Leuten etwas zugetragen haben. In
einem Hause zu Benzingerrode hielt sich der Uhlius auf ^).
Das wilde Heer (schwäre Wagen) in der Pressburger Sage
oben S. 50, Anm. 2 tritt ganz wie der Kobold oder Korn-
Milch -Gelddrache auf. Wie die anderen Elbe der Alb-
leich, welcher Bäume und Häuser zum Tanze zwingt,
als Sturmgeister bewährt (der Albleich ist das Sturmlied)
giebt sich auch der Hausgeist dadurch als Windwesen zu
erkennen. Eine Magd soll dem Nissen am Julabend
Rahmo-rütze brino-en. Sie setzt ihm aber Hafero-rütze mit
saurer Milch vor. Da schiefst der Nisse auf sie zu und
beginnt mit ihr einen Tanz, der bis zum Morgen währt,
wobei er singt:
aa du har' iti op grauten for tomten du
aa du skal faae dandse med tomten du;
aa har du iti op grauten for tomten du
saa skal du faae dandse med tomten du! -).
Für ein graues Schaf unterrichtet der Nissen die Leute
im Geigenspiel ^). Auch dass die Hausgeister vorzugs-
weise die Pferde striegeln, ihre Mähnen kämmen und Lieb-
linofstiere warten, weist auf wolkenreitende Sturmsreister.
Durch die reiche Sagenmasse, wonach der Hausgeist
als feuriger Drache*) in Gestalt eines glühenden
Baumstamms oder als roter Hahn durch den Schorn-
stein in die Häuser fliegt, um seinen Lieblingen oder Her-
ren Geld ^), Korn, Milch u, s. w. zuzutragen •"•) , ergiebt es
1) Pröhle, Unterharz. Sagen S. 39, No. 108.
2) Asbjörnsen, Huldreeventyr S. 117.
3) J. N. Wilse, Beskrivelse öfver Spyde bergs prsestegjeld. Christiania
1779. p. 419.
4) Dieser Drache = Blitz ist somit verschieden vom Wolkendrachen
Agi, d. i. Regenschlange.
5) Vergl. dass Thunar Schätze spendet. Zu S. 151, Anm. 5 ist nach-
zutragen was Zingerle, Sitten u. s. w. S. 73, 607 aus Tirol beibringt: ,,Wenn
man beim Donnerwetter Geld findet, soll man es anhängen, denn es ist
vom Himmel gefallen.
6) S. Wolf, Beitr. II, 338-.!?42.
721
sich, dass auch hier die Auffassang als Gewitterwesen
geltend war. Erwägen wir, dass der Hund des wilden Jä-
gers, der nach S. 720 sich mit dem Kobold auf das
engste berührt, auf dem Herde weilt oben S. 717 Anm. 3,
sowie dass das Herdfeuer dem heiligen Blitzfeuer ent-
stammen sollte (s. o. S. 131 fgg.)? so liegt der Grund vor
Augen, weshalb die in den Elementen des Windes, sowie
des Blitzes und des (diesem entstammenden) irdischen
Feuers waltenden Seelen der abgeschiedenen Vorfahren,
vorzüglich unter oder neben dem Herde, von dem aller
Segen des Hauses ausgeht, als Wolstand verleihende, zu-
trauende Hausgeister wohnen.
Dass auch die Wasserelbe diesem Vorstellungskreise
angehören, bedarf kaum noch der Erörterung. Dass ihr
Aufenthalt das aus sehr natürlicher Ursache irdisch loca-
lisierte himmlische Seelenreich ist, geht nicht sowol daraus
hervor, dass sie die Seelen der Ertrunkenen aufnehmen,
sondern hauptsächlich daraus, dass sie gleich den Zwergen
Menschenkinder mit ihren Wechselbälgen = Seelen ver-
tauschen ') und dass die Kinderseelen bei der Wasserjung-
fer, dem Wassermann u. s. w. weilen -). Wie der Albleich,
Liuflingslag, Huldreslät, Wihtelschal, der Älfdands Myth.^
438 beweist, dass Huldre, Wichtel und Elbe aller Art
Sturmgeister sind, geht dasselbe für die Wasserelbe aus
dem wunderbaren schönen Spiel oder Gesang und der Tanz-
lust des Strömkarl, der Nixen u. s. w. Myth.^ 460. 461
hervor. Was aber vollends die Wolkennatur der Nixe
dartut, ist die Sage bei Gervasius von Tilbury IH, 85 ed.
Liebrecht S. 38, dass in den Holen der Flnssbctte Dra-
chen hausen, welche von Zeit zu Zeit menschliche Gestalt
annehmen, badende Kinder zu sich ins Wasser ziehen, Men-
schen fress(>n imd Frauen (die Dcvapatnis) rauben und
sieben Jahre (die 7 Wintermonatc ) bei sich behal-
1) S. Wolf, Beitr. II, 303 fgg.
2) Schambacli und Müller No. 81. Pröhlc , Unterharz. Sagen S. 149,
No. 374.
46
722
ten, um ihre Brut zu säugen. Eine Frau, die sich mit
Drachensalbe die Augen bestreicht, kann die Geister se-
hen, später (nach 7 Jahren aus der Haft entlassen) erkennt
sie einmal den Drachen auf dem Jahrmarkt, und redet ihn
an; er fragt mit welchem Auge sie ihn sehe, und macht
dasselbe blind. Aus dem Rhonefluss rief ein solcher Dra-
che, der auf ein ertrinkendes Menschenkind wartete „hora
praeteriit et homo non vcnit." Dies sind Züge, die in den
gewöhnlichen Eiben- und Nixensagen häufig sich wieder-
holen '). Unwidersprechlich sind diese schädlichen Nixe
in Drachengestalt irdische Localisierungen des Wolkendä-
mons Agi = ind. Ahi, Vritra. Sie beweisen, was wir be-
reits S. 207 aussprachen, dass die bösen Elbe den himm-
lischen Dämonen (Riesen) wesensgleich sind.
Wie in den grofsen Phänomenen des Himmels, in
Sonnenschein, Sternenlicht, Wind, Regen, Gewitter, walten
weben und wirken die Seelen = Elbe aber auch sonst in
allem Leben und Wachstum der Natur. Wir sahen sie
S. 474 fgg. Pflanzenleib ausfüllen, in vielen Tieren glaubte
man verkappte Seelen oder Elbe zu gewahren. Mit die-
ser Auffassung der Elbe stimmt die Grundbedeutung die-
ses Wortes s. oben S. 46 Anm. 4 genau überein.
3) Die persönliche Fortdauer der Seelen spricht sich
auch in dem Glauben an die Notwendigkeit von Toten-
opfern aus. Im Jahre 739 schrieb Pabst Gregor „Universis
optimatibus Germaniae" : „Divinos vel sortilegos vel sa-
■crificia mortuorum, seu lucorum, seu fontium auguria
vel phylacteria et incantatores et maleficos et observatio-
nes varias quae in vestris finibus fieri solebant, omnino
respuentes atque abjicientes tota mentis intentione ad Deum
1) Der Nix ist Menschenfresser Wolf, Beiträge II, 292. — Sie stelilen
Frauen Myth.^ 460. D. Sagen No. 49. 58. 60. 69. 304. — Die Stunde ist
da, der Mensch nicht: Wolf, Beitr. II, 301. Liebrecht, Gervasius von Til-
bury S. 13G. — Dass das menschliche Ange mit Elbensalbe bestrichen gei-
stersichtig wird, kehrt in vielen Sagen von den Huldre in Norwegen, den
Fairies in Schottland, den Zwergen in Deutschland wieder s. Liebrecht a. a. O.
MiülenhofF, Sagen No. 408.
723
convertimim." Drei Jahre darauf (1742) erliefs Chlldcrich
III der letzte Merwing das Gebot: „Decrevinus quoque,
ut secundum canones unusquisque episcopus in sua paro-
chia sollicitudinem gerat adjuvante graphione qui defensor
ecclesiae est, nt populus Dei paganias non faciat, sed ut
omnes spurcitias gentilitatis abjiciat et respuat, sive pro-
fana sacrißcia mortuorum, sive sortilegos u. s. w. Bis auf
imsern Tag sind Totenopfer Volkssitte geblieben. Am Al-
lerseelentage und zu Sylvester haben die armen Seelen Er-
laubnis zur Erde zu kommen, man darf dann keine Frö-
sche und Kröten töten, weil Seelen darin sind"). Man
heizt in diesen Nächten den Ofen, damit die armen Seelen
sich wärmen können. Stellt man eine Bank vor den Ofen
und bestreut sie mit Asche, so findet man am andern Mor-
gen die Spuren der Toten, die sich gewärmt haben '-). Man
backt eigentümliche Kuchen, die im Lechrain Seelzöpfe
heifsen, zum Nachtmahl und lässt sie für die armen See-
len auf dem Tische stehen ^). Die kommen dann Nachts,
setzen sich um den Tisch herum und essen "*). Auf den
Altären der Kirche werden im Lechrain den Verstorbenen
Teller mit Muefsmehl, Haber und Kern und auf Seitenal-
tären jene Kuchen (Seelzöpfe) geopfert. Im Lesachtal ge-
bietet man sogar bei jedem Kochen etwas für die armen
Seelen ins Feuer zu werfen ^). Die Ehsten richten am
Allerseelentage Abends in geheizter Badstube ein Gastmahl
an, der Hauswirt ruft die Verstorbenen (seine Eltern, Ver-
1) Zingerle, Gebräuche S. 114, 829. Die I-'rösclio und Kröten sind auch
Gestalten der Zwerge, Unterirdischen, wcifsen Frauen u. s. w. als Seelen.
2) Zingerle a.a.O. 113, 824. N. Prcufs. Provinzialbl. 1850 X, 116,
159. Wolf, Beitr. I, 253, 648. Geradeso findet man die Gans- oder Zie-
genfüfse der Zwerge in der vor ihrer Hole ausgestreuten Asche. Während
dieser Nacht kann man von den armen Seelen, wie von den Zwergen auch
eine unsichtbar machende Nebelkappe erlangrn. Zingerle a. a. O. 113, 825.
3) Zingerle a.a.O. 113, 822. Zeitschr. f. D. Myth. III, 342. Leo-
prechting, Aus dem Lechrain 199.
4) Panzer, Beitr. II, 103, 156.
5) Zeitschr. f. D. Myth. III, 31, 25. Wenn in der Nacht Löffel hin-
und herfallen, sagt man in Tirol ,,die armen Seelen haben Hunger." Zin-
gerle, Sitten und Gebräuche 1. 28, 230.
4G*
724
wandten, Kinder und Angehörigen) bei Namen und bittet,
dass sie kommen und essen möchten. Haben sie nach sei-
ner Meinung genug gespeist, so befiehlt er ihnen wiederum,
sich an ihren Ort zu begeben '). In Perigord wird am
Allerseelenabend ein Familienmahl gehalten; man trinkt auf
das Wohl der abgeschiedenen Verwandten und Voreltern
und lässt von jedem Gericht einen liest die Nacht über
auf dem Tische stehen, ja man bringt noch Fleisch und
"Wein herbei'). In der Dauphine werden den ausziehen-
den Toten Speisen hingesetzt, um sie zur Weiterreise zu
stärken'^). Im Odenwald kochen viele Leute Tags vor
Fastnachtsonntag für die lieben Engelein das Beste
und Leckerste, was sie nur haben, setzen es auf den
Tisch, öffnen den Engeln die Fenster und legen
sich dann schlafen *). In derselben Landschaft wird von
der zuerst heimgefahrenen Frucht Nachts um 12 eine Garbe
„den Engeln im Himmel zur Zehrung" vor die Scheune
geworfen. Diese Gebräuche stehen nun offenbar den Ei-
benopfern gleich. Der erste Ansiedler auf den Faeroeer
Grim Kamban erhielt nach seinem Tode Opferverehrung ^).
Als Olafr Gudrödsson König von Vestfold, der zu Geir-
stad wohnte, starb, wurde auf seinem Grabhügel geopfert,
er hiefs mm Olafr Geirstaöa-Alfr (d. h. Alf oder Schutz-
geist von GeirstaÖ ^).
Wir haben hier somit ein bestimmtes Zeugnis dafür,
dass die Seelen Verstorbener in Elbe übergingen. — Thör-
dis rät dem Isländer Thorvarör Eysteiusson einen Hügel,
in welchem Elbe (Alfar) wohnten, mit dem Blut eines Stie-
res zu besprengen und ihnen von dem Fleische desselben
1) Kreutzwald-Boecler S. 89. Verhandl. der gel. Esthn. Gesell&ch. II,
H. 3, S. 44 fgg.
2) De Nore, Mythes coutumes S. 147.
3) Miclielet, Histoire de France II, 235. Menzel, Odin S. 222.
4) Myth.i CV, 896.
5) Landnämab. I, 14.
6) ])ättr af Ölafi GeirstaÖa-Älfi.
' 725
eine Mahlzeit zu bereiten (göra alfum veizlu '). Julnacht
und Neujahrsabend sind in Skandinavien die Fahrtage der
Alfen. In jedem Winkel des Hauses brennt dann Licht,
alles ist gekehrt und <2;ereinio;t und alle Türen stehen ofien
für die etwa einkehrenden Alfen-). Die Speise wird nicht
vom Tisch genommen, sondern bleibt die ganze Nacht ste-
llen, auch eine Oese mit Bier wird auf die Tafel gestellt ^).
Geradeso stellt man in der Perchtuacht der Perahta und
den Schretlein Speise hin s. oben S. 296; nicht minder
wurde für die Bergmännlein ein Tischchen gedeckt, Milch
und Honig darauf gesetzt und in diese Speise das Blut ei-
ner schwarzen Henne getropft ''). Von den Frauen im Ge-
folge der Abundia sagt Guillielmus Alvernus: „Dicunt has
dominas edere et bibere de escis et potibus, quos in domi-
bus inveniunt" ^). In der Normandie wird am 30. Decem-
ber oder 1. Januar der Tisch für die Feen gedeckt ''). Bei
deu Walachen ladet man am Namenstaofe des Hausheili-
1) Kormakssaga S. 216. Olafs des Heiligen Skalde Siglivat bat auf der
Keise uaeh Gotland in einem Hause um Nachtherberge, aber die Hausfrau
vertrat ihm den Weg und verwehrte ihm den Eintritt, da sie ein Elfenopfer
'Älfablöt) vorhabe. Heimskr. Olafs Helgas, kap. 92.
2) Islensk aefintyri S. 113. Zeitschr. f. D. Myth. HI, 123.
3) Ove Thomsen, Nordens Julefest S. 25. 26. Auch die Ehsteu glau-
ben, dass um Weihnachten die maa-alused, d. h. die Unterirdischen, auf der
Erde wandern, und selbst in menschlicher Gestalt sichtbar werden. Daher
deckt mau am Weihnachtsabend die Brunnen vorsichtig zu, damit kein Un-
terirdischer hineinfalle, und nimmt in der Neujahrs und Weilniachtsnacht je-
den Unbekannten gastlich auf. Der Tisch bleibt mit Speisen bedeckt und
die Wirtin verschliefst ihre Speisekammer nicht, damit ein solcher Gast an
nichts Mangel habe, wenn er etwa noch spät, sichtbar oder imsichtbar ein-
treffe. Kreutzwald-Boecler S. 94. Myth.» CXXH, 42.
4) Grimm. D. Sagen I, S. 48. No. 38. Bedeutsam scheint, dass zu die-
sem Mahl für die Bergmännchen neun Messer aufgelegt werden. Geradeso
setzt man in Perigord am Allerscelentage neunerlei Speisen für die Seelen
auf den Tisch. De Nore S. 148.
5) Myth. 2 264. Vergl. Wolf, Beitr. H, 273. In einer Lebensbeschrei-
bung des h. Germanus Myth.^ 1011: Hospitatus sanetus Germanus in (pio-
dam loco, quum post coenam iterum mensa praepararetur, admiratus interro-
gat, cui denuo praepararcntV Cui quum dicerent, quod bonis illis mulieribus,
quae de nocte incedunt, praepararetur, illa nocte statuit S. Germanus vi-
gilare.
e) Amclic Bosquet, La Normandie romanesquc et merveilleusc S. 93.
gen die verstorbenen Ahnen zu Gast und lässt ihnen bei
Tische Plätze leer ^). Das übereinstimmende Verfahren der
für die armen Seelen und der für die Eiben bereiteten
Mahlzeiten beweist, dass wir hier Reste heidnischer Opfer
für die Manen übrig haben.
4) Für gewöhnlich ruhen die Seelen, wenn sie nicht
im Sturm (wilden Heer, Eibenzug ^) umfahren, in Regen,
Blitz und Donner tätig sind, oder auf Erden als Lebens-
geister walten, im himmlischen Gewässer überhaupt,
oder in der Wolke, die als Brunnen, Berg, Burg oder
Baum bildlich angeschaut wird. Man stellte sich die Wolke
auch als Frau vor und hieraus entstand der Glaube an eine
Schar von Wasserfrauen (Valkyren, Völen, weifse Frauen,
witte wiwer u. s. w,), aus denen durch Differenzierung ein-
zelnene Göttinnen hervortraten, welche aber im Grund-
wesen nur eine sind, Holda (Perahta, Fria-Frikka-Frigg,
Freyja, Rose; ISunn, Hei, die Nörnen u. s. w.). Sie stan-
den als Wolkenpersonificationen den Eiben gleich und grei-
fen deshalb auch gleich diesen in die andern Naturgewal-
ten des Sonnenscheins, Windes und Gewitters über. Auch
entfalten sie gleich den Eiben doppelte Natur. Als gütige
Wesen sind sie von den woltätigen Eiben kaum zu unter-
scheiden und treten dann den bösen Eiben feindlich gegen-
über. Man vergl. z. B. die Segen gegen böse Mären.
1.
Schlaf Büble, schlaf.
Die Mutter giebt Acht,
Dass die Trud dich nit drückt.
Und der Alb nit erstickt.
Schlaf! — Holde kumm!
Alb dreh dich um ! ^)
1) Schott, Walacbische Märchen S. 300. 301.
2) S. oben S. 3G3 fgg. und Grimm, Ir. Elfenmärchen S. LXXXIV.
o) Zingerle, Sitten, Bräuche u. Meinungen des Tiroler Volks S. 148, 18.
727
2.
Trudi, Trudi, druck mi net,
Ana, Ana, schluck mi net,
Rose Mutter (1. Mutter Rose) komm zum Bett,
Trudi, Trudi, druck mi net! ').
Vorzüglich äufsert sich dieser Gegensatz darin, dass
man die in den Elementen schädlich wirkenden bösen See-
len als Riesen, Zwerge, Drachen u. s. w., die Göttinnen
und guten Elbe (Sonne und Wolke) mit dem Dunkel das
dem Wetter voraufgeht, mit den Schatten der Nacht und
mit Kälte und Frost während der sieben Wintermo-
nate gefangen genommen, geraubt glaubte, eine
Vorstellung, welche in sehr verschiedene mythische For-
men sich kleidete.
Als Naturwesen können die Göttinnen aber auch auf
die schädliche Seite sich neigen und dann fallen sie oft
ganz mit den Dämonen zusammen "). So sagt man in Hen-
neberg „am obersten werde die Hollefrau verbrannt"^)
geradeso wie die Dämonen von Thunar verbrannt werden,
sie erscheint hier als Wintergottheit. Wie die Göttinnen
^.er Hauptsache nach nur difi'erenzierte Wasserfrauen wa-
.•en — daneben erscheint nur die Sonne als selbständige
göttliche Persönlichkeit — geben sich die Hauptgötter der
Germanen Wodan und Thunar als ursprünglich wesens-
gleich mit den im Sturm und Gewitter waltenden Seelen
zu erkennen. Der Unterschied zwischen Gottheiten und
Eiben bestellt nur darin, dass an ersteren im Laufe der
Zeit immer lebendiger ethische Ideen sich herausbilde-
ten, welche weiterhin wieder zur Sonderung einzelner Göt-
terpersönlichkeiten von einander dienten. Wir haben die
stufenweise Entwickelung eines solchen Göttermythus ein-
1) Zingerle a. a. O. 166, 1)5. Ist Ana clio Aliiie, die verstorbene Ahu-
mutter?
2) Einseitig hat diesen Tunkt Liebrcelit iu seinem Aufsatz „La mesnie
furieuse" (Gervasius v. Tilbury ed. Liebrecht S. 172 fgg.) hervorgehoben.
3) Myth.'^ 1212.
728
gehender bei den Schicksalsgöttinnen beobachtet, die von
der Wolkenfrau *) ausgehend Todesgöttinnen ^), Schicksals-
göttinnen im Allgemeinen, Urteilerinnen am Göttergericht,
und Personificationen der Zeit nach einander wurden.
Aus dem angedeuteten Verhältnis der Gottheiten zu
den Seelen (Eiben) ergab sich die geläufige Vorstellung,
dass die Seelen bei einem Gott oder einer Göttin in Brun-
nen, Berg oder Burg (d. h. der Wolke) weilen, zumal
(während der 7 Wintermonate) im Zustand der Verzau-
berung:.
5) Hinter dem seelenbergenden (Wolken-)Brunnen,
(Wolken-) Berge liegt ein lichter Freudenaufenthalt s. o.
S. 331. 368. 424 fgg. 455, das hellblaue, glanzreiche Him-
melsgewölbe, in den Volksüberlieferungen oft als Glasberg
S. 330 fgg. 455 bezeichnet, wo die Sonne und die andern
Gestirne ihre Heimatstätte haben. Der christliche Volks-
glaube verlegt hieher den Wohnort der Engel und der se-
ligen Menschen. Mit dem Namen und Begriffe Ensrel-
land hat sich in Niedersachsen aber eine Keihe von Vor-
stellungen verbunden, welche höchst wahrscheinlich machen,
dass man schon im Heidentum im lichten Himmelsraum
über dem Wolkengewässer den letzten und eigentlichen
Ruheort der frommen Vorväter, der guten Seelen (Mä-
ren u, s. w.) annahm, wo sie die höchste Function ausüben,
welche ihnen im Haushalt der Natur zugeteilt werden kann.
Sie teilen den Gestirnen ihr Licht mit, stellen Sonnen- und
3) Wir sahen oben S. 307 Anm. 4 die Lämraenvölkchen (von denen
man in der Mark sagt „Frau Holle treibe ihre Heer de aus." Kuhn, Mär-
kische Sagen S. 372, vergl. oben S. 8 Anm. 4; oder sonst ,,der liebe Gott
füttert seine Schäfclien mit Rosenblättern" Grimm, KHM. H, 1819 S. LXV)
in des Kindes Geburts stunde Gluck verheifsen; in Zürich heifst es: wenn
am unschuldigen Kindertag Federgewölk (gsehöflet) am Himmel ist, so haben
die Wöchnerinnen ein unglückliches Jahr, insbesondere sterben viele Buben.
Vernaleken, Alpensagen 395, 56.
4) Zu den Dödnigskneb verdient noch nachgetragen zu werden, dass im
Etschland gelbe Flecken auf den Fingern Totenmail er heifsen und eine
baldige Leiche vorhersagen. Zingerle, Sitten 23, 185. Zu S. 628 vergl. den
Nachtgriff Myth.-^ 1147 und Liebrecht, Gervasius v. Tilbury S. 142.
729
Sternenschein her S. 377. 378 fgg. 438 fgg. oder strahlen
selbst als glänzende Gestirne ihr Licht zur Erde nie-
der *). Die Edda kennt dieses Lichtreich unter dem Na-
men Liosalfaheimr (Viöblainn) und unterscheidet drei Him-
mel: den Wolkenhimmel, einen zweiten Andlangr darüber,
und hoch oben erst das glanzdurchleuchtete blaue Him-
melsgewölbe Viöblainn.
6) Um hierhin zu gelangen müssen Seelen das himm-
lische Gewässer, das als Toten ström gedacht ist,
überschreiten s. oben S. 357 fgg-, oder den Seelenweg der
Milchstrafse -) oder des Regenbogens wandeln. Nach dem
Volksglauben werden die Seelen der Gerechten von ihren
Schutzengeln über den Kegenbogen in den Himmel ge-
führt ■').
7) Die bei den Göttern in der Wolke oder im himm-
lischen Lichtreich weilenden Seelen verstorbener Menschen
sind bestimmt (durch das himmlische Gewässer erneuert?
s. S. 273. 654 Anm. 4) zu neuem Dasein auf der Erde ge-
boren zu werden. Die Edda kennt den Glauben an die
Wiedergeburt noch. SigurSarqu. IH, 44 wird Bryuhildr
verwünscht, sie möge niemals wiedergeboren werden (l'ars
hon aptrborin aldri veröi), im 13ten Jahrh, hiefs dieser
Glaube nur noch „alter Weiber Wahn" s. S. 2ü2. Zunächst
nur auf den Glauben an Präeexistenz der in die Mensch-
heit eintretenden Seelen und ihre Wesensgleichheit mit den
Geistern Verstorbener deuten folgende Punkte. Insecten,
zumal Schmetterlinge, sind Seelen Verstorbener. Wie
man nun in Tirol für „ich war noch nicht geboren" sagt;
„ich flog noch den Mücken nach" s. oben S. 370,
1) Die Sterne am Himmel sind Schutzgeister der Lebenden. AVeuu
ein Mensch geboren wird, zündet Gott ein neues Licht am Himmel an und
wenn einer stirbt, so sinkt sein Stern vom Himmel herab und erlisdit. Mül-
ler, Siebenbirg. Sagen S. 4. No. 1. Kulm, Nordd. Sagen S. 457. No. 422.
Vernaleken, Alpcusagen 414, 122. Hiemit vergl., was oben S. SOG fgg. über
die Fylgjcn erörtert ist.
2) S. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. H, 239.
3) Ziska , Oesterr. Volksmärchen 8.41). 110. Vcmalckcn, Alpensagcn
401, 88.
_ 730^
braucht man in gleichem Sinne im Barggrafenamt den her-
kömmlichen Ausdruck „ich flog noch mit den Feif-
f altern" (Schmetterhngen) '). Auch Hunde sind häufige
Gestalten von Seelen Verstorbener oben S. 301 fgg. ; als
Hunde aber werden auch die neugebornen Kinder (Wech-
«elbälge u. s. w.) dargestellt s. oben S. 274. 300. 303. 536
2 und nicht ohne Bedeutung ist es, wenn in vielen Märchen
und Sagen (z. B. in der Stammsage der Weifen) neuge-
borne Kinder für Hunde ausgegeben oder mit solchen ver-
tauscht werden. Aus dem Mythus der Holda S. 267. 272.
Hrösa 284 fgg. und St. Gerdrüt S. 319 liefs sich jedoch
der Glaube an die Wiedergeburt auch für Deutschland mit
einiger Wahrscheinlichkeit folgern und damit stimmt, dass
gewisse Tiere Schwan S. 342, Hase 409. 413. 483, Käfer
253. 347. 367. 397 zugleich Seelen, Psychopompe und
Kinderbringer sind. Auch der kinderbringende Storch war
zugleich Totenvogel ^). Ueber das himmlische Gewässer
geht die Seele der Toten zum Himmel ein, über das himm-
lische Gewässer (zu Schiffe) kommen nach niederl. Glauben
die Kinder zur Erde o. S. 370. Gütchen und Butzen, d. h.
Seelen Verstorbener und Kinderseclen sind identisch s. o.
S. 297 Anm. 4. Ueberraschend ist die auffallende Ueber-
einstimmung dieser Vorstellungen mit altindischen.
Die vedische Religion macht einen durchgängigen Un-
terschied zwischen Luftraum und Himmel. Im unendlichen
Himmelsraum hat das Licht seine Heimatstätte, als ewige
Kraft, die nicht an das Leuchten der kosmischen Körper
gebunden ist. Zwischen dieser Lichtwelt und der Erde
liegt das Reich der Luft, in welchem Götter walten, wel-
che den Weg des Lichtes und der himmlischen Gewässer
zur Erde bahnen und schirmen. Mitunter wird gleich je-
ner Dreiteilung „Himinn, Andlärigr, Viöbläinn" ein drei-
facher Himmel unterschieden: „Von der Erde Rücken stieg
1) Zingerle, Sitten, Bräuche S. 3.
2) Myth.' XCI, 587.
731
ich zur Luft empor, von der Luft zum Himmel stieg
ich (divam) von des glänzenden Himmels (näkasya) Rücken
in die Lichtvvelt (svar jjötili) ging ich '). In diese Licht-
welt nun setzt der Vedenglaube die Adityas, ewige, unver-
letzliche Göttergestalten, welche alles durchdringen, selbst
dem Entferntesten nahe sind. Ihnen kommt daher auch
von allen der Begriff geistiger Wesen (Asuras) zu. Unter
ihnen tritt vorzüglich Varuna hervor „der Allumfasser, Ein-
hüller" der Herscher des weltumgebenden Himmelsmeers,
in welchem alles höhere Sein ruht. Er wohnt in schim-
merndem fernen, hunderttorigen Palaste, der die Grenze
des Alls bezeichnet. Von hier schaut er die Welt und
aller Menschen Taten -). Der Sängermund strömt zu sei-
nem Preise über:
Wenn in seinen Anblick ich mich versenke,
So däucht sein Ansehn mich wie Feuersgluten,
Wo am Himmel, der Herr des Lichts und des Dun-
kels,
Seinen schönen Leib zum Schauen mir bietet.
Er ordnet Licht und Zeiten, giebt dem Menschen Einsicht,
dem Kosse Kraft, der Kuh die Milch. Der Wind, der die
Luft durchrauscht ist sein Atem, die Sonne und die
Sterne seine Augen ^). Später sank Varuna bekannt-
lich zum Meergott herab.
Bei Varuna im Lande des Lichtes versammeln sich
die Seligen zu ewigem Aufenthalt, die der Inder mit dem
Namen der Väter, Vorväter (Pitris) belegt"*). „Gehe hin,"
ruft man dem Sterbenden zu, „auf den Pfaden, die unsere
Väter vormals beschritten haben. Die hohen Herscher
1) Atharvav. 4, 14, 3.
2) Er heifst daher nricakslids männerbcscliauend.
3) Die Sterne heifsen auch allgemein Späher oder Augen der Götter
(devanäm spii^as) Athavav. 18, 1, 9. Vergl. üben S. 378. §. 545 Anni. '2.
S. 547 Anm. 1. Ich trage noch aus Vernaleken, Alpensagen S. 345, 10 nacli:
Wenn ma is rönnig (rinnende Wasser) sacht (harat) so sucht ma n' is hen-
gotta 'n auga.
4) Vergl. unsere ÖUcrkcs.
732
sollst du Yama und Varuna, den Gott, schauen." Dort
werden, alles Unvollkommene ablegend, die Dahingeschie-
denen mit ätherischem Geisterleibe bekleidet, der unsterb-
lich ist. Im Innersten des Himmels finden sie ihren won-
nevollen Ruheplatz:
„Wo ein Glanz ohne Ende scheint, wo die Heimat
des Lichtes ist,
In die Welt der Unsterblichkeit, in die ewige setze
mich.
Wo Yama herscht, Vivasvats Sohn, in des Him-
mels geheimstem Raum,
Wo die quellenden Wasser sind, o dort lass
mich unsterblich sein.
Wo man sich regt und bewegt in Lust in des drit-
ten Himmels Höhe
Wo die glanzvollen Welten sind, o dort lass
mich unsterblich sein.
Wo Freude wohnt und Glück und Licht, wo Wonne
und Entzücken ist,
Wo jeder Wunsch Genüge hat, o dort lass mich un-
sterblich sein.
Bei Varuna wohnen als die eigentlichen Herscher der Pi-
tris das Zwillingspaar Yama und Yami und Aryama. „Ge-
lange zu den Vätern, zu Yama, bei dem der Wünsche Ge-
nüge ist, im höchsten Himmel. Geh ein zur Heimat; alles
Unvollkommene wieder ablegend, gelange zu jenen herlich
an Gestalt."
Die Pitris sind nun zugleich Elementargeister. „Die
Pitris haben den Himmel mit Sternen geschmückt,
in die Nacht Dunkel, in den Tag Licht gesetzt. Sie ha-
ben das verborgene Licht aufgefunden und die Morgen-
röte ins Leben gerufen." Sie selbst leuchten als Sterne
„Des grofsen Asura (Varuna) Söhne, die Helden,
des Himmels Stützer leuchten weit um')-" Arjuna ge-
1) Atharvav. 18, 1, 2.
733
wahrt auf dem von Menschea ungesehenen Seelenpfade die
Vollbringer guter Taten sowie viele im Kampf gefallene
Helden, die in Sternengestalt glänzen^). Bei ihnen
weilt die Sonne (der Falke s. oben S. 39): „Ueber die
Länder, über die Wasser drang der männerschauende Falke
nach einem Ruhplatz blickend. Durchsetzend alle ent-
fernten Räume mit Indra als Freunde komme er heil-
bringend. Der männerschauende Falke, der himmlische
Vogel tausendfüfsig mit hundert Zeugungsstellen, der Kraft-
geber; er gewähre uns fern hergebrachtes Glück; bei
unsern Vätern (den Fitris) sei er mit Svadhä ver-
sehen" ^).
Nur die Frommen gelangen in die Lichtwelt, in
welcher nach anderen Liedern kein Schmerz, kein
Winter ist. Wie bereits S. 38 fgg. besprochen ist, sind
die Maruts, Ribhus und Angirasen nur andere Gestalten,
in denen die Geister der Seligen, der Pitris auftreten und
von diesen nur durch spätere Dissimilation so geschieden,
wie die germanischen Dunkel- und Schwarzelbe von den
Lichtelben. Die Maruts fahren im Sturm dahin wie das
wütende Heer ^), walten aber auch in den Elementen. Die
Ribhus entsprechen mehr unsern schmiedenden Eiben. Li
Sonnenstrahlen und Blitzfnnken entfalten sie ihre Tätig-
keit. Doch auch sie fahren im Sturm daher und singen
das brausende Sturmlied *). Auch sie machen die Erde
fruchtbar. „Auf den Höhen schüfet ihr dieser Erde Gras
in den Tiefen Wasser, durch eure Klugheit ihr Männer;
1) Indralokag. I, 35 — 39. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. II, 317.
2) Atharvav. 7, 41, 1. 2. Vergl. das Pressburger Lied oben S. 379
und S. 378.
3) Wie das M'ilde Heer die Wasserfrauen jagt, wie die Elbe Kühe und
Menschen reiten, heifst es Atharvav. 4, 15, 7 (Rigv, 583) ,, Mögen euch be-
schützen die sehönspendenden Brunnen und SVolkcn (oder Schlangen
ajagaräh; dieses Wort hat beide Bedeutungen), die Marut getriebenen
Wolken mögen über die Erde regnen." — Jlan s. in diesen Versen die Ein-
heit von Wolke, Brunnen und Drachen.
4) S. Kuhn, Zeitschr. f. vergl. Sprachf. IV, 115. 116.
734
well ihr im Hause des nicht zu Verbergenden schliefet
darum kommt ihr heute nicht zu ihr zurück *)." „Als
die Ribhus zwölf Tage schlummernd sich der Gastfreund-
schaft des nicht zu Verbergenden erfreut; da schufen
sie herliche Fluren, die Ströme führten sie her-
bei, auf dem Lande erstanden die Kräuter, in
den Tiefen die Gewässer-).
Um zum Lande der Pitris zu gelangen, muss die
Seele einen Strom, den Luftstrom oder das himmlische
Gewässer überschreiten, damit sie hinüberkomme, musste
eine schwarze Kuh geopfert werden^). „Am grausen Pfade
zu Yamas Tor ist der grause Strom Vaitarani, ihn zu
überschreiten begehr' ich, darum geb' ich die schwarze
Kuh Vaitarani" "). Am zwölften Tage nach dem Abster-
ben wird noch ein anderes Kuhgeschenk gemacht und da-
bei eine E'ormel recitiert, kraft welcher die Seele, welche
bis dahin noch in dieser Welt gewesen, von einer Kuh
aus der Götterwelt über den roten Blutfluss Vaitarani in
den Pitrilöka gebracht wird, zu welchem Ende er in sei-
nem letzten den Schwanz einer Kuh ergriffen hat." In
einem Liede des Atharvaveda heifst es ^): Steinig f liefst
der Fluss, greift an, ermannt euch. Freunde schreitet
hinüber! Lasst hier zurück die schwach zu Fufs sind,
zu unverwüstlicher Kraft lasst uns emporstei-
gen. Erhebt euch, schreitet hinüber Freunde, steinig fliefst
der Fluss hier. Die Schädlichen lasst hier zurück, zu heil-
samer Kraft lasst uns emporsteigen. Die Vai^vadevi ergreift
zur Kraft, gereinigt rein geläutert, überschreiten mögen
wir die ünglücksstellen und hundert Winter mit allen Hel-
den uns freuen. — Als Grenze des (Eiben-) Landes der
Panis heilst dieser Strom Rasa oben S. 218.
1) Kigv. I, 162, 11. Kulm a. a. O. 112.
2) Rigv. IV, 33, 7. Kuhn a. a. 0. 112. Der nicht zu Verbergende
ist der Sonnengott Savitar. Die zwölf Tage = den deutschen zwölften. S.
oben S. 521. 522.
3) Dieselbe Sitte hatte bei Germanen statt s. oben S. 51.
4) Aus einer Schrift über Totenopfer Zeitschr. f. vergl. Sprachf. II, 3 IG.
5) Atharvav. 12, 2, 25.
735
Kulm beweist weiter Zeitschrift für vergl. Sprachf.
II, 311 — 318 dass sowol die Milchstrafse wie der Re-
genbogen als Wege gedacht wurden, auf denen die
Seele zum Pitriloka wanderte. Eine der heiligsten Pflich-
ten der altarisehen Stammgenossen war das Opfer für die
Pitris „Unalternde Speise mache ich den Pitris, mit lan-
gem Leben versehe ich sie" ^). In späterer Zeit hiefs das
Pitriopfer Craddha. Es bestand aus Reiskuchen mit Was-
ser, oder nur aus Wasser, ferner aus Geschenken an die
Verwandten des Verstorbenen. Auch die Reste der
Speisen wurden den Geistern der Vorfahren dar-
gebracht; ein solches Opfer hiefs Vighasa.
Die sprachliche Identität der Namen Ribhus und Ma-
ruts mit unsern Eiben und M^lren s. oben S. 44. 45. 46;
sowie die Uebereinstimmung der Bedeutung im Namen und
Begriff der Aulken, Ollerken, der Ahne oben S. 426 mit
den Pitris machen höchst wahrscheinlich, dass mindestens
ein Teil jener übereinstimmenden Volksmeiuungen auf Rech-
nung geschichtlicher Urverwandtschaft zu schreiben sei.
Die Mythologie der Wasser fr auen ind. Apas, De-
vapatnis haben wir gleichfalls den germanischen gleichartig
gefunden. Von den Geistern der Gottlosen, die Riesen-,
Drachen- oder Zwerggestalt'") führen, werden sie sammt
Sonne und Mond im Berg, Burg oder B r u n n e n = Wolke
eingeschlossen, gefangen gehalten. Aber noch weiter zeigt
sich eine bemerkenswerte Analogie zu unseren Beobachtun-
gen auf germanischem Boden. Die ältesten Veden kennen
noch keine selbständigen Göttinnen aufser Suryä der Sonne
und den Apas der Wasserfrauen.
Nur einzelne Götter finden wir auch weiblich aufge-
fasst, auf diese Weise wird z. B. von einer Indrani, Qaci,
Varuni, Yami gesprochen. Aber diese Namen sind hohle
Abstractionen ohne wirklichen Inhalt, ohne den Rückhalt
1) Atharvav. 12, 2, 32.
2) S. Räkshasas; Ahi-Vritra, Pai.ii
736
einer lebendigen Persönlichkeit, ohne Mythus. Aus Sonne,
Mond und Wasserfrauen erst und zwar zumeist aus den
letzteren haben sich mit Hilfe ethischer Gedankenentwicke-
lung die grofsen wirklichen Göttinnen des späteren Inder-
turns wie Qri, Durga u. s. w. entwickelt.
Einem anderen Orte muss es aufbehalten bleiben die
tatsächliche Uebereinstiramung der besprochenen Vorstel-
lungen mit dem ältesten Glauben anderer indo2:ermanischer
Völker, vor allem des Zendvolks und der Hellenen nach-
zuweisen. Auch für das, was wir als germanische Anschauun-
gen in Anspruch genommen haben, lassen sich noch viel-
fach zutreffendere Beweise aufführen, die aber zum Teil
ganz anderen üeberlieferungskreisen angehören, als die in
diesem Buche besprochenen. Auch sie bleiben selbständi-
ger Untersuchimg aufbewahrt.
Register.
Ä.
Abentrot 90 fgg. 354.
Adamsbaum 552.
Agez 210.
Agi 81 fgg. 90 fgg. 171. 179. 210.
722.
Ahn, Ahne 191. 426. 428. 724. 727.
In Untersteiermark heii'st wie mir
M. Lexer nachträglich mitteilt die
Mär (Trade) Nachtahndl (Nacht-
grofsmutter).
ki 207.
Ainbetta G44 fgg. 665.
AM 81 fgg.
Albdonar 48.
Alblekh 47. 191 Anm.^ 263. 720,
s. Musik.
klfr 172.
klfheimr 172.
klfhÜdr 172. 597.
klfablüt 326. 521. 725.
älfrö^uU 378.
klke 801.
Alraun 49. 409.
aZpn 307.
Alsvartr 211.
^Zsd^r 38. 624.
Alvitr 384. 559.
^/v«s 208.
Alvinna 712.
Andlängr 321. 730.
Angebinde 591. 696 fgK-
krgjöll 189.
krhaugr 467.
krvakr 38. 624.
ksaloki 190.
ksathörr 190.
äsmegin 126.
Ä5(7arÖr- 228. 442. 549,
iU-Ä;« 121.
yls/^r 589.
^ls<?oc/t 344. 667.
Asche fressen 302 fgg.
^«^e 121. 233. 587.
^^nt^J 123.
yl«(S!"»6^« 41.
Auge = Gestirne, Sonne 2. 40. 130.
142. 143 Anm.'. 378. 545 Anm.'.
547 Anm. '. 731. Dem Winter
die Augen ausstechen 547 Anm.'.
Augen geheilt 135. 146. 319.
St. Augustin 395.
Aulke 301.
Aurore 612.
ausbore 667.
Austri 105.
Axt unter die Schwelle gelegt 10.
11. 12, = Thunars Hammer 13.
36. 109. 122, in den Ständer der
Haustür geschlagen 132. Aus dem
Axthelm melken 34. Aexta ins
Saatfeld werfen 138.
B.
Bad erstes des Kindes 589. 590. 636.
Bakrauf 673 Anm. '.
47
738
BaUr 23. 86. 210. 358. 544. 562.
Balder 70.
Banh. Unter die Bank legen 311
fgg. 314. 317. 635.
Bara, Büra 55. 56 (vergl. Myth.^
1044. 1045).
Bäresmör 55.
£ar< 115. 124.125.157.177.178.179.
Bäume u. Gewächse. Baum = Wolke
203. 250 Anm. 2. 668. Blumen
und Früchte in Holdas Brunnen-
reich, in den Seelenwohnsitzen
424 fgg. 455. 457 fgg. 466 fgg.
5-?2. Bäume und Blumen von
Eiben beseelt 475 fg
Elbe im
Baume wohnend 667. Göttinnen
im Baume sitzend 644. 645. 660.
665 fgg. Gewächse nach Indra
und Thunar benannt 136. 137 fgg.
Blume = Kerze, Licht 470. —
Apfelbaum 196. 336. 424. 426.
449. 460. 469. 666. Birnbaum
224. 600. 665. Birke 475. Buche
474. Eiche 14. 23. 24. 26. 35
Anm. ". 132. 134. 135. 138. 273
Anm. '. 474. Esche 14 s. Ygg-
drasill. Hasel 19 Aura. 2. 138.
413. 466. 475. HoUunder 15. 64.
474. 475. 667. Kirsche 467. 408.
475. 660. 665. Nuss 196. Tanne
250. 354. 512. Vogelbeerbaum 14.
15. 17 — 20. 26. 35 Anm. ". 55.
101. 138. 202. 225. 553 Anm.^ —
Alpenrose 429. Bohne 467. Brom-
beere 55. Herba Britannica 138.
139. Dinkel 467. 471. Citrone
467. Donnerrebe (Gundelrebe)
6. 138. Donderbaard 138. Erd-
beere 428 fgg. 468. Engelsüfs-
chen 471. Erbse 49. 135. 138.
209. 237. 238. 475. 717. Flachs
467. 471. Frig.gjargras 246. Ha-
fer 86. Heidelbeere 428. Him-
beere 129. Hirse 152. 464. Ho-
pfen 469. 712. 713. Hüsläk 56.
138. Kamille 475. Kronsbeere
429. Klee 25. Kreuzkraut 24.
KuchenblUmcheu 471. Lauch 590.
591. Lilie 470. Löwenzahn 517.
Marie bregne (Syrildrod) 80. Ma-
riae oientaare, Soldug, Sonnentau
293. Maiblume 470. Meerlinse
6. Nessel 20, 102 fgg. 138. Rose
403. 470. Sternblumen pflücken
383. Stechpalme 35 Anm. *.
Thorhialm 90. Walzen 467.
Bein und Stein 328 fgg. 391 fgg.
394.
Bell 222.
Bera 665.
Berg s. Wolke; Himmel. — Auf Ber-
gen opfern 235. Frau Holda im
Berge 263.
Ber r/entrückung 265.
Bergkönig 453.
Bergmännlein 725.
Bergdanir 181. 184.
Berggeister 80 s. Riesen; Zwerge.
Bergelmir 194.
Bjargmigi 201.
Frau Biebe 464. 663.
Bihinhinka 465. 656. 663.
Bifröst 544.
Bierbrauen 101 fgg. 234; im Ei 302
fgg. (s. Ei, Himmel, Kessel).
Bieresel 411. 419.
Bilskirnir 2. 240.
Bindband 698 fgg.
Binka 656, 661 fgg.
Björn 123. 238.
Bisa 186.
Bisaborg 186.
Blakkr 123.
Blitz = Leiter 341. Leuchterloses
Licht 212. Goldene Peitsche 120.
177. _ Stab (Donnerrute) 20. 27
Anm. '. 35 Anm.*. 59. 62. 112
Anm. 2. 201 fgg. 202 Anm. «.
274 No. 4. 278 No. 7, 8. 283.
No. 14. 296. 395. 553 Anm. 2.
— Span 285. Glühende Eisen-
stange 434. Kugel 202. 209.
Schlüssel 146. 341. Goldenes
Haar das der Gewittergott dem
Dämon auszieht 203. 304. —
Goldener Kinnbacken 125. 237.
238. — Goldzahn 125. — Bart
124. 157. 177. — Ross 119 fgg.
124. 177. 183. 212. Drache 720.
Hahn 341. 391 (s. häunerm£er
und hoenerswark). Blume 153.
470. 718. — Blaue Farbe 2. —
Blitzfeuer mit Milch gelöscht 16.
17. Blitz schlägt das Geld zum
Schornstein herein 151. 720
Anm. ' .
Blinde Schicksalsjungfrau 305. 650.
Bogen Indras 107.
739
Boden. Das neugebome Kind auf
den Boden setzen 312. 317.
St. Bonif actus fährt dem wilden Heer
vorauf 94.
Bragi 196.
Brandsegen 417. 682.
Brauthand 686.
Brautsteine 130.
Frau Brigidian 464.
Brisingamen 85. 289. 701.
Brittannien 405.
Brockr 110.
Brücke s. Totenbrücke. Lederne Br.
652.
Brunnen s. Wolke. Den Liebsten im
Brunnen sehen 522. 546.
Brunnakr 196. 295. 335.
Brunnmigi 201.
BuUerkater 81.
Bullerluchs 81.
BullerJAn 387.
Buschgrofsmutter 478.
£M«e/- 5 fgg. 17 fgg. 27. 53 fgg. 389.
Butz 213. 297. 298. 730.
c.
Christus 356.
St. Chris to2)h 154.
Christoffelsgebet 154.
Ä«. C/ara, Sonnenheilige 395. 664.
Donnerkäfer 273.
Dunnergät 154.
dunnerbessem 35. 139.
dunnerschwerk 241.
Donnernessel 102.
Donnerpuppe 28.
duenermäge 341 Anm. "■*
Dornröschen 611 668.
Z»rac/ie 103. 113. 119. 174. 197.
202. 215—218. 221. 548. Frauen-
raubender 76 fgg. 82. Schatzhü-
tender 88. 148-154. 174. 647
= Riese, Zwerg, Seele 207 = Nix
721. Von ludra und Thunar ge-
tötet s. Abi, Oegir, MiÖgar?is-
wurm. Von St. Servan getötet
61. Dietrichs Drachenkämpfo 91.
Drachensalbe 722. Jlilch-, Korn-
und Gelddrache 17. 151. 720.
Draupnir 110. 175.
Draugar 53. 211.
Dräutleinsäpfel 469.
Dreibein 413.
Drifa 205.
Drüten, Truden 712 fgg. 727.
Durst 51.
Dvalinn 555.
Dvergspeni 52.
Dvärgsnet 640.
Dvürgstein 456.
E.
D.
Dagr 39. 376.
Däinn 187. 207.
Daufäjer, dauslöper s. Tau.
Dietrich von Bern 89 fgg. 94. 363
Anm. *.
Döckulfar 325.
Dödninger 628.
dödningsknib 617. 628. 728.
dödmansgrep 628.
döggskör 29.
dömhringr 229.
Donnerkeil 21. 22. 23. 34. 48. 79.101.
105 fgg. 109fgg. J21. 122. 138.
151. 163. 170. 202. 213. 410.
715 = Sccpter 230.
Donuerkugel 48. 202. 209. 418.
Ecke 89 fgg. 168. 171. 210. 354.
Ekke Nekkepenu 208. (Vergl.
Hansen, Friesische Sagen und Er-
zählungen. Altona 1858 S. 148
igg-)-
Eckhart 92 fgg. 168. 265. 271.
Ecketcart 93.
Eg^ir 182.
Egill 62.
Ei. Unter die Stallschwelle gelegt
11. In die letzte Garbe gesteckt
137. Jüdel spielt mit Eierscha-
len 308. Elbe und Hexen fahren
in Eierschalen 316. 418. Ei kommt
aus Engelland 414 fgg. Im Ei
(als Abbild des Himmelsgewölbes)
Bier brauen 302 fgg.
Eichoclise 28 s. Hirschkäfer.
Eikthyrnir 551.
47 =■••
740
Eimyrja 205.
Einbetta s. Ainbetta.
Einbinden als Geburtstags- = Paten-
geschenk 634. 697 fgg.
Einheri 230.
Einheriar 228. 264. 442. 443. 563.
Einrißt 121. 123.
Eisenbertha 80.
Elbe = Seelen 47. 297. 326. 455.
709 s. Seele = Kinderseelen 297
Anm. *. Etymologie des Worts
46. Elbenglaube bei Kelten und
Germanen identisch 320.
Elbegast 209.
Elbel 712.
Elbertrötsch jagen 31.
Elfrinder 7 fgg. 78. 79.
Elfengärten 433.
Elfenmühlen 22.
Elfentopf 49.
Elias 706.
^/cZm- 83.
Elisius Campus 360.
Elivägar 170. 192. 548.
£m&;rt 589.
Engel 276. 298. 308. 309. 375. 376.
378. 379. 423. 425. 439. 473.
474. 654. 724.
Englöl 326. 521.
Engelland. Land der Engel = Lios-
älfaheimr 326 fg
Der Schwan
zieht dahin 328. 397. 398. En-
gelland = Glasberg 330 fgg. See-
lenreich 398. 400 fgg. 405. 406
fgg. 491. Mären sind da zu Hause
345 fgg. Marienkäfer = Mär hat
in Engelland seine Heimat 347.
353. 397. 398. Schmetterling
fahrt dahin 373. Dahin fahren
die Hexen in Eierschalen 418.
Engelland verschlossen 328 fgg.
370. 491 fgg. Brennendes En-
gelland = flammende Wolke 354.
498. 398. Engelland = licht-
strahlendes Himmelsgewölbe 375.
376. 423 Anm. In Engelland
sieht man Himmel und Hölle zu-
gleich 421. Blitz schlägt nach
Engelland hinein 398 Anm. '. Da-
hin werden die Wolken gewiesen
400 fgg. Dahin -wirbelt der Sand
des Kirchhofs 404. Dahin eilen
die elbischen Hasen = Seelen
406 fgg. Daher kommt das Ei
414 fgg.; der Schrittschuh 417.
Nach Engelland fahren bedeutet
Freude 419. Dieser Ausdruck in
Frühlingsliedern 420 fgg. Dinkel
und Hirse aus Engelland 464 fgg.
Eose aus Engelland 463. Bock
kommt aus Engelland 483. Gol-
denes Wickelband aus Engelland
687. 690. 700. Holda Königin
von Engellaud 278. 375.
Erdmännle 710.
Erlösimg 316 Anm. ■'. 648. 649.
Erpr 587.
Eselbrunnen 267. 411 fgg.
Esel fest 414.
Eselwiese 414.
Eysa 205.
Fafnir 87. 150. 207. 598.
Fahrende Mutter 711.
Fairybiitter 54.
Fairyland 459.
Farbauti 84.
Farbe. Rote Farbe Thunar hei-
lig 13. Roter Weiberstrumpf 10.
Rotes Zeug 11. 12. 16. 17. 638.
Roter Rock 11. 13. 135. Ro-
ter Mantel 238. Rote Hosen 12.
Rotes Segeltuch 13. Rotseidenes
Tuch 64. Roter Faden 12. 14
Anm. ^ 64. 134. Rotes Band
685. Rotes Hemd 225. 530. 531.
707. Rotes Banner 124. Rote
Blume = Blitz 153. 470. Rote
Beeren des Vogelbeerbaums 18.
Rote Früchte des Hagedorns 136.
Rose 26. Rotes Gründonnerstagsei
137. Rote Eichhörnchen 137.
Rotkehlchen 13 fgg. Roter Hahn
720. Roter Bart 125. 157. 177.
178. — Blitzblau 2. 6 Anm.'.
36 Anm. 138. Blaue Blume =
Blitz 153 fgg. 470. Blaue Schürze
11. Blauer, roter und grüner
Schrein 434. — Gelbe Blume
(Farbe des Blitzes) 36 Anm. —
Grüne Zwerge 458. 477. Grü-
nes Hardmännle 456. Grüne
Schuhe 470. 477. 480. Grüne
Hände 477. Grüne Jungfrau 480.
741
— Schwarze Stiere 135. Schwar-
zer Hund 641 fgg. 649. Schwarze
Jungfrau 620. Schwarze Wolke
576fgg.586. 650. 655. —Weifse
Sonnenrosse 624. Halb weifse, halb-
schwarze Jungfrau 641 fgg. 649.
Fasolt 90 fgg.
Feieji 637.
Fenrir 85. 87. 198.
Fensalir 585.
Feuer 13. 17. 65. 82 Anm. '. 101.
102. Abbild des Blitzbrandes 13.
Auf Schätzen 152. Osterfeuer
137. 238. Weihnachtsfeuer 238.
Feueizange 35 Anm. *. Feuerstein
110. 141. 142. 212.
Fjörgyn 235.
Fönn 205.
Fold Erdgöttin 128.
Fulkvängr 291.
Fornjötr 205. 220.
Franängurfors 85.
Frea 295. Fru Freen 295. Fru
Freen mit dem groten Düme 539.
672, s Fria.
Freyr 247 fgg. 489 fgg. 521. — 37.
38. 39. 41. 110. 121. 123. 188
Anm. 2. 221. 222. 234. 245. 292.
326. 342. 467. 624. 708.
Freyja 247 fgg. 288. 290. 291. 508.
— 80. 84. 85. 89. 90. 91. 110.
179. 181. 183. 189. 197. 246.
287. 295. 319. 326. 342. 377.
' 567. 568. 691. 701. 708. 711.
726, s. Frouwa.
Freyjuhcena 247.
Fria. Fru Frien 295. Frija 70.
Frikka 294 fgg. 238. 296. 471.
539. 711. 726. Frigg 246. 294
fgg-
Friggerok, Frejerok 665.
Frigaholda 295. 296. 509.
Fricco 292.
Fri^leiJ'r 39 = Freyr 221.
Fri^fro^i 221.
Fro^i 221. 399.
Frosti Riese 205. Zwerg 207.
Frouwa kein erwiesener Götternamc
708.
FuUa 246.
Funafengr 83.
Fylgjen 306 fgg. 310 Anm. '. 556.
572 fgg.
G.
Gachschepfen 609.
Gälgagramr 270.
Gansfufs 718.
Garten blühender im Seelenreich 339.
724 fgg., s. Wiese.
Frau Gauden 282. 284. 300. 302
fgg., s. Gode.
Gehurt 81. 311 fgg. 318. Geburt-
fördernde Gottheiten 588. 295
Anm. ' .
Gei/sfufs 642. 671. 718.
Geirdriful 566.
Geirölul 566.
Geirrö^r 85. 190. 199. 200. 201
fgg. 204.
Geisterpitsclie 617.
8t. George 242.
Gerdrüt 319. 370. 730.
Gerör 171 Anm. K 175. 222.
Gewebe der Valkyren 558 fgg. Der
Nörnen 038. 640.
Gjallarhorn 115 fgg. 119. 189. 550.
551.
Gjälp 200.
Giniill 321 fgg. 325. 334. 342. 377.
439. 550.
Giimiaigagcip 548.
Gla^sheimr 366.
Glasherg = Himmel 331. 332. 455.
Seelenaufenthalt 333. 336 = Pa-
radies 338. Wohnsitz der Z^verge
332. 333. 447 fgg. 454. 455.
Sitz des Gübich 333. 429. Kin-
derseelen im Glasberge 330 = En-
gelland 331 = goldenes Schloss
462 Anm. ^. Heimat der Schwan-
jungfrauen 342. 343. Liegt jen-
seits eines Gewässers 365. Voll
blühender Gewächse 447 fg::c. Von
wunderbarem Lichte erfüllt 454.
455. 728. Mit Knochen erstiegen
330. 336. Kuh auf dem Glasberg
332. Etymologie des Wortes 334.
335.
Glasir 335. 336.
Glxsisvellir 335. 347.
Glerhiminn 335.
G/iÖ 365. 377. 664.
Glocken am Gewände 488. 489.
742
G7öS 205.
Glücksglas 625.
Glückshaube 306. 572.
Gnut 640.
Gode 238 281. 284. 294. 298. 471.
711. Frau Gol 281. Vgl. Gau-
den.
Godgjibhen 121. 232. 391 Anm.^.
Godwebb 638.
Götter. Götterstaat 594 fgg. Göt-
tergericht 595 fgg. Göttinnen aus
Wasserfrauen hervorgegangen 80.
481. 726. Die höheren Gotthei-
ten fallen mit den Eiben nahe zu-
sammen 727.
Goldross 175. Goldpelz 175. 210.
288 Anm. '. Goldlampe 175.
Goldhühner 176. Goldbock 176.
289. 393.
Goldtor 438, s. Tür.
Goldenes Schloss 330. 338. 340.
341. 365. 392. 425. 462 Anm.^
532.
Goldfethara 376.
Goldkette um den Tempel zu Upsala
675, um Ländereien 676 fgg. Tö-
tendes Seil 701. S. Schicksab-
seil.
Frau Gosen 294.
Grafvitnir 150.
Grani 333.
Gras ausläuten 34.
Grep 628. 728.
Gre< schwarze 382. PayssenerGret383.
Greip 200.
Grendel 169. 211.
GWbr 201.
Grim 89.
Grinttünagar^r 182.
Grönjette 291. 477.
Grotti 399.
Grummeltvru 186. 718.
Gu'Ör 561. 566.
Gu mundr Herscher von Glaesisvellir,
Odäinsakr 335. 357. 447.
Gübich s. Hibich.
GuUfaxi 124. 181.
Gul'ljjö^r 39. 376.
Guliinbursfi 64. 110. 111. 708.
Gullintanni 125.
Güngnir 85. 110.
Gütchen 297 Anm. *. 308.
Gurrorysse 95.
Gygjar 187.
Gymir 175. 190. 219.
H.
Habundia 725.
Haddmgr 39. 440 fgg. 470.
Eakelberg 286. 290. 300.
Ilälsete 700.
Halskette goldene 701 fgg.
Hälogi 205.
Humdir 587.
hamaskipti 691.
hamfurir 691.
Hamingjen 306. 572.
Hammer 16.25. 105 fgg. 118. 173.
179. 232. Hammerzeichen 16.
24. 109 fgg. Hammer Thunars
13. 126, s. Mjölnir. Hammer In-
dras 105. Personitication 108 fgg.
112 fgg. (Vergl. Zeitschr. f. D.
Myth. I, 465 No. 9 Die Keller-
lahne zu Passeier). Mit dem Ham-
mer befangen 122. 132.
Eängatyr 270.
Har^greip 626.
Hardmännle 456. 481.
Hasenbrod 410.
Hati Wolf 85. 197. Riese 171.
211. 233.
Haulemänner 429.
häunerwixr 341, s. hoenerswark.
Hautkrankheiten 31 Anm. «. 32. 33
Aum. '. 103. 134. 135.
Hausgeister 47. 53. 258. 409. 477.
719 fgg.
He^inn 289 fgg.
Hegung durch Fadeuzug 683 fgg.
Heidemännle 58.
Hei^riin 64. 551.
Heiligenbrunn 146.
heilög vütn 182. 554.
Heilrätinnen 640 fgg. 643 fgg,
Heimchen 297. 363. 447. 472. 715.
Heimdallr 85. 115 fgg. 125. 183.
188. 189 Anm. -. 238. 325. 544.
545. 550. 588.
Heinzelmännchen 81.
Hekkenfjäld, Hekkevelde 361.
Hei 85. 88. 190. 292. 298. 357.
363. 382. 544. 549. 666. 726.
743
Helblindi 190.
Heikappe 210.
Held 641. 644.
Helgi Hundingsbani 182. 292. 554.
588. 674.
Helvi s. AVolke.
Hengigapta 672.
Hercules 230.
Herfjötiir 566.
Herrno^r 366.
Herodis 286.
Herodias 59. 62. 286. 287. 294.
296. 395. 715.
Hexen 55. 56. 59. 81. 202 Anm.^,
371. 409. 476. 521. 691. 711.
714. = Elbe 54. Ihr Besen =
Blitz 35. Hexensalbe 35 Anm.*.
Hexenbutter 54. 55. 57.
Hia^ningar 290.
Hiarrandi 289 fgg.
Hibich (GUbich) 333. 429. 454.
Hildr 80. 89. 289 fgg. 294. 319.
566.
Hilde 89. 294. 567.
Hildaberta 293. 296. 509.
Hildenschnee 294.
Hildenrose 470.
Hildisvini 90. 289.
Hiltigöltr 89.
HilÜgrini 89.
Him in björg 183.
Himmel = Berg 334. 340. 425. 455.
Glasberg 332 fgg. 455. Sonnen-
land 327. Eugelland s. E. Ge-
fäfs 103. 260. Ei s. Ei. Kes-
sel s. Kessel, Ei. Deckel 400.
Nest des Vogels (der Sonne) 209.
Himmelreich verschenken 275.298.
495. 504.
Hier 84. 205.
Hli^skjälf 545. 546.
Hlorri^i 121. 227.
Hlüda 286.
Hludana 287.
Hludena 287.
Hoddmimir 547.
Hö^r 561.
Hödehen 409.
Högbergsgubbe 183.
Högni 289 fgg.
Hoenersivark 422, s. häunerwiser.
Hörselberg 264.
//oWa Gestalt 257. 258. Hohler
mnldenförmiger Rücken 258. 260.
673 Anm. '. = Ran 83. = Hei
85. 292. = Freyja 287.- = Ve-
nus 205. 468. Königin der Sä-
ligen Fräulein 260. 428. 455. 471.
Anführerin des wilden Heers 94.
261 fgg. 292. Macht Sclmee 259.
260. 266. Giebt Sonnenscliein
260. 379, Wind 260, Regen 260.
379. Schöpft ein bodenloses Fass,
trägt goldene Eimer 103. 104.
260. 298. Badet 265 fgg. Weint
um ihren Mann Trähnen 288.
Wohnt im himmlischen Gewässer
266. Ihr Kinderbrunnen, Brun-
nenreich 41. 80. 95. 177. 178.
255 fgg. 266 fgg. 271. 295. 321.
338. 339. 340. 424. 438. 455.
532. 547. 554. Bock = Wolke
in Holdas Brunnenreich 177. 267.
Mit den Seelen in der Wolke
schiffend 367. Holdas Brunnen
= Ur'öarborn und Mimirbrunnen
547. 548. Ihr Baum und Brun-
nen = Baum und Brunnen der
Schicksalsgöttin 670. 706. Wohnt
im Berge 263. 468. 505, in Kri-
stallgrotten 455, in Engelland 385.
Ihr Berg viermal im Jahre geöff-
net 468. 520. Ihr Brunnenreich
und Berg voll herlicher Gewächse,
die Prototype des Pflanzenwachs
tums darin vorgebildet 424. 468.
Todesgöttin 263. 509. Empfängt
die Seelen und lässt sie wieder-
geboren werden 269 fgg. Weilt
mit den Seelen im Turm 505.
Geister bei Holda lachen nicht
309. Mit den Seelen von den
Dämonen des Winters eingeschlos-
sen 493. Im Winter tot 509.
Hollefrau verbrannt 727. Kommt
im Früliling neubelebt hervor 471.
Fördert die Feldarbeit 472. 473,
den Flachsbau 471. 479. 480.
Treibt die Wolken als iiire Schafe
aus 728, als Kühe 394. Reitet
auf dem Rollegaul 202. 712. Er-
scheint als Hund 711. Spinnerin
605. Als Wolkenfrau vom wil-
den Mann ( wilden Jäger) gejagt
479. Holda und die Schicksals-
göttin 540 fgg. Verwandschaft
mit den Mären 261. Bekämpft
böse klären 726.
744
Frau Höllern = Holda 471 Anm.*.
Hollenbaum 670.
Hollezopf, Hollerkopf 261.
Hollepeter, Peter Holl 261.
Hollen 303,
Hollar rvettir 295.
Holden 47. 297. 372.
Holzmuoja 198.
Holzrüna 198.
Honig 311. 424. 471. 725.
Honigfall 542. 543 Aum. ' . 552.
553 Anm. -.
Horant 290.
horshoiuü.ra 367.
Hrsesrelgr 182. 186. 197.
Hrau^i'ingr 211.
hreggmimir 546.
i7reSe 287. 294.
Hrimger^r 197.
Erlmnir 184.
iTr»«|?M7-sar 184 fgg. 543. 548. 549.
568, s. Kiesen.
Hringliornl 358.
firis« 566.
HRÖDA 287. 294.
.&rö.<:a 285. 286. 294.
Hrossli a rsgran i 597.
Hruodgera 509.
HruodpHraht 285. 509.
Hufeisen. Wasserfrauen mit Hufeisen
beschlagen 710 fgg.
Huginn 563.
^wWa, Huldra = Holda 259. 297.
Trägt Kuhschwanz 80. 259. Hin-
ten wie ein Backtrog 259. Ihre
Kühe = Wolken 8. Hulldr
drückende Mär 261.
Hiildre 289. 297. 456. 477. 721.
Huldreslaat 263, s. Albleich.
Huldufölk 8.
Hundulfr 198.
Hyldemoer, Hyllemoer 53. 475.
Hymir 171. 179. 190. 192 fgg. 220.
Hyndla 198.
Hyrr olein 358.
I. J.
Jättehräh 171.
Jarnhaus 181.
Jarnvi^r 197.
Jarnsaxa 181.
lÖavöllr 443.
I^unn 194. 196. 295. 335. 544.
726.
St. Johannes 247.
Jörmungardr 198, s. MiSgarSswurm
Jötunn 168 fgg. 211, s. Riesen.
Jütunheimr 170.
Jölevxtter 521.
Jölasveinar 521.
»S«. Joseph Sonnenheiliger 395.
Jo?<r 612.
Irrlichter 310. 371.
l.sa 409.
Jildel 308.
Judasdreck 135.
Judasohr 15.
Jugend Land der 457.
Jidfriede 522.
Jungbrunnen 196. 273. 297. 335
544. 654.
Jungfernhühel 641.
If/gja 482.
K.
KälberquieJcen 19 fgg. 35 Anm. ^
553 Anm. 2.
A'^q/?i 600. 664.
Ä'n/i-e^i-Lunta 064.
Knmeele = Wolken 36.
Kära 292.
Käri 205. 206. 220.
Karfunkel 447. 449. 451 fgg. 454.
456.
Karlsioagen 142 Anm. *.
Katharina Sonnenheilige 7. 385 —
388. 524. 540,
Katzenbutz 81.
Kaupat 41.
i:er% 544. 598.
Kessel 103 fgg. 192 fgg.
Keule 109. 198. 230 fgg.
Kifhäuser 263. 265. 445.
Kinder. Kinderbrunnen 255 fgg. ?.
Holda. — Kinderseelen == Seelen
Verstorbener 272. = Gütchen,
Butzen, Eiben 297 Anm *. =
Zwerge 363 Anm. *, s. Seelen.
Sitzen im Hasenteich 410. Spie-
len im Himmelsberge 338. 425,
im Wolkenberge 273. 338, im
Brunnen 95. 255. 267. 338. 339.
745
668, bei einer weifsen Frau 258,
bei Holda 257 fgg — im Eichen-
trog 283 Anm. 3, im Baum 668
fgg., bei Ilolda im Wolkenturm
506 fgg., weilen auf dem Schofs
der Göttin 273 fgg., sitzen stufen-
weise 304. Ihr Eintritt im mensch-
lichen Körper, s. Wiedergeburt;
fliegen mit IMückeu und Schmet-
terlingen umher 370. 729. 730.
Kommen zu Schiff zur Erde 370.
Vom Storch, s. Storch; vom Ma-
rienkäfer gebracht 255 , vom
Schmetterling 373; von drei
Jungfrauen 524 fgg. 670, 706;
von einer Katze gefunden 553 fgg.
Die Hebamme holt sie 256; die
Mutter 305. Kinderseelen kaufen
370. 373. Kind in Gold gebun-
den 689. Mit goldenem Wickel-
band versehen 687 fgg. Licht
neben dem Kinde brennen lassen
318.
Kindssaft 311.
Kindspecli 311.
KinnhacTcendonner 238.
Kirkevarsler 491.
Klnixperboch 238. 239.
Kiemode der Götter 42. 110. 111.
KnoblajntiJca 056 fgg. 663. So eben teilt
mir Dr. Nöldeke noch eine mit No. 2
S. 656 im Uebrigen übereinstim-
mende Variante aus Harburg mit,
in welcher aber die Namen Binka,
Bibliabinka (oder biblische Binka)
und Seseknakknakknabb eldi-
babbeldibibliabinka lauten. Das
knabbel (aus knabia in 3) ist
offenbar die Quelle von Knobla
(Knoblapinka) in 1, woher unsere
S. 663 Anm. * geäufserte Vermu
tung hinfällig wird. Sollte etwa
auch das kafveli in Kafvelilunte
mit diesem knabeli zusammenhan-
Knochen mit Knochen werfen 661.
Bei der Bestattung vom Fleische
lösen 72 fgg. Fehlender Knochen
57. 58. 63. 74. Ilühnerknochen
schliefst den Glasberg auf 330 fgg.
Fährlohn des wilden Heers .T63.
Kobold 47. 719 fgg. Seele 719 fgg.
Käfer 367. Hase 409.
Könnt 541. 598.
Krätze, s. Hautkrankheiten.
Kristall 447 fgg. 455. 459.
Kristallsehen 621.
Kuhstein 21.
Kütrtin 290.
L.
Lachen 303. 309. 314, der Morgen-
röte 438.
Leiter = Blitz, s. Blitz =: Sonnen-
strahlen 381.
ia-«Sr 551.
Licht wunderbares im Seelenreieh
375 fgg. 454 fgg. 459. 462 fgg.,
von Holda und den Lichtalfen aus-
strömend 455. 456.
Lichfland 327. 455. 469 fgg. 728.
730 fgg., s. Engelland.
lihhamo 690 fgg.
Liosälfar 325 fgg. 439. 521.
Liosälfaheimr 342. 377. 521.
Litr 210.
Lo^infingra 626.
Logi 205.
LoM 84 fgg. 110. 168. 178 Anm.'.
194. 211. 234. 325. 400. 691.
Lofsung 599 fgg.
Luarin 449. 456.
St. Lucia Sonnenheilige 422. 664.
Vergl. St. Lucia, Frau Lutz Myth.*
1212 zu 251.
Lucifer 86. 412. 655.
Luna 612.
M.
Magni 124.
Mänagarmr 197. 198.
Mantel 290.
Mär , Märe , Märt. — Mären See
len 261. 342. 712. Gute Seelen
714, böse Seelen 715 = Fylgjen
306 Anm. 2. 574 = Heimchen
296. 715 = Schrezlein 296. 715
= Valkyren 342 = mitendcm
Heer 44Vgg. 261. 296. 712, ma-
chen Wind 713, diücken als
Windgeister Eis, Steine, Bäume,
Menschen 634. 712. 713, reiten
Pferde (= Wolken) 34 5. 713,
reiten Kühe 22, melken die (Wol-
kcn)Kühe 53. 713, f\ihrcn übers
48
746
(Himinels)GeM'ässer 346. 364. 366,
sind Wolken- und Gewitterwesen,
Wasserfrauen (Maresten) 48. 79.
171. 172. 712. 715 = liimmli-
sche Kühe 78 fgg. 490. 714, als
drückende Wind- und Wolkengei-
ster = schwarze Kuh 79. In
Verbindung mit Holda 260 fgg.,
sind in Eugelland zu Hause 344
fgg., erscheinen als Käfer 367,
als Marienkäfer 356. 490 = Wer-
wolf 634, kommen mit den Son-
nenstrahlen ins Haus 715, veran-
lassen die Unformen an den Bäu-
men 476. 712. 713. Von 7 Kin-
dern eins Mär 633.
Marklatt 46. 261. 713. 715.
Marenzitze 79.
Margareta 146. 381 fgg. 423.639.708.
Maria 80. 181. 245. 247. 269
Anm. •. 272 Anm.*. 276. 277.
279. 284. 293 Anm.*. 326. 338
— 340. 356. 366. 367. 375. 376.
394. 428. 448. 454. 468. 488.
540. 639. 640. 653. 670. 689.
708.
Drei Mareien 552. 705.
Marienfädclien 367. 639. 640.
Marienland 486, 488.
Meerfrau 291. 652.
Megingjar^r 114.
Mehl 218.
Merseburger Zauberspruch 69 fgg.
metod 595 fgg.
metodsceaft 607.
Meten 638. 675. Metten 639. 708.
Metkensommer 639.
Mi^gar^swurm 85. 86. 92. 99. 168.
171. 192 fgg. 198. 207. 220.
221. 325.
Milch 6. 14. 17 fgg. 96. 134. Himm-
lische 6. 144. 145. Opfer für
die Elbe 52 fgg., für den Marien-
käfer 355. In den Hörnern der
Kuh 35 Anm.*. In Milch wer-
fen 316. Milch Marias 80.
Milchmädchen 33 Anm.*.
Milchmeer 97.
Milchstraf se 293. 729.
Miller-Maler 372 fgg.
Mimi 543. 548.
Mimir 543. 545. 547 fgg. 550.
555.
Minnetrunk 247.
Mjölnir 63. 109 fgg. 128. 181. 201.
398, s. Hammer.
mjötu^r 595.
Mist 563.
Mistilteinn 112 Anm. ^.
Molkentöiversche 54.
3Io7id 84. 85. 176. 185. 197. 288.
399. 423. 438. 612. 6G8.
Moosleute 478. 481.
Morgenröte 140. 148. 149. 163 fs.
besonders Anm.*). 439. 604. 612.
650.
Mühle 272. 398 fgg.
mulletje 397. 398.
Muotasheer 94. 271.
Musik = Sturm. Musik des wüten-
den Heeres 44. 47. 263. 272.
290. 709. 710, der Zwerge 718,
s. Albleich, Pfeife, Tanz.
Myrkvi^r 384. 559. 561. 562. 668.
674.
N.
Nacht griff 728, s. Grep, Dödnings-
knib, Totenmailer.
Nachtvolk 57. 709.
Nagel Flecke auf den Nägeln 615
fgg. 626 fgg. Nägel und Krallen
der Unterweltswesen 625 fgg. Vgl.
dass Tuonelas (der Unterwelt) Wir-
tin bei Finnen ein altes AVeib mit
Hakenfiugem und verzerrtem Kinn
ist. Ebenso hat Tuonen poika,
ihr Sohn Hakenfinger. Castren,
Finnische Myth. 130. 131. Glied
der Nörnen 627. Nägel abschnei-
den 628 fgg.
NCiinn 207.
Naglfari 631.
Näl 84.
Napfhans 53.
Nar 207.
Näströnd 322 fgg. 824. 439. 548.
550.
Nascentia 631.
Nebel spinnen 654.
Nebelkappe 210. 723.
Nebelwohnung 439.
Neidstange 625.
Nerthus 248. 288. 342.
Ni^höggr 322. 343. 548.
Ni/lheimr 548. 666.
747
Nikker 213.
Njör^r 39. 222. 288. 289. 290.
342. 489.
Njörvi 187.
Nissen 720.
Nix 47. 53. 296. 477. 652. 655.
673. 705. 721. Nixblume 475.
Nobiskrug 666. 667.
Nonnen 532. 705.
Nordri 109.
Nörnagreytur 588. 632.
Nornagestr 592.
Nörnaspvr 622.
Nörnir ( das Einzelne s. im Inhalt
unter B. §. 6 fgg.) 541 fgg. Ety-
mologie 586.
Nothemd 638.
0.
b^r 288. 290. 295. 335.
Öf>inn 38. 95. 110. 121. 122. 182.
183. 224. 229. 242. 270. 290.
— 292. 294. 442. 508. 545. 546.
547. 558. 565. 589. 597.
Ö^roirir 544. 563.
Odainsakr 335. 445.
Oegir 81 fgg. 89. 92. 103. 168.
171. 189. 192. 193. 205. 210.
219. 220.
Oegishjälmr 86 fgg. 88 fgg., s. hu-
liÖshjälmr
Ökuthorr 121. 190. 510.
Ölken 52. 263. 301. 716.
Ölvalldr 142.
Öndu'^r 207.
Örvandill 142. 169. 224. 548.
Önnt 544. 598.
Ofen 133. 152.
Öfoü 211.
St. Olaf 113. 125. 139. 142. 185.
186. 202. 293.
Ölafr Geirsta?5aalfr 293. 724.
Onychomantie 621.
Opfer für die Seelen (Elbe) 52 fgg.
296. 355 Anm.'». 722 fgg. Disen-
opfer 23. Thorr Stiere geopfert
10. Opfer für Wodan und die
drei Scliicksalsjungfrauen 641.643.
Kuh am Grabe geopfert 51. 734.
Orentil 548.
St. Oviol 395.
Ostara 650.
Ostereier im Hasennest 410.
Osten und Westen 252. 417.
P.
Palmesel 414.
Paradies 338.
PatengescJienke 697 fgg.
Peitsche goldene 120. 177, s. Blitz.
Piirahta 80. 238. 285. 294. 396 fgg.
471. 715. 725. 726.
Perahtold 285. 296.
Perchteln 296.
Perlalinz, Perlaplinz, Perlapuff 660.
665. 670.
St. Petrus 16. 65. 68. 71. 115. 152.
181. 247. 390. 391.
Pfaffenköchinnen 711.
Pfeife = Donner 119. = Wind 173.
174. Pfeifer von Hameln 257. 368.
Phol, s. Vol.
Pilbishaum 667.
Pinka, s. Binka.
Pitje von Skotland 193.
Plattfufs 660. 671. 708.
Pommerland 332. M''. 089.
Pöpel 81.
Posterli 412.
Posterlijagd 48.
Prechtülderli 296.
B.
Rad = Sonne 385. 393 fgg. Durchs
Wagenrad kriechen 134 fgg. Ka-
der den Berg hinabrollen 393 fgg.
Rain 392. 393 fgg. 532.
Rän 83. 171. 179. 211.
Ranzenpuffer 50.
Regen 136. 143. 144. 375. 376.
668. Regen = Schlange 77. 439.
440. = Aal 82. =: Kröte 439.
440. = Speise 221. = Schatz 89.
= Rede 571. = Trähnen 288.
= Nase 380. Regenlied 422. 423.
457. Regen von den Maruts gc
spendet 213, von Holda 260. Re-
gen am Hochzeitstage 152.
48*
748
Regenschiff 366.
Regenbogen 21. 107. 391. 544. 729.
Regln 595.
Reganogiscapu 607.
Reginn 207.
Rei^ 47. 121.
Rei^ar^runia 121.
Rei^atyr 121.
Rhein = Kaiu 393. Zum Rheine
gehn 361.
Riesen verschlingen das (Himmels-)
Gewässer 547. Wasserdiebe 212.
Esser 162. 167. 169. 210 fgg.
Wohnen im (Himmels-) Gewässer
154 fgg. 169. Ihr Wohnsitz von
Wasser umschlossen 162. 167. 170.
175. Tragen das Sonnenauge am
Körper 546 fgg. Berggestaltig
(Bergdanir, Bergrisar, Hraunbüar)
154 fgg. 168. 183, 184. Woh-
nen im (Wolken-) Berge 154. 163.
170. 181. In der Berghöle 168.
Decken sich mit dem Wolkenfels
168. 190. Rauben Frauen 155.
170. 183. 193. 288. Halten sie
in der Berghöle zurück 156. 172.
173. Rauben und besitzen Rin-
der 155. 156 fgg. Haben Schätze
156. 162. 175. Nachtwandler
157. 159. 187. 206. 354. Von
der Sonne verscheucht 159. 188,
versteinert 188. 206. Winter-
mächte 160. 184 fgg. 193. 354.
505 fgg. 510. 543. 546 fgg., s.
Hrim])ursar. Baumeister 160 fgg.
185 fgg. Riesenmauern 186. 354.
Riesenbett 306. Kämpfen mit
dem Gewittergott Blitz gegen Blitz
164. 170. 179. 180. 199. 200.
434. Ihre WatTe bricht bei der
Begegnung mit der Waffe des
Donnergottes 77. 163. 168. 182.
194 Anra. '. Steiuwerfende Rie-
sen 180, tragen Eisenstangen 355.
434, werfen sich gegenseitig ihre
Beile in den Fufs 661. Schlafend
getötet 162. 202 fgg. Ihre Schul-
tern zerbrochen 77. 89. 163. Der
Hände und Füfse beraubt 164.
211. 212. Gefesselt 165. 168.
190. Macheu Blendwerk 163. 165.
168. 189. — Riese = Zwerg 207
= Drache 174. 197. 203. 207.
325. Hähne 160. Adler und Geier
160. 174. 203Anm. 5. 195.197.
271. Eulen 160. 198. 205 Anm.^.
626. Hunde 160. Katzen 197.
Luchse 197. 271. Wölfe 160.
197. Zigeuner und Türken 353.
354. — Riesen Menschenfresser
157. 158. 177. 191. Furchtbar-
blickend 160. 192. Vielgliederig
212. Sehlau 160. 194. Seelen
167. 190 fgg. 325. Riesenweib
158. 164. 191. 438.
Rivdr 41.
Röds 286. 301.
Roggenmuhme 80.
Rollegaul 262. 712.
Frau (Mutter) Rose 21 Z fgg. 285.
298. 727.
Rosengarten 449 fgg. 452.
Rosenlachen 439.
Rossmucken 31. Rossmucken ja-
gen 31.
Röskva 224.
Rata 561.
Rwnpelstilz 539.
Rune auf dem Nagel der Norn 622.
Hugrunen 623 fgg. Unter dem
Huf des Rosses 624. Rune Tyr
16 Anm.«. Rune Sei 664.
Saha 651.
Säcke waschen 653.
Sxhrtmnir 64. 212.
Sälige Fräulein 52. 260. 289. 428.
455. 471. 473. 479. 480.
Salgofnir 443.
Sah 6. 7. 57 Anm.'. 317. 318.
scephenta 607.
Schatz 151 fgg. 154. 198. 208. 260,
269. 642. 646. 650 fgg. 655. 719,
s. Sonne, Regen. — Rücken der
Schatze 193.
Schiff = Wolke 37. 38. 366. 466.
Indras und Thunars 147. 234.
Auf goldenem Schiff nach Vall-
höll fahi-en 357. Auf dem Schiffe
bestatten 356 fgg. Aus Engel-
land 370. 419. 464. Zu Schiffe
kommen die Kinder 370.
Schicksalsjungfrauen 524 fgg. 537
fgg., wohnen bei Holda 540.
749
SchicJcsalsnagel 611 — 615.
Schicksalsseil 310. 637. 641. 643.
651 fgg. 674 fgg.
Schlaf dorn 613 fgg. 664.
Schlüssel 146. 153. 204. 330. 340.
341. 368. 647.
Schnee 259. 260. 266. 398. 474.
654.
Schrätfeli 372. 715.
Schretel 398.
Schretzlein 296. 725.
Schrittschuh All.
Schwanjungfrauen 341. 544 = Nör-
neii^671, s. Valkyren, Schwäne.
Schwanhemd 443. 379. 559. 562.
691.
Schwanring 310. 69 fgg.
Seekühe 8.
Seele Luftliauch 80, 81. 269. 270.
301 Anm.3. 665. 709 Anm. ' =
Feuer 80. 310. 311. 456.709 =
Sternschnuppen 474. 729 = Son-
neustralilen 438 = In-lichter 371
= Valkyren, Wasserfrauen 574
Anm. 2. ■■ Wilde Jagd 218. 261.
272. 297. Fylgjen s. Fylgjen =
Elbe 670. 709." Lichtalfen 326.
724. Zwerge 207. 491. 710.
Kobolde 719 = Mären 261. 296.
490. 712 = Wechselbälge 313.
Riesen, Dämonen 167. 190. 715.
Engel 284. 298. 309. 326. Teu-
fel 309. Tiere 318. 483 = Hunde
300 fgg. 370. 490. 730. Schafe,
Lämmer 284. 298. 307. 490. 491.
Kälber 490. Kühe 490. Hirsche
694. Hasen 410. 426. 729. Ka-
ninchen 425. Mäuse 79. 5 06.
Vögel 298. 301. Schwäne 342
fgg. 370. 729. Hühner 284. 298.
299. 307. 341. Taubon 614.
Kröten 723. Schmetterlinge 372
fgg. 729 = Blumen 284. 298.
315. 403. 474. — Seelen lachen
nicht 309, taub 304. 508, unge-
kämmt 509. — Seelen bei Thu-
nar 240, bei Rän 83, bei Perahta
297, bei Ilolda s. Holda, bei
Freyja 292, bei Gerdrut 319, im
himmlischen Gewässer 84. 255.
207. 709., bei 0'(Sinn, Wodan
264. 270. 564 fgg., im Berg =
Wolke 93. 240. 264. 273, im
Lichtland 327, Engelland 400 fgg.
Glasberg 333 fgg. 336, hinter
dem Brunnen 321, weilen auf dem
Schofs der Göttin 273 fgg. 304.
Mimi Herscher der Seelen 548.
Kiuderseelen 297 Anm.". 670, s.
Kinder. Im Wind umherfahrend
326. 362. 404 fgg. Seelen Ele-
mentargeister 709 fgg-, sind in
Hervorbringung des Pflanzenwachs-
tums wirksam 472, spenden Re-
gen und Schnee , Wind und Son-
nenschein 474. — Seelen von den
Valkyren 565, von den Wilen em-
pfangen 571, erneuert s. Jung-
brunnen, Wiedergeburt, Seelen-
wäsche. Seelen sträuben sich ge-
gen die Geburt 314 fgg. Kampf
der Seelen 318. 319. 340. Kör-
nen bestimmen den Eintritt der
Seele in den Körper 587. 632
fgg. Seele zieht den Körper wie
ein Gewand an 691 fgg. Durch
ein Seil die Verbindung zwischen
Seele imd Körper gefestigt 696.
Diese Verbindung hängt von der
Taufe (Wasserbesprengung) ab 310.
633. 696.
Seelenilherfahrt 36, des Todes 363,
der Zwerge 304, Perahtas und der
Heimchen 363, des wilden Heeres
95. 362.
Seelenwäsche 654.
Seelenweg der Milchstrafse 293. 729,
des Regenbogens 729. 735.
Seelzopf 723.
Seidenfaden 677. 679. 681. 683.
Sessrümnir 291.
Sgönawiken 304.
Sieben Jahre = sieben Wintermo-
nate 95. 160. 161 Anm.'. 172.
177. 390. 446. 517 fg
Sieben
Wolkenkühe 7. 388. 394. Sie-
ben Geifse 390. Sieben Zwerge
333. Sieben Raben 330. Sieben
Kinder 496. 506. 507. Sieben
Söhne Hakelbergs 300. Sieben
Dänavas 213. Sieben Mäuse 498.
506. Sieben Schlüssel 136. Sie-
Flüsse 164. Sieben Berge der
Zwerge 209. 430. Sieben Bur-
gen des Herbstes (Winters) 160.
Meer in 7 Jahren durchscliiin 175.
Weifse Frau erscheint alle 7 Jahr
1 80. Ist 7 Jahre vom Meerweib,
750
Riesen oder Zwergen gefangen 177.
180. Weilt 7 Jahre bei den Xixen
721. Spinnt 7 Jahre 496. 498.
506. 513 fgg. Sieben Hemden
spinnen 692. Sieben Jahr jagt
Grönjätte die Meerfrau 291. Cilla
(Snewitken) stirbt in 7 Jahren 632.
Donnerkeil rückt alle 7 Jahre 151.
180, ist 7 (8) Rasten unter der
Erde verborgen 179. Alle 7 Jahre
ziehen die Elfen zur Hölle 316.
Siebenköpfiger Drache 216. 221.
Siebenschwäuzige Schlange 215.
Sieben Ellen langes Schwert 113.
Jeden siebenten Tag ist AVunsch-
stunde 519. Von 7 Kindern eins
Märe 638.
Siebrand 345.
Siegweiber 673.
Sif 85. 110. 132. 183. 232. 234.
Sigfrit, Sigurgr 139. 333. 587.
Sigrän 292. 443. 563.
Sigmund 149. 358. 691. 695.
Sigijn 86.
Sivdri 64. 110. 324.
Sinfjötli 358. 691. 695.
Sinthgunt 70.
Skalli 185.
Skiälf 37.
Skild 357.
Skjälf 701.
Ski'^blu^nir 37. 110. 234.
Sköll 85. 197.
Skogsra. 53.
S kratz 53.
Skrikia 198.
SkrvnisU 86.
Skuld 542. 560. 600. 603. 644
Sleipnir 38. 86. 184. 625.
Sli^r 443.
Smörbörrer 53.
Smördubbar 21.
Snmr, Snio 84.
Snapdragon 242.
Sncwittken 333. 614.
Sörli 587.
Sol 39. 376.
Fi-u Sole 283. 657 fgg. 287. 293.
326. 385. 664. 706.
Sole ital. 613.
Fnt Soleiopp 657.
Sonne. Sunna 70. Frau Sonne 283.
375. 664. Sonne = Vogel 38
fgg. 209. Schwan 38. 39 = Rose
38. 39. Hirsch 41. 551. 552.
Rind 40. 41. Schiff 37. Gold-
becher 37. Fenster 546. Auge
40. 545. 546, s. Auge = Rad
385 = Schatz 87 fgg. 148 — 154.
198. 208. 399. 647^ 650. Hy-
postasen der Sonne Goldfeder und
Goldstrahl 375. 376. 380 fgg.
385. Sonnenstrahlen = Leiter
381 = Goldkliimpchen , Ringen
und Perlen 439. — Sonne, !Mond
und Sterne in der verbotenen Kam-
mer 438 Anm. ^. Sonne heraus-
lassen 392. 438. 524 fgg. 533.
705. 706. Sonne von Maruts und
Ribhus heraufgeführt 107. 213,
von Indra 141. 163, von Thunar
143. Von Zwergen geschmiedet
378 Anm. '. 472. 473. Lichtal-
fen und ViSbläiun glänzender als
die Sonne 322. 377. Die Sonne
geraubt 84. 85. 110. 111. 185.
194. 219. 288. 399. 547. 613.
668. Sonnenlieder 375 fgg. 422
fgg. 473.
Sonnenland 326.
Sonnentau 293.
Sunnenwirbel 519.
Späkonur 568.
Späma^r 54.
(Speer 106. 111.
Speisegenu^s im Seelenreich 309 fgg.
Speise dem Kinde in den Mund
tun 318.
Spillaholla 267.
Spinnen. Gold spinnen 704. Stioh
spinnen 524 fgg. 539 fgg. 553
fgg. 701 fgg. Weiden spiimeu
524 fgg. 533. 538. 671.
spirits 271.
Stab, s. Blitz.
Starka'&r 172. 212. 226. 597.
Stern 310, im Brunnen 546. Stern-
schnuppen 474. Seelen 729.
Strömkarl 721.
Sudri 105.
Sutti'mgr 563.
Sva^ilfari 86
Svanr hiun rauöi 39.
Svanhilldr GuUljögr 39. 376.
Svartr 211.
Symbole 577. Licht- und Wolken-
751
Symbole übereinstimmend 37 fgg.
Änm. 551 fgg. 564.
Syr 80.
T.
Txrscke 273. 284.
Tage und Zeiten. Sonntag 260. 629.
Mittwocli 15 fgg. Donnerstag 15
fgg. (Vergl. Philo Magiologia p.
133. Man soll am Donnerstag
feyem und soll kein Stall ge-
mistet werden) 23. 48. 49. 52.
53. 88. 130. 133. 135. 147. 151.
173 Anm. 3. 234. 238. Freitag
260. 629. Sonnabend 260. 519.
653. Neujahrsnacht 88. 270. 520.
725. Fastnacht 152. 412. Fron-
fasten 468. 520. Palmsonntag
152. 414. Gründonnerstag 27.
101. 184. 137. 138. 152. 154.
367. 412. Charfreitag 31. Ostein
88. Himmelfahrt 13. 18. 151.
Maitag (Walpiirgis) 5. 13. 17. 18
Anm. 24. 25. 28. 30-34. 35
Aum. ^ 133 Anm. =. 135. 457.
Pfingsten 35 Anm.*. 420. Peter
und Paul 419. Peterstag 420.
Johannistag 32. 33. 57. Anm. '.
101. 134. 419. 420. 512. 520.
Jacobi 187. Michaelistag 520.
Nicolas 520. Advent 648. An-
dreastag 520. Christabend 49.
79. 412. 440 fgg. 467. 469. 520
fgg. 629. 648. Zwölften 79
Anm. «. 521. 522. 744.
Tamlane 315.
Tanhäuser 265. 344.
Tanz = Sturm. Der Riesen 158.
191. Der Hunde 172. 173. Der
Seelen 308 fgg. 312 Anm.*. Des
Nissen 720. Der Wichtel 720.
Tarnkappe 210.
Tau = himmlische IMilch 4 fgg.
Tau in Linnenlaken auffangen 5.
6. Anm. '. 32. Tauschlepper 5.
Tau abstreifen 5 fgg. 26. Tau
sammeln 28. 29. 30. 135. Mit
Tau wasclien 31 fgg. Tau von
Yggdrasill tröpfelnd 542. Trieft
von den Rossen der Valkyren 564.
Tautragil 29.
Taubheit 304. 508.
Tatife 131 fgg. 316 Anm. 2. 538
fgg. 589. 590. 633 fgg. 642. 696.
697 Anm. '.
Teppersche, Tepperken 282. 284.
298 Anm. '.
Teufel 186. 187. 364. 454. 711.
Teufelsgraben 145.
Thesa 661.
Thiälfi 225.
Thiassi 142. 182. 194. 691.
Thiv^vitnir 442.
St. Thomasland 484. 488.
Thürr, s. Thunar.
Thöra 104.
Thurälfr 48.
Thorkill 190. 200.
Thorsteinn 101. 200.
Thrivaldi 212.
Thrü'^r 48. 127.
Thrü^hamarr 126.
Thrü^vdngr 127.
Thrijmr 99. 119. 175. 179. 209.
Th njmheimr 195.
Thunar. S. den Inhalt zu Abhand-
lung A.
Tliund 442.
Thurs 198 fgg. s. Riesen.
Tiere. Rinder Thorr geopfert 10.
Freyr heilig 247. viugnir 10.
reginn 81. Finnische Namen aus
dem Germanischen entlehnt 10.
Kühe vom wilden Heer 49. 50.
710, von Zwergen in die Luft
fortgeführt 481, am Grabe ge-
opfert 51. 734. Stier = Fluss
415. Stier = Indra, Thunar 36.
37. 108. 113=Freyr 221 Anm.^
Kühe goldgehömt 156. 171. 209.
Kuh Gestalt der Fylgje 306.
Kühe der Riesen und Zwerge, s.
Riesen, Zwerge = Wolke, s. Wolke,
Dj'aus. Rote Kuh, s. Blitz. 'W'unsch-
kuh, s. Kamadhenu, Cavala —
Ross 61. 177. 462, "der Holda
262, blindes 124. Weifsagung
aus Wiehern und Gang der Rosse
624. S. Wolke — Esel 406
fgg. 411 fgg. = Hase 413. 624.
— Ziege und Bock 14. 15. 47.
48. 63. 74. 85. 121 fgg. 137 fgg.
176 fgg. 232. 237 fgg. 243. 289.
390 fgg. 483. 533. 671. Gestalt
der Fylgje 307. Freunde der El-
752
fen 483. — Widder G3. 237.
— Schaf 51. 173. 245. 307.
448, s. Wolke. — Hirsch 60
Anm. '. 694. — Hase elbisches
Tier 409 fgg. == Hund der ^ril-
den Jagd 48T3. Seele 729 = Esel
413.414. Gestalt der Fylgje 306.
_ Hund = Wind 172. 214.
217 fgg. 301 fgg. 330. 717, der
wilden .Jagd 50. 95. 96. 172. 218.
271. 295. 300. 302. 370. 717.
Seele 300 fgg 725, des Gewitter-
gottes = Wind 216— 221 = Wolf
198 = Hase 483. Schatzhüten-
der 198. 642. Hund im (Wol-
ken-)Bcrg 304, im Glasberg 331.
Blutiger Hund 508. Ögimi Freyja
508. 509, Holda 711 in Hunde-
gestalt. — Hunde = Kinder ge-
.säugt 300. 304. — Katze 81.
92. 197. 271. 288. 338. Gestalt
der Fylgje 306, bringt Kinder
533 fgg. — Schwein 61. 64.
344. 460. 708. — Bär 238. 306.
336. 398. 69. — Wolf 197 fgg.
227. 561. 624. — Fuchs 306.
— Luchs 81. 197 Anm.3. 271.
336. — Eichhörnchen 137.
238. — Maus 79, s. Seele. —
Fledermaus 488. — Seehund
690 fgg. — Schwan 38. 39. 328.
329. 342. 368. 370. 396. 483.
543. 729. — Storch 81. 257.
305. 317. 319. 426 fgg. 428. 522
fgg. 529 fgg. 536 fgg. 690. 729.
— Kranich 328 fgg. — Adler
182. 194 fgg. 197. 554. 558. 625.
— Gans 61. 259. 671. — Ente
341. 368. — Eotkehlchen,
Rotschwänzchen 13 fgg. 26.
61. — Hahn und Huhn 13.
51. 61. 101. 173. 189. 298. 299.
— Donnerziege 48. — Ku-
kuk 32. 39. 237. — Rabe 227,
558.— Krähe 691 Geier 271
Anm. '. — Falke 39. 336. 691.
— Sperling 39. Sperlinge am
Bande flattern lassen 369. —
Kröte 204. 316. 439. 723. —
Schlange 82. 316. 439. 647.
648. — Fisch wiederbelebt 61.
Loki 86 , fliegt dem wilden Heer
voran 95. — Aal 82. 316.- —
Hering 152. — Insecten vor
Gericht geladen 368. — Mücke
370. 729. — Fliege 110. 135.
484 fgg. 371. — Ameise 135.—
Bremse484. — Schmetterling
369. 371. 730, s. Toggeli, Schrät-
teli. — Biene 253 Anm. '. 371.
— Käfer ^ Märe, Elbe, Seele367,
findet den Schlüssel zum kiuder-
bergenden Berg 368. Verwünschter
Prinz367fgg. — Hirschkäfer 28
Anm.'. 243. — Rosskäfer 152.
243. — Goldkäfer 243 fgg. 268.
— Maikäfer 243 fgg. 368 fgg.
am Bande fliegen lassen 369,
bringt Friichte 426. — Marien-
käfer 243 fgg. 347 fgg. 417,
nach andern Tieren benannt 244,
steht mit Sonne und Mond in
Verbindung 245 fgg. 386. 388,
wohnt im Wolkenbrunnen 254 fgg.
fliegt zum Busch = Wolke 668.
Hütet (melkt) die Wolkenkühe
246. 251. 356. 490. Setzt übers
Wasser 356. In Engelland 347.
Fliegt dahin 347 fgg. 397. Fliegt
in den Herrgottsgarten 351. 425.
Macht Sonnenschein und gutes
Wetter 248 — 250. 287. Spendet
Erutesegen 252. Ist elbisch, Mär,
Seele 246. 353. 355 fgg. 367.
490. FrevT und Freyja heilig 247
fgg. Holda heilig 254 fgg. Holda
heilig 254 fgg. 268. Bringt Kin-
der 255. 272. In Liebesangele-
genheiten angerufen 252. Nach
der Lebensdauer befragt 253. Mau
opfert ihm Milch und Brocken 355.
Bringt Goldkette 250. 701.
Tih 264.
Tius 104, s. Tyr.
Tod wohnt eine Treppe höher 305.
Fährt dem wilden Heer vorauf
710. Fähi-t über den Fluss 363.
Erscheint als Schmetterling 372.
Tod der Götter während des Win-
ters 509.
Toftevadttr 49.
Toggeli 372. 715.
Tomtegubbe 48.
Toril 187.
Totenbrücke 363. 364. 370.
Totenfährgeld 360.
Totenhemd 653.
Totenmailer 728, s. döningsknib ; Gei-
sterpitsche.
753
Totmopfer 51. 722 fgg. 735.
Totenstrom 203. 309. 356 fgg. 362
fgg. 365. 729. 734.
Traalbulter 54.
Trenta 651.
Trilpetritsch 31.
Tripstrill 398.'
Troll 172. 186, 187. 205. 207.
219 fgg. 234. 434. Den Troll
aufwecken 191.
Trollekile 170.
trullfjälda 367.
trullsmer 54.
tröUri^r 715.
Tür der Wolke geöffnet 255. 266.
267. 287. 389 fgg. 394 fgg. 400
fgg. 438. 524 fgg. 533. 703. 705.
706. Tür verbotene 177. 392.
438. Goldtor 266. 438. Pech-
tor 438.
Tärsäule 16 Anm. ''. 24 Anm. *. ®.
25 Anm. 3. 34. 36. 132. 236.
237.
Türken = Riesen 353.
Tusmörke 187.
Tusseldands 191.
Tyr 16. 85. 104. 192. 229.
u.
Uald 143.
Ungekämmt sein 509.
Unibos 115 fgg.
Unterberg 265. 446. 480.
Ur^r 382 fgg. 542. 544. 560. 563.
586. 600. 602 fgg. 606 Anm. '.
644. 665. UrSir 587. 603.
Ur^arbrunnen 504 fgg. 544. 547
fgg. 553. 563. 574. 606. 666.
670. 675. 705.
Ur^arlokur 602.
Ur^annäni 555. 586. 603.
Ur^arvatu 602.
Urschel 467. 480.
Uoki 81 fgg.
Ute 716.
Ütgar^r 154.
IJ Ignr^aloki 100. 170. 189. 191.
192. 202.
V.
Vala, Völva 205. 568. 569 592.
673. 726.
Valfreyja 567.
Valfo^r 550.
Valglaumir 442.
Valgrind 442.
Valköll 64. 242. 294, 335. 357.
442. 443. 551. 565.
Valkyren 38. 80. 288. 342. 357.
544. 557 fgg. 562 fgg. 572. 673.
691. 726.
Vefreyja 664.
Venus 264. 265. 344,
Venusberg 93. 264 fgg. 468.
Ver andi 542. 600 fgg. 603. 644.
St. Verejia 653.
Verjüngung 70.
Vestri 105.
Vi^arr 201.
V'i^bläinn 321 fgg. 325. 326. 333
fgg. 342. 357. 377. 729 fgg.
FiJSoZ/V 509.
Viggiö^ 197.
Vimur 21. 126. 170. 201.
Vindr Riese 183. Zwerg 207. 717.
Vindsvalr 185.
Vingnir 10.
Vingölf 335.
Vol 70.
Volla 70.
Vroneldenstrmt 294.
w.
Waberlohe 180. 333.
Wäsche 434. 642 fgg. 651. 654,
der Seelen 654.
Wagen der Götter 119 fgg. 121 fgg.
s. Gode, Holda. Mit Böcken 123
Anm.'. 177. 231. Der wilden
Jagd 262. 297. Verkeilen 284.
297. 479.
Waldhaus 177. 178. 203. 668.
Waldminchen 273. 321. 424.
Waldteufel 521.
Waldweibchen 478.
Wnhermännle 53.
49
754
Fru W-Asen 294.
Wasserelhe 721.
Wasserfrau. s. Frau unter Wolke.
WasserhöUe 167. 190. 207. 324.
325. 439. 548.
Wato 147.
■u-aferbull 7.
Wechselbalg 49. 267. 297. 301 fgg.
304. 313. 721.
Weifse Frau 79. 104. 119. 255.
151. 153 fgg. 180 Anm. '. 255
fgg. 260. 273 Anm. ^ 298. 316
Anm. 3. 367. 425. 428. 455. 467.
470. 477 fgg. 520. 626. 661.
673. 716.
Weltuntergang 324. 353.
Werbetta 644 fgg. 665.
WencolfßSl. 633. 693 fgg., s. Mär.
Wichte, Wichtel, vasttir 295. 302.
715 fgg. 721.
Wickelband 686 fgg. 697 fgg.
Wiederbelebung der Kuh 42. 57 — 62.
111. 710. 718. (Vergl. des Scha-
fes. Haltrich, Siebenbirg. Märclien
No. 14. S. 69: Lohn und Strafe),
des Bocks 62. 63, des Hirsches
60 Anm.', des Schweins 61, der
Gans 60 Anm. ' , des Hahns 61.
414, von Menschen 64 fgg. —
Den Troll aufwecken 191.
Wiedergeburt 272. 292. 320. 337
Anm. '. 729.
Wiese unter dem Brunnen, hinter
dem Berge u. s. w. im Seelenreich
83. 257. 321. 338. 339. 424
fgg. 434. 438. 444 fgg. 449.
458.
Wilbetta 624 fgg.
Wilde Frau 641. Wilde Weibchen
260. 480. 652. 711.
Wilder Mann 177. 260. 479.
Wind von Thunar 143, von Holda
eiTegt 260, vertreibt den Nebel
218 = Hund 172. 198. 217. 218.
301. 330. 717. fV'ergl. wi«t (ven-
tus) mit -n-int (veiter) Windspiel.
„Den Winden Brot geben" im
Schneegestöber, was schon Rume-
lant Ambg. 11 fälschlich auf
Hunde anwendet, heifst ursprüng-
lich den Sturmwind füttern. Myth.^
602. Haupt IV, 373, 376.' Hö-
fer, Zeitschr. f. W. d. Spr. I, 52]
= Adler 182 = Wolf 198 =
Hase 483 = Lied, s. Musik =
Seele 269. 270 u. s. w., s. Seele,
Wütendes Heer.
Windsbraut 290.
Wintersolstiz 520 fgg.
Witte wiiuer 660. 671. 705. 726.
W6dan 1. 47. 70. 217 fgg. 223.
238. 242. 265. 269. 270. 284.
290. 300. 301. 368. 376. 479.
727.
Woedensjianne 627.
Wolfsgürtel, Wolfsring 694 fgg.
Wolke = Zottenfell 43 = Kuhhaut
43. 75 = Gewebe 566. 642 fgg.
652. Wäsche 654, s. Wäsche.
= Hemd 707 = Mantel 290 ==
Wolle 434 = Brüste 76. 163 =
Euter 188 Anm. = = Helm 88 =
= Schiff 37. 366 fgg. 371. 466.
552 = Brunnen 9. 80. 177.
255. 256 fgg. 265 fgg. 268 fgg.
379. 424. 445. 668. 719. See
9. 647 = Berg 9. 80. 82. 93.
119. 127. 140. 148. 153 fgg.
220. 235. 240. 263 fgg. 325.
341. 368. 445. 457. 647. 661.
717. S. vornehmlich 155. 182
= Stein, Fels 155. 182. 563.
Wolkenberg = Wolkenbrunnen
269 Anm.' = Burg 80. 124.
153. 155. 160. 183. 185. 186.
203. Turm 186. 249 Anm. *.
505 fgg. = Baum oder Wald
203. 250 Anm. 2. 268 fgg. 354.
375 fgg. 384 fgg. 552 fgg. 668.
670 = Huhn 423. Schwan
38 fgg. 564 = Schwein 64 =
Katze 81. 197 Anm. 3. 271
Anm. '. 288. 448. Luchs 81.
197 Anm. 3. 271 Anm. ». Ka-
meel 36. Boss 37. 86. 121.
563 fgg. 710. 711. Schaf 8
Anm.*. 294. 307 Anm.*. 448.
728 = Widder 63. 176 fgg.
Bock 68. 122. 390. 391 Anm.'.
671 = Kuh 2 fgg. 4 fgg. 8
Anm. ■*. Von Indra gemelkt 3.
8. Von den Maruts gemelkt 42.
Von den Ribhus verfertigt 43.
Von Vritra geraubt 75. 148. 149.
154 fgg. Die 7 Kühe des Win-
ters gemolken 7. 388. Vom
wilden Heer u. s. w. gemol-
ken, geritten 49 fgg. 711. Von
755
Eiben, Zwergen u. s. \v. gemolken
52 fgg. 481. Von den Säligeu
Fräulein gemolken 52. Ihren Lauf
kann Niemand aufhalten 3. 7. Im
Besitz der Riesen und Zwerge, s.
Riesen, Zwerge. Vom Marienkä-
fer gehütet 251. Wolkenkuh =
Wasserfrau 74. 76. 154 fgg. 710
= Bock, Ziege, Widder 63. 64
Anm. '. 551 = Bunte Kuh 332
= Mär s. Mär. = Frau 75 fgg.
78 fgg. 91 fgg. 564.
Wütendes Heer und wilde- Jcujd =
Seelen 262. 270. 709, s. Seelen
= Eiuheriar 565 = Hiaöuingar
290 = Heimchen 297 = Kin-
derseelen 297 = Elbe 712 =
Mären 44 fgg. 713 = Maruts 44.
242. — Jagt Frauen 90. 260.
290. 291. 478. 479. 652. 711.
Jagt Moosleute 478. Wirft eine
Menschenlende herab 478. Melkt,
jagt, reitet Kühe 49 fgg. 57. 59.
71 Anm. 3. 710. Reitet Wasser-
frauen = Wolkenrosse 710. 711.
Weilt im Wolkenbrunnen 95 fgg.
240. 268. 271, im Berge 264 fgg.
304. 552. Setzt übers himmli-
sche Gewässer 362 fgg. Fährt in
einer Kutsche 362. 298. 362.
Fährt mit Katzen 271 Anm. '.
Singt das Sturmlied, s. Musik.
Empfängt die Seelen 270. 362.
565. — Feurig 311. Grüngeklei
det 477. Von Thunar angeführt
47. 48, von Wödan 270. 565,
von Dietrich 94, von Frikka 295,
von Gode 284. 300, von Pöralita
296. 715, von Ilolda 94. 261 fgg.
Arthurs Chace 460. Der treue
Eckart 93, St. Bonifacius 94, ein
Fisch 94 fliegt voran.
Frau Wulle 664.
Wunschstunde 519 (vrgl. Wolf, Beitr.
I, 237, 431).
Wuothas 57.
Wurth 382 fgg. 606 fgg.
Wyrd 606 fgg. 644.
Y.
Ygyr 228. 552.
Yggdrasill 150. 188. 482. 540 fgg.
544 fgg. 547. 549. 552 fgg. 562.
598. 666. 668. 670. 675. 705.
Ymir 192. 549.
z.
Zaunhase 414.
Ziehtage der Alfen 521.
Zigeuner = Riesen 353.
Zwerge 48. 58. 61. 79. 211. 301.
Wolkendämonen 472. 481. 718.
Gewitterweseu 718 = wildem Heer
717. Mären 717 = Lichtelben
717 fgg. In Verbindung mit der
weifsen Frau 718 = Drachen,
Riesen 207. Windgeister 716.
Seelen 207. 333. 472. 716 =
Kinderseelen ziehen über den Strom
363. 370. Kühe der Zwerge 209.
Führen Kühe durch die Luft 481.
717. Beleben die Kuh 58. 717.
Rauben Frauen 208. 344. 450.
Diebische Natur 209. Wohnen im
(Wolken-)Berg 481. 718. Im
Glasberg 332 fgg. 447 fgg. 454
fgg. Im goldenen Schloss 338.
Schmieden die Sonne 378. 472.
Tragen das Sonnenauge am Kör-
per 547. Besitzen den Schatz
(des Sonnengoldes) 208. Bewa-
chen den Schatz 719. Haben
Gans und Zicgengestalt 481.718
= Kröten 723 = Schmetterlin-
gen 372. Schmieden Getreide 472.
Machen die Erde fruchtbar 472.
Stehen den Menschen bei der Acrnte
bei 473. Aernteu im Winter auf
dem Eise 469. 473. Zwerg Pur-
zenigeli 476. Tragen rote Hüte
481. Zwergemnütze 448 fgg. , s.
Tarnkappe. Erscheinen vorbedeu-
tend 673. Menschenfresser 208.
Singen das Sturmlied 7 1 8, s. Musik.
756
Letten und Slaven.
Anafielas 336. Plön 151.
Baba 246. Rojenice 708.
babie lato 639. ScJnvente 146.
bele zene 708. Sujenice 708.
Dangus 244. Twardowshj 66.
^awÄ; 79. T'i/a 570 fgg.
iüMme 79. 672. Fi/r« 569.
Pei-un 132. swji; 151.
Perkunas 143 Anm. '. 238. Pehr- ielek zene 708.
kon 6. Perkuno ozys 244. Per-
kuno kulka 202.
Kelten.
Avallach = Avallon 459 fgg.
Ärtur 460 fgg.
Magonia 466.
Morgane 460 fgg.
Osschin (OssianJ 462.
shian 463.
Taliesin 460.
Tir na Oige 462.
Ynisvitrin 459. 460.
Graeco - Eomanen.
Aharis 74.
J<Äewe 37. 63.196.366. A.Erganel76.
Aison 74.
Amaltheia 64.
Apollon 37. 38. A. Musagetes 196.
.4r£ros 130.
Artemis 583.
Athamas 63.
Atropos 582.
Geryones 37. 198.
Graien 581.
Gorgonen 581.
Damarmenos 74.
Decuma 585.
Deimos 581.
Demeter 73. D. Erynis 38. 553.
Despoina 196.
Diespiter 2.
Dioskuren 37. 564.
f|f;f* cS (fi'A. ?jAt* 395.
Hermes 63.
Erynnien 581.
Europe 40. 41.
Echidna 198.
Ze?M 41. 85. 581. Z. Aktaios 63.
^eZjos 40.
Hephaistos 131.
I^ere 41. H. teleia 583.
Jason 74.
Jo 41.
Kentauren 196. 211.
Kerberos 198.
JTerere 577 fgg.
Ä:/of7io 73. 582.
Lampetie 40.
Lachesis 582.
Lepreas 100.
LM?!a 40.
Meleagros 583. 592.
Medeia 73 fgg.
i¥i>a 582.
Moiren 579 fgg.
Musen 196.
J/orto 585.
Xci jaden 37. 366.
Neaira 40.
iS'^orea 585.
Okeanos 145.
Or^Äros 198.
Orpheus 198.
757
Palladimn 74.
Pelops 73.
Perseplwne 196.
Pegasos 124.
Pelias 74.
Poseidon 38. 83.
Risiko 582.
145.
Tautalos 73.
Tj/cÄe 582.
Phaethusa 40.
Phaiaken 38.
Fa<«7e 583.
Philoktet 74.
PAoios 581.
Ostarier.
.45f?!i 38. 42. Goldzahnig 125. 287.
Stamnigottheit 131. Heilgott 196.
Enkel der Fluten 214—226.239.
Verbirgt sich im A^vatthabaum
553.
Angirasas 43. 155. 165. 210.
Atri 134. 161.
at7-in 210.
Anu 161.
Anhu 149.
JpdW 134. 136.
Ajisarasen 76. 83. 97. 239. 575-
Amarävati 239.
Amiita 97. 98. 220. 239.
Ayu 147.
^j^HK« 106. 114. 120. 159. 220.
224.
Arjnni 224.
aqman 99.
Aqvatthahaxim Kälberqiiieken mit der
Rute desselben 553.
Aqvinen 37. 38. 42. 564.
Asuren anfangs die höchsten Götter,
später Name der götterfeindlichen
Dämonen 107. 730.
AsraiHts 157.
Ahahjä 130.
AU 77. 81. 82 Anm. '. 84.. 88. 89.
162 fgg.
Aliirhudhniah. 155.
Ahiquva 233.
Ä/^as 196.
Ä;j<2/a 213. 215.
ksanga 129.
Indra, vergl. den Inhalt zu Ablumd-
lung A.
Indragopa 244.
Indracäpa 107.
Indrndhamis 107.
Indrapraharäaa 1 05.
Indraißidha 107.
/?! drasurasa 134.
Indrahasta 134.
Indrägni 214.
Indräni 153. 735.
7/pa 553.
C'rana 212.
Uslias 605.
Uqana 224.
"Ribhus 38 fgg. machen aus der Haut
eine Kuh 42. Teilen die himm-
lische Somaschale in 4 Teile 98.
105. Schmieden den Donnerkeil
107.
Aurnavabha 233.
Aurva 38.
KaksJiivän 129,
Kalpavriksha 239.
Kavaca 161.
Kämadhenu 41. 76.
Kämaduh 41.
Kämada 41.
A«<6-a 223. 224.
Kunti 157.
Kuyava 161.
Kuvera 156.
Ktishna 211.
Kraryudas 157. 197.
Gatötkaca 106.
Gandharva 76. 211. 259. 564.
Gangä 145 Anm. '.
Garudha 38. 575.
G«nd(V« 107.
Götama 130.
Grimbikü 78.
Candra 97.
Ciimuri 155.
Tiirkya 38.
Turväqa 224.
Turviti 146.
ttishtubh 236.
'iVe/rt 87. 215. 241. 242.
Trnitana 87.
758
Tvashtri 41. 78. 98. 107. 154.
Dänus 164.
Dänavas 155. 209. 213.
Däsai)atni 76. 77. 83. 85. 153. 171.
179. 192. 193. 220.
Devas 97. 241.
Devadatta 114. 115.
Devapatni 162. 192. 220.
Daityas 134. 136.
Dyaus 1. 104. 193, raubt die Kuh
des Ueberflusses 41.
Di-uhyus 155. 156. 161. 210. 224.
Dhuni 155. 224.
Nandana 239.
Nandini 41.
Namuci 155. 156. 161.
Naraka 121.
Nahusha 214.
Fants 155. 161. 209. 210. 218.
Fändavas 157.
Färijätaka 97. 239,
Pifacas 155. 156. 197. 211.
Fipru 155. 161.
Purandara 161.
Purukutsa 224.
Pi7m 43. 209. 731 fgg.
Frahläda 121.
Friqni 38.
PaZa, s- Vala.
Brihaspati 161. 214.
Brakmanaspati 269 Anm. '.
JSAma 158. 159.
Bhrigus 224.
Bhnmyaqva 108.
Manhavän 120. 129.
Mandara 97.
Mandära 232.
jj/arwte 38 fgg. 77. 127. 143. 162.
172. 213. 214. 219. 221. 238.
242. 269. Melken die Wolken-
kühe 42. Bringen mit ludra die
Kühe zurück 162. Führen das
Sonnenlicht herauf 213.
Mätali 120.
Mitra 142.
mudgala 105.
Mudgala 108. 113. 114.
Yadu 224.
Yama 199. 218. 239. 732 fgg.
Yami 732. 735.
yüpa 236.
Pasa 218. 734.
Räkshasas 155. 157. 160. 174. 193.
194. 225. 575 Aum. 3.
Rätricaras 157.
Rävaiia 41. 212.
Rudra 38. 47.
Rauhina 155. 178.
Rauhinä 178. 210.
Lahshml 575.
Ffljra 105 fgg. 162. 224.
Vajratunga = Garudha 38 = Mus-
quitolliege 135.
Vajrajit 38.
Varuna 38. 97. 98. 130. 141. 142.
237. 731.
Vala 85. 121. 135. 140. 155 fgg.
162, s. Vritra.
Vuyu 3. 143. 195, 218.
Väruai 97. 735.
Vislniu 38. 85. 141. 135. 212.
575.
Vijaya 107.
Viqvakarman 108.
Vaijayanta 120.
Vritra 36. 75. 88. 39. 108. 121.
'l26. 127. 141 fgg. 144, 145.
148. 154. 161. 181. 198. 211.
225.
Vritras in der Mehrzahl 155. 220.
Viicaya 129.
(Jakra 126.
ipaci 126. 214. 735.
Qacipati 126.
(^atakratu 120.
gamhara 155 fgg. 199. 271.
Qushna 155 fgg. 195.
Qräd'dha 735.
Qri 38. 575. 736.
(Jvasana 195.
Santc'ma 239.
Sahhya 131,
Äarawä 75. 148. 214.
Savitar 83. 159.
Scibheyishta 131.
Sudäsa 147.
Surabhi 97.
Äom« 96. 174.
svarga 239.
Haricandana 239.
Hidimba 157 fgg. 178. 193.
Hidimba 158 fgg.
(OB
Westarier.
Agramainyus 215.
äthwi/a 215.
Amiran 88.
Gandareva 211.
Kerecü.ipa 199. 211.
Tliraetano 215.
Dahuka 86.
Feredun 86.
t'ere trazan 22 G.
(Jravara 199. 211.
Qruvara 199. 211.
Zo/ja/j 86. 87.
Finnische Völker.
210.
■07.
Aderjungfrau 68.
jl^ro 179.
^H-a 8.3. 179.
Ahto, Ahti 90. 91.
Eisenlaci 66. 74.
Ilmarinen 20. 473.
JmZ/o?/j 96.
Lemminkainen 39. 68. 69.
ioMÄi 399.
Maa-alused 725.
«0 2« wof(Z 56.
Para 56.
Faranwoita 56.
Fihlajatar 20.
Fohjola 40. 707.
ÄaMwi 83. 179.
Ärtm/jo 399.
Suwetar 20.
jTjirsfl.«! Turso 169.
Tuoras 10.
Tuonela 39. 68.
Tuonißuss 39. 68.
Z7Mo" 68. 83. 179.
Wainämoinen 40.
707.
Gedruckt hei A. W. Scliadc in Berlin. Grünstr. 1«.
Berichtigungen.
Seite 8 Zeile 5 lies Fseroeer für Foeroeer, Z. 13 Fceroeische f. Foeroeische.
— S. 14 Z. 20 1. Thorr f. Thors. — S. 18 Anm. Z. 13 lies: Nullus diem
Jovis absque festivitatibus sanctis nee in majo, nee iillo tempore in otio ob-
servet. Vergl. M.vth.' XXX. _ S. 21 Z. 11 1. iwe f. twe. — S. 28 Z. 20
1. to gather f. to together. — S. 60 Anm. ' Z. 4 1. soeiis f. socius. — S.
65 Anm. 2 Z. 5 1. quam f. quum. — S. 74 Z. 19 I. der f. dem. — S. 79
Z. 22 1. spenys f. spengs. — S. 176 Anm.'' 1. 63 f. 43. S. 199 Anm.* Z.
6 gataS f. getag. — S. 199 Anm. * Z. 7 rag fyrir ser f. räöy rir. — S. 199
Anm. ^ Z. 3 1. Gu^rfmarson f. GuSrünarsonr. — S. 206 Anm. ' Z. 10 hefur
f. heur; Z. 11 korriro f. ka korriro. — S. 207 Anm. Z. 5 1. aö meini f.
agraeini; Z. 21 og korriro f. ag koriiro. — S. 208 Anm." 1. 188 f. 000.
— S. 228 Z. 22 1. Cereris f. Ceveris. — S. 233 Z. 6. 7 1. Godgubbe f.
Goldgubbe. — S. 238 Z. 7 1. Wiutersolstiz f. Wiutersolstig. — S. 242 Anm.'
Z. 7 1. unserm f. imsern. — S. 250 Z. 9 1. Maikatt f. Maikatt weg. — S.
250 Z. 12 1. med f. ned. — S. 264 Anm.^ 1. Kornmann f. Hornmann. —
S. 281 Z. 30 1. best nich f. hest nig uich. — S. 285 Z. 21 1. „Eotze oder
Eutze lauten müsste, da das hypocoristiscbe z in unserer Spraebe dureb tz
ersetzt wird" f. „Rosse lauten müsste, wie uns läzen zu lassen wird." —
S. 305 Z. 21 1. slimmen f. summen. — S. 314 Z. 26 1. eine Elle f. ein Aal.
— S. 325 Z. 9 1. Heimdalls f. Heimöalls. — S. 327 Z. 3 1. des Wunscbes
Vaterland f. "Wunscbes edel. — S. 328 Anm. ' Z, 26 1. swickelswene f.
swickelswwene. — S. 345 Z. 18 1. nä EngeUand f. nacb E. — S. 387 Z. 4
1. dem sünnke f. de sünuke. — S. 398 Anm. ^ Z. 9 füge zu moln nocb in-
selscbwed. muli, mulle , mörne Wolke, raälna wolkig werden. Russwurm,
Eibofolke II, §. 410 S. 342. — S. 490 Anm. ' Z. 14 1. unselige f. urselige.
— S. 508 Z. 4 füge hinzu: Auch bei Rocholz, Alemann. Kinderlied II, 411
wird der blutige Mann ei"n'äbnt; hier aber beifst so das herumgebende, er-
lösende Kind, dem die den Turm bildenden Mitspieler zurufen: „Bombam,
blutiger ma, läng mi net a." — S. 537 Z. 7 1. Weck f. Weak. — S. 542
Z. 8 1. \)xr lif kuru alda böruum, für piev lif kuru, alda börnum. — S. 542
Anm.-' Z. 2 1. koren das Leben den Zeiteukindem, bestimmen das Schicksal
f. koren das Leben, bestimmen den Zeitenkiudern das Schicksal. — S. 548
Z. 27 1. Elivägar für Elivägur. — S. 598 Anm. ' Z. 9 1. Runenritzung f.
Runensitzung. — S. 608 Z. 19 streiche die Stelle Helj. 15, 17. — S. 610
Z. 38 1. wie furnam f. wie furmam. — S. 613 Z. 5 1. bis f. bei. — S. 618
Z. 21 1. incerti f. in certi ; Z. 22 l. Ronsseus f. Rousseus. — S. 622 Z. 19
L er nauS skapa f. es nauS skapa. — S. 319 Anm. ^ Z. 1 l. annars f. au-
nars. S. 635 Anm.' Z. 3 1 asseruisti f. assreuisti. — S. 637 Z. 2 1.
skopu f. sköpu. _ S. 645 Z. 10 L ]?ikkja f. ikkja. — S. 664 Anm. * 1.
sömntorn f. sömu torn. — S. 704 Z. 10 1. macht f. machts. — S. 710 Z.
15 1. 57 f. 77.
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