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Full text of "Germanische Mythen"

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PRESENTED 


The  University  of  Toronto 


.  /^3i<^ö!2tl  (k^^ 


GERMANISCHE  MYTHEN, 


FORSCHUNGEN 


WILHSLM  MAXXHABDT. 


It 


BERLIN, 

VERLAG  VON  FERDINAND  SCHNEIDER. 

Lenuestrafse  3. 

1858. 


7».^, 

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Die  "Wahrheit  ruht  in  Gott,  uns  bleibt  das  Forschen. 

J.  V.  Müller. 


JACOB  UND  WILHELM  GRBBI 


GEWEIHT. 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  witii  funding  from 

University  of  Toronto 


littp://www.arclijve.org/details/germaniscliemytlieOOmann 


Vorwort. 


Di 


'ie  germanische  Mythenforschung  wird  trotz  der  grofsarti- 
gen  Schöpfungen  der  Brüder  Grimm  noch  manchen  Schritt 
zu  treten  haben,  ehe  es  gelingen  wird,  ihr  die  Stellung  einer 
wirklichen,  auf  untrügliche  Methode  gegründeten  Wissen- 
schaft zu  erobern.  Zur  Lösuno;  dieser  Aufirabe  einige  um- 
fangreichere  Versuche  anzustellen,  Vorarbeiten  zu  liefern, 
war  der  Vorwurf  des  vorliegenden  Buches;  wie  schwach 
und  unzureichend  der  gemachte  Anfang  noch  ist,  weifs  der 
Verfasser  am  Besten.  Die  Quelle  der  germanischen,  wie 
jeder  anderen  wahren  Mythologie  ist  einzig  und  allein  die 
Volksüberlieferung,  die  von  den  höchsten  Gipfeln  urwelt- 
lichen Menschheitslebens  herabsteigend,  noch  immer  jugend- 
lich und  frisch  in  tausend  Bächen  durch  unsere  Berge, 
Täler  und  Ebenen  dahinströmt  und  manches  Urgestein, 
aber  auch  so  viele  junge  und  jüngste  Bildungen  in  ihrem 
Bette  mit  sich  fortrollt.  Ein  Hauptirrtum  des  hergebrach- 
ten Verfahrens  war  es,  zwischen  diesen  nach  Alter  und 
Wesen  so  verschiedenen  Gebilden  keinen  durchgreifenden 
Unterschied  zu  machen,  in  den  jüngeren  höchstens  den  ge- 
ringeren oder  stärkeren  Abschliff  der  äufserlichen  Forma- 
tion zu  beobachten  und  jede  Volksüberlieferuug,  die  sich 
auf  deutschem  Boden  fand,  ohne  Weiteres  für  mythisch  und 
zwar  für  deutsch -heidnische  Mythe  zu  erklären.  Mythisch 
sind  nun  allerdings  die  meisten  Volksüberheferungen,  wenn 


es  gestattet  ist,  unter  diesem  Worte  zu  verstehen,  dass  in 
ihnen  einst  lebendige  Anschauungen,  flüssige  Ideen  ver- 
steinert, kristallisiert  fortleben,  der  Mythologie  aber  brin- 
gen nur  diejenigen  Traditionen  Gewinn,  welche  Gedanken 
über  Gott,  Welt  und  Menschheitsleben  und  ihre  wechselsei- 
tigen Beziehungen  zum  Inhalt  haben  0-  Welche  Unter- 
schiede  nun  vollends  tun  sich  auf,  wenn  wir  das  Alter  und 
die  verschiedenen  Arten  der  Ueberlieferung  blicken.  Da 
haben  sich  in  dem  heute  noch  geltenden  Volksglauben 
Schichten  von  Vorstellungen  abgelagert,  welche  der  indo- 
germanischen Urzeit  angehören,  andere  sind  in  der  Zeit 
des  späteren  germanischen  Heidentums  entstanden;  mit 
dem  Untergang  der  Ansenreligion  hörte  die  mythenbildende 
Kraft  des  Volkes  nicht  auf,  sie  beschränkte  sich  nicht  auf 
die  Weiterbildung  und  Umgestaltung  der  einmal  vorhan- 
denen Traditionen;  das  Christentum  trieb,  in  den  Gemü- 
tern Wurzel  schlagend,  seine  eigenen  Sagenknospen,  und 
von  dieser  Seite  weit  mehr,  als  durch  den  Nachweis  der 
Umkleiduug  heidnischer  Mythen  mit  kirchlichem  Gewände 
wird  die  Legende  ihr  tieferes  Verständnis  finden;  endlich 
erzeugten  und  erzeugen  sich  bei  dem  naiven  Jäger,  Sennen 
und  Landraann  von  Tag  zu  Tag  neue  mythische  An- 
schauungen und  Mythenansätze,  die  den  Gebilden  der  Ur- 
zeit oft  zum  Verwechseln  ähnlich  sehen,  weil  der  Volks- 
geist, der  sie  erschuf,  im  innersten  Kerne  derselbe  geblie- 
ben  ist,   der  er   vor  3000  Jahren   w^ar  ^).     Schon  hieraus 


1)  In  der  Betrachtung  dieser  Beziehungen  stimmt  die  Wissenschaft  der 
Mythologie  mit  der  der  Keligionsgeschichte  überein;  der  Unterschied  beider 
Disciplinen  aber  beruht  darin,  dass  jene  die  Betrachtungen  der  sinnlichen 
Hülle  und  ihre  zeitliche  Entwickelung  zum  Ausgangspunkt  macht,  woher  es 
hier  hauptsächlich  auf  die  Erklärung  der  Symbole ,  der  mythischen  Bilder- 
sprache oder  vielmehr  bildlichen  Naturauffassung  der  Völker  ankommt;  bei 
jener  bildet  die  historische  Entwickelung  der  ethischen  und  in  engerem  Sinne 
religiösen  Ideen  als  solcher  (Gottheit,  Sünde,  Erlösung,  Unsterblichkeit),  den 
leitenden  Faden.  Dass  um  diese  sich  in  der  Tat  der  Kern  der  in  den  My- 
then verkörperten  Gedanken  dreht,  glaube  ich  zunächst  in  Bezug  auf  die  Un- 
sterblichkeit in  höherem  Grade,  als  bisher  angenommen  wurde,  nachgewiesen 
zu  haben. 

2)  S.  hierüber  vorläufig  die   treß'lichen  Progianune    von  Schwartz    ,,Der 


VII 


ergiebt    sich,    dass    die    vaterländische   Volksüberlieferung 
(mithin  alles  das,  was  mit  dem  regsten  und  wärmsten  Ei- 
fer seit  zwei  Jahrzehnten  als  Material   für  die  Wodanreli- 
gion   zusammengelesen    wurde,    insoweit  es   mythisch    ist) 
den  Stoif  für  sehr  getrennte  Disciplinen  in  sich  birgt;  alle 
aber  (um   nur   die  hauptsächlichsten  Gruppen   hervorzuhe- 
ben: die  indogermanische  Urreligion,  germanische  Heiden- 
mythologie,  Legendenlehre    und   Mythologie    des    neueren 
Volksglaubens)  werden  als  auf  demselben  Grunde  erwach- 
sen,  eine   von  der  andern   zu  lernen   haben.     In  den  ver- 
schiedenen Arten   der  Ueberlieferung  (Sitten  und  Gebräu- 
chen, Sagen,  Märchen,  Volks-  und  Kinderliedern  u.  s.  w.) 
sind  die  bezeichneten  Schichten  von  Vorstellungen  in  sehr 
verschiedenen  Mischungsverhältnissen  enthalten  und  auf  je 
eigentümliche  Weise,  zu  verschiedenen  Zeiten  und  in  ver- 
schiedenem ümfans  haben   sie   alle  neben  deutschem  Erb- 
gut  vielen  fremden,  wenn  auch  meist  engverwandten  Stoff  in 
sich  aufgenommen.    Sie  sind  deshalb  nicht  gleichmäfsig  als 
Quellen  für  die  deutsch-heidnische  Mythologie  zu  verwen- 
den.    Um  herauszufinden,   was    auf  diese  bezogen  werden 
darf,  ist  es  nötig,    dass  die  Untersuchung  von   der  Volks- 
überlieferung  ausgeht,    von  jeder   einzelnen    Tradition    die 
Verbreitung  und  so  die  ursprüngliche  Heimat  feststellt,  so 
weit  zunächst  es  möglich  ist,  den  innewohnenden  ursprüng- 
lichen Gedanken  herausfindet  und   allen   innerlich  und  äu- 
Iserlich  übereinstimmenden  Sagenstoff  zusammenzulesen  be- 
müht ist.     So  scheiden  sich  einzelne  Gruppen   von  Ueber- 
lieferungen    heraus,    für   die   man    einen   gemeinsamen   Ur- 
sprung  und  Grundgedanken   voraussetzen    darf.     Nunmehr 
tritt  die  historische  Kritik   in   ihr  Recht   ein.      Um  zu  er- 
kennen,  welcher   Zeit    die    gefundenen   Anschauungskreise 
ihre  Entstehung  verdanken,  ist  es  nötig,  sie  mit  den  erhal- 
tenen Resten  mythischer  Traditionen   aus  älteren  Perioden 
der  Geschichte  unseres  Volkes  oder  der  zunächst  verwand- 


Volksglaube   und  das  alte  Heidentum.     Berlin   1850."      „Die  altgriechisclien 
Schlangengottheiten.     Beilin  1858." 


teil  Stämme  zu  vergleichen.  Für  die  letzte  Zeit  des  ger- 
manischen Heidentums  ist  uns  in  der  skandinavischen  My- 
thologie ein  vrertvoller  Mafsstab  erhalten,  der  viele  Sagen 
und  Gebräuche  und  mit  ihnen  den  ganzen  Mythenkreis, 
in  welchem  diese  ihre  feste  Stelle  haben,  als  in  vorchrist- 
licher Zeit  entstanden  erkennen  lehrt.  Nur  darf  man  kei- 
nen Augenblick  vergessen,  dass  die  Mythen  Petrefacten 
einst  lebendiger  Anschauungen  und  Ideen  sind,  welche  in 
sehr  verschiedenen  Formen  sich  krystallieren.  Es  war  der 
Fehler  Wolfs  und  vieler  Anderen,  in  der  deutschen  Ueber- 
lieferung:  fast  überall  die  verderbten  und  um  gestalteten 
Reste  der  nordischen  Mythenformen  nachweisen  zu  wol- 
len ^),  während  die  einst  flüssige  Mythe  meistenteils  in  bei- 
den ihr  selbständiges,  nur  in  den  Hauptsachen  übereinstim- 
mendes Gewand  gefunden  hat  -).  Ueberdies  ist  uns  die 
nordische  Mythologie  nicht  in  der  Form  ursprünglicher 
Volksanschauung,  sondern  in  der  Gestalt  aufbewahrt,  wei- 
che sie  im  Munde  höfisch  gebildeter  Dichter  angenommen 
hatte;  der  heutige  Volksglaube  der  skandinavischen  Län- 
der weist  die  Mythen  der  Edda  oft  in  weit  roherer 
und  ursprünglicherer  Gestalt  auf,  und  gerade  mit  dieser 
stimmen  die  Traditionen  der  südgermanischen  Stämme,  wie 
fast  aller  indogermanischen  Völker  Nordeuropas  in  so  merk- 
würdiger Weise  überein,  dass  —  wo  nicht  auf  irgend  ei- 
ner Seite  Entlehnung  dargetan  werden  kann  — ,  eine  ältere 
gemeinsame  Quelle  vermutet  werden  muss.  Reicht  schon 
bei  den  mit  der  Edda  übereinstimmenden  Mythen  die  Ana- 
logie der  nordischen  Götterlehre  wegen  der  allzu  abge- 
schliffenen Form  derselben  zur  Erklärung  des  Ideeninhalts 
nicht  aus,  wenn  derselbe  nicht  offen  auf  der  Hand  liegt, 
so  wird  hier  erst  recht  die  Vergleichung  einer  nah  ver- 
wandten, aber  älteren  und  noch    flüssigen  Mythologie   not- 


1)  S.  hierüber  vorläufig  W.  Müller,  Kiedersächs.   Sagen  S.  XII  fgg. 

2)  Vergl.  z.  B.  die  von  Müller  a.  a.  O.  S.  XIII  hervorgehobene  Mythe 
von  der  geschlachteten  und  wiederbelebten  Kuh  in  Deutschland  und  Thors 
Wiederbelebung  der  Böcke  nach  Wolfs  Erklärung  mit  der  unsrigen  S.  62  fgg.; 
ferner  die  Entwickelung  der  nordischen  Isömentheologie  im  Vergleich  mit  den 
Sagen  von  den  deutschen  Schicksalsjungfrauen. 


wendig.  Diese  liegt  uns  in  den  Vedenhymnen  des  ver- 
schwisterten  Indervoliies  vor,  das  mit  seinem  ganzen  Gei- 
stesleben dem  gemeinsamen  indogermanischen  Muttervolk 
noch  sehr  nahe  stand,  als  jene  Lieder  gesungen  wurden. 
Schon  Kuhn  und  Andere  haben  den  Nachweis  unternom- 
men, dass  viele  Mythen  bereits  bei  dem  Urvolke  vorhan- 
den waren,  welche  wir  in  späterer  Zeit  bei  den  verschie- 
denen indogermanischen  Stämmen  wiederfinden.  In  dem 
Aufsatze  über  die  Gewitter gottheiten  S.  1 — 242  ver- 
suchte ich  diesen  Nachweis  auf  zwei  ganze  gröfsere  My- 
thenkreise auszudehnen,  indem  ich  der  Ansicht  bin,  dass 
nicht  die  Uebereinstimmung  einzelner  Züge,  sondern  nur 
ganzer  Anschauungsgruppen  nach  Kern  und  Ausführung, 
mitunter  bis  in  das  feinere  Detail  hinein,  zu  dem  Schlüsse 
auf  historische  Identität  der  Mythen  berechtigt ').  Hiemit 
soll  jedoch  keinesweges  behauptet  werden,  dass  alle  ver- 
glichenen und  als  übereinstimmend  bei  Germanen  und  ve- 
dischen  Indern  nachgewiesenen  Züge  schon  vor  der  Sprach- 
trennung ausgebildet  waren,  nur  ganz  gleichartige  aber 
noch  vielfach  flüssige  Mythenansätze,  die  bereits  ihren  Mit- 
telpunkt in  einer  göttlichen  Persönlichkeit  fanden,  erachte 
ich  in  Bezug  auf  die  Gewittersage  dargetan.  —  Als  we- 
sentlich ist  das  Zusammentreffen  in  folgenden  Punkten  her- 
vorzuheben. Beide  Götter,  Thunar  wie  Indra,  tragen  den 
flammenden  Feuerbart,  beide  führen  den  von  Eiben  (resp. 
Ribhus)  verfertigten  Donnerhammer,  der  geworfen  in  ihre 
Hand  zurückkehrt.  Die  Trinklust  (der  Durst  auf  das  Him- 
melsgewässer) ist  ihnen  gemein.  Kuhn  teilt  mir  nunmehr 
mit,  dass  wie  Thorr  bei  Thrymr  einen  Ochsen  und  acht 
Lachse  verzehrt,  Indra  als  Gott  des  verzehrenden  Blitzes 
nach  einer  Vedenstclle  7  Rinder  aufisst.  Wie  Indra  melkt 
Thunar  Wolkeukühe;  von  Eiben  und  wildem  Heer  (wie 
Indra  von  den  sprachlich  und  sachlich  entsprechenden  Ri- 
bhus) geleitet,  stellt  er  die  getötete  Wolkenkuh  (den  Bock) 

1)  S.  übrigens  Kuhns  Aufsatz  „lieber  die  wciisen  Frauen"  Zeitschr.  f. 
D.  Myth.  III,  368  —  392  und  sein  vorzügliches  Programm  „Die  Mythen  von 
der  Herabholung  des  leuers  bei  den  Indogermanen.     Berlin   1858. '• 


aus  der  Haut  wieder  her.  Beide  befreien  Sonne ^  Mond 
und  Wasserfrau  aus  der  Gewalt  himmlischer  Dämonen,  die 
sich  bei  Germanen  und  Indern  identisch  zeigen  und  führen 
nach  Besiegung  derselben  den  Schatz  des  Sonnengoldes 
wieder  herauf.  Vereinzelt  würde  man  selbst  diese  concre- 
ten  Züge  aus  ähnlicher  Entwickelung  auf  gleichartiger  Na- 
turanschauung ohne  gleiche  historische  Grundlage  erklären 
können.  In  ihrer  Gesammtheit  sprechen  sie  die  letztere 
entschieden  an;  sie  müssen  dem  gemeinsamen  Urvolk  be- 
reits angehört  haben.  Was  die  weitere  Ausbildung  der 
Thunarmythologie  betrifi't,  die  sich,  soviel  ich  sehe,  in  al- 
len uns  aus  der  germanischen  Gewitterssge  bekannten 
Stücken  ')  mit  indischer  Sage  vergleicht,  so  wird  hier  bei 
den  Uebereinstimmungen  eine  selbständige  Entwickelung 
aus  gleichen  Keimen  anzunehmen  sein.  —  Die  zweite 
Abhandlung  „Holda  und  die  Nörnen"  S.  242 — 736  beschäf- 
tigt sich  vorzugsweise  mit  Mythen,  deren  Ausbildung  ei- 
nem weit  späteren  Zeitalter  angehört,  als  die  Thunarsagen. 
Ich  durfte  mich  hier  mitliin  der  Hauptsache  nach  auf  ganz 
anderes  Material  stützen  als  dort.  Während  jene  Unter- 
suchuno;  vorzu2:sweise  in  Gebräuchen  uralte  Anschauungen 
nachwies,  standen  mir  hier  eine  Anzahl  von  Liedern  zu 
Gebot,  von  denen  einige  dem  Kultus  der  noch  nicht  er- 
storbenen Ansenrcligion  selbst,  andere  dem  Fortleben  heid- 
nischer Sage  im  Christentum  ihre  Entstehung  verdanken. 
Die  Bedeutsamkeit  dieser  Lieder  für  die  Mythologie  darf 
ich  als  festwstellt  betrachten.  Die  Er2i;ebnisse,  welche  ich 
aus  ihnen  zog,  sind  einfache,  oft  genug  noch  dem  Irrtum 
ausgesetzte  Beobachtungen;  ich  übergebe  sie  der  Prüfung 
urteilsfähiger  Forscher.  Mag  es  bald  gelingen  eine  feste 
Regel  für  die  kritische  Behandlung  der  Lieder  zu  gewin- 
neu;  bis  dahin  hielt  ich  es  für  Pflicht,  das  Material  eher 
zu  umfangreich  als  zu  knapp  vorzulegen.    Das  Hauptergeb- 


1)  Für  die  noch  nicht  besprochene  Mythe,  dass  Thorr  Baldrs  Scheiter- 
haufen mit  dem  Mjöhiir  weiht,  werde  ich  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV,  H.  3  eine 
indisclie  Analogie  in  einem  Hymnus  des  Atharvaveda  aufweisen,  wonach  der 
llolzstofs  des  Sclieiterhaufens  durch  den  Vajra  entzündet  wird. 


XI 


nis  der  ersten  Untersuchung  für  das  Ganze  der  germani- 
schen Mythologie,  dass  Naturanschauung,  mit  ethischen 
Ideen  verknüpft,  der  Ausgangspunkt  der  mythischen  Ge- 
bilde war,  wird  durch  den  zweiten  Aufsatz  gekräftigt  und 
durch  einige  tatsächliche  Beweise  (s,  vorzüglich  S.  253. 
652)  jedem  Zweifel  entrissen.  Dieselben  typischen  Gestal- 
ten, welche  die  vedische  und  germanische  Gewittermythe 
uns  kennen  lehrte,  treiben  auch  in  dem  Sagenkreise  der 
Göttinnen  ihr  Wesen,  nur  begegnen  uns  hier  sehr  viele 
spätere,  der  nachasiatischen  Zeit  entsprossene,  eigentümlich 
germanisch  ausgestattete  Gebilde.  Die  einfachen  Urtypeu 
aber,  auf  welche  sie  sich  zurückführen  lassen,  finden  sich 
—  wie  am  Schlüsse  zu  zeigen  versucht  ist  —  bei  den 
ostarischen  Brüdern  wieder,  und  sind  für  gemeinsames  Erb- 
gut zu  halten. 

Hiemit  hätte  ich  in  gedrungenster  Weise  die  Haupt- 
grundsätze bezeichnet,  die  mich  bei  vorlieo-ender  Arbeit 
leiteten.  Es  wird  in  Kurzem  gestattet  sein,  an  einem  an- 
derem Orte  mich  ausführlicher  darüber  auszulassen,  und 
den  Mitstrebenden  meine  Ansichten  darüber  darzuleo-en,  in 
welchem  Verhältnis  unsere  Quellen  zu  einander  stehen,  auf 
welche  Weise,  mit  welchen  Mitteln  und  nach  welchem 
Ziele  hin  in  nächster  Zukunft  das  Studium  der  Volksüber- 
lieferung bei  allen  europäischen  Völkern  einheitlich  zu  be- 
treiben sein  wird. 

Nicht  ohne  Besorgnis  entlasse  ich  diese  Untersuchun- 
gen aus  der  stillen  Hut  meiner  Arbeitstube.  In  Stunden 
befriedigten  Schaffens  geboren  sind  sie  unter  mannigfachen 
Mühen  und  Entbehrungen,  inneren  und  äulseren  Kämpfen 
grofs  gezogen  und  ehe  sie  zu  vollkommener  Mannesgestalt 
heranreifen  konnten,  treibt  eine  gebieterische  Notwendi^r- 
keit  sie  auf  den  Markt  und  ins  Leben.  Möo-en  sie  auch 
so  trotz  ihrer  Mängel  nicht  ganz  unwillkommen  und  nutzlos 
sein,  zunächst  aber  den  Freunden  in  Süd  und  Nord  in 
Deutschland  und  anderswo  einen  warmen  Grufs  und  Hände- 
druck bringen,  die  (jedes  Blatt  dieses  Buches  ist  Zeuge) 
schon   ihre   Wiege    mit   Patengebinden   schmückten.      Ein 


XII 


besonderer  Dank  gebührt  Ludwig  Erk,  dem  treuen  Hüter 
des  Volksliedes,  dessen  umfassender  handschriftlicher  Samm- 
lung ich  mehrere  schöne  Kinderlieder  entnehmen  durfte, 
welche  im  Text  unter  dem  Namen  der  Aufzeichner  auf- 
geführt sind.  Ich  hoflPe,  dass  eine  gesunde  und  unpartei- 
ische Kritik  sich  nicht  verdriefsen  lassen  wird,  die  Fehler 
in  meiner  Untersuchung  zum  Besten  der  Sache  aufzudek- 
ken,  der  Fleifs  befähigter  Forscher  das  Brauchbare  wei- 
terzubilden. Will's  Gott,  werden  wir  in  einigen  Jahren 
besser  ausgerüstet  und  durch  gemeinsame  Anstrengung  um 
ein  gutes  Stück  dem  Ziele  näher  gekommen  sein. 

Berhn  im  April  1858. 

Wilhelm  Mannhardt. 


Inhalt. 


A.     Gewittergottheiten  S.  1  —242. 

Der  vedisclie  Gewittergott  Indra  vergleicht  sich  dem  germanischen  Thu- 
nar-Thorr. 


a)  Indra  ursprünglich  Himmelsgott 
im  Allgemeinen  (Divaspati)  1. 

b)  Schon  vor  der  Trennung  vorzugs- 
weise zum  Gewittergott  geworden, 
melkt  mit  dem  Blitzstrahl  die  als 
Kühe  gedachten  Wolken  imd  trinkt 
von  ihrer  Milch,  dem  Regen.  Ihm 
sind  die  Rinder  heilig  3.   4. 


c)  Indra  als  Stier  gedacht  36.  37. 


d)  Indra  von  Maruts  und  Ribhus  be- 
gleitet. Diese  melken  die  Wol- 
kenkuh und  maclien  aus  der  Haut 
der  getöteten  Wolkcnkuh  eine  neue 
SR— 43. 


aa)  Thunar-Thörr  ein  alter  Him- 
melsgott 2. 

bb)  Melkt  die  Wolkenkühe.  Dieser 
Mythus  setzt  sich  aus  vier  Teilen 
zusammen  4.  1)  Auch  den  Germa- 
nen galten  die  Wolken  als  Kühe 
4 — 7.  (Daher  der  Mythus  von  den 
Elfrindem  7.  8,  deren  Ursprung  in 
finnischer  Sage  noch  deutlich  her- 
vortritt 9.  10).  2)  Der  Donnergott 
steht  in  engem  Verhältnis  zum  Rind- 
vieh 10 — 28,  ursprünglich  zu  den 
Wolkenrindern,  deren  Milch  Tau  und 
Regen  ist.  ( Der  Tau  steht  auch 
sonst  zum  Gewittergott  in  enger  Be- 
ziehung 28 — 33).  3)  Einzelne  Spu- 
ren ergeben ,  dass  Thunar  mit  dem 
Blitzhammer  die  Kühe  melkte,  und 
4)  von  ihrer  Milch  trank  33  —  36. 

cc)  Thunar  =  Stier  37.  38.  (In  der 
Anmerkung  Excurs  über  die  ver- 
schiedene Bedeutung  ein  und  der- 
selben Symbole  37  —  41.) 

dd)  Den  Maruts  entsprechen  die  Gei- 
ster des  wilden  Heers  und  die  Mä- 
ren 43  —  46,  den  Ribhus  die  Elbe 
47.  48,  die  unter  sich  ursprünglich 
identisch  sind.  Sie  alle  stehen  in 
enger  Verbindung  mit  dem  Donner- 
gott 48.  49.  Sie  melken  die  Wol- 
kenkuh .50.   52.     (Alle   Elbe    lieben 


e)  Der  Dämon  Vritra,  der  Umhül- 
ler, raubt  die  Wolkenkühe,  die  oft 
als  himmlische  Frauen  (Devapat- 
nis)  gedacht  sind.  Indra  tötet  ihn. 
Er  sinkt  als  Regenschlange,  Dra- 
che (Ahi)  zur  Erde  nieder  75  — 78. 


f  j  Indra  trinkt  den  himmlischen  Soma, 
das  Wolkengewässer,  um  sich  zum 
Kampfe  zu  stärken  9  6 — 99. 

g)  Indra  schwingt  die  bald  goldene, 
bald  steinerne,  bald  eherne  Don- 
nerwaffe Vajra,  die  geschleudert 
stets  in  seine  Hand  zurückkehrt 
105 — 107,  von  Tvashtri  und  den 
Kibhus  sammt  andern  Götterklei- 
noden geschmiedet  ist  107  (111. 
42).  Der  Donnerhammer  als 
Mudgala  personificiert  108.  109. 

h)  Indras  Gürtel  Himmel  und  Erde 
114. 


daher  die  Milch  52 — 56).  Sie  ma- 
chen aus  der  Haut  der  getöteten 
(Wolken-) Kuh    eine    neue    Kuh    57 

—  62.  Identisch  ist  die  Wiederbe- 
lebung des  Bocks  (=  Wolke)  durch 
Thorr  62.  63.  (Auch  tote  Menschen 
■werden  auf  ähnliche  Weise  wieder- 
belebt 64—67. 

ee)  Auch  die  gennanischen  Wolkenkühe 
wurden  zugleich  als  Frauen  ge- 
dacht 78 — 80.  Sie  werden  von  ei- 
nem Dämon  gefangen,  geraubt,  der 
dem  indischen  Ahi  identisch  ist  und 
unter  den  Namen  Agi ,  Uoki  =  Oe- 
gir  ( von  dem  die  MiÖgarösschlange 
nur  eine  andere  Form  ist)  Ecke 
der    deutschen  Sage    erhalten   ist  81 

—  92.  (Loki  ist  nur  eine  weitere 
Gestalt  dieses  Dämons  84  —88  Anm.) 
Auch  der  treue  Ekhart  ist  ursprüng- 
lich dem  Ahi-Agi  gleich  92 — 96. 

ff)  Thunar  labt  sich  am  Wolkengewäs- 
ser, daher  seine  unmäfsige  Trinklust 
99  — 102.  Erklärung  der  Hymirmy- 
the   102  —  105. 

gg)  Thunar  führt  den  Donnerhammer 
Mjölnir,  der  (golden,  steinern  oder 
ehern)  stets  in  des  Gottes  Hand  zu- 
rückkehrt; von  den  Svartälfar  mit 
andern  Götterkleinoden  geschmiedet 
ist  109  —  112.  Personification  des 
Donnerhammers  112 — 114. 


hh)  Thors  Kraftgürtel  MegingjarSr  115. 


i)  Der  Donner    als    Indras    Stimme,  ii)  Der  Donner  Thunars   Bartruf  115. 

oder    als     lauttöuendes    Heerhorn  Ihm  eignet  ursprünglich  das  Gjallar- 

(Muschel)  Devadatta  gedacht  114.  hörn  (Unibos)  115  — 120. 
115. 

k)  Indra  fährt  auf  donnerndem  Wa-  kk)  Thon-  fahr  ender  Gott   121.  122. 

gen,  den  die  Blitzrosse  zieheii  120.  Spuren    der    Blitzrosse    im    Thunar- 

121.  mythus   123.   124. 

1)  Indra  trägt  goldenen  Bart,  den  er  11)    ThoiT    schüttelt    im    Zorne    seinen 

im  Zorne  schüttelt  124.   125.  roten  Bart   125. 

m)  Indra   Kraftgott.      Seine    Waffen  mm )    Thorr   Kraftgott.      Hammer    und 

erhöhen  die  ihm  angeborne  Stärke.  Gürtel  erhöhen  seine  Stärke.     Vater 

HeiT  der  Kraft,   Gemahl  der  Kraft  der    Kraft.      Kraftherscher   der    Göt- 

125.    126.  ter   120.    127. 


n)  Indras  Zom  127. 

o)  Indra  Lebensgott,  Ehegott,  Fami- 
lienbeglückei-  129. 

p)  Indra  in  späterer  Zeit  phallisch 
(mit  der  Yöni,  dem  weibl.  Glieds) 
gedacht  130. 

q)  Indra  Schützer  des  Stammes,  des 
Hauses,  der  Wohnungen,  des  Herd- 
feuers 131. 

r)  Indra  Heilgott  133.  Befreit  vor- 
züglich von  Hautkrankheiten  und 
bösen  Würmern  im  Körper  134. 
135  Anm.  3. 


s)  Pflanzengeber  136.  Viele  Ge- 
wächse nach  Indra  und  dem  Don- 
nerkeil benannt  137.  Indra  giebt 
Speise  137. 

t)  Indra  führt  das  Licht  der  Ge- 
stirne am  Himmel  herauf  139 — 
141. 

u)  Indra  Sturmgott  143. 

v)  Indra  Regengott   143.   144. 

■w)  Gräbt  den  Flüssen  ihre  Bahn  144, 
lässt  aus  himmlischer  Milch  die 
Ströme  zusammenfliefsen   145. 

x)  Macht  die  Flüsse  durchwatbar 
146.  147. 


y)  Indra  durchschifft  den  Himmels- 
ocean  147. 

z)  Indra  Schatzgott  148. 

a)  Indra  kämpft  im  Osten  mit  den 
Dämonen;  Herr  des  Ostens  154. 

ß)  Indras  Gegner  sind  einer  oder 
mehrere  Dämonen,  welche  in  der 
Wolke  (die  als  Berg)  gedacht 
ist,  den  Regen  zurückhalten  (Kühe 
und  Frauen  rauben),  die  Sonne 
und  das  Gestirnlicht  verhüllen,  das 
Gold,  den  Schatz  der  Sonne  ver- 
bergen 154.  156,  oder  die  Schat- 
ten der  Nacht  heraufftihrcn.  Pi- 
9Äcas,  Druhyus  und  die  raenschen- 
fressenden  riesigen  Räkshasas  156 
— 160,  die  Tiergestalt  annehmen). 


nn)   Thors  Zorn   (Äsmogr)    128. 

oo)  Thunar   Lebensgott.      Spender   des 
Familienglücks,  Ehegott   129.   130. 

pp)  Thunar  phallisch   130.   131. 


qq)  Thunar  Herdgott,  Schützer  des 
Stammes  (Gemahl  derSif),  des  Grund- 
eigentums  131  —  132. 

rr)  Thunar  Heilgott  134.  Heilt  Haut- 
ausschlag und  vertreibt  Würmer  = 
Elbe  aus  dem  Körper  135.  Art  der 
Heilung  =  der  Heilung  durch  Indra 
135.   136. 

ss)  Thunar  Spender  des  Pflanzenwachs- 
tums 137.  Nacli  ihm  benannte  Kräu- 
ter und  Bäume  138.  139.  Er  spen- 
det Nahrung  139. 

tt)  Thunar  giebt  Sonnenschein  141, 
befestigt  die  leuchtenden  Gestirne  am 
Himmel  (Örvandill-  und  Thiassimy- 
the)   142.   143. 

uu)  Thunar  Sturmgott  143. 

vv)   Thunar  spendet  Regen   144. 

ww )  Thunar  macht  aus  himmlischer 
Milch  die  Bäche  und  gräbt  den  Flüs- 
sen das  Bett  145.    146. 

xx)  Thunar  durchwatet  das  Gewässer 
(des  Himmels)  Wato  in  der  Helden- 
sage  147. 

yy)  Thors  Schiflahrt   147.   148. 

zz)  Thunar  Schatzgott  149  —  154. 
a«)  Thors  Ostfahrten  154. 

ßß)  Thors  Feinde  Riesen  und  Schwarz- 
alfen  sind  alte  Himmelsdämonen  1G8 
—  213.  Die  Riesen  heifseu  Jötnar 
d.  h.  Esser  =  skr.  atrin  169  (vgl. 
S.  162)  und  Thursar  die  Durstigen 
(weil  sie  das  Regenwasser  verschlan- 
gen). Die  Thursen  ursprünglicli 
(himmlische)  Wasserwesen  169;  ihr 
Wohnsitz  vom  ( Iiimmlisclien)  Ge- 
wässer umgeben  170.  Rauben  (Wol- 
ken-) Rinder  170  und  CWasscr-) 
frauen   171—174.     Rauben   und  be- 


XVI 


Endlich  bauen  sie  die  7  Burgen 
des  Herbstes ,  sie  frieren  in  den 
7  TVintermonaten  die  Wolke  ein 
161.  Indra  Burgenzerstörer  (Pu- 
randara).  Den  riesigen  Räkshasas 
stehen  die  zwerghaften  Panis  ge- 
genüber 161.  Die  Dämonen  ge- 
fräfsig  162.  Indra  tötet  sie  schla- 
fend 161;  kämpft  mit  ihnen  Blitz 
gegen  Blitz  162  —  164,  stöfst  sie 
mit  dem  Fufs  ins  Gewitterfeuer  162, 
fesselt  sie  165,  zerstört  ihren  Trug 
166.  Sie  wohnen  hinter  dem  himm- 
lischen Gewässer  167,  sind  Gei- 
ster böser  Verstorbenen  168.  In- 
dra nimmt  die  Gestalt  der  Was- 
serfrau an,  um  den  Dämon  zu  tö- 
ten 165.   166. 


y)  Indra  der  Wassergebome  (Äptva) 
213  stirbt,  oder  flieht  nach  dem 
Siege  über  die  Dämonen  214.  Be- 
kämpft als  Trita  die  siebenschwän- 
zige  Schlange  215. 

S)  Indra  Beschützer  der  Menschen 
223,  lässt  sich  von  Helden  (Hy- 
postasen himmlischer  Phänomene) 
auf  seinen  Fahrten  begleiten  224. 

t)  Indra  Kriegsgott  225.  Ihn  rufen 
die  kämpfenden  Geschlechter  an 
226. 


sitzen  den  Schatz  (des  Sonnengol- 
des) 175.  176.  Als  Wolkenwesen 
charakterisiert  sie  der  Besitz  eines 
Goldbocks,  Goldpelzes  und  ähnlicher 
Kleinode,  die  Abbilder  des  Blitzes 
und  der  blitzdurchzuckten  Wolke 
sind  175 — 178,  Donnerriese  Thrymr 
raubt  die  Wasserfrau  Frejja,  Thorr 
verwandelt  sich  (wie  Indra  S.  165. 
166)  in  die  Gestalt  der  Wasserfrau 
um  ihn  zu  töten  179.  Thunar  und 
die  Riesen  kämpfen  Blitz  gegen  Blitz 
(Äsmoör  und  JötunmoSr  179).  Beil- 
werfende Riesen   180. 

Berggestaltete  Riesen  =  Dä- 
monen, die  mit  der  Wolke  Regen, 
Sonne  und  Mond  zurückhalten  ver- 
decken 181  —  184. 

Riesen  =  Winterdämonen 
184.  Hrimjjursen.  Der  jötunische 
Baumeister  184  —  186.  Riesen  füh- 
ren die  Schatten  der  Nacht  her- 
auf 187  —  189.  Thorr  zerstört  der 
Riesen  Trug  (Ütgargaloki)  189.  Rie- 
sen Seelen  Verstorbener  190.  191. 
Menschenfresser  191.  Hymirmythe 
191  —  193.  Thiassi  194  —  196. 
Iguns  der  Wasserfrau  Raub  196. 
Riesen  führen  Tiergestalt  197.  198. 
GeirröSr  Gewitterriese  199  —  202. 
Thorr  tötet  die  Riesen  im  Schlaf 
203.  204.  Die  Naturbedeutung  der 
Riesen  war  noch  lange  flüssig  205. 
206.  Drachen  und  böse  Zwerge  sind 
ursprünglich  mit  den  Riesen  iden- 
tisch und  Thunars  Gegner  207  —  210. 
Etymologische  Uebereinstimmung  der 
indischen  und  germanischen  Dämo- 
nengestalten 210 — 213. 

yy)  Thunar  aus  dem  Wasser  geboren 
216,  bekämpft  nach  dem  Märchen 
den  siebenköpfigen  Drachen,  wird 
nach  dem  Siege  getötet  217.  Wei- 
tere Erklärung  des  Märchens  217 
—223. 

öd)  Thimar  Freund  der  Menschen  224, 
hat  Thiälfi  und  Röskva,  und  Örvan- 
dill  f  Blitzpersonificationen)  auf  sei- 
nen Wanderungen  als  Gefolge  um 
sich  224.   225. 

ii)  Thorr  Kriegsgott  227  —  231.  In 
den  Kampf  ziehend  singt  das  nach 
Stämmen  und  Geschlechtem  geord- 
nete Heer  ihm  Loblieder  232. 


XVII 

t)  Indra  Jüngling  und  Greis  232.         t^)  Thorr  Jüngling  und   Greis  233. 

tj)  Angerufen   erscheint  Indra   plütz-     rjrj)  Thors   plötzliches  Erscheinen  233. 
lieh  233.  234. 

,9-)  Dem  Indra  -wird  auf  Bergen  luid     {)■&)  Thunars   Kultus   auf  Bergen   und 
in  Wäldern  geopfert  235.  in  Wäldern   235. 

(,)  Indra   ist    der  Opferpfeiler   heilig     u)  Thunar  sind  die  Türsäuleu  geweiht 

236.  236.  237. 

y.)  Indi-a  eignet  der  Kukuk.    Er  führt     y.y)  Thunars   heiliges    Tier   der  Kukuk 
Widdergestalt.    Kinnbackendonner         237.    Sein  Symbol  der  Klapperbock 

237.  mit  knirschender  Kinnlade  238. 

A)  Indra  Todesgott,  empfängt  die  See-     H)  Thunar  Todesgott  nimmt  die  See- 
len Abgeschiedener  238.  239.  len  bei  sich  auf  239.  240. 

Indra  und  Thunar  gehen  auf  eine  Grundgestalt  historisch  zurück.     Die 
Identität  Indras  mit  Wodan  ist  abzuweisen  241.  242. 


B.     Holdca  und  die  Nörnen  S.  242—736. 


§.  1.  Der  MarienJcüfer  243 — 255.  Die  Namen  und  Anrufungen  des  Ma- 
rienkäfers (coccinella)  beweisen,  dass  dieses  Insect  im  Norden  Frej'r 
und  Freyja  242 — 253,  in  Deutschland  der  Holda  heilig  war.  Sein 
Wohnsitz  ist  der  himmlische  Brunnen  (d.  h.  das  Wolkengewässer), 
der  zugleich  Kinderbrunnen  ist  254.   255. 

§.  2.  Ilolda  255—273.  Untersuchung  der  Holdamythen.  Holda  ist 
Wasserfrau,  ist  eine  in  Wind  und  Sonnenschein,  vorzüglich  aber 
in  Regen  und  Schnee  waltende  Gottheit,  die  in  oder  hinter  der 
als  Berg,  Brunnen  oder  Waldhaus  gedachten  Wolke  wohnt. 
Hier  empfängt  sie  die  als  Luft  hauch  ( Spiritus)  dem  Leichnam 
entschwebenden  Seelen,  die  sie  verjüngt  zu  neuer  Geburt  auf  die 
Erde  zurückschickt.  (Wildes  Heer;  Bergentrückung ;  Kinderbrun- 
nen; Jungbrunnen). 

§.  3.  Frrm  Rose,  Gode,  Sole  273  —  321.  Im  Kinderspiel  von  Frau  Rose 
(Gode,  Sole)  ist  ein  Chorrcigen  erhalten,  welcher  darstellt,  wie 
die  Seelen  vom  Schofs  der  in  der  Wolke  weilenden  Göttin  (füi* 
welche  die  noch  unbekannten  Namen  Ilrösa  [Rose]  und  Sole  sich  erge- 
ben) abgeholt  werden,  um  sich  in  menschlichem  Körper  wiederge- 
bären zu  lassen. 

§.  4.  Enrielland  321  —  524.  Die  Wohnung  Holdas,  des  Marienkäfers 
und  der  Seligen  hinter  der  Wolke  ist  ein  himmlisches  Lichtland 
=  ViÖbläinn    mit    dem    goldenen   Palast   Gimill    321—336.      In 

*2 


XVIII 

Deutschland   hat    sich    eine  Erinnerung   daran    unter    dem   Namen 
Engelland  (Land  der  Engel)  in  mehreren  Volksliedern  erhalten. 

1)  Schwan  und  Kranich  fahren  nach  Engelland,  das  zuge- 
schlossen ist  328.  329.  Dieses  Engelland  =  dem  Glasberg 
der  Märchen  330 — 339;  der  Glasberg  aber  ist  das  lichtblaue 
Himmelsgewölbe  =  ViÖbläinn  als  Seelenaufenthalt  333 — 338 
und  als  solcher  und  als  dem  Kinderbrunnen  der  Ilolda  iden- 
tisch noch  in  Kinderreimen  bewahrt  338  —  340.  Der  Schwan 
Psychoporap   341  —  343. 

2)  In  Engelland  sind  die  Mären  =  Seelen  zu  Hause  344 
—346. 

3)  Dieses  Engelland  ist  ein  coelestischer  Sitz.  Der  Marien- 
käfer hat  dort  seine  Heimat  346  —  353.  Engelland  brennt 
(von  himmlischen  Dämonen  bekriegt  =  blitzdurckzuckte 
Wolke,  oder  im  Abendrot  glühender  Himmel  353  —  355). 
Marienkäfer  =  Mär  355.  356,  zieht  auch  wie  die  Mären 
=  Seelen  über  das  (himmlische)  Gewässer,  um  nach  Engel- 
land zu  gelangen  356.  Seelenüberfahrt  327—364.  Seelen- 
reich =  Insel  (GliS)  365.  366.  Käfer  und  andere  Insec- 
ten  Seelen  367 — 370.  Kinderseelen  kommen  übers  (himm- 
lische) Gewässer  zur  Menschenwelt  370;  fliegen  vor  der  Ge- 
burt mit  den  Insecten  herum  370.  371. 

4)  Schmetterlinge  Seelen  371.  372.  Schmetterling  fährt  als 
Seelengeleiter  nach  Engelland  373,  bringt  Kinderseelen 
373.   374. 

5)  Engelland  Land  des  Lichtes,  woher  die  Gestirne  ihren 
Glanz  empfangen  375  —  382  (vergl.  S.  423)  in  Sonnenliedem 
nachgewiesen.  (Weitere  Ausführungen  über  die  Sonnenlie- 
der. Margareta  =  Schicksalsgöttin  382  —  385.  Katharina 
Sonnenheilige  385 — 388.)  Die  Sonne  weilt  hinter  dem  Wol- 
kenbrunnen im  Lichtlande  389  —  394.  (Sonnenlieder  aus  Spa- 
nien, Piemont,  Hellas,  Böhmen  u.  s.  w.  395 — 397.) 

6)  Käfer  und  Schwan  fliehen  beim  Gewitter  nach  Engelland 
397  —  400. 

7)  Die  Wolken  werden  nach  Engelland  gewiesen.  Dieses  En- 
gelland Totenreich  400—404. 

8)  Im  Winde  fährt  die  Seele  ins  Totenreich  Engelland  404. 
405. 

9)  Hase  (Esel)  Seelengeleiter  nach  Engelland.  Hasen  (und 
Esel)  =  Elbe,  Seelen,  Seelengeleiter,  Kinderbringer  406 
—414. 

10)  Das  kunstvoll  gefügte  Ei  (von  Eiben)  in  Engelland  ge- 
fertigt 414—419. 

11)  Nach  En gellau d  fahren  Formel  für  „vergnügt  sein",  be- 
sonders von  der  Frühlingsfreude  gebraucht  419—424.  In 
Frau  Hollas  Seelensitz  (hinter  dem  Himmelsgewässer),  im 
Lichtreich  (Engelland)  blühen  die  herlichsten  Gewächse,  be- 
sonders  im    Winter    424  —  429.       (Märchen   von    den    drei 


XIX 

Haulemännem  429  —  449.  Die  Hacldingsage  bei  Saxo  441 
—  444.)  Alle  Seeleusitze  der  germanischen  Sage  sind  von 
blühenden  Pflanzen  erfüllt  444  —  446 ;  vor  allem  der  Glas- 
berg und  die  Aufenthaltsorte  der  Eiben  =  Seelen,  in  wel- 
chen allen  das  strahlendste  Licht  leuchtet  447  —  449.  Er- 
gebniss  dieser  Untersuchung,  dass  hinter  dem  Wolkenbrun- 
neu  ein  himmlisches  Seelenreich  liegt,  das  von  wunderbarem 
Lichte  erfüllt  ist.  In  diesem  Liclitreich  duften  die  lieblich- 
sten Blumen,  reifen  die  schönsten  Früchte  455.  Analogien 
in  der  keltischen  Mythologie  456  —  463.  Gewächse  in  En- 
gelland 464  —  467.  Aus  dem  Lichtreich  kommt  der  Pflan- 
zenwachstum im  Frühling  zur  Erde  und  kehrt  im  Winter 
dahin  zurück  467 — 472.  Die  Elbe  (Seelen)  stellen  die  Blü- 
ten her,  oder  füllen  selbst  Pflanzenleib  aus  472 — 482.  Pro- 
totj'pe  von  Tieren  im  Seelenreich  482 — 491. 

12)  Engellands  Verschlossensein  491.  492.  Im  Winter  halten 
die  Dämonen  Holda  sammt  den  Seelen  und  dem  ganzen  Licht- 
land in  Verschluss.  Ein  Chorrreigeu,  der  davon  handelt 
492  —  519.  Engelland  noch  in  anderer  Weise  verschlossen 
519-523. 

Allgemeine  Bemerkungen  über  Engelland.  Die  Heimat  aller 
darauf  bezüglichen  Lieder  ist  Niedersachsen;  die  Vorstellun- 
gen welche  sich  daran  knüpfen,  sind  allgemein  germanisches 
Erbgut  523—524. 

§.  5.  Holda  und  die  Nomen  524  —  541.  Lieder  von  drei  Schicksals- 
jungfrauen ,  welche  sich  an  die  Sonnenlieder  §.  4.  No.  5  anschlie- 
fseu  und  auf  das  engste  mit  den  Holdamythen  in  Zusammenhang 
stehen. 

§.   6.     Die  nordischen  Schichsalsjungfrauen   541—606. 

A.  Die  Nornen  als  Wasserfrauen  541  —  576.  Unter 
der  Esche  Yggdrasill,  die  sich  über  dem  Ur'Sarbrunnen, 
Mimirbrunuen  imd  dem  Brunnen  Hvergelmir  erhebt,  woh- 
nen die  drei  Nornen  541  —  543.  Der  Uröarbrunnen  543 
—  545  sowol  als  der  Mimirbrunuen  545 — 548  und  Hver- 
gelmir 548.  549  sind  H}'i30stasen  des  himmlischen  Ge- 
wässers, dem  Baume  Yggdrasill  liegt  die  Naturbedeutimg 
der  Wolke  zu  Grunde  550  —  553.  Die  iinter  demselben 
wohnenden  Schicksalsgöttinncn  sind  gleichfalls  ursprüng- 
lich Wolkenwesen.  Zeugnisse  dafür  aus  ihrer  Mytholo- 
gie 553.  554.  Sic  sind  aus  einer  gi-öfscren  Schar  (der 
der  Wasserfrauen)  difiereuziert ,  aus  der  sammt  ihnen  zu- 
nächst tlie  Valkyren,  mit  denen  sie  einst  identisch  waren, 
hervortraten  555.  556.  Grundzüge  der  Valk3Tensage 
557  —  560.  Aus  der  genauen  Uebereiustimmuug  aller  con- 
creten  Sagenzüge  bei  Nornen  und  Valkyren  geht  ihre  ein- 
stige Identität  hervor  560  —  563.  Die  historische  Zer- 
gliederung der  Valkyrenmythen  ergiebt,  dass  die  Schlacht- 
jungfrauen einst  himmlische  Wasserfrauen  waren,  mithin 
auch  die  Nomen  563  —  568.  Dieses  Ergebnis  befestigt 
sich    durch    die    Analogie   der    Sage    von   den   Völen   568 

*2* 


—  569,    den    slavischen   Vilen    570—572,    den    Fylgjen 
572  —  574;  und  von  den  indischen  Lakshmis  574.  575. 

B.  Die  Nornen  als  Göttinnen  des  Todes,  der  Ge- 
burt und  der  Heirat  576  —  594.  Aus  der  Schar  der 
Wasserfrauen  trat  zunächst  die  Göttin  der  dunkeln,  ver- 
derbenschwangern  Gewitterwolke  als  tötende  Frau  hervor. 
Indische  und  griechische  Analogien.  MoJqu  =  Mogia 
die  Tötende  576 — 584.  Die  römische  Morta  584.  Norn 
bedeutet  ebenfalls  die  Tötende  585.  586.  Die  tötende 
Norn  586.  587.  Air  den  Tod  reihte  sich  die  Geburt. 
Die  geburtfördemde  Norn  587  —  593.  Schicksalsgöttin 
der  Heirat.     Dreizahl  der  Nomen  594.  594. 

C.  Die  Nornen  als  Urteilerinnen  beim  Götterge- 
richt 594  —  601.  In  späterer  Zeit  die  Weltordnung  nach 
dem  Muster  menschlicher  Staats-  und  Rechtsverhältnisse 
gedacht.  Göttergericht  594  —  597.  Die  Nomen  Urteile 
rinnen  am  Göttergericht  598  —  602. 

D.  Die  Nornen  als  Göttinnen  der  dreigeteilten 
Zeit  602  —  606. 

§.  7.  Die  südgermanischen  SchicTcsalsgöttinnen  606  —  674.  Von  der  jüng- 
sten Periode   an  rückwärts  betrachtet. 

A.  Als  Göttinnen  der  dreigeteilten  Zeit  606.  607. 

B.  Die  Schicksalsgötttinnen  als  Urteilerinnen  am 
Göttergericht  607  —  609. 

C.  Die  Schicksalsjungfrauen  als  Göttinnen  des  To- 
des, der  Geburt  und  der  Heirat  609  —  637.  For- 
meln aus  der  ältesten  Poesie  609.  610.  Der  Schlafdorn 
=  Schicksalsnagel  in  der  Hand  der  tötenden  Schicksals- 
göttin 611  —  615.  Noraaspor,  die  weifsen  Flecke  an  den 
Nägeln  =  Zeichen  der  mit  Krallen  in  den  Tod  dahiurei- 
fsenden  Schicksalsgöttiuuen  615 — 629.  Verwandter  Volks- 
glaube von  den  Nägeln  629  —  631.  Die  Schicksalsgöttin 
als  Geburtshelferin  631 — 637,  als  Göttin  der  Heirat  637. 

D.  Die  Schicksalsgöttinnen  als  Wasserfrauen  637 
— 674.  Gewebe  der  Schicksalsgöttinnen  637  —  640,  ur- 
sprünglich =  Wolke.  Oberdeutsche  Sagen  von  den  Schick- 
salsjungfrauen 640 — 643.  Held  644.  Wilbetta,  Warbetta, 
Einbetta  644 — 647.  Die  Schicksalsgöttinnen  =  Wasser- 
frauen 647  —  655.  Lieder  von  den  tötenden  Schicksals- 
jmigfrauen  und  weifsen  Weibern  =  Wasserfrauen  656 — 661. 
Binka  661—604.  Frau  Sonne  (Sole)  in  Verbindmig  mit 
den  Schicksalsgöttinnen  064.  Baum  der  Schicksalsgöttiu- 
nen,  Baum  der  Elbe,  Kinderbaum,  Frau  Hollen  Baum  = 
Wolke  665—670.     Die  drei  Mulimen  671—673. 

§.  8.  Das  Nornenseil.  Das  Nornenseil  umhegt  schützend  den  Landbe- 
sitz 674.  675.  Goldene  Kette  von  gleicher  Bestimmung  in  deut- 
schen Sagen  676;  in  Kinderliedem  677 — 681;  in  Segenssprüchen 
682;  in  Rechtsgebräuchen    684.   685.     Hochzeitsseil   685.     Braut- 


XXI 

band  686.  Goldenes  Wiegenband  687,  kommt  aus  Engelland 
687 689.  Kind  im  Brunnen  der  Holda  mit  goldenem  Band  um- 
wunden 680.  090.  Dieser  dient  dazu  die  Verbindung  zwischen  Seele 
und  Körper  zu  festigen  G90.  Körper  auszielibares  Gewand  (liamr, 
lih-ham,  Wolfsliam,  Schwanhemd)  690  —  693.  Goldenes  Seil  = 
Wolfsring,  Schwauring,  Scliwankette  693.  Angebinde  696  —  700. 
Tötende  Halskette,  Brisingamen  701  —  703. 

§.  9.  Noch  einmal  die  Nornenlieder  703  —  709.  Vergleichung  der 
Lieder  S.  524  fgg.  mit  den  Ergebnissen  der  Untersuchung  über  die 
Schicksalsgöttinnen.     Ein  Lied  aus  Bremen  708. 

§.  10.  Schluss  709  —  736.  Hauptergebnisse  der  ganzen  Untersuchung: 
1)  Natur  der  Seele  709.  2)  Seelen  =  Elbe,  Elementargeistcr. 
Wütendes  Heer  709  —  711.  Mären  =  wütendes  Heer  und  Was- 
serfrauen 711  —  715.  Alb,  Schrätlein,  Heimchen  u.  s.  w.  715. 
Zwerge  716—719.  Kobolde  719  —  720.  Wasserelbe  721  —  722. 
3)  Eiben-  und  Totenspeisuug  und  Opfer  722—726.  4)  Göttinnen 
aus  den  Wasserfrauon  hervorgegangen  bald  gute,  bald  böse  Elc- 
mentarweseu.  Holda,  Rose  im  Kampf  mit  bösen  Mären  726  —  728. 
5)  Aufenthaltsorte  der  Seelen  (Elbe),  Wolke  (Berg,  Brunnen), 
Lichtreich  (Engelland)  728.  729.  G)  Totenstrom  729.  7)  Wie- 
dergeburt 729.  730.  Uebereinstimmungen  mit  der  vedischen  Theo- 
logie 730—736. 


GERMANISCHE  MYTHEN. 


Gewittergottheiten . 

Unter  allen  Vedengottheiten  ist  keine  welche  so  entschie- 
dene Verwandschaft,  und  Uebereinstimmung  mit  germani- 
schen bekundete,  wie  der  Gewittergott  Indra,  der  in  den 
meisten  Mythenzügen  sich  auf  das  genaueste  mit  unserm 
Donnergott  (altsächs.  Thimar,  althochdeutsch  Donar,  im 
Norden  Thorr  genannt),  deckt ' ),  so  dass  die  Uebereinstim- 
mung mit  Wuotan,  welche  Kuhn  festhält,  eine  andere  wei- 
terhin zu  berührende  Deutung  nötig  macht. 

a)  Indra  erscheint  in  den  Veden,  wie  öfter  nachgewiesen 
ist,  ursprünglich  als  der  Gott  der  blauen  Luft,  ein  Him- 
melsgott im  Allgemeinen,  der  dem  Djaus-Zsvg  sehr  nahe 
steht  und  vielleicht  in  älterer  Zeit  mit  demselben  eins  war. 
Wir  werden  weiter  unten  sehen,  wie  ihm  die  Herrschaft 
über  alle  himmlischen  Naturerscheinungen,  Eegen,  Sonnen- 
schein und  Wind,  gehörte,  ein  Umstand  der  an  und  für 
sich   schon  beweist   dass   seine  Bedeutung  über   die  eines 


1)  Diese  Uebereinstimmung  liegt  so  anf  der  Hand,  dass  sie  bereits  von 
früheren  Forscliern ,  welche  nur  Weniges  von  Indra  und  auch  dieses  nur  aus 
der  späteren  Mythologie  der  Inder  wussten,  erkannt  ist.  Ich  nenne  AVesten- 
dorp ,  Noordsche  Mythologie  S.  477  (in  den  nieuwe  Werken  van  de  Maat- 
scliappij  der  Necderlandsche  Letterkunde  te  Leyden  1830),  Schrader  (Germ. 
Mythologie  S.  147,  Anm.  1),  neuerdings  Leo  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  52;  Leo, 
Zur  Geschichte  des  deutschen  Reiches  und  Volkes  1854.  I.  S.  24;  Wuttke, 
Geschichte  des  Heidentums  II,  243.  Am  eingehendsten  handelte  darüber  Finn 
Magnussen  Lexicon  Mytliolog.  948.  949.  Eine  nähere  Begründung  vom  heu- 
tigen Standpunkte  der  AVissenschaft  aus  ist  meines  Wissens  noch  nicht  ver- 
sucht. 

1 


blofseu  Gewittergottes  hinausgeht.  Er  heifst  gradezu  di- 
vaspati  Herr  des  Himmels  (vgl.  diespiter)  ' ),  sein  Haupt-), 
oder  vielmehr  nach  vedischer  Ueberlieferung,  sein  ganzer 
Körper  hatte  1000  Augen,  die  leuchtenden  Sterne, 
aa)  Dasselbe  war  bei  Thunar  der  Fall.  Auch  von  diesem 
werden  die  folgenden  Blätter  den  Beweis  liefern,  dass  er 
nicht  allein  im  Strahl  des  Gewitters,  sondern  ebensowohl  in 
Regen,  Wind  und  Sonnenschein  sein  göttliches  Walten  den 
Menschenkindern  offenbarte.  Seine  Natur  als  Himmelsgott 
geht  aber  noch  besonders  aus  einer  nordischen  Ueberliefe- 
rung hervor,  welche  ihm  den  Himmel  Bilskirnir  zur  Woh- 
nung giebt,  ein  Wort  das  nach  Finn  Magnussen  „den  Sturm 
durch  Heiterkeit  vertreibend",  „durch  den  Sturm  erheitert, 
klar"  oder  „bald  windig,  bald  heiter"  bedeutet^).  Thors 
Palast  Bilskirnir,  heifst  es,  hat  540  Stockwerke.  Er  ist 
das  gröfste  von  allen  Gebäuden,  die  je  gemacht 
wurden*).  Ist  hier  der  ganze  Himmel  und  zwar  nicht 
allein  der  regenh altige  wolkenumzogene,  sondern  auch  der 
hellglänzende  blaue  Aether  als  Thors  Wohnung  unverkenn- 
bar bezeichnet,  so  zeigt  das  deutsche  Wort  „donner- 
grau" dass  man  auch  bei  uns  von  dem  Gedanken  an  den 
Donnergott  die  Erscheinung  des  graubewölkten  Himmels- 
gewölbes nicht  trennen  konnte  ^ ).  In  der  Tat  erklären 
sich  viele  Züge  der  Thunarmythe  nur  durch  die  Annahme, 
dass  Thunar  ursprünglich  die  allgemeinere  Bedeutung  eines 
Himmelsgottes  hatte,  ehe  er  auf  die  Herrschaft  über  das 
Gewitter  eingeschränkt  wurde. 

b)  Vor  der  Sprachtrennung  muss  jedoch  schon  bei  bei- 
den Himmelsgöttern  Indra  wie  Thunar  die  Beziehung  zum 
Gewitter    den  hervorragendsten   Bestandteil    ihres   Mythos 


1)  Lassen,  Indische  Alterthumskimde  I,   755. 

2)  Manu  III,   86;    IV,   39. 

3)  Lex.  Myth.  305. 

4)  Grimuismäl  24.      GylfaginHiug  21. 

5)  Anders  geht  „blitzblau"  auf  die  mitunter  bläuliche  Farbe  des 
Blitzes.  Myth.  2  161.  Grimm  D.W.  II,  131  Zs.  f.  D.  Myth.  III,  386 ;  vergl. 
„das  Blaue,  das  vor  dem  Donner  herläuft"  der  Blitz.  Agricola  Sprichwörter 
1529.  II,  92a. 


ausgemacht  haben,  was  die  genaue  Uebereinstimmung  der 
darauf  bezüglichen  Sagen  bei  Indern  und  Germanen  be- 
weist. Die  Wolken  sind  als  Indras  Kühe  gefasst,  die  er 
mit  dem  Blitz,  seinem  himmlischen  Hammer,  melkt,  so 
dass  sie  ihre  Milch  den  Regen  auf  die  Erde  erquickend 
niederträufeln  lassen.  Vedische  Lieder  drücken  sich  wört- 
lich so  aus:  „Indra,  der  aus  der  Wolke  Dunkel  mit  schim- 
merndem Blitzstrahl  rinnende  Wasser  melkt"  '  ).  Ein  Bei- 
name ludras  ist  daher  döhan  der  melkende  oder  gaväm 
gopati  der  Kühe  Hirt ^).  Wie  der  Mensch  au  dieser  himm- 
lischen Milch  sich  labt,  so  trinkt  der  Gott  selbst  in  vollen 
Zügen  vom  herrlichen  Nass  „du  trankst  von  den  Kühen, 
du  trankst  vom  Söma,  o  Held'"^).  Mitunter  galt  auch  die 
Auffassung  der  Wolke  als  Stier.  In  einem  Hymnus  an  In- 
dra und  Vayu  heifst  es  „Unsere  (Erden)kühe  haben  ihre 
Milch  gegeben,  die  Gerstenkuchen  sind  gekocht.  Deine 
himmlischen  Kühe  sollen  nie  schwach  werden,  nimmer  sol- 
len sie  dahinschwinden.  Die  Luft  mit  ihrem  Gebrüll  er- 
füllend kommen  herbei  deine  starken  gewaltigen  Stiere.  Man 
sieht  sie  bald  unbeweglich,  bald  mit  reifsender  Schnellig- 
keit über  die  Weiten  des  Himmels  sich  verbreiten  wie  Son- 
nenstrahlen und  eine  Kraft  entfalten,  die  nichts  zu  bändi- 
gen vermag".  Darum  sind  auch  die  irdischen  Rinder  Indra 
heilig,  ihm  fallen  sie  als  Opfer'*)  und  er  gewährt  den  From- 
men kühereiches  Besitzthum^)  sammt  viehnährender  Weide '^). 
„Der  du  die  leuchtenden  die  in  den  Wolken  sind,  herbei 
die  Kühe  uiederschiefsen  liess't  mit  Macht,  du  deh- 
nest uns  stier-rossereiche  Heerden  aus"'').  Hievon  heilst 
er  gödah,  Kuhspender.  Er  füllt  die  ausgetrockneten  Euter 
der  Himmelskühe  ^),   von  ihm  kommt  auch  dem  Euter  der 


1)  Rig\-eda  cd.  Rosen  h.  XXXIII,    10. 

2)  Rigv.  Rosen  h.  CI,  4. 

3)  Rig\'.  Rosen  XXXII,   12. 

4)  Rigv.  Rosen  CXXI,   7. 

5)  Rigv.  Rosen  IX,  7;  LXXXIII,   1. 

6)  Rigv.  Rosen  XXX,   13. 

7)  Samav.  Benfey  I.  C,   2,  4,  8. 

8)  Rigv.  Langlois  sect.  V.  lect.  I,  h.  11,  v.  4. 


irdischen  Kuh  die  Milch').  „Den  Kühen,  die  noch  nicht 
gekalbt  hatten",  heifst  es  in  einem  andern  Hymnus  an  In- 
dra,  „schwarzen  wie  roten  gabst  du  weilse  Milch" '^).  Aus 
diesem  Grunde  wird  Indra  süfse  oder  dicke  Milch  als  Opfer- 
speise dargebracht^),  nicht  minder  Butter*). 

bb)  Thunar  melkte,  wie  Indra,  die  Wolken,  seine  himm- 
lischen Kühe  mit  dem  Blitzstrahl  und  stärkte  sich  durch 
den  Genuss  der  Milch.  Ich  glaube  diesen  Mythus  mit  Si- 
cherheit aus  vier  Bestandteilen  zusammensetzen  zu  können. 
Zunächst  galten  auch  bei  den  Germanen  die  Wolken  als 
himmlische  Kühe.  Ihre  Milch  war  der  niederfallende  Tau 
oder  Regen.  Ein  Rest  dieser  Anschauungsweise  lebt  in 
goth.  DAGGVUSmPf?,  altn.  döggr,  ags.  deäv,  ahd.  touwi, 
mhd.  tou,  nhd.  tau,  scliwed.  dagg,  dän.  dugg,  nl.  dauw, 
engl,  dew  fort,  das  nach  Kuhns  Vermutung  zu  skr.  döha, 
die  Milch,  von  duh,  ziehen,  gehört^).    Der  Tau  also  hätte 


1)  Rigv.  Rosen  XXX,   11. 

2)  Rigv.  Rosen  LXII,   9. 

3)  Rigv.  Rosen  V,   5. 

4)  Rigv.  Rosen  LIV,   7. 

5)  Bei  Weber  Ind.  Studien  I,  327.  Gestützt  wird  seine  Ansicht  durch 
das  altschwed.  döggja  lactare  Ihre  318  aus  dauggja,  goth.  DAGGVJAN,  das 
ich  des  Vocalismus  wegen  nicht  mit  J.  Grimm  (Diphthonge  nach  ausgefallenen 
Cousonanten  221)  zu  goth.  daddjan  aus  dandjan  stellen  kann.  Dieses  Wort 
niüsste  altschwed.  dcggja  lauten;  goth.  dauddjan,  worauf  döggja  führen  würde, 
ist  sprachlich  unmöglich  (vgl.  altn.  veggr  =  YANGJS,  tveggja  =  TVANGJA, 
egg  =  ANGJ  mit  goth.  vaddjus  =  VANDJUS,  tvaddje  =  TVANDJE,  addi 
=  ANDJ).  Die  Sanskr.  Media  entspricht  sehr  häufig  mit  unterbliebener 
Lautverschiebung  der  germanischen  z.  B.  tandh  =  iindan,  Sudhna  ^  nd. 
ioddera,  ahd.  ^jotam,  c/ruh  =  (Zriugan.  So  bewahrte  dauhtar  den  Anlaut 
von  duhitri  (die  Melkerin,  die  Tochter)  döggja,  melken  machen  den  von  duli 
lat.  ducere,  ziehen,  während  daneben  goth.  tiuhan,  ahd.  ziohan  die  Verschie- 
bung zur  Tenuis  ausführte.  Irrig  stellt  Kuhn  a.  a.  O.  nd.  dank,  starker  See- 
nebel, zu  döha.  Es  gehört  zu  altn.  boka  aus  buka,  dän.  taage  caligo  (vgl. 
draabe,  altn.  drop,  aag  altn.  ok,  laag  altn.  lok)  und  setzt  eine  Sanskritwurzel 
tugh,  tuh  voraus.  Diese  ist  in  tuh,  glänzen,  erhalten,  weher  tuhina  pruina, 
nix  gelu,  neben  tushära  pruina,  nix  (Bopp  gl.  Sanscr.  155)  kommt.  Verwandt 
ist  die  Sippe  [jAGGVUS?  [lAGGVJV  altn.  j^eyr  ventus  egelidus,  ags.  pavan 
regelari,  ahd.  doan,  döwan  regelari,  tepere,  nhd.  auftauen  (mit  unorgani- 
scher Verschiebung  Gramm.  I  ^  479.  J.  Grimm  Diphthonge  nach  ausgefallenen 
Cousonanten  201)  schwed.  tö  regelatio,  dän.  töe,  hoU.  doi  (vgl.  6i,  höi,  stroi  = 
avi,  havi,  stravi).  Während  obiges  döggja  von  wrz.  duh,  melken,  abzuleiten  ist, 
gehört  goth.  daddjan  zu  -«tz.  dha,  Milch  geben,  mit  dhenu,  die  milchge- 
bende,   säugende  (Kuli)   öt^P.i^-,  ziOtiV}],   üriXri. 


dem  Germanen  himmlische  aus  den  Wolken  geflossene  Milch 
bezeichnet.     Der  Volksglaube    bestätigt    diese   Etymologie. 
In  Ostfriesland  sagt  man,    die  Hexe  könne  dem  Vieh  da- 
durch schaden,  dass  sie  auf  der  Weide  den  Tau  vom  Grase 
streicht^).     Daher    heifsen    in  Holstein    die   Hexen   dau- 
striker  (Tauabstreifer).     Wenns  Maimorgens  getaut  hat, 
giebt  es  ein  gutes  B  u  1 1  e  r j  a  h  r.     An  einem  solchen  Mor- 
gen ging  eine  Hexe  vor  Sonnenaufgang  auf  die  Felder  ih- 
rer Nachbarn,  nahm  den  Tau  mit  grofsen  Linnenlakeu  auf, 
wrang   dann  die  Tücher  aus  und  sammelte  die  Flüssigkeit 
in  eine  Kruke.     Davon   tat  sie,    wenn   sie  buttern  wollte, 
jedesmal  einen  Löflfel  ins  Fass,  indem  sie  dabei  sprach :  „üt 
elk  hus  en  läpel  vuU".     Damit  nahm  sie  den  Leuten,   de- 
nen  die  Felder   gehörten,    so   viel   von  ihrer  Butter.     Ihr 
Knecht  musste  kamen.     Als  er  einst  allein  butterte,  nahm 
er  auch  einmal  aus  der  Kruke,  sagte  aber,  weil  ers  nicht 
recht  verstand:    „üt  elk  hüs  en  schäpel  vull".     Dann  fing 
er  an  zu  kamen,  und  da  gab   es  so  viel  Butter,   dass  sie 
durch  das  ganze  Haus  lief  und  die  Leute  nichts  damit  an- 
zufangen wussten-).     Eine  Bäuerin   in  der  Oberpfalz  ging 
jedes  Jahr  am  Tage  Walburgis  vor  Sonnenaufgang 
mit  einer  Sichel  in  ihre  Felder,    schnitt   damit  drei  Gras- 
halme ab   und   sprach:     „O  du  guter  Walberntau,   bringe 
mir,  so  weit  ich  schau,  in  jedem  Hälmchen  ein  Tröpflein 
Schmalz".     Sie   hatte    dann   das  ganze  Jahr  Schmalz  d.  i. 
Butter  genügt).     Durch  die  Uckermark,  Priegnitz,  Meck- 
lenburg bis  südlich  ins  Göttingische  hinein,   zieht  sich  die 
Sitte  am  ersten  Pfiugsttag,  wenn  die  Kühe  zuerst  zur  Brach- 
weide getrieben  werden,   der  vordersten  einen  Maibusch 
an  den  Schweif  zu  bhiden.    Dieser  Busch  heifst  dauslei2)e 
(Tauschleife)  und  die  Kuh  daufäjer  oder  dauslöpper*). 


1)  Myth'CLIX,  1118   aus  westphäl.  Anzeiger   1810,   GS   fgg. 

2)  Müllenlioff,   Schleswigholst.  Sag.   S.  5G5  No.  DLXXIII. 

3)  Panzer,   Beitrag  zur  deutschen  Mythologie  II,  301. 

4)  Kuhn,  Märkische  Sagen  31G.  Kuhn,  NuriUl.  Sag.  379.  380.  Grcnz- 
hoten  1855  S.  33G.  In  einigen  Gegenden  der  Altmark  heilst  der,  dessen 
Pferd  zuerst  zur  Weide  kommt,   Tauschlepper.      Kuhn,   Märli.  Sag.  317. 


Auch  bei  den  Iren  soll  man  durch  Einsammlung  einiger 
Tropfen  Tau  von  einer  Viehweide  am  ersten  Maitag  den 
Kühen  die  Milch  benehmen  können.  Geht  aber  der  Wirt 
oder  Besitzer  so  zeitig  aus,  dafs  er  zuerst  den  Tau  sam- 
meln kann,  so  bleiben  die  Tiere  vor  Zauber  bewahrt.  Liegt 
den  angeführten  Gebräuchen  der  Glaube  zu  Grunde,  dass 
der  Tau  als  himmlische  vom  Grashalm  oder  Laub  aufge- 
fangene und  bewahrte  Butter  oder  Milch  die  irdische  im 
Butterfass  oder  Euter  der  Kuh  mehrt  —  denn  wie  sollte 
ein  wenis:  Tau  sonst  eine  Tonne  Milch  schaflten  oder  zum 
Buttern  fähig  sein?')  —  so  spricht  ein  alter  beim  Milch- 
stehlen ano-ewandter  Zaubersegen  den  himmhschen  Ur- 
Sprung  der  Milch  unverholen  aus^).  Man  nimmt  Weih- 
wasser, sprengts  im  Stall  umher;  dazu  bringt  man  Gun- 
reben,  Meerlinsen  und  Salz  und  ruft:  „ich  gib  dir 
gunreben,  merlinsen  und  salz,  gang  üf  durch  die  wöl- 
ken und  bring  mir  schmalz,  milich  und  molken". 
Die  Anrede  galt  wol  dem  im  Stall  bei  Rindern  und  Pfer- 
den geschäftigen  Hauskobold  ^),  der  das  Opfer  Thunar  sei- 


1)  Während  der  Holsteinische  Gebrauch  diese  Anschauung  ganz  deut- 
lich und  rein  erhält,  lassen  die  Oberpfälzische  und  die  Altmärker  Sitten,  die 
zu  einer  Zeit  ihre  jetzige  Form  erhalten  haben,  als  man  das  alte  Symbol  des 
Taus  als  himmlischer  Milch  nicht  mehr  recht  verstand,  die  Himmelsmilch 
durch  Vermittelung  des  Laubes  imd  Grases  in  den  Euter  der  Kuh  kommen. 
Dass  aber  in  der  That  jene  Auffassung  die  ursprüngliche  war,  zeigen  ein 
paar  weiter  unten  anzuführende  Gebräuche  (s.  S.  27).  In  Frankreich  (Cha- 
rente)  ist  der  Gebrauch  des  Tauabstreifens  ebenfalls  rationalistisch  mit  der 
nahe  liegenden  Vorstellung  verbunden,  dass  der  Tau  den  Pflanzenreichtum 
mehrt.  Wenn  man  am  ersten  Mai  in  aller  Frühe  hingeht  und  ein  Stück 
Leinwand  in  den  Tau  der  Wiese  des  Nachbarn  taucht,  bekommt  man  dop- 
pelt so  viel  Heu  als  sonst  und  der  Nachbar  behält  nichts.  De  Nore  mythes 
coutumes  et  traditions  des  provinces  de  France  153. 

2)  Myth.*  CXLH,  XXXVH.,  Mone  imd  Aufsess  Anzeiger  für  Kunde  des 
deutschen  Mittelalters  1834.  HI,  278.  Aus  der  Pfalz.  Hs.  No.  212  des 
16.  Jahrh.  Bl.  53   b.  fgg. 

3)  Vielleicht  der  Sonne,  wie  Menzel  meint.  Pfeiffers  Genuania  I,  79. 
Die  blaublühende  Gunnrebe  ahd.  gundereba,  nhd.  Gundelrebe,  Gunderebe, 
Gundermann  (hedera  terrestris)  war  wegen  ihrer  dem  Blitz  ähnlichen  Farbe 
s.  S.  2.  Anm.  5  Thunar  heilig  (Mnh.  ^  1162)  und  wird  deshalb  seinem  Bo- 
ten, dem  Kobold,  dargereicht.  Sie  hiefs  auch  Donnerrebe.  Beim  ersten 
Austrieb  auf  die  Weide  werden  die  Kühe  durch  einen  Kranz  von  Gunde- 
reben  gemolken.  Wer  einen  solchen  auf  dem  Kopfe  trägt,  vermag  die 
Hexen   zu   erkennen.     Dem  Letten   hiefs  der  Gundermann  Pehrkones  nach 


nein   Herrn    in    den   himmlischen  Wolkensitz   hinauftragen 
soll.     Ein  Kinderspruch  lautet: 

Blaue,  blaue  Wolken! 

Maria  hat  gemolken 

Sieben  Küh'  in  einem  Stall, 

Jungfer  Katharina  ' ). 
Vielleicht  ist  auch  das  oldenburgische  Regenlied: 
Et  rägent  melk  un  stüten 
Dem  büren  op  de  snüten'^) 
nur  eine  rationalistische  Umbildung  eines  älteren  Spruches, 
welcher   den  Regen  gradezu  als  himmlische  Milch   ansah. 
Wie  dem  auch  sei,    ist   der  Regen  himmlische  Milch,    so 
müssen   die  Wolken   als   himmlische  Kühe  betrachtet  sein. 
Ein  Volksrätsel    aus  Kalmar -Län    in   Schweden    fasst    sie 
noch  geradezu  als  solche^):    En  svartböglig  kö  gick  öfver 
stängalösa  bro,    ingen  man   i  detta  land  denna  köen  mota 
kan.  d.  i. :    eine   schwarzrandige  Kuh   ging   über  eine  pfei- 
lerlose Brücke;  kein  Mensch  in  diesem  Lande  die  Kuh  auf- 
halten kann.     Auflösung  ist  „die  Wolke"  (molnet)*). 

Aus  diesen  Wolkenrindern  ist  der  Mythus  vom  Elf- 
stier und  den  Elfkühen  (waterbuU,  tarroo-ushtley)  erwach- 
sen, welcher  Germanen  und  Kelten  gemeinsam  gehört.  Aus 


dem  Blitzgott  Pehrkoii.  Die  Meerlinse,  paucratium  maritimum ,  heifst 
auch  Machtblume,  Machtlilie,  Kraftlilie.  Dies  erinuert  an  Thors 
Beinamen  Thrüöaräss,  Kraftgott.  Das  Salz  dient  dazu,  die  verzauberten  Wol- 
kenkühe zu  vermögen,  ihre  Milch  der  Erde  zu  spenden.  Vgl.  den  norman- 
nischen Aberglauben:  De  peur,  qu'une  vache  qu'on  vient  d'acheter  n'ait  re9u 
un  sort,  qui  Tempeche  de  donner  du  beurre  on  lui  met  du  sei  fondu  au  pis 
et  h,  la  naissance  de  la  queue  ainsi,  que  dans  le  vase  oü  on  doit  la  traire 
pour  la  premiere  fois.  De  Nore  mythes  coutumes  270.  Ebendas. :  Wenn 
man  Milch  verkauft,  oder  verschenkt,  wirft  man  vorher  etwas  Salz  hinein, 
um  die  Kuh,  von  welcher  sie  kommt,  vor  Zaubereien  zu  schützen.  Auch 
bindet  man  der  Kuh  etwas  Salz  an  die  Ilörner.     De  Nore  265. 

1)  Sirarock,  Kinderbuch  *  213,  869  Katharina  ist  Sonnengöttin.  Die 
Zahl  7   ist  aucli  inylhiscli.     Wir  kommen  auf  dieses  Lied  ziu-ück. 

2)  Thöle  und  Strakerjan  aus  dem  Kinderleben  98. 

3)  Dybeck  Runa  1849  No.  4.  Zeitschr.  für  deutsche  Mythologie  III, 
353     97. 

4)  Man  vgl.  oben  S.  3  die  Vedenstelle  vom  unaufhaltsamen  Lauf  der  himm- 
lischen ^^'olkcnküho.  —  Als  Ochsennanüe  wird  Skftldskaparm  C.  75  Sn.  E.  587 
himinrjotr,  Ilinnuelsschnavclier  (?)  oder  liiminnhjörtr,  llimmelsliirscli,  himin- 
hrjöSr,   der  den   liinuuel  (durch  Kegen?)  ausleerende  gen.-innt. 


dem  Meer,  einem  See  oder  Sumpf,  glaubte  man,  steige 
ein  mausfahler  oder  apfelgrauer  Stier  hervor,  der  sich  un- 
ter die  Heerden  der  Menschen  mischt,  mit  den  Kühen  rie- 
senstarke Kälber  zeugt  und  auf  wunderbare  Art  sich  un- 
sichtbar machen  kann').  Auf  den  Foeroeer  glaubt  man, 
dass  grofse  fette  Kühe  unsichtbar  unter  dem  übrigen  Vieh 
•weiden,  die  dem  See  oder  Meer  entsteigen  (sseneyt,  sjekyr). 
Man  trifft  sie  besonders  iu  der  heiligen  Dreiköniscsnacht. 
Durch  ein  Kreuz,  das  man  auf  ihren  Rücken  ritzt,  wer- 
den sie  fest  gemacht  und  an  die  Stätte  gebunden.  Sie 
sind  viel  milchreicher  als  irdische  Kühe  und  werden 
von  den  Bauern  gern  gesehen.  Unverwandt  blicken  sie 
nach  dem  Wasser^).  Zwar  scheidet  hievon  die  Foeroeische 
Sage  die  Kühe  des  Hulduvolkes  (hulduneyt),  welche  stets 
landeinwärts  schauen  und,  obwol  auch  sie  sehr  milchreich 
sind,  von  den  Bauern  nicht  gern  gesehen  werden,  da  das 
Hulduvolk  sie  zurückfordert.  Allein  mit  Recht  stellt 
Grimm  ^)  mit  dem  Elfstier  die  blauen  oder  gestreiften  Kühe 
der  norwegischen  Huldre*)  zusammen,  welche  mit  den  im 
Berg  heimischen  goldgehörnten  Kühen  der  Zwerge  und 
Elfen  übereinkommen  ^ ).  Eine  Foeroeische  Sage  lehrt,  dass 
der  Hulduochse  auf  einem  Eiland  sich  aufhält  und  man, 
um  zu  ihm  zu  kommen,  übers  Wasser  setzen  mufs®).    An- 


1)  Myth.  2  458.  Russwurm  Eibofolke  II,  253  §.  382,  5.  6,  Thiele  Danske 
folkesagn  1843  S.  36.  255.  257.  Eyrbyggjasaga  c.  63.  Büsching,  Wö- 
clicntl.  Nachrichteu  III,  90  fgg.  Grimm,  Deutsche  Sagen  I,  59.  Harrys, 
Sagen  Niedersachsens  I,  47.  Kuhn,  Hagens  Germania  IX,  97.  Brand,  Po- 
pulär antiquities  III,  313  fgg.  Grimm,  Irische  Elfenmährchen  XL  VI.  CXXI. 
Aus  irischen  IlL-iligenlegeuden  weist  den  Elfstier  nach  Wolf,  Zeitschr.  f.  deut- 
sche Myth.  I,   353  fgg. 

2)  Antiquarisk  tidskrift   1849—1851   S.  200. 

3)  Irische  Elfenmährchen  CXX. 

4)  Faye,  Norske  Sagn  S.  39.  42.  Sagabibliothek,  übers,  v.  Lachmann 
I,  274:  „Zuweilen  bei  rauhem  Wetter  treibt  Hulda  ganze  Heerden  schwarz- 
grauer Kühe  und  Schafe  in  die  Wälder",  wie  Simrock,  Handbuch  der  deut- 
schen Myth.  248,  bereits  richtig  bemerkt  „offenbar  vom  Wind  gejagte 
Regenwolken  ". 

5)  Steffen,  Märchen  und  Sagen  des  Luxemburger  Landes  S.  105.  Dy- 
beck,  Runa  1845  S.  50.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachwissensch.  IV,  99. 
Beehstein,  Sagenschatz  des  Thüringer  Landes  II,  137,  30.  Conway,  Journey 
fhrough  Norway  S.  240.    Faye,  Norske  Sagn  37.    Essendrup  over  Lier  S.  30. 

6)  Antiquarisk  Tidskrift  1849—1851   S.  328. 


dererselts  beschreibt  Finn  Johannsen  die  Kühe  der  im  Berg 
wohnenden  Isländischen  älfar  gradeso  wie  die  Foeroeischeu 
saBk}r:  Armeuta  eorum,  si  uon  quidem  numero  sunt  per- 
multa,  tamen  quaestuosa,  quae  pariter  ac  domini  invisibi- 
lia  sunt,  nisi  quando  apparere  placet,  quod  sereno  aere  et 
splendente  sole  plerumque  fieri  solet  ' ).  Kein  Zweifel 
über  die  ursprüngliche  Einheit  beider  Fabeltiere  sowie  über 
ihre  mythische  Grundlage  kann  obwalten,  wenn  es  uns  wei- 
terhin gelingt  zu  zeigen,  dass  die  bald  als  Berg,  bald  als 
See  oder  Brunnen  gedachte  Wolke  der  ursprüngliche  Wohn- 
sitz aller  Elbe  war  und  dieser  erst  später  auf  der  Erde  lo- 
calisirt  wurde. 

Bestätigend  greift  hier  ein,  dass  die  Finnen  schon  sehr 
früh  die  Darstellung  der  Gewitterwolken,  Seen  und 
Quellen  als  E-inder  von  den  Germanen  entlehnten.  So 
wandert  ein  See  in  Gestalt  eines  grauen  Rindes  durch  die 
Luft  aus  seiner  früheren  Heimat^).  Maie,  eine  junge  Frau, 
hat  ihren  Gatten  erschlagen  und  flieht  vor  den  Verwandten 
desselben  und  ihren  eigenen  Gewissensbissen,  bis  sie  den 
Tod  in  den  Fluten  findet: 

Maie  ging  zu  flehn  den  Farren: 
Eile  mir  zu  Hilf,  o  Farre. 
Hört's  der  Farre,  gab  zur  Antwort: 
„Steig'  auf  meinen  Nacken  nieder, 
Rück'  zurecht  auf  meinen  Rücken, 
Weg  dich  führ'  ich  weit  ins  Wasser, 
Trage  fort  dich  unters  Ufer. 
Dahin  nahn  der  Netze  Männer, 
Nahn  der  Netze  junge  Männer, 
Alte  Garnenauserbeuter, 
Werden  die  dich  dort  entdecken"  ^ ). 
Ein  anderes  Lied  beschreibt  „die  Fahrt  zur  Stadt" : 


1)  Finnus  Johannaeus    historia    ccclesiastica   Islandiac.     Havniae    1771. 
t.  II.   period.  IV.    Sect.   II.    Cap.  I.    §.  18.  S.  309. 

2)  Das  Inland,    eine  Wochcuscbrift    für    Liv-,    Ehst-  und  Kurlands  Ge- 
schichte, Geographie,  Statistik  und  Literatur.  Dorpat  18'17.   No.  43.   S.  1021. 

3)  Neuss,  Ehstnische  Volkslieder  S.  5-5. 


10 

Ruderten  das  SchiflP  zur  Stadt  hin, 

Von  der  Stadt  fort  unter  Riga, 

Fort  von  Riga  nach  Fellin  hin 

Brüllte  des  Meeres  schwarzer  Bulle' ). 

Toüra  =  toüras,  Rind,  ist  eine  Bezeichnung  des  Quell- 
gottes und  der  aus  den  Dünsten  des  Wassers  aufsteigen- 
den Gewitterwolke-).  Da  dem  Finnenstamm  in  seinen  al- 
ten Sitzen  das  Rindvieh  unbekannt  war^),  so  ist  wol  kein 
Zweifel,  dass  er  die  durchaus  characteristische  Vorstellung 
der  Wolke  als  Rind  von  den  Germanen  übernommen  hat, 
vielleicht  schon  zu  einer  Zeit,  als  die  Localisirmig  der 
himmlischen  Gewässer  auf  der  Erde  bei  diesen  begonnen 
hatte. 

Der  zweite  Umstand,  welchen  ich  für  das  Vorhanden- 
sein jener  vedischen  Sage  bei  den  Germanen  geltend  ma- 
chen darf,  ist  ein  aus  mannigfachen  Zeugnissen  erhellendes 
enges  Verhältnis  des  Donnergottes  zum  Rindvieh.  Stiere 
fielen  Thörr  zum  Opfer  •*).  Wie  Thörr  selbst  hiefs  der 
Stier  Vingnir^).  Beim  ersten  Weidetreiben  legt  man  eine 
Holzaxt  mit  rotem  Weiberstrumpf  überzogen  auf 
die  Stallschwelle,  damit  jedes  Stück  Hornvieh  darüberschrei- 
tet®). „So  man  ein  chue  an  die  waid  treibt,  so  grebt  man 
ein   ekkl    unter   den   gatern   und   treibt  das  viech  darüber, 


1)  Neuss  a.  a.  O.  232,   18. 

2)  Kreutzwald  und  Neuss,  Mythisclie  und  magische  Lieder  der  Eh- 
sten  116. 

3)  Dies  wird  u.  a.  dadurch  bezeugt,  dass  die  meisten  finnischen  Benen- 
nungen für  das  Rindvieh  aus  dem  Germanischen  entlehnt  sind.  Vergl.  finn. 
nauta  =  altn.  naut,  läpp.  Truohsa  =  altn.  oxi,  finn  wasikka  =  skr.  vaska. 
Finn.  ehstn.  härg  bos  bedeutete  ursprünglich,  wie  noch  heute  das  lappische 
herke,  Eennthier. 

4)  Tliorgils  Oerrabeinsfostri  opfert  Thörr  einen  Stier.  Lex.  myth.  947. 
Man  weihte  nach  der  Eyrbyggyasaga  Thorr  Kälber,  die  man  aufzog  und  ihm 
als  Ochsen  schlachtete.  Aehnlich  erzählt  Procop  de  beUo  Gothico  III,  14 
von  den  slavischen  Slovenen  und  Anten:  &töv  fih'  ydo  tÖi'  t  ij  g  rlaroa- 
nri^  dr}tii,ovQyov  (ctäi'vcjv  y.voiov  iiövov  alxov  vofiCQovaiv  ilvcii,  xul  6h  v- 
ovan'  ai'To)  ßoaq   t£   y.al  iioflct   artarra. 

5)  Skäldskapann.  C.  75.  Sn.  E.  I,  587.  Wie  Thorr  der  himmlische 
Schmied  ist  (Myth.  ^  165)  heifst   der  Stier  auch  smiör. 

6)  Myth.  '"CVIL   929. 


11 

so  mag  man  sew  nicht  zaubern" ').  In  Hessen  führt  man 
ein  nengekauftes  Stück  Vieh  stillschweigend  mit  zurückge 
haltenem  Atem  in  den  Stall,  nachdem  man  zuvor  ein  Beil 
unter  die  Schwelle  gelegt  hat.  Es  schreit  dann  nicht  ^). 
Dasselbe  geschieht  an  einigen  Orten  am  Harz"^).  In  Bunz- 
laus  Umg-egend  bindet  man  den  Kühen  beim  ersten  Wei- 
detreiben  ein  rotesFlickchen  um  den  Schwanz,  so  kön- 
nen sie  nicht  behext  werden*).  In  der  Provinz  Preufsen 
legt  der  Hirt  beim  ersten  Weidetreiben  eine  Holzaxt  in 
jeden  Torweg  und  lässt  die  Heerde  darübergehen  ^).  In 
der  Mark  muss  das  Vieh  über  eine  Hühnerei  und  einen 
roten  Rock  gehen").  Wenn  am  Mai  tag,  demselben 
Tag,  an  welchem  der  Tau  gestrichen  wird  die  Kühe  aus- 
getrieben werden,  legen  einige  Leute  in  der  Altmark  ein 
frisches  Ei  sammt  einem  Beil  unter  die  Schwelle  und 
bedecken  beides  mit  einem  Rasenstück.  Das  schützt  vorHexe- 
rei').  In  Osterrode  legte  man  Beil  und  Feuerstahl  in 
eine  blaue  (S. 2.  Anm.  5)  Schürze  gewickelt  inwendig  vor  die 
Stallschwelle,  um  die  Kühe  darüber  schreiten  zu  lassen®). 
In  der  Wetterau  lässt  man  ein  neugekauftes  Stück  Vieh  über 
dreierlei  Stahl  (gewöhnlich  eine  Sichel,  einen  Feuerstahl 
und  ein  Messer)  gehen^).  In  Niederbaiern  teilt  man  ein 
geweihtes  Gründonnerstagsei,  wickelt  jede  Hälfte  in 
Leinwand  und  legt  davon  die  eine  in  den  Pferdestall,  die 
andere  in  den  Kuh  st  all.  Zu  Passau  backt  man  zwei 
über  Kreuz  gelegte  längliche  Nudeln  und  tut  sie  mit  einem 
Gründonnerstagsei  am  Sunewendtag,  der  Thuuar  hei- 


1)  Papiercod.  des  XIVten  Jalirluinderts  zu  St.  Florian.  Myth. '  XL VII, 
19.  Ekel  bedeutet  Stahl,  das  schneidende  Werkzeug.  Gatere  ist  hier  das 
Hoi'tor. 

2)  Wolf,  Beiträge  zur  deutschen  Myth.  I,   219,   206. 

3)  Mitteilung  Proehles. 

4)  Myth.'  CLVIII,    1098. 

5)  Neue  Prculs.  Provincialbl.  VIII,  190.  Tettau  und  Temme,  Preufs. 
Sagen  2G3. 

6)  Kuhn,  Mark.  Sagen  380.  No,  5. 

7)  Temme,  Sagen  der  Altmark  85. 

8)  Journal  von  und  für  Deutschland  1788.    II,  425. 

9)  Wolf,  Beiträge  I.   219,   205. 


lig  war,  dem  Vieh  in  den  Barn  ').  Für  die  Hut  zu  Ro- 
dershausen  mussten  die  Bauern  von  Parenseu  den  Herrn 
von  Plesse  jährlich  ein  Paar  rote  Hosen  als  Zins  geben ^). 
Wenn  in  Bels^ien  ein  Stück  Vieh  «riftio-e  Kräuter  s:eo;essen 
hat,  siedet  man  rotes  Garn  in  Asche  und  bindets  ihm 
warm  um  den  Hals  ^).  In  England :  To  eure  blisters  in  a 
CO  WS  muth,  cut  the  blisters  then  slit  the  upper  part  of 
tail  insert  a  clove  of  garlic  and  tieapiece  ofred  cloth 
round  the  wound  ^). 

In  Skandinavien  trieb  der  Knecht,  wenn  er  seine  Früh- 
lingsarbeit auf  dem  Acker  begann,  sein  Zugvieh  über  eine 
Axt^).  Bei  den  luselschweden  auf  Worms  macht  mau, 
wenn  das  Vieh  zuerst  im  Frühjahr  ausgetrieben  wird,  in 
der  Pforte  ein  Feuer  an,  oder  legt  ein  Beil  hin.  Wenn 
dann  ein  Stück  Vieh  hineintritt,  glaubt  man  (auf  Nuckoe) 
dass  ihm  in  dem  Jahre  ein  Unglück  bevorstehe ''').  Diese 
Gebräuche  sind  von  den  Germauen  auf  benachbarte  Volks- 
stämme übergegangen.  Für  Frankreich  bezeugt  eine  ähnliche 
Sitte  Thiers  in  seinem  Traite  des  superstitions  Paris  1697^): 
Enfouir  une  — ®)  sousle  sueil  d'une  ecurie  ou  d'une  eta- 
ble  ou  pendre  dans  l'une  ou  dans  l'autre  des  briques  en  croix 
pour  empecher  que  les  chevaux  et  les  autres  bestiaux 
ne  soient  malades  ou  maleficies  et  que  les  vaches  ne 
tarissent.  Die  Ehsten  stellen  in  der  Nacht  auf  den  er- 
sten Mai  Sensen  und  Beile  vor  ihre  Viehstalltüren,  da- 
mit die  Hexen  nicht  eindringen  und  dem  Vieh  schaden 
können  ^).     Auch  legen  sie  ein  E  i  vor   die  Stallschwelle 


1)  Panzer,  Beitrag  II,  213. 

2)  Meier,  Pless.  Ursprung  18-4.  Müller  und  Schambach,  Nietlersächs. 
Sagen  330,  20. 

3)  Wolf,  Beitr.  I,  220.  224. 

4)  Notes  and  queries  I,   349. 

5)  Kirchner,  Thors  Donnerkeil  S.  87  nach  Nielsson,  Skandinav.  urinvaneme. 

6)  Russwurm,  Eibofolke.     Pieval  1855.  II,   102.  §.  299. 

7)  Bei  Liebrecht,   Gervasius  von  Tilbury  S.  243,   296. 

8)  Hier  ist  das  Wort,  worauf  es  vorzüglich  ankommt,  ausgelassen,  weil 
der  Verfasser,  der  den  Aberglauben  als  verderblich  bekämpft,  die  Gelegenheit 
abschneiden  will,  ihn  nachzuahmen. 

9)  Kreutzwald -Boeder  der  Ehsten  abergläubische  Gebräuche  und  Ge- 
wohnheiten S.  86. 


13 

und  geben  Acht,  ob  ein  Stück  Vieh  dasselbe  zertritt.  In 
diesem  Fall  erlebt  es  den  nächsten  Winter  nicht  ^).  Kreutz- 
wald  erkannte  bereits,  dass  diese  Gebräuche  den  Deutschen 
entlehnt  sind.  Bei  den  slavischen  Kassuben  in  Westpreu- 
fsen  wird  beim  ersten  Weidetreiben  eine  Scherbe  mit 
Feuer,  worin  sich  geweihte  Kräuter  befinden,  unter  die 
Stallschwelle  gesetzt  und  die  hinausschreitende  Kuh  damit 
beräuchert  -),  gerade  so,  wie  man  in  einigen  Landschaften 
Schwedens  das  zum  erstenmale  im  Frühjahr  ausgetriebene 
Vieh  über  brennenden  Zunder  oder  anderes  Feuer 
leitet  3). 

Alle  angeführten  Gebräuche  zeigen  eine  entschiedene 
Beziehung  auf  Thunar.  Dieser  führte  das  Beil  als  gött- 
liche Waife*),  ebenso  ist  der  Feuerstahl  sein  Symbol^). 
Nicht  minder  eigneten  ihm  Hulin^)  und  Ei,  auch  das 
rote  Tuch,  wie  überhaupt  rote  Farbe  war  ihm  ge- 
weiht'). Das  Feuer  ist  Abbild  des  Blitzbrandes,  den 
Thunar  entzündet^).  Unter  den  Vögeln  war  ihm  vor- 
züglich das  Rotkehlchen,  Schweiz.  Rötele  (rubecula) 
und  Rotschwänzchen  heiligt).  Wo  ein  Rotkehlchen  ni- 
stet schlägt  das  Wetter  ein  '"),  sagt  man  im  Ausbachischen, 
während  man  in  andern  Gegenden,  z.  B.  in  Baiern  und  der 
Schweiz  das  Haus  dadurch  vor  dem  Blitz  geschützt  glaubt "). 


1)  Kreutz-vvald- Boeder  a.  a.  0.   117. 

2)  Fl.  Ceynowa  de  terrae  Pucensis  incolarum  snperstitione  in  re  medica. 
Berolini   1851. 'p.  11,  6. 

3)  Myth.'    CXII,   108. 

4)  Mytli.2    773.     Zeitschr.  f.   D.  Myth.  III,    105. 

5)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  297. 

6)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  327. 

7)  Zeitschr.  f.  D.  Myth,  II,  303.  Vergl.  noch:  Am  Himmelfahrtstage 
(schwed.  llelig  Thorsdag,  norweg.  Helgi  Thorsdag,  engl,  holy  Thursday) 
tragen  die  Frauen  rote  Kleider,  Lex.  myth.  955.  Auf  dem  Vliet  zu 
Lieuwarden  steht  eine  Mühle,  auf  welclie  man  sich  hüten  soll  rotes  Segel- 
tucli  zu  legen,  sonst  brennt  sie  ab,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  37.  Siehe  auch 
AVolf,  Beiträge  I,   64.   71.    72.   79.   80.     Zeitsclir.  f.  D.  Myth.  III,  105. 

8)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  II,  331. 

9)  Myth.2  167.  Wilh.  Miüler,  Altdeutsche  Religion  249.  Kuhn,  Ha- 
gens  Germania  VII,  431. 

10)  Myth.«    XCVI,  704. 

11)  Panzer,  Beitrag  I,  265.  No.  144.     Rocholz,    Schweizersageu  aus  dem 
Aargau  I,   213. 


14^  _ 

Wer  nun  ein  Rotschwänzchen  tötet,  dem  stirbt  das 
liebste  Haustier*).  Wenn  man  ein  Rotkehlchen  plagt, 
geben  die  Kühe  rote  Milch ^).  Mau  soll  kein  Rotkehl- 
chennest ausheben,  sonst  giebt  die  Kuh  rote  Milch,  oder 
das  Wetter  schlägt  ins  Haus  ^).  Auch  bei  den  Ehsten 
herrscht  der  Glaube,  dass  wenn  das  Rotkehlchen  unter  dem 
Leibe  einer  Kuh  durchfliegt,  bei  ihr  Blutharnen  entstehe. 
Setzt  der  Vogel  sich  zufällig  aufs  Milchgefäfs,  so  ist  die 
Milch  verhext  * ).  Dieser  Aberglaube  ist  wiederum  den 
Schweden  entnommen.  Die  Inselschweden  auf  Worms  mei- 
nen, dass  wenn  ein  Rotschwänzchen  (restert) ,  welches  sich 
gern  in  Ellerngebüschen  aufhält,  unter  einer  Kuh  durch- 
fliegt, diese  rote  Milch  bekommt,  oft  so  rot  als  Blut. 
Dagegen  bricht  man  aus  drei  Ellern  die  Spitzen  aus,  nimmt 
sie  unter  den  Arm,  so  dass  die  Spitzen  nach  vorne  stehen, 
melkt  dann  die  rote  Milch  auf  die  Blätter  und  vergräbt 
sie  mit  den  Spitzen  nach  unten  ^).  Diese  Rotschwänzchen, 
welche  die  Milch  in  Blut  verwandeln,  sind  oft  Hexen,  die 
des  Vogels  Gestalt  angenommen  haben ").  Der  nach  dem 
Zeugnis  der  Edden  Thors  heilige  Vogelbeerbaum  oder 
Ebereschen  bäum  (sorbus)  Thors  björg'^),  dessen  Blät- 
ter u.  a.  im  Norden  dazu  dienten,  die  Schäden  des  Bocks, 


1)  Woeste,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  85. 

2)  Tobler,  Appenzellischer  Sprachschatz,    281.     Vergl.    Myth.'    XCVIII, 
758.     Zeitschr.  f.  D.   Myth.  IV,   47,   3. 

3)  Myth.«    XCII,  629.     Wolf,  Beitr.  I,  232.   283. 

4)  Kreutzwald  und  Neuss,  Mythischen,  magische  Lieder  der  Ehsten  S.  87. 

5)  Russwurm,  Eibofolke  II,  '§.  358,  8.   S.  198. 

6)  Russmirm,   a.  a.  O.   §.  364,  6.   S.  218. 

7)  Wolf,    Beitr.  I,   79.      Kulm,    Hagens    Germania  VII,   430.      Altnord, 
heifst  er  reynir,  engl,  rowantree.    In  England  rief  man  ehemals  den  Blitz  an: 

strilte  elm,   strike  rowan, 
not  the  oak  alone. 
Ein  andermal  werden  als    die  drei    heiligen  Bäume  (Thunars),   die  man  nicht 
abhauen  soll,  genannt: 

the  aik,   the  ash,   the  elmtree, 
they  are  hanging  a'  three. 
«.Hiambers  pop,  rhymes  of  Scotland  p.  43.   ,,Kowan  cross  above  the  door" 
hilft  gegen  Hexen,  d.  i.  böse  Elbe,  Thunars  Feinde.  The  pop.  superstit.  of  Scotl. 

Edinb.  1823.   S.  157 Black  luggie,  lammer  bead, 

rowantree  and  red-thread, 
put  the  witches  to  their  speed. 
Chambers  pop.  rh.   34.    Auch  im  Norden  scln-eibt  man  besonders  solchen  Vo- 


15^ 

des  dem  Donnergott  geweihten  Tiers  zu  heilen,  wird  zu 
Stierjochen  angewandt,  ohne  Zweifel,  um  das  Gedeihen 
der  Rinder  zu  fördern.  In  der  Gegend  von  Landau  und 
Etzendorf  in  Niederbayern,  schneidet  der  Rinderhirt  schon 
zu  Martini  die  Birkengerte,  welche  mit  Eichenlaub')  und 
Holkmderzweigen  -)  zu  einem  Busch  verbunden  im  Früh- 
jahr dazu  dienen  soll,  damit  das  erstemal  die  KüBe  aus- 
zutreiben. Bei  Ueberreichung  dieser  Gerte  an  die  reiche- 
ren Bauern  sagt  der  Hirt  ein  Lied  her,  worin  St.  Petrus 
der  Heilige,  welcher  Thunar  meistens  ersetzt,  handelnd  auf- 
tritt.    In  diesem  Liede  heifst  es: 

Steckt  man  den  Busch  hinter  den  Kühbarn, 
So  gehn  das  Jahr  keine  Küh'  verlarn; 
Steckt  man  ihn  hinter  die  Stalltür, 
Treibt  man  sie  aufs  Jahr  mit  Freuden  herfür  ^). 
Christliches  Verbot  heidnischer  Gewohnheit  ist,  dass  mau 
Mittwochs,   d.  i.   am    Vorabend*)    des  heiligen   Don- 
nerstags nicht  mit  Vieh  handeln,  auch  keins  in  den  Stall 
führen  soll  ^).     Zumal  am  Aschermittwoch,  darf  kein  Vieh 
angebunden  werden,  weil  es  sonst  seine  Kraft  verliert,  auch 
wird  keins  ausgetrieben  oder  verkauft.    Man  hat  kein  Glück 
dabei.     Nicht   einmal   den  Stall  auszumisten  ist  an  diesem 
Tage  erlaubt^).    Desgleichen  glaubt  man  in  Tirol,  dass  die 

gelbeerbäumen  Trollen  vertreibende  Kraft  zu,  welche  aus  einem  andern  Baum, 
vermittelst  einer  hineingefallenen  Beere  hervorwachsen  (flogrogn,  flograagn, 
flouraagn).  Ifvar  Aasen  pröver  af  landsmaalet  i  Norge  S.  7.  Auch  bei  den 
Inseischweden  wird  das  Vogelbeerholz  gegen  Hexen  angewandt.  Russwurm, 
Eibofolke  II,   §.  364,  10.   S.^219.     Vgl.  Afzelius  Sagohäfder  I,  19. 

1)  Auch  die  Eiche  war  Thunar  heilig;   s.  Wolf,  Beitr.  I,  67.  68. 

2)  Woeste  fragt  brieflich:  „Sollte  der  Hollunder  Thunars  heiliger 
Baum  sein,  weil  sich  nach  imserer  Sage  Judas  daran  erhängt  hat,  weshalb  er 
auch  stinkt?  Grade  wie  man  abgenutzte  Besen  nicht  zu  gemeinem  Feuer  ver- 
wendet, giebt  es  bei  uns  einen  Bauern,  der  durchaus  nicht  leidet,  dass  seine 
Leute  das  Geringste  vom  HoUunder  auf  den  Ileerd  bringen."  Nach  dem  Brem. 
Niedersächs.  ^^■örterbuch  I,  706  heilst  Judasor  der  auf  HoUunderbäumen 
wachsende  Schwamm. 

3)  Panzer,  Beitr.  II,  41,  45.  46.  Ein  gauz  entsprechender  Gebrauch 
sammt  einem  ähnlichen  Liede  ist  Zs.  f.  D.  Myth.  IV.  S.  27  aus  Niederöster- 
reich von  Wurth  mitgeteilt.     Eine  andere  Variante  s.  Älyth.'  CXXXVII,  XIV. 

4)  Nee  dierum  numerum  ut  nos  sed  noctium  computant  —  nox  ducere 
diem  videtur.     Taeiti  Germania  XI. 

5)  Wolf,  Beitr.   I,  221,  241. 
G)  Wolf,   Beitr.  I,   228,   329. 


16 

Kälber,  welche  am  Mittwoch  geboren  werden,  schnell  zu 
Grunde  gehen.  Man  treibt  an  diesem  Tage  das  Vieh  nicht 
auf  die  Alme,  noch  mistet  man  den  Stall  aus  *).  Auch  in  der 
Altmark  und  in  der  Gegend  von  Mürow  bei  Angermünde 
trägt  man  Donnerstags  keinen  Mist  aus  ^).  Dagegen 
hält  man  in  Schweden  den  Donnerstag  für  die  geeignet- 
ste Zeft,  krankem  Vieh  Heiltränke  einzugeben  ^).  Weil  die 
heidnischen  Verehrer  Thunars  am  Vorabend  seines  heiligen 
Tages  vorzugsweise  der  Milchwirtschaft  oblagen,  gilt  am 
Mittelrhein  ein  Vt^eib,  das  Mittwochs  Butter  plumpt,  für 
eine  Hexe*).  Noch  Weier  erzählt,  wie  Thunars  Ham- 
merzeichen bei  Viehkrankheiten  angewendet  wurde  ^}: 
+  Non  percuties  eos  qui  signati  sunt  hoc  signo  thau  T". 
Istud  praescriptum  valet  pro  hominibus  et  pecoribus,  qui 
sunt  per  pythonicam  infecti  et  debet  dari  in  ferculis  aut  poti- 
bus  eorum  videlicet  in  chartula  scripta  ^).  "Wie  schon  er- 
wähnt, stellt  es  sich  immer  mehr  heraus,  dass  im  deutschen 
Volksglauben  Petrus  an  Thunars  Stelle  trat.  Am  Petri- 
tage,  wiederum  im  Frühling,  klopft  man  in  Westphalen 
mit  Hämmern  an  die  Haustürpfosten,  um  das  Ungezie- 
fer zu  vertreiben.  Wer  dies  unterlässt,  dem  erkrankt 
das  Vieh').  Thunar  war  Ehegott.  Damit  hängt  zusam- 
men was  Christoph  Männling  berichtet :  damit  die  Schwan- 
gere kein  totes  Kind  zur  Welt  bringe,  soll  sie  sich  tägHch 
mit  Kuhmist  beräucheru  lassen  ^). 

In  ganz  besonderer  Weise   sorgt  der  Donnergott  für 
den  Milchreichtum.    Ein  rotes  Tuch  hilft  die  Butter 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  238,  34. 

2)  Kuhn,  Norddeutsche  Sagen.     Gebr.  357.  371. 

3)  Lex.   mvthol.   680. 

4)  Myth.'  'XC,   567. 

5)  Wierus,  De  praestigiis  daemonum   1577.   col.  649. 

6)  Mit  Unrecht  bezieht  Simrock,  Handbuch  der  Deutschen  Mythologie 
S.  320  das  T  auf  Tyr,  da  dasselbe  ein  blofses  Sj-mbol  (signum)  das  Haiu- 
raerzeichen,  nicht  den  Anfangsbuchstaben  des  Göttemaraens,  die  Rune  T\t  "^ 
welche  Todeszeichen  M-ar  (Müllenhoff,  Zur  Pameulehre  36)  bedeuten  soll. 
Vgl.   Wolf  bei  Haupt,   Zeitschr.  f.  Deutsch.  Alterth.  YII,   528. 

7)  Woeste,  Volksüb erlief erungeu  aus  der  Grafschaft  Mark  S.  24. 

8 )  Christoph  Männling,  Denckwürdige  Curiositäten  derer  abergläubischen 
Albertäten.     Frankfurt  und  Leipzig.  S.  175. 


17 

vermehren').  Um  viel  Butter  zu  erlangen,  legt  die  Hexe 
einen  roten  Lappen  unter  das  Butterfass,  den  sie  vom 
Teufel  empfangen  ^).  Schlägt  der  Blitz  ein,  so  lässt  sich 
der  Brand  nur  mit  Milch  löschen^),  Montanus,  der  zu- 
gleich aus  dem  Bergischen  den  Glauben  anführt,  dass  es 
in  einem  Kuh  stall,  oder  in  einem  Hause,  das  mit  dem 
Kuhstall  verbunden  ist,  nicht  einschlagen  könne,  führt  Mi  Ich, 
K  u  h  h  a  a  r  e ,  eine  K  u  h  haut  und  Kuhmist  als  Löschungs- 
mittel eines  durch  Einschlagen  des  Blitzes  entstandenen 
Feuers  auf*).  Li  und  um  Erfurt  hält  man  die  Jauche 
von  Kuhmist  für  allein  wirksam  bei  Blitzbränden ^).  Um 
die  Hexen  zu  vertreiben,  legt  man  in  Lancashire  einen 
brennenden  Peuerbrand  in  den  Lahm"). 

Zweige  des  schon  oben  erwähnten  Vogelbeer baums 
wurden  in  Norwegen  und  Dänemark,  wiederum  in  der  Mai- 
nacht, auf  Ställen  und  Misthaufen  aufgesteckt'). 
Ebenso  in  Deutschland.  Der  Vogel beerba um  heifst 
auch  Drachenbaum.  Aeste  davon  auf  Walpurgis  über 
Haus  und  Stalltür  aufgehangen,  hindern  die  Einkehr 
des  fliegenden  Drachen  ^).      Man   hat  Glück  beim  Butter- 


1)  Wolf,   Niederländische  Sagen  489.  No.  408. 

2)  Bänder,  Badisclie  Sagen  96.  No.  107.  Zeitschr.  des  Vereins  für  hes- 
sische Geschichte  und  Alterturaskunde  VI.  1854  371.  Wolf,  Beitr.  I,  227. 
318.     Vgl.  auch  Pröhlc,  Harzsagen  S.  52  fgg. 

3)  Myth.'  CLIV,  1001.  CLIX,  1122.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  111,30,23. 
Woeste,  Volksübcrlief.  57,  38.  Auch  die  Russen  glauben,  dass  ein  durch 
Blitz  entstandenes  Feuer  nur  durch  Milch  und  Kvas  gelöscht  werde.  Er- 
mans  Archiv  für  Kunde  Rufslands  I.   1844   627. 

4)  Die  deutschen  Volksfeste,  Volksgebräuche  und  Volksglaube  I,  39. 

5)  Mitteilung  der  Frau  Nuthmann  in  Haiborstadt. 

6)  Notes  and  queries  III.    1851   S.  56. 

7)  Pantoppidan  everriculum  fermenti  veteris  p.  80. 

8)  Myth.'  CLII.  971.  Statt  des  Vogelbcerbaums  treten  mitunter  auch 
andere  Baumarten  ein.  Sprenger  giebt  im  Malleus  maleficarum  p.  II.  quacst. 
II.  cap.  VII  (remedia  contra  grandines  et  super  jumcnta  nialeficiata)  ed.  Fran- 
cofurti  MDXII.  p.  462  an:  Et  etiam  in  partibus  Sueciae  plurimum  practica- 
tur,  quod  prima  die  Maji  ante  er  tum  Solls  mulieres  villanae  exeunt  et 
exsylvis  vel  arboribus  deferunt  ranios  de  salicibus  aut  alios  frondes  et 
ad  modum  circuli  plectententes  in  introitu  stabuli  suspenditnt;  asserentes 
quod  per  integrum  annum  jumcnta  cuncta  illaesa  a  maleiicis  remanent  et  prae- 
servantur.  Cf.  Thiers,  Traite  des  superstitions  bei  Liebrecht  Gervasius  von 
Tilbury  228,  116.  Im  Welzheimer  und  Gschwender  W.ald  zwischen  dem  Ko- 
cher und  Remsfluss  in   Schwaben  werden  auf  dem  Misthaufen  vor  dem  Kuli- 

2 


18 

stofsen,  wenn  das  Stofsholz  aus  dem  Stamme  eines  Vogel- 
beerbaums gemacht  ist ').  Nimmt  man  dazu  anderes  Holz, 
so  kann  man  sicher  sein,  niemals  Butter  zu  bekommen  -). 
Prätorius  erzählt  von  den  Hexengebräuchen  am  zweiten 
Mai  (Walpurgis):  „Vor  allem  andern  haben  sie  zum  öfte- 
ren besondere  Zweige,  so  man  bei  uns  Wolborgsmay 
nennet,  von  einem  Baum  oder  Staude,  der  sonsten  viel  rote 
Beerlein  träubleinsweise  traget  und  dessen  Blätter  klein 
sind,  sonsten  sorbus  terminalis,  Ebereschbaum,  Vogelber^)." 


stall  nnd  Kälberstall  Maibüsclie  von  Birken,  vor  dem  Pferdestall  dagegen 
Tannen  am  ersten  Mai  gepflanzt.  S.  Gräter  Bragur  VI.  1798  S.  121.  In 
wieweit  auch  die  Birlce  Tluinar  geweiht  war,  wage  ich  noch  nicht  zu  unter- 
scheiden. Bedeutungsvoll  ist,  dass  fast  alle  bisher  für  den  Zusammenhang  des 
Rindviehs  mit  Thunar  geltend  gemachten  Gebräuche  am  ersten  oder  zwei- 
ten Mai  tag  statthaben,  zu  AValpurgis,  wann  der  Kulvuk  Thuuars  heiliges 
Tier  zuerst  erscheint,  s.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  211.  395.  Schon  Pröhle 
suchte  zu  erweisen,  dass  der  Walpurgistag  Thunar  heilig  war.  De 
Bructeri  nominibus  et  fabulis  S.  42.  Er  hat  ohne  Zweifel  Recht.  Nach  den 
fränkischen  Capitularien  standen  die  Donnerstage  als  heidnische  Feiertage 
bei  den  Franken  das  ganze  Jahr  hindurch  in  hohem  Ansehen,  besonders  fest- 
lich wurden  sie  aber  im  Mai  begangen.  Mone,  Geschichte  des  Heidentums 
im  nördl.  Europa  ll,  135.  Vgl.  Vita  Sancti  Eligii:  NuUus  diem  Jovis  absqiie 
festivitatibus  sanctis  nee  in  Majo  nee  ullo  tempore  observat  (Rössig,  Alter 
tümer  der  Deutschen,  192).  In  einigen  Gebräuchen  tritt  der  Himmelfahrts- 
tag oder  Pfingsttag  als  christliche  Verlegung  des  Maitages  auf.  Man  vergl. 
z.  B.  am  ersten  und  zweiten  Pfingstfeiertage  gehen  die  deiliughofer  Mädchen 
zu  Kraute  in  deu  Jüberg,  um  Maiblumen  zu  suchen.  Diese  werden  mit 
Donnerkraut  (sedum  telephium)  zu  Kronen  geflochten  und  am  Bühn  auf- 
gehängt ,  wo  sie  das  Jalir  hindurch  verbleiben.  Mitteilung  Fr.  Woestes.  — 
Die  Bursche,  welche  in  der  Priegnitz  mit  der  Tauschleife,  s.  oben  S.  5, 
am  ersten  Pfingsttag  umreiten,  tragen  Kränze,  deren  mit  Eichenlaub  um- 
wundener Bügel  diese  Gestalt  hat:  ^.  Am  Himmelüihrtstage  werden  in 
Schwaben  zwei  Blumenkränze  von  den  weifsen  und  roten  Mausöhrlein  (auri- 
cula  muris  et  pilosella)  gewunden  und  in  den  Ställen  über  dem  Vieh 
aufgehängt,  damit  der  Blitz  nicht  einschlage.  Gräter,  Bragur  1798 
VI,  126.  In  Frankreicli  rieb  man  den  Milcheimer  mit  Kräutern,  die  in 
der  St.  Johannisnacht,  während  man  die  None  läutete,  gepflückt  waren. 
Mau  legte  diese  Kräuter  auch  unter  die  Tür  des  Kuhstalles  und  sprach: 
„Que  Dieu  les  sauve  et  saincte  Bride."  Dann  gaben  die  Kühe  reichliche 
Milch.  Les  e'vangiles  des  quenouilles,  cinquifeme  journee,  chapitre  VI.  —  Bei 
den  Wenden  in  der  Lausitz  gilt  es  für  schädlich,  am  AValpurgistage  von  der 
Viehnutzung  zu  verkaufen.  Das  Vieh  würde  dadurch  der  Behexung  ausge- 
setzt. Haupt  und  Schmaler,  Volkslieder  II,  259.  Ist  dieser  Glaube  von  den 
Deutschen  entlehnt? 

1)  Lex.  Mythol.   897. 

2)  Kiestrup  in  Nordschleswig.     MüllenhofF,  Schleswigholsteinische  Sagen 
S.  224,  No.  305. 

3)  Prätorius,  Blockesbergesverrichtimg.     Leipzig   16G9  p.  460. 


19 

Leider  sagt  Prätorius  nicht,  zu  welchen  Dingen  man  den 
Vogelbeerzweig  zu  seiner  Zeit  am  Walpurgistage  anwen- 
dete. Die  heutige  Volksiiberlieferung  hält  noch  Folgendes 
fest.  In  Westphalen  schneidet  der  Hirt  am  ersten  Mai 
dasjenige  Vogelbeerbäumcheu  (Quieke,  ags.  vice), 
auf  welches  die  ersten  Strahlen  der  Sonne  fallen,  mit  „ei- 
nem Ratz"  ab.  Im  Beisein  der  Hausleute  und  Nachbarn 
schlägt  er  damit  diejenige  junge  Stärke,  welche  „gequiekt" 
werden  soll,  zuerst  auf  das  Kreuz  und  sagt  dabei: 

Quiek,  quiek,  quiek! 

brenk  miälke  in  den  striek  (Zitze  des  Euters). 

de  säp  es  en  den  biärken, 

en  nämen  kritt  de  stiärken. 

quiek,  quiek,  quiek, 

brenk  miälke  en  den  striek. 
Zum   zweitenmal   schlägt  er  die  junge  Kuh   unter   Hersa- 
gung einer   ähnlichen   Strophe   auf  die   Hüfte,  zuletzt  ans 
Euter,  wobei  er  spricht: 

Quiek,  quiek,  quiek! 
brenk  miälke  en  den  striek. 
im  namen  der  uiliken  Graiten, 
(Goltblaume)  sastu  haiten. 
quiek,  quiek,  quiek, 
brenk  miälke  en  den  striek  '). 
In  hessischen  Hexenprocessacten  bekennt  eine  Frau  1596: 
„Wenn  sie  auf  den  Walburgstag  eines  nachbarn   kue  mit 
einem  rüdtlein  in  teufeis  namen  geschlagen,  habe  sie  das 
ganze  jähr  über  obige  kue  melken  können.    Solches  rüdt- 
lein habe   sie   in  ihrem   stall   stehen   gehabt."      Von   wel- 
chem Baume  die  Rute  war,   wird   nicht  gesagt^).     Wenn 
in  Schweden   das  Jungvieh  Namen   bekommt,    erhält   es, 
wie   in    Westphalen,   drei   Schläge   mit   einem  Zweige   des 


1)  Woeste,  Volksüberlieferungen  aus  der  Grafschaft  Mark  S.  25.  Zeitsclir. 
f.  D.  Myth.  II,  85. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  72.  In  der  Normandie  schlägt  man  die 
Kuh,  um  sie  milchreich  zu  machen,  dreimal  mit  der  ebenfalls  Thunar  geweih- 
ten Haselgerte  (Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  104)  anf  die  Seite.  De  Nore 
coutumes  mythes  et  traditions  270. 

2* 


20 

Vogelbeerbaums  ').  Von  den  Schweden  ist  auch  diese  Sitte 
auf  die  Ehsten  übergegangen.  Am  Himmelfahrtstage  — 
suurel  risti  pääwal  —  liefs  man  in  Wierland  das  Vieh  zuui 
erstenmale  nach  Hause  kommeu.  Die  Wirtin  trug,  als  sie 
dem  Vieh  entgegenging,  ein  kleines  Stöckchen  unter  ihrer 
Schürze,  stachelte  mit  dem  Stöckchen  die  Kuh  und  sprach : 
„siit  wöid,  siit  piima,"  „von  hier  Butter,  von  hier  Schmand*)." 
Dieses  Stäbchen  hat  offenbare  Verwandschaft  mit  dem  Hir- 
tenstab (karjatse  warjo  kepid),  einem  aus  dem  Holz  des 
Vogelbeerbaums  geschnitzten  und  mit  allerlei  Zauber- 
zeichen  verzierten  Stab.  Auf  Gütern  pflanzt  der  Hirt  den 
Ebereschenstab  mitten  auf  der  sogenannten  Viehburg  auf, 
bevor  er  das  Vieh  aus  den  Ställen  treibt.  Dann  tut  er  sei- 
nen Hut  auf  den  Stab  und  geht  dreimal,  Sprüche  murmelnd, 
um  die  Tiere  herum  ^).  Die  Jemten  halten  Rinden  und 
Blätter  des  Vogelbeerbaumes  (sorbus  aucuparia)  für  ein  be- 
sonders gutes  Viehfutter.  Sie  machen  Wasser  warm  und 
mischen  es  mit  Nesseln,  dem  genannten  und  anderm 
Blätterwerk  zu  einem  Brei  zusammen,  den  die  Kühe  sehr 
gerne  fressen  und  wonach  sie  sehr  milch  reich  werden 
sollen  *).  Beim  Kälberquieken  soll  die  heilige  Donnerrute 
Milch  in  den  Euter  der  Kuh  bringen.    Die  Skälda  erzählt, 


1)  Dybeck,   Rvma   1845   S.  63. 

2)  Krcutzwald- Boeder  86.  Dass  der  Eliste  seine  Heerden  durch  Stäbe 
des  Vogelbeerbaums  schütze,  führt  Russwurm,  Eibofolke  II,  §.  364,  11  S.  220 
aus  der  Zeitschrift  Inland  1837  No.  42  S.  704  an,  ohne  Näheres  darüber 
beizubringen. 

3)  Kreutzwald -Boeder  116. 

4)  Arndt,  Keise  durch  Schweden  III,  283.  Dass  die  Finnenvölker  diese 
Gebräuche  entlehnten,  geht  aus  dem  Umstände  hervor,  dass  ihnen  nicht  al- 
lein das  Rindvieh,  sondern  auch  der  Vogelb  eerb  aum  erst  in  ihrer  neuen 
europäischen  Heimat,  iu  der  Nachbarschaft  der  Schweden,  bekannt  wurde. 
Deshalb  erborgten  die  Lappen  von  den  Normannen  für  den  Yogelbeerbaum 
das  Wort  raudn  =  altn.  reynir.  S.  Dietrich  bei  Höfer,  Zs.  f.  Wissensch. 
d.  Spr.  III,  37.  In  Finnland  freilich  trägt  der  Baum  einen  einheimischen 
Namen  pihlava,  pihlaja;  ehstn.  pihlapu,  pihlakas,  pihlaka-pu,  pihlikas;  ungar. 
berkenye-fa.  Dieser  Name  hatte  jedoch  wahrscheinlich  ursprünglich  die  all- 
gemeinere Bedeutung  Baujui.  Die  Nymphe  df  j  Yogelbeerbaums  heifst  in  der 
Kalevala  R.  32,  27  Pililajatar,  das  kleine  Mädchen  (pieni  piika).  Sie  wird 
mit  andern  Waldbäumeu  angerufen,  die  Heerde  zu  schützen,  wenn  der  Hirt 
sie  vernachlässigen  sollte;  aber  nur  ganz  im  Allgemeinen,  ohne  Beziehung 
zur  Fruchtbarkeit.  Diese  zu  verleihen  ruft  Ilmarinens  Hausfrau  die  Som- 
mertochter Suwetar  an. 


21 

dass  Thörr,  als  er  durch  den  Vimurfluss  watete,  an  einem 
Vogelbeerbaum  sieb  festhielt.  Da  bereits  bewiesen  ist,  dass 
unter  diesem  Vimurfluss  die  Wolke  zu  verstehen  sei  '),  so 
wird  Kuhns  Vermutung  ^)  nicht  unwahrscheinlich  sein,  dass 
unter  dem  Vogelbeerbaum  der  Blitz  gemeint  ist.  Mit  die- 
ser himmlischen  Vogelbeerrute  geschlagen,  ergiefsen  die 
Wolkenkühe  ihre  Milch,  den  Regen.  Das  Kälberquieken 
ist  nur  ein  irdisches  Abbild  dieses  göttlichen  Vorgangs. 
Unsere  Auffassung  unterstützt  ein  schwedisches  Rätsel, 
welches  eine  verwandte  Naturerscheinung,  den  Regenbogen, 
mit  dem  Ebereschenbaum  vergleicht  „twe  wärde  raunträ" 
„Ueber  die  Welt  ein  Vogelbeerbaum '')."  —  Noch  deutli- 
cher weist  auf  die  eben  erläuterte  Vorstelluno;  der  Gebrauch 
hin,  den  Euter  der  Kuh  mit  dem  Donnerkeil  zu  be- 
streichen, um  reichliche  Milch  zu  erzielen^),  woher  die 
Donnerkeile  in  Schweden  Smördubbar,  Butterschläge, 
heifsen  ^).  Aehnlich  werden  in  der  Schweiz  ausgehölte 
Feuersteine,  die  dem  Gewitter  enstammen  sollen,  vom  Volk 
Kuhsteine  genannt'"').  Wenn  die  Kuh  rote  Milch  giebt, 
melkt  man  sie  durch  das  Loch  des  Kuhsteins  und  die  Milch 
bessert  sich  ').  Aus  Hessen  berichtet  vom  Kuhstein  C.  P. 
Wolfart**):  „Quis  in  patria  ita  hospes,  ut  ignoret  et  no- 
ötris  annis  prob  dolor!  inveniri  adhuc  mulierculas  haud 
paucas  quae  simulac  vaccas  lac  cum  cruore  reddere  ani- 
madvertunt,  per  foramen  lapidis  fulminaris,  quem  ea 
propter  etiam  den  Kuhstein  appellare  solent  eas  mul- 
gere   vel   cunis   infantum    impouere    solent,    ne    f ulmine 


1)  Zeitsehr.  f.   D.  Myth.    II,   298. 
2J  Ebendas.  III,   390. 

3)  Worms.  Russwurm,  Zeitsehr.  f.  D.  Myth.  III,  350.  Auch  dieses  Rät 
sei  haben  die  Ehstcn  in  ihre  Sprache  mit  hiuübergenommcn:  ,,  ÜUe  ihna  püh- 
helgas"  über  alle.  Welt  ein  Ebereschbaum,  d.  i.  der  Regenbogen.  Gutsleff, 
Anweisung  zur  chstnischen  Sprache.  Halle    1732   S.  369  No.  123. 

4)  Kirchner,  Thors  Donnerkeil  63.     Wolf,  Beitr.  I,  67. 

5)  Kil.    Stobaei  opera  Dantisci   1753  p.  121   annot.  C. 

6)  J.  Wagner,  Historia  naturalis  Ilelvetiae  Tigiiri  1680  p.  320.  Scheuch- 
zer.  Metereolog.  et  oryctogr.  Helvet.  p.  128. 

7)  Wagner,  a.  a.  O. 

8)  Historia  naturalis  Hassiae  iuferioris  s.  tab.  22  No.  10.  tab.  23.  No. 
1.   2.   3.    4. 


__     22 

tangantur,  et  quae  sunt  alia  quibus  etiam  longe  dlffici- 
lius  talem  lapidem,  praepriiiiis  si  conveniat  cum 
figura  3  et  4  (»1  *x.  Abbildern  der  Donneraxt)  ab  utra- 
que  facie  delineatis,  quam  fortissimo  Herculi  clavam  e  ma- 
nibus  extorseris.  Im  bairischen  Lecbrain  legt  man  durch- 
löcherte Steine  kranken  Stalltieren  in  die  Krippe,  um  sie 
gesund  und  milchreich  zu  machen').  In  Suffolk  hän- 
gen die  Landleute  dergleichen  durchlöcherte  Steine  im  Stall 
auf,  damit  der  Mahr  (nightmare)  die  Thiere  nicht  reite ■^). 
In  Schweden  heifsen  diese  durchlöcherten  Steine  Elfquär- 
nar  Elfenmühlen.  Man  unterscheidet  sie  von  den  Donner- 
keilen (tordenstene,  Thörviggar).  Diese  hängte  man  auch 
in  Schweden  im  vorigen  Jahrhundert  im  Stall  auf  oder 
band  sie  dem  Vieh  um  den  Hals  ^).  Um  auf  das  Bestrei- 
chen mit  dem  Donnerkeil  zurückzukommen,  so  wendet  man 
es  in  Hessen  auch  an,  wenn  die  Kuh  durch  Behexung  ihre 
Milch  verloren  hat  ^) ;  in  der  Gegend  von  Quedlinburg,  wenn 
das  Euter  derselben  entzündet  ist  ^).  Auch  zu  diesem  Be- 
huf dienen  die  Donnerkeile  in  Hessen:  man  „bäht  damit 
das  geschwollene  Gemelk  der  Kuh,  damit  die  Geschwulst 
vergehe  ''j."  In  Schleswig  legt  man  den  Donnerkeil  neben 
das  Butterfass,  um  Behexung  zu  verhüten  ''\.  Wenn  man 
die  Striche  am  Memm  (Euter)  mit  einem  Donnerstein  streicht, 
springen  diese  nicht  auf*^  ,  Die  Inselschweden  legen  den 
Donnerkeil  in  die  Tränke  der  Kühe,  so  wird  beim  Gewit- 
ter die  Milch  nicht  sauer  ^).  Während  des  Gewitters  darf 
das  Gefäfs,  aus  welchem  das  Vieh  trinkt,  nicht  ohne  die- 
sen Donnerkeil  sein;  sonst  leiden  die  Tiere  durch  den 
Schreck  beim  Donner ;,   und  die  Milch,   welche  sie  geben, 


1)  Leoprechting  aus  dem  Lechrain  p.  93. 

2)  Notes  aud   qiieries  IV,  53. 

3)  Kil    Stobaei  opp.  (Ceraunü  baetulique  lapides)    133. 

4)  Archiv  f.   hessische  Geschichte  uiul  Altertumskunde  I,   108. 

5)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  I,   202. 

G)  Kaut,  Hessische  Sagen.     Offeubach   1846   S.  96. 

7)  Olearius,   Gottorfische  Kunstkammer  p.  53. 

8)  Wolf,  Beitr.  I,  219.   215. 

9)  Russwurm,  Eibofolke.  Dorpat   1852   S.  29  Anm.  28. 


23 

wird  ganz  kraftlos,  hat  auch  keinen  Rahm  ').  Umgekehrt 
wird  der  Donnerkeil  durch  Bestreichen  mit  Butter  geehrt. 
Auf  einem  Gut  in  Telamarken,  Meeaas,  wurden  zwei  solche 
Steine  von  mittlerer  Gröfse  aufbewahrt  und  bis  auf  neuere 
Zeit  abergläubisch  verehrt.  An  jedem  Donnerstags- 
abend und  zu  hohen  Festzeiten  wusch  man  sie  und  salbte 
sie  am  Feuer  mit  Butter  und  anderem  Fett.  Dann  wur- 
den sie  getrocknet  und  auf  dem  Hochsitz  des  Hauses  auf- 
gestellt. Diese  abergläubische  Verehrung  hielt  man  für 
das  Glück  des  Hauses  notwendig^).  An  einem  andern 
Orte  derselben  Landschaft  zu  Qualseth,  wurden  zwei  Don- 
nerkeile auf  ganz  ähnliche  Weise  noch  bis  zur  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  in  hohen  Ehren  gehalten.  Man  be- 
wahrte sie  auf  dem  Hochsitz,  eine  Lage  glänzend  reines 
Strohs  lag  stets  unter  ihnen  ausgebreitet.  Häufig  wurden 
sie  in  Buttermilch  gebadet'').  Die  Salbung  der  Götter- 
bilder und  Göttersymbole  ist  eine  altnordische  Sitte.  Als 
einst  w^ährend  des  Disenopfers  Fridthiofr  in  den  Tempel 
Baldrs  in  Baldrshag  an  der  Sognebucht  tritt,  brennt  Feuer. 
Die  Könige  safsen  herum  und  tranken  zum  Opfer,  indess 
ihre  Frauen  das  Götterbild  am  Feuer  wärmten  (bökuöu 
goöin),  schmierten  und  mit  Tüchern  abtrockneten^).  Den 
Symbolen  Thors  scheint  die  Salbung  mit  Buttermilch 
eigentümlich  zu  sein. 

Wir  bemerkten  schon  vorhin,  dass  die  Eiche  Thunar 
heilig  war.  Hierauf  gründet  sich  die  folgende  Sitte.  Ist 
die  Milch  der  Kuh  blutig,  so  melkt  mau  sie  in  drr  Alt- 
mark durch  einen  eichendopp,  d.  i.  ein  Stück  Eichenholz, 
welches  eine  natürliche  Oefiuung  hat  ^).  „So  aiu  chue  ain 
erst   chalb   trait,   so   nympt  die  peyrinn    ain  aichenlaub 

1)  Russ^vurm,  Eibofolke.  Reval  1855  II,  §.  379   S.  249. 

2)  Lex.  Mythol.   961. 

3)  Ebeiulas.  Bei  den  Kelten  scheint  der  Donnerkeil  in  einem  engern  Be- 
zug Zinn  Scliaf  gestanden  zu  haben.  In  der  Montagne  Noire  heilsen  die 
altkeltischeu  Streitäxte  (Donneräxte),  peyros  de  picoto,  Blatternsteine.  Man 
hängt  sie  in  den  Schafställen  auf,  um  die  Heerde  vor  Schafblattern  zu  schüt- 
zen.    De  Nore  coutunies  mythes  et  traditions   103. 

4)  Fridthiofssaga  c.  9.  Fonialdarsög.    II,   86. 

5)  Kuhn.   Mark.   Sag.   379   No.  '29. 


24 

und  stekcht  eumitten  ain  nadel  darin  und  legt  es  enmitten 
in  den  sechter  (Milcheimer)  und  nympt  dan  das  uberrukh 
mit  dem  hör  vnd  spindel  ab  dem  rokchen  vnd  stekcht  es 
auch  inmitten  in  den  sechter,  so  mag  man  der  chue  nicht 
nemen  die  milich,  vnd  des  ersten  milcht  sy  in  den  sechter, 
do  das  ding  inn  stekcht  dieselb  chue  (am  ersten)  die  weil 
das  dinkch  dar  inn  stekcht  ')." 

Ein  Symbol  des  germanischen  Gewittergottes  war  das 
Zeichen  des  Hammers,  seiner  göttlichen  Waffe,  das  wir 
vorhin  schon  erwähnten  und  worüber  wir  weiterhin  einge- 
hender sprechen  w^erden.  Dieses  Hammerzeichen  -f  ging 
in  christlicher  Zeit  begreiflicherweise  in  das  Kreuz  -f  über. 
Hieraus  erklären  sich  wiederum  die  folgenden  Sitten  und 
Gebräuche.  Damit  die  Fairies  der  Kuh  die  Milch  nicht 
benehmen,  zieht  man  zu  St.  Andrews  unmittelbar  nach  dem 
Kalben  eine  brennende  Kohle  kreuzweis  über  ihren 
Rücken  und  unter  dem  Bauch  durch  ^).  Einige  Weiber 
legen  die  Wurzel  des  Kreuzkrauts  (groundsel)  in  den 
Rahm,  um  die  Verhexung  der  Butter  zu  verhüten^).  In 
Schweden  macht  man  am  Mai  abend  Kreuze  auf  die  Tü- 
ren des  Viehstalls'*),  ebenso  am  Osterheiligabend  (för 
trollkäringar)  '").  Dasselbe  geschieht  auf  Fünen '').  In 
einigen  Gegenden  Norwegens  zeichnet  man  Kreidekreuze 
an  die  Decke  des  Wohnzimmers  über  den  Esstisch,  und 
an  alle  Viehställe  zu  Weihnachten,  Ostern,  Pfing- 
sten''). Nach  Rühs  ^)  werden  in  Finnland  am  Kreuzer- 
höhuugstage  (31.  September)  die  Stalltüren  und  die  Kühe 
bekreuzt.  Auf  den  Faeroeern  setzt  man  zur  Abwehr  von 
von  Gespenstern  unter  Absingung  eines  bestimmten  Zau- 
berspruchs (neytakonu  versiS  oder  dreygaversiS)  ein  Kreuz 


1)  Papiercod.  des  XIV.  Jahrh.  Myth. '  XLVJL   18. 

2)  Playfair  bei  Braud,  Populär  antiquities  III,   318. 

3)  Braud,  a.  a.  O.   318. 

4)  Arndt,  Reise  iu  Schweden  III,   20. 

5)  Myth.'    CX,   60.  Erik  Feruow  beskrivelse  over  Wärmeland  259. 

6)  Oldenburg  om  Gjenfaerd  eller  Gjengengare  Kjebenhavu   1818.   S.  115. 

7)  Hoffmaun,   Beskrivelse  over  Idde-Praestegjeld.     Topographisk   Journal 
for  Xorge   8   d.  Ide  haelfde  S.  9.   10. 

S)  Finnland  und  seine  Bewohner. 


25 

von  Milch  auf  den  Rücken  der  Kuh').  Praetorius 
erzählt^):  „Unsere  Leute  haben  einmal  ein  gut  Vertrauen 
zu  den  Kreitkreuzen  und  lassen  solches  jährliches  Ge- 
kritzel ihnen  nicht  aus  dem  Sinn  schwätzen,  solten  sie  auch 
für  einen  Dreyer  Kreite  darzu  abnützen  und  zu  unnütze 
an  die  Truhen,  Kammern,  Gefäfse  und  Thüren  schmieren, 
indem  sie  sicherlich  des  gäntzlichen  Wahns  seyn,  die  Un- 
holden werden  ihre  Behausung  und  Stallung,  wann  sie 
so  verwahret,  ungehudelt  lafsen.  Ja  sie  besehen  darauff' 
den  folgenden  Tag  als  den  ersten  Maji  die  Thüren  au- 
fserhalb,  ob  sie  nicht  etwann  mögen  vermerken,  dals  ein 
Spänlein  heraufsgeschnitten  sei,  sintemal  die  Hexen  der  Art 
sein  sollen,  dass  wann  sie  ja  sonsten  nichts  können  mitneh- 
men, doch  soviel  den  andern  abzwacken  und  ihrem  Teufel 
auf  dem  Blocksberg  präsentiren  und  mitbringen  sollen,  son- 
derlich damit  Feuer  anzumachen  bei  dem  bevorstehenden 
Jubel-  und  Humraelfeste."  Dass  hier  überall  das  Kreuz 
aus  dem  Donnerhammer  erwuchs,  scheint  mir  aus  einem 
friesischen  Gebrauch  zu  erhellen.  Auf  Wangerooge  nimmt 
man,  wenn  eine  Hexe  der  Kuh  die  Milch,  dem  Fass  die 
Butter  entzogen  hat,  vom  Rahm  am  Butterfass,  macht 
davon  auf  jeden  der  4  Ständer  ihrer  Haustür  ein  Kreuz 
in  Form  eines  Kleeblatts  und  spricht:  „Jüzü  näuien,  du 
hast  min  büter  nimin,  breng  det  uk  uider."  Kommt  mau 
zu  Hause,  so  ist  die  Butter  wieder  da  ^).  Die  Form  des 
Kleeblatts  -^tp  weist  entschieden  auf  den  B 1  i  t  z  h  a  m  m  e  r. 
In  Franken  tragen  die  auf  den  Stall  gezeichueten  Kreuze 
mitunter  diese  Form :  ^  *). 

In  der  Eifel  hauen  die  Weiber  am  Donnerstag  vor 
Fastnacht  den  schönsten  Baum  im  Walde  um  (in  dem  ent- 
sprechenden Gebrauch  zu  Weilheim  in  Schwaben  ist  es  eine 
Eiche),  versteigern  ihn,  kaufen  für  das  Geld  ein  Fässchen 
Wein  zum  vertrinken  und   fahren  es   auf  einem   von  Kü- 


1)  Antiquarisk  tidskrift   1851   S.  315. 

2)  Blockesbergesverriclitung  p.  437. 

3)  Ehrentiaut,  Friesisches  Archiv   1854  II  ,S.  13.    14. 

4)  Keynitscli,  Truliten   und  Tnihtcusteine   75. 


26 

heil  gezogenen  Wagen  durchs  Dorf  zum  Wirtshaus ') 
Unter  christlichem  Einfluss  entstand  das  Verbot,  am  Don- 
nerstag nicht  zu  buttern.  Die  Rose  stand,  wie  schon 
Wolf  aussprach,  wegen  ihrer  roten  Farbe  zu  Thunar 
in  Beziehung.  Wer  am  Johannistage^)  Milch  mit 
Flieder  (Hollunder,  s.  oben  S.  15)  trinkt,  hat  das  ganze 
Jahr  keinen  Anstofs  von  der  Rose  ^).  Sonst  bötet  man, 
um  die  Rose  zu  vertreiben  mit  Räuchern  oder  dreimali- 
gem Feueranschlagen  *) ,  oder  man  bestreicht  sie  mit  dem 
Donnerkeil  ^). 

Geht  aus  diesen  Gebräuchen  und  abergläubischen  Mei- 
nungen, welche  die  Donnersjmbole  Beil,  rotes  Tuch, 
Yogelbeerholz,  Eichenholz,  Kreuz,  Feuer,  Rot- 
kehlchen, Rose,  Donnerstag  und  nur  diese  in  enger 
Verbindung  mit  dem  Rindvieh  und  dem  Milchreichtum  auf- 
weisen, ein  sehr  intimes  Verhältnis  des  Gewittergottes  zu 
den  Kühen  hervor,  ein  Verhältnis,  das  in  Bezug  auf  die 
irdischen  Kühe  als  solche  unbegreiflich  bliebe,  so  kann  kein 
Zweifel  darüber  obwalten,  dass  hier  überall,  wie  in  so  vie- 
len anderen  Erscheinungen  altdeutscher  Religionsübung  das 
Irdische  als  Abbild  des  Himmlischen  betrachtet  ist,  und 
ursprünglich  die  Wolkenkühe  es  waren ,  zu  denen  Thunar 
in  vertrauter  Freundschaft  stand.  In  der  Schweiz  sagt 
man  noch  heute  vom  Gewitter;  „Gott  Vater  rollt  d "Brenta 
(Milchkübel)  über  die  Kellerstiegen  ^)."  Könnte  noch  irgend 
ein  Zweifel  obwalten,  dass  das  Taustreifen,  d.  i.  die 
Einsammlunsr  der  himmhschen  Milch,   welche   au   dem- 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  80.     Vergl.  Schade,  Ursulasage  89. 

2)  Vergl.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  104  fgg.  Wo  im  Hause  ein  Jo- 
hannes -n-ohnt,  soll  der  Donner  nicht  einschlagen,  oder  doch  keinen  Scha- 
den tun,  Franck,  De  impositioue  nominum  §.  26.  D.  Philipp  Müller,  De 
dicto  Luc.  X,  V.  20.  Die  am  Johannistag  geptiückten  lii-äuter  (midsummars 
quastar)  hängt  man  in  den  Ställen  auf,  so  können  die  Kühe  nicht  behext 
werden.     Arndt,  Reise  in  Schweden  III,   74. 

3)  Mänuling,  Denkwürdige  Curiositäten  211.  Die  Rose  heifst  wegen 
ihrer  Beziehung  zu  Thunar  auch  „dat  hillige  (heilige)  ding." 

4)  Kuhn,  Mark.  Sag.  377.  Vergl.  Russwurm,  Eibofolke  II,  §.  366,  1 
S.  223,     Kreutzwald  und  Xeuss,  Mythische  und  magische  Lieder  85. 

5)  Zeitschr.  f.   D.  Myth.  I,  202. 

6)  J.  Grimm,   Lieber  die  Namen  des  Donners  S.  17. 


27 

selben  Tage  geschieht  (dem  2.  Mai),  an  welchem 
die  meisten  so  eben  namhaft  gemachten  Bräuche 
statthaben,  und  daher  die  himrahsche  Milch  (Regen  oder 
Tau)  Beziehung  zu  Thunar  habe,  so  hebt  ihn  der  skandi- 
navische Hexenbrauch  am  Gründonnerstag  in  den  Quel- 
len das  Wasser  mit  einem  Stocke  auf  dieselbe  Weise, 
wie  die  Milch  im  Butter fass  umzurühren,  um  den 
Butterbauern  zu  schaden  und  Milch  zu  stehlen '). 
Als  Ansammlungen  der  himmlischen  Milch,  des  Regens, 
haben  die  Quellen  dieselbe  Kraft,  wie  der  Tau.  Einst  liat- 
ten  einige  Leute^  die  über  Feld  gingen  grofse  Lust,  frische 
Butter  zu  prüfen.  Als  sie  zufällig  an  einen  Fluss  kamen 
sprach  einer  von  ihnen:  „Wartet  ein  wenig,  ich  will  euch 
frische  Maibutter  besorgen."  Er  zog  seine  Kleider  aus,  ging 
ins  Wasser  und  setzte  sich  selbst  mit  dem  Rücken  gegen 
den  Strom  gewendet;  die  übrigen  sahen  erstaunt  zu.  Er 
sprach  einige  Worte,  rührte  mit  den  Händen  im  Was- 
ser hinter  seinem  Rücken  und  es  dauerte  nicht  lange,  so 
brachte  er  einen  Klumpen  Butter,  in  der  Form  wie  sie 
die  Bauern  zu  macheu  pflegen,  zum  Vorschein  und  nach 
weniger  Zeit  noch  mehrere,  und  als  seine  Gesellen  davon 
kosteten,  fanden  sie,  dass  die  Butter  ganz  kostbar  war  '). 
In  Schleswig  ging  ein  Mann  in  der  Frühe  von  Jägerup 
nach  Hadersleben.  Als  er  bei  Woiensgaard  vorbeiginer, 
horte  er,  dass  da  Jemand  auf  dem  Hofe  butterte,  zugleich 
aber  bemerkte  er,  dass  eine  ihm  bekannte  Frau  an  dem 
vorbeilaufenden  Bache  stand  und  mit  einem  Stock  im 
Wasser  karnte.  Später  sah  er  sie  an  demselben  Tage 
in  Hadersleben  ein  grofses  Stück  Butter  verkaufen.  Als 
er  Abends  wieder  bei  Woiens  vorbeikam^  karnte  man  da 
noch.  Da  ging  der  Mann  auf  den  Hof  und  versicherte, 
dass  das  unnütze  Arbeit  sei;  die  Butter  sei  schon  in  Ha- 
dersleben verkauft^).     Hiermit  stimmt  der  irische  Brauch. 


1)  Lex.  myth.   953.    954. 

2)  Jacob  Sprenger,  Mallcus  maleficarum    ed.  Francof.    IGUO   ii.  II.   fiu.  I. 
c.  XIV.  p.  355.      AVolf,  Niederläiul.   Sag.   S.  491.  No.  40(3. 

3J  MüUenhotr,   Sagen   224.    No.  103. 


28   _ 

Will  es  mit  dem  Buttern  nicht  gelingen,  so  gebt  man  au 
einen  Markungsbach  (d.  i.  einen  Fluss  oder  Bach,  der  zwei 
Kirchspiele  von  einander  scheidet),  holt  einen  Mund  voll 
von  dem  Wasser,  speit  ihn  auf  den  Boden  unter  dem  But- 
terfass,  und  die  Butter  kommt  sicher  '). 

Noch  ein  anderes  Zeugnis  spricht  dafür,  dass  der  Tau 
mit  dem  Gewittergott  in  Verbindung  stand.  Thunar  war 
Lebensgott,  der  Leibes  Gesundheit  und  Schönheit  spendete, 
wie  weiter  unten  auszuführen  sein  wird.  In  England  sam- 
melt man  den  Tau  am  ersten  Maitag  oder  zu  Pfingsten, 
um  sich  damit  das  Gesicht  zu  waschen  und  will  dadureh 
eine  schöne  Hautfarbe  erlaugen.  Gervasius  von  Tilbury 
berichtet  im  Jahre  1211  in  seinen  Otia  imperialia-) :  Plu- 
rimos  quoque  vidimus  potentes,  qui  sancto  die  pentecostes 
cibum  non  sumerent,  donec  rorem  de  coelo  hausissent  vel 
super  se  descendisse  sensissent,  quod  quandoque  citius, 
quandoque  tardius  eveniebat."  Pepys  erzählt  in  seinem 
Tagebuch'^):  „My  wife  away  dowMi  with  Jane  and  W.  He- 
wer  to  Woolwich  in  order  to  a  little  ayre  and  to  lie  there 
to  night  and  to  together  maydew  to  morrow-morning,  which 
Mrs.  Turner  has  taught  her  is  the  only  the  world  to  wash 
her  face  with."  Andere  gingen  Frühmorgens  in  Schaaren 
auf  die  Felder  und  badeten  ihr  Gesicht  im  betauten  Grase, 
um  dadurch  Schönheit  zu  erlangen^): 

Vain  hope!  No  more  in  choral  bands  unite 

her  virgin  votaries,  and  at  early  dawn 


1)  K.  V.  K.  Erin  VI,  2.  1849  S.  445.  Da  sich  die  Beziehung  des  Rind- 
viehs zu  Thunar  durch  so  reichliche  Zeugnisse  bestätigt  hat,  dürfte  es  klar 
sein,  weswegen  der  grofse  Hirschkäfer  (  hicanus  cervus)  neben  den  Namen 
Donnergueg,  Donnerguge,  Doiinerpuppe  auch  die  Benennung  Eich- 
ochse und  £kox  führt.  Er  hiefs  so  nacli  dem  gröfseren  Tier,  das  demsel- 
ben Gotte  geheiligt  war.  Nur  aus  dieser  Stellung  im  Cnltus  wUfste  ich  ei- 
nen abergläubischen  Gebrauch  zu  erklären ,  der  in  AVestphalen  geübt  wird. 
Wenn  die  Hirtenknaben  wissen  wollen,  wohin  sich  ihre  Kühe  verlaufen  ha- 
ben, nehmen  sie  zwei  Höruer  (Kinnladen)  vom  Hirschkäfer  (jegemsener)  in 
die  Hand  und  sagen:  ,, Jegemseners  ha?rn  ba  sind  mine  käu?"  Dann  öffnen 
sie  die  Hand  und  sehen,  wohin  die  Spitze  des  rechten  Horus  weist;  dort  su- 
chen sie  ihre  Kühe.     Woeste,  Volksüberlieferungen  S.  56,   23. 

2)  Ed  Liebrecht  S.  2.   cap.  XH. 

3)  Bei  Brand,   Populär  antiquitics  HI,  218. 

4)  Morningpost,  May  2d   1791. 


29 

sacred  to  May  and  Loves  mysterious  rite 
briish  tbe  light  dew-drops  from  the  spangled  lawn  '). 
In  Edinburgh  geht  man  am  Maimorgen  auf  Arthurs  Seat, 
um  den  Tau  zu  sammeln  -)  „Deawbitter  =  dewbeater  one, 
who  has  large  feet,  or  wbo  turns  bis  toes  out,  so  that  he 
brusbes  tbedewofthe  grass  in  Walking^)."  In  Groningen, 
im  Zütphenschen  Teil  von  Gelderland  und  in  Südbolland 
versammelt  man  sich  im  Mai  oder  am  Morgen  des  ersten 
Pfingsttages  vor  Sonnenaufgang  („vor  dag  en  daauw") 
im  Feld  und  bekränzt  sich  mit  Laubvrerk  und  Blumen, 
das  nennt  man  daauwtrappen  (Tautreten)  oderdaauw- 
slaan  (Tauschlagen) *).  Nach  siebenbirgischen  Hexenacten 
von  1673  erschienen  zauberkundige  Weiber  vor  Sonnen- 
aufgang im  blolsen  Hemd  und  blofsen  Haar  und  schöpf- 
ten den  Tau  aus^)."  Zu  welchem  Zwecke  dies  geschah, 
entgeht  uns.  Unter  den  Slaven  begeben  sich  die  Weiber 
im  Sommer,  besonders  am  Johannistage  frühzeitig  vor  Son- 
nenaufgang aufs  Kornfeld,  schleppen  hinter  sich  ausgebrei- 
tete Leintücher  über  die  Saat  und  sammeln  auf  diese  Weise 
den  Tau.  Zu  Hause  wird  das  Tuch  stark  ausgewunden, 
der  Tau  in  Fläschcben  getan  und  an  die  Jugend  verteilt. 
Mit  diesem  Tau  öfter  gewaschen,  sollen  die  Gesichter  wun- 
derschön werden " ).      Derselbe   Gebrauch   fand   aber   auch 


1)  Brand,  a.  a.  O.    a.  Loveybouud  „the  tears  of  old  may-day." 

2)  Chambers,  Edinburgh  Journal,  April   1842.  No.  535. 

3)  Ackermann,  Wiltshire  glossary  bei  Kuhn,  Norddeutsche  Sagen  512. 
Der  Name  Dewbeater  hängt  mit  einem  EA.  91.  630.  Diutisca  I,  2.  335  er- 
läuterten Ausdruck  zusammen.  Bei  den  Alamannen  wurde  die  Höhe  des  Wer- 
geids für  einen  gelähmten  Fufs  danach  bestimmt,  ob  er  den  Tau  vom  Grase 
streifte:  „Si  quis  in  geuiculo  transpunctus  fuerit  aut  plagatus  ita  ut  claudus 
pcrmaneat,  ut  pes  ejus  ros  tangat,  quod  Alamanni  tautragil  dicunt.  Tre- 
gil  heifst  Lastträger,  toudragil  ist  daher,  was  sich  im  Tau  schleppt.  Altn. 
döggskör,  schwed.  doppsko,  Tauschuh  bedeutet  die  Schwertscheide,  die 
gewöhnlich  den  Tau  streift.  Myth.*  359.  Verwandte  Rechtsausdrücke  füh- 
ren uns  von  der  heilsamen  Kraft  des  Tauabstreifens  für  den  IMenschen  un- 
mittelbar auf  das  Rindvieh  zurück.  Der  Frühlingsanfang,  wenn  die  Kuh  zu- 
erst zur  Weide  geht,  wird  durch  die  Formel  bezeichnet:  ,,Wcnn  die  Sonne 
siegreich  hervorbricht  und  die  Kuh  die  Klauen  niedertut  (diu  ku  kle- 
wen  dene  dcth)-'  RA.   36. 

4)  P.uddingh,  Verhandeling  over  hct  Westland   76.   78.   351. 

5)  Müller,  Hexenglauben  in  Siebenbirgen  S.  59. 

6)  Hanus,  Slav.  Mythol.  284.     Caplowic  im  Hesperus   1820  p.  19. 


30 

in  Deutschland  statt.  „Vom  Vollmond  im  May  an  fangen 
an  zu  fallen  die  rechten  und  gesunden  und  balsamirten  Him- 
melsthau  (welche  etlich  aus  dem  Paradiese  herzu- 
rühren vermeynen).  Die  soll  man,  wenn  die  Nacht 
zuvor  klar  und  helle  gewesen,  in  subtilen  Tüchern  oder 
Leinwand  auffangen,  besonderlich  auf  den  guten  Kräu- 
tern und  Getreidig  oder  Weitzen,  weil  es  im  Schossen  noch 
stehet,  dass  man  die  Tücher  drüber  herziehe  und 
in  irdene  oder  gläserne  Gefäfs  aufswinde,  wel- 
che über  das  Jahr  zu  behalten  sind.  Dieser  Tau 
ist  unsers  Landes  Manna,  das  in  vielen  Krankheiten 
sehr  heilsam  und  zuträglich  ist')."  Gräter  bringt 
aus  einem  alten  Calendarium  die  Stelle  bei !  „Im  Majo  sollen 
die  Alchemisten  Reo-enwasser  in  o;rofse  steinerne  Krüo;e 
sammeln,  dass  sie  das  ganze  Jahr  durch  wann  sie  es 
bedürfen,  sich  behelfen  können.  Denn  es  ist  gezehlt  unter 
die  besten  Wasser,  die  man  in  der  Arzeney  gebrauchen 
kann-)."  Zu  Steinau  im  Hanauischen  sammelte  man  den 
Pfingsttau  auf  der  Pfingst wiese,  trank  denselben  und 
wusch  sich  damit,  weil  man  ihm  heilende  Wirkung  zu- 
schrieb ^).  In  Schweden  und  Island  badete  man  sich  in 
der  Johannisnacht  im  Tau  „Ut  morbi  corporis  miraculose 
sanentur^)."  In  England  glaubt  man  Anschwellungen  im 
Nacken  damit  vertreiben  zu  können,  dass  der  Kranke,  ist 
es  ein  Mann  auf  dem  Grabe  des  zuletzt  im  Kirchspiel  ver- 
storbenen Mädchens,  ist  es  ein  Weib  auf  dem  Grabe  des 
zuletzt  verstorbenen  Jünglings  am  !Morgen  des  ersten 
Maitages  vom  Kopf  bis  zum  Fufseude  den  Tau  auf- 
streicht und  damit  die  Geschwulst  befeuchtet*).  In  Laun- 
caston  hält  man  dafür,  dass  Kinder,  die  ein  schwaches 
Kreuz  haben,   dadurch  geheilt  werden  können,  wenn   man 


1)  Schnurr,     Calendarium    opconomicum    p.    174.     175.    bei    Praetorius, 
Blockesbergesverrichtung  559. 

2)  Idunna  und  Hermode   1812  Xo.  29. 

3)  Lyncker,  Hessische  Sagen  S.  248.   No.  329. 

4)  Lex.  myth.   672.  vgl.    1088. 

5)  Xotes  and  queries  II,  474. 


_    31 

sie  am  Morgen  des  ersten,   zweiten  oder  dritten  Maitages 
durch  das  taubenetzte  Gras  zieht  *). 

AVestendorp  erwähnt,  dass  man  sich  in  einigen  Gegen- 
den des  Reichs  am  Maimoro^en  in  lebendio;en  strömenden 
Gewässern  bade,  um  von  allen  Hautkrankheiten  zu  ge- 
nesen oder  dagegen  gesichert  zu  sein  ^j.  „Der  Mayenthau 
ist  grindichten  schabichten  Leuten  gesund,  wenn  sie  sich 
frühe  nackend  innen  weltzen,  oder  sonsten  damit  waschen 
und  bestreichen'^)."  Die  Rossmucken  (Sommersprossen) 
vergehen,  wenn  man  sie  im  Monat  Mai  mit  Tau  vom 
Roggen  wäscht*).  Junge  vor  Sonnenaufgang  gepflückte, 
also  betaute  Maiblumen  verhindern,  wenn  man  sie  ins 
Gesicht  reibt,  die  Sommersprossen  ^).  Wer  an  Walburgis 
vor  Sonnenaufgang  sein  Gesicht  mit  Tau  wäscht,  kann 
sich  die  Rossmucken  damit  vertreiben  ^).  Die  Sommer- 
sprossen sind,  wie  auch  ihr  Name,  Rossmucken  (Pferde- 
mücken) oder  Sommervögel'),  beweist,  entschieden  als 
böse  Elbe  gedacht,  welche  in  Gestalt  von  Insecten  dem 
Menschen  Krankheit  verursachen.  In  Pommerellen  heifst  das 
sonst  sogenannte  Elberdrötschjagen,  Trilpetritsch- 
jagen^)  „Rossmuckenjagen."  Um  Neujahr  wird  ein 
noch  Uneingeweihter,  den  man  zum  Besten  haben  will, 
Abends  mit  einem  geöffneten  Sack  vor  die  Treppe  gestellt, 
indess  die  Andern  mit  Schreien  und  Toben  durch  das  Haus 
laufen  und  sich  geberden,  als  wenn  sie  die  bösen  Geister 
aus  allen  Ecken  und  Winkeln  in  den  Sack  treiben  wollten. 
Endlich  giefst  Jemand  dem  Wartenden  einen  Eimer  Was- 
ser über  den  Kopf.    Die  Sommersprossen  sollen  vom  Ku- 


1)  Notes  and  queries  IT,   474. 

2)  Westendorp,   Over  het  gebruik  der  Noordsche  mythologie   275. 

3)  Gräter,  Idunna  und  Hermode  a.  a.  O. 

4)  Meier,  Schwäbisuhe  Sagen  509.  No.  405.  Liebrecht,  Gervasius  von 
Tilbury  S.  57. 

5)  Myth. '    CLVir,    1075. 

6j  Panzer,  Beitrag  zur  D.  Myth.  I,  259.  38.  Vgl.  Wenn  es  auf  ein  Kind 
regnet,  ehe  es  ein  Jalir  alt  wird,  bekonnnt  es  Kossnuicken,  a.  a.  O.  200,  70. 
vgl.  Meier  a.  a.  O.  509,  404.  Am  CharlVcitag  in  einem  fliefsenden  Wasser 
gebadet,  vertreibt  die  Krätze,  Panzer  a.  a.  O.   258,   36. 

7)  Meier,   Schwäbische  Sagen  509.   404. 

8)  Zeitschr.   f.   D.   Myth.   II,    19G.   III,    IIG. 


32 

kuk,  der  der  Vater  der  elbisclien  lusecten  ist'),  herrüh- 
ren ^j.  Thunar  steht  diesen  bösen  Eiben  feindhch  gegen- 
über. Das  von  ihm  an  seinem  Festtage  gespendete  Was- 
ser, der  Tau  diente  dazu  die  Eiben  zu  vertreiben.  Oder 
dachte  man  sich  auch  hier  den  Tau  als  himmlische  Milch? 
Wie  mit  Maitau  waschen  sich  unsere  Frauen  mit  Milch, 
um  eine  schöne  Gesichtsfarbe  zu  erzielen.  Auch  bei  Vieh- 
krankheiten wandte  man  den  Walburgistau  an.  Am 
zweiten  Mai  soll  man  vor  Sonnenaufgang  die  Hände 
im  Tau  reiben  und  dreimal  dabei  sprechen: 

Jetzt  wasch'  ich  meine  bände  in  walberntau, 
Das  gilt  fürs  gab,  fürs  bläh,  fürn  unflat  ^). 
Wenn  nun  ein  Stück  Vieh  im  Jahr  eine  dieser  Krankhei- 
ten bekommt,  darf  man  nur  die  Hände  dreimal  auf  dasselbe 
legen  und  es  auf  die  Wampe  schlagen.  Dabei  spricht  man; 
Ich  habe  meine  bände  gewaschen  in  walberntau, 
Das  hilft  fürs  gab,  fürs  bläh,  fürn  unflat. 
Von  den  Germanen  sind  die  zuletzt  genannten  Gebräuche 
mehrfach  zu  den  Romanen  übergegangen.  In  der  Norman- 
die  badet  man  am  Johannistage  im  Tau,  um  vor  der  Krätze 
und  andern  Hautkrankheiten  geschützt  zu  sein  *).  In  der 
Bretagne  badet  man  an  demselben  Tage  gegen  das  Fie- 
ber in  einem  betauten  Hafer felde^).  In  den  Pyrenäen 
geschieht  dasselbe,  doch  erwartet  man  hier  wieder  davon 
Genesung  von  Hautkrankheiten  •*).  Die  Synode  zu  Ferrara 
erliefs  1612  das  Verbot:  „Prohibemus  ac  vetamus,  ne  quis 
ea  nocte,  quae  diem  S.  Johaunis  Baptistae  nativitatis  sacrum 
praeit  filices  filicumve  semina  colligat,  herbas  cujusvis  ge- 
neris  legat,  succidat,  evellat,  earumque  vel  aliarum  semina 
terrae  mandet  neve  pannos  linneos  aut  laneos  nocturno 
aeri   aut  rori    excipiendo   exponat,    inani    superstitione 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  273. 

2)  Ebendas.  III,  246^. 

3)  Panzer,    Beitrag  II,    301.  Bläh  bedeutet  Geschirulst.     Das  Gah  ist 
die  auch   Gschoss  oder  Schlag  genannte  Krankheit. 

4)  De  Nore,  Coutumes  mythes  et  traditions  262. 

5)  De  Nore,  a.  a.  O.  231. 

6)  De  Nore,  a.  a.  0.   127. 


33 

ductus  fore,  ut  tineae  aliave  animalcula  ea  ne  attin- 
gant  aut  corrodant ')."  Liebrecht  bringt  auch  eine  Stelle 
aus  einem  portugiesischen  Gedicht  bei,  worin  der  Heilig- 
keit des  Johannistaus  Erwähnung  geschieht  ^).  Eine  Eigen- 
tümlichkeit der  romanischen  Gebräuche  besteht  darin,  dass 
sie  den  St.  Johannistag  für  den  ersten  Mai  setzen. 
Auch  in  Aegypten  herrscht  ein  den  vorher  angeführten 
Traditionen  ähnlicher  Glaube:  „The  nucta  or  miracu- 
lous  drop  falls  in  Egypt  precisely  on  St.  John's  daj  in 
June  and  is  supposed  to  have  the  eifect  of  stopping  the 
plague  ^).^ 

Wenn,  nach  den  vorhergehenden  Erörterungen  zu 
schliefsen,  Thunar  zu  den  Wolkenktihen  in  enger  Beziehung 
stand,  so  ist  es  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich,  dass 
er  sie  melkend  gedacht  wurde*).  Er  wird  dies,  wie  In- 
dra,  mit  seinem  Blitzharamer  getan  haben.      Dafür  spricht 


1)  Tit.  de  superstit.  etc.  No.  7.  Thiers,  Traite  des  superstitions  etc. 
132.  Bei  Liebrecht,  Gei-vasius  von  Tilbury  S.  230.  Den  Zusammenhang  die- 
ser Superstition  mit  der  vorhin  erläuterten  vom  Rossmuckenjagen  zeigt  die 
in  unserer  heutigen  Medicin  noch  gangbare  Benennung  einiger  Arten  des  Haut- 
ausschlages eczema  capitis,  exantliema  capitis,  tineae;  man  unterscheidet  ti- 
nea  granulata,  tinea  furfuracea,  tinea  amiantacea,  favosa,  lupina  u.  s.  w.  Die- 
ser Name  findet  auch  ohne  die  M^'thologie  seine  Erklärung  in  der  Aehnlich- 
keit  einer  abgelegten  und  vertrockneten  Mottenhaut  mit  dem  abgetrockneten 
Bläschen  des  Exanthems,  doch  darf  gefragt  werden,  ob  er  nicht,  in  hohes  Al- 
tertum zurückreichend,  auf  den  Glauben  an  die  Verursachung  der  Krankhei- 
ten, zumal  der  Hautkrankheiten,   durch  Elbe  in  Insectengestalt  zin-iickgehe. 

2)  Donna  Branca  ou  a  conquista  do  Algarve.  Paris  1826  c.  VI.  p.  176. 
Liebrecht,  Gervasius  v.  Tilbury  S.  57.    Liebrecht,  Hagens  Germania  VHI,  373. 

3)  Liebrecht,  Gervasius  a.  a.  0.  Nach  einer  Anmerkung  Thomas  Moo- 
i-es  zu  Lala  Rookh  (the  paradise  and  the  Peri). 

4)  Es  wird  keineswegs  zufällig  sein,  dass  beim  Maifest  in  einigen  Ge- 
genden Englands  grade  die  Milchmädchen  die  Hauptrolle  spielen.  Die 
schönsten  imter  ihnen  gehen  tanzend  und  in  Begleitung  ihrer  Genossinnen, 
eines  Dudelsackbläsers  und  eines  Fiedlers  in  ihrem  besten  Anzüge  von  Haus 
zu  Haus.  Auf  dem  Kopf  tragen  sie  eine  mit  blauen  Bändern  und  Blumen 
geschmückte  PjTamide  von  Silbergerät.  S.  Misson,  Travels  in  England  tians- 
lated  by  Ozell  307.  Brand  a.  a.  O.  I,  217.  Zu  London  tanzten  die  Milch- 
mädchen vor  den  Türen  ihrer  Kunden  mit  sil  bor  verzierten  Milchei- 
mern auf  dem  Kopf  (with  their  palls  dressed  up  with  plate).  British  Apollo 
1708  I,  No.  25.  Brand  a.  a.  0.  I,  247.  Diese  Tänze  geschahen  sogar  vor 
der  königlichen  Familie  in  St.  Jamcshousc.  Reed  weekly  Journal  1733.  Die 
Milclniiädcheu  führten  dabei  eine  Kuh  mit  vergoldeten  Hörnern  herum, 
die  sie  mit  verschiedenfarbigen  Bändern  in  Form  von  Bogen  und  Kosen  und 
mit  Kränzen  von    Eichenlaub    geschmückt    hatten.       Strutt   the    sports  and 


34 

die  Sitte,  das  Euter  der  Kuh  mit  dem  aus  dem  Blitz 
gefallenen  Donnerkeil  zu  bestreichen,  um  sie  milch- 
i'eich  zu  machen.  Auch  in  der  Vogelbeerrute,  mit  wel- 
cher am  ersten  Mai  die  Kuh  gequiekt  wiid,  erkannten  wir 
ein  Abbild  des  Donnerharamers ,  mit  dem  das  Euter  der 
Wolkenkuh  geschlagen  und  seine  Milch  zu  ergiefsen  ge- 
zwungen wird.  Eine  weitere  Spur  scheint  mir  in  Hexen- 
acten  erhalten.  Gewisse  Hexen  schlagen  nämlich  eine  Axt 
(d.  i.  die  spätere  Form  des  Hammers)  in  die  Türsäule 
und  melken  aus  dem  Axthelm  (d.  i.  dem  Axtstiel, 
Grimm,  D.  Wörterb.  1047).  Geiler  von  Keysersperg  hielt 
am  Freitag  nach  Mittfasten  15(^8  eine  Predigt  darüber: 
„Wie  das  die  Hexen  Milch  aus  einem  Axthelm  melken')." 
„Nun  wolan  du  fragest  zuerst,"  fäugt  er  an,  „was  sol  ich 
daruff  halten,  künnent  die  hexen  die  kue  verseihen  vnd  inen 
die  milch  nemen  das  sie  nicht  mer  milch  geben  vnd  kün- 
nen  sie  die  milch  aufs  einer  alen  oder  aufs  einer  axt- 
helm  melken?"      Geiler  bekennt   sich   dann   zu  der  von 


pastimes  of  the  people  of  England  Ide  ed.    358.     Auf  diesen  Umzug  bezieht 
sich  wohl  das  Kinderlied: 

Cushycow  bonny  let  down  thy  milk 
and  J  will  give  thee  a  gown  of  silk 
a  gown  of  silk  and  a  silvertee, 
if  thou  wilt  down  thy  milk  to  me. 
Halliwell  nursery   rhymes   83,  158.    Verhexte  Kühe  werden  in  Schottland  an 
geredet : 

Bonnie  ladye,  let  down  your  milk 

and  m  gie  yoii  a  goon  o  silk, 

a  goon  o  silk  and  a  ball  o  twine. 

bonnie  ladye  thy  milk's  no  mine. 
Chambers,  Pop.  rhymes  of  Scotland  S.  35.      Aehnlich    den    englischen  Milch- 
mädcheu  laufen  im  Unterinnthal  in  Tirol  die  jungen  Bursche  am  ersten  Mai 
im  Dorf  herum    mit   Kuhglocken   läutend.      Man   nennt    diese    Sitte    das 
Grasausleuten.     Zeitschr.  f.   D.  Myth.   III,  339. 

1)  Stöber,  Zur  Geschichte  des  Volksglaubens  im  Anfang  des  XVI.  Jahr- 
hunderts 62.  Geilers  Omeis.  Predigt  XVII.  Dabei  ist  ein  alter  Holzschnitt. 
Rechts  im  Vordergründe  vor  einer  Haustüre  prasselt  ein  gewaltiges  Feuer  aus 
einem  Kessel  oder  Topfe  empor  und  schlägt  an  einen  Pfosten  an;  in  diesen 
Pfosten  hat  eine  vor  einem  Kübel  knieende  Hexe  eine  Axt  geschlagen,  aus 
deren  Stiele  sie  Milch  zieht  zur  grofsen  Freude  und  Venvunderung  zweier 
neben  ihr  stehender  "Weiber.  Links  im  Hintergrunde  ist  eine  Kirche  nebst 
einem  Hause,  bei  welchem  eine  ganz  abgemagerte  Kuh  sichtbar  wird.  Zwi- 
schen der  Kirche  und  dem  Hause  fallen  aus  einer  Wetterwolke  Ha- 
gelsteine lierab. 


35 

Sj)renger  im  Malleus  maleficarum  aufgestellten  Auffassung, 
des  Vorgangs:  „Die  Hexen  stofsen  ein  Messer  in  die 
Wand,  nehmen  zwischen  die  Knie  einen  Milcheimer  und 
rufen  den  Teufel,  er  möchte  ihnen  von  der  Kuh,  die  die- 
sem oder  jenem  gehört,  die  Milch  verschaflfen.  Der  Teu- 
fel melkt  nun  geschwind  die  Kuh  und  bringt  der  Hexe  die 
Milch,  wo  es  dann  aussieht,  als  wenn  sie  dieselbe  aus  dem 
Messerstiel  herausziehe,  womit  der  Teufel  die  Hexe  nur 
täuscht,  der  die  Milch  durch  die  Luft  brachte')."  Eine 
Hexe  rühmt  bei  Hans  Sachs  ^) : 

Die  gschofs  kann  ich  segnen  und  heylen 
vnd  melcken  milch  aufs  der  thorseulen. 
Beispiele  ausBüdinger  Hexenprocessacten  bringt  Crecelius''): 
„1562  nimmt  eine  hexe  nachdem  sie  das  kraut  grofufsgen 
in  wein  genofsen  ,ein  axthelm',  dasselb  hab  sie  inn  jres 
bulen  namen  getzogen,  do  sey  aufser  dem  axthelm  milch 
von  der  khue,  uff  welche  sie  damals  jre  sin  vnd  gedancken 
geschlagen,  kommen,"  1596  ward  eine  Frau  beschuldigt 
„sie  solle  ein  karsthelm  jn  die  wandt  im  khuestall 
schlagen  vnd  daraus  jn  des  teuffels  namen  deren  leutt  khuen, 
auff  welche  sie  ihre  gedanken  habe,  melken."  —  Auf  die 
Hexen  war  mancher  Glaube  übergegangen,  der  sich  ursprüng- 
lich an  die  Elbe,  Thunars  Diener  und  diesen  selbst  knüpfte  *). 


1)  Uebersetzung  der  Stelle  ans  Euuemosev,  Geschichte  der  Magie  806. 

2)  Wunderliches  gesprech  van  fünf  vuholden.     Ausg.  von   Götz  II,   44. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  72. 

4)  Belgischer  Aberglaube  versichert  sogar  von  den  Hexen:  „Foudre  leur 
ob^it  et  se  met,  disent  les  campagnards,  ä  genoux  devant  elles."  Eman- 
cipation  1837  173.  Die  Stöcke  und  Besen,  auf  denen  die  Hexen  zum 
Blocksberg  reiten,  sind  wohl  Symbole  des  Blitzes  (vergl.  Zeitschr.  f.  D.  Myth. 
11,86.  111,390).  Dunuerbessem  ist  eine  ■wcstphälische  Verwünschung. 
Wie  die  Kuh  mit  dem  Vogelbeerzweig  gequiekt  wird,  werden  im  Lü- 
denscheidtschen  den  Kühen  am  ersten  Pfingsttage  weifse  Besen  mit 
weifsem  Stiel,  welche  mit  Stechpalmen  und  Eichenzweigen  ge- 
schmückt sind,  ans  Hörn  gebunden.  Nachdem  damit  das  Haus  gekehrt 
ist,  hängt  man  sie  im  Kuhstall  auf.  Diese  Sitte  bezieht  sich  auf  den  Aber- 
glauben, dass  die  trockenen  Kühe  die  Milch  in  den  Hörnern  haben. 
Woeste  a.a.O.  An  der  Mosel  stellt  man  am  Walpurgistage  Abends  zwei 
Besen  kreuzweis  auf,  ebenso  die  Feuerzange  und  Feuerschüppe. 
Die  Salbe,  mit  denen  diese  Stöcke  gesalbt  wurden,  bedeutet  die  himmlische 
Butter,  das  Regenwasser.  Wenigstens  spricht  dafür  die  Zusammensetzung  der 
Hexensalbe.      Nach  Voltaire  (Dict.  bist,   et  phil.)  besteht    sie  aus  Kuhmist 

3  * 


36 

Auch  der  Umstand,  dass  die  Axt  in  die  Torsäule  geschla- 
gen wurde,  weist  auf  Thunar  hin.  Denn,  wie  weiter  unten 
zu  besprechen  ist,  spielten  grade  die  Torsäulen  eine 
grofse  Rolle  in  Thors  Cultus. 

Endlich  darf  die  Mythe,  dass  Indra  an  der  Milch  der 
Kühe  sich  labte,  wiederum  in  Hexenacten  ihr  Gegenbild 
suchen.  In  einem  Process,  der  uns  umständlich  berichtet 
wird,  kehrt  mehremale  ^)  der  Zug  wieder,  dass  der  Teufel, 
der  sehr  oft  an  die  Stelle  des  Donnergottes  trat,  die  Hexe 
eine  Kuh  melken  heifst  und  dann  selbst  die  Milch  austrinkt. 
„Er  hätte  aus  dem  Melkstotze  gesoffen."  Erst  das 
Zusammentreflfen  aller  im  Vorhergehenden  nachgewiesenen 
Züge  macht  uns  gewiss,  dass  die  Germanen  dieselbe 
Vorstellung  vom  melkenden  Donnergott,  wie  die  vedischen 
Inder,  aus  der  Urzeit  gemeinsamen  Zusammenlebens  bewahr- 
ten. Fänden  sich  nur  einzelne  Züge,  so  bliebe  immerhin 
die  Möglichkeit  einer  späteren  selbständigen  Production  ein 
und  derselben  Auschauunof  aus  gleicher  Naturgrundlao-e  be- 
stehen ,  so  wie  z.  B.  die  arabischen  Dichter  ganz  analog 
der  indisch-germanischen  Darstellung  als  Kuh  die  lichten 
Wolken  (Schäfchen)  als  Karaeele  bezeichnen,  die  beim 
Regen  gemolken  werden. 

c)  In  einigen  Stellen  heifst  Indra  selbst  Stier-)  als  be- 
saamende  Kraft  ^) ,  weil  er  es  ist ,  der  aus  der  Wolke  als 
seinen  Saamen  Regen  ergiefst.  Er  heifst  in  dieser  Eigen- 
schaft Vrishan  der  Regnende  von  vrish  regnen.  Vrishan, 
vrisha  und  vrishabha  sind  wiederum  von  derselben  Wurzel 
abgeleitete  Wörter  für  Stier,  die  man  gewöhnlich  „semine 
irrigans"  erklärt,  „ihn  den  Indra  erstarken  wir  zu  den  ge- 
waltigen Vritra  Mord,  er  sei  der  Stier,  ein  wahrer  Stier. 
Du  o  Indra,   der  durch  Kraft  der  Stärke   und  der  Macht 


(bouse  de  vache)  und  Geisenhaar  (poil  de  chevre) ;  nach  Michelstädter 
Hexenacten  im  erbachschen  Archiv  (fasc  I,  71  —  Wolfs  Papiere)  aus  giftig 
Gallenkraut  mit  drei  gelben  Blättern  mit  blauen  Blumen  (vgl.  oben 
S.  2,  Anra.  5)  einem  ungetauften  Kinde  und  frischer  Butter. 

1)  Uhu    oder  Schatzgräbergeschichten.    Erfurt  1788  pact.  II,  82.  83.  9G. 

2)  Rigveda  Eosen  XXXII,  3. 

3J  Benfey,   Chrestomathia  Sanscr.  gloss.   178. 


___37 

entspross,  du  wahrlich  Stier,  du  bist  ein  Stier  ').''  „Wahr- 
haftig ja,  du  bist  der  Stier,  du  bist  der  stierstüraiische 
Hort!  denn  Stier,  o  wilder,  warst  du  fern  von  uns  genannt 
und  Stier  heilst  du  in  unsrer  Näh'  ^).  —  Vrisliapatni  den 
Stier  (Indra)  zum  Gemahl  habend  ist  ein  Beiwort  des  Was- 
sers, der  Wasserfrau  '')."  Mitunter  nimmt  Indra  auch  Kuh- 
gestalt an:  „Heute  flehe  ich  dich  an  als  eine  verehrungs- 
würdige Kuh,  eine  himmhsche,  die  uns  die  Flut  ihrer 
nahrungsreichen  Milch  sj)endet*)." 

ec)  In  Schwaben  und  Baiern  scheint  St.  Niclas  an 
Donars  Stelle  getreten  zu  sein.  Er  erscheint  in  der  Klöpf- 
leinsuacht,  klopft  am  Klausenabend  fürchterlich  an 
die  Türen  und  ist  in  Erbsen  st  roh  gehüllt,  das  Donar 
heilig  war  ^).  Die  Bauern  von  Irrsee  stellen  ihn  dar  als 
einen  in  eine  Kuhhaut  mit  Hörnern  gehüllten  Mann"). 


1)  Sämaveda  Benfey  I,  2.   1.  3.   5.  6. 

2)  Sämav.  I,   3.   2.   3.    1. 
3J  Sämav.  II,   2.   2.    18.   3. 

4)  Rigv.  Lauglois  V,  7.  5    10. 

5)  Ueber  die  Erbsen  als  Thunars  Festspeise,  s.  Kuhn,  Nordd.  Sagen. 
Gebr.   352;  Sag.  Anra.   13.   —   Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,    105. 

6J  Panzer  II,  117.  No.  85.  Hier  kann  ich  nicht  unterlassen,  eine  An- 
merkung einzuschalten.  Nicht  überall  sind  die  Kühe  Persorificationen  der 
Wolke,  sondern  auch  anderer  Naturerscheinungen  und  Wesen,  z.  B.  des  Lichts 
und  der  Erde.  Die  Symbole  des  Lichts,  der  Wolke  und  der  Erde  sind  über- 
haupt fast  immer  die  nämlichen.  1)  Das  Schiff  ist  gewöhnlich  Bild  der 
Wolken.  Diese  heifscn  in  den  Vedenliedena  Schifte  des  himmlischen  Meeres 
und  ihre  Wasser  ,,Nävyäh  die  zum  Schiffe  gehörigen"  =  Kaicci,  JVtjuc^ 
Quell-  ursprünglich  Wolkengöttin  ( vergl.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf. 
I,  536).  Athene  ist  als  Wolkengöttin  und  Besitzerin  des  Iiimmlisclien  Schifis, 
Schützerin  der  Seefahrt.  Lauer,  System  der  griech.  Myth.  155.  357.  Dem 
Skandinavier  hiefs  Vindllot  (navigium  venti)  die  Wolke;  als  Schiff  der  ho- 
hen Göttinnen  bei  den  Germanen  weist  sie  Schade,  Ursuhisagc  71  fgg.,  nach. 
Wenn  aber  Herakles  in  einem  vom  Apollon  entliehenen  Goldbeclier  mit 
den  Rindern  des  Geryön  über  das  Meer  setzt,  so  ist  darunter  der  Sonnenball 
zu  verstehen.  Ebenso  muss  das  Schiff,  dessen  sich  die  indischen  A^vinau,  die 
Personificationen  der  beiden  ersten  Lichtstrahlen  des  Morgens,  wie  die  ihnen 
entsprechenden  griechischen  Diosküren  bedienen,  um  dem  Jleerfahrer  zu  Hilfe 
zu  eilen,  Symbol  der  Lichtstrahlen  sein.  Im  deutsclicn  Mythus  begegnet  das 
Boot,  auf  welcliem  Skeäf  der  Sonnengott  (MüUcnhüff,  Zeitsclir.  f.  D.  Altert. 
VII,  418  fgg.)  von  Osten  nach  Westen  über  das  Meer  fahrt.  Freys  Schiff 
Ski'Sbladnir  könnte  aucli  die  "Wolke  bedeuten.  Nach  Dappcr,  Asia  et  Arabia 
p.  143,  ghiubtcn  die  Sabcer,  die  Sonne  fahre  in  einem  Schiff,  worin  statt  des 
Mastbaums  ein  Kreuz  sich  befinde.  Denselben  Glauben  hegten  sie  vom  Mond. 
Ein  Engel  war  zum  Wäcliter  über  die  Fahrt  der  Gestirne  gesetzt.  2)  Rosse 
sind  die  Wolken   in  vielen  Sagen.      Saraivyu,   die  in  ein  Ross  verwandelte  Gc- 


38_ 

d)  Indra's  Begleiter  sind  die  Maruts  und  Ribhus.  Die 
Maruts  sind  Personificationen  der  Sturmwinde.  Sie  heifsen 
Söhne  der  Pripni  und  des  Rudra,  der  ebenso  wie  Indra  von 


witterwolke,  entspricht  der  von  Poseidon  als  Stute  umarmten  Demeter  Erinys 
(Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  452).  Das  Pferd  hiefs  den  späteren 
Indern  Cribhrätri,  Bruder  der  Cri  (Lakshmi),  weil  es  gleich  ihr  aus  den  Mee- 
reswellen, d.  i.  dem  Wolkenmeer,  kam.  Pott,  Etymol.  Forsch.  II,  407.  Myth.^ 
1221.  Daher  berühren  sich  Eoss  und  Schiff.  Schon  Odyss.  XIII,  81  wird 
das  schnellsegelnde  Schiff  der  Phaiakeu  einem  Viergespann  von  Hengsten  ver- 
gliclien,  welche,  von  der  Geifsel  getrieben,  ihren  Weg  in  gröfster  Eile  vollen- 
den. Ueber  das  Ross  als  Symbol  der  Wogen  vergl.  Gerhard,  Griech.  Myth. 
I,  19.  §.  40,  7.  In  der  nordischen  Skäldensprache  heifst  das  Schiff  der  Wel- 
len Ross,  wie  nicht  minder  dafür  den  Angelsachsen  die  Ausdrücke  merehen- 
gest,  sifiheugest,  vaeghengest,  fearodhengest,  saimearh,  zu  Gebote  standen. 
Odhinn  der  Sturmgott  reitet  auf  seinem  Ross  Sleipnir,  der  eiligen  Wolke.  Die 
Rosse  der  Valkyreu,  von  deren  Mähnen  der  Tau  in  die  Täler  fällt,  sind  eben- 
falls Wolken.  Andererseits  wird  in  den  Veden  die  Sonne  häufig  als  Ross  ge- 
dacht. Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV,  119.  Indras  falbes  Ross  be- 
deutet die  Tageshelle  oder  den  Blitz;  der  A9vinen  weifse  Pferde,  wie  das  des 
Agni  Lichtstrahlen.  Im  Mahabhärata  wird  erzählt ,  dass  Aurva  seine  Zomes- 
flamme  ins  Meer  entlud,  damit  die  Welt  nicht  zu  Gnmde  gehe  und  dass  diese 
Flamme  sich  in  ein  Rosshaupt  verwandelte,  das  noch  im  Meere  weilt. 
Lassen,  Indische  Altertumsk.  I,  765  Anm.  Das  Ross  Chrysaor  bei  den  Grie- 
chen ist  Personification  des  Blitzes.  Selene  fährt  Ovid  fast.  V,  16.  mit  zwei  wei- 
fsen  Rossen.  Alsvigr  und  Arvakr  sind  germanische  Sonnenrosse,  wohin  auch 
die  heiligen  Rosse  des  Freyr  zu  rechnen  sein  werden.  3)  Der  Schwan  ist 
das  Bild  der  Wolke  in  der  ValkjTeusage,  wie  bereits  Stuhr,  Nordische  Altei-- 
tümer  S.  99,  richtig  erkannte.  Apollöns  Schwan  war  nach  Preller,  Griecli. 
Mythol.  I,  159,  die  schimmernde  Wolke,  welche  vor  dem  Sonnengott  herzieht. 
Ueber  den  Sch\van  als  hellenisches  Sj'uibol  der  Wolke  s.  auch  Lauer,  System 
155.  176.  Die  Veden  kennen  einen  Vogel  Garudha  mit  schönen  goldenen 
Flügeln,  den  mau  am  Himmel  fliegen  sah  als  Boten  des  Varuna  (Uranos). 
„Ein  hoher  Gandhar^-a  stand  über  dem  Himmel,  buntfarbige  Waffen  tragend. 
Den  duftenden  glänzenden  Saft  anziehend  gebar  er  die  geliebten  Gewässer. 
Wenn  er  Tropfen  ausgiefsend,  mit  dem  Blicke  des  Geiers  in  der  Luft 
umherschauend  zum  Meere  geht,  wirkt  die  Sonne  in  reinem  Lichte  glänzend 
im  dritten  Luftgebiete.  (Sämaveda  II,  11,  1,  13.  p.  160;  Stephenson  p.  278). 
Nach  Lassen,  Ind.  Altertumsk.  I,  787  ist  der  Garudha  das  der  Sonne  voran- 
eilende Gewölk.  Diese  Deutung  scheinen  die  Namen  des  Vogels  Vajratunga 
und  Vajrajit  (Donnerkeilseroberer)  und  die  daran  sich  knüpfenden  Sagen  zu 
bestätigen.  In  der  epischen  Sage  der  Inder  befinden  sich  die  Garudhas  in 
beständigem  Kampf  mit  den  Schlangengeistem  (vergl.  Sömadeva  übers,  von 
Brockhaus  II,  S.  99  fgg.).  Wie  Lassen  a.  a.  0.  nachgewiesen  hat,  rührt  diese 
Feindschaft  daher,  dass  der  Garudha  als  Vogel  des  Indra,  wie  dieser  den 
Schlangendämon  Ahi  und  seine  Sippe  bekämpft  ( s.  darüber  unten  unter  e. 
und  eej.  Roth  dagegen  will  den  Garudha  als  Symbol  der  Sonnenkugel  be- 
trachtet wissen  (Nirukta  107),  wofür  sprechen  würde,  dass  in  der  Hindureli- 
gion der  Garudha  das  Reitpferd  des  Vishnu,  eines  ursprünglichen  Sonnengot- 
tes ist  (s.  Pattcrson,  Of  the  origiu  of  the  Hindureligion.  Asiatic  researches 
VIII.  1808  S.  48).  Auch  ward  der  Garudha  mit  dem  Göttervogel,  ,,dem 
Asuratöter,    dem    Indrafreund"  Tärkya   identifizirt.      Früher    dachte   man  sich 


39 

ihnen  besfleitet  wird.  Man  dachte  sie  sich  reich  mit  ^ol- 
denen  Armspangen,  hellen  WaiSPen  und  leuchtenden  Panzern 
geschmückt  auf  rehbespannten  Wagen  durch  die  Luft  fah- 


diescs  mythische  Wesen,  eine  Personification  der  Sonne,  in  Rossgestalt.  Roth, 
Nirukta  142.  In  vielen  Vedenstellen  heifst  die  Sonne  Schwan  (vgl.  Kuhn, 
Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  V,  120)  hansa,  oft  unbestimmt  Vogel  (patanga), 
sehr  häufig  aber  auch  Geier  oder  Falke  (Weber,  Indische  Literaturgesch. 
195),  was  auf  den  Gedanken  führen  könnte,  dass  das  Falkeukleid  (fjagrharar, 
valshamr)  Frevjas,  der  Schwester  des  Sonnengottes  Freyr,  hiemit  in  Verbin- 
dung stehe.  Aeschylos  nennt  Suppl.  213  die  Sonne  Zrjvn^  öoiti'.  Wiederum 
ergiebt  die  mythische  Stammtafel,  Fornaldarsög.  II,  7  : 
Sol  (Sonne)  _  Dagr  (Tag) 
Svanhilldr  Gullfjögr  (Schwanhild  Goldfeder) 

Svanr  hinn  RauQi  (Schwan  der  Rote) 
die  Auffassung  des  Schwans  als  Sonnenstrahl.  Nach  Saxos  Bericht  (ed.  P.  E. 
Müller  I,  41)  erobert  Hading  (Njör'ör)  die  Stadt  Duna,  indem  er  durch  Vo- 
gelsteller allerlei  Vögel,  die  in  der  Stadt  nisteten,  einfangen  und  ihnen  glim- 
mende Erdschwämme  unter  das  Gefieder  binden,  sie  so  zurückfliegen  und 
die  Stadt  anzünden  lässt.  Dieselbe  Sage  erzählt  Saxo  von  FriSlef  in  Bezug 
auf  Duflyn  (Dublin).  Jedenfalls  durch  Normannen  ist  diese  Uuberlieferung 
auch  zu  den  Kelten  gekommen.  König  Gormund  belagert  Caredig  von  Bri- 
tannien in  der  Stadt  Caer-Vyddin  (Cirencester  zwischen  Oxford  und  Bristol) 
und  erobert  sie,  indem  er  eine  grofse  Anzahl  Sperlinge  einfängt  und  ihnen 
mit  Pech  und  Schwefel  gefüllte  Nussschalen  unter  die  Flügel  bindet.  Die 
Sperlinge  fliegen  in  die  Stadt  zurück;  das  Feuer  in  den  Schalen  wird  durch 
die  Bewegung  angefacht  und  am  nächsten  Tage  steht  Caer-Vyddin  in  Flam- 
men (Brut  Tysylio.  San  Marte  Gotfried  v.  Monmouth  S.  440.  Girald  Cambr. 
topogr.  Hibern  dist.  3.  c.  39,  40).  Snorri  schreibt  dieselbe  Kriegslist  Haralldr 
Haidraöi  zu,  der  mit  einigen  Warägern  im  Dienste  des  byzantinischen  Hofes 
eine  Stadt  in  Sicilien  belagert.  Er  lässt  den  Vögeln  mit  Wachs  und  Schwe- 
fel bestrichene  Kienspäne  auf  den  Rücken  binden.  Unzweifelhaft  sind  Wa- 
räger auch  die  Urheber  der  von  Nestor  erzählten  Sage,  dass  die  russische 
Fürstin  Olga  der  Stadt  der  Drewier  Korosten  (Iskorost  a.  d.  Usha  in  Volhy- 
nien),  die  sie  lange  vergeblich  belagert  hatte,  gegen  die  Abgabe  einer  Taube 
und  dreier  Sperlinge  von  jedem  Hof,  Frieden  verspricht.  Sie  wolle  die  Vö- 
gel auf  dem  Grabe  ihres  von  den  Drewiern  getöteten  Gemahles  opfern.  Der 
Tribut  kommt  ein.  Da  wird  jedem  Sperling  und  jeder  Taube  in  einem  klei- 
nen Tuch  Schwefel  und  Feuer  angebunden.-  Sie  fliegen  in  ihre  Nester  zurück 
und  zünden  die  Häuser  an.  E.  Pabst,  der  (Bunte  Bilder,  d.  i.  Geschicliten, 
Sagen  und  sonstige  Denkwürdigkeiten  Ehstlands,  Livlands  und  Kurlands.  Rc- 
val  1856  I,  S.  10  —  19)  diese  Sagen  bespricht,  stellt  daselbst  S.  10  Anm.  die 
nicht  unwahrscheinliche  Vermutung  auf:  ,,Die  feuertragenden  Vögel 
sind  die  Sonnenstrahlen,  die  dem  Regime nte  des  Winters  ein 
Ende  machen."  Fri'ölef  ist  Hypostase  Freys  des  Sonnengottes,  Ha- 
ding ein  anderer  Name  für  dessen  Vater  Njörör.  Als  fliegender  Vogel 
erscheint  die  Sonne  in  dem  Zs.  f.  D.  Myth.  III,  S.  19.  129  besprochenen  altger- 
nianisclien  Rätsel:  ,,Es  flog  ein  Vogel  federlos  u.  s.  w."  Audi  den  Finnen  flog 
die  Sonne.  Lemminkainens  Mutter  will  die  im  Tuonifluss  zerstreuten  Stücke  ih- 
res Sohnes  zusammenharken.  Sie  bittet  die  Sonne,  mit  ihren  Strahlen  das 
Volk  von  Tuonela  einzuschläfern: 

Die  von  Gott  geschaffne  Sonne, 

Die  lier vorgebracht  der  Schöpfer. 


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ren.  Sie  lassen  lauten  Gesang,  das  Sturmgebraus  ertönen, 
wobei  Himmel  und  Erde  erbeben ,  die  Berge  zittern ,  die 
Bäume  stürzen  und  die  Wolken  zerstieben. 


Flog,  wie  ohne  Kopf  ein  Hühnchen, 

Wie  ein  Vogel  ohne  Flügel. 

Flog  zur  Hölung  einer  Birke, 

Auf  die  Krümmung  einer  Erle; 

Scheint  ein  Weilchen  voller  Hitze, 

Scheint  ein  zweites,   dass  man  schwitzet. 

Scheint  ein  drittes  voller  Schärfe, 

Schläfert  ein  das  Volk  Manalas. 

Schwebend  fliegt  sie  drauf  von  dannen. 

Fliegt  hinauf  zum  höchsten  Himmel, 

An  die  alte  Stätte  wieder. 

An  die  längst  gekannte  Stelle. 
Kalevala  R.  XV,   222  fgg.  Wainämoinen  spricht  zu  Sonne  und  Mond,   als  sie 
aus  der  Gefangenschaft  in  Pohjola  befreit  sind: 

Frei  bist  Goldmond,  du,   des  Felsens, 

Frei  o  Sonne  du  geworden. 

Gleich  dem  gold'nen  Kukuksvogel, 

Gleich  der  sanften  Silbertaube 

Stiegt  ihr  zu  den  frühern  Sitzen, 

Fandet  ihr  die  frühern  Bahnen. 
Kalevala  R.  XLIX,  407  fgg.  Bei  den  americanischen  Rothäuten  erscheint  der 
grofse  Geist  Kitschi  Manitu  in  Gestalt  eines  Vogels;  blickt  er  spähend  um- 
her, so  entsteht  der  Donner.  Müller,  Americanische  Urreligionen  S.  120.  Die 
Hundsrippeniudiauer  und  die  Chepewyans  lassen  die  Erde  ursprünglich  mit 
Wasser  bedeckt  sein.  Kein  lebendiges  Wesen  gab  es  aufser  einem  gewaltigen 
Vogel,  dessen  Blick  Blitz,  dessen  Flügelschlag  Donner  war.  Einst  tauchte 
derselbe  ins  Wasser  hinab  und  holte  die  Erde  hervor.  Klemm,  Kulturge- 
schichte H,  155.  160.  Nach  der  Fassung  dieses  Mj-thus  bei  den  Mönitaris 
hatte  der  Vogel  ein  rotes  Auge,  was  wohl  auf  die  Sonne  weist.  M.  v.  Wied, 
Americanische  Reise  Coblenz  1839 — 41  II,  221.  Auch  die  Karaiben  stellen 
sich  ihren  Donnergott  Sawaku  als  einen  Vogel  vor,  der  —  echt  karaibisch  — 
den  Blitz  dadurch  veranlasst,  dass  er  durch  ein  gi-ofses  Rohr  Feuer  anbläst. 
De  la  Borde,  Nouveau  voyage  aux  iles  de  l'Amerique,  übers,  von  Fr.  Schade 
I,  Anh.  385.  388.  Müller,  American.  Un-eligion  222.  Vergl.  Aehuliches  von 
den  Brasilianern,  Müller  a.  a.  O.  271.  —  Bei  den  Deutschen  erscheint  auch 
die  Erde  als  Vogel.  Myth.'*  635.  4)  Ebenso  oft  wie  als  Wolken  werden 
die  Rinder  des  Indra  von  indischen  Commeutatoren  als  Sonnenstrahlen  er- 
klärt. Siehe  auch  schon  Rigv.  Langl.  II.  4,  6,  5.  „Mit  derselben  Kraft  die 
dich  beschwingt,  Indra,  zu  erheben  die  ewigen  Morgenröten,  die  preislichen 
Kühe."  Auch  der  Blitz  wird  mit  der  Kuh  verglichen.  Rigv.  Rosen  XXXVIII, 
8.  Des  Helios  Heerde  auf  Thrinakia,  welche  die  glänzenden  Nymphen  Phae- 
thüsa  und  Lanipetie,  Neairas  Töchter  vom  Helios,  hüten ;  die  Sonneuheerdeu 
auf  Tainaron  iu  Elis  und  der  korinthischen  Kolonie  Apolloniä  sind  Bilder 
von  Lichtstrahlen.  Preller  a.  a.  O.  I,  292.  Selenes  Wagen  ziehen  weifse 
Kühe  (Nitidos  stupefaeta  juveucos  Luna  premit.  vergl.  Auson  ep.  V,  1.  Nitsch, 
WB.  II,  165).  16  wird  als  die  am  Himmel  wandelnde  Mondgöttin  ge- 
fasst.  Preller  a.  a.  O.  II,  27.  Den  die  Europe  raubenden  Zeus  erklärt  Prel- 
ler a.  a.  0.  II,  79  als  Sonnen  stier,  Euröpe,  bei  der  schon  J.  Grimm,  Myth.' 


Ihre  Schar  ergänzt  sich  aus  den  Geistern  der  Ge- 
storbenen (Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV,  102).  Die 
Ribhus  sind  ihnen  nahe  verwandt,  ebenfalls  Geister  selig 
verstorbener  Menschen,  deren  Naturelement  vorzüglich  das 
Gebiet  der  Sonnenstrahlen  und  des  Blitzes  zu  sein  scheint. 
Sie  stehen  zu  Indra  in  fast  ebenso  nahem  Verhältnis  wie 
die  Maruts.  Andererseits  preist  man  sie  als  bedeutende 
Schmiedekünstler,  welche  den  Göttern  wunderbare  Kleinode, 
z.  B.  Indra  den  Donnerkeil  verfertigt  haben.  Als  solche 
stehen  sie  unter  der  Herrschaft  des  Tvashtri  und  sind  seine 
Gesellen.  Himmlische  Geister  von  der  Art  der  der  Ma- 
ruts und  Ilibhus,  Seelen  frommer  Menschen  sind  auch  die 
Angirasen,  welche  sich  von  jenen  hauptsächlich  dadurch 
unterscheiden,  dess  sie  zu  Agni  gesellt,  ihre  Tätigkeit  vor- 


314,  Kuhgestalt  annahm  als  Mondgöttin  =  16.  Die  Untersuchung  ist  noch 
nicht  abgeschlossen.  Es  wird  bei  ihrer  weiteren  Fortsetzung  in  Betracht  zu 
ziehen  sein,  dass  Here  bei  Hesych  s.  v.  Euröpiä  heifst.  Auch  Demeter  führt 
bei  Pausan.  IX,  39,  4.  den  Namen  Europe  und  J.  Grimm  machte  bereits 
Mji;h.'*  631  darauf  aufmerksam,  dass  der  Name  Europe  an  iv^ila  das  Bei- 
wort der  Erde  erinnert.  Das  indische  Epos  kennt  eine  Sage,  wonach  Dyaus, 
der  griechische  Zeus  die  Kuh  des  Ueberflusses  Nandini,  unsere  Wolkenkuh 
raubt.  Holtziuaun,  Indische  Sagen  III,  100  fgg.  —  Ein  Goldstier  (GuUin- 
horni) ,  nach  Freys  Opferfarren  selbst  FrejT  genannt,  ist  S3mibol  des  germa- 
nischen Sonnengottes.  Ein  Stierhaupt  von  Gold  fand  sich  im  Grabe  Childe- 
richs  zu  Doomyk.  Es  trug  auf  der  Stirn  das  Sonnenrad  mit  9  Speichen. 
Auf  die  Sonne  bezüglich  waren  unzweifelhaft  auch  die  Kälber  und  Hir- 
sche, in  welche  sich  die  Burgunden  am  Neujahrstage  vennummten.  Mone, 
Geschichte  des  Heidentums  II,  167.  lu  dieser  Weise  ist  auch  wol  die  rote 
Kuh,  welche  in  Holdas  Brunnenreich,  der  Wolke  (s.  weiter  unten)  oder  dem 
Himmelsmeer  gemolken  sein  will  KIIM.  III.-  42.  Panzer,  Beitr.  I,  190.  No. 
210.  Keynitsch,  Truhten  und  Truhtensteine  128  fgg.,  so  Mde  die  rote  Kuh, 
welche  beim  Weltuntergange  über  die  Seelenbrücke,  d.  i.  die  Milclistrafse 
Kaupat  oder  den  Regenbogen  geführt  werden  soll  (Müllenhoff,  Schleswig- 
holst. Sagen  509.  Menzel,  Odin  11.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  497)  als  Blitz 
aufzufassen.  In  Indien  war  die  Kuh  auch  Symbol  der  Erde.  Als  Kuh  ge- 
staltet klagte  sie  nach  dem  Rämäyana  den  Göttern  ihr  Leid,  als  der  hundert- 
köprige  Riese  Rävana  von  Lanka  (Ceylon)  aus  die  Welt  bezwungen  hatte 
und  weder  Mensch  noch  Gott  Hilfe  zu  schaffen  vermochte.  Aus  dieser  Kuh- 
gestalt der  Erde  erwuchs  die  Wunschkuh  (^avalä,  Kämaduh,  Kämada,  Käma- 
dughä,  Surabhi  (Bopp,  Conjugationssystem  167.  Pott,  Zeitschr.  f.  vergl. 
Sprachf.  IV,  427).  Ueber  die  Berührungen  von  yjj  imd  skr.  gö  s.  Myth.'^ 
631.  Auch  bei  den  Germanen  finden  sich  Spuren  einer  ähnlichen  Vorstellung. 
J.  Grimm  hält  Myth.^  631  die  Erdgöttin  Kindr  mit  rinta  cortex  und  rind 
arnientum,  sowie  der  Urkuli  Audhumbla  zusammen.  Analog  sagen  die  Tür- 
ken, die  Welt  ruhe  auf  einem  Ochsen.  Joh.  Andr.  Büttner,  Turca  religiosus 
p.  171. 


42 

züglich  im  Element  des  Feuers  (ursprünglich  des  Gewit- 
terfeuers) offenbaren.  Von  den  Maruts  heifst  es  nun  an 
mehreren  Stellen,  dass  sie  die  himmlischen  Wolkenkühe 
melken.  „Die  Maruts  ergiefsen  das  Regenwasser,  Butter 
giefsen  sie  aus,  wie  opferbereite  Priester,  rossschnell  lehren 
sie  die  Wolke  regnen,  sie  melken  die  Donnerwolke 
die  unverkürzte  ')."  »Der  Blitz  lacht,  wenn  er  die  Ma- 
ruts die  Butter  der  Ge wölke  über  die  Erde  ergiefsen 
sieht-)."  Den  Angirasen  wird  der  Besitz  der  Wolken- 
kühe in  mehreren  indischen  Sagen  zugeschrieben^).  Von 
den  Ribhus  heifst  es,  sie  hätten  die  himmhsche  Kuh  ge- 
macht. Ein  Hymnus  erzählt,  dass  die  Ribhus  von  Agni 
zum  Opfer  der  Götter  (Devas)  herbeigerufen  und  aufgefordert 
werden,  dem  Indra  sein  falbes  Blitzross,  den  Apvins  einen 
Wagen  zu  schmieden,  die  getötete  Opferkuh  wieder 
ins  Leben  zurückzurufen,  und  zweien  Greisen  die  Jugend 
wiederzusreben,  Sie  tun  dies  und  nun  erhebt  sich  ein  Preis- 
gesans  zu  ihren  Ehren.  „Aus  der  Haut  habt  ihr  die  Kuh 
hervorgehen  lassen  durch  eure  Lieder,  die  Alternden  habt 
ihr  jung  gemacht,  o  Söhne  des  Sudhanvän,  aus  einem  Rosse 
machtet  ihr  ein  (anderes)  Ross  ■*)."  Auf  diese  Tat  beziehen 
sich  mehrere  Gesänge,  z.  B.  Rigv.  Langl.  f.  L  1.  VII,  5.  8: 
„Ribhus  mit  der  Haut  habt  ihr  die  Kuh  umklei- 
det und  mit  dem  Kalbe  die  Mutter  wieder  verbunden, 
Söhne  des  Sudhanvän,  den  greisen  Vätern  habt  ihr  die  Ju- 
gend wiedergegeben."  In  einer  Hymne  des  Vamadeva  wird 
die  Belebung  als  jährlicher  Vorgang  geschildert:  „Weil  die 
Ribhus  ein  Jahr  die  Kuh  behüteten,  weil  sie  jedes  Jahr 
die  Kuh  bildeten,  weil  sie  jedes  Jahr  ihr  Glanz  verliehen, 
haben  sie  die  Unsterblichkeit  erlangt  ^)." 

Ich  kann  mich  nicht  mit  Neve  einverstanden  erklären, 
wenn  er  meint,  dass  die  hierin  ausgesprochene  Anschauung 


1)  Rig%-.  Roseu  LXIV,   6. 

2)  Rigv.  Langlois  s.  II.  1.  IV,  h.  3,    8. 

3)  Rosen  Rigv.  pag.  XXI. 

4)  Rigv.   Langl.   s.  II,  1.  III,  h.  IV. 

5)  Rigv.   Iir.   7.    1.   4. 


43    _ 

nichts  als  dichterische  Vervielfältigung  einer  einmal  gesche- 
henen Tatsache  sei  ^) ,  mir  scheint  vielmehr  dieser  Mythe 
die  Erneuermig  der  durch  anhaltenden  Regen  im  Winter 
aufo-ezehrten  Wolke  zu  Grunde  zu  liegen.  Diese  Deutuno; 
wird  auf  das  erwünschteste  durch  die  Wahrnehmung  be- 
stätigt, dass  in  den  Veden  sehr  häufig  die  Wolke  als  Zot- 
te n  fe  1 1  aufgefasst  wurde  -),  Ein  kleines  am  Himmel  übrig 
gebliebenes  Wölkchen  (die  Haut  der  Kuh)  wird  durch  die 
Gunst  der  Ribhus  zur  ganzen,  Fruchtbarkeit  spendenden 
Regenwolke  wieder  erneut.  —  Wie  Indra  werden  die  Ribhus 
auch  angerufen,  eine  Kuh  mit  weifser  Milch  zu  spenden  ^). 
Unter  ihren  Wundertaten  wird  auch  aufgezählt,  dass  sie 
aus  einem  Rosse  ein  ganz  ähnliches  hervorgebracht  haben  "*). 
Grade  wie  den  Ribhus  verjüngende  und  belebende  Kraft 
beiwohnt,  steht  sie  auch  Indra  zu:  „Auch  hast  du  geheilt, 
o  Vritrasieger,  zwei  Unglückliche,  einen  Blinden  und 
einen  Lahmen.  Eine  gleiche  Gunst  wird  dem  zu  Teil, 
der  dich  preist  ^)  " 

dd)  Wenn  im  vedischen  Glauben  die  Ribhus  und  Ma- 
ruts  bereits  getrennte,  obschon  verwandte  Geisterscharen 
bilden,  so  zeigen  reichliche  Spuren,  die  sich  im  vedischen 
Mythus  erhalten  haben,  dass  nicht  allein  sie  sondern  auch 
noch  eine  dritte  Klasse  von  seligen  Geistern  die  Pitris  (Pa- 
tres, Väter),  die  Seelen  der  frommen  Voreltern  ursprüng- 
lich eine  und  dieselbe  Geisterschar  bildeten  und  die  sehs 
Verstorbenen  überhaupt  bezeichneten,  welche  man  sich  in 
allem  Leben  der  Natur  als  Elementargeister  tätig  dachte "). 
Von  ihnen  bildeten  die  Angirasen,  welche  Weber  als  die 
Geister   der   gemeinsamen   iudo- persischen  Vorväter  nach- 


1)  Neve,  Essai  sur  le  raythe  des  Ribhavas.  Paris  1847  S.  190.  Anin. 
2;   272   fgg. 

2)  Zeitschr.  f.  vergl.   Sprachf.  V,    146. 

3)  S.  d.  Hymne  des  Vamadeva  v.  1.  Ich  schicke  mein  Lied  zu  den  Ri- 
bhus empor,  wie  einen  Boten,  ich  flehe  sie  an  um  eine  Kuh  mit  weil'ser  Milch 
beim  Ausbreiten  der  Opferstreu. 

4)  Ni3vc,  Essai  272. 

5)  Rigv.  Lang.  s.  III,  l.  VI,   h.  12.  19. 

f>)  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  .Sprachf.  IV,    102  fgg.,  besonders  S.  115. 


44 

wies  '),  nur  eine  besondere  Abteilung.  Sie  hatten  ihren  Sitz 
in  einem  hoch  über  dem  Wolkenhimmel  gelegenen  Licht- 
lande, das  durch  den  Luftstrom  und  das  Wolkengewässer 
von  der  irdischen  Welt  geschieden  ist.  Deshalb  erschien 
nach  anderer  Auffassung  auch  das  Wolkenmeer  als  der 
Wohnsitz  und  der  Schauplatz  ihrer  Tätigkeit.  Erst  spä- 
ter trat  eine  Sonderung  und  Scheidung  zwischen  diesen 
Geisterscharen  ein  nach  der  besonderen  elementaren  Func- 
tion, welche  man  einzelnen  Gruppen  derselben  zuwies.  Im 
griechischen  und  germanischen  Mythus  sind  nun  diese  Gei- 
ster ebenfalls  nachweisbar;  sie  führen  denselben  Namen  wie 
die  vedischen,  ihre  Verrichtungen  aber  sind,  zum  Beweis 
für  ihre  einstige  Identität,  häufig  unter  einander  vertauscht, 
so  dass  z.  B.  diejenigen  Taten,  welche  der  Inder  den  Ma- 
ruts  zuschreibt,  bei  den  Germanen  den  den  Ribhus  entspre- 
chenden Geistern  zukommen  und  umgekehrt.  Der  Name 
der  Maruts,  von  mr,  mar,  zermalmen  gebildet,  bedeutet  die 
Zermalmenden  oder  die  Austrocknenden.  In  der  deut- 
schen Sage  entsprechen  den  Maruts  einmal  die  Geister  der 
Gestorbenen,  welche  im  wütenden  Heer,  oder  der  wil- 
den Jagd  mit  Wodan  einherfahren ^) ;  Wodan  selbst  ist 
dem  indischen  Sturmgotte  Rudra  wesensgleich,  der  als  der 
Vater  der  Maruts  genannt  wird  und  mit  ihnen,  wie  Wo- 
dan mit  dem  wütenden  Heer  durch  die  Luft  daherfiihrt, 
unbeschadet  ihrer  auf  der  andern  Seite  feststehenden  Ver- 
bindung mit  Indra  ^).  Gleich  dem  Zuge  der  Maruts  be- 
steht das  wütende  Heer  aus  Seelen,  die  in  der  Luft  daher- 
fahren,  eine  wunderbare  Musik  ertönt  aus  ihrer  Mitte, 
das  Sturmlied ;  Bäume  wanken,  Felsen  brechen  wo  es  durch- 
zieht; der  Mensch,  der  ihr  Nahen  merkt,  muss  sich  platt 
auf  die  Erde  werfen,  um  nicht  mit  hoch  in  die  Lüfte  ge- 
rissen zu  werden.  —  Eine  andere  Gestalt,  in  welcher  die 
Maruts  in  der  deutschen  Mythe  erhalten  sind,  sind  die 
Märten  oder  Mären,  welche  bis  auf  den  Namen  den  ve- 


1)  Weber,   lud.   Studien  I,    2t)[>.   Ind.   Literaturgesch.    144. 
•2)   S.   darüber  Kuhn,  Zeitschr.   f.   D.  Altertum  V,  p.  488   fgg. 
3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   54   fgg.     Ebendas.  II,  326. 


45 

disclien  Geistern  ähnlich  sind.  Der  Volksglaube  stellt  sich 
darunter  Seelen  verstorbener  oder  lebender  Menschen,  die 
zeitweihg  den  Körper  verlassen,  vor,  welche  verwünscht 
sind  Bäume,  Wasser  oder  Menschen  nächtlich  zu 
drücken,  oder  zu  reiten.  Hier  ist  deutlich  die  niederdrük- 
kende,  zermalmende  Sturmgewalt  personifizirt ,  was  noch 
deutlicher  aus  zweien  Segen  gegen  die  Märt  erhellt: 

Märte  er  de  mik  wutt  berien, 

saste  erst  alle  bärge  und  däler  6  wer  Strien, 

alle  grasspire  inknicken, 

alle  lofbläre  afflicken, 

alle  Stern  am  himmel  teilen, 

jindefs  werd  wol  dag  sin  *). 
In  Belgien: 

O  Maer  gy  gelyk  dier, 

komt  doch  dezen  nacht  niet  weer, 

alle  waters  zult  gy  waeyen, 

alle  bloemen  zult  gy  blaeyen, 

alle  Spieren  gerst  zult  gy  teilen, 

komt  my  doch  dezen  nacht  niet  kwellen  ^). 
Im  Aargau:  Trottenkopf 

Ich  verbiete  dir  Haus  und  Hof, 

Ich  verbiet'  dir  mein  Ross-  und  K  übst  all. 

Auch  verbiete  ich  dir  mein  Bettstatt, 

Dass  du  nicht  über  mich  tröstest, 

Tröste  in  ein  anderes  Haus, 


1)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  I,   198.     Lcrbach  im  Oberharz. 

Märte,   ehe  du  mich  willst  reiten, 

Sollst  du  alle  Berge  und  Täler  überschreiten, 

Alle  Grashalme  einknicken, 

Alle  Laubblätter  abpflücken, 

Alle  Sterne  am  Himmel  zählen, 

Gegendess  wird  es  wol  Tag  sein. 

2)  Belgien.     Wolf,   Niederländ.   Sagen  G89. 

O  Mär,   du  tiergestaltete, 

Komme  doch  diese  Nacht  nicht  wieder. 

Alle  Wasser  sollst  du  bewehen, 

Alle  Blumen  sollst  du  aufblasen, 

Alle  Gerstenhalme  sollst  du  zählen. 

Komme   doch  diese  Nacht  nicht  wieder  mich   quälen. 


46 

Bis  du  alle  Berge  steigest, 

lieber  alle  Zaunstecken  eilest, 

Ueber  alle  Wasser  reitest, 

So  kommt  der  liebe  Tag  wieder  in  mein  Haus'). 
In  einer  pommerellisclien  Sage,  die  Wolf  nach  meiner 
Aufzeichnung  (Beitr.  11,  200)  mitgeteilt  hat,  wird  als  Ge- 
schäft der  Mahren  angegeben:  „Baumspitzen,  Dornsträu- 
cher  und  Eis"  zu  drücken.  Eine  Mär  oder  Drüt  bei 
Panzer  drückt  sich  an  einem  Schindelbaum  '^).  Dass  der 
Mahrendruck  in  der  Bewegung  (des  Sturmgesauses )  ge- 
schieht, spricht  ein  bairischer  Segen  aus:  „bis  du  alle 
Berge  steisjest  und  alle  Zaunstecken  zählest  und  über 
alle  Wasser  steigest ''),"  Wie  Rudra,  der  Vater  der 
Maruts  von  den  im  Knaul  geballten  Wolken,  die  der  Wind 
vor  sich  her  treibt,  Kapardin  der  Flechtentragende,  Locken- 
tragende heifst;  werden  nach  den  Mären  die  zusammenge- 
ballten verfilzten  Hare  bei  uns  Märklatt,  Mären- 
locke, Wichtelzopf,  Weichselzopf  benannt.  Wir  kommen 
später  auf  die  Mären  zurück.  Den  Ribhus  entsprechen  die 
germanischen  Eiben,  ahd.  alp,  plur.  elpir,  elpi,  mhd.  alp, 
elbe,  ags.  ylfe,  altn,  älfar,  schwed.  elfvar.  Diese  Wörter 
kommen  etymologisch  mit  dem  indischen  Ribhu  überein "). 
Die  spätere  germanische  Mythe  teilte  die  Elfen  oder  Elbe 
in  Lichtelbe,  Dunkelelbe  und  Schwarzelbe  oder  Zwerge 
(liosälfar,  döckälfar,  svartälfar),  machte  unter  diesen  noch 
wieder  einen  Unterschied  und  eine  Abteilung  in  mannigfache 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV,  H.  2.  Vergl.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  p.  461. 
Xo.  458.  M'i'th.*  1195.  Leoprechting,  Aus  dem  Lechrain  p.  26.  Meier, 
Schwab.  Sagen  p.  172. 

2)  Beitrag  I,   88. 

3)  Panzer  a.  a.  0.   269,   202. 

4)  Ribhu  entstand  aus  Arbhu  und  der  Wechsel  von  r  und  l  ist  eine 
häufige  Erscheinung,  so  dass  wir  auf  eine  gleichbedeutende  Form  Albhu  schlie- 
fsen  dürfen.  Die  zu  Grunde  liegende  Wurzel  enthält  gleicherweise  den  Be- 
griff des  Nährens  wie  des  Leuchtens,  woher  älrpöq  {Xevy.al  xal  dXfol.  Plato, 
Tim.  85a  weifse  Hautflecken"),  albus,  aber  auch  üJ.rfiTOv  sich  erklären.  Un- 
ser liban  (leben)  gehört  vielleicht  zur  selben  Wurzel  ribh,  so  dass  in  altn. 
älfr,  goth.  ALBS,  ahd.  alp,  ags.  älf  von  vornherein  die  Bedeutung  des  glän- 
zenden Lebensgeistes  steckt.  S.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV,  110. 
Schweitzer,  ebend.  I,  562. 


I 


47 

Klassen:  Holden,  Gütchen,  Kobolde,  Hausgeister,  Nixen 
u.  s.  w.,  und  legte  ihnen  verschiedene  Wohnsitze  im  Him- 
mel, auf  der  Erde  und  unter  der  Erde  zu.  Eine  unbefan- 
gene Untersuchung  lehrt  aber,  dass  alle  diese  Unterschiede 
nicht  ursprünglich  waren,  dass  alle  Elbe  Seelen  Ver- 
storbener und  zu  sjleicher  Zeit  Elementaro-eister  bedeu- 
ten,  dass  ihnen  allen  ehemals  ein  himmlischer  Wohnsitz 
zustand,  wovon  die  Sitze  auf  und  unter  der  Erde  nur  Lo- 
calisierungen  waren;  dass  endlich  ihre  Verrichtungen  teils 
denen  der  Ribhus,  teils  denen  der  Maruts  gleichkommen. 
Wir  werden  im  Verlauf  unseres  Buches  näher  darauf  ein- 
zugehen Veranlassung  finden.  Den  Maruts  gleichen  sie  be- 
sonders durch  ihren  hinreifsenden  Gesang,  den  AI  bleich, 
der  alles  umher,  selbst  Bäume  und  Felsen  zu  unwidersteh- 
lichem Tanze  hinreifst;  den  Ribhus  durch  ihre  Fertigkeit 
die  wunderbarsten  Kostbarkeiten  zu  schmieden,  beiden 
durch  in  grofsen  Scharen  gehaltene  Umzüge.  Mit  allen 
diesen  Geistern,  den  den  Ribhus  sowol  wie  den  den  Ma- 
ruts entsprechenden,  stand  unser  Thunar  in  enger  Verbin- 
dung. Zwar  ist  es  hauptsächlich  Wuotan  (Odhinn),  der  an 
der  Spitze  des  wilden  Heeres  daherfährt  —  grade  wie  in 
Indien  Rudra  in  noch  engerem  Verhältnis  zu  den  Maruts 
steht,  wie  Indra,  allein  auch  Thorr  fährt  als  Führer  des 
wilden  Heeres  (reiS)  bei  den  Norwegern  über  Land  und 
Meer  ').  Auch  in  deutschen  Sagen  sind  mehrere  Spuren 
davon  erhaUen,  dass  an  Stelle  Wodans  Thunar  mitunter 
an  der  Spitze  des  wilden  Heeres  stand.  So  deutet  Wolf-) 
gewiss  richtig  auf  Thunar  die  Ueberlieferung,  dass  auf  dem 
Bergschlosse  zu  Kirnbach  in  den  Adventsnächten  eine  Kut- 
sche umfährt,  die  mit  zwanzig  Böcken  bespannt  ist  und 
woran  zwei  brennende  Laternen  hängen.  Sie  wird  von 
einem  vormaligen  Grafen  des  Schlosses  gelenkt,  der  in  vol- 
ler Rüstung  mit  geschlossenem  Helmgitter  allein  darin  sitzt. 
Ihm  folgen  mehr  als  hundert  Knappen,   deren  jeder   einen 


1)  Sopliiis  Buggc,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  III,  29.     Myth.'   898. 

2)  Beiträge  II,    135. 


48 

Speer  und  eine  angezündete  Fackel  trägt').  Wir 
ersehen  aus  der  Benennung  der  Heersclinepfe  (seolopax  gal- 
linago),  Donnerziege,  Himmelsziege^),  dass  auch  dem 
deutschen  Thunar  die  Ziege,  der  Bock  ein  geheilig- 
tes Tier  war.  Andere  Fingerzeige  gewähren  uns  die  mehr- 
fach vorkommenden  Sagenzüge,  dass  der  als  wilder  Jä- 
ger umreitende  Geist  die  dem  Thunar  geweihte  rote 
Farbe  trägt '^)  Das  wilde  Heer  zog  stäts  am  Fastnachts- 
dounerstag  durch  Eisleben.  In  der  Schweiz  zieht  die 
wilde  Jagd  unter  dem  Namen  Posterlijagd  am  Donner- 
stag vor  Weihnachten  um.  Andererseits  zeigen  Thunars 
Verbindung  mit  den  den  Ribhus  entsprechenden  Eiben 
und  zwar  mit  allen  Arten  derselben  die  zusammengesetzten 
Namen  Albdonar  und  Thorälfr^),  so  wie  die  Benen- 
nung eines  Zwerges  Hans  Donnerstag^),  des  Donner- 
keils (den  ja  auch  die  Ribhus  dem  Indra  schmiedeten) 
Albschoss,  Maresten  (Märenstein)''),  Vaettelius  (Wichte- 
licht), Dwarfsten ').  Die  Mär,  in  der  wir  oben  die  al- 
ten Maruts  erkannt  haben,  heifst  in  mehren  oberdeutschen 
Gegenden  Trüthe,  Drüt  ^).  Das  entsprechende  altnordische 
Wort  Thrüör  ist  der  Name  einer  Tochter  Thors  ^).  Was 
am  Donnerstag  ohne  Licht  gearbeitet  wird,  bekommen 
die  Unterirdischen,  diese  kommen  am  Donnerstag  aus 
ihren  Wohnungen  hervor  •").  Am  Donnerstag  soll  man 
sich  nicht  kämmen,   damit   die  Läuse   den  Unterirdischen 


1)  Baader,  Badische  Sagen  79. 

2)  Myth.*   168. 

3)  Myth.2   892.     Wolf,  Rodenstein  und  Schnellert  59. 

4)  Myth.2    170.      Grimm,  Mythologica  S.  3. 

5)  MüUcnhof,   Sagen  XLVIIl". 

6)  Stobacus  ceraunü  baetulique  lapides  132. 

7)  Keysler,  Antiquitates  selectae  502.  Quelil  erzählt  in  seinem  Buch 
„Aus  Dänemark  1856"  S.  207  von  den  Bomholmer  alfen:  ,,Die  Uuterjordiske 
reiten  zu  Pferde,  ihr  Häuptling  auf  einem  Ross  mit  3  Füfsen.  Sie  tragen 
blaue  oder  stahlgiaue  Röcke  vmd  rote  Mützen.  Die  Belemniten  sind 
ihre  Kugeln  und  ein  schwacher  Ton,  der  aus  der  Feme  gehört  wird,  der  Laut 
ihrer  Trommeln.     Sie  helfen  den  Bonden  gegen  fremde  Eindringlinge. 

8)  S.  Panzer,  Beitrag  II,   88.     Rejmitsch,  Truhten  und  Truhtensteine. 

9)  S.  Zeitschr.  f.  D.   Myth.  II,   332. 

10)  Russwurm,   Eibofolke   II,   256.   §.  386,   2. 


49 

nicht  in  die  Schüsseln  fallen  ').  Man  vertreibt  den  Haus- 
geist (Tonitegubbe)  damit,  wenn  man  am  Donnerstag  Ar- 
beiten verrichtet^).  Um  einen  Kranken  zu  heilen,  legt 
man  Donnerstag  bei  Sonnenuntergang  etwas  von  ihm  in 
den  Elfentopf,  in  welchem  Opfergaben  für  die  Elfen  (Alfar) 
beigesetzt  wurden*^).  Am  Donnerstag  opferte  man  im 
Norden  den  Hausgeistern  ( Toftevaetter )  und  dem  Was- 
serelf (Fossegrim)  *).  Am  Donnerstagabend  setzt  man  in 
Norwegen  den  Hauskobolden  (Nissen)  Grütze,  Kuchen  und 
Bier  hin  ^).  Diese  Wesen  leiden  am  Donnerstagabend 
keinen  Lärm  oder  Tumult  in  ihrer  Nähe.  *^).  An  Don- 
nerstagen setzt  man  die  Wechselbälge,  d.  i.  von  den  El- 
ben  für  menschliche  Kinder  eingetauschte  Eibenkinder,  an 
Kreuzwegen  aus  '') ,  oder  streicht  sie  mit  Ruten  ^ ).  An 
Donnerstagen  werden  Alraune,  wiederum  Hausgeister 
belebt^).  An  Donnerstagen  halten  die  Hexen^  welche, 
wie  schon  bemerkt,  aus  alter  Eibensage  entsprangen,  Um- 
zug'''). An  Donnerstagen  isst  man  Erbsen  "),  die  Lieb- 
lingsspeise der  Zwerge  *'-). 

Von  allen  diesen  den  Maruts  und  Ribhus  der  indischen 
Sage  entsprechenden  Wesen  meldet  unsere  Mythe  einen 
nahen  Zusammenhang  mit  dem  Rindvieh  und  der  Milch- 
bereitung. Von  dem  wilden  Heer  heifst  es,  dass  es  Kühe 
zum  Opfer  verlangt  '^).  Wenn  der  Christabend  kam,  hat 
man  im  Hellhause  in  Ostenholz,  wo  an  diesem  Tage  Jahr  um 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  323. 

2)  Myth.'    CXII,   110  nach  Odman  Bahusläns  Beskrifning.    Stockli.  1746. 

3)  Afzelms,   Schwed.  Volkssagen,  übers,  von  Ungewitter  I,   40, 

4)  Lex.  Myth.   951. 

5)  Faye,  Norske  Sagn  44. 

6)  Ebendas.  45. 

7)  Lex.  Myth.   952. 

8)  Eibofolke  II,   260.   §.  386,   3. 

9)  Eibofolke  II,  246,  §.  377.     Lex.  Myth.  952. 

10)  Praetorius,  Blockesbergesvemchtimg.  Eibofolke  II,  263.  §.  387,  3. 
—  265.  §.  388,  11.  13.  —  206.  §.  361,  9.  Aus  Tirol,  Zeitsclir.  f.  D. 
Myth.  I,  294. 

11)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  445,  352. 

12)  Kuhn  a.  a.  0.  S.  468,  13.  vgl.  S.  12.  13.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I, 
197.  III,   105. 

13)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  276.  No.  3. 

4 


50 

Jahr  der  wilde  Jäger  (Helljäger)  hindurchzog,  jedesmal  eine 
Kuh  hiuauslassen  müssen.  Die  ist,  sobald  sie  nur  draufsen 
war,  verschwunden  gewesen.  Welche  Kuh  das  aber  sein 
musste,  hat  man  schon  vorher  ganz  genau  wissen  können, 
denn  wenn  es  um  Martins-  oder  Michaelistag  kam,  ist  die 
Kuh,  welche  au  der  Reihe  war,  zusehends  fetter  als  alle 
anderen  Kühe  geworden.  Als  man  dies  einmal  unterliefs, 
entstand  ein  fürchterliches  Toben  und  Lärmen  um  das  Haus. 
Die  Kuh,  welche  an  der  Reihe  war,  ward  im  Stall  wie 
rasend,  sprang  die  Staken  hinauf  und  beruhigte  sich  nicht, 
bis  man  sie  hinausliefs.  Da  war  sie  plötzlich  verschwun- 
den. Zu  Lustnau  in  Schwaben  wollte  der  wilde  Jäger, 
der  dort  Ranzenpuffer  heifst,  nicht  leiden,  dass  man  bei 
einer  Viehseuche  ein  sehr  schönes  Kalb  schlachtete  und 
aufzehrte.  Als  die  mit  dem  Töten  des  erkrankten  Viehs 
beauftragten  Männer  dies  dennoch  taten,  kam  ein  grofser 
schwarzer  Hund  und  schnupperte  eine  Zeitlang  um  sie 
herum.  Als  er  fortging  brach  ein  gewaltiger  Sturm  los. 
Gleich  darauf  erschien  RanzenpuflPer  wieder  selbst  und  for- 
derte das  Fleisch  zurück,  das  ihm  gehöre.  Da  man  noch 
nicht  Folge  leistete,  schlug  er  nach  einem,  so  dass  er  zu 
Boden  fiel  und  nach  achttägiger  Krankheit  starb  ').  Im 
Windgassi  zu  Pressburg  wohnte  eine  Frau,  die  Maklerin, 
die  durch  Milchhandel  sehr  reich  wurde.  Wenn  Nie- 
mand in  der  Stadt  Milch  hatte  und  überall  die  Kühe  Blut 
gaben,  waren  die  ihrigen  gesund  und  sehr  ausgiebig.  Da 
sah  man  einmal  den  „schwären  Wagen"  d.i.  die  wilde 
Jagd  in  ihr  Haus  ziehen  und  dort  verschwinden.  Die 
Geister  hatten  ihren  Viehstand  gesegnet  -).  Als  der  wilde 
Jäger  Herodis  in  Struckhausen  seinen  Hund  zurückgelassen 
hatte  und  die  Leute  ihn  ein  Jahr  laug  gut  verpflegten, 
schenkte  er  dem  Hause,  dass  es  darin  das  Jahr 
nachher  sehr  reichliche  Butter  und  Milch  gab. 
Der  Bauer  ist  dadurch  einer  der   wolhabendsten  der  gan- 


1)  Meier,   Schwab.  Sagen   111. 

2)  Schröer,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,   190. 


51 

zcn  Gegend  geworden  ').  Den  Alpenhirten  nimmt  der  Durst, 
d.  i.  der  wilde  Jäger,  Kühe  fort  und  führt  sie  hoch  in  die 
Wolken.  Entweder  kommen  sie  nie,  oder  am  dritten  Tage 
halbtot  und  ausgemolken  zurück^). 

Dieselbe  Erscheinung  lässt  sich  bei  allen  Eiben  beob- 
achten. Da  die  Geister  des  wilden  Heeres  und  die  Eiben 
Seelen  sind,  so  gebe  ich  zunächst  Beispiele  von  dem  Vor- 
kommen der  Kuh  bei  Totenopfern.  Im  Pastorat  zu  Brits- 
werth  in  Friesland  wurde  bis  in  den  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts eine  eiserneKuh  aufbewahrt.  Wenn  die  Leid- 
tragenden dem  Geistlichen  eine  lebendige  Kuh  überga- 
ben, damit  er  für  das  Seelenheil  des  Verstorbenen  bitte,  so 
wurde  jene  eiserne  Kuh  vor  oder  hinter  dem  Sarge  auf 
den  Kirchhof  mitgeschleppt.  Die  lebendige  Kuh  wurde 
unzweifelhaft  früher  am  Grabe  geopfert,  dafür  trat  die  ei- 
serne als  Symbol  ein  ^).  Dieselbe  Sitte  hatte  einst  bei  den 
Inselschweden  auf  Worms  statt.  Sie  schlachten  jetzt  bei 
Begräbnissen  entweder  ein  Schaf  oder  ein  Huhn.  Früher 
aber  gab  man  für  die  Beerdigung  eines  Bauerwirts  dem 
Pastor  einen  jungen  Ochsen  („will  mau  einen  grofsen  und 
alten  Ochsen  geben,  denselben  verschmehet  der  Pastor  auch 
nicht,"  sagt  ein  Kirchenbuch  von  1590),  für  die  Beerdi- 
gung einer  Wirtin  eine  junge  Kuh,  wofür  er  dann  dem 
Leichengefolge  eine  Mahlzeit  auszurichten  verbunden  war  *). 
In  Sachsen  finden  sich  Spuren  davon,  dass  Tote  mit  Kü- 
hen zum  Grabe  gefahren  wurden^).  —  In  Legenden,  be- 
sonders in  fränkischen,  kehrt  der  Zug  wieder,  dass  des 
Heiligen  Leichnam  auf  einem  mit  Kühen  oder  Ochsen 
bespannten  Wagen  liegt  und  von  diesen  an  die  Stätte  ge- 
fahren wird,  wo  er  begraben  werden  soll.      So   sagt  Seba- 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   101. 

2)  Bechstein,  Deutsch.   Sagenbuch   15.      Wolf,  Beiträge  II,    149. 

3)  Schotanus,  Beschr.  von  Friesland  fol.  208.  Buddingh,  Verhandeling 
over  het  Westland   146.     Drcntsche  Volksalmanach   1842,    133. 

4)  Inland  1855  Mai  23-  S.  332.  Eibofolke  II,  94.  §.  294.  Russwurm 
bemerkt  sehr  richtig:  ,,AVahrscheinlich  sollte  das  Blut  der  Rinder  die  Manen 
beruhigen." 

5)  Pröhle,  Magdeburger  Correspondent  1850.  2tes  Quartal.  „Zur  deut- 
schen Altertumskunde."     Pröhle,  Harzsagen  XXXI. 

4* 


52 

stian  Brand  vom  h.  Sebald:  „  Daruacher  legt  man  sein 
lychnam  u&  ein  wagen  vnd  stehen  zwen  wild  ochsen 
daran,  die  zngen  in  do  er  noch  ligt  von  in  selber  ')."  Vergl. 
die  Legenden  der  h.  Ginthüd '),  Stilla^),  des  Fräuleins  auf 
der  Kahnenmühle  bei  Waldnab").  In  der  nordischen  Kor- 
makssaga  (saec  XII.)  wird  erzählt,  dass  Alfar  in  einem 
Grabhügel  wohnten.  Kormakr  bereitet  diesen  ein  Opfer, 
indem  er  mit  dem  Blut  eines  geschlachteten  Stiers  den 
Hügel  besprengt  und  den  Alfar  vom  Fleisch  eine  Mahlzeit 
bereitet  (veizla)^).  —  Wie  die  indischen  Kibhus  stehen 
unsere  Elbe  in  dem  entschiedensten  Bezug  zur  Kuh.  Weit- 
verbreitet ist  der  Glaube,  dass  die  Elbe  und  Zwerge  Kühe 
zu  erlangen  suchen  und  ihnen  die  Milch  aus  dem  Euter 
ziehen.  Dvergspeni  heilst  altn.  das  ausgeniolkene  Euter 
der  Kühe").  Ein  Zwerg  kauft  einem  Bauer  seine  Kuh 
um  ein  Fläschchen  ab,  das  die  Eigenschaften  des  „Tischchen 
deck  dich"  besitzt,  und  versinkt  mit  der  Kuh  in  die  Erde'). 
Die  Ulken,  d.i.  die  Alten  (die  indischen  Pitris)  melken 
die  Kühe  der  Bauern,  so  dass  die  Mägde  mitunter,  wenn 
sie  auf  die  Weide  kommen,  dieselben  schon  ausgemolken 
finden  ^).  Die  Säligen  Fräulein,  lichte  Elbe  in  Tirol  hel- 
fen den  Bauerfrauen  in  der  Wirtschaft.  Wenn  ein  solches 
Fräulein  Butter  schlägt,  kommt  noch  einmal  so  viel  aus 
dem  Kübelchen,  und  wenn  eines  die  Kuh  melkt  giebt 
das  liebe  Vieh  mehr  Milch,  als  zu  andern  Zei- 
ten^). Ganz  ähnliche  Wesen,  wie  die  Säligen  Fräulein, 
sind  die  Elfen(?;,  zarte  Geister  im  bairischen  Hochland.  Diese 
melken  auch  die  Kühe,  wodurch  diese  doppelt 
milchreich   werden'").      An  Donnerstagen  belebt   man 


1)  Passional  bl.  129. 

2)  Feuerlein,  De  Miphlezete  Emmenzheimensium.    Yitemberg.  1700  §.  IV. 

3)  Panzer,  Beitrag  zur  D.  Myth.  I,    161,    185b. 

4)  Panzer  a.  a.  O.   225,   256.  vergl.   265,   150. 

5)  Kormakssaga    216.    218.      Myth.^   417.     Für    den  Hügel   besprengen 
ist  rioöa  röten  gebraucbt.     So  besprengte  man  die   Götteraltäre. 

6)  Björn,  Lex.  Island.   160.    Myth.^    1026. 

7)  Meier,   Schwab.  Märchen   S.  76. 

8)  Kuhn,   Nordd.   Sagen  S.  288.  No.  322. 

9)  Ziugerle,  Kinder-  und  Hausmärchen.     Insbruck    1852   S.  55. 
iOj   Schöppncr,   Bairisches  Sagenbuch  II,   25,   489. 


er 


53^ 

in  Dänemark  hasengestaltige  Alraune,  w^IcLe  ihren  Herrn 
d.e  Mdch  fremde.  Kühe  zutragen  ■,      Auf  B  rnto  „ 

i't  7...  .  ;;  '^'^  Butterbnnger  %  Ein  ähnlicher  Al- 
gkratz,  der  se? '^«^^«^^^^^'^den  an  der  Küste  Russlands  de 
hen  anderer  Leute  PJ^^^^'"  MiJch  bringt,  die  er  den  Kü- 
die  fffiroeischen  Draugar  meßvt.oder  aussauo-t  •*).  Auch 
Seischweden  auf  Nuckoe  und  Wichlevlje  ^).  Bei  den  In- 
Mär  (Mura)  allnächtlich  den  Kühen  die  Milch  «^n^jj  ^^^^ 
Unnererschen  stehlen  gerne  Milch.  Eine  shetländische  lin- 
fin,  welche  Milch  gedieht  hatte,  liefs  bei  ihrer  Flucht  ein 
schönes,  aber  seltsames  Gefäls  zum  Ersatz  zurück').  In 
Schweden  stellen  besonders  die  Skogsrä,  aber  auch  andere 
Trolle  den  Kühen  nach,  um  sie  zu  melken^).  Das  Wal- 
sermäunle,  ein  Hauskobold  in  Vorarlberg,  nimn^t  den  Kü- 
hen im  Stall  die  Milch  ^).  Milch  ist  das  Opfer  für  die 
Elbe,  zumal  dem  Hausgeist  wird  eine  Schüssel  Milch  in 
einen  Winkel  gesetzt '").  Wenn  man  dem  Ausgang  der 
Elbe  kein  Hindernis  in  den  Weg  stellt  und  ihnen  eine 
Schüssel  Milch  hinsetzt,  lassen  sie  ein  kleiues  Geschenk  zu- 
rück ").  Die  nordische  Eibenmutter  Hyllemoer,  Hyllefrü 
besänftigte  man  in  Blekingen,  wenn  sie  erzürnt  war,  durch 
Milch' "^j.  Hiemit  erklärt  sich  denn  auch,  weshalb  das  Hul- 
dufölk,  die  Erdmännlein,  Nixen  u.  s.  w.  Kühe  besitzen,  und 
weshalb  der  Hauskobold  Napfhans  die  Kühe  auf  den  ge- 
ftihrlichsten  Stellen   zur   Weide  führte,   ohne   dass  je   eine 


1)  Hammevich,  Skandiuaviske  Reisemiuder  281. 

2)  Lex.  Myth.  952. 

3)  Skougard,  Beskrivelse  over  Bornholm   111. 

4)  Eibofolke  II,   242.   §.  374. 

5J  Aiitiquarisk   tidskrift   1851.   S.  315. 

6)  Eibofolke  II,   402.  §.  3GH. 

7)  Grimm,  Irische  Elfenmärchen  XCIl. 

8)  Arndt,   Schwedische  Reise  III,    12.    IS). 

9)  Steub,  Drei  Sommer  in  Tirol.     München   1846   S.  86. 

10)  Grimm,    Deutsche    Sagen   No.  38.   45.   75.   273.  298.      Elfenmiirclieu 
LXXIX. 

11)  Elfenmiirchen  XCVI. 

12)  Dybeck.  Kiina   1845   S.  56. 


54 


verunglückte  •).     Ihnen  war,  wie  den  indischen  Augirasen, 

ursprünglich    als    Seligen    des    Himmels    der  Niefsbrauch, 

oder  etwas  anders  ausgedrückt,  der  Bfc^Hz   der  göttlichen 

Wolkenkühe  verliehen.     Ebenso  hütete  der  'ar.amaör,   der 

bei  des  Isländers  Kodran  Hof  in  einem  Steine^^^oW'^^.^^es-^ 

sen  Vieh^).    Ein  Bergmännlein  wurde  zur    .^  y^^^^j^^^^^^ 

der   Bärenweid,    einem    hoben  J^l' freiwilliger  Helfer  beim' 

sichtbar,   bot   sich   den^J'darin   sehr  fleifsig,  bis  man  ihn 

Viehhüten  ÄSiCnk    eines    grünen  liöckchens   vertrieb^). 

durr-J-'^öüirt  stieg  einst   im  Winter   auf  seine  Senne,   um 

emige   Käsleibe   zu  holen   und   blieb   über   Nacht  da.     Da 

kamen  die  Berggeister  und  begannen  zu  sennen,  melkten 

emige  Geisterkühe  und  bereiteten  Käse*). 

üebertragung  des  alten  Elbenglaubens  auf  die  Hexen 
findet  statt  in  der  weitverbreiteten  Meinung,  dass  diese  den 
Kühen  die  Milch  benehmen  können  oder  Milch  und  Butter 
auf  zauberische  Weise  entwenden,  woher  die  Hexe  wie  der 
elbische  Schmetterling  (Buttervogel),  der  in  der  himm- 
lischen Wolkenregion  seine  Heimat  hat,  Molken tö ver- 
sehe, Milch  dieb,  Milchzauberin  heifst^).  Darumsind 
die  Hexen  auch  stets  an  den  Milchschüsseln  kennbar,  die  sie 
wie  Hüte  auf  dem  Kopfe  tragen.  So  tief  wurzelte  der  Glaube 
vom  Zusammenhang  der  Milch-  und  Butterbereitung  mit 
den  Eiben,  dass  in  England  eine  Art  Pilze  Fairybutter 
(Eibenbutter)  heifst«),  bei  den  Friesen  Traalbutter ') 
(Trollbutter,  d.  i.  Butter  böser  Elbe),  im  Saterland  Hexen- 
butt er  «).  Die  Inselschweden  auf  Worms  bezeichnen  ebenso 
einen  Holzschwaram  (mucor  unctuosus  flavus  L.)  als  Trull- 
smer  (Trollbutter)    oder  Trullskid  (Hexendreck).     Die 


1)  Grimm,   Irische  Elfeumärchen  XCVII. 

2)  rornmauiiasög.  I.  cap.  131.     Faye,  Norske  Sagn  46. 
6)  8teub,  ürei  Sommer  S.  82. 

4)  Steub  a.  a.  O.   62. 

5)  Myth.2    1026.     Eibofollve  II,   218.   §.  364,    G. 

6)  Glossary  of  North  county  words.   s.\-. 

7]  Kuhn,   Nordd.   Sageu,   Gebr.  Anm.   48.     Mülleiihoff,   Sagen   212. 
8)   Kuhn   a.  a.  0.   Gebr.   48. 


55 

Hexen  sollen  ihn  bei  ihren  nächtlichen  Besuchen  an  den 
Wänden  der  Ställe  und  Milchkammern  zurücklassen.  Legt 
man  ihn  in  das  Loch  eines  Holzstücks  vom  Vogelbeer- 
baum, vernagelt  das  Loch  und  verbrennt  das  Holz,  so 
muss  die  Hexe  sich  einfinden,  und  um  ein  Stück  Brod  oder 
ein  Glas  Milch  bitten,  weil  sie  durch  die  Ceremonie  er- 
krankt und  auf  keine  andere  Weise  geheilt  w^erden  kann'). 
In  deutschen  Hexenprocessen  heifst  Hexenbutter 
eine  durch  Ausdünstung  der  Pflanzen  entstandene  Masse, 
die  sich  besonders  in  Kohlgärten  findet.  Sie  soll  von 
den  zum  Hexensabbat  mitgenommenen  Kindern,  die  sich 
von  den  teuflischen  Speisen  übergeben,  ausgespieen  sein. 
In  Schweden  nennt  man  bräunliche  und  gelbliche  Ausdün- 
stungen des  Korns  und  der  Blumen  Trollsmör  (Trollen- 
butter)  oder  Bara.  Waldgeister  oder  Hexen  (Trollkärin- 
gar)  sollen  sie  ausstreuen.  Man  nimmt  neunerlei  Holz, 
zündet  es  zu  einem  Scheiterhaufen  an  und  wirft  vom  Troll- 
smör hinein,  oder  man  peitscht  nur  das  Feuer  von  neuner- 
lei Holz.  Dann  müssen  die  Trollkäringar,  die  man  im 
Verdacht  hatte,  sich  ofienbaren  ^).  Den  gleichen  Namen 
Trollsmör  und  Bare smör  führt  in  Schweden  aethahum 
flavum,  jener  Holzschwamm.  Man  wendet  ihn  in  glei- 
cher Weise  und  zu  gleichem  Zwecke  an  ■^).  Auf  Island 
heifst  ein  Kraut,  und  zwar  eine  Art  der  Treraella,  Trold- 
smoer*).  Hexensmiter  heifsen  bei  Iserlohn  die  Brom- 
beeren. Ein  Bauer  aus  Summern  bei  Iserlohn  erzählte, 
er  habe  als  Kind  nie  Brombeeren  gegessen,  weil  man  sagte, 
der  Teufel  brauche  sie  um  seine  Schuhe  damit  zu  schmie- 
ren ^).  Jener  Name  Bare  smör  geht  auf  ein  mythisches 
Wesen  Bära,  BJära,  Bare  zurück,  das  in  mehreren  schwe- 

1)  Eibofolke  II,  219.  §.  364,  10.  Auch  sonst  stehen  die  Elbe  mit  den 
Pilzen  in  Verbindung.  „De  kwaede  elfen"  bereiten  das  Gift  in  den  giftigen 
Erdschwämmen.     Emancipation   1837  No.  163. 

2)  Arndt,  Reise  in  Schweden  III,   75. 

3)  Is.  Erici,  Oeconomia  1643  II,  29.  Dybeck,  Runa  1845  p.  61.  Suomi 
1850   p.  240. 

4)  Mohr,  Forsög  til  en  Islandsk  naturhislorie  med  adskillige  oeconomisk« 
anmoerkninger.    Kjöbenh.    1786   S.  238. 

5)  Mitteilung  Fr.  Woestes. 


56 

dischen  Landschaften  bekannt  ist.  Dieses  ist  ein  Alraun, 
welcher  seinera  Besitzer  Milch,  Butter  und  andere  Le- 
bensmittel ins  Haus  bringt.     Man  redet  ihn  an: 

Smör  och  ost  skall  du  mig  bringa, 

ach  derför  (skall  jag)  i  helvetet  briuna. 
d.  i. :  Butter  und  Käse  sollst  du  mir  bringen, 

Und  dafür  (soll  ich)  in  der  Hölle  brennen. 
Die  Finnen   entlehnten,    wie   Castren   nachweist'),   diesen 
Glauben  von  den  Schweden.    Sie  nennen  den  Geist  Para 
und  sagen  zu  ihm: 

Bringe  Butter,  bringe  Milch  her. 

Bringe  Butter  Bergesrautter, 

Saure  Milch  o  Teuf  eis  wirtin. 

Saure  Milch  lass  aus  der  Presse, 

Süfse  aus  der  Macht  der  Säure. 
Dann  hat  die  Hausfrau  Ueberfluss  an  Milch  und  Käse^). 
Para  melkt  die  Milch  fremder  Kühe  ab  und  trägt  sie  in 
die  Butterfässer  seiner  Wirtin  ^).  Der  Holzschwamm  heifst 
finnisch  Paranvoita,  d.i.  Paras  Butter.  Ihn  pflegen  die 
Abergläubigen  in  Theer,  Salz  oder  Schwefel  zu  brennen 
und  mit  einer  Peitsche  zu  schlagen,  weil  die  Zauberin  Mit- 
leid bekommen  und  sich  zeigen  soll,  um  für  ihren  dienst- 
baren Geist  zu  bitten.  Trullsmer  —  ehstn.  noia-woid, 
nÖia-woi  —  heifst  auch  an  der  russischen  Küste  eine  Salbe 
aus  Eibischblättern  (althea  officinahs),  welche  angewandt 
wird,  um  damit  durch  Zauberei  gelähmte  Glieder  zu  be- 
streichen *).  Beiläufig  ist  unter  den  vielen  Kräutern ,  wel- 
che den  Namen  Butterblume  u.  dgl.  im  Schwedischen 
tragen  (z.  B.  smörfänga,  mjölkblomma,  trimjölksgras  =  cal- 
tha  palustris;  smörört,  smörbloma  =  ranunculus  acris)  be- 
sonders sempervivum  tectorum,  hüslauk,  hüslök,  engl,  hou- 
seleek,  niederd.  hüslak  hervorzuheben,  gewöhnlich  Sraöre, 


1)  Castren,    Fimisk    mythologi.     Helsingfors    1853    S.  169.      Schiefuer 
165—168. 

2;  Leucquist,  De  superstitioue  vcteruiu  Ffunoruiii  S.  53. 

3)  Ganauder,  Mythologia  Fennica  66.    67. 

4)  Eibofülke  I,  222.  §.  365,   3.    Vgl.  auch  noch  das  Drachenschmal'/, 
Panzer  I.   201).   204. 


57 

im  Norden  von  Bahuslän  Smörebok  genannt,  da  diese 
Pflanze  bei  uns,  in  Scandinavien  und  England  ')  aufs  Dach 
gesteckt  wird,  um  Gewitter  vom  Hause  abzuhalten. 

Die  beigebrachten  Beispiele  sollten  dazu  dienen,  die 
Beziehung  der  Kühe  zu  den  Eiben  zu  erhärten.  Schon  im 
vorigen  Abschnitt  haben  wir  bewiesen,  dass  die  eigenen 
Kühe  der  Eiben  die  himmhschen  Wolkenkühe  waren.  Wir 
sahen  ferner,  dass  Thunars  Umgang  mit  den  Wolkenkühen 
auf  die  irdischen  Tiere  übertragen  wurde.  Folgerichtig 
werden  wir  schliefsen  müssen,  dass  dasselbe  bei  den  Eiben 
geschehen,  und  auch  in  Bezug  auf  diese  das  irdische  Rind 
an  die  Stelle  des  himmlischen  getreten  ist.  Dann  aber  ist 
bewiesen,  dass  das  wilde  Heer  und  die  Elbe  wie  die  Ma- 
ruts  und  die  Ribhus  die  Wolkenkühe  melkten.  Ebenso 
bestimmt  lässt  sich  die  Wiederbelebung  der  Kuh  durch 
die  Ribhus  im  germanischen  Mythus  von  den  den  letzteren 
entsprechenden  Eiben  und  den  mit  ihnen  ursprünglich  iden- 
tischen Geistern  des  wilden  Heeres  nachweisen.  Vonbun 
erzählt,  dass  das  Nachtvolk  (d.  i.  das  wütende  Heer, 
in  Bregenz  Wuothas  genannt)  '^)  unter  der  Messe  in  ein 
Haus  kam,  die  Mastkuh  aus  dem  Stall  zog,  schlachtete  und 
unter  lautem  Jubel  verzehrte.  Die  Kinder  durften  mitessen, 
erhielten  aber  den  Befehl^  keinen  Knochen  zu  zerbeifsen. 
Beim  Abzüge  Hest  das  Nachtvolk  die  Knochen  zusammen, 
findet  aber  ein  &iöchlein  nicht,  das  die  Kinder  verzettelt 
haben.  Darauf  wickeln  sie  die  begnagten  Beine 
in  die  Haut  und  sagen:  „Wir  können  nicht  helfen,  das 
Tier  muss  halt  krumm  geh'n."  Mit  einmal  steht  die 
Kuh   lebendig   da,    hinkt,  aber   auf  einem   Fufs'';. 


1)  Brand,  Pop.  antiq.  III,  317.  Bei  den  Ehsten  heilst  Hexenbutter 
nöia-woi,  eine  aus  faulen  Eiem  und  andern  Ingredienzien  kunstgerecht  be- 
reitete Mischung,  welche  in  der  Johannisnacht  an  die  Türen  des  Viehstalls 
gestrichen  wird,  um  Krankheiten  darin  hervorzurufen.  Kreutzwald- Boeder 
144.  Findet  ein  Ehste  diese  Ilexenbutter  auf  dem  Hofe  an  irgend  einem  Ge- 
genstande haften,  so  lädt  er  seine  Flinte  mit  Salz  und  schiefst  hinein.  In- 
land  1856   XXI.  No.  39.   S.  630,    7. 

2)  Vonbun,  Zeitschr.   f.   D.   Altert.   XI,   170. 

3)  Vonbun,  Sagen  aus  Vorarlberg  p.  27.  Wolf,  Zeitschr.  f.  D.  Mytli. 
I,   71. 


58 

Dieselbe  Sage  hörte  Steub  im  Walsertal  in  Vorarlberg  *). 
Nach  Jahn  ^)  sollen  Zwerge  im  Pfaffenloch  zu  Bern  hau- 
sen, die  von  einer  einzigen  Kuh  leben;  das  ihr  zum 
Verzehren  tagtäglich  ausgeschnittene  Fleisch  wächstje- 
desmal  in  der  Nacht  wieder.  Im  Kanton  Aargau 
wohnte  bei  einer  Salzquelle  ein  wohltätiges  Zwergenvolk, 
die  Heidemannli  genannt.  Diese  gingen  Nachts  in  den  Stall, 
stachen  den  Ochsen  und  Kühen  ein  schönes  Stück 
Fleisch  heraus,  kochten  und  afsen  es.  Am  andern  Mor- 
gen war  alles  wieder  verwachsen  und  solche  Kühe 
wurden  die  schönsten  und  fettsten  im  ganzen  Lande.  Als 
einst  ein  Stallknecht  von  dem  durch  die  Zwerge  gekochten 
Fleisch  ein  Stückchen  isst,  fehlt  grade  dieses  Stück 
am  andern  Morgen^).  Auf  dem  Freiburger  Moleson 
trifft  ein  Jäger  in  einer  verlasseneu  Sennhütte  Geister  beim 
Käsen.  Sie  bieten  ihm  Kuh  fleisch,  wovon  er  sich  mit 
dem  Taschenmesser  ein  Stückchen  abschneidet.  Beim  Er- 
wachen findet  er  sich  auf  einem  Aschenhaufen.  Sein  Knabe 
kommt  mit  der  Meldung  entgegen,  der  schönen  Kuh  Spie- 
gel (Miroir)  fehle  ein  Stückchen  Fleisch  am  hnken 
Schenkel  von  derGröfse  einer  Fingerspitze^}.  Ein 
emmenthaler  Wirt  lässt  jeden  Herbst  für  die  Berggeister 
eine  Kuh  auf  der  Alpe  zurück,  von  der  er  dann  im  Früh- 
ling nur  das  Gerippe  wiederfindet,  sonst  erreicht  er  nicht 
ungefährdet  das  Tal.  Ein  Sennknecht  erbittet  sich  einst 
die  Erlaubnis,  die  oben  gelassene  Kuh  nachholen  zu  dür- 
fen. Er  steigt  hinauf  und  legt  sich  ins  Heu.  Da  hört  er, 
wie  Geister  unten  Feuer  anmachen,  Milch  sieden  und  kä- 
sen. Bald  tritt  Jemand  zu  ihm  heran,  giebt  ihm  kuhwarme 
herrlich  gute  Milch  und  etwas  Fleisch  zu  essen.  Er  beifst 
jedoch  nur  hinein.  Als  es  unten  still  wird,  steigt  der 
Knecht  vom  Boden  und  führt,  durch  eine  Kienfackel,  ein 
Brod  und  seinen  groi'sen  Hund  geschützt,  die  Kuh  glück- 


1)  Drei  Sommer  in  Tirol  S.  82. 

2)  Kanton  Bern  S.  243. 

3J  Rocholz,   Schweizersagen  aus  dem  Aargau  S.  316. 

4)  Bridel,  Couservateur  Suisse  1825  No.  43.     Rocholz  a.  a.  O.  385. 


59 

lieh  heim.  Sie  hinkt  jedoch  auf  dem  Hinterfufs,  worin  ein 
schon  vernarbtes  Stückchen  Fleisch  fehlt,  grade  so  grofs 
wie  der  Bissen,  welchen  der  Knecht  lu  dor  Nacht  geges- 
sen hatte  ^).  Ein  Jäger  traf  in  einer  Alpenhütte  auf  dem 
Sonnenberg  in  Tirol  Geister,  welche  einem  Rind  Fett 
und  Fleisch  ausschnitten,  dann  die  geschundenen  Beine 
zusammensteckten  und  das  Vieh  wieder  laufen 
liefsen.  Das  ^'^'ausgeschnittene  Fleisch  sotten  sie  an  ei- 
nem grofsen  Feuer  '^).  Boten  die  vorhergehenden  Sagen 
Belege  dafür,  dass  die  Elbe  und  das  wilde  Heer  Kühe 
melkten  und  eine  getötete  Kuh  wieder  lebendig 
machten,  so  kehrt  in  der  zuletzt  namhaft  gemachten  Ue- 
berlieferuug  der  Zug  wieder,  den  schon  die  erste  Sage  bei 
Vonbun  uns  bot,  dass  die  Wiederbelebung  erfolgt,  nach- 
dem die  Knochen  des  aufgezehrten  Rindes  in  die  Haut 
gewickelt  sind.  Diesen  Zug  bestätigen  auf  das  Erwünsch- 
teste noch  mehrere  andere  Ueberlieferungen.  Vom  wüten- 
den Heer  erzählt  man  in  Kärnten,  dass  es  einmal  in  ein 
Dorf  kam,  auf  dem  Dorfplatz  ein  Feuer  anmachte,  aus  dem 
nächsten  Stalle  einen  Ochsen  zog,  den  es  schlachtete, 
briet  und  verzehrte.  Die  Knochen  wurden  dann 
in  die  Haut  zusammengelegt,  mit  Ruten  gepeitscht 
und  das  Tier  wieder  lebendig  gemacht^).  Bei  einer 
Hexenversammlung  in  Ferrara,  welche  durch  das  Beisein 
der  Herodias  entschieden  auf  das  wütende  Heer  zurück- 
weist, „befiehlt  Herodias  alle  Knochen  des  zum  Mahl  ge- 
töteten Ochsen  über  seine  ausgespannte  Haut  zusam- 
menzuwerfen und  diese  nach  4  Seiten  hin  über  die  Kno- 
chen wälzend  und  mit  einer  Rute  schlagend,  macht  sie 
den  Ochsen  lebendig^)."  Ganz  ähnlich  belebte  nach  der 
Legenda  Aurea  124  der  heilige  Germanus  ein  Kalb,  das 
sein  Hauswirt  für  ihn  geschlachtet  hatte.    „Nach  der  Mahl- 

1)  Rocholz  a.  a.  O.    Aehnliche  Sagen  von  Alpkülien,  besonders  aber  von 
einer  trächtigen  Geis  s.   bei  Vonbun,  Zeitsciir.   f.  D.   Altert.  XI,   171.   172. 

2)  Zeitschr.  f.  D.   iMytb.  II,   177. 

3)  Zeitschr.  f.   D.  Myth.   III,   34. 

5)  Wodana,  Museum  voor  Nederduitsche  Oudheidskunde  XX VIII.  Mytli.' 
1208.     Wolf,  Beiträge  I,   89. 


60 

zeit  liefs  er  alle  Knochen  des  Kalbes  über  die  Haut  des- 
selben zusammenlegen  und  auf  sein  Gebet  stand  das  Kalb 
unverweilt  wieder  lebendig  da 'j."  Auch  der  Abt  Wilhelm 
von  Villers  belebte  einen  Ochsen,  den  er  Tao-s  zuvor 
hatte  schlachten  lassen,  um  das  Gelüst  einer  schwano-eren 
Frau  zu  stillen.  Ein  Bruder  fand  das  wieder  auferstandene 
Tier  wie  gewöhnlich  im  Pfluge  gehen.  Erstaunt  eilte  er 
zum  Kloster  zurück  und  trat  in  das  Z>u^^^^^  ^^^  ^^.  j^s 
Fleisch  hingetragen  hatte.  Da»  Fleisch  war  verschwunden, 
mit  ihm  die  Haut  und  selbst  die  kleinste  Spur  von  Blut, 
worüber  sich  Alle  verwunderten'-;.  Man  sieht,  die  in- 
dogermanische Urmythe  ist  wörtlich  bewahrt. 
Die  den  Ribhus  und  Maruts  etymologisch  und  sachlich  ent- 
sprechenden Elbe  und  Geister  des  wilden  Heeres  bilden  wie 
jene  indischen  Geister  aus  der  Haut  der  getöteten 
Kuh  eine  neue  Kuh.  Nur  tritt  ein  Bestandteil  hinzu, 
welchen  die  vedischen  Lieder  verschweigen,  das  in  die  Haut 
gewickelte  Knochengerüst.  Im  südgermanischen  Gebirge 
bei  Alamannen  und  Bojoaren  ist  unser  Mythus  am  reinsten 
und  vollständigsten  erhalten.  Er  taucht  daneben  in  Eng- 
land auf,  ohne  dass  für  jetzt  zu  entscheiden  wäre,  ob  er 
erst    durch    die    Angelsachsen    nach    Britannien    gebracht 

1)  Wolf  a.  a.  0.  Eine  andere  Fassung  dieser  Sage  bringt  Mone  (Ge- 
schichte des  Heidentums  im  nördlichen  Europa  II,  459.  Anm.  112)  aus  Nen- 
nius  ed.  Gunu  63.  64  bei.  Der  heilige  Garmon  verzehrt  mit  seinen  Gelahr- 
ten ein  Kalb:  „Praecepit  autem  socius  suis,  ut  nullum  os  frangereut  de 
ossibus  vituli.  Sequenti  autem  facto  mane  diel  inventus  est  vitulus  sanus 
et  incolumis."  Darauf  verbrennt  himmlisches  Feuer  die  Burg  des  walli- 
sischen Königs  Belin,  der  Garmon  vorher  ein  Nachtlager  verweigert  hatte.  Ob 
diese  Sage  von  den  Germanen  zu  den  Kelten  übergegangen,  oder  bei  beiden 
Völkern  aus  der  Urzeit  erhalten  ist,  lässt  sicli  für  jetzt  um  so  weniger  ent- 
scheiden, als  noch  einmal  in  einer  keltischen  Heiligenlegende  diese  Mythe, 
jedoch  von  einem  Hirsche  erzählt,  sich  wiederholt.  S.  Wolf,  Zeitschr.  f. 
D.  M}-th.  I,  213.  Post  haec  Sauctus  Moehua  jussit,  cervos  illos  occidi  om- 
nes,  ossa  tarnen  eorum  usque  in  crastinum  illibate  conservari.  Satiatis  igi- 
tur  turbis  pauperum  atque  aliis  qui  aderant  de  veuatione  mirabili  Sancti  Mo- 
chuae  die  crasiino  oervorum  ossa  coram  viris  Dei  c  ollecta  sunt.  Qui- 
bus  ut  iu  propria  resurgerent  forma,  S.  Moehua  in  n.  D.  niaudavit.  Et  sta- 
tim  ossa  illa  arida  carnem  et  pellem  indueruut  et  spiritum  vivificuui  assu- 
munt  atque  iu  pri^^tiui  vigoris  motum  niembra  extendunt.  —  Vita  S.  Mochuae 
Cuani   ap.  Bollandum  I,  46.   cap.  V.  Jan.    1. 

2)  Thomas  Cantiprateusis,  bonum  universale  de  apibus  p.  246.  Wolf, 
Niederlaud.   Sagen   343,   371.     Wolf,  Beiträge  I,   89. 


_^1 

wurde.  Aber  auch  in  Schleswig  werden  wir  eine  Erinne- 
rung an  ihn  nicht  verkennen  können,  wenn  die  dortige 
Sage  wiederholt  berichtet,  dass  der  Hausgeist  eine  Kuh 
tötete,  aber  noch  in  derselben  Nacht  durch  eine 
andere  lebendige  wieder  ersetzte'). 

Wie  die  liibhus  nach  indischer  Sage  ein  Pferd  schu- 
fen, erzählt  ein  deutsches  Märchen,  dass  ein  Schweinejunge 
dem  Teufel  aus  einer  Kuh  ein  Pferd  machen  soll.  Er  hat 
sich  Zwerge  zu  Dank  verpflichtet.  Diese  kommen,  fres- 
sen die  Kuh  mit  Stumpf  und  Stiel  auf  und  ziehen  dann 
ein  Pferdchen  aus  der  Tasche,  so  grofs  wie  ein  Spielpferd. 
Dasselbe  wächst  von  Minute  zu  Minute  und  hat  bald  die 
Gröfse  eines  gewöhnlichen  Rosses  erreicht  ^). 

Wenn  in  Indien,  so  viel  wir  bis  jetzt  wissen,  die  Wie- 
derbelebung nur  den  liibhus  zugeschrieben  wird,  so  steht 
sie  in  der  germanischen  Sage  auch  dem  Herscher  der  Elbe 
Thunar  zu^).  An  die  Stelle  der  Rinder  treten  nämlich 
in  mehreren  entsprechenden  Sagen  ein  Hahn  und  ein  Fisch, 
welche  aus  den  sorgfältig  zusammengelegten  Kno- 
chen und  Gräten  wieder  hergestellt  werden*).  Gleich 
dem  Rind  ist  der  Hahn  Thunars  Tier,  der  Fisch  erin- 
nert an  die  Bedeutung  des  Gottes  als  Vorsteher  der  Fi- 
scherei ^).  Eine  irische  Heiligensage  kennt  auch  die  Bele- 
bung des  in  der  deutschen  Sage  dem  Thunar  geweihten 
Rotkehlchens  bei  St.  Servan,  der,  wie  Thunar,  als 
Drachen  töter  erscheint:  „Servan  was  a  saint  of  approved 
prowess  and  great  good  nature;  he  slew  a  d ragen  in 
Single  combat,  turned  water  in  to  wine  and  once  when  a  ho- 
spitable  poor   man   killed  bis  only   pig   to  entertain 


1)  Müllenhofif,  Sagen  S24  CDXXXVIII. 

2)  Pröhle,  Märchen  für  die  Jugend  No.  6.   S.  24. 

3)  Dem  entspricht  jedoch,  dass  Indra  selbst  Eibhu  heifst.  Zs.  f.  vgl. 
Spr.  IV,  108.    Es  lag  daher  nahe,   ihm  das  Geschäft  der  Ribhus  zu  übertragen. 

4)  Pfaffe  Amis  969  fgg.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  33.  Myth.^  1208. 
In  einer  belgischen  Legende  von  der  h.  Pharaildis  (Bolland.  Jan.  4.  I,  172) 
wird  eine  Gans  verzehrt  und  nacliher  von  der  Heiligen  wiederhergestellt.  ,,Avis 
ossa  plumasqne  sibi  reportari  praecipiens,  quae  inde  reperiri  poterant  coa- 
dunavit  et  niirabili  stupendaque  compositionc  avem  paene  perditam  prorsusque 
mortuam  viviücavit  eamque  ad  solita  pascua  relegavit." 

5)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  II,   327.     II,   313   fgg. 


62 

him  and  h i s  religious  corapanions  he  supped  upon  the 
pork  and  restored  the  pig  to  life  next  morning. 
St.  Servan  had  a  tarne  robin,  who  used  to  feed  from 
his  hand,  perch  upon  his  head  or  Shoulder  while  he  was 
reading  or  praying  and  flutter  its  wings  and  sing,  as  if  bea- 
ring  part  in  his  devotions.  The  boys  of  the  monastery  one 
day  twisted  its  head  of  and  accused  Kentigern  of  having 
killed  it.  To  prove  his  innocenty  he  made  a  cross  upon 
the  head,  and  put  is  on  again  and  the  bird  was 
noting  the  worst,  for  what  it  had  undergone ')." 
Wir  wissen  jedoch  wiederum  nicht,  welche  Stellung  diese 
Ueberlieferung  zum  germanischen  Glauben  einnimmt. 
Dafür  werden  wir  durch  deutliche  Beweise  aus  den  germa- 
nischen Ländern  reichlich  entschädigt.  Die  von  der  Hero- 
dias, wie  vom  wütenden  Heer  in  der  kärntischen  Sage  zur 
Belebung  angewandte  Rute  erinnert  an  die  zum  Kälber- 
quieken gebrauchte  Gerte,  in  der  wir  schon  oben  ein  Ab- 
bild des  Gewitterhammers  nachwiesen.  Nicht  ohne 
Wahrscheinlichkeit  erklärte  daher  schon  "Wolf  den  Stab 
des  Herodias  für  die  Blitz  waffe '^).  Wie  das  wütende 
Heer  oder  die  wilde  Jagd  dazu  kommen  kann,  dieselbe  zu 
schwingen  (indem  der  Sturm  sich  mit  dem  Gewitter  ver- 
bindet), tat  schon  Schwartz  in  seinem  berühmten  Programm 
>Der  heutige  Volksglaube  und  das  alte  Heidentum"  dar. 

Die  nordische  Sage  erzählt  von  Thorr,  dass  er  beim 
Bauer  Egill  die  beiden  Böcke,  welche  seinen  Wagen  zo- 
gen, schlachtete  und  verzehrte.  Er  bat  auch  den  Bauern, 
seine  Frau  und  Kinder  zu  Gast.  Thorr  legte  die  Bocks- 
felle neben  den  Heerd  imd  sagte,  der  Bauer  und  seine 
Kinder  möchten  die  Knochen  auf  die  Felle  werfen. 
Thiälfi,  des  Bauern  Sohn,  schlug  ein  Schenkelbein 
mit  dem  Messer  entzwei,  um  zum  Mark  zu  kommen. 
Thorr   blieb    die  Nacht  da  und   am  Morgen   stand   er  auf 


1)  Mirror  XXVI.  p.  16  —  31.   Kuhn,  Hagens  Germania  VII  1846  p.  432. 
Vergl.  Zeitschr.  f.  D.  Mj'th.   I,   218  nach  Bolland  I,   815.  Jan.  XIII. 

2)  Bei   den   Polen   kommt   bozj'   pr^tek   (Gottes  Rute)   und  piorunowi 
pratek  (Donnerrute)  als  Name  des  Blitzes  vor. 


63 

vor  Tag,  kleidete  sich,  nahm  den  Hammer  Mjölnir 
und  erhob  ihn  die  Bocksfelle  zu  weihen.  Da  stan- 
den die  Böcke  auf,  aber  einem  lahmte  das  Hinter- 
bein'). Diese  Mythe  enthält  nicht,  wie  Wolf  glaubte'}, 
eine  ältere  und  echtere  Gestalt^  als  die  deutsche  Sage,  wel- 
che erst  durch  Verfälschung  die  Eiben  an  die  Stelle  des 
Donnergottes,  die  Kuh  als  hörnertragendes  Tier  an  die 
Stelle  des  Bocks  gesetzt  hätte.  Vielmehr  haben  wir  in 
der  nordischen  Sage  eine  selbständige,  aber  nah  verwandte 
Mythe  zu  erkennen.  Der  Bock  hat  dieselbe  Bedeutung 
wie  die  Kuh ;  er  ist  Symbol  der  Wolke,  die  des  Gewitter- 
gottes Wagen  zieht,  aus  der  er  seinen  Regen  entsendet. 
Auch  dieses  Symbol  reicht  in  die  indogermanische  Urzeit 
hinauf.  Denn  schon  Indra  heifst  in  den  Veden  Widder, 
mesha  und  vrishni  (mingens)  als  der,  welcher  aus  der 
Wolke  den  besaamenden  liegen  ergiefst.  Er  verwandelt 
sich  in  einen  Widder,  um  Medhyatithi  zum  Himmel  hinauf- 
zutragen. Von  der  Wolke,  die  Indras  Widder  genannt 
wird,  heifst  es:  „Hoch  erhebe  o  Indra  den  Widder,  den 
des  leuchtenden  Himmels  Kundigen,  von  dem  hundert  Ströme 
auf  einmal  hervorgehen'').  Die  Belebung  der  Böcke  durch 
Thörr  ist  also  der  Belebung  der  Kuh  durch  die  Elbe  iden- 
tisch, beide  Formen  der  Sage  sind  aber  selbständig.  Die 
nordische  Mythe  beweist  uns,  dass  die  deutschen  Sagen 
auch  schon  im  germanischen  Heidentum  vorhanden  waren, 
die  Uebereinstimmung  mit  der  genau  entsprechenden  vedi- 
schen  Ueberlieferung  rückt  ihr  Alter  in  noch  höhere  Zeit, 
d.  i.  vor  die  Trennuno;  der  indogermanischen  Völkerstämme 


1)  Gylfaginning  44. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   71. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  310.  Zeitschr.  f.  vcrgl.  Spraclif.  IV,  426. 
V,  146.  Hoefer,  Zeitschr.  f.  Wissensch.  der  Spr.  I,  282.  Auch  in  der  grie- 
chischen Mythologie  ist  der  Widder  Symbol  der  WoUve.  Als  solches  tritt 
er  besonders  in  den  Hermes-  und  Athaniantidensagen  hervor.  Preller,  Griech. 
Myth.  I,  78.  93.  233.  248.  249.  205.  II,  211.  Als  Wolkengöttin  reitet 
auch  Athene  auf  dem  Widder,  d.  i.  der  Wolke.  S.  Lauer,  Archäolog.  Zei- 
tung 1849  No.  3.  System  der  gi-iech.  Mytli.  402  fgg.  vgl.  S.  155  und  Ger- 
hard, Griech.  Myth.  I,  18.  §.40,  5.  Der  Bock  erscheint  als  Symbol  der 
Wolke  im  Kult  des  Zeus  Aktaios.  Lauer,  System  198.  Die  Ziege  =  Re- 
genwolke s.   Gerhard,  Griech.  Myth.  I,    19.  §.  40,   6. 


64 

hinauf).  Nicht  allein  Tiere,  sondern  auch  tote  Menschen 
lässt  unsere  Volkssage  (wie  es  scheint  von  Thunar)  wie- 
derbelebt werden.  Wir  können  eine  Besprechung  dieser 
Sagen  hier  um  so  weniger  unterlassen,  als  sie  uns  interes- 
sante Aufschlüsse  über  das  in  den  Tiererweckungen  vorkom- 
mende Zusammenlegen  der  Knochen  gewähren  und 
die  Grundlage  für  weitere  in  unserm  Buch  zu  behandelnde 
Untersuchungen  darbieten  werden.  Am  bekanntesten  ist  das 
Märchen  vom  Machandelböm  K.  H.  M.  No.  47.  Brüder- 
chen wird  von  seiner  bösen  Stiefmutter  geschlachtet,  ge- 
kocht und  dem  Vater  beim  Mittag  vorgesetzt.  Schwester 
Marlenichen  sammelt  die  Knochen  alle  und  legt  sie 
in  ein  seidenes  Tuch  unter  den  Machandelbaum  (Hollun- 
der),  den  wir  schon  oben  S.  15  als  dem  Thunar  geweiht 
zu  erkennen  glaubten.  Unter  Donner  und  Blitz  ersteht 
das  Brüderchen,  während  die  böse  Stiefmutter  durch  einen 
Mühlstein^)  erschlagen  wird.  In  einer  Variante,  die  ich 
in  der  Mark  aufzeichnete,  ist  das  Tuch  ausdrücklich  rot- 
seiden, nach  einer  hessischen  Version  ^)  bindet  Schwester- 
chen die  Knochen  mit  einem  rotseidenen  Faden  zu- 
sammen.    Rot  ist   Thunars  Farbe.     Somit   wird   es   kaum 


1)  Meine  Erklärung  wird  gefestigt  durch  die  Sage  von  der  Ziege  Hei8- 
rün ,  welche  auf  Vallhölls  Dach  steht  und  den  Einheriar  täglich  berauschen- 
den Met  spendet.  Weinhold,  Altnordisch.  Leben  S.  43.  152.  bemerkt  mit 
Recht:  „Gewiss  war  es  Anfangs  wirkliche  Milch,  was  sie  gab.  Erst  später, 
als  die  Ansprüche  sich  steigerten,  wandelte  sicli  Heiörüns  Gabe  in  Met." 
Sie  ist  eins  mit  der  Kuh,  von  der  die  Maruts  tranken.  In  frühfiv 
Zeit  schon  scheint  im  Norden  die  Darstellung  derselben  als  Geis  eingetreten, 
in  Deutschland  erscheint  die  Ziege  an  Stelle  der  Kuh  in  einer  vorarlberger 
Sage.  Zeitschr.  für  D.  Altertum  XI,  171.  Der  späten  Zeit  des  Systems  ge- 
hört dann  die  Ausbildung  der  ethischen  Bedeutung  HeiSrüns  an,  welche  Mül- 
lenhof (Zur  Runenlehre  47)  nachweist.  Zu  vergleichen  steht  die  griechische 
Amalthcia.  Dass  es  im  Norden  auch  Sagen  gab ,  welche  die  Belebung  der 
Tiere  den  A 1  f e  n  zuschrieben,  scheint  die  Skälda  zu  verraten.  Als  der  Zwerg 
Sindri  den  Eber  Gullinbursti  schmieden  will,  legt  er  eine  Schweinshaut  in 
die  Esse  und  bald  stand  unter  seinen  Hammerschlägen  ein  goldenes  Schwein 
lebendig  da.  Auch  die  Ribhus  schmiedeten  die  Kuh.  Dem  Eber  Sashrim- 
nir  liegt  dieselbe  Bedeutung  zu  Grunde  wie  HeiSvün,  vergl.  Rig\'.  Langl.  VI, 
5,  10,  10:  O  Indra,  lass  den  himmlischen  Eber  (Varäha)  uns  geben  hun- 
dert fruchtbare  Ströme  und  Ueberfluss  nahrreicher  Milch.  Varäha 
(Eber)  bedeutet  geradezu  die  Wolke.     Zeitschr.  f.   vergl.   Sprachf.  V,    146. 

2)  Mjölnir?  s.  Kuhn,   Nordd.   Sagen,  Mäi-ch.  2. 

3)  K.  IL  M.  III.2   S.  77. 


65 

zweifelhaft  sein  können,  dass  der  Gewittergott  die  Belebung 
vollzog  ').  In  einem  andern  Märchen,  vom  Bruder  Lustig 
(K.  H.  M.  No.  81)  macht  der  in  den  meisten  Fällen  Thu- 
nar  vertretende  Heilige,  St.  Peter  Kranke  gesund  und  Tote 
lebendig.  Er  schnitt  alle  Glieder  des  Toten  los, 
warf  sie  in  einen  Kessel  mit  Wasser,  unter  dem  er  Feuer 
machte,  und  liefs  sie  kochen.  Als  alles  Fleisch  von 
den  Knochen  abgefallen  war,  nahm  er  das  weifse 
Gebein  heraus,  legte  es  auf  eine  Tafel  undreihte 
es  nach  seiner  natürlichen  Lage  zusammen. 
Dann  trat  er  hervor  und  sprach  dreimal:  Toter  steh'  auf! 
und  beim  drittenmal  erhob  sich  der  (die)  Gestorbene  ge- 
sund und  schön.  Im  Fitchersvogel  (K.  H,  M.  No.  46) 
sammelt  die  jüngste  Jungfrau  die  zerstückten  Glieder  ihrer 
zwei  toten  Schwestern  aus  dem  Blutkessel  hervor  und  leojt 
Kopf,  Arme,  Rumpf  und  Beine  nach  ihrer  natür- 
lichen Ordnung  zurecht.  Als  nichts  mehr  fehlt,  regen 
sich  die  Glieder  und  schliefsen  sich  an  einander.  Beide 
Mädchen  öflfnen  die  Augen  und  sind  wieder  lebendig.  Ebenso 
verfährt  der  Einsiedler,  welcher  der  Gemahlin  OflPas  IL, 
der  schönen  Hygd,  die  zerstückelten  Söhne  wieder  ins  Le- 
ben zurückruft.  Sie  war  in  Folge  von  Verläumduugen  in 
den  Wald  hinausgeführt,  um  sammt  ihren  Kindern  getötet 
zu  werden.  Die  Mörder  schonten,  von  ihrer  wunderbaren 
Schönheit  gerührt,  ihr  Leben,  töteten  aber  die  Knaben  und 
zerstreuten  ihre  Glieder.  Ein  Waldbruder  fügt  die  zer- 
streuten Glieder  wieder  zusammen  und  belebt  sie  durch 
das  Zeichen  des  h.  Kreuzes  und  Gebet  -).     Derselbe  Mär- 


1)  Schon  Mone  äufserte  (Geschichte  des  Heidentums  I,  408.  Anm.  161) 
über  das  Märchen  vom  Machandelbom:  „Auch  in  dieser  tiefgedachten  Sage 
geschielit  die  Belebung  durch  Feuer." 

2)  Vita  Oflae  II.  p.  8.  ap.  Watts  Mathaei  Parisieusis  opp.  Londoni  1640. 
vergl.  Müllenhoff,  Sagen  7.  Sic  igitur  Sanctus  istc  Domini  de  fidei  sui  vir- 
tute  in  domino  praesumens  et  confidens  inter  orandujn  membra  praecisa 
recolligens  et  sibi  particulas  adaptans  et  conjungens  et  in  quan- 
tum  potuit  redintegrans  in  partium  quum  plurimum  scd  in  integritatem 
potius  delectatus  Domino  rei  consunmiationem ,  qui  mortificat  et  vivificat, 
rommendavit.  Mira  fidei  virtus  et  efficacia.  Signo  crucis  vivificae  et 
orationis  et  ac  fidei  servi  Dei  virtute  non  solum  matris  orbatae  animus  repa- 
ratur,  sed  et  filiorum   corpnscula  in  pristinum  et  integrum  sunt  re- 


66 

chenzug  spielt  in  die  Ueberlieferungen  der  Wallachen,  Ma- 
gyaren und  Polen  hinüber.  Ein  wallachischer  Prinz  wurde 
von  seinen  Brüdern  erschlagen.  Bereits  war  sein  Leib 
verwest  und  nur  noch  das  verbleichte  Gerippe  lag  ne- 
ben dem  unglücklichen  Meermädchen,  das  ihn  über  Alles 
geliebt  hatte.  Da  erschien  der  Jungfrau  ein  hilfreicher  Wolf 
und  sprach:  „Getraust  du  dich  die  Gebeine  des 
Geliebten  genau  so  zu  legen,  wie  sie  im  Leben 
waren?"  Das  Mädchen  bejahte  dies  und  tat  so.  Gut, 
sagte  der  Wolf,  nimm  jetzt  Laubwerk  und  Blumen  und 
wirf  sie  darauf  Als  dies  geschehen  war,  blies  er  über  das 
Ganze  hin  und  vor  der  Jungfrau  lag  der  geliebte  Prinz  in 
ruhigem  Schlummer.  Sie  weckte  ihn  durch  einen  Kuss  '). 
Den  magyarischen  Eisenlaci  überwand  ein  zwölfköpfiger 
Drache  im  Kampf,  und  zerhieb  ihn  in  hundert  Stücke. 
Nach  einem  Versprechen  jedoch,  das  er  dem  Gegner  ge- 
geben, band  er  die  hundert  Stücke  in  ein  Tuch  und 
legte  es  auf  dessen  Ross,  das  damit  pfeilschnell  zum  Schlan- 
genkönig floh.  Dieser  legte  alle  Gebeine  ordentlich 
zusammen,  und  wusch  sie  mit  Wasser,  worin  heilsame 
Kräuter  gekocht  waren.  Da  erwachte  Eisenlaci  und  war 
siebenmal  schöner,  als  ehedem.  Das  rechte  Schul- 
terbeiu  war  beim  schnellen  Ritt  aus  dem  Bündel  verloren, 
darum  verfertigte  der  Schlangenkönig  ein  neues  von  Gold 
und  Elfenbein  ^).  Die  Polen  erzählen  von  dem  berüchtigten 
Räuber  Twardowsky,  er  habe  sich  in  Stücke  hauen  las- 
sen. Die  kleinen  Stücke  wurden  mit  gekochten  Salben  be- 
strichen und  mit  Kräutersäften  begossen,  dann  zusammen- 
gelegt und  begraben.  Nach  7  Jahren,  7  Monaten,  7 
Tagen  und  7  Stunden  lag  Twardowsky  als  allerliebstes  Kind, 
auf  Veilchen    sebettet    im    Sarge.     In   7  Monaten   war   er 


formata  decorem,  nee  non  et  animae  mortuorum  ad  sua  pristina  domicilia 
snut  reversa.  —  Ohne  Vorgang  der  Vilcinasaga  lässt  Simrock  (Wieland  der 
Sclimied  S.  203)  die  getöteten  Söhne  des  Königs  Niöuör  von  Wieland  aus 
den  einzelnen  Knochen  zusammengesetzt  und  wiederbelebt  werden. 

1)  Schott,  Wallachische  Märchen  261. 

2)  Stier,  Ungarische  Sagen  S.  105  fgg.    Vergl.  die  Sagen  von  Florianu. 
Schott  a.  a.  0.  276;  von  Frunse  Wärdje.     Ausland   1856.   S.  2122. 


67 

schon  wieder  ein  Jüngling ' ).  Auch  der  Zauberer  Virgi- 
lius  liefs  sich  in  Stücke  hauen  und  in  ein  Fass  schlie- 
fsen.  Nach  3  Tagen  sollte  sein  Diener  das  Fass  öffnen 
und  er  wäre  verjüngt  daraus  erstanden.  Inzwischen  fand 
der  König,  der  von  der  Sache  nichts  wusste,  die  Gebeine 
des  Dichters  und  befahl  den  treuen  Diener,  der  allein  von 
dem  Geheimnis  unterrichtet  war,  hinzurichten.  So  unter- 
blieb die  Auferweckung-).  Dieselbe  Geschichte  erzählt  man, 
nur  mit  etwas  anderer  Wendung,  in  Siebenbirgen  von  Theo- 
phrastus  Paracelsus,  der  sich  zerstücken  und  in  Mist  begra- 
ben lässt.  Sein  Diener  öffnet  aber  zu  früh  die  Grube.  Da 
lag  Theophrastus  lebendig  als  ein  schöner  Jüngling. 
Nur  die  Hirnschale  war  noch  nicht  zugewachsen.  Dort 
drang  Luft  hinein  und  er  musste  wieder  sterben*^).  Ein 
junger  Graf,  der  eine  verzauberte  Princessin  erlösen  will, 
wird  in  einem  Thüringischen  Märchen  von  Geistern  in 
Stücke  gehauen  und  in  ein  Fass  getan.  Als  die 
Princessin  bald  nachher  das  Fass  öffnet,  steigt  er  unver- 
sehrt und  weit  schöner  als  zuvor  wieder  heraus*).  Ein 
Sohn  Heinrichs  des  Löwen,  der  es  unternimmt  eine  ver- 
wünschte Königstochter  zu  erlösen,  wird  drei  Nächte  hin- 
ter einander  von  Geistern  zerhackt,  welche  die  Kno- 
chen rein  abnagen.  Dann  kommt  ein  kleiner  Hirsch, 
der  ein  Oeliläschchen  im  Munde  hat.  Dieser  sucht  die 
Gebeine  zusammen,  legt  alle  in  die  rechte  Ord- 
nung und  bestreicht  sie  mit  Oel,  worauf  sie  sich  wieder 
zusammenschliefsen.  In  einer  halben  Stunde  ist  der  Prinz 
lebendig  ^). 

In  den  meisten  dieser  ineinander  greifenden  Ueberlie- 
ferungen  beruht  die  Wiederbelebung  auf  der  Reinigung 
der  Knochen  vom  Fleische.    Darauf  werden  die- 


1)  Woycicki,  Polnisolie  Sagen  94. 

2)  Sommer,   Sagen,  Märchen  und  Gebräuclie  aus  Sachsen  und  Thüringen 
S.  178. 

3)  Müller,    Beiträge  zur  Geschichte  des  Hexenglaubens  in  Siebenbürgen 
1854.  S.  26. 

4)  Sommer  a.  a.  0.   128.     Vgl.  Wolf,  D.  H.  M.  S.  210  u.  222. 

5)  Müller  und  Schambacli,  Niedersächsische  Sagen  S.  254. 

5* 


68 

selben  in  ihrer  natürlichen  Ordnung  aneinander- 
gereiht. Als  Bruder  Lustig  dem  h.  Petrus  eine  Toten- 
erweckung  nachmachen  will,  weifs  er  die  Ordnung  nicht, 
wirft  die  Gebeine  verkehrt  durch  einander  und  sein  Werk 
misrät.  Sogar  im  finnischen  Epos  Kalevala  tritt  der  letz- 
tere jener  beiden  Züge  lebendig  hervor.  Lemminkainen, 
der  rasche  Held,  ist  im  Totenreich  Tuonela  umgekommen, 
zerstuckt  und  in  den  Totenfluss  geworfen.  Seine  greise 
Mutter  sucht  ihn  hier  auf  und  tischt  mit  einer  Harke  die 
zerstreuten  Teile  des  Leichnams  zusammen. 

Ziehet  nach  mit  frischem  Mute 

Durch  das  Wasser  ihre  Harke, 

Nach  der  Läng'  des  Tuoniflusses, 

Nach  der  Länge,  nach  der  Breite; 

Fängt  die  Hand,  des  Kopfes  Hälfte, 

Fängt  des  Rückenknochens  Hälfte, 

Fängt  des  Hüftbeins  eine  Seite, 

Viele  andre  kleine  Stücke, 

Setzt  daraus  den  Sohn  zusammen. 

Ihn  den  muntern  Lemminkainen. 

FügetFleisch  dann  zu  demFleische, 

Passt  die  Knochen  aneinander, 

Bindet  ein  Glied  an  das  andre. 

Drückt  die  Adern  fest  zusammen'). 
Darauf  fleht  sie  die  Aderjungfrau  an,  die  Adern  fest 
zu  verbinden  und  die  Pulse  fest  zu  verbinden;  die  Luft- 
jungfrau durch  die  Adern  zu  fahren,  durch  der  Knochen 
Hölung  zu  rudern,  Gott  aber  (doch  wol  Ukko  den  Ge- 
wittergott): 

Wo  die  Haut  entzweigegangen. 

Dort  lass'  neue  Haut  entstehen; 

Wo  die  Adern  durchgerissen. 

Binde  du  sie  fest  zusammen. 

Wo  das  Blut  davon  geflossen 

Dort  lass  neues  Blut  du  fliefsen. 


1)  Kalevala  R.  XV,  298  —  310.     Schiefner  S.  78. 


69 

Wo  die  Knochen  sich  zerschlagen 

Dort  lass'  neue  Knochen  wachsen. 

Wo  das  Fleisch  sich  abgelöset, 

Binde  fest  das  Fleisch  zusammen. 

Binde  es  an  seine  Stelle, 

Setze  es  an  seine  Lage, 

Bein  an  Bein  und  Fleisch  zuFleische, 

Füge  Glieder  an  die  Glieder. 

Im  Schofse  der  Mutter  kommt  Lemminkainen  zu  neuem 
Leben  und  wundert  sich,  wie  lange  er  geschlafen  habe,  nach- 
dem er  zuvor  durch  eine  Honigsalbe  die  Sprache  wieder 
erhalten.  Die  letzten  Worte  des  Segens  finden  sich  in  ei- 
nem ehstnischen  bei  Verrenkungen  eines  Pferdes  angewand- 
ten Zauberspruch  wieder: 

Jesus  ging  dahin  zur  Kirche 

Mit  dem  Rothross,  mit  dem  Rappen, 

Mit  dem  fleischfarb  Mausefahlen. 

Da  verrenkte  das  Pferd  den  Fufs. 

Nieder  bei  dem  Rade  Jesus 

Zu  besprechen  des  Pferdes  Fufsr 

„Hier  ist  ein  Gelenk  verrenkt. 

Hier  die  Sehn'  übergesprungen. 

Hier  ein  Sprungbein  ausgestemmet. 

Geh'  Gelenk  an  Gelenk  hinwieder, 

Gehe  Sehn'  an  Sehn'  hinwieder. 

Gehe  Sprung  an  Sprung  hinwieder. 

Gehe  Fleisch  an  Fleisch  hinwieder'). 

Dieses  Lied  ist,  wie  zwei  andere  an  demselben  Orte  mit- 
geteilte, eine  Nachbildung  und  breitere  Ausführung  des  ei- 
nen der  beiden  heidnischen  Zaubersprüche,  welche  uns  die 
Gunst  des  Schicksals  aus  der  Zeit  der  vorchristlichen  Re- 
ligion in  Thüringen  vermittelst  einer  Handschrift  in  Mer- 
seburg aufbehalten  hat. 


1)  Kreutzwald,  Mythische  und  magische  Lieder  der  Ehsteu  S.  97.  26  A. 


70 


Phol  ende  Wodan 

»uorun  zi  holza: 

do  wart  demoBalderes  «?olon 

sin  viuoz  birenkit: 

thu  biguolen  Sintligunt, 

Sunnä  erä  «uister; 

thu  biguolen  Frijä, 

Follä  era  suister; 

thu  biguolen   fFodan 

so  he  wola,  conda, 

söse  öenrenki  — 

söse  61uotrenki 

söse  lidirenki. 

ben  zi  bena, 

bluot  zi  bluoda, 

lid  zi  geliden, 

söse  eeliraidä  sin. 


Vol  und  Wodan 

Fuhren  zu  Walde, 

Da  wart  dem  Balders  Fohlen 

Sein  Fufs  verrenkt. 

Da  besprach  ihn  Sinthgunt 

(und)  Sonne  ihre  Schwester, 

Da  besprach  ihn  Frija 

(und)  Volla  ihre  Schwester. 

Da  besprach  ihn  Wodan 

Wie  er  wol  verstand. 

So  die  Beinverrenkung, 

Wie  die  Blutverrenkung, 

Wie  die  Gliederverrenkung. 

Bein  zu  Beine, 

Blut  zu  Blute, 

Glied  zu  Gliedern 


Als  ob  sie  geleimt  seien. 
Die  Deutschheit  dieses  Zaubersegens  wird  durch  die 
weite  Verbreitung  desselben  in  späteren  Nachbildungen  un- 
ter allen  germanischen  Völkern  gewährleistet ' ).  Daraus 
ergiebt  sich,  dass  wie  der  ehstnische  Zauberspruch,  so  auch 
jene  epische  Ueberlieferung  der  Kalevala  auf  germanischem 
Grunde  beruht^).  Zugleich  aber  erhellt,  dass  zwischen  der 
Heilung  im  Merseburger  Zauberspruch  und  der  oben  be- 
sprochenen Weise  der  Totenerweckung  ein  wesentlicher  Zu- 
sammenhang besteht,  der  aufs  Neue  den  germanischen  Ur- 
sprung und  das  vorchristliche  Alter  der  letzteren  beweist. 
Dieselbe  ist  jedesmal  auch  Verjüngung.  Gradeso  heifst 
es  in  der  Kalevala: 

Lemminkainens  Mutter  wiegte 
Drauf  ihr  Söhnchen  unverdrossen 
Wiederum  zum  frühern  Leben, 


1)  S.  Myth.  2  1181  fgg.  MüUenhoff,  Zeitschr.  f.  d.  Myth.  III,  1.  No- 
tes and  qiieries  III.   1851,   258.     Kuhn,  Hagens  Germania  VII,    425. 

2)  Nur  dass  einzelne  echt  finnische  Züge  hineinverwebt  sind.  S.  Schief- 
ner, Ueber  den  Mythengehalt  der  finnischen  Märchen.  Melanges  Kusses  t.  II. 
p.  621. 


71 

Wiegte   ihn  ins  frübre  Dasein; 
Dass  er  um  ein  Stückchen  besser, 
Schöner  noch  als  früher  wurde*). 
Diese  Verjüngung  stimmt  mit  der  Verjüngung  der  Greise 
durch   die  Ribbus,    welche   einen  begrifflichen  Zusammen- 
hang mit   der  Belebung   der  Kuh  nicht  verläugnen   kann. 
Anfangs  mögen  unter  den  von  ihnen  verjüngten  „alternden 
Eltern"  die  im  Frühling  neu  belebten  Wesen  Himmel  nnd 
Erde  verstanden  sein,  wie  Kuhn  meint-),    später  übertrug 
man  diese  Mythe  auf  menschliche  Verhältnisse. 

Nach  dem  Merseburger  Zauberspruch  könnte  es  schei- 
nen, als  sei  „Petrus"  im  Märchen  „vom  Bruder  Lustig" 
an  Wodans^)  Stelle  getreten.  Allein,  dass  hier  T  hu  na  r 
gemeint  ist  und  dieser  Gott  vielleicht  in  der  dem  Merse- 
burger Zauberspruch  zu  Grunde  liegenden  Mythe  in  an- 
deren Gegenden  das  Geschäft  verübte,  welches  hier  Wodan 
zugeschrieben  wird,  wird  durch  einen  auf  mythischem  Grunde 
ruhenden  Schwank  des  Hans  Sachs  wahrscheinlich.  Chri- 
stus und  Petrus  kommen  in  eine  Schmiede,  wo  sich  auch 
ein  alter,  von  Gebrechen  hart  gedrückter  Bettelmann  ein- 
findet. Der  Herr  erbarmt  sich  seiner  und  verspricht  ihn 
zu  verjüngen.  Er  heifst  Petrus  Kohlen  in  die  Esse  legen 
und  die  Bälge  ziehen.  Als  das  Feuer  aufflammt,  nimmt 
er  das  alte  Mäunlein,  schiebts  in  die  Esse  mitten 
ins  rote  Feuer,  dass  es  darin  glühte  wie  ein  Ro- 
senstock. Nachdem  trat  der  Herr  zum  Löschtrog,  zog 
das  glühende  Männlein  hinein,  dass  das  Wasser  über  ihm 
zusammenschlug  und  nachdem  er  es  fein  sittig  abgekühlt, 
gab  er  ihm  seinen  Segen.  Zuband  sprang  das  Männlein 
heraus  zart,  grade,  gesund  und  frisch,  wie  von 
zwanzig  Jahren.  Als  der  Schmied  nachher  mit  seiner 
alten  buckligen  und  balbblinden  Schwester  dasselbe  versu- 


1)  R.  XV,   603  fgg. 

2)  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV,  112. 

3)  Das  Auftreten  Wödan's  im  Merseburger  Zauberspruche  in  einer  dem 
Geschäft  der  Ribbus  entsprechenden  Kolle  hat  sein  Analogen  in  dem  vorhin 
nachgewiesenen  oftmaligen  Erscheinen  der  Gesellschaft  Wodans,  des  wütenden 
Heers,   in  Sagen,   welche  in  Indien  die  Ribhus  auftreten  lassen. 


72 

chen  will,  verbrennt  er  sie').  Dieselbe  Erzählung  kehrt 
bei  Asbjörusen  und  Moe  wieder-).  Der  mit  dem  Ham- 
mer den  Greis  verjüngende  Heiland,  der  den  schmie- 
denden Ribhus  ähnlich  ist,  vergleicht  sich  unter  den 
germanischen  Göttern  nur  Thörr-Thunar,  den  wir  schon 
in  den  Märchen  vom  Machandelböm  und  Bruder  Lustig 
als  Beieber  eines  Menschen  erkannten.  Die  Erzählung  bei 
Asbjörnsen  und  Moe  enthält  aber  noch  einen  Zug,  welchen 
ich  geneigt  bin  als  einen  Rest  derjenigen  Mythe  zu  be- 
trachten, die  der  epischen  Einleitung  des  zweiten  Merse- 
burger Zauberspruches  zu  Grunde  liegt.  Christus  nimmt 
einem  Rosse,  das  beschlagen  werden  soll,  das  Bein  ab, 
legt  es  in  die  Esse  und  schmiedet  das  Hufeisen  auf,  wor- 
auf er  es  unbeschädigt  wieder  ansetzt.  In  Deutschland 
und  Belgien  haftet  dieselbe  Mythe  am  heiligen  Eligius^). 
Vermute  ich  recht,  so  war  ursprünglich  nicht  von  der  Be- 
schlagung  des  Hufs,  sondern  von  der  Heilung  eines  zer- 
brochenen Fufses,  der  vom  Gott  wieder  angeschmiedet 
wurde,  die  Rede  *).  Die  älteste  deutsche  Fassung  der  Sage 
bei  Sebastian  Brand,  läfst  das  „lid  zi  geliden"  noch  durch- 
schimmern: „Darnach  heifs  in  der  künig  sein  pferd  be- 
schlahen  mit  silberin  hufysin.  So  schneid  sant  Loy  dem 
pferd  die  füfs  ab  nach  den  gelidern  und  als  er  es  be- 
schlagen hett,  da  setzt  er  im  die  füfs  wider  an  on  allen 
gebrechen."  Wir  dürfen  uns  bei  dieser  Mythe  auch 
daran  erinnern,  dass  Indra  einen  Lahmen  heilte,  die  Ribhus 
ein  Pferd  verjüngten. 

Einen    entschiedenen  Abstand    von    der   germanischen 
Verjüngungssage  ^)   zeigen   die  Ueberlieferungen   des  helle- 


1)  Hans  Sachs  Kempt.  Ausg.  IV,  3,   152.   153  KHM.  No.  147. 

2)  Norwegische  Vollismärchen,  übers,  von  Bresemann  No.  21.  S.  148  fgg. 

3)  Wolf,  Beiträge  II,  55.  Wolf,  Deutsche  Märchen  und  Sagen  S.  77. 
No.  17.     Meier,   Schwab.   Sagen  293.  No.  330. 

4)  Eine  irische  Sage,  worin  nach  Wolfs  Bemerkung  der  zerbrochene 
Fufs  eines  Pferdes  den  zerbrochenen  Bockschenkel  in  der  Thormythe  ersetzt, 
s.  Zeitschr.  f.  d.  Myth.  I,   215. 

5)  Hängt  mit  dieser  Anschauung  zusammen,  dass  mau  im  zwölften  und 
dreizehnten  Jahrhundert  Leichname  aufschnitt ,  das  Fleisch  mit  Wein  oder 
Wasser  absott   und    ablöste   und  abgesondert  von  den  gesammelten  Kno- 


_J3 

niscben  Altertums.  Wenn  bei  uns  die  Wiederbelebung  we- 
sentlich auf  der  richtigen  Ordnung  des  Knochen- 
gerüstes beruht,  tritt  uns  dort  als  die  Hauptsache  das 
Kochen  des  Leibes  im  Zauberkessel  ents^esfen.  Pe- 
lops  wurde  von  seinem  Vater  Tantalos  geschlachtet,  ge- 
kocht und  den  Göttern  zur  Speise  vorgesetzt.  Demeter 
verzehrte  eine  Schulter.  Klöthö  liefs  ihn  aber  mit  einer 
elfenbeinernen  Schulter  aus  einem  reinen  Kessel  wie- 
der hervorgehen').     Medeia    schlachtet    und    kocht    den 


chen  begrub?  Pabst  Bonifaz  VIII.  untersagte  diese  Sitte.  Nork,  Kloster  XII, 
221.  Dieser  Gebrauch  wurde  hauptsächlich  angewandt,  wenn  Jemand  in  der 
Fremde  starb  und  seine  Freunde  oder  Verwandten  die  Knochen  in  der  Hei- 
mat bestatten  wollten.  Ausführlichere  Nachrichten  über  diese  Bestattungsweise 
hat  Jaffe  in  seiner  Dissertation  de  arte  medica  saeculi  XII.  Berolini  MDCCCLIII 
p.  27  —  32  gesammelt.  Nach  der  grofsen  Pest,  welche  1167  das  Heer  Kai- 
ser Friedrichs  I.  in  Rom  ergriff,  erzälilt  der  Anonymus  Weingartensis  (Hess, 
Monum.  Guelf.  p.  46)  von  den  dabei  gestorbenen  Bischöfen  mid  Fürsten 
,,ossa,  carnibus  per  excoctionem  consumtis,  ad  propria  reducta 
esse".  Aehnlich  wird  in  der  Chronik  von  Mailros  (Fell  rer.  Angl.  Scr. 
p.  170)  berichtet:  ,,Coloniensis  electus  exstinctus  est,  et  ut  ossa  a 
carnibus  disjungerentur  et  Coloniam  deferrentur,  totus  in 
aquam  coctus  est".  Im  Chronicon  Siloense  1167  lesen  wir:  ,, Daniel 
Pragensis  episcopus  ibidem  mortuus  est,  cujus  carnes  ibi  re- 
conditae,  sed  ossa  sunt  Pragam  delata"  Kenricus  Berchtolgadensis 
in  seiner  Historia  Salzburgensis  ecclesiae  p.  212  überliefert:  ,,Cum  tanta  esset 
strages  in  exercitu,  multique  amicos  suos  mortuos  relinquere  in  terra  hostili 
erubcscerent,  cadavera  eorum  coquere  et  sale  aspergere  ac  sie  secum 
ad  terram  patrum  suorum  reducere  cogitabant.  Cumque  frater  quidam  fra- 
trem  coqueret,  alter  pro  caldario  misit  summopere  rogando,  ut  sibi  mittere- 
tur  ad  opus  simile  necessarium,  respondit  ille:  ,,,,fieri  non  posse  eo  quod, 
fratre  suo  cocto,  seipsum  prius  coqui  necesse  esset" ",  quod  et  factum  est". 
Kaiser  Friedrichs  I.  Leiche  wurde  nach  dem  Unglückstag  am  Seleph  1190 
ähnlich  behandelt.  Benedictus  Petroburgensis  pag.  566:  Tot  um  corpus 
in  frusta  sciderunt  et  carnem  ejus  coxerunt  et  ossa  ejus  extraxe- 
runt  et  carnes  coctas  sepelierunt  in  Antiochia  cum  cerebro  et  visccribus; 
ossa  autem  ejus  secum  tulerunt  usque  ad  civitatem  Tyri  et  sepelierunt  ea 
ibi."  Chronicon  montis  Sereni  1190:  Translatus  est  autem  a  militibus  in 
civitatem  Seleph,  ubi  et  intestina  ejus  humata  sunt,  corpus  vero  Antiochiam 
delatum  ibique  elixatum  est  et  caro  quidem  in  ipsa  civitate  terrae  tradita 
ossa  vero  Spiram  reportata  et  tumulata  sunt."  (Cf.  Vinisauf  itinerarium  regis 
Anglorum  Richardi  ap.  Gale  hist.  angl.  Scr.  II,  266.  Rogerus  de  Hoveden 
p.  371.     Chronic.   Holland   1190). 

1)  Pindar  Olymp.  1 ,  40  fgg.  Wie  verbreitet  und  allgemein  geglaubt 
die  Sage  von  Pelops  Wiederbelebung  war,  sieht  man  daraus,  dass  an  mehre- 
ren Orten  eine  angebliche  Scluilter  des  Heros  als  vnöStiyiia  diente.  In  Pisa 
sollte  sie  in  einer  ehernen  Lade  bewalirt  sein  (über  die  Pisaner  Pelopssage 
s.  Preller,  Griech.  Myth.  II,  270).  Auch  zu  Delphi  rühmte  mau  sieh  des 
Besitzes.      Ohne    die  Schulter    des  Pelops  konnte  Troja  nicht  erobert  werden; 


74^ 

greisen  Aison')  und  ihren  Gemahl  läson^)  in  ihrem  Zau- 
berkessel, um  sie  verjüngt  aus  demselben  hervorzuziehn. 
Peliäs  Töchter  wünschen  ihrem  Vater  ein  gleiches  Loos. 
Nachdem  sie  ein  Böckchen  geschlachtet,  gekocht  und  wie- 
derbelebt gesehen,  töten  sie  Peliäs,  den  Medeia  zur  Rache 
für  läsön  unerweckt  läfst.  Wie  die  hellenische  Sage  hie- 
nach  die  Wiederbelebung  durch  die  heilsame  Kraft  des 
Wassers  und  hineingeworfener  Zauberkräuter  geschehen 
lässt*^),  die  deutsche  (vgl.  das  Märchen  vom  Bruder  Lu- 
stig*)) das  Kochen  der  Glieder  nur  zu  dem  Zwecke  ver- 
anstaltet, um  das  Fleisch  von  den  Knochen  abzulösen,  so 
weicht  der  Grieche  auch  darin  von  den  nördhchen  Ueber- 
lieferungen  (mit  Ausnahme  des  Märchens  von  Eisenlaci) 
ab,  dass  er  die  Mythe  vom  fehlenden  Knochen,  die 
der  Germane  von  wiederbelebten  Tieren  erzählt,  von  aus 
dem  Tode  erweckten  Menschen  oder  Heroen  bewahrte.  Ich 
mache  aufser  der  Pelopssage,  ohne  die  Mythe  vom  hölzer- 
nen Gliede  des  Osiris  in  Betracht  zu  ziehn,  nur  Jamblichs 
Nachricht  vom  hyperboreischen  ApoUönpriester  Abaris,  dem 
Luftwandelnden  (^ai&Qoßc(tr,g)  namhaft,  dem  sich  Pythago- 
räs  durch  eine  goldene  Hüfte  als  Wiedergeborener 
zu   erkennen   gab^).     Wir   werden   sowol   die  Betrachtung 


Philoctet,  der  sie  holen  sollte,  scheiterte  damit  bei  Euboia.  Später  fischte 
sie  Damarmenos  von  Eretria  aus  dem  Meere  wieder  auf,  worauf  die  Reliquie 
nach  Delphi  zurückkehrte.  Zu  Pausaniäs  Zeit  fand  sie  sich  hier  nicht  mehr 
vor.  Koch  andere  späte  Sagen  berichten,  Abaris  habe  das  Palladium  daraus 
gefertigt  und  nach  Ilium  gebracht.  Dasselbe  wurde  in  Rom  im  Vestatempel 
in  einem  kostbaren  Behältnis  aufbewahrt. 

1)  Ovid  Metamorph.  VII,  262  —  269.  Ovids  Quelle  sind  die  Nosten. 
Beim  Plautus  (Pseud.  II,   280)  sagt  ein  Koch: 

Quia  sorbitione  faciam  ego  te  hodie  manu 
Item,  ut  Medea  concoxit  senem, 
Quem  medicamento  et  suis  venenis  dicitur 
Fecisse  rursus  ex  sene  adolescentulum, 
Ita  ego  te  faciam. 

2)  Euripid.  Medeae  argum.  Schol.  Aristoph.  equit.  1332.  Jasons  "Ver- 
jüngung zeigt  auch  eine  Hydria  im  British  Museum.  Sam.  Birch  the  youth 
of  Jason  renewed  by  Medeia.  Classical  muscum  X,  417.  Archaeolog.  Zeit. 
IV,  287. 

3)  Vgl.  jedoch  VaiTO,  Marcipor  s.v.  puellus:  Peliam  Medeae  permisisse. 
ut  se  vel  \'ivum  degluberet,   dummodo  se  redderet  puellum. 

4)  S.  jedoch  auch  Meiev.  Märchen  S.  216. 

5)  Jamblich,   de  vita  l'vthagorae  cap.  28. 


75 

der  griechischen  wie  auch  der  deutschen  Sagen  später  von 
einer  andern  Seite  aufnehmen. 

Ich  muss,  um  auf  den  Ausgangspunkt  der  Untersu- 
chung in  diesem  Abschnitt  zurückzukommen,  noch  erwäh- 
nen,  dass  Kuhn  die  von  den  Ribhus  wiederbelebte  Kuh 
für  die  Erde  hält,  weil  dieselbe  in  zwei  von  ihm  beige- 
brachten Vedenstellen  ein  der  Erde  zustehendes  Epitheton 
vipvarüpa  allgestaltig  führt*).  Dieses  Beiwort  führen  je- 
doch auch  andere  Wesen  z.  B.  Väj.  IX,  19  der  Himmel, 
sonst  der  leuchtende  Sonnengott  Tvashtri ,  der  Meister  der 
Ribhus.  Ebenso  passend  kommt  der  Wolke  die  Benen- 
nung allgestaltig  zu.  Wir  brachten  schon  oben  S.  43  ein 
Zeugnis  dafür  bei,  dass  die  von  den  Ribhus  belebte  Kuh- 
haut  die  Wolke  bedeutete.  Dass  wirklich  die  himmlische 
Wolkenkuh  ursprünglich  gemeint  war  (später  mag  bis- 
weilen grade  das  Beiwort  vi^varüpa  die  Auffassung  der  Kuh 
als  die  im  Frühling  neu  belebte  Erde  misverständlich  ver- 
anlasst haben)  beweist  der  in  den  entsprechenden  deutschen 
Sagen  mit  Entschiedenheit  ausgesprochene  Zug,  dass  das 
wilde  Heer  die  Kuh  mit  in  die  Wolken  fortreifst 
und  von  dort  ausgemolken  zurücksendet.  Dass  aber 
die  vom  wilden  Heer  und  somit  auch  die  von  den  Ribhus 
belebte  Kuh  mit  der  von  ihm  gemolkenen  identisch 
ist,  geht  aus  den  S.  58  angeführten  Schweizersagen  zur  Ge- 
nüge hervor. 

e)  Wenn  die  Wolken  lange  regenlos  am  Himmel  ste- 
hen und  nicht  ihre  belebenden  Güsse  zur  Erde  niedersen- 
den, glaubte  man  in  Indien,  dass  ein  feindlicher  Dämon 
Vritra,  der  Umhüller,  sie  gefangen  halte.  Es  hiefs,  Vritra 
habe  die  leuchtenden  Kühe  des  Himmels  geraubt  und  in 
eine  Hole  verborgen.  Da  entsandte  Indra  die  Götterhün- 
din Saramä,  um  die  geraubten  Tiere  wieder  aufzuspüren. 
Diese  hört  das  Gebrüll  der  Rinder,  auch  zeigen  sich  die 
Spuren  ihrer  Hufe  erkennbar^}.   Indra  wird  benachrichtigt 


1)  Zeitschr.  für  vergl.  Sprachf.   IV,    112. 

2)  Rigveda,  Rosen  h.  VI,   5. 


76 

und  befreit  die  Kühe  aus  ihrer  Gefangenschaft.  Oft  sind 
in  diesem  Mythus  die  Wolken  nicht  als  Kühe  gedacht,  son- 
dern als  himmlische  Frauen  (gnä  Frau,  patni  Herrin,  deva- 
patni  Göttergemahlin  sind  ihre  Epitheta),  welche  Vritra 
fesselt  und  in  seine  finstere  Bergeshöle  oder  Wolken- 
burg einsperrt.  Durch  Vritras  Tod  befreit  Indra  die  ge- 
fangenen Göttinnen.  „O  Indra,  den  die  falben  Rosse  zie- 
hen, die  himmlischen  Frauen  haben  deine  Gewalt  geprie- 
sen, da  sie  von  Vritra  gefesselt  durch  dich  sich  befreit  sa- 
hen und  ihren  Lauf  fortsetzen  konnten  ' )."  »Die  Däsa- 
patnis  von  Ahi  (dem  Drachen  d.  i.  Vritra)  bewacht  stan- 
den da,  die  Wasser  eingesperrt  wie  die  Kühe  von  Pani; 
die  Hole  der  Wasser,  welche  verschlossen  war,  auf  hat  er 
(Indra)  sie  gethan,  als  er  Vritra  schlug."  „Als  du,  o  Stier 
der  Weisen  (Indra),  kräftiger  Zerstörer  der  Feinde  (vri- 
tränäm)  warst,  da  befreitest  du  die  gehemmten  Ströme,  er- 
siegtest die  vom  Bösen  beherrschten^)."  „Die  Schlange 
(Ahi),  welche  sich  erhoben,  sich  über  die  Fluten  gelagert, 
die  Gewaltige  überwand  mit  Gewalten  Indra."  Den  Zu- 
sammenhang der  beiden  Personificationen  der  Wolke  als 
Kühe  und  Nymphen  (Apsarasen)  zeigt  deutlich  eine  Stelle 
aus  Panini,  welche  Weber  mitteilt^):  „Die  Gandharven 
melkten  die  Apsarasen."  Noch  in  dem  späten  Ge- 
dicht liitusamhära  werden  die  Wolken  den  Brüsten  einer 
schwangeren  Frau  verglichen*).  Indras  Reichtum  ver- 
leihende Kuh  Kämadhenu  oder  Surabhi  (die  Wolke)  wird 
nach  der  jüngeren  Mythologie  der  Inder  mit  einem  weib- 
lichen Menschenhaupt  und  drei  Schwänzen  abgebil- 
det, wie  sie  einem  Kalbe  die  Zitzen  reicht^). 

Die   himmlischen  Wassergöttinnen  galten  bald  als  die 
Gemahlinnen  der  Götter,  bald  —  weil  Vritra  sie  dazu  ge- 


1)  Rigv.  Langl.  III,   6,  4,  7. 

2)  S.  Kuhii,   Zeitschr.  für  vergl.  Sprachf    I,  465   fgg. 

3)  Väjasaneyisamhitae   spec.  I.  p.  3.      Vergl.  Kuhn,    Zeitschr.  für  vergl. 
Sprachf.  I,  529.  " 

4)  Ritusamhära    ed.   Bohlen    p.   53.       Pott,    Zeitschr.   für  vergl.  Sprachf. 
IV,   424." 

5)  Moore,  Hindu-Pantheon   141. 


77 

zwungen  hatte  —  als  Gemahlinnen  des  Wolkendämons,  wo- 
her sie  Däsapatnis  „  die  vom  Feinde  Beherrschten "  oder 
„die  Gattinnen  des  Feindes"  hiefsen').  Als  solche  stehen 
sie  mitunter  auf  Vritras  Seite.  Es  wird  von  Vritras  Mut- 
ter gesprochen,  die  ihn  vergeblich  zu  schützen  sucht,  von 
Vritras  Weibern ,  die  er  umsonst  im  Kampfe  zu  Hilfe  ruft. 
Es  ist  klar,  wie  man  bei  der  Flüssigkeit,  welche  die  my- 
thischen Vorstellungen  jener  Urzeit  noch  hatten,  den  Kampf 
des  Indra  gegen  den  die  Wasser  zurückhaltenden  Dämon 
mitunter  zu  einem  Kampfe  gegen  die  Wasser  selbst  als 
Gattinnen  des  Feindes  machen  konnte.  Entsprechend  sind 
bisweilen  die  Himmelskühe  die  Bekämpften,  weil  sie  ihre 
Milch  zu  spenden  verweigern.  „Mit  der  gewohnten  Weis- 
heit, o  Indra,  schlage  du  sammt  den  Maruts  die  Kühe, 
welche  ihre  Milch  zu  spenden  verweigern^)."  Dieselbe 
Vorstellung  ist  anders  ausgedrückt,  wenn  es  heilst,  Vritra 
umhülle  sich  mit  der  Wolke  ja  wenn  das  Wort  vritra  ei- 
nigemale  sogar  appellativ  als  Bezeichnung  der  Wolke  ge- 
funden wird.  Gegen  den  Dämon  zieht  Indra  zu  gewal- 
tigem Kampfe  heran.  Vritra  stirbt  und  sinkt  als  Regen 
in  Gestalt  einer  Schlange  Ahis,  griech.  eyig,  zur  Erde 
herab.  Daher  führt  Vritra  das  Beiwort  Ahis  und  beide 
Namen  wechseln  in  den  Liedern  ab.  Der  Kampf  Indras 
mit  dem  Wolkendämon  müss  als  sehr  hartnäckio-  gedacht 
sein.  Vritra  setzt  Blitz,  Donner  und  Regen  mit  Ge- 
krach  dem  Gotte  entgegen.  Der  Streit  dauert  einige  Tage. 
Endlich  sinkt  jener  von  des  Gottes  Donnerkeil  getroffen 
mit  zerbrochener  Schulter  hin,  wie  ein  Waldbaum 
imter  dem  Axtschlag  fällt '^).  Ein  andermal  heifst  es:  In- 
dra brach  des  Vritra  Macht  mit  seinem  Geschoss  des 
Vritra  Geschoss  besiegend,  grofs  ist  seine  Stärke").  In 
dem  Indra vijaya,    einer  Episode  des  Mahabhärata  ^ ),   wel- 


1)  S.  Zeitschr.  für  deutsche  Mvthol.  III,  375. 

2)  Rigv.  Langl.  II,  4,   4,   8. 

3)  Rigv.  Roseu  h.  XXXII. 

4)  Rigv.  Rosen  h.  LXXX,   10. 

5)  Ed.  A.  Iloltzmaim,  Karolsr.   1841. 


78 

eher  uralte  Ueberlieferungen  zu  Grunde  liegen,  wird  erzählt, 
dass  Tvashtri  zu  Indras  Vernichtung,  weil  dieser  seinen 
Sohn  getötet,  den  Vritra  erzeugte.  Dieser  verschlang 
Indra,  worauf  die  Götter  die  Grimbikä  (das  Gähnen)  er- 
schufen, mit  deren  Hilfe  der  Götterfürst  aus  Vritras  Munde 
entflieht.  Der  Kampf  entbrennt  von  Neuem  und  führt  zur 
Vernichtung  des  Dämons.  In  den  Veden  ist  es  Tvashtri, 
der  dem  Indra  den  Donnerkeil  schmiedet.  Wenn  hier  Vri- 
tra als  sein  Sohn  erscheint,  so  birgt  sich  darin  eine  Erin- 
nerung der  Sage  daran,  dass  derselbe  auch  des  Gewitter- 
feuers mächtig  war.  Der  Streit  zwischen  ihm  und  dem 
Donnergott  wurde  Blitz  gegen  Blitz  geführt. 

ee)  Auch  im  germanischen  Mythus  wechselte  die  An- 
schauung der  Wolke  als  Kuh  mit  der  als  Jungfrau  oder 
Weib.  Zunächst  weise  ich  darauf  hin,  dass  die  Elfen- 
rinder, in  denen  wir  die  Wolkenkühe  erkannten,  als  Elbe 
selbst  d.  h.  als  von  Hause  aus  eigentlich  als  menschlich 
gestaltete  Wesen  gedacht  wurden.  Als  Thörodds  Amme 
in  der  Eyrbyggjasaga  das  Gebrüll  des  Elfenkalbes  ver- 
nimmt, sagt  sie:  „Das  ist  das  Blöken  eines  Elfen  und 
keines  irdischen  Wesens."  ülafr  Pa  hatte  einen  schönen 
apfelgrauen  Bullen,  Harri  geheifsen,  der  vier  Hörner  trug. 
Das  vierte  kam  zwischen  den  Augen  heraus  und  hiefs 
brunnvaka  (Brunneubrecheisen) '),  denn  er  brach  mit  ihm 
Brunnenlöcher  durchs  Eis.  Als  Harri  18  Jahre  alt  war, 
fiel  Brunnvaka  ab  und  Olafr  schlachtete  den  Stier.  Nachts 
darauf  träumte  ihm,  eine  grofse  zornige  Frau  komme 
zu  ihm  und  schelte  ihn,  dass  er  ihren  Sohn  Harri  habe 
töten  lassen,  dafür  solle  er  seinen  eigenen  Sohn  im  Blute 
sehen.  Das  erfüllte  sich  auch^).  Frotho  HI.  wurde  nach 
Saxo^)  von  einem  in  eine  Meerkuh  verwandelten  Zau- 
berweibe getötet.   Bei  Eisenach'')  geht  eine  feurige  Kuh 


1)  vaka  bedeutet  eiu  Loch  ins  Eis  schlagen. 

2)  Laxdaslasaga  cap.   31. 

3)  Saxo   ed.  P.  E.  Müller  V,  256.    Vergl.  Thiele  Danske   folkesagnM, 
15  fgg. 

4)  Bechstein,  Sagenschatz  des  Thüringer  Landes  I,   126. 


79 

um,  welche  sich  m  ein  altes  mit  einer  Ofengabel  bewehr- 
tes Weib  verwandelt.  In  Iserlohn  findet  sich,  in  einem 
Gässchen  in  den  Weingärten,  eine  Kuhtrappe.  Zur  Zeit 
der  Sündflut,  als  die  Steine  noch  weich  waren,  hat  eine 
Kuh,  auf  der  eine  Zauberin  ritt,  diese  Trappe  getreten'). 
Ein  Zwerg  erscheint  mit  einem  Kuhfufs  und  einem  Pfer- 
defufs').  Das  Alp,  ein  schlesisches  Schimpfwort,  wird 
besonders  für  die  Kühe  gebraucht^).  In  der  Stammsage 
der  Merwinge  steigt  ein  alter  Meermann  als  Stier  aus 
den  Wogen  des  Meeres  und  überwältigt  Clodjos  königliche 
Gemahlin").  Elfrinder  verwandeln  sich  in  Mäuse  und 
verschwinden  im  Berg^).  Mäuse  sind  aber  Elbe  oder  See- 
len^). Hienach  sind  die  Wolkenkühe  als  Gestalten  zu  be- 
trachten, welche  Elbe  oder  Seelen  annehmen,  eine  Vorstel- 
lung, deren  Verständnis  uns  ofien  liegt,  wenn  wir  uns  daran 
erinnern,  dass  die  ßibhus,  Maruts  und  Pitris  so  wie  die 
ihnen  entsprechenden  Elbe  und  Geister  des  wilden  Heers, 
statt  in  dem  himmlischen  Lichtlande  zeitweilig  ihren  Sitz 
in  der  dasselbe  von  der  Erde  trennenden  Wolkenschicht 
aufschlagen.  Somit  erklärt  sich,  warum  der  Donnerkeil 
ndd.  maretett,  Märenzitze,  bei  den  Lithauern  Laumes 
papas,  Brustwarze  der  Laume''),  Laumes  spengs,  der 
Laume  Zitz,  kauk  spennis,  Zitze  der  Alraun  heifst  ^). 
Als  drückende  Mär  erscheint  die  Kuh  in  der  ostpreufs. 
Redensart    „die    schwarze   Kuh    hat    ihn    gedrückt 


1)  Mitteilung  Fr.  Woestes. 

2)  Myth.  2  979. 

3)  Weinhold,  Zeitschr.  für  deutsch.  Altert.   VIT,    13. 

4)  Grimm,  Deutsche  Sagen  11,    72,   419. 

5)  Faye,   Norske  Sagn   38. 

6)  Seelen  als  Mäuse  s.  Schambach  und  Müller,  Niedersächs.  Sag.  S.  337. 
No.  246.  Grimm,  Deutsch.  Sag.  I,  335.  Wolf,  Hessische  Sag.  60.  No.  95. 
Praetorius,  Weltbeschr.  I,  40  fgg.  Nork,  Mythologie  der  Volkssagen  404. 
Pröhle,  Harzsag.  S.  68.  Vgl.  Paul  Diac.  histor.  Langob.  HI,  34.  Mär  als 
Maus  s.  Sommer  Sag.  46.  No.  40.  Weifse  Frau  als  Maus  Schambach  und 
Müller  S.  269.  No.  7.  Elbe  halten  zur  Julzeit  in  Mausgestalt  Umzug.  Des- 
wegen darf  man  in  den  Zwölften  die  Maus  niclit  beim  rechten  Namen  nen- 
nen, sondern  muss  bönlöpcr  (Bodenläufer)  sagen.  Schwarz,  Der  heutige 
Volksglaube  S.  30.     Hexen  machen  Mäuse  d.  i.   böse  Elbe. 

7)  Jordan,  Neue  preufs.  Provincialblätter  II,   380.  No.  24. 

8)  J.  Grimm,  Namen   des  Donners  S.  19. 


80 

d.  i.  er  hat  viel  Ungemach  ausstehen  müssen').  Unsere 
Volkssaire  weifs  sehr  viel  von  weifsen  lichten  Frauen 
oder  Jungfrauen  zu  erzählen,  welche  in  einem  Brunnen, 
Berg  oder  einer  verfallenen  verwünschten  Burg 
wohnen.  Kuhn  hat  bereits  überzeugend  bewiesen,  dass 
diese  weifsen  Frauen  keine  anderen  als  die  indischen  Wasser- 
frauen sind  und  B  r  u  n  n  e  n ,  Berg  und  Burg  Darstellungen 
oder  Sj^mbole  der  Wolke  waren '^).  Aus  diesen  weifsen 
Frauen  haben  sich  in  der  germanischen  Mythologie,  wie 
längst  anerkannt  ist,  die  meisten  Göttinnen,  ihre  Beglei- 
terinnen z.  B.  die  Walküren  (valkyriar)  und  ein  Teil  der 
Elbe  hervorgebildet.  Somit  gewinnt  die  Vermutung  Finn 
Magnussens  Wahrscheinlichkeit,  der  auf  die  Göttin  Freyja 
bezieht,  was  von  Maria  erzählt  wird,  sie  habe  einmal  aus 
ihrer  Mutterbrust  Milch  auf  die  Erde  fliefsen  lassen 
und  sogleich  sei  in  allen  Bergspalten  das  saftige  Kraut  po- 
lypodium  vulgare,  Marie-bregne,  Sireldrikk,  Syrildrod  auf- 
geschossen'^). Zusammenhang  hiemit  wird  haben,  dass  die 
Göttin  Perahta  in  Baiern  Bertha  mit  der  eisernen 
Zitze  heifst  und  dass  in  der  Altmark  die  Roggen - 
muhme  mit  ihren  langen  Zitzen  ein  kinderschrecken- 
des Gespenst  ist*).  Eisenbertha  geht  auch  in  Baiern 
noch  mit  der  Kuhhaut  um.  Ebenso  trägt  die  nordische 
Göttin  Huldra  einen  Kuhschwanz  '")  und  derselbe  Kuh- 
schwanz  ist  das  Kennzeichen  der  unterirdischen  Berg- 
frauen, der  einstigen  Bewohnerinnen  des  himmlischen  Wol- 
kenberges '').  Die  der  Huldra  in  Deutschland  entsprechende 
Göttin  Holda  wohnt,  wie  wir  weiterhin  darlegen  werden, 
im  Kinderbrunneu,  d.  i.  der  Wolke,  zu  der  die  See- 


1)  Hennig,  Preufs.  Wörterb.  138.  Vergl.  die  schwarzen  Kinder  der 
Riesen.    Vgl.   auch  Zeitschr.  f.  d.  Mj'th.  I,   271. 

2)  Zeitschr.  für  deutsche  Mythol.  III,   368  fgg. 

3)  Wille  bescrivelse  over  Silleröds  praestegjeld  p.  123.  Dybeck  Runa 
1850,  18.  Lex.  Mythol.  361.  Syrildrod  ist  =  SyrhillSarrödd,  Syrhilds- 
wurzel.  Syr  und  Hillör  sind  Beinamen  Freyjas.  Siehe  Zeitschr.  für  vergl. 
Sprachf.  V,   171. 

4)  Kuhn,  Mark.  Sagen  372. 

5)  Faye,  Norske  Sagn  39,  42. 

6)  Faye,  Norske  Sagn  24,  II. 


81 

len  als  Lufthauch  emporschweben,  um  auf  dem  Schofs  der 
Göttin  zu  weilen,  bis  sie  der  Storch  den  gebärenden  Müt- 
tern zu  neuer  Geburt  auf  die  Erde  zurückbringt.  Wie  wir- 
hier  die  höchsten  Göttinnen  des  germanischen  Altertums  als 
Wasser  fr  aueu  auftreten,  zugleich  aber  meistens  in  eini- 
gen Attributen  die  Kuhgestalt  der  Wolke  bewahren  se- 
hen, heifst  mit  jener  schon  öfter  beobachteten  Uebertragung 
des  Himmlischen  auf  das  Irdische  der  Stier  Reginn  d.  i. 
Gott').  Nach  diesen  Erläuterungen  kann  ich  zu  der  Er- 
klärung übergehn,  dass  die  Vritrasage  sich  in  verschiede- 
nen Gestalten  im  germanischen  Mythus  erhalten  hat.  Schon 
Zeitschr.  für  deutsche  Mythol.  II,  313  fgg.  habe  ich  ausge- 
sprochen, Ahis  sei  unserer  Götterlehre  unverloren.  Er 
findet  sich  in  einem  Wesen  wieder,  das  den  altgermani- 
schen Namen  Ägias,  Ogias,  goth.  Ogeis,  führte,  woraus 
altsächs.  Agi,  altnord.  Oegir,  ahd.  Aki  und  Uoki  wurde'*). 


1)  S.  Skäldskaparm. .  cap.  75.  Sn.  E.  A.  Arnamagn.  I,  587.  Die  oben 
besprochene  teilweise  Bedeutung  der  Elbe  als  Wolkenwesen  ist  auch  bereits 
von  Lauer,  System  der  griech.  Mj^thol.  184  scharfsinnig  erkannt,  indem  er 
mit  den  elbischeu  Katzen  (Hexen),  Heinzelmännchen,  Katzenbutzen  (vergl. 
Myth.  2471,  473,  474.  Zeitschr.  für  deutsche  Myth.  H,  197)  die  Ausdmcke 
Bullerkater,  Bullerluchs  :=:  Gewitterwolke  vergleicht  und  dazu  noch 
den  Namen  der  dunkeln  Wolke  pöpel  bei  Reinwald,  Westerwäld.  Idiotie. 
II,   78  stellt. 

2)  Schon  Kuhn  wies  nach  (Zeitschr.  für  vergl.  Sprachf.  UI,  65),  dass 
Ahis  aus  einer  älteren  Form  Anhis  hervorging,  woraus  mit  Ausfall  des  Na- 
sals, Verlängerung  des  vorstehenden  Selbstlauters  und  Erweiterung  des  Suffixes 
i  in  ja  die  gennauische  Form  Ägias,  Ogias  erwuchs.  Dass  nach  dem  Zeugnis 
der  besseren  Handschriften  altnordisch  nur  die  Form  Oegir,  nicht  Aegir  vor- 
handen -war,  zeigt  P.  A.  Munch,  Nordmajudenes  «Idste  gude  og  heltesagn 
p.  36.  Die  Verschiedenheit  des  Themas  tut  der  Identität  der  Namen  Ahis 
imd  Agi  durchaus  keinen  Eintrag,  eine  solche  ist  bei  mythischen  Namen  in 
der  germanischen  Sage  sehr  häufig.  S.  Zeitschr.  für  deutsche  Myth.  III,  144. 
Gegen  unsere  Gleichstellung  Oegirs  mit  Ahi,  Anhi  könnte  sprechen,  dass  die 
ags.  Poesie  die  Worte  eagorstreäm  Andreas  258.  441,  egstreäm  Beov. 
1148,  Elene  66.  241  für  Meer  verwendet,  deren  erster  Teil  unmittelbar  aiif 
goth.  agan,  6g,  ogun,  agans  zurückzuführen  scheint  und  die  gleiche  Etymo- 
logie für  Oegir  wahrscheinlich  machen  könnte,  so  dass  dieses  Wort  zwar  noch 
immer  etymologisch  mit  der  in  Ähi  zu  Grunde  liegenden  W^urzel  afili  (Zs. 
f.  vergl.  Sprachf.  I,  152  zusammenhinge,  aber  einfach  den  Erschrecker,  den 
,, Fürchtenmachenden"  bedeutete.  Vgl.  hviluni  upastod  of  brimes  bosme  on 
bätes  fäöm  egesa  ofer  yölid.  Andr.  443.  Ilärn  eft  onvand  dr  yöa  ge- 
blond, egesa  gestilde  vidfäSmc  vieg,  vaöu  svederodon.  Andr.  531.  Ge- 
genüber   den    oben    besproclienen    mythologischen  Tatsachen  jedoch   wird    es 

6 


S2_ 

Ursprünglich  bezeichnete  dieser  Name  bei  uns  ebenso  wie 
in  Indien  den  als  liegenschlange  zur  Erde  niederstür- 
zenden Wasserdämon').  Als  die  Germanen  vom  Binnen- 
lande ans  Meer  vorrückten,  sank  der  Wolkendämon  Agias 
zum  Meergott  herab,  grade  so  wie  in  Indien  der  vedische 
Gott  des  weltumgebenden  Himmelsmeeres  Varuna,  der  in 
Griechenland  als  Himmelsgott  Uranos  fortbestand,  in  spä- 
terer Zeit  zum  Herrscher  des  indischen  Oceans  erniedrigt 
ist.  Auch  Ahis  selbst  erfuhr  bei  den  Indern "  diesen  Nie- 
derschlag. In  einer  Stelle  in  Yaskas  Nirukta'^)  z.  B.  be- 
deutet ahi  Wasser.  Als  Meergottheit  spaltete  sich  Agi 
in  zwei  Gestalten.  Als  erste  ist  der  Meerriese  Oegir,  alts. 
Agi  zu  nennen,  nach  dem  die  Eider  Oegisdyr  Agidora 
(Türe  zum  Meergott)  heifst.  Dass  Oegir  nicht  gött- 
Hcher  Abkunft  war,  weifs  die  altnordische  Sage  noch  zu 
berichten,  sie  zählt  ihn  dem  Riesengeschlecht,  den  Fein- 
den der  Götter  bei.  Er  wohnt  in  einem  unterseeischen 
Palast,  wo  Gold  statt  brennenden  Lichtes  diente. 


wahrscbeiulich ,  dass  eg,  egor,  eagor  nur  volksetymologische  Umdeutungen 
des  nicht  mehr  verständlichen  alten  Namens  £ge  waren.  Oder  sind  es  selb- 
ständige, von  jenem  späteren  Verbum  unabhängige  Bildungen  von  ägi,  agi  = 
ahi,  Drache,  Würger? 

1)  Zu  skr.  ahis,  gr.  l'^iq  angiiis  gehört  durch  Weiterbildung  mit  1  griech. 
^yXfXin;,  lat.  anguilla,  deutsch  äl,  Aal,  dem  der  ursprüngliche  Sinn  ,,  kleine 
Schlange"  einwohnt.  Wie  der  Regen  als  herabstürzende  Schlange  Ahis 
gefasst  wurde,  sagt  noch  heute  der  niedersächsische  Bauer  vom  Wasser- 
lassen der  Kinder  ,,enen  äl  lopen  läten."  BR.  NS  Wb.  I,  10.  Der 
Inselschwede  sagt:  Die  Schlangen  seien  mit  dem  Aal  verwandt  und  daher 
essen  die  Schweden  auf  der  Insel  Wonns  keine  Aale.  Als  nämlich  die 
Schlange  die  Ureltern  im  Paradiese  verführt  hatte,  richtete  sie  sich  stolz  em- 
por. Da  nahm  Jesusvater  (Gesfär)  einen  Stab  irad  schlug  sie  mitten  durch, 
so  dass  das  Kopfende  auf  die  Erde,  das  Hinterteil  ins  Meer  fiel.  Aus  letz- 
terem wurde  der  Aal,  aus  ersterem  eine  Schlange,  von  der  alle  lebenden  ab- 
stammen. Russwurm,  Eibofolke  II.  §.  356,  8.  S.  189.  In  mehreren  nieder- 
sächsischen Sagen  (z.  B.  Köster  Altertümer,  Geschichten  und  Sagen  von  Bre- 
men und  Verden  S.  217.  236)  kehrt  der  Zug  wieder,  dass  aus  den  Rissen 
am  Boden  der  Küche,  oder  aus  den  Aschen-  und  Feuerkuhlen  grofse 
Aale  hervorkriechen,  ihnen  nach  ein  Wasserstrom  hen'orquillt  und  eine  ganze 
Gegend  unter  einem  See  begräbt.  Ganz  analog  heifst  es  in  vielen  ober- 
deutschen Sagen,  dass  ein  Drache  im  Berge  sitze,  dessen  Hervorbre- 
chen den  Anfang  einer  grofsen  Wasserflut  bezeichne.  Diese  Züge  sind, 
wie  einmal  weiter  auszuführen  sein  wird,  irdische  Localisienmgen  der  Regen- 
schlange. 

2)  Ed.  Roth  1852,  S.  7. 


83 

Wenn  dies  nun  auch  eine  spätere  Ausschmückung  der  Sage 
sein  könnte,  erfunden  zur  Erklärung,  wie  Oegirs  Halle,  zu 
der  der  Sonnenschein  nicht  dringen  mochte,  Licht  empfing'), 
so  scheinen  doch  Oegirs  Diener  El  dir  und  Funafengr 
(Feuer  anmacher  und  Glutaschen  aufFänger)  auf  eine  Ge- 
stalt des  Mythus  hinzudeuten,  nach  welcher  Oegir  mit 
den  Gewalten  des  Feuers  zu  tun  hatte.  Wohin  anders 
könnte  die  Vermutung  leiten  als  auf  den  mit  dem  Gewit- 
tergott Blitz  gegen  Blitz  kämpfenden  Wolkendämon?  Eän 
(Rahana?)  ist  Oegirs  Gattin;  man  dachte  sich  ihren  Sitz 
als  eine  schöne  unter  dem  Wasser  gelegene  Wiese,  auf 
der  die  Seelen  spielen,  wie  Wolf  sehr  wahrscheinlich  ge- 
macht hat^).  Eine  solche  Wiese  befindet  sich  auch  unter 
dem  Kinderbrunnen  der  Holda  und  dies  veranlasste  schon 
Wolf  Verwandschaft  zwischen  Holda  und  Ran  anzuneh- 
men. Er  hat  vollkommen  Recht,  denn  Holda  und  Ran 
sind  nur  verschiedene  Spaltungen  der  einen  himmlischen 
Wasserfrau,  welche  in  der  Wolke  die  Seelen  um  sich  ver- 
sammelte; Ran  ist  Däsapatni,  die  vom  bösen  Dämon  zur 
Gemahlin  gemachte  Apsarä.  Dass  Ran  früher  als  Wol- 
kengöttin verehrt  wurde,  beweist  der  Umstand,  dass  ihr 
Name,  der  isländisch  Raun  ausgesprochen  wird,  sehr  frühe 
durch  die  Karelier  übernommen  und  zur  Bezeichnung  der 
Akka,  die  die  Gemahlin  ihres  Donnergottes  Ukko  war, 
angewandt  wurde:  „Wenn  Rauni,  Ukkos  Gattin,  donnerte, 
so  donnerte  auch  Ukko  selbst"  ^).  Diese  Uebertragung 
hätte  natürlich  nicht  stattfinden  können,  wenn  Ran  nicht 
einst  in  der  Wolke  oder  wenigstens  überhaupt  in  den  Re- 
gionen  des  Himmels   ihren    Sitz  hatte*).     Ihr  Name  Ran, 


1)  Doch  erinnere  man  sich,  dass  auch  Poseidon  zu  Aigai  in  goldener 
Königsburg  wohnt,  goldmähnige  Rosse  anschirrt,  eine  goldene 
Geissei  schwingt  und  sich  selbst  in  Gold  hüllt,  was  nach  Kuhns  einge- 
henden Untersuchungen  Zeitschr.  für  vergl.  Sprachf.  I,  456  auf  eine  ursprüng- 
liche Gestalt  des  Gottes  hinweist,  in  der  er  mit  dem  im  AVolkengewässer 
wohnenden  indischen  Sonnengott  Savitri  verwandt  war. 

2)  Beiträge  I,    195.     Vgl    Zeitschr.  f.  deutsche  Myth.  III,   93. 

3)  Agricola  über  die  Abgötter  der  Finnen  im  Daviden  psaltari  ed.  1551. 

4)  S.  Finn  Magnussen  Eddalaeren  og  dens  oprindelse  cap.  4.  S.  247. 
Castr^n,  Finnische  Mvthologie,  übers,  von  Schiefner  S.  34. 

6* 


84 

Raub,  erklärt  sich  dann  daraus,  dass  die  Wolkengötter  die 
in  menschliche  Körper  eingetretenen  Seelen  sobald  wie 
möglich  wieder  zu  sich  zu  ziehen,  zu  rauben  trachteten. 
Thors  Feindschaft  gegen  Oegir  ist  nur  noch  in  schwa- 
chen Spuren  in  der  Edda  bewahrt.  Aber  doch  steht  der 
Donnergott  in  deutlichem  Gegensatz  gegen  ihn,  wie  Indra 
gegen  Ahis.  In  der  HymisquiSa  1  heifst  es:  ihm  (dem 
Oegir)  sah  in  die  Augen  OSins  Sohn  (Thörr),  der  Unge- 
stüme schuf  Angst  dem  Riesen.  Nach  dem  HarbaröshliöS 
27 — 29  bekämpft  Thörr  auf  Hlesey  Riesenweiber,  die 
ihm  mit  Eisenkeulen  trotzten.  Hier  ist  Beiname  Oegirs 
und  Pllesey  sein  Sitz,  der  ursprünglich  himmlisch  als  die 
Wolke  zu  denken  ist').  Die  Riesen weiber  scheinen  zu 
Oegirs  Sippe  zu  gehören,  wie  in  den  Kampf  des  Indra  mit 
Vritra  oder  Ahis   dessen  Mutter  verwickelt    ist*).     Dem 


1)  Dies  deutet  auch  eine  dänische  Sage  bei  Langebeck  (scriptor.  rer. 
Danic.  I,  225,  80)  an,  wonach  Snio,  Snfer,  der  Schnee  ein  Hirte  des 
Riesen  Loe  (Hier)  auf  Locsö  (Hlesey)  war.  Möglicherweise  indessen  ist  die 
Sage  ganz  jungen  Ursprungs  und  Uhland  hat  Recht,  der  (Mythus  von  Thorr  38) 
in  Snio  hier  das  ,, Schneetreiben  vom  Meere  her"  erkennen  will.  Doch  giebt 
es  selbst  (a.  a.  0.  S.  101)  zu:  „Der  Riese  Snio  war  ein  Wolken- 
hirte." 

2)  Diese  Mutter  drängt  mir  eine  Vennutung  auf,  die  näherer  Erwägung 
wert  scheint.  In  vielen  Volkssagen  und  Redensarten  (Myth.  ^958  fgg.)  ist 
von  des  Teufels  Grofsmutter  die  Rede,  engl,  the  devils  dam,  wo  unter  dem 
Teufel  zweifelsohne  Loki  zu  verstehen  ist.  Sollte  diese  Gestalt  mit  Vritras 
Mutter  identisch,  Loki  selbst  aus  einem  dem  Vritra  entsprechenden  Wesen 
entwickelt  sein,  wie  Oegir  aus  Ahis  eutspross?  Sein  Name  Loki,  der  Be- 
schliefser,  erklärt  sich  am  einfachsten,  wenn  wir  annehmen,  dass  er  ursprüng- 
lich die  himmlische  Wolkengöttin  in  seiner  Burg  einschloss,  das  Regenwasser 
von  der  Erde  zurückhielt.  Nun  erscheinen  in  denjenigen  Märchen,  welche 
nach  meiner  Auseinandersetzung  (Zeitschr.  f.  d.  Myth.  II,  337)  Loki  zu  ber- 
gen scheinen,  statt  der  alten  Grofsmutter  ebenso  oft  geraubte  Königs- 
töchter, welche  dem  Teufel  in  seiner  Hole  die  Wirtschaft  führen  müssen, 
ja  dieser  führt  Dracheng  estalt,  was  auf  Ahis  hinweist;  aber  auch  an 
Lokis  Benennung  im  Höstlöng  öglis  bam,  Sohn  der  Schlange  und  Sohn  der 
Näl  (nach  Weinhold,  Zeitschr.  f.  d.  Altert.  VII,  6  =  ahd.  nadala,  Schlange) 
erinnert.  Sein  Vater  Farbauti,  der  ,, Fährmann,  Ruderer",  weist  auf  das 
himmlische  Gewässer.  Dass  dieses,  welches,  wie  schon  mehrfach  erwähnt 
wurde,  Seelenreich  war,  gemeint  ist,  ergiebt  auch  der  von  W.  Müller 
(Schambach  und  Müller,  Niedersächs.  Sagen  376)  geführte  Nachweis,  dass 
LiOkis  Aufenthalt  in  den  vorhin  erwähnten  Märchen  das  Totenreich  sei.  Wir 
werden  weiterhin  sehen,  dafs  Vritra  auch  die  Gestirne  verbirgt ,  welche  Indra 
erst  wieder  leuchtend  am  Himmel  heraufführt.  Gradeso  rät  Loki  Freyja, 
Sonne  und  Mond  den  götterfeindlichen  Riesen  zu  überliefern;    ja  er  stiehlt 


85 

Oegir  steht  ein  unsichtbar  machender  Helm  zu,    der  den 
Namen  Oegishjälmr  führt.     „At   bera  Oegishjälm"   heifst 


Freyjas  schimmerndes  Halsband  Brisingamene.  Als  Gegner  Thors,  wie 
Vritra  als  Indras  Feind,  erscheint  Loki  bei  jeder  Gelegenheit.  Auf  seine 
Veranlassung  lahmt  der  Bock  des  Gottes  (Hymisqu.  36).  Nach  einer  andern 
Gestalt  der  Sage  stiehlt  er  ihn,  wovon  er  j^jofr  hafrs  heifst  (Skäldskaparm. 
k.  75.  Sn.  E.  I,  268).  Er  verlockt  Thorr  ohne  Gürtel  und  Stärkehandscludie 
nach  GeirröSsgärör  zu  gehen.  Thors  Gemahlin,  Sif,  schneidet  er  das  Haar 
ab  d.  i.  er  verbirgt  die  Sonnenstrahlen  (Zeitschr.  f.  d.  Myth.  II,  339). 
Bei  allen  diesen  Gelegenheiten  mid  bei  Oegirs  Gastmahl  zwingt  ihn  Thorr, 
vor  dem  er  Furcht  hat,  zur  Bufse. 

Schweig  unreiner  Wicht  (sagt  Thorr), 

Sonst  soll  mein  Hammer 

Mjölnir  den  Mund  dir  schliefsen. 

Vom  Halse  hau  ich  dir 

Die  Schulterhügel, 

Dass  dich  das  Leben  lässt. 
Endlich  fängt  ihn  Thorr  im  Franängurfors  und  fesselt  ihn.  Eine  andere 
Gestalt  der  Sage  vom  Gegensatz  Lokis  gegen  den  Gewittergott  scheint  sein 
durchgehender  Kampf  mit  Hoimdallr,  von  dem  wir  (Zeitschr.  f.  d.  Mythol. 
II,  309;  III,  117)  zu  beweisen  suchten,  dass  er  in  alter  Zeit  Herr  des  Blitzes 
und  Donners  war.  Dass  Loki  wie  Vritra  Blits  gegen  Blitz  zu  kämpfen  ver- 
stand, dürfte  die  nordjütische  Redensart  von  Dünsten,  die  an  heifsen  Tagen 
auf  der  Erde  schweben:  ,,Lokke  driver  idag  med  sine  geder"  (Loki  treibt 
heute  seine  Geifse  aus)  beweisen.  Hiezu  bemerkt  schon  Weinhold  (Zeitschr. 
f.  d.  Altert.  VII,  85):  „Letztere  Redensart  führt  auf  die  Vermutung,  dass 
Loki  gleich  Thorr  mit  einem  Bocksgespann  fuhr,  also  Gewittergott  war,  wor- 
auf schon  der  Speer  Güngnir,  den  er  für  Odhinn  von  den  Zwergen  schmie- 
den liefs,  hindeutet."  —  Wie  stimmt  aber  mit  unserer  Ansicht  zusammen, 
dass  Loki  Thors  Gefährte,  wenn  gleich  ein  hinterlistiger  ist?  Dieser  Zug  ge- 
hört, wie  auch  Weiuhold  mit  Recht  bemerkt,  einer  sehr  jungen  Zeit  an  und 
ist  auf  dieselbe  Weise  entstanden,  wie  in  dem  Indravijaya  Tvasbtri,  der  dem 
Indra  ursprünglich  gegen  Vritra  den  Donnerkeil  schmiedet,  des  letzteren  Va- 
ter wurde.  In  anderen  Mythen  der  späteren  Inderzeit  trat  das  entgegenge- 
setzte Verhältnis  ein.  Der  Kampf  Indras  mit  dem  Wolkendämon  Vritra,  oder 
wie  er  auch  heifst  Vala,  Bala  wurde  andern  Göttern,  die  stärker  im  Cultus 
hervortraten,  darunter  vorzüglich  dem  Sonnengott  Vishuu  übertragen.  Die 
Sage,  welche  die  Erinnerung  festhielt,  dass  Indra  einst  der  Bekämpfer  war, 
machte  ihn  nun  aus  Eifersucht  zum  Helfer  der  Dämonen  (Moor,  Hindu-Pan- 
theon 187.  236).  Als  in  Deutscliland  die  alte  Gestalt  des  Wolkcndämons 
sich  in  mehrere  Personen  spaltete,  mufste  diejenige  Hypostase  desselben,  wel- 
che am  meisten  von  der  Gewitternatur  beibehielt.  Gesell  des  Donnergottes 
scheinen,  während  sein  Kampf  mit  demselben  sehr  verdunkelt  wurde.  Mit 
der  angenommenen  Grundbedeutung  Lokis  stimmt  auch  die  Mythe ,  dass  er 
der  Vater  des  Wolfes  Fenrir,  der  dem  leuchtenden  Ilimmelsgott  Tj-r  (Tius, 
Dyäus,  Zfi'?,  Jupiter)  die  rechte  Hand  verschlingt,  der  Tütengöttin  Hei  und 
der  Miögargsschlange,  endlich  Grofsvater  der  Sonne  und  Mond  versclilin- 
genden  Wölfe  SköU  und  Hati  ist.  Weiter  unten  wird  bewiesen  werden,  dass 
der  MiögarÖswurm  und  Abis  identisch  waren.  Hei  scheint  mir  mit  der  See- 
lengötlin  llolda  ursprünglich  eins.  Sic  ist  die  geisterbergende  Wolke  als  dä- 
sapatui  gedacht.     Während  Holda  und  Freyja  die  lichte  freundliche  Seite  der 


86 

„überall  Schrecken    verbreiten."      „Han   er   undir   Oegis- 
hjälmi"  „er  ist  jedem   furchtbar."     Diesen  Helm   trug  der 


• 

Vorstellung  bewahrten,  war  Hei  eine  düstere  Localisierung  derselben,  welche 
eintrat,  als  das  Bedürfiiis  erwachte  die  verschiedenen  Seelensitze  nach  ethischen 
Rücksichten  bestimmter  zu  scheiden.  Als  Dämon,  der  den  Regen  und  die 
Lichtstrahlen  in  ihrem  Wege  zur  Erde  aufhält,  ist  Loki  den  lichtfeindlichen 
Wesen  Fenrir,  Sköll,  Hati  verwandt.  Man  erinnere  sich,  dass  A.  Kuhn  ver- 
sucht hat  et^Tnologischen  Zusammenhang  zwischen  Fenrir  und  den  Panis  nach 
zuweisen  (Zeitschr.  f.  d.  Altert.  VI,  134),  dämonischen  Wesen,  welche  nach 
einigen  Sagen  an  Vritras  Stelle  den  Raub  der  Himnielskühe  vollziehen  — 
Loki  wird  als  Fisch  im  Franängurfors  von  Thors  gefangen  und  verbirgt  im 
faerceischen  Volkslied  von  Skrymsli  einen  verfolgten  Knaben  im  Fischro- 
gen. Auch  heifst  er  der  Vertraute  des  Walliisches  mälunautr  hvals  (Skäld- 
skaparm  120).  Das  weist  auf  Fischgestalt  des  Gottes.  Zum  Verständnis 
dieses  Mythus  dürfte  die  von  mir  (Zeitschr.  f.  d.  Myth.  II,  313  fgg.)  nach- 
gewiesene Auffassung  des  Midhgardhswurms  d.  i.  der  Regenschlange  als  Fisch 
dienen  können.  Ich  weifs  nicht,  ob  es  geraten  ist  ein  Siebenbirgisches  Tier- 
märchen aus  Mühlbach  herbeizuziehen  (Haltrich,  Zur  deutschen  Tiersage  S.  70. 
No.  XL VII),  das  die  Verzehrung  einer  Kuh  (der  Wolkenkuh?)  durch  einen 
Fisch  (Ahis?)  erzählt.  Die  Büffelkuh  kommt  an  ein  Bächlein,  in  dem  ein 
klein  winziges  Fischchen  wohnt,  um  zu  trinken.  Da  sagt  der  Fisch,  als  die 
Kuh  viel  getrunken,  sie  soUe  nun  einmal  aufhören,  sonst  konome  er  aufs 
Trockene  und  müsse  sterben.  Die  Kuh  trinkt  trotzdem  fort.  Da  springt  der 
Fisch  zornig  aus  der  Flut  und  verschliiigt  die  Kuh.  —  Wenn  Loki  als  Stute 
mit  dem  Hengst  SvaÖilfari  sich  begattet  und  Odhins  Ross  Sleipnir  gebiert 
(Gylfag.  42)  und  wenn  es  an  einer  anderen  Stelle  von  ihm  heifst,  dass  er 
8  Winter  (die  7  oder  8  Wintermonate)  unter  der  Erde  als  milchende  Kuh 
und  als  Weib  zubrachte  (Oegisdr.  23),  so  geht  das  auf  die  S.  38  fgg.  nachge- 
wiesene Kuh-  und  Rossgestalt  der  Wolke,  welche  als  Regen  niedergeströmt 
in  der  Unterwelt  weilte  (vgl.  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  466).  Auch  Vri- 
tra  heifst  bisweilen  Stier  oder  Kuh.  —  Dem  Vieh  verderbliche  Kräuter 
heifsen  Lokis  Hafer,  iu  Xordjütland  polytrichum  commune,  in  Dänemark 
avena  fatua  und  rhinantus  christa  galli  (Myth.  ^  221.  Weinhold  a.  a.  O.  85). 
Ursprünglich  war  Loki  den  Wolkenkühen  verderblich.  —  Wenn  die  Sonne 
Wasser  zieht,  also  regenlose  Wolken  bildet,  sagt  man  „Loki  fer  yfir 
akra,  Loki  fährt  über  die  Aecker  oder  Locke  dricker  vand"  Loki  trinkt 
Wasser.  Ins  Gewicht  fallen  darf,  dass  Oegir  der  Einzige  ist,  dem  Loki 
beim  Göttergastmahl,  wo  er  alle  Äsen  beschimpft,  nicht  zu  nahe  tritt.  Nach- 
dem auch  der  fromme  Baldr  durch  Lokis  Ränke  umgekommen  ist,  fesselt 
diesen  Thorr  und  bindet  ihn  in  einer  Hole  über  drei  Felsen  fest.  Ueber 
seinem  Haupt  befestigen  die  Götter  einen  Giftwurm,  dessen  Geifer  ihm  stets 
ins  Angesicht  träulelt.  Sein  Weib  Sig\Ti  hält  ein  Becken  unter  die  Gift- 
tropfen. Wenn  die  Schale  voll  ist  und  überläuft,  so  dass  das  Gift  ihm  ins 
Angesicht  tropft,  sträubt  er  sich  so  heftig,  dass  die  ganze  Erde  erschüttert 
wird.  Das  nennt  man  Erdbeben.  So  liegt  er  bis  zum  Weltende.  Dami 
kommt  er  los  und  fuhrt  den  Untergang  der  Götter  herbei.  Darum  sagt  man 
von  gefahrvollen  Lagen  im  Norden  ,,Loki  er  ur  böndum-'  Loki  ist  aus 
den  Banden,  bei  uns  ,,der  Teufel  ist  los".  Grade  so  wird  bei  den  Per- 
sern der  von  Feridun  besiegte  Zohak  oder  Daliäka  in  einer  Hole  des  Ge- 
birges Demavend  an  den  Fels  genagelt.  Sein  Herzblut  träufelt  auf  die  Erde. 
Wenn   er   zuckt,    entsteht  Erdbeben.     Einst  aber  kommt  er  los  und  es  geht 


87  " 

drachengestaltige  Fafnir,    von   dem   schon  de  Noorden  er- 
wiesen hat,  dass  er  dem  indischen  Drachen  Ahis  entspricht, 


die  Rede:    „Zohak   ist   los".      Einen    halben  Tag    lang  richtet  er  sehr  viel 
Unheil  in  der  Welt  an,    bis  Qäma  (Sam)    ihn  besiegt  und  zur  Annahme  des 
wahren  Glaubens  zwingt.     Persische  Autoren  erwähnen  ein  Fest,   das  zu  Eh- 
ren der  Fesselung  Zohaks  gefeiert  Avurde  und  der  Engländer  Morier  hat  das 
selbe  noch  heute  lebendig  gefunden  (s.  Roth,  Zeitschr.  der  morgenl.  Gescllsch. 

II,  216  fgg.    Spiegel,  Kieler  Monatsschr.   1853,    191   fgg.    Spiegel,   Ind.  Stud. 

III,  402.  Spiegel,  Zeitschr.  der  morgenl.  Gesellsch.  III,  243).  Zohak  (ent- 
standen aus  ashi  dehäk,  ashi  dahäka,  feindliche  verderbliche  Schlange)  ist 
nun  identisch  mit  dem  vedischen  Ahis  (Däsaka),  sein  Besieger  Feredün,  in 
älterer  Form  Thraetaouö,  Traitana  mit  dem  indischen  Trita,  einem  Helfer  In- 
dras  beim  Dämonenkampf.  Wenngleich  nun  Weiuhold  mit  Recht  bemerkt, 
dass  das  Erdbeben  oft  gefesselten  Dämonen  zugeschrieben  wird,  so  ist  die 
Uebereinstimmung  in  den  einzelnen  Zügen  zu  grofs,  als  dass  wir  nicht  histor. 
Verwandschaft  der  pers.  Zohak-  und  gennan.  Lokimythe  für  wahrscheinlich 
halten  sollten.  Leider  enthält  uns  Morier,  Second  journey  through  Persia  357 
die  nähere  Beschreibung  der  Gebräuche  jenes  am  30.  August  gefeierten  Festes 
vor.  Er  hebt  nur  den  jubelnden  Umzug  auf  Rossen  und  Mäulem  und  die 
Anzündung  von  Freudenfeuem  hervor,  erwähnt  aber  dass  noch  andere  Fest- 
gebräuche  vorhanden  sind.  Vielleicht  ergäbe  die  genauere  Aufzeichnung  ei- 
nen Zusammenhang  mit  den  folgenden  durch  ihre  weite  Verbreitung  rätsel- 
haften Gebräuchen,  deren  Vervollständigung  ich  Dr.  Reinhold  Köhler  in  Wei- 
mar verdanke.  Nach  der  Mitteilung  des  Herrn  Studiosus  Moser  in  Salzburg 
an  der  Bergstrafse  pflegen  die  Schmiede  in  mehreren  Tälern  Tirols  in  Feier- 
abenden, nachdem  sie  die  Tagesarbeit  beendet,  drei  Streiche  auf  den 
blofsen  Ambofs  zu  tun.  Dies  geschah,  damit  Lucifer  immer 
aufs  Neue  angeschmiedet  werde.  Denn  käme  er  los,  so  würde 
er  die  ganze  Welt  mit  sich  fortreifsen.  Hin  und  wieder  z.B.  in 
Wildschönau  hängt  dieser  Gebrauch  mit  einer  dunkeln  Erinnerung  an  den 
grimmigen  Wolf  zusammen.  Derselbe  ist  hinter  neun  Eisentüren  an 
einer  dreifachen  Kette  angelegt  und  weil  er  die  ganze  Zeit  mit  aller 
Kraft  daran  reifst,  um  freizukommen,  muss  jene  immer  wieder  zusammenge- 
schmiedet werden.  Sonst  stürzte  er  die  ganze  Welt  über  den  Haufen.  Zu 
Waldkirchen  in  Niederbayern  macht  ebenfalls  der' letzte  der  Schmiede,  der 
die  Werkstatt  verlässt,  mit  dem  Hammer  einen  kalten  Schlag  auf  den  Am- 
bofs, damit  Lucifer  seine  Kette  nicht  durchfeilen  könne.  Er  feilt  be- 
ständig daran,  so  dass  sie  stets  dünner  wird.  Am  Tage  Jacobi  (25.  Juli)  ist 
sie  so  dünn  wie  ein  Zwirnfaden.  An  diesem  Tage  wird  sie  aber  auf  einmal 
wieder  ganz.  Würde  ein  Schmied  auch  nur  einmal  den  alten  Gebrauch  un- 
terlassen, so  könnte  Lucifer  die  Kette  ganz  durchfeilen  (Panzer,  Beitrag  II,  56). 
Menzel  fügt  (Odin  S.  81)  der  Mitteilung  Panzers  die  Notiz  hinzu:  ,,In  Smä- 
land  herrscht  ganz  derselbe  Volksglaube,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  hier 
Lucifer  die  scliwere  Kette  mit  seinen  Klauen  zerreifst,  nicht  abfeilt; 
müniUich  durch  K.  Russwurm."  Diese  Gebräuche  weisen  deutlich  auf  die 
gefesselten  Wesen  Loki  und  Fenrir  zurück.  Dass  sie  deutsch  sind,  ergiebt 
sich  aus  der  angeführten  Sage  bei  Panzer,  welche  in  Uebereinstimmung  mit 
der  Norncnsage  vom  Köterberg  (Grimm,  Deutsche  Sagen  No.  9.  S.  11 — 13) 
Lucifer  (den  Teufel)  in  einer  Hole  liinter  neun  Türen  bei  den  drei 
Schicksalsjungfrauen  mit  der  Kette  gefesselt  liegen  und  einen  rciclien 
Schatz   bewachen   lässt.     Wie   wir   weiterhin  beweisen  werden  ist  die  Hole, 


wiewol  SigurSr  sein  Töter  nicht  Indra  sondern  einen  der 
andern  Götter  zu  vertreten  scheint  (s.  darüber  das  Capitel 
über  die  Heldensage),  welchen  in  den  Veden  der  Kampf 
mit  Vritra  und  Ahis  neben  Indra  zugeschrieben  wird.  Ebenso 
tragen  die  schatzhütenden  Drachen  in  der  Torskfirdin- 
gassaga  (Sagabibliothek  Lachmann  S.  75)  Helme  auf  den 
Köpfen.  Dass  nun  dieser  Helm  nichts  anderes  als  die 
dunkle  Wetterwolke  war,  mit  welcher  Ahi  sich  umhüllt, 
scheint  der  Ausdruck  huliöshjälmr  zu  beweisen.  So  heifsen 
„bei  Hei  die  Wolken,  welche  sich  mit  Schauern  mischen" 
(sky  er  skürum  blandask.  Alvism.  19).  Aus  Heimskringla 
ed.  Havn.  I,  268  ergiebt  sich  noch  deuthcher  die  Bedeutung 
„Wetterwolke".    In  Deutschland  erkannte  bereits  Jacob 


in  der  die  Schicksalsjungfrauen  wohnen,  die  Wolke,  ihr  Schatz  das  Sonnen- 
gold. Der  denselben  bewachende  Teufel  ist  daher  gleich  den  die  Wolke  und 
den  Sonnenschein  einschliefsenden  Vritra,  Ahi,  Ashi  Dahäka.  Ein  ganz  ähn- 
licher Glaube,  wie  in  Deutschland,  findet  sich  auch  bei  den  Albanesen  (Hahn, 
Albanesische  Studien  I,  165).  Sie  sagen,  dass  der  Teufel  an  einer  Kette 
liege,  die  um  einen  Felsen  geschlungen  ist.  Er  reifst  das  ganze  Jahr  daran. 
Am  grofsen  Sabbat  hängt  sie  nur  noch  mit  einem  dünnen  Blättchen  anein- 
ander, aber  am  Ostermorgen  erscheint  der  Heiland  und  fesselt  den  Teufel 
mit  einer  neuen  Kette.  Bei  den  Armeniern  von  Edessa  soll  es  hergebracht 
sein,  dass  die  Schmiede  in  der  Neujahrsnacht  dreimal  mit  einem  Hammer 
auf  den  Ambofs  schlagen.  Die  Georgier  haben  die  Legende,  der  Riese 
Ämiran  (ein  kaukasischer  Prometheus)  liege  in  einer  Hole  der  Elborus  ge- 
fesselt. Seine  Ketten  wären  längst  von  seinem  treuen  Hunde,  der  ohne  Un- 
terlass  daran  nagt,  durchbrochen,  wenn  nicht  die  Georgischen  Schmiede  durch 
dreimaligen  Hammerschlag  am  Griindonnerstagmorgen  dem  Band  seine 
frühere  Dicke  wiedergäben  (Erman,  Archiv  f.  Kunde  Eusslands  XV,  146. 
Magazin  des  Auslandes  1855.  No.  67).  Xach  der  Revue  de  deux  mondes 
1852,  Avril  p.  254  kommt  alljährlich  ein  Schmied  aus  der  Erde,  der  die 
Ketten  Amirans  wieder  fest  macht.  Die  Armenier  gehören  dem  engeren 
Stamme  der  Arier  an,  nah  verwandt  ist  die  kaukasische  Völkerfamilie,  die 
sich  an  die  Georgier  schliefst.  Bei  diesen  Stämmen  liegt  es  daher  nahe  den 
gefesselten  Dämon  auf  den  gefesselten  Ashi  Dahäka  zu  beziehen.  Ein  ent- 
scheidender Spruch  lässt  sich  noch  nicht  abgeben.  Wir  bedürfen  noch  ge- 
nauerer Nachforschungen  über  die  Verbreitung  unserer  Sitte  im  Orient.  Die 
aus  allen  diesen  Dingen  immer  wahrscheinlicher  werdende  Verwandschaft  Lo- 
kis  und  Vritras  oder  Ahi's  findet  ihre  Stütze  auch  noch  durch  Analogie,  dass 
Ahi  ,,der  Drache  der  Tiefe"  in  der  späteren  Vedenzeit  göttliche  Ehre  genoss 
in  demselben  Sinne,  in  welchem  andere  Religionen  ihren  bösen  Göttern  aus 
Furcht  Tempel  bauen  (Roth,  Nirukta  S.  14G).  Von  ähnlicher  Art  wird  ur- 
sprünglich die  Göttlichkeit  Lokis  gedacht  sein.  Aus  der  Wesensgleicliheit 
Lokis  mit  Vritra  erklärt  sich  auch  am  ungezwungensten  die  von  Weiuhold 
(Zeitschr.  f.  d.  Altert.  VIT,  7  fgg. )  nachgewiesene  Herrschaft  dieses  Gottes 
über  alle  drei  Elemente:  Feuer,  Wasser  und  Luft. 


89 

Grimm  den  Oegir  im  Riesen  Ecke  wieder,  der  durch  Diet- 
rich von  Bern  besiegt  und  getötet  wird.  Grimms  Annahme 
ist  um  so  sicherer,  als  für  Ecke  neben  der  auf  Aki,  Agi 
zurückleitenden  Form  die  andere  dem  gothischen  Ogeis 
altn.  Oegir  genau  entsprechende  Uoki  erhalten  ist.  Gleich 
dem  nordischen  Oegir  führt  Ecke  einen  leuchtenden  Helm 
von  wunderbarer  Kraft.  Diesen  Helm  unmittelbar  mit  dem 
Oegishjälmr  zusammenzustellen,  berechtigt  uns  nicht  allein 
die  sprachliche  Identität  des  Ecke  und  Oegir,  sondern  noch 
mehr  die  nicht  zufällige  Uebereinstimmung,  dass  noch  ein 
anderer  von  Dietrich  bekämpfter  Kiese,  der  auf  dieselbe 
mythische  Grundlage,  wie  Ecke  d.  i.  auf  Vritra  zurück- 
geht, einen  solchen  Helm  besitzt,  dem  ein  Karfiinkel  hel- 
len Schein  verleiht  und  in  welchem  schon  Wilhelm  Grimm 
(Heldensage  386)  den  Oegishjälmr  wiederfand.  Nach  der 
ältesten  Gestalt,  in  der  uns  diese  Mythe  überliefert  ist 
(Vilcinasaga  cap.  17)  bewachen  Grim  und  Hilde,  in  de- 
nen ich  nicht  anstehe,  Bala  oder  Vritra  und  seine  Mutter 
wieder  zu  erkennen,  in  einer  Hole  einen  reichen  Schatz. 
Dietrich  von  Bern  überfällt  beide,  schlägt  Grim  das  Haupt 
ab  und  haut  Hilde  durch  den  Rücken  in  zwei  Stücke. 
Die  auseinander  gehauenen  Körperhälften  fügten  sich  wie- 
der zusammen,  bis  Dietrich  zwischen  Hauptstück  und  Kopf- 
stück trat.  Der  Tod  der  Hilde  gleicht  dem  des  Vritra 
und  seiner  Mutter,  denen  Indra  den  Nacken  spaltet.  Die 
Hole  ist  dieselbe,  in  welcher  Ahis  oder  Vritra,  wie  wir 
sehen  werden,  den  Schatz  des  Regenwassers  oder  des  Son- 
nengoldes bewacht.  Die  Namen  Hilde  und  Grim  sind  aus 
dem  Namen  des  Helms,  welcher  Hiltigrim  heifst,  von 
der  falsch  etymologisierenden  Sage  geschlossen,  nicht  ent- 
stand dieser  aus  jenen,  wie  die  Vilcinasaga  deutet  (Hilldi 
ok  Grimi  |jotti  sva  mikil  gersimi,  at  boeöi  ]?au  villdu  hiäl- 
minn  kalla  lata  af  sinu  nafni;  ok  het  hann  af  ]>\i  Hilldi- 
grimr).  Hiltigrim  begegnet  nämlich  dem  Helm  Hilti- 
göltr  in  der  Hrölfs  Krakasaga  der  Hilldr  =  Freyja  zu- 
gestanden haben  muss,  da  den  mythischen  Ansätzen  der 
Hrolfssage  Freyssagen  zu  Grunde  liegen  und  Hiltigöltr  (Hil- 


90 

deneber)  ein  anderer  Name  des  der  Freyja  heiligen  Ebers 
Hildisvini  ist.  Abbilder  dieses  helligen  Tieres  liebte 
unser  Alterturn  überhaupt  auf  Helmen  zu  tragen').  Warum? 
Freyja  war  die  in  der  Wolke  weilende,  mitunter  vom  Wol- 
kendämon festgehaltene  und  gebannte  Göttin,  der  daher 
der  HuliSshjälmr  ebensosehr  zukam,  als  jenem,  wenn  er 
sich  selbst  mit  der  Wolke  umhüllte.  Andererseits  muss 
auch  Thörr  diesen  Helm  getragen  haben,  was  noch  die  Be- 
nennung der  Pflanze  Thörhialm,  Thörhat  (Thörshelm,  Thörs- 
hut)  anzudeuten  scheint. 

Doch  wir  kehren  zu  unserem  Ecke  zurück.  Dieser 
schwingt  auch  ein  zauberhaftes  Schwert  Eckesahs,  Ecken- 
sahs,  franz.  Ainsax,  das  an  Vritras  mit  100  Stacheln  be- 
setzte Wafie  erinnert.  Die  angeführten  Züge  würden  noch 
nicht  vollständig  die  Identität  Eckes  und  Ahis  beweisen, 
zumal  da  in  beiden  das  Thema  nicht  ganz  genau  überein- 
stimmt, wenn  nicht  hinzukäme,  dass  Ecke  durch  die  bei- 
den Brüder  Fasolt  und  Abentrot,  mit  denen  der  My- 
thus ihn  verbindet,  als  ein  in  der  Luftregion  waltender  Dä- 
mon auf  das  Bestimmteste  gekennzeichnet  wird.  Fasolt 
ist  der  Urheber  schädlicher  Stürme  und  verfolgt,  wie  der 
wilde  Jäger,  ein  Weib  (die  Wolkengöttin) ^) ;  Abentrot 
(crepusculum)  hemmt  den  Sonnenstrahlen  (wie  sein  Name 
aussagt)  den  Weg  zur  Erde.  Beide  sind  also  vritraartige 
Dämonen;  der  zu  ihnen  gehörige  dritte  Bruder  muss  ur- 
sprünglich gleichfalls  ein  den  segnenden  Naturerscheinun- 
gen in  der  Höhe  feindliches  Himmelswesen  gewesen  sein. 
Hieraus  ergiebt  sich,  dass  die  Lostrennung  der  Eckesage 
von  der  des  Oegir  zu  einer  Zeit  geschehen  ist,  als  dieser 
noch   nicht  zum  Meergott  herabgesunken  war'').     Steht  es 


1)  Der  durch  sein  Eberbild  schreckende  Helm  heifst  El.  260  Grim- 
helm.  In  wieweit  diese  deutschen  Hehnbilder  mit  den  von  den  Kelten  als 
Feldzeichen  auf  Standarten  gebrauchten  Ebern,  über  welche  IL  Schreiber  (Mit- 
teilungen des  histor.  Vereins  f.  Steiermark  h.  3.  Gratz  1854.  Hesse  S.  49  fgg.) 
Nachricht  giebt,  zusammenhängt,  liegt  noch  nicht  klar  vor  Augen. 

2)  Myth.  2  602. 

3)  Gleichwol  haben  wir  für  diesen  letzteren  Vorgang  eine  sehr  frühe 
Zeit  anzusetzen.     Castre'n  hat  die  von  Schott  geteilte,  höchst  wahrscheinliche 


91 

nach  den  beigebrachten  Zeugnissen  fest,  dass  Ecke  einst 
dem  indischen  Ahis  identisch  war,  so  wird  in  seinem  Geg- 
ner Dietrich  die  alte  mythische  Gestalt  eines  dem  Indra 
entsprechenden  Gottes  nicht  zu  verkennen  sein.  Der  Kampf 
zwischen  Ecke  und  Dietrich  dreht  sich  wie  der  Straufs 
zwischen  Ahis  und  Indra  um  die  Wasserfrau,  um  ein  kö- 
nigliches Weib  und  zwar  nach  dem  deutschen  Eckenliede 
um  die  wahre  Eigentümerin  des  wunderbaren  Eckenhelmes 
(Frouwa,  Freyja).  Dass  der  Kampf  Dietrichs  mit  Ecke 
nicht  historisch,  sondern  durchaus  mythisch  sei,  ist  allge- 
mein anerkannt ')  und  Wilh.  Müller  bemerkt  in  seinen  neue- 
sten Untersuchungen  über  Dietrich  mit  Recht:  „dass  für 
dessen  Kämpfe  mit  Riesen  und  Drachen  Analogien  vor- 
zugsweise in  der  Thorssage  zu  suchen  siud^)."  Hiedurch 
wird  schon  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  dass  wenn  ir- 
gendwo, besonders  in  unserm  Mythus,  Dietrich  an  die  Stelle 
Thunars  getreten  ist  und  dieser  Gott,  wie  sonst  so  auch 
hier  des  vedischen  Indra  Stelle  vertrat.  Dass  aber  wirk- 
lich in  der  altgermanischen  Volksüberlieferung  von  einem 
Streit  zwischen  Agi  (Oegir,  Ecke)  und  Thunar  (Thörr)  die 
Rede  war,  von  dem  der  Kampf  Dietrichs  mit  Ecke  nur 
der  spätere  Nachhall  ist,  geht   aus  der  Erwägung  hervor, 


Vermutung  ausgesprochen,  dass  der  Name  des  fimiischen  Meergottes  Ahti, 
Ahto,  der  sich  aus  dem  uralaltaischen  Sprachschatz  auf  kehie  Weise  erklä- 
ren lässt,  aus  dem  Germanischen  entlehnt  sei  (Castren,  Finnische  Mythol. 
übers,  v.  Schiefner  73).  Das  t  ist  eine  im  Finnischen  sehr  gewöhnliche  eu- 
phonische Einschiebung  nach  h.  Die  Spaltung  in  den  himmlischen  "Wolken- 
dämon und  einen  Meergott  muss  daher  bei  den  Germanen  schon  vor  der 
ersten  Lautverschiebung  vollzogen  sein  und  in  eine  Zeit  fallen,  als  ihnen 
Agias  noch  Ahi  lautete. 

1)  Vergl.  W.  Müller,  Altdeixtsche  Religion  310.  Müllenhoff,  Zeitschr.  f. 
d.  Altert.  V,  438:  ,,Wer  wird  wol  den  Kampf  des  ostgotischen  Dietrichs 
von  Beni,  der  durch  Verona-Bonn  an  den  Unterrhein  gelangte,  mit  Ecke  und 
Fasolt  historisch  deuten  wollen?"  Der  von  J.  V.  Zingerle  neuerdings  gemachte 
Versuch  (Pfeiffers  Germania  I,  120)  den  Schauplatz  der  Eckensage  in  Tirol 
nachzuweisen,  berührt  unsere  Frage  nicht. 

2)  Henneberger,  Jahrbuch  f.  deutsche  Literaturgeschichte  I,  178.  Wei- 
ter dürfen  wir  nicht  gehen.  Dietrich  hat  vorzugsweise  aus  der  Thunarsagc 
mythische  Anflüge  erhalten.  Seine  ganze  Sagengestalt,  in  so  weit  sie  un- 
historisch ist,  auf  Thunar  zurückzuführen,  versuchte  Cl.  Meier,  Historische 
Studien  93.  Sein  Versuch  ist  jedoch  als  entschieden  mislungen  zu  be- 
trachten. 


92 

dass  die  den  Erdkreis  umgürtende  Meerschlange,  der  MiS- 
garSswurm,  nichts  anders  als  eine  Tiergestalt  Oegirs,  eine 
Spaltung  des  ursprünglich  einen  drachengestalteten  Dämons 
Ogi,  Agi  in  den  anthropomorphischen  Dämon  Oegir  und 
seine  Tierform  Jörmungandr  war,  während  der  den  Oegis- 
helm  tragende  Fafnir  beide  Gestalten  bewahrte.  Der  MiS- 
garSswurm  wird  noch  in  den  Edden  als  Riese,  als  vernunft- 
begabtes Wesen  geschildert.  Ihm  steht  Thörr  als  unver- 
söhnlicher Feind  gegenüber.  Er  kämpft  mit  ihm  auf  der 
Fahrt  zu  Hymir;  dieser  Kampf  wiederholt  sich  auf  der 
Fahrt  nach  Utgarör,  wo  der  betrügerische  Riesenkönig 
Utgaröaloki  dem  äsischen  Gast  die  MiSgarösschlange  unter 
der  scheinbaren  Gestalt  einer  Katze  aufzuheben  giebt*). 
Beim  grofsen  Weltkampf  endlich,  zur  Zeit  der  Götterdäm- 
merung, töten  sich  Thörr  und  die  Schlange  gegenseitig"^). 
Ein  so  oft  in  verschiedenen  Formen  wiederholter  Mythus 
muss  zum  eigensten  Wesen  Thors  gehören  und  aus  der 
Grundbedeutung  dieses  Gottes  hervor  seine  Erklärung  su- 
chen. Was  hatte  nun  der  Gewittergott  mit  dem  Meer  zu 
tun?  Wo  ist  der  innere  Gegensatz,  welcher  eine  unver- 
söhnliche Feindschaft  zwischen  beiden  mythisch  begrün- 
dete? Ganz  ungezwungen  erklärt  sich  dagegen  die  Abnei- 
gung Thors  und  der  Weltschlange  gegeneinander,  wenn 
wir  als  die  Grundgestalt  der  letzteren  den  dämonischen 
Wolkendrachen  annehmen.  Lag  aber  Thörr  dieses  ursprüng- 
lichen Gegensatzes  wegen  mit  dem  MiögarÖswurra  in  Streit, 
so  muss  er  auch  ursprünglich  Oegir  und  Ecke  bekämpft 
haben  und  der  obige  Indramythus  ist  für  Germanien  nach- 
gewiesen. 

Wie  in  Ecke  glaube  ich  auch  im  „treuen  Eckart"  ei- 
nen Niederschlag  des  alten  Agi  =  Ahis  nachweisen  zu 
können.  Der  Name  dieses  Helden  ist  eine  blofse  Erwei- 
terung des  einfachen  Ecke  durch  Zusammensetzung,  ein 
Vorgang,   der  bei  mythischen  Persönlichkeiten  sehr  häufig 


1)  Gvlfag.  46. 

2)  Gylfag.   51. 


93 

eintritt,  sobald  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  sieh  verdun- 
kelt'). Wie  wenig  schwer  bei  Eckart  der  zweite  Compo- 
sitionsteil  wiegt,  zeigt  der  Wechsel  von  hart  in  wart  (Ecke- 
wart) ^)  im  Gedichte  von  Dietrichs  Flucht.  Bekanntlich 
zieht  der  treue  Eckart  vor  dem  wütenden  Heere  der  Göt- 
tin Holda  einher  als  ein  alter  Mann  mit  weifsem  Stabe, 
der  die  Leute  von  der  Berührung  mit  demselben  abhält 
und  sie,  wenn  sie  ihm  begegnen,  heimgehen  heifst.  Dö- 
derlein  bezeugt,  es  hätten  einige  Landeseinwohner  ihn  des- 
sen gewiss  versichert,  dass  sie  das  wilde  Heer  wollten  ge- 
sehen haben,  davor  den  treuen  Eckart  „der  warne  die 
Leute,  dass  sie  aus  dem  Wege  gehen  und  demselben  wei- 
chen, mithin  der  Gefahr  entfliehen  sollten^)."  Der  An- 
hang zum  Heldenbuch  sagt:  Man  vermeynet  auch,  der  ge- 
treu Eckarte  sey  noch  vor  Frau  Venus  berg  sol  auch  do 
belyben  bifs  an  den  jungesten  tag  und  warnet  alle  leute, 
die  in  den  berg  gan  wollen.  Aventin:  Den  haben  die 
alten  für  ein  richter  vor  das  tor  der  hellen  gesetzt,  der 
die  leut'  gewarnt  und  gelehrt,  wie  sie  sich  in  der  hell  hal- 
ten soUn ,  ist  auch  noch  ein  Sprichwort  als  der  Troisch 
Heccard*)."  In  Betreff  dieser  Sagen  gestatte  man  mir  zu- 
nächst die  Bemerkung,  dass  der  Venus  berg,  in  welchem 
Frau  Holda  mit  den  Seelen  Hofhaltung  hält,  nichts  ande- 
res als  abermals  eine  irdische  Localisierung  der  Wolke 
ist^).  Eckehart  nun,  der  vor  dem  wütenden  Heer  wie  dem 
Veuusberge  warnt,  steht  damit  in  einem  erkennbaren  Ge- 
gensatz zur  Göttin  und  ihrem  Gefolge.  Li  diesem  Ge- 
gensatze lässt  sich  leicht  der  Kern  der  ganzen  Mythe 
erkennen;   ihm  werden  wir  ein  sehr  hohes  Alter  beizumes- 


1)  tS.  meinen  Aufsatz  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  V,  171. 

2)  In  einem  Meistergesang  (s.  Grimm,  Heldensage  312)  heifst  Ecke: 
Ecke  von  Eckenbarth.  Ich  halte  dafür,  dass  das  letztere  Wort  nur  eine 
Verfälschung  von  Eckewart  ist  und  sehe  darin  ein  Zeugnis  fUr  die  Identität 
Eckes  und  des  treuen  Eckewart. 

3)  Antiquitates  Nordgavienses  I,   396.  I 

4)  Bairische  Chronik  S.  38a. 

5)  S.  oben  S.  80  und  den  folgenden  Aufsatz:  Holda  imd  die  Nomen 
§.  2. 


94 

sen  haben.  Jetzt  ist  Eckart  als  "Widerpart  der  durch  christ- 
lichen Einfluss  als  teuflische  Dämonin  gefassten  Göttin  der 
treue,  auf  der  Seite  der  Sittlichkeit  stehende  Mahner,  der 
die  Menschen  von  dem  Eintritt  in  den  Zauberkreis  des 
Yenusberges  zurückhält,  oder  dem  wilden  Heer  zu  nahen 
verbietet.  Ehe  jedoch  die  milde  mütterliche  Göttin  in  das 
Gegenteil  sich  verkehrte,  muss  Eckart  die  seinem  jetzigen 
Wesen  entgegengesetzte  Natur  besessen  haben.  Es  war 
ursprünglich  der  die  Wolkengöttin  gefangen  haltende  von 
dem  Zugang  zu  den  Menschen  sie  abschneidende  Dämon, 
den  das  Christentum,  sobald  ihm  Holda  als  heidnische  Gott- 
heit zur  Teufelin  wurde,  wegen  seines  Gegensatzes  zu  ihr 
als  woltätige  Macht  auffasste.  Hiegegen  könnte  man  den 
Einwurf  erheben,  dass  Eckart  nicht  blofs  in  denjenigen 
Gegenden  als  Warner  vor  dem  wütenden  Heere  voraufzie- 
hen soll,  wo  man  Holda  als  Führerin  desselben  annimmt, 
sondern  auch  da,  wo  männliche  Gestalten  als  Psychopompoi 
genannt  werden,  dass  er  also  in  keinem  Gegensatze  zur 
Wolke,  sondern  nur  zu  den  Seelen  gedacht  sei.  Dem 
Wuotas-  oder  Muotasheer  in  Schwaben  geht  oder  reitet 
nämlich  ein  Mann  vorher,  welcher  in  einem  fort  ruft: 

Aufsm  weg,  aufsem  weg, 

Dass  niemand  was  gscheh*). 
Geiler  von  Keysersperg  sagt  in  seiner  Emeis^)  vom 
wilden  Heer  „vnd  lauft  einer  voraus  der  schreyt:  fliehe  ab 
dem  weg,  das  dir  got  das  leben  gebe."  Dem  wilden  Heer 
in  der  Lausitz,  das  Pan  Dietrich  oder  Schümbrich  (Diet- 
rich von  Bern)  anfuhrt,  fährt  ebenso  St.  Bonifacius  war- 
nend voran  ^).  Dass  aber  auch  in  diesen  Sagen  das  Haupt- 
gewicht auf  dem  Verweilen  der  Seelen  in  dem  Wolkenge- 
wässer liegt,  und  dass  dieser  Zug  den  eigentlichen  Kern 
der  Ueberlieferung  bilde,  geht  aus  dem  von  Meier*)  ange- 
führten Glauben  hervor,   „das  Muotisheer  bestehe  aus  lau- 

1)  Meier,   Schwäbische   Sagen  S.  128  —  134. 
•2)  Ed.   Stöber  S.  22. 

3)  Gottlob  Gräve,  Volkssagen  der  Lausitz  S.  55,  XI. 

4)  A.  a.  O.   129. 


95 

ter  Menschen,  die  statt  der  Füfse  einen  Fischleib  hät- 
ten und  so  durch  die  Luft  flögen.  Der  gröfste  Fisch 
fliege  voran  und  warne  die  Leute.  Ueberhaupt  hat  das 
wilde  Heer  seinen  häufigen  Verbleib  in  der  Wolke,  in  wel- 
cher Holda  mit  den  Seelen  zumal  der  Ungeborenen  sitzt; 
grade  diese  Seelen  sind  es  eben,  welche  die  Wolke  ver- 
lassend zu  anderer  Zeit  als  wütendes  Heer  umziehen.  Von 
diesem  Verhältnis  finden  sich  noch  vielfache  Spuren  in 
deutschen  Sagen,  wobei  man  festhalten  muss,  dass  der 
himmlische  Kinderbrunnen  der  Holda  auf  der  Erde  locali- 
siert  ist.  Im  Wasser  zu  Elbingerode  jagt  der  wilde  Jäger 
alle  sieben  Jahr  herauf  und  herunter.  Man  sagt  daselbst 
auch,  der  wilde  Jäger  ziehe  durch  die  Luft  und  ver- 
schwinde mit  Hundegekläff  im  Teichloch.  Aus  diesem 
Teichloch  kommen  die  Kinder^).  Der  wilde  Jäger 
zeisjt  sich  auch  in  einem  Wässerchen  bei  Stolberg;.  In 
diesem  Wässerchen  haben  sich  an  verschiedenen  Stellen 
kleine  Kinder  gezeigf^).  Das  wütende  Heer  und  die 
weifse  Frau  erschienen  an  ein  und  derselben  Stelle^}. 
Das  wütende  Heer  fährt  in  Franken  unsichtbar  in  einem 
Nachen  über  den  Main,  gradeso  wie  die  Zwerge,  Heim- 
chen oder  sonstige  Elbe  in  der  Begleitung  Berthas*). 
Der  Schimmelreiter  auf  dem  Bielstein  im  Oberharz  ver- 
schwindet stets  bei  einem  Brunnen^).  Der  Nachtjäger 
badet  im  Fichtelsee").  Der  wilde  Jäger  haust  in  einem 
Unterharzischen  Walde,  welcher  der  Jenteich  heifst,  weil 
sich  daselbst  zu  katholischen  Zeiten  ein  Fischteich  befand''). 
Das  wütende  Heer  in  Norwegen,  das  unter  Anführung  der 
Gurrorysse  oder  Reisarova  umreitet,  fährt  über  Wasser 
und  Land^).     Odhinn,   der  Anführer  des  wütenden  Heers, 


1)  Pröhle,  Unterharz.  Sagen  207. 

2)  Pröhle  a.  a.  0.   205. 

3)  Rocholz,  Schweizersagen  aus  dem  Aargau  143  fgg. 

4)  Zeitschr.  f.   d.  Myth.  I,    18.     Panzer,  Beitrag  I,  164. 

5)  Pröhle,  Harzssagen  S.  226. 

6)  Wolf,  Beiträge  II,   131.     Bechstein,  Deutsches  Sagenb.  574. 

7)  Pröhle,  Unterharz.  Sagen   205. 

8)  Myth.  2  897. 


96 

trägt  Haddingr  nach  Saxo  über  das  Meer.  Der  wilde 
Jäger  zieht  als  Hund  über  den  herrschaftlichen  Teich  zu 
Stollberg ^).  Das  wilde  Gjaid  in  Steiermark  fährt  in  ei- 
nem Schiff  durch  die  Luff^).  Die  Lappen  bewahren 
einen  alten  von  den  Skandinaviern  herübergenommenen  Kul- 
tusgebrauch. Sie  opfern  nämlich  vorzüglich  zu  Weihnach- 
ten dem  durch  die  Luft  ziehenden  Julfolk  d.  i.  dem  wü- 
tenden Heer,  indem  sie  von  allen  Speisen  etwas  in  ein 
kleines  Schiff  aus  Birkenrinde  legen  und  dasselbe 
vor  ihren  Zelten  aufhängen^).  Hieher  gehört  auch  die 
Sage  von  O'Donoghue,  der  jährlich  in  der  Mainacht  auf 
milchweifsem  Rofs  von  den  Elfen  umgeben  aus  der  Flut 
des  Killarneysees  in  Irland  steigt*)  und  von  dem  stil- 
len Volk,  das  über  die  Wogen  der  Meerbucht  von  Glen 
Gariff  in  Südirland  zieht  ^). 

f )  Um  zum  Kampfe  stark  genug  zu  sein,  trinkt  Indra 
das  Wolkengewässer,  den  himmlischen  Soma,  an  dessen 
Genuss  er  sich  berauscht.  Die  vedischen  Lieder  unterschei- 
den einen  doppelten  Söma,  den  irdischen  und  himmlischen. 
Der  erstere  ist  ein  aus  den  Stängeln  der  Asclepias  acida 
bereitetes,  mit  Milch  gemischtes  berauschendes  Getränk, 
das  schon  vor  der  Trennung  der  Inder  und  Medoarier  zur 
Opferspende  diente  ^ ),  In  den  späteren  Vedenliedern  ist 
die  gewöhnliche  Vorstellung,  dass  Indra  von  seinen  from- 
men Verehrern  herbeigerufen  in  seinem  von  den  falben 
Blitzrossen  gezogenen  Wagen  dem  Hause  des  Opfernden 
naht.  Hier  schirrt  er  die  Rosse  ab  und  trinkt  die  ihm 
vorgesetzte  Somaspende.  Begeistert  vom  Tranke  zieht  er 
in  den  Kampf  und  erschlägt  Vritra.  Nach  den  älteren 
Hymnen  geniefst  Indra,  bevor  er  in  den  Streit  mit  dem 
Dämon  geht,  den  himmlischen  Soma  d.  h.  die  leichten  an 


1)  Prölüe,  Unterharz.  Sagen  205. 

2)  Zeitschr.  f.   d.  Myth.  II,   32. 

3)  Rheen  bei  Scheifer,  Lapponia  S.  118. 

4)  Grimm,  Irische  EUenmärchen  S.  193.   233.     Myth. "  892. 

5)  K.  V.  K.  Erin  II,    160  fgg. 

G)  S.  Windischmaun    über    den   Söma-  und  Haomakult.     Verhandl.  der 
Münchener  Akad.  1844. 


97 

den  Bergen  hangenden  oder  am  sich  aufklärenden  Himmel 
sich  hinziehenden  Nebel  wölken.  „Sogleich  als  du  geboren 
wardst,  o  Indra,  trankst  du  dir  zum  Rausche  den  Söma 
im  höchsten  Himmel')."  »Als  du  geboren  wardst,  an 
dem  Tage  trankst  du  in  Begehr  nach  diesem  glänzenden 
den  auf  dem  Berge  stehenden  Göttertrank,  ihn  flöfste  dir 
die  Mutter,  die  gebärende  Frau,  zuerst  ein  im  Hause  des 
grofsen  Yaters. "  „Der  Hymnenträufler ,  der  Allsehende 
ströme  rein,  Söma,  der  Tage-  Morgen-  Himmelsförderer, 
der  Flüsse  Atem  träufelt  klingend  in  den  Kelch  in  Indras 
Herz  eindringend  durch  der  Weisen  Werk.  Von  dreimal 
sieben  Kühen  ist  für  ihn  gemelkt  wahrhaftes  Opfer- 
nass  im  höchsten  Himmelsraum  ^)."  Indra  geniefst 
von  diesem  Söma  im  Uebermafs,  „mit  einem  Zuge 
trank  er  dreifsig  Ströme  auf  einmal  aus,  Indra,  aus 
Begehr  nach  Söma^)."  „Indras  Bauch,  des  starken  Söma- 
trinkers,  schwillt  me  er  es  gl  eich  auf."  „Berggleich  wächst 
durch  den  Somatrank  seine  Stärke".  Der  himmlische  Söma 
ist  das  Amrita  (außQooia),  der  unsterbliche  Trank  der  Göt- 
ter (Devas).  Die  spätere  Mythologie  der  Puränen  erzählt 
von  dessen  Entstehung.  Die  Götter  und  die  Dämonen  ver- 
einigten sich  das  Milchmeer  umzurühren,  weil  sie  wuss- 
ten,  dass  sie  aus  diesem  das  Amrita  gewinnen  würden. 
Sie  benutzten  dabei  den  Felsen  Mandara  als  Umrührungs- 
klöpfel  und  rührten  1000  Jahre  daran.  Endhch  steigen 
aus  dem  Milchmeer  Värnni  die  Meergöttin,  die  Apsarasen, 
die  Kuh  des  Ueberflusses  Surabhi,  der  Mondgott  Candra, 
der  Paradiesbaum  Pärijätaka  und  viele  Kostbarkeiten,  dar- 
unter das  Amrita  hervor.  Um  diesen  Göttertrank  erneu- 
ten sich  die  Kämpfe  zwischen  den  Göttern  und  den  Dä- 
monen. Die  Grundbedeutung  dieser  Mythe  liegt  klar  vor 
Augen.  Aus  dem  Himmelsgewässer,  das  die  Milch  der 
Götterkühe  enthält,  entstehen  Väruni,  Varuna's  Gemahlin, 
der  in  alter  Zeit  der  Herrscher  des  weltumgebenden  Ilim- 


1)  RigTcda  III,  3.  3.   12.  2.     Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  521. 

2)  Sämav.  Benfey  I,  6.  2,  2,  6.  7. 

3)  Rijrv.  VI,   5,   29,   4  =  Nir.   4,   2,   5.   11.     Kuhn  a.  a.  O.   f>22. 

7 


98 

melsmeeres  war  (griech.  Uranos),  die  Wayserfrauen  (Apas, 
Apsarasen),  die  Wolkenkub,  der  Mond  und  das  göttliehe 
Regennass,  der  Trank  der  Götter.  Wie  Tvashtri  und  seine 
Gesellen  die  Ribhus  die  "Wolkenkuh  verfertigt  haben  und 
immerfort  wiederbeleben,  ist  Tvashtri  auch  der  Hüter  des 
himmlischen  Somatranks,  des  Amrita.  Er  hat  eine  wun- 
derbare Schale  verfertigt,  welche  dazu  dient,  bei  der  Ver- 
sammlung der  Götter  den  himmlischen  Soma  aufzunehmen. 
Später  teilten  die  Ribhus  dieselbe  in  4  Schalen,  worüber 
Tvashtri  sehr  erzürnt  war').  Wenngleich  ich  den  letzte- 
ren Zug  nicht  zu  deuten  weils,  kann  wol  kein  Zweifel 
darüber  obwalten,  dass  die  von  Tvashtri  gefertigte  Schale, 
in  der  das  himmlische  Wolkeuwasser  aufbewahrt  vdrd,  das 
Himmelsgewölbe  vorstellen  sollte.  Es  heifst,  dass  In- 
dra  dem  Tvashtri  den  Söma  raubte.  „Den  Tvashtri  gleich 
bei  der  Geburt  überwindend,  den  Soma  raubend,  trank 
er  (ludra)  aus  den  Schalen-J."  In  Yäskas  Nirukta  be- 
gegnen wir  der  Stelle:  „Mit  Seihen  versehen  umwerben 
sie  das  Wort;  der  ewige  Vater  überwacht  ihr  Beginnen, 
der  grofse  Varuna  hält  die  (wahre)  Somakufe  ver- 
borgen; nur  Weise  können  den  festen  Boden  fassen'')." 
Diese  Stelle  gehört  schon  einem  philosophierenden  Zeitalter 
an,  ihr  Sinn  ist,  dass  nicht  Jeder,  welcher  das  (irdische) 
Sömaopfer  zu  begehen  sich  anschickt,  auch  seine  Früchte 
geniefse.  Das  wahre  Wort  des  Glaubens  liegt  nicht  in 
vielem  Reden  und  die  rechte  Somakufe  hat  Varuna,  der 
verborgene  Richter,  nicht  jedem  zugänglich  gemacht;  nur 
dem  Weisen  gelingt  es  aus  dem  Tasten  und  Versuchen 
auf  den  festen  Grund  wahrer  und  verdienstlicher  Gottes- 
verehrung zu  kommen.  Das  hier  gebrauchte  Bild  aber, 
die  von  Varuna,  dem  Gott  des  weltumgebenden  Him- 
melsmeeres  hinter  dem  Wolkengewässer  (eben  dem  himm- 
lischen Somatrank)  verborgene  Kufe  entspringt  offenbar 
aus  der  Mythe  einer  früheren  Periode,   und  entspricht  ge- 

1)  Keve  essay  sur  le  mythe  des  Ribhavas  276. 

2)  mgv.  III,  3,   3,   12,   4.     Kuhn  a.  a.  O. 

3)  Koth,  Yäskas  Nirukta   166. 


I 


99 

nau  der  griechischen  Vorstellung,  nach  welcher  Uranos  der 
Vater  des  leuchtenden  blauen  Himmels  Zeus  (skr.  Dyaus) 
und  der  Sohn  des  festen  steinernen  oder  ehernenHim- 
melsgewölbes  Akmön  (skr.  Apman)  ist'). 

ff)  Thörr  trinkt  bei  Ütgaröaloki  das  halbe  Weltmeer 
aus.  Alle  Riesen  erschrecken  vor  seiner  Stärke  und  als 
dauerndes  Denkmal  seines  gewaltigen  Trunkes  bleibt  das 
zurück,  was  die  Menschen  Ebbe  und  Flut  nennen.  Haben 
wir  bereits  in  dem  von  Thörr  in  Utgarör  in  die  Höhe  ge- 
hobenen MiSgaröswurm  einen  Nachhall  des  Kampfes  mit 
Ahi  gefunden,  so,  wird  auch  hier  das  irdische  Meer  an  die 
Stelle  des  himmlischen  getreten  sein,  d.  h.  Thors  gewalti- 
ger Trunk  ist  Indras  Sömagenuss  zu  vergleichen.  In  an- 
dern Ueberbleibseln  derselben  Mythe  entspricht  dem  ari- 
schen Söma  unser  Met  oder  Bier.  Bei  Thrymr  trinkt  Thörr 
3  Kufen  Met'^),  woraus  das  schwedische  Volkslied  12  La- 
sten Bier  macht  ^).  Das  dänische  Volkslied  sagt  von  dem 
als  Mädchen  verkleideten  Tord  af  Hafsgaard  (Thörr); 
Xn  toender  oell  saa  drack  huu  ud 
foer  hun  künde  törsten  sloecke. 
Nach  der  Bearbeitung  bei  Vedel  und  Sjv^)- 

Vel  tolff  lester  oell  dem  drack  hun  ud 

foerend  hun  künde  toersten  sljcke: 

end  drack  hun  ud  den  Hancke  ballie 

saa  tog  hun  til  at  hicke  ''')• 
Zu  üreboe   in  Telemarken  lagen  zwei  Gehöfte.    Hier 
gab  es  einst  zwei  Hochzeiten,    bei   denen   man  nach  alter 
Nordlandssitte    fleifsig    das    schäumende    Bierhorn    umher- 
reichte.    Da   fiel  es   Gott  Thörr  ein   zur  Erde   zu  fahren 


1)  S.  Roth,  Zeitsehr.  f.  vergl.  Sprachf.  II,  44  fgg. 

2)  Tbiymsqiiiöa  24. 

3)  Arfwidson  Svenska  fornsängor  I,   3,   9. 

4)  Svend  Grundtvig  Danmarks  gamle  folkeviser  I,  4,   17. 

5)  I.  No.  22,   17.  Svend  Grundtvig  a.  a.  O.  5. 

6)  Vgl.  den  streitbaren  Mönch  bei  Arfwidson  fornsängor  I,  417,  der  nach 
einem  Riesenkampf  das  gesalzene  Fleisch  von  7  Ochsen,  15  Speckseiten  und 
300  Brode,  endlich  12  Tonnen  Bier  verzehrt.  S.  a.  Russwurm,  Nordische 
Sagen  278. 

n  ♦ 


100 

und  seine  alten  Freunde,  die  Telebönder,  zu  besuchen.  Er 
sprach  zuerst  in  dem  einen  Gehöfte  ein,  wurde  wol  aufge- 
nommen und  eino;eladen.  Der  Bräutisram  nahm  selbst  eine 
ganze  Biertonne,  hob  sie  empor  und  trank  Thorr  zu, 
der  sie  alsbald  leerte.  Sehr  vergnügt  und  mit  der  gefun- 
denen Bewirtung  wol  zufrieden,  brach  der  Gott  nachher 
zu  dem  zweiten  Hause  auf,  um  auch  hier  vom  Hochzeits- 
bier zu  schmecken.  Aus  Mangel  an  Aufmerksamkeit  reichte 
man  ihm  den  Trank  aber  aus  einer  gewöhnlichen  Schale. 
Darüber  ward  er  zornig,  warf  das  Gefäfs  heftig  auf  den 
Boden,  schwang  seinen  Hammer  und  ging  davon.  Er  nahm 
das  Brautpaar,  das  ihn  aus  der  Tonne  hatte  trinken  las- 
sen, sammt  dessen  Gästen  mit  sich  auf  einen  Hügel  und  liefs 
es  ansehen,  wie  er  das  ungastliche  andere  Paar  sammt  Hof 
und  allem  unter  einem  Bergsturz  begrub  ').  Da  in  der  ed- 
dischen wie  den  jüngeren  Recensionen  der  Thrymscj[uiöa 
neben  Thors  gewaltigem  Durst  ebensosehr  dessen  Esslust 
hervorgehoben  wird  und  diese  auch  im  Cultus  Berücksich- 
tigung fand,  indem  dem  Thörsbild  zu  Löar  nach  der  Olafs 
Helgasaga  täglich  vier  Brode  und  entsprechende  Quan- 
titäten Fleisch  vorgesetzt  wurden  ^),  könnte  in  jenem  Lied 
die  Trinklust  des  Gottes  vielleicht  zum  blofsen  Ausdruck 
seiner  Stärke  dienen  ^) ,  oder  die  alles  verzehrende  Gewalt 
des  Blitzes  bezeichnen.  Das  Austrinken  des  halben  Welt- 
meers gicbt  sich  jedoch  dagegen  bald  als  ein  alter  guter 
Mythus  zu  erkennen,  der  nicht  aus  der  blofsen  Ausmalung 
der  riesisclien  Gestalt  des  Gottes  hervorgeht,  und  dadurch 
noch  weiteren  Halt  empfängt,  dass  öfter  in  der  Snorraedda 
Thors  Trinkvermögen  allein  ohne  irgend  welche  Beziehung 
auf  das  Essen  hervorgehoben  wird.  UtgarSaloki  fragt  Thörr, 
welche  Kunst  das  sei,  worin  er  sich  vor  der  Versammlung 
in  Utgarör  hervortun  wolle,  nachdem  die  Leute  von  seinen 


1)  Faye,  Norske  Sagn  4.   5. 

2)  Fiorar  leifar  brau'ös  eru  höniim  fan-dar  hvern  dag  ok  ]>ar  vi?)  slätor. 

3)  So  verzehrt  Herakles  einen  Ochsen  und  besiegt  den  Lepreäs  im  Trin- 
ken. Aelian  var.  histor.  I,  24.  Thcocr.  22,  115.  Eur.  Ale.  756.  Og  isst 
nach  jüdischer  Sage  1000  Ochsen  und  1000  Stück  Wild,  dazu  trinkt  er  1000 
Mafs  Wein.    Eiseumenger,  Neuentdecktes  Judentum  I,  396.    Paiss^vurm  a.  a.  O. 


101 

Grofstaten  so  viel  Rühmens  gemacht.  Dieser  erwiedert, 
am  liebsten  wolle  er  sich  im  Trinken  messen,  mit  wem  es 
auch  sei.  Einen  Wettkampf  im  Essen  unternimmt  er  nicht; 
dieser  fällt  Loki  zu.  Auch  ist  der  Mundvorrat,  den  Thörr 
auf  seiner  Fahrt  für  sich,  Loki,  Thiälfi  und  Röskva  mit 
sich  führt,  so  gering,  dass  der  junge  Bursch  Thiälfi  allein 
die  gemeinsame  Speisetasche  tragen  kann.  —  Als  Hrüng- 
nir  nach  Vallhöll  kommt,  legt  er  dadurch  eine  Probe  sei- 
ner gewaltigen  Kraft  ab,  dass  er  die  beiden  grofsen  Scha- 
len, aus  denen  Thörr  zu  trinken  pflegte,  leert.  Das  hätte 
ihm  sobald  keiner  nachgemacht.  Thörsteinu  Bäarmagn  (der 
mythische  Vertreter  Thors  in  einer  jüngeren  Sage,  die  viele 
gute,  alte  und  echte  Züge  enthält)  erhält  von  König  Goö- 
mundr  (dem  Herrscher  im  Lande  der  Unsterblichkeit)  einen 
Goldbecher  für  Olaf  Helgi.  Diesen  Becher  kann 
aber  aufser  Thörsteinn  Niemand  leeren.  Den  bis- 
her beigebrachten  Zeugnissen  für  Thors  Trinklust,  die  ich 
aus  der  leidenschaftlichen  Vorliebe  des  Gottes  für  den  Him- 
melsmet des  Wolkengewässers  ')  erkläre,  reihen  sich  andere 
an,  welche  wahrscheinlich  zu  machen  geeignet  sind,  dass 
Thunar  als  Beschützer  des  Bierbrauens  gedacht  wurde.  Die 
zu  Qualseth,  einem  Gut  in  Telemarken  aufbewahrten  Don- 
nersteine wurden  jeden  Julabend  mit  frischem  Bier 
begossen^).  Das  dem  Thörr  heilige  Holz  des  Vogelbeer- 
baums wird  in  Schweden  zu  den  Gefäfsen  angewandt, 
worin  man  Bier  braut  oder  aufbewahrt '^).  Wenn  beim 
Brauen  ein  Fremder  eintritt  versäumt  der  Schwede  nie,  ei- 
nen Feuerbrand  in  die  Braupfanne  zu  stecken^).  In 
Schlesien  legt  man  einen  Straul's  grofser  Brennesseln 
aufs  Fass,  so  schadet  der  Donner  dem  Bier  nicht  ^).  In 
Meklenburg  kocht  man  Gründonnerstags  Kohl  von 
Nesseln.     Damit  das  frische  Bier  sich   nicht  brechen  soll, 


1)  Diesen  geniel'sen  ja  auch  die  Eiuhcriar,  s.   obeu  S.  64. 

2)  Lex.   myth.   961. 

3)  Lex.  myth.   897. 

4)  Dybecki  Runa   1845   S.  3. 

5)  RÖckenphilos.  IV,  63.     Myth.'   LXXX,  336. 


102 

legt  man  Donnernesseln  dazu,   denn  die  Donnernessei 
widersteht  dem  Bier  ^).     Aus  dieser  Beziehung  Thors  zur 


1)  David  Franck,  Meklenburg  I,  59.  Die  Nesseln  scheinen  Tliunar  hei- 
lig gewesen  zu  sein.  In  Tirol  legt  man  beim  Gewitter  Nesseln  ins  Feuer 
um  das  Hexenwerk  zu  entkräften.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  338.  Am  Son- 
nenwendabend (St.  Johaunis:  Thunars  Tag)  backt  man  Brennesselku- 
chen. Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  339.  Am  Gründonnerstag  gepflückte 
Nesseln  schützen  vor  Gewitter.  Vor  Zauberei  scliützt  es,  Brennesseln  bei 
sich  zu  tragen.  Dodonäi  herbarius  221.  Dat  kriit  kenn  ik,  säd  de  düwel 
un  sett  sik  in  de  brennettel.  Biernatzki,  Schleswigholst.  Volkskalender  1844 
S.  57.  Hoefer,  Wie  das  Volk  spricht  S.  43,  497.  Wie  ich  Zeitschr.  f.  D. 
Myth.  II,  327  nachzuweisen  versucht  habe,  waren  Thunar  die  Hüner  heilig. 
Wenn  die  Nesseln  Samen  geben,  nimmt  man  die  obersten  Schüsse  und  giebt 
sie  den  Hünern  in  Kleie,  so  legen  sie  den  ganzen  Winter  hindurch  (Enthüllte 
Geheimnisse  der  Sympathie.  »Schwäbisch  Hall  S.  5).  Mit  Thunar  als  Ehe- 
und  Lebensgott  und  Eibenherrscher  hängen  auch  noch  folgende  aber- 
gläubische Meinungen  zusammen.  Nesselsamen  macht  wollüstig  und  erleich- 
tert die  Geburt.  Si  quis  in  Urticas  minxerit  libidine  afficietur.  Pauliini,  Zeit- 
kürzende Lust  176.  Virginitatis  probandae  causa  puellam  in  Urticas  etiam 
virides  mingere  jube,  quae  amissa  pudicitia  exarescent.  (Ein  schön  neu  er- 
fundenes Kunstbüchlein,  darinnen  125  Stück  vor  Menschen  und  Vieh).  An 
einigen  Orten  schlägt  man  sich  am  Johannistage  gegenseitig  mit  Brennes- 
seln, die  in  Urin  getaucht  sind.  Westendorp,  Noordsche  Mythologie  2  76.  Im 
Volkslied  ist  die  Brennessel  Symbol  der  Liebestrauer.     S.  Erlach  II,  104: 

Die  höchste  Freud',  die  ich  gewann, 

Ist  mir  zu  Trauern  kommen. 

Der  Unfall  hat's  mir  angetan. 

Die  Freud'  ist  mir  genommen. 

Und  das  schafft  nichts  als  Scheidens  Not, 

Muss  meiden  nun  ihr  Mündlein  rot. 

Ach,  wie  bringt  das  mir  Leiden. 

Das  Nesselkraut,  das  sie  mir  bot, 

Das  wächst  in  ihrem  Garten. 

Sie  spielt  mit  mir  imd  ich  mit  ihr, 

Und  lässt  mich  auf  sich  warten. 

Doch  als  sie  mir  ihr  Mündlein  rot, 

Ganz  freundlich  zu  dem  Kusse  bot, 

Erfreut  ich  mich  der  Liebe. 
VergL  Uhland  664.     Simrock  S.  216.  No.  117: 

Ei  Baur  lass  mir  die  Röslein  stehn, 

Sie  sind  nicht  dein. 

Du  trägst  wol  noch  vom  Nesselkraut. 

Ein  Kränzelein. 

Das  Nesselkraut  ist  bitter  und  herb, 

Es  brennet  sehr. 

Verloren  hab  ich  mein  feines  Lieb, 

Das  reut  mich  sehr. 

Es  reut  mich  selir  und  tut  mir 

In  meinem  Herzen  weli, 

Dass  icli  die  Herzallerliebste 

Soll  sehen  nimmermeh. 


103 

Bierbrauerei  wird  nun  auch  ersichtlich,  warum  er  zu  Oe- 
girs  Gastmahl  den  Braukessel  holen  soll,  ja  warum  die 
Äsen  sich  bei  dem  Meergott,  dem  alten  Wolkendrachen 
versammeln.  Der  Braukessel  ist  das  Himmelsgewölbe,  in 
dessen  Hölung  sich  der  himmlische  Met  erzeugt.  Die  Auf- 
fassung des  Himmels  als  eines  Gefäfses  ist  unserem  Volke 
noch  jetzt  nicht  ganz  entschwunden.  Der  niedersächsische 
Landmann  sagt:  „Wenn  de  heramel  infallt,  so  krige  wi 
enen  groten  kikenkorf ')."    Der  Oberdeutsche  imEIsass: 

Diri  diri  daine, 

s'  rägnet  dur  e  zaine, 

s'  rägnet  dur  e  r  u  m  b  1  e  f  a  s  s , 

alli  biäweli  werde  nass  ^). 

Ein  sympathetisches  Mittel  gegen  fallende  Sucht  (atrophia  extremitatum)  be- 
steht zum  Hauptteil  aus  Eitternesselsamen  (Buch  der  Geheimnisse.  Ilme- 
nau bei  Vogt  ISii  S.  73).  Wenn  man  grüne  taube  Nesseln  in  den  Urin 
des  Kranken  legt  und  sie  nach  24  Stunden  noch  grün  sind,  so  wird  er  wie- 
der gesund  (Buch  der  Geheimnisse  25).  Gegen  böse  Träume  hilft  es,  auf  ei- 
nem Schaffell  schlafen  und  vor  dem  Zubettegehen  einen  Aufguss  von  Bren- 
nessel wurzeln  trinken.  Auerbach,  Dorfgeschichten  III,  215  (Diethelm  von 
Buchenberg).  Nach  Albertus  Magnus  sichert  Brennessel  mit  Schafgarbe  zu- 
gleich in  der  Hand  gehalten  vor  aller  Furcht  und  trüben  Einbildung.  Bech- 
stein  Sage,  Mythe  u.  s.  w.  I,  111.  Taube  Nesseln  mit  Cypressensaft  bereitet 
ins  Haus  gelegt,  lassen  dasselbe  voller  Würmer  scheinen  (vergl.  Zeitschr.  f. 
D.  Myth.  III,  274)  und  machen  die,  so  es  bei  sich  tragen,  reich  an  Genuss 
und  Gnaden.  Bechstein  a.  a.  0.  I,  113.  Als  Thunars  heiliges  Kraut  wird  die 
Brennessel  auch  zur  Heilung  von  Viehkrankheiten  angewandt.  Wenn  man 
dem  Vieh  die  Maden  (böse  Elbe)  vertreiben  will,  brockt  man  vor  Sonnen- 
aufgang eine  Brennessel,  fasst  sie  mit  beiden  Händen  und  spricht: 

Brennessel  lass  dir  sagen, 

Unsere  Kuh  hat  (im  Fufs)  die  Maden; 

Willst  du  sie  nicht  vertreiben, 

So  will  ich  dir  den  Kragen  abreiben. 
Nun  wird  die  Brennessel  abgedreht  und  die  beiden  Stücke  über  den  Kopf 
geworfen.  Das  geschieht  an  drei  auf  einander  folgenden  Tagen.  Panzer,  Bei- 
trag II,  299.  Dieselbe  Kraft  zur  Vertreibung  böser  Elbe  äufsert  die  Nessel 
im  ags.  Segen  gegen  Seitenstiche.  Myth.^  1192.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III, 
107.  Nicht  von  ungefähr  wird  in  Shakespeares  Hamlet  IV,  7  die  Nessel  ne- 
ben andern  dem  Thunar  heiligen  Pflanzen  genaimt.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III, 
263.  Sie  wurden  miteinander  vom  Volk  als  zauberisch  oder  imheilvoU  an- 
gesehen, und  dienen  daher  dem  Dichter, ''den  Kranz  der  unglückliclien  Ophe- 
lia mit  unheimlichem  Schauer  zu  umgeben.  —  Bedeutungslos  ist  in  der 
Sage  vom  Rockertweible  (Auerbach,  Dorfgeschichten  III,  343)  dass  sie  ein 
Hemd  von  Brennesseln  spinnt,  da  im  Scliwarzwald  der  Stengel  der  Brennes- 
sel sehr  häufig  wie  Hanf  und  Flachs  versponnen  oder  zur  Papierfabrioation 
angewendet  wird,  vergl.  lUustrirtes  Familienjournal  1855  III.   94. 

1)  BR.  NS.  WB.  I,  7G9. 

2)  Stöber,  Elsäss.  Volkbüchlein  S.  41.  No.  81.    Zaine  geflochtener  Korb, 


104 

In  den  Sagen  von  der  weifsen  Frau,  d.  i.  der  alten  Wol- 
kengöttin,  wiederholt  sich  öfter  der  Zug,  dass  dieselbe 
einen  goldenen  oder  silbernen  Eimer  an  der  Seite  trägt, 
den  sie  voll  Wasser  schöpfen  mufs ').  Frau  Holle  hat 
ein  Fass  ohne  Boden;  wenn  sie  dieses  vollge- 
schöpft hat,  ist  sie  erlöst^).  Dieses  Fass  ist  das 
Himmelsgewölbe,  das  die  Regengöttin  Holda  vollschöpft. 
So  lange  die  Göttin  verzaubert  ist,  so  lange  Agi-Ahis 
(Oegir)  sie  sammt  dem  Göttertrank  gefangen  hält,  kostet 
Niemand  etwas  von  dem  himmlischen  Bier.  Da  nahen  die 
Götter,  um  sie  zu  befreien,  um  in  der  heiligen  Flut  sich 
berauschend  ein  Gastmahl  zu  halten ;  sie  suchen  die  heilige 
Flut  bei  Agi  (Oegir),  der  sie  verschliefst,-  aber  der  Brau- 
kessel fehlt,  Agi  hat  ihn  verdeckt.  Ihn  herbeizuschaffen 
ziehen  Thörr,  der  im  Gewitter  das  wolkenbedeckte  Him- 
melsgewölbe befreit  und  aufklärt  und  die  Regenflut  ergiefst, 
Tyr  (Tius,  Zeus,  Dyaus,  Jupiter) '^)  der  Gott  des  klaren 
sonnendurchleuchteten  Firmamentes  aus,  und  gewinnen  ihn 
im  Kampf  mit  dem  Dämon  wieder.  Wir  werden  weiter- 
hin begründen,  dass  Hymir  und  Oegir  nur  zwei  auseinan- 
dergefallene Gestaltungen  des  einen  Vrita-Ahi  waren.  Thors 
Grofstat  gab  zu  den  Namen  Thorketill,  Asketill  ^)  Veran- 
lassung. Ketill  ist  ein  Freund  der  Döglinge,  deren  Ahn- 
frau Thora  ist  ^).     Finden  wir  auf  diese  Weise  die  indi- 


rumblefass  zerbrochenes  Fass.  Ueber  eine  ähnliche  Auffassung  des  Him- 
mels in  der  finnischen  Mythe  s.  Schiefner,  Kleinere  Beiträge  zur  finnischen 
Mythologie.  Me'langes  Kusses  II,  1852  S.  230  fgg.  —  Sollte  mit  der  eben 
erläuterten  Anschauung  zusammenhängen,  dass  bei  den  Wenden  in  der  Lau- 
sitz die  Braut,  wenn  sie  von  der  Trauung  kommt  im  Kuhstall  ein  bereit- 
stehendes Gefäfs  mit  Wasser  umwirft,  um  reichliche  Milch  zu  erzielen 
(vergl.  oben  S.  27)?  Kommt  sie  aus  dem  Stalle  zurück,  so  schenkt  sie  zu 
dem  nämlichen  Ende  den  Zuschauern  aus  einer  mit  Bier  gefüllten  Milch- 
gelte.  Dies  erinnert  an  die  S.  64  nachgewiesene  Berührung  des  himmlischen 
Biers  oder  Mets  mit  der  Wolkenmilch.  Haupt  und  Schmaler,  Volkslieder  dtr 
Wenden  in  der  Ober-  und  Niederlausitz  II,  258.  59. 

1)  S.  Schambach  und  Müller  No.  111.   112.    115. 

2)  Pröhle,  Harzsagen  S.  155. 

3)  Myth.'-*   175.     W.  Müller,  Altdeutsche  Religion  223. 

4)  S,  Jacob  Grimm,  Mythologica  S.  4.     Tliorketill  Thorskessel,  Asketill 
Äsenkessel.     Äss  ist  xax  iioxi'jv  von  Thorr  gebräuchlich. 

5)  llyndluhljoö  19. 


105 

sehe  Sömamythe  in  der  germanischen  Sage  insoweit  wie- 
der, als  Thunar  unmäfsig  vom  himmhschen  Bier,  dem 
Wolkengewässer,  geniefst,  und  die  Schale,  den  Braukessel, 
worin  dasselbe  geborgen  ist,  mit  Gewalt  erobert,  grade  so 
wie  Indra  von  Tvashtri  die  Sömakufe  erzwingt  ') ,  so 
möchte  ich  schliefslich  für  die  weitere  Untersuchung  die- 
ses Gegenstandes  die  Frage  stellen,  ob  nicht  vielleicht  die 
4  Zwerge  Austri,  Nordri,  Sudri,  Vestri,  welche  das  Him- 
melsgewölbe in  4  Teile  abgrenzen,  ein  Analogon  zu  der 
Mythe  von  der  Vierteilung  der  Schale  Tvashtris  durch 
die  Ribhus  bieten. 

g)  Zur  Vernichtung  der  Dämonen  schwingt  Indra  den 
gewaltigen  Donnerkeil  vajra,  hiraka,  Indrapraha- 
rana,  bei  dessen  Anblick  Himmel  und  Erde  erbeben^). 
Dieses  Geschoss  war  von  S  t  e  i  n  ^) ,  doch  wechselte  damit 
die  Darstellung  desselben  als  goldenes  ^)  Werkzeug.  Ei- 
nige Vedeustellen  ^)  und  epische  Ueberlieferungen  nennen 
Eisen  als  Material).  Entweder  dachte  man  sich  den 
A'ajra  als  einen  aus  den  Wolken  geschleuderten  Keil,  oder, 
der  ältesten  Form  menschlicher  Waffen  gemäfs,  als  Streit- 
hammer (mudgala,  mudgara,  drughan),  dessen  Schaft  durch 
den  Stein  gesteckt  war.  Oft  bedeutet  gräbha  (was  man 
in  die  Hand  nimmt).  Griff,  Stiel,  allein  schon  den  Donner- 
keil: „Ergreife  Indra  nun  für  uns  den  donnernden,  den 
Flammengriff,  grofsarmig  mit  der  Rechten';."  Unter 
den  Zeichen  der  indischen  Grammatiker  für  den  Visarg:» 
befindet  sich  vajrakritah,  d.  i.  Donnerkeilsform,  in  Gestalt 
eines  aufrechtstebenden  Kreuzes,   gerade   so  wie  y.sQctvviov 


1)  Auf  einem  andeni  Grunde,  den  ich  bereits  Zeitschr.  f.  D.  Mythologie 
II,  331  nachgewiesen  habe,  beruht  Thunars  Beziehung  zum  Kochkessel.  lu 
Pommcrellen  sagt  man,  unter  dem  Kessel  dürfe  kein  Feuer  über  Nacht  bren- 
nen, es  sitze  ein  Geist  darin.  Kocht  man  unnötig  dai-in,  so  geht  der  Lieb- 
ste verloren.  Thunar  ist  Herd-  und  Ehegott,  der  Geist  im  Kessel  sein 
Diener. 

2)  Rig\-.  Langlois  s.  II.  1.  1,  h.  XII,   6. 

3)  Kuhn  bei  Hoefcr,  Zeitschr.  f.  AVissensch.  der  Sprache  II,   15G. 

4)  Rigv.  Rosen  LVII,  2.  LXXXV,   9. 

5)  Rigv.  Rosen  LXXXI,  4.  CXXI,  9. 
G)  Arjunas  Rückkehr  IX,  14.  X,  55. 
7)   Sämav.   Bcnfcy  I,   2,  2.   3,  o. 


106 

bei  Diogenes  Laertios  ein  kritisches  Zeichen  zur  Andeu- 
tung verdorbener  Stellen  ist  ^).  Wilson  führt  Dictionary^ 
729  als  Bedeutung  von  vajra  Donnerkeil  auch  auf  „a  dia- 
gram the  figure  of  Avhich  is  supposed  to  be  that  of  Indras 
thunderbolt."  Mitunter  tritt  für  den  Hammer  die  Keule 
ein.  Sie  hat  100  Knoten  und  1000  Spitzen '^).  Eine  an- 
dere Form,  in  welcher  in  jüngerer  Zeit  Indras  Waffe  ge- 
dacht wurde,  ist  der  Speer.  Derselbe  hat  die  Eigen- 
schaft, wenn  er  verschossen  ist,  stets  in  des  Got- 
tes Hand  zurückzukehren.  Einmal  leiht  ihn  Indra  an 
Karna,  um  den  Arjuna  damit  zu  töten.  Bei  dieser  Gele- 
genheit spricht  er: 

Nie  fehlt  mein  Speer,  von  Feinden  schlägt 
Er  Hunderte,  wenn  er  der  Hand  entflog, 
Und  kehrt  dann  wieder  in  meine  Hand, 
Wenn  ich  die  Daityas  niedergestreckt. 
Er  hier  von  dir  mit  der  Hand  gefasst. 
Nachdem  du  einen  Feind  erlegt, 
"nen  starken,  donnernden,  drängenden. 
Kehrt  abermals  zu  mir  zurück^). 
Karna  verschiefst  die  göttliche  Lanze  jedoch  gegen  Gatöt- 
kaca,  der  von  ihr  getroflen  zu  Boden  sinkt: 
Nachdem  der  Sjieer  der  Kiesin  Sohne 
Das  feste  Herz  gespalten  hat, 
Steigt  er  im  Abenddunkel  glänzend 
Empor  zur  Höhe  mitten  unter 

Die  Sterne "). 

Eine  andere  Eigenschaft  der  göttlichen  Waffe  Indras  war, 
dass  sie  nicht  stumpf  wurde:  „Schreit  vorwärts,  schreit 
eutficesen!  drauf!  nimmer  wird  stumpf  dein  Donner- 


1)  III,   66. 

2)  Benfev,  Glossar,  ehrest,  h.  33,  4.     Rigv.  Langl.  VI.  6,   1,   10. 

3)  Mahabhär.  Vanap.  17201  (I,  S.  882),  vergl.  Holtzmann,  Ind.  Sagen 
II,  138:  amöghä  Lanti  9ata9ah  yatrün  mama  karacyuta  puna9ca  pänim  abh- 
yeti  mama  daityan  vinighnatah  seyam  tava  karapräptä  hatvaikam  ripumür- 
jitam  garjantam  pratapantaüca  mamevaishyati  südaja. 

4)  Mahabhär.  Drönap.  8171  (II,  877).  Holtzmann,  Ind.  Sagen  155. 
Bhittvä  gädham  hridayam  räkshasasya,  ürdhvam  dipyamänä  ni9äyäm  naksha- 
träuäm  antaräny  ävive9a. 


107 

keil,  Indra;  männlich  ist  deine  Kraft;  schlage  Vritra,  ge- 
winn das  Nass,  leuchtend  im  eigenen  Keiche  *)."  Indra 
führt  auch  Bogen  und  Pfeile.  „Dein  heilbringender  Bo- 
gen ist  mit  KuDst  geformt,  er  tut  zahllose  Schüsse.  Sicher 
trefiend  ist  dein  goldener  Pfeil '-). "  Bisweilen  wurde  als 
Indras  Bogen  der  Regenbogen  bezeichnet,  der  davon  Indra- 
dhanus,  Indrayudha,  Indracäpa  hiefs.  Im  Epos  führt  die- 
ser Bogen  den  Namen  Gandiva.  Von  ihm  fliegen  „schreck- 
liche, schnelle,  donnerkeilähnliche,  wie  Blitz  zischende  Ge- 
schosse, welche  augenblicklich  Feuer  entzünden,  wo  sie 
hintreflen.  Schlagen  sie  in  eine  Stadt,  so  wirbeln  der  Steine 
Staubwolken  wie  Feuermassen  empor ^)."  Durch  diese 
Geschosse  wird  augenblicklich  der  herabströ- 
mende Regen  getrocknet^).  Der  Bogen  Gandiva 
wurde  von  den  Meergöttern  in  ihren  Fluten  bewahrt. 
Ein  anderer  in  den  Epen  berühmter  Bogen  des  Indra,  mit 
dem  er  „die  Götterfeinde,  die  grausen  Asuren  schlug,  die 
vor  des  Bogens  Schwirren  floh'n,''  hiefs  Vijaya,  der  Sieg- 
reiche ^). 

Indras  Donnerwafie  ist  von  Tvashtri,  dem  Meister  der 
schmiedenden  Ribhus  gefertigt.  „Tvashtri  hat  die  dir 
zustehende  Stärke  (o  Indra)  vermehrt,  er  schmie- 
dete den  mit  siegreicher  Kraft  ausgerüsteten  Donner- 
hammer'^)."  Mehre  Stellen  sagen,  dass  die  Ribhus  die 
Verfertiger  gewesen  seien,  woher  das  Geschoss  aya- 
sam  upanitam  Ribhvä  heilst '^).  Der  (S.  43  fgg. )  bespro- 
chene Zusammenhang  der  Ribhus  mit  den  Maruts  tritt 
wiederum  zu  Tage,  wenn  es  auch  von  diesen  heifst:  „Ih- 
nen verdanken  wir  Tag  für  Tag  die  grofsen  Wasser,  die 
Sonne,  ja  den  Blitz  selbst  ^)."    Das  Mahabhärata  lässt  den 


1)  Sämav.  Benfey  I.  5,   1,   3.  5. 
■2)  Rigv.  Langl.  VI,  5,  5,   11. 

3)  Ärj Ullas  Rückkehr  VIII,  3. 

4)  Ebendas.  YII,   12. 

5)  Iloltzmaiin,  lud.  Sagen  II,   157. 

6)  Rigv.  Rosen  LH,   7.     Tvashtri  heilst  auch  selbst  Ribhu. 

7)  Neve  essay  sur  le  mythe  des  Ribhavas  274. 

8)  Rigv.  Langl.  V.  8,   3,  22. 


108 

Bogen  Vijaya  vom  Himmelsschmiede  Vi^vakarman  für  In- 
dra  mit  Sorgfalt  und  Kunst  verfertigt  werden.  Eine  Stelle 
des  Samaveda  enthält  die  Vorstellung,  dass  der  Donner- 
keil beim  Kampf  mit  Vritra  vom  Stiele  fliegt.  „Der 
sonder  allen  Schluss  sein  Beil,  bevor  er  auf  den  Nacken 
(Vritras)  schlägt,  festmacht  —  der  Schätzereiche,  vielen 
Teure  —  und  das  gestumpfte  wieder  wetzt ')." 

Höchst  bemerkenswert  sind  einige  Züge  der  späteren 
Vedentradition,  welche  schon  in  den  Nighantavas,  einem 
sehr  alten  Leitfaden  für  vedische  Exegese,  gefunden  wer- 
den. Indras  Donnerhammer  Mudgara  ist  nämlich  perso- 
nificiert  und  als  Hypostase  von  Indra  abgelöst  zu  einem 
Helden  Mudgala  (Hammer)  geworden,  den  die  Legende  zu 
einem  Sohn  Bhrimyacvas  macht.  Hammer  (Lludgala)  trägt 
nach  der  Anukramanikä  mit  Hilfe  eines  Stiers  und  eines 
Hammers  im  Kampfe  den  Sieg  davon.  Die  Brihadde- 
vatä  schmückte  in  der  Folge  diese  Sage  weiter  aus.  Mud- 
gala wurden  seine  Binder  durch  Diebe  gestohlen;  da  ihm 
nur  noch  ein  alter  Stier  übrig  blieb,  spannte  er  diesen 
an  den  Wagen  und  zog  zum  Kampfe.  Während  er  den 
Dieben  nachsetzte  fand  er  irgendwo  einen  Hammer,  warf 
diesen  zuerst  und  nahm  den  Dieben  seine  Herde  wieder 
ab  ").  „Der  Stier,  der  zugleich  mit  dem  Hammer  erscheint," 
sagt  Ivoth,  „ist  Lidra  selbst,  der  oft  genug  so  heilst  und 
unter  denselben  Bildern  geschildert  wird."  (S.  o.  S.  36).  Wie 
aber  in  Mythen  und  Heldensagen  göttliche  Personen  häufig 
als  Doppelgänger  auftreten,  wenn  das  Verständnis  der  ei- 
nen Form  erloschen  ist,  so  finden  wir  in  einem  von  Yäska 
Nirukta  IX,  23  erklärten  Liede,  v.  7  Indra  neben  dem 
Stier.  Von  diesem  wird  v.  4  gesagt:  „Er  trank  lustig 
einen  Teich  Wassers  (ganz  so  wie  Indra  den  Söma  trinkt, 
ehe  er  zum  Kampf  geht),  senkte  sein  Hörn  und  ging  lustig 
auf  den  Angreifer  los;  kampfeslustig  hebt  der  brünstige 
Hodenträi2;er  rasch  die  Vorderfüfse."      Daran  schliefst  sich 


1)  Säniav.   Benfey  I.   3,   2,    1,   2. 

2)  Roth,  Nirukta  S.  129. 


109 

ein  anderer  Vers:  „Man  liefs  ihn  brüllen  beim  Angriff, 
liefs  den  Stier  den  Samen  ausgiefseu  mitten  in  der  Schlacht, 
mit  ihm  ersiegte  hundertfach,  tausend  Kühe  der  Hammer 
im  Beutekampf."  Indras  Donnerkeil  ward  auch  weiblich 
personificiert  als  Mudgalani:  „Der  Wind  machte  flattern  ihr 
(Mudgalanis)  Kleid,  als  sie  tausend  Wagenlasten  ersiegte, 
Mudgalani  wurde  Kämpferin  im  Kriege;  Indrascna  (Indras 
Geschoss)  machte  Beute  im  Schlachtgetöse." 

gg)  Wie  Indra  den  vajra,  schwingt  Thunar  (Thörr) 
seinen  zermalmenden  Hammer  Mjölnir,  der  ursprünglich 
wie  jener  Kreuzesform  hatte,  so  dass  der  christliche  Kö- 
nig Hakon  Adalsteinsföstri  sich  als  er  beim  Vetrablöt  zu 
Hladir  über  das  Trinkhorn  ein  Kreuz  schlug,  bei  seinen 
heidnischen  Landsleuten  damit  ausreden  konnte,  er  mache 
Thors  Hammerzeichen  ^).  Aus  dem  Hammer  ging 
später  die  Axt  als  Gestalt  der  göttlichen  Wafie  des  Ge- 
wittergottes hervor-).  Saxo  nennt  an  Stelle  der  Donner- 
axt die  Keule  clava,  schwed.  heifst  der  Donnerkeil  Tor- 
dönskolf^),  Tordöns vigge. 

Die  älteste  Vorstellung,  dass  der  Donnergott  aus  der 
Wolke  einen  steinernen  Keil,  oder  eine  Kugel  schleu- 
dere, blieb  in  unserem  Heidentum  bis  auf  die  letzte  Zeit 
lebendig,  M'ie  die  Namen  für  den  Donnerkeil  Tordöns  kolf, 
Tordöns  pilvigge ,  iiskievigge  beweisen  "*).  Diese  Vorstel- 
lung wechselte  ab  mit  derjenigen  eines  geschwimgenen 
Steinhammers.   In  der  Thörsteius  Bäarmamissac^a  erscheint 


1)  Heimskringla.  Hakonar  Goöasaga  XVIII.  —  Liljegren,  Runlära.  Stock- 
holm 1832  S.  143  Anm.  entkräftet  mit  triftigen  Giiinden  die  gewöhnliche  An- 
nahme, dass  das  Ilammerzeiclien  zur  Einsegnung  des  Bierhorns  beim  Minne- 
triuken  im  Norden  allgemein  gebräuchlich  war. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  ]Myth."lI,  2'JG.  III,    105   fgg. 

3)  Stobacus,   Ceraunü  baetulique  lapides  p.  217. 

4)  IMytli.^  163.  Die  Donnerkeile  (Belemniten  sowol  wie  Echiuiten)  füh- 
ren die  Mamen  Donnerhammer,  Donneraxt,  Strahlhammcr.  Petr. 
Wolfart,  llistoria  naturalis  Ilassiac  inferioris  p.  52.  Stoeber,  Neujahrsstol- 
len 1852  S.  43.  Im  Jahre  1721  bezeichnete  der  Lundenscr  Professor  Kilian 
Stobaeus  (Cer.  baet.  läpp  §.1)  als  eine  erst  kürzlich  antiquirte  Untersuchung 
„an  in  lapidc  quodani  intra  nubes  generato  mira  fulminis  vis  consistat,  vel 
an  ceraunius  sive  cuneus  fulminaris  rovera  talis  detur.  In  Kärnten  glaubt  man 
noch  heute,  dass  beim  Gewitter  kleine  Bergkrystallo  duuderstandlan  vom 
Himmel  fallen.     Zeitschr.   f.   D.   Mvth.   III,   29,    11. 


110 

die  Gewitterwaffe  unter  der  Gestalt  eines  dreieckigen  Feuer- 
steins und  eines  Feuerstalils,  woraus  Blitz  und  Donner 
mit  fliegenden  Funken  entlockt  wird.  Man  kann  beide 
werfen  wohin  man  will,  sie  kehren  stets  in  die  Hand  des 
Besitzers  von  selbst  wieder  zurück  ^). 

Golden  heifst  die  Donneraxt  in  einer  deutschen,  Zs. 
f.  D.  Myth.  11,305  besprochenen  Sage.  Ebenso  hat  Thörr 
von  AsgarS  (Tord  af  Hafsgaard)  in  einem  dänischen  Volks- 
lied einen  Goldhammer  ^).  Neben  diesen  Vorstellungen 
muss  jedoch  schon  in  indogermanischer  Urzeit  jene  andere 
vorhergegangen  sein,  nach  welcher  der  Gewitterhammer  aus 
B  r  o  n  c  e  oder  Eisen  gefertigt  war.  Dies  geht  aus  der 
bei  Indern  und  Germanen  übereinstimmenden 
Sage  hervor,  dass  die  Donnerwaffe  von  den  Eiben  (Ri- 
bhus,  s.o.  S.  46)  geschmiedet  wurde.  Thors  Mjölnir 
ist  das  Werk  des  kunstreichen  Schwarzalfen  Sindri.  Loki, 
der  von  Thors  Zorn  bedroht  war,  weil  er  Sif  das  Gold- 
haar abgeschnitten  hatte,  bewegt  den  Zwerg  Brockr,  den 
Göttern  Kleinode  zu  schmieden^  der  Sif  neues  Haar, 
dem  Freyr  das  Schiff  Skigblaönir,  Ööinn  den  Speer  Güng- 
nir.  Darauf  wettet  er  mit  Brocks  Bruder  Sindri  und  setzt 
sein  Haupt  dagegen  zum  Pfände,  er  könne  keine  so  guten 
Dinge  verfertigen.  Sindri  schmiedet  darauf,  trotz  Lokis 
arglistiger  Störungsversuche,  für  Oöinn  den  wunderbaren 
Ring  Draupnir,  für  Freyja  den  Eber  Gullinbursti.  Zuletzt 
legte  er  Eisen  in  die  Esse  und  liefs  seinen  Bruder  Brockr 
blasen.  „Alles  sei  vergebens,  wenn  er  mit  Blasen  inue  halte." 
Trotz  übler  Störung  durch  Loki,  der  Brockr  in  Gestalt 
einer  Fliege  sticht,  gelingt  das  Werk  und  der  Hammer 
Mjölnir  geht  aus  den  Händen  des  Künstlers  hervor.  So 
abweichend  die  deutsche  und  indische  Sage  im  Detail  sind, 
können  wir  nicht  umhin,  ihren  Ursprung  in  einer  gemein- 
samen Quelle  zu  suchen.    Loki  nämlich,  der  Sif  das  Haar 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   414.  415.  II,  297  fgg. 

2)  Vedel  og  Sjv  I.  No.  22.     Xyerup  udvalg   af  Danske  viser    1821  II, 
188;  der  tabte  band  sin  hammer  af  guld. 


111 

abschneidet,  d.  h.  die  Sonuenstrahlen  mit  dem  Dmikel  der 
Wolke  verhüllt,  von  Thörr  aber  gezwungen  wird  neues 
Haar  herbeizuschaffen,  die  Strahlen  des  Tagesgestirns  wie- 
der leuchten  zu  lassen,  gleicht  —  wie  wir  vorhin  zu  erwei- 
sen trachteten  —  dem  das  Sonnenlicht  verdunkelnden  Vri- 
tra,  der  von  Indra  genötigt  wird  seine  Beute  fahren  zu 
lassen.  Mit  diesem  Vorgang  hängt  die  Verfertigung  des 
Gewitterhammers  notwendig  zusammen,  wogegen  Loki 
naturgemäfs  sich  sträubt.  Auch  die  Ribhus  werden 
von  den  Göttern  aufgefordert,  ihnen  Kleinode 
zu  schmieden,  dem  Indra  sein  falbes  Blitzross,  den  A9- 
vinen  einen  leuchtenden  Wagen,  der  ganzen  Göttergemein- 
schaft aus  der  Haut  der  Kuh  eine  neue.  Dass  in  diesem 
Mythus  nicht  mehr  der  Verfertigung  des  Gewitterhammers 
gedacht  wird,  hat  darin  seinen  Grund,  dass  dieselbe  bei 
den  Indern  der  späteren  Vedenzeit  schon  meistens  auf 
Tvashtri  eingeschränkt  wird.  Andererseits  ist  bei  den 
Germanen  die  Belebuno;  der  Kuh  aus  dem  Zusammenhans: 
losgerissen.  Doch  bemerkte  ich  schon  oben  S.  64,  dass 
die  Verfertigung  des  Ebers  Gullinbursti  dazu  ein  Analogon 
bietet.     Vgl.  oben  S.  42. 

Was  das  Mahabharata  von  Indras  Speer  erzählt,  dass 
er  von  selbst  in  des  Gottes  Hand  zurückkehrt,  haji  sich  un- 
zweifelhaft ursprünglich  auf  den  vajra  bezogen.  Auch  die  Ge- 
witterwaffe in  Oöins  Hand  ist  zu  einem  Speere  (Güngnir) 
geworden  ').  Mit  der  indischen  Mythe  stimmt  die  Beschrei- 
bung von  Thors  Hammer  Mjölnir  fast  wörtlich  überein. 
Er  konnte  damit  werfen,  wohin  er  wollte,  mochte  der  Ge- 
genstand noch  so  grofs  und  hart  sein,  ohne  dass  der 
Hammer  Schaden  nahm.  Derselbe  verfehlte  nie 
das  Ziel,  wenn  er  geworfen  wurde^)  und  kehrte 
immer,  wenn  er  auch  nochsoweit  davonflog,  in  des 
Gottes  Hand  zurück'').    Wenn  dieser   es  wollte  ward 


1)  Schwartz,  Der  heutige  Volksglaube  S.  15   fgg. 

2)  Ok  ef  hann  vjTjn  honum  til,  j)ä  niundi  hann  aldri  missa. 

3)  Ok  (mundi)  aldri  fliugja  svä  längt,  at  eigi    mundi   hann  soekja  lieiiu 
hönd. 


112 

er  so  klein,  dass  mcan  ihn  im  Busen  verbergen  konnte'). 
Der  Darstellung  der  Gewitterwaffe  als  Speer  ist  die  von 
uns  S.  21.  62.  erläuterte  als  Stab  oder  Rute  ganz  analog-). 

Bogen  und  Pfeile  in  Thuuars  Hand  anzunehmen,  ist 
cew^aoft.  Ausdrücke  bei  mittelhochdeutschen  Dichtern,  wie 
„wilder  pfil  der  üz  dem  donre  snellet"  „doners  pfile"  kön- 
nen, wie  J.  Grimm  mit  Recht  bemerkt,  den  y.ip^oig  Jiog, 
telis  Jovis  nachgebildet  sein.  Nicht  mehr  beweisen  die 
Namen  dunresträle  (Donnerpfeil),  Wetter  strahl,  Schoss- 
pfeilstein, Strahlstein ,  Tordönspil  ^) ,  wenngleich  ihnen  ein 
slavisches  Piorunowa  strzalka  (Gewitterpfeil)  begegnet,  das 
alt  zu  sein  scheint.  Dass  der  Donnerkeil  beim  Kampf 
mit  Vritra  vom  Handgriff  fliegt,  kehrt  in  einer  holstei- 
nischen Sage  wieder,  welche  schon  J.  W.  Wolf*)  auf  Thu- 
nar  bezogen  hat.  Ergrimmt  über  den  Bau  des  Plöner 
Schlosses  warf  der  Teufel  seinen  silbernen  Hammer 
danach  und  hätte  es  zerschmettert,  wenn  nicht  der  Ham- 
mer vom  Stiel  geflogen  wäre.  Der  Hammer  fuhr  auf 
einer  Koppel  in  Pehmen  so  tief  in  die  Erde,  dass  er 
eine  seitdem  mit  Wasser  angefüllte  Kuhle  die  Hammer- 
kuhl  bildete,  ein  daneben  stehender  Eichstamm  warder 
Schaft  des  Hammers  gewesen.  Den  schloss-  oder  burg- 
zerstörenden Thunar  werden  wir  unter  §•  ßß.  kennen 
lernen. 

In  hohem  Grade  interessant  ist  die  Beobachtung,  dass 
gradeso  wie  bei  den  Indern  Mudgala  als  Hypostase  von  In- 
dra  sich  ablöste,  im  germanischen  Mythus  der  Hammer 
personificirt  ist.  /^Dat  di  de  hamer  (sc.  slä),"  „dat  were 
de  hamer!"  „de  hamer  kennt  se  all,"  „i  de  hamer!" 
„i  vor  den  hamer!"  „dat  is  verhamert!"  „dass  dich  der 
Hammer  schlag"  sind  noch  heute  unter  dem  niedersächsi- 
schen Volke  landläufige  Flüche,  „in  welchen  man  Hamer 
mit   Düwel   vertauschen   kann,   die   aber   alle   auf  den  mit 


1)  Skäldskapanii.  c.  35.  Sn.  E.  I,  344. 

2)  Yergl.   den  Mistiltciim  und  die   Gerte,  wodurch  Vikarr  umkommt. 

3)  Bruckmami,  Thesaurus  subterraneus  p.  73  sqq. 

4)  Beiträge  I,   66.      vgl.  Lex.  myth.  928.     Faye,  Norske  Sagu  5. 


113 

dem  Hammer  einschlagenden  Gott  zurückgeführt  werden 
müssen*)."  Hemraerleiu,  Meister  Hämmerlein  ist 
der  Teufel  (Thunar).  Zu  der  in  der  Mudgalasage  vorkom- 
menden Erscheinung  Indras  als  Stier  stimmt  noch  die  Er- 
zählung dänischer  Kjaempeviser  von  St.  Olaf,  der  stets 
Thörr  vertritt  ^),  dass  er  auf  einem  Schiff  über  Berge  und 
Täler  gefahren  sei,  welches  Namen  und  Gestalt  eines 
Stieres  führte.  Sein  Gegner  bediente  sich  eines  dra- 
chengestaltigen  Schiffs  und  verwandelte  sich  schhefs- 
üch  selbst  in  einen  Drachen.  Olaf  besiegte  ihn  nach 
tapferem  Kampfe  '^).  Auffallen  müssen  dabei  die  Anklänge 
an  die  oben  erläuterte  Ahimythe.  Eine  noch  schlagendere 
Uebereinstimmung  mit  der  Mudgalasage  zeigt  ein  Märchen 
aus  Siebenbirgen  *).  Ein  Knabe  erhält  bei  seiner  Geburt 
von  einem  wunderbaren  Alten  ein  mit  ihm  an  einem 
Tage  gebornes  Kalb  mit  einem  goldenen  Stern  auf 
der  Stirn,  das  zu  einem  mächtigen  Stier  erwächst,  wie 
der  Knabe  zum  kräftigen  Jüngling,  Wenn  dieser  auf  der 
Weide  eingeschlafen  ist,  rennt  der  Stier  wie  der  Blitz 
auf  die  grofse  Himmelswiese  und  frisst  goldene  Stern- 
blumen. Einmal  trägt  der  Stier  den  Jüngling  zwischen 
seinen  Hörnern  zum  König,  der  ihm  ein  sieben  El- 
len langes  Schwert  giebt,  womit  der  Bursch  auszieht, 
um  die  von  einem  zwölfhauptigen  Drachen  ent- 
führte Königstochter  zu  befreien.  Der  Drache  hat 
sie  in  seine  Flammen  bürg  eingeschlossen,  welche  durch 
ein  unübersteigliches  Gebirg  und  ein  stürmisches 
Meer  von  der  Menschenwelt  geschieden  ist.  Der  Stier 
schiebt  mit  seinen  Hörnern  das  Gebirge  bei  Seite 
und  trinkt  das  ganze  Meer  aus,  dann  ergiefst  er 
das  aufgetrunkene  Wasser  in  den  Flammenwall, 
worauf  der  Jüngling   mit   dem   Schwert-  den  Drachen   er- 


1)  Myth.2    1G6.     Lex.  mytli.   517.     Bicm.  NS.  WB.  I,  575. 

2)  Lex.  myth.  966.    Muucli,  Nürdmiciulciies  .^leiste  g:ude  og  heltesagii  15. 

3)  Lex.  myth.   967.     Abrahamson  Nyenip  og  Rahbeck  udvalgte  Daiiske 
viser  II,   8—18.   339  —  341. 

4)  Ilaltrich,   Siebenbirgische  Märchen   S.  109.  No.  21.      Die  Königstoch- 
ter in   der  Flammenburg. 

8 


114  _ 

schlägt  und  die  Königstochter  befreit,  der  Stier  aber  auf 
die  Himmelsvviese  zurückkehrt.  Wie  in  den  späteren  §§. 
ß  und  ßß  bewiesen  ist,  gehören  die  Flammen  bürg,  ein 
Berg  davor  und  ein  Meer  ringsum  zur  Scenerie  des 
Aufenthaltes  Ahis,  Agis,  der  Wolkendrachen.  Thunar, 
der  nach  §.  cc.  als  Stier  erscheint,  befreit  daraus  die  Was- 
serfrau. Es  wird  daher  wol  kein  Zweifel  sein  können,  dass 
Thunar  auch  hier  so  wol  in  dem  himmlischen  Stier,  wie 
in  dem  befreienden  Jüughng  steckt.  Zu  Indras  Sömage- 
nuss  und  Thunars  Trinklust  stimmt  dann  auch  der  Zug, 
dass  der  Stier  (der  Gewittergott)  das  (Wolken- )Meer 
auftrinkt,  und  nachher  in  die  Flammenburg  d.  i.  das  Blitz- 
feuer des  Dämons  ergiefst.  Wir  haben  hier  wieder  ein 
sehr  interessantes  Beispiel  von  der  Bildung  fast  bis  zur 
Gleichheit  ähnlicher  Sagen  auf  Grund  gleicher  Grundlage 
doch  ohne  historische  Identität.  Die  Uebereinstimmung 
der  Mudgalalegenden  mit  heimischer  Mythe  ist  auch  schon 
Roth  aufgefallen,  der  zu  jenen  bemerkt:  „Für  uns  sind  diese 
Züge  von  besonderem  Werte,  sofern  sie  deutscher  und  nor- 
discher Sage  verwandt  sind." 

h)  Indra  trägt  einen  Gürtel.  „Wenn  mit  Hoheit  er 
den  Augen  der  Menschen  sich  zeigt,  scheinen  ihm  Him- 
mel und  Erde  als  Gürtel  zu  dienen  '). 

hh)  Zu  Thors  Waffenrüstung  gehört  der  Kraftgürtel 
(MeglngjarSr).  Spannt  er  denselben  um,  so  wächst  ihm 
die  Asenkraft  um  die  Hälfte  ^).  Wir  sehen  aus  der  ange- 
führten Vedenstelle  wenigstens  die  Grundlage,  aus  der  die 
Mythe  von  Thors  Megingjargr  sich  entwickelte, 

i)  Der  Donner  ist  Indras  vieltönige  wahrsprechende 
Stimme^)  Anders  wird  derselbe  auch  als  Schall  der  weit- 
hallenden Muschel  Devadatta  gefasst,  auf  welcher  Indra 
bläst '').  Im  Mahabhärata  führt  Arjuna  diese  Muschel,  ein 
Sohn  Indras,   oder   vielmehr   der  verkörperte  Indra  selbst. 


1)  Rigv.  Langl.  II,  4,  8,  6. 

2)  Gylfaginning  21. 

3)  Rigv.  Rosen  VIII,  8. 

4)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  472. 


1J5 

Zu  jenem  sagen  die  Götter:  „Diese  Zierde  der  Muscheln, 
womit  du  die  Dänavas  besiegen  wirst,  damit  hat  der  grofs- 
geistige  Indra  die  Welt  bezwungen."  Vor  der  Asurenstadt 
ergreift  Arjuna  die  lauttönende  Muschel  Devadatta  und 
lässt  sie  langsam  erschallen.  „Dieser  Schall  aber  gehemmt 
am  Himmel  gebar  er  Widerhall  und  es  zitterten  und  zer- 
flossen in  Furcht  selbst  die  sehr  grofsen  Wesen  ')."  In  Ri- 
tusamhära  wird  die  Beschreibung  der  Regenzeit  mit  fol- 
gendem Bilde  eingeleitet:  „Der  Wolken  lauthallender  Schritt 
naht  den  Frommen  ersehnt,  wie  ein  König,  der  den  Regen 
als  feurigen  Elephanten,  den  Blitz  als  Banner,  den  Don- 
ner als  Trommel  führt,"  wo  nach  Potts  Bemerkung  Indras 
Bild  nachhallt.  Schon  R.  V.  VI.  5,  2,  9  erscheint  der  Don- 
ner unter  dem  Bilde  einer  Trommel. 

ii)  Der  Donner  als  ludras  Stimme  entspricht  Thors 
Bartruf  (skeggrödd,  skeggröst).  Er  bläst  oder  ruft  in  sei- 
nen roten  Bart,  dann  hallt  die  ganze  Welt  vom  Gewitter- 
getöse wieder  -).  Die  Muschel  Devadatta  kommt  mit  dem 
Gjallarhorn  überein,  das  ich  bereits  Zeitschr.  f.  D.  Myth. 
II,  309  fgg.  für  Thunar  in  Anspruch  zu  nehmen  gewagt 
habe.  Dies  ist  ein  sonst  von  einem  andern  Gewitterirott 
Heimdallr  geführtes  Heerhorn,  dessen  Ton  in  allen  Wel- 
ten gehört  wird.  Einen  neuen  Beweis  dafür,  dass  auch 
Thunar  einst  dieses  Hörn  blies,  glaube  ich  im  Unibos  (Ein- 
ochs), einem  Gedicht  des  elften  Jahrhunderts,  nachweisen 
zu  können.  Unibos  besitzt  nämlich  ein  Hörn,  durch  wel- 
ches er  alte  Frauen  verjüngen,  tote  lebendig  machen  zu 
können  vorgiebt,  gradeso  wie  St.  Peter  (Thunar)  im  Märchen 
Greise  wieder  jung  schmiedet.  Um  drei  Gegnern  zu  ent- 
gehen, die  sein  Leben  fordern,  heifst  er  seine  Frau  sich 
tot  stellen  und  mit  Blut  bestreichen: 


1)  Arjimas  Rückkehr  V,  23. 

2)  Thr.ym3qii.  1.  Fornmannasög.  I,  302.  Myth.'*  161.  Zeit.,«chr.  f.  D. 
Myth.  II,  305.  ])eyt  ]>u  i  mot  jjeim  skejiifrrödd  jjina,  blas  ihnen  deinen  Bart- 
ruf  entgegen  —  J)6  gengu  jjcir  üt  ok  bles  Thorr  fast  i  kampana  op  j'eytii 
skeggraustina,  da  gingen  sie  aus  und  Thorr  blies  in  den  Bart  und  orrogte 
die  f^timme  seines  Bartes. 

8* 


116 

Ad  cistam  ciirrit  ligneam 

suinens  saliguam  bucinam. 

lustrat  cadaver  conjugis 

sub  testibus  erroneis, 

bis  lustrat,  saepe  bucinat, 

horam  surgendi  praedicat '). 
Die  Frau  ersteht  und  Unibos  verkauft  sein  verjüngendes 
Hörn  um  schweres  Geld.  Der  Schwank  von  Unibos  ist 
uns  in  vielen  neueren  Fassungen  erhalten.  Die  meisten  ^) 
entraten  jenes  Zuges,  nur  in  wenigen  Relationen  ist  er  er- 
halten. In  Schumanns  Nachtbüchlein  I,  11  — 16  erwirbt 
der  pfiffige  Bäcker  durch  folgende  List  Vermögen  ^).  Er 
lässt  sein  Weib  sich  wie  tot  auf  die  Erde  legen  und  mit 
Kalbsblut  beschmieren.  Darauf  erhebt  er  mit  seinen  Kin- 
dern grofses  Geschrei,  er  habe  seine  Frau  erschlagen,  so 
dass  die  Nachbarn  zusammenlaufen.  Als  ihn  diese  zur 
Kede  stellen,  holt  er  eine  alte  Geige  von  der  Wand  und 
spielt  darauf  ein  Liedlein:  „Hast  du  mich  genommen,  so 
musst  du  mich  haben."  Er  wolle  sie  wieder  leben- 
dig geigen,  er  habs  oft  vor  thon.  Nach  einer  Weile 
hob  die  Frau  an,  ein  wenig  den  Fufs  zu  regen.  Er  liefs 
sich  nichts  anfechten,  geiget  immer  sein  Werk  für  sich. 
Zuletzt  fing  die  Frau  an  mit  niederer  und  kranker  (d.  i. 
schwacher)  Stimme,  gleich  als  ob  sie  vom  Tod  erwachet: 
„Ach  lieber  mann,  wie  magst  du  mich  also  schlagen  vnd 
darnach  wieder  lebendig  geigen,  es  wer  besser  du  liefsest 
mich  also  todt  bleyben,  so  kern  ich  der  marter  abe!"  „Nein, 
nicht  also,"  sprach  der  Mann,  „warumb  gibst   du  mir  nur 


1)  Grimm  und  Sehmelier,  Lateinische  Gedichte  des  Xten  und  Xlten  Jahr- 
hunderts S.  364.    Unibos   70 — 115. 

2)  KHM.  I.  No.  61.  Das  Bürle;  KHM.  IIP,  108  vom  Bürger  Rutschki, 
vom  Bauer  Kibitz.  Pröhle,  Märchen  für  die  Jugend  No.  15:  Der  bunte  Bauer; 
Zingerle,  KHM.  aus  Süddeutschland  1854  S.  5:  Das  Bäuerlein;  Müllenhoff, 
Schleswigholst.  Sagen  S.  461.  No.  XXIV.:  Die  reichen  Bauern;  Stahl,  West- 
phälische  Sagen  I,  34:  Der  Hick;  Valten  Schumanns,  Schriftsetzers  zu  Leip- 
zig, Nachtbüchlein  (s.  Hcyses  Bücherschatz  I,  16  fgg. ,  Gödecke  bei  Pfeiffer, 
Germania  I,   349)  S.  66   fgg.   „Vom  Bauern  Einhyrn." 

3)  Ein  History  von  einem  Becker,  der  sein  Weib  mit  der  Geygen  leben- 
dig macht  und  einem  Kauflfmann. 


117 

so  böse  wort  und  lieltst  dein  geifermaul  nicht  still."  Un- 
ter solchen  Worten  stand  die  Frau  auf  ganz  schwach  und 
kraftlos,  die  Nachbarn  halfen  ihr  und  legten  sie  auf  das 
Faulbett.  Ein  habsüchtiger  Kaufmann  kauft  dem  Bäcker 
um  schweres  Geld  die  Geige  ab,  die  dieser  aus  Neapolis 
heimgebracht  haben  will.  —  Bei  Müllenhoff ')  hängt  Vater 
Strohwisch  seiner  Frau  eine  frisclie  Blutwurst  um  den  Hals 
und  ruft  ihr  dann,  als  seine  Gegner  eintreten,  zu:  Fhnk 
setze  Stühle  her  und  bringe  Pfeifen  herein,  meine  Kauf- 
leute sind  da.  Das  wollte  die  Frau  nicht.  Aber  Vater 
Strohwisch  sprang  mit  seinem  Messer  hinzu  und  sagte: 
„Ich  schneide  dir  den  Hals  ab,  wenn  du  nicht  gehorsam 
bist,"  und  schnitt  ihr  die  Wurst  entzwei,  dass  das  Blut 
herausströmte.  Da  fiel  die  Frau  um,  als  wenn  sie  tot 
wäre;  aber  Vater  Strohwisch  nahm  eine  kleine  Pfeife 
aus  der  Tasche  und  pfiff  darauf  dreimal  ganz  stark, 
da  stand  die  Frau  wieder  auf,  setzte  Stühle  hin  und  holte 
Pfeifen.  Fragten  die  Gegner:  Vater  wie  machst  du  das? 
Vater  Strohwisch  antwortete:  Ich  habe  da  eine  kleine  Pfeife; 
wenn  meine  Frau  nicht  hören  will,  reifse  ich  ihr  die  Kehle 
aus;  pfeife  ich  aber  auf  meiner  Flöte,  so  wird  sie  wieder 
lebendig  und  tut  alles,  was  ich  will.  Meine  Ansicht,  dass 
hier  Hörn,  Pfeife  oder  Geige  auf  das  totenerweckende, 
belebende  Hörn  Thunars  zurückgehen,  scheint  Bestätigung 
zu  empfangen  durch  die  bairische  Variante  des  Eiuochs 
bei  Panzer  ^) ,  wo  ein  Heiligenbildschnitzer  in  Gegenwart 
der  auf  ihn  erbosten  Weber  mit  einem  Knittel  um  den 
Backofen  läuft  und  dabei  ruft:  „Eselgung  mach'  mir 
mein  altes  Weib  wieder  jung."  Dabei  drischt  er  auf 
seine  liebe  Crispiua  los.  Unvermerkt  kriecht  diese  in  den 
Backofen  und  statt  ihrer  kommt  des  Schnitzers  jugendli- 
ches Töchterlein,  das  dazu  abgerichtet  ist,  zum  Vorschein. 
Die  zornigen  Weber  kaufen  den  jungmachenden  Prü- 
gel um  eine  hohe  Summe.     Bald  darauf  dui'ch  den   Tod 


1)  Sagen  S.  458  fgg.  No.  XXIII.     Vater  Strohwisch. 

2)  Beitrag  zur  D.  Myth.  I,  No.  HO.  S.  90. 


118 

ihrer  zu  schänden  geschlagenen  Frauen  von  der  Nichtig- 
keit überführt,  bestürmen  sie  mit  gesteigerter  Wut  des  Bild- 
schnitzers Haus.  Da  streckt  sich  dieser  wie  tot  auf  ein 
Brett  und  legt  einen  Stecken  neben  sich.  Einer  der  We- 
ber schlägt  ihn  damit  und  er  stellt  sich  nun  plötzlich  durch 
die  belebende  Kraft  des  Steckens  erweckt  an.  Auch 
diesen  Stock  zum  Totenerwecken  verkauft  er  um  eine  hohe 
Summe.  Der  letztere  Zug  kehrt  im  entsprechenden  Mär- 
chen bei  Zingerle  wieder  ').  Als  die  betrogenen  Metzger 
den  blinden  Hansl  zornwütend  aufsuchen,  liegt  er  zwischen 
brennenden  Kerzen  unter  einem  Leichentuch  mäuschenstill 
in  der  Stube,  während  seine  Frau  mit  lautem  Geheul  den 
Toten  beklagt.  Bald  bittet  sie  einen  der  Metzger  mit  ei- 
nem alten  Stock  voll  sonderbarer  Figuren,  den  sie  aus 
einem  Kasten  hervorholt,  dreimal  gelinde  auf  Hansl  zu 
schlagen;  das  sei  ein  Zauberstock.  Als  dies  geschehen, 
springt  Hansl  wie  vom  Tode  erweckt  auf  und  erzählt  wun- 
derseltsame Dinge,  die  er  im  Jenseits  gesehen.  Dieser  be- 
lebende und  verjüngende  Stock  ist  deutlich  Thunars  Ham- 
mer, den  wir  schon  mehrmals  (s.  o.  S.  34)  unter  der  Ge- 
stalt einer  Rute  antrafen.  Mithin  wird  auch  das  belebende 
Hörn,  das  auf  dieselbe  Naturbedeutung  zurückführt,  Thu- 
nars Attribut  gewesen  sein.  —  Linne  ^)  sah  im  gothischen 
Hofgerichtsgebäiide  zu  lonköping  eine  grofse  Sammlung 
von  Hexensachen  „alte  falsche  Recepte,  Abgötterei,  aber- 
gläubische Gebete  an  den  Teufel,  meist  in  Reimen,  ebenso 
andere  Kunststücke  aus  geknüpften  Sachen  (Zwirn,  Seide, 
Haaren,  Wurzeln)."  Darunter  befand  sich  ein  Hörn.  „Wir 
bliesen  in  das  Zauberhorn  ohne  dass  die  Teufel 
kamen  und  an  dem  Milchstocke  melkten."  Ein 
Zauberhorn,  das  melkende  Teufel  herbeiruft,  scheint 
nach  §.  bb.  doch  wol  mit  Thörr  in  Verbindung  zu  stehen  ^). 


1)  Zingerle,  K.  und  HM.  aus  Süddeutschland  1854  S.  418- 

2)  Reisen  dm-ch   einige  schwedisclie  Provinzen  I.    Ocland  und  Gütbland. 
Halle,  Curt  1764  S.  349. 

3)  Nach  rabbinisclier  Tradition  führt  Elias,  der  sich  mit  Thunar  vielfach 
berührt    (Myth.^   157.    158.   772.      Zeitschr.  f.  D.  Myth.  H,  3)   und   dessen 


J19 

Noch  wahrscheinlicher  wird  unsere  Ansicht,  dassThunar 
die  lebenbriugende  Pfeife  oder  ein  solches  Hörn,  das  Gjal- 
larhorn,  führte  durch  die  Bemerkung  von  ßocholz  '),  dass 
der  Erlöser  der  weifsen  Frau  im  Berge  ein  Pfeif- 
chen führt,  womit  sie  herbeigerufen  wird^).  Kuhn  bereits 
wies  nach,  dass  der  Befreier  der  weifsen  Frau  (der  Da- 
sapatni)  aus  dem  Berge  (d.i.  der  Wolke)  Thunar  sei  ^). 
Die  Pfeife  ist  eben  der  Donnerhall,  mit  welchem  der  Gott 
in  den  "VVolkenberg  eintritt*).  Zu  dem  kommt,  dass  ent- 
sprechend dem  ludischen  der  Donner  auch  bei  Germanen 
die   „rote  Trommel"   genannt   wird^),    wie  noch  jetzt 


Sage  manchen  Zug  der  Gewittermythe  aufnehmen  mochte,  ein  Hörn,  dessen 
Ton  einst  sämmtliche  Juden  iu  der  ganzen  Welt  hören  und  daraus  vernehmen 
werden,  dass  der  Tag  ihrer  Erlösung  gekommen  ist.  Ueber  eine  papierne 
Brücke  überschreiten  sie  den  Ocean  und  versammeln  sich  im  paradiesischen 
Reich  hinter  dem  Sabbatfluss.  Dieses  Hörn  ist  von  dem  "Widder,  den  Abra- 
ham für  Isaak  opferte.  I.  Mos.  22,  13.  S.  Vulpius,  Curiositäteu.  Weimar 
1815  IV,  53-1.  Daraus  ohne  Angabe  der  Quelle  Coutee,  Schatten  der  Vor- 
zeit oder  Memorabilien  merkwürdiger  Abenteuer.  Wien   1832  S.  111. 

1)  Rocholz,   Sagen  des  Aargaus  S.  244. 

2)  Eocholz  a.  a.  O.  231.  Stöber,  Elsäss.  Sagen  S.  248.  No.  190.  Pröhle, 
Unterharz.  Sagen  S.  109.  No.  275.  Zu  letzterer  Sage  vergl.  die  Zeitschr.  f. 
D.  Myth.  in,   885   angeführte  Stelle  aus  Alschjdos  Eumeuid.   791.   92. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.   IU,  387. 

4)  Der  englische  Riesentöter  „Jack  the  giant-kiUer"  (Tabart  fairy  tales 
137),  der  viele  Riesen  tötet,  gefangene  Jungfrauen  aus  ihrer  Gewalt 
befreit  und  Schätze  aus  ihren  Holen  oder  Bürgen  erbeutet,  naht  dem 
Riesen  Kormoran  mit  einem  Home,  in  das  er  ,,blew  so  loud  and  long  a 
tantivy,  that  the  giant  awoke"  und  tötet  ihn  dann  mit  seiner  pic,k-axe. 
Die  Behörden  von  Cornwall  beschenken  ihn  mit  einem  Schwert  und  einem 
Gürtel,  worauf  mit  goldenen  Buchstaben  stand: 

This  is  the  valiant  Comish  man, 

M'ho  slew  the  giant  Cormoran. 
Später  (S.  151)  findet  er  vor  einem  Eiesenkampfe  unter  dem  Burgtor  noch 
einmal  eine  goldene  Trompete,  worauf  beigeschrieben  stand: 

Whoever  can  this  trumpet  blow, 

shall  cause  the  giant's  overthrow. 
Hans  bläst,  dass  die  Türen  aufspringen  und  die  ganze  Burg  erbebt,  und  er- 
legt den  Riesen  (vgl.  KIIM.  III.'  314  fgg.).  Leider  wissen  wir  hier  wieder 
nicht,  ob  die  Sage  germanischen  oder  keltischen  Urspnings  ist.  Sie  enthält 
fast  alle  Elemente,  welche  der  deutschon  Thorsage  eigen  sind,  sogar  den  Gür- 
tel Megingjarör.  Die  Trompete  liegt  unter  dem  Burgtor,  wie  das  Gjallarhora 
unter  der  Esche  Yggdrasill  (s.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  310)  oder  wie  Thors 
Hammer  von  Thrymr  8  Rasten  unter  der  Erde  vergraben  ist.  Vor  der  Burg 
des  Riesen  liegen  Drachen. 

5)  Zeitsciir.  f.  D.  Myth.  III,  126.  128.  Bei  den  Letten  hicfs  der  Don- 
ner Himmelstromraler  debbess  bungotais.  Schwenck,  Mythologie  der  Sla- 
veD  71. 


120 

J)ruma  (Getöse)  bei  den  Isländern  Blitz  oder  Donner  be- 
zeichnet. Trommel-  und  Paukenmusik  als  Abbild  des 
Donnergetöses  können  die  Zwerge  nicht  vertragen  '). 

k)  Ein  weiteres  Attribut  des  Indra  ist  sein  himmli- 
scher Wagen,  der  von  den  zwei  falben  Blitzrossen  gezo- 
gen wird.  Ihn  lenkt  in  den  Veden  noch  Indra  selbst,  im 
Epos  der  Fuhrmann  Mätali.  „Wenn  Indra  auszieht,  um 
in  den  Kampf  zu  gehen,  schirrt  er  seine  edelen  Rosse  an 
und  besteigt  den  Wagen,  den  er  so  wol  zu  lenken  weifs  ^).'* 
Dieser  Wagen  ist  die  W^olke  ^).  Indra  heifst  davon  ghana- 
vähana,  der  Wolken  zum  Wagen  hat.  „O  Maghavän, 
fruchtbarmachend  und  herrlich  sind  deine  Zügel,  deine 
goldene  Peitsche,  dein  Wagen,  deine  beiden  Rosse  und 
du  selbst  ^atakratu!  *)''  Die  Räder  des  Wagens  sind  nach 
den  Veden  mit  Metall  beschlagen.  Dieser  Metallbeschlag 
heifst  pavi.  Er  wird  als  die  Wolken  zerschneidend, 
den  Donner  hervorlockend,  die  Feinde  zermal- 
mend geschildert  und  ist  deswegen  in  vielen  Stellen  mit 
dem  Donnerkeil  verwechselt^).  In  den  Epen  ist  Indras 
Gefährt  oft  beschrieben.  Im  Indralokagamanam ,  einer 
Episode  des  Mahabhärata  heifst  es:  „Finsternis  aus  der 
Luft  scheuchend,  alle  Wolken  erleuchtend.  Zehn 
tausend  falbe  Rosse  ziehen  den  Wagen.  Auf  ihm  befinden 
sich  Schwerter,  Speere  und  Streitkolben  schreckliches 
Ansehens,  himmhsche  machthabende  Spiefse,  Blitze  voll 
grofses  Glanzes  und  Donnerkeile  diskus verbundene  flie- 
gende Bälle,  winderregende,  mit  Windstöfsen  verbun- 
dene den  Schall  einer  grofsen  Wolke  habende,  so 
wie  die  glanzvolle  Standarte  Vaijayanta  (d.  i.  die  siegrei- 
che von  vijayat),  blauem  Lotos  an  Farbe  ähnlich,  ein  blaues 
Rohr  von  Gold  geziert."    Arjuna  erhält  diesen  Wagen  von 


1)  Müllenhoff,   Sagen   S.  289.  No.  39G. 

2)  Rigv.  Langl.   VI,  3,  14,  7. 

3)  Ueber  Darstellung  der  Wolke  als  Wagen  bei  Hellenen  und  Hebräern 
Lauer,  System  358. 

4)  Rigs-.  Langl.  VI,   3,   2,    11.  * 

5)  Roth,  Nirukta  57. 


121 

Indra.  Zu  jenem  reden  die  Götter:  „Mit  diesem  Wagen 
hat  Magliavän  (Indra)  besiegt  den  Qambara,  den  Vala  und 
Vritra  auch,  den  Prahläda  und  Naraka,  auch  viele  Millio- 
nen und  Billionen  von  Daityas  hat  auf  diesem  Wagen  be- 
siegt Maghavän  im  Kampfe')."  Das  Rasseln  dieses  Wa- 
gens tönt  gleich  dem  des  Donners  am  HimmeP). 
Indras  falbe  Rosse  bezeichnen  ursprünglich  den  Blitz.  Wie 
wir  aber  schon  oben  S.  37  nachgewiesen  haben,  gehen  die 
Symbole  des  Lichts  und  der  Wolke  neben  einander  her 
und  in  einander  über;  so  vrerden  die  Rosse  Indras  in  meh- 
reren Stellen  deutlich  als  Wolken  charakterisiert.  Indra 
wird  z.B.  angerufen  die  mettriefenden  Falben  anzu- 
schirren^). 

kk)  Den  Thörr  zeichnet  ein  Wagen  aus,  nach  wel- 
chem er  selbst  Oku]?6rr,  ReiSatyr  (Wagenthörr,  Wagen- 
gott), Einriöi  (der  Fuhrmann  xar'  k^o'/i']v),  Hlörriöi  (der 
Erdfahrer),  Vagnaverr  (Wagenmann)  heifst.  Zwar  haben 
auch  andere  Götter  ihren  Wagen,  namentlich  üSiun  und 
Freyr,  aber  Thorr  ist  in  eigentlichem  Sinne  der  fahrend 
Gedachte  ■*).  Unter  dem  nordischen  Volk  gehen  die  Re- 
densarten: „Godgubben  äker  der  gute  Alte  fährt,  gof- 
far  kör  der  gute  Vater  fährt,  wenn  es  gewittert.  Thors 
Beiname  war  Atli  Väterchen.  Das  Rollen  des  Thorswa- 
gens ist  der  Donner.  Schwedisch  heifst  das  Gewitter  äska 
aus  äs-äka  Gottesfahrt,  altn.  reiö  Wagen,  reiöarslag 
Wagengeroll,  reiöar}>ruma  Wagendonner  ^) ,  ags.  j^unorräd 
Thunarswagen ;  altn.  reiöarskjälf  ist  tremor  e  fulmine.  Un- 
ter den  Rädern  des  Donnerwagens  erzittert  die 
Welt: 

Bald  wurden  die  Böcke 

Vom  Berge  getrieben, 

Und  vor  den  gewölbten 

Wagen  geschirrt. 


1)  Arjiiuas  Kückkehr  V,   20  fgg. 

2)  Ebendas.   VI,  9. 

3)  Säinaveda  Benfey  I,   5,    1,   3,   G. 

4)  Myth.^  151. 

5)  Sopluis  Buggo,  Zeitsdir.  für  vcrgl.  Spracht".  III,  29. 


122 

Felsen  brachen, 

Brannt'  in  Feuer  die  Erde, 

Da  ÖSins  Sohn  (Thorr)  reiste 

Gen  Riesenheim  ^), 
In  Deutschland  scheint  dieser  Wagen  in  einem  merkwür- 
digen Rechtsgebrauch  fortzuleben.  Wenn  in  Westphalen 
Jemandem  etwas  von  der  Gemeinheit  zum  Privateigentum 
übergeben  werden  soll,  bestehe  es  in  Holz  oder  Wiesen- 
land, so  geschieht  das  Befangen  mit  einem  Hammer,  der 
aus  dem  Wagen  unter  dem  linken  Bein  hergeworfen  wird. 
So  weit  nun  der  Wurf  reicht,  so  viel  wird  einem  als  Ei- 
gentum abgetreten^).  Der  Hammer wurf  beim  Lander- 
werb geschah  zu  Ehren  Thunars  ^),  auch  der  Wagen  wird 
hier  als  sein  Symbol  gebraucht  sein.  Schon  Wolf*)  be- 
merkt: „Der  vom  Wagen  aus  den  Hammer  oder  die 
Donnerkeile  werfende  Gott  blickt  noch  durch  das  Dit- 
marsische:  nu  faert  de  olde  all  wedder  da  bäwen  und 
haut  mit  sin  ex  anne  räd^)." 

Thors  Wagen  ziehen  zwei  Böcke,  während  Indra  mit 
den  beiden  falben  Blitz  rossen  fährt.  Dies  ist  ein  an- 
scheinend wichtic-er  Unterscheidungsscrund  zwischen  der  in- 
dischen  und  germanischen  Mythe.  Wir  haben  jedoch  schon 
oben  S.  63  nachgewiesen,  dass  der  Bock  als  Symbol  der 
Wolke  in  die  indogermanische  Urzeit  hinaufreicht  und  auch 
in  Indien  in  entschiedener  Verbindung  mit  Indra  stand. 
Wie  leicht  war  da  nicht  eine  Vertauschung  der  beiden 
naheliegenden  Naturerscheinungen  des  Blitzes  und  der 
Wolke  bei  des  Gewittergottes  Gefährt  möglich.  Sahen 
wir  doch  auch  die  Blitzrosse  Indras  in  die  Naturbedeutung 
der  Wolke  übergehen.  Zudem  stellen  die  beiden  Böcke, 
welche  Thors  Wagen  ziehen,  nicht  die  Wolke  an  und  für 
sich  dar,  sondern  gradezu  die  blitz  durchzuckte  Gewitter- 


1)  Tlirymsqu.  21. 

2)  Strodtmaun,  Idiotie.  Osnabnig.  80.  Hannöv.  Anzeigen   1753.  Nu.  2. 

3)  J.  Grimm,    RA.   55  fgg.     Grenzaltertümer,    Abhandl.  d.  Berl.  Akad. 
1843  S.  121  fgg. 

4)  Beiträge  I,   G6. 

5)  MüUenhoff,  Sagen  358. 


123 

wölke,  wie  ihre  Namen  Tanngniöstr  (Zahnknisterer) 
und  Tanngrisnir  (Zalinknirscher)  beweisen*).  In  In- 
dien standen  die  Rosse  als  Symbole  des  Blitzes  unter  In- 
dras  besonderem  Schutz,  ihm  wurden  Pferdeopfer  gebracht. 
Bei  den  Germanen  ist  die  Beziehung  dieser  Tiere  zu  Thu- 
nar  sehr  verdunkelt.  Gleichwol  sind  noch  einige  gewich- 
tige Spuren  vorhanden,  dass  auch  Thörr  ehemals  des  Bos- 
ses gewaltig  war.  Ich  will  kein  Gewicht  darauf  legen, 
dass  der  Svefneyer  Codex  des  jüngeren  Edda  unter  den 
mythischen  Rossnamen  erwähnt:  Blööughöfi  het  hestr,  er 
bera  quäöu  öflgan  Einriöa^).  EinriSi  ist  ein  Beiname 
Thors  ^) ;  aber  die  meisten  Handschriften  gewähren  Atriöa ; 
Atriör,  Atrigi  ist  kenning  Freys*).  Bedeutsam  dagegen 
ist  eine  Sage  bei  Saxo  Grammaticus  ^).  Bei  diesem  fallen 
die  Brüder  Thörbiörn,  Gerbiörn,  Gunnbiörn,  Stenbiörn, 
Esbiörn,  Arinbiörn  undBiörn  FriSlefVI  an,  der  sich  nur 
mit  List  ihrer  erwehrt.  Diese  Helden  sind  Hypostasen 
Thors,  der  den  Beinamen  Biörn  Bär  führte,  und  zu  Zei- 
ten Bärgestalt  annahm  ^).  Biörn  hat  ein  Ross,  auf  welchem 
er  mit  Schnelligkeit  reifsende  Ströme  durchwatet. 
Hie  equura  habuisse  traditur  praestantem  corpore, 
praecipitem  velocitate,  adeo  ut  caeteris  amnem  tra- 
jicere  nequeuntibus  hie  solus  obstrepentera  indefessus 
vorticem  superaret.  Dieses  Ross  scheint  Skaldskaparm.  k. 
58  zu  kennen.  Hier  wird  unter  den  Götterrossen  aufge- 
zählt: Biörn  reiS  Blakki.  Die  Stelle  bei  Saxo  erinnert  an 
Thörr,  von   dem   es  heifst,    dass  er  täglich  die  heiligen 


1)  Vergl.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  309.  III,  117  und  unten  S.  125. 
Ueber  Thors  Bocksgespann  findet  sich  eine  merkwürdige  Notiz  bei  Buddingh, 
Verhandeling  over  het  Westland.  Leyden  1844  S.  385.  Er  erwähnt  ein  Kin- 
derspiel: ,,Het  rijden  op  den  bokkeuwagen."  (Het  wagcngespann 
van  den  donderaar  wiens  worpen  met  donderstcnen  door  de  kinderen  worden 
nagevolgd  in  het  harde  eijeren  werpen.)  Leider  gibt  er  keine  ausführlichere 
Nachricht,  so  dass  wir  unser  Urteil  noeli  zurückhalten  müssen. 

2)  Sliäldskaparm.  cap.  58.  Sn.  E.  I,   480. 

3)  Skaldskaparm.   cap.  75.  Sn.  E.  I,   553. 

4)  Lex.  myth.  291.  363. 

5)  Ed.  P.  E.  Müller  VI,  260. 

6)  S.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  145.  Diese  Brüder  sind  auch  wie  Tliörr 
Iliesenbesieger  ,, giganteis  clari  triumphis."  Weiteres  über  die  Sage  ein 
andermal. 


124 

Wasser  der  Himmelsburg  durchwatet.  (S.  uuten  §.  xx). 
Finden  wir  hier  schon  einmal  bei  einer  Hypostase  Thors 
ein  bedeutsames  Ross,  und  zwar  ein  solches,  welches  — 
wenn  die  Zusammenstellung  Björns  mit  dem  watenden 
Thörr  richtig  ist  —  nur  auf  die  Naturanschauung  des 
Blitzes  zurückgehen  kann,  so  finden  wir  das  Blitzross  noch 
bei  einer  anderen  mythischen  Persönlichkeit  wieder,  welche 
nichts  anderes  als  ein  blofser  Ausfluss  Thors  ist.  Thorr 
nämlich  schenkt  seinem  Sohne  Magni  das  goldm ähnige 
Ross  Hrüngnirs  (GuUfaxi;,  welches  Schwenck  *)  bereits 
richtig  auf  den  Blitz  gedeutet  hat  (s.  unten  §.  ßß).  Bevor 
Biörn  und  Magni  von  der  Person  Thors  sich  lostrennten, 
muss  diesem  das  Blitzross  zugestanden  haben.  In  deut- 
schen Sagen  erscheint  öfter  ein  Reiter  in  rotem  Man- 
tel, mit  rotem  Banner  auf  rotem  Ross  u.  s.  w.,  den 
man  mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  auf  Thunar  deutef ). 
Das  Blitzross  ist  auch  noch  in  einer  Anzahl  deutscher  Sa- 
gen erhalten,  welche  erzählen,  dass  eine  belagerte  Burg 
nur  eingenommen  werden  konnte,  wenn  man  das  Trinkwas- 
ser derselben  abzuleiten  vermochte.  Ein  blindes  Ross 
scharrte  die  Wasserleitung  aus.  Die  Burg  ist,  wie  wir 
sehen  werden,  meistenteils  Symbol  der  von  dem  Dämon 
eingeschlossenen  Wolke,  das  Ross  welches  mit  seinem  Huf- 
schlag die  Wasserleitung  öffnet,  den  Regen  herabströmen 
macht,  kann  kein  anderes  als  das  Blitzross  gewesen 
sein ''). 

1)  Dem  Indra  schreibt  die  Mythe  einen  golden enBart 
zu.  »Wir  ehren  Indra,  dessen  Rechte  den  Blitz  trägt. 
Seine  Rosse  führen  ihn  zu  mannigfachen  Taten  herbei. 
Er  bewegt  seinen  Bart,  er  richtet  ihn  grade, 
wenn  er  mit  seiner  Schar  den  Schatz  erobert*)."  „Schüt- 
telt Indra   die  Haare  seines  goldenen  Bartes,   dann 


1)  Mythologie  der  Germaneu  52. 

2)  Wolf,  Beiträge  I,   80.     Myth.'   892.     vergl.  jedoch  Lyncker,   Hessi- 
sche Sagen  4. 

3)  Vergl.  die  Mythe  von  Pegasos,  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  I,  460.  461. 

4)  Rigv.  Langl.  VII,  7,  5,   1. 


125 

wirft  der  Regen  seine  Geschosse  nieder^)."  „Er 
hat  den  BHtz  gemacht,  um  den  Dasyu  zu  vertilgen,  er  mit 
der  leuchtenden  Gestalt,  mit  dem  goldenen  Bart 2)." 
„Wir  weihen  Ehrfiircht  Indra  der  werkreichen  Falben  Wa- 
genlenker, den  Schnauzbart  schüttelnd  steh'  er 
hoch  erhebend  sich,  durch  Heere  furchtbar  und  durch 
Spende  auch  ^).  Dieser  Bart  ist  ein  neues  Sinnbild  des 
goldroten  Blitzes. 

11)  Thorr  und  Thiraar,  der  deutsche  und  der  nordische 
Gewittergott,  trug  einen  langen  roten  Bart.  Als  rot- 
bärtiger Mann  (rauöskeggjaSr)  erschien  Thörr  dem  schwe- 
dischen Helden  Styrbjörn  in  seinem  Zelt,  als  dieser  ihn 
gegen  Eirikr  um  Hilfe  gebeten  hatte.  Als  rotbärtiger 
Jüngling  tritt  er  vor  König  Olafr  Tryggvasonr  und  er- 
zählte ihm,  wie  er  vor  Alters  von  den  Normannen  ange- 
rufen, die  Riesen  mit  seinem  Hammer  bekriegte.  Hilfsbe- 
dürftige flehten  Thors  roten  Bart  an,  in  den  der  Gott 
blies,  um  Blitz  hervorzurufen.  Donnerte  es,  so  er- 
regte er  die  Sprache  seines  Bartes,  furchtbar  schüt- 
telte er  ihn  im  Äsenzorn  (skegg  nam  at  hrista)  *)• 

m)  Ausdrücklich  wird  Indras  gewaltige  Stärke  bezeugt. 
„Mit  unermesshcher  Kraft  ist  Indra  geboren  (amitaujä 
ajäyata)  ^).''  „Unbesiegbare  Kraft  besitzt  der  Ruhmvolle 
im  Körper")."  „Grofs  ist  deine  Macht,  Indra,  deinen  Ar- 
men ist  eine  Kraft  verliehen,  die  deine  Herrschaft  verherr- 
licht ')."  Diese  Kraft  wächst  vor  und  im  Kampfe  mit  den 
Dämonen.  „Er  wuchs  an  Kräften  dem  Berge  gleich,  der 
unter  Wasserströmen  nicht  wankt,   der   an   tausend  Hilfen 


1)  Ibid.  VI,  7,  5,  4. 

2)  Ibid.  VIII,  5,   11,  7. 

3)  Sämaveda  Benfey  I,  4,  1,  5,  3.  Auch  Agni  der  Feuergott,  der  im 
Blitzfeuer  wie  im  irdischen  Feuer  waltet,  heifst  hiri^ma^rnh  goldbiirtig,  Rigv. 
5,   27,   7;  daneben  goldzahn  ig  9ucidanu. 

4)  Thr3'msquiöa  1.  vgl.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  304  fgg.  —  Wie  Agni 
goldzahnig  heifst,  wird  Indra  oft  mit  goldenen  Kinnbacken  dargestellt. 
Dies  erinnert  daran,  was  wir  über  den  goldzahnigen  Gewittergott  Heinidallr 
(GuUintanni)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  II,   309.  III,   117  beigebracht  haben. 

5)  Rig^-.  Rosen  XI,   4. 

6)  Ibid.  LV,   8. 

7)  Ibid.  LXXX,  8. 


126 

reiche  Indra,  da  er  den  Vritra  tötete,  der  die  Wasser  ge- 
fangen hielt')."  Seine  angeborne  Kraft  erhöhen  herr- 
liche WaflPen.  „Tvashtri  vermehrte  die  dir  zukom- 
mende Kraft,  er  schmiedete  das  mit  siegreicher  Kraft 
ausgerüstete  Geschoss^)."  Indra  heifst  daher  Cakivat  der 
mit  Macht  Begabte,  Qakra  der  Mächtige,  ^atakratu  der 
hundertfach  Mächtige  (oder  der  mit  hundert  Opfern  Ge- 
ehrte?), Cacipati  Herr  der  Kraft,  Gemahl  der  I^aft  (wo- 
her man  Indras  Gemahlin  Qaci  Macht  schloss),  Qavasah 
pati  Herr  der  Kraft  ^),  und  endlich  Sohn  der  Kraft.  Von 
seiner  Kraft  teilt  Indra  seinen  Verehrern  mit;  jede  Kraft- 
tat in  der  Welt,  sogar  was  die  Ameisen  mit  Kraft  aus- 
führen, ist  des  Gottes  Werk  und  darum  heifst  indriya  n. 
(von  Indra  stammend)  Mut*).  „Ein  Zerbrecher,  ein  Held 
schätzebegabt,  schatzreich,  beschenkt  er  wol  mit  Hel- 
denkraft; segnend  ist  deiner  Arme  Paar,  Viel- 
opfriger!  welches  nieder  den  Blitzstrahl  wirft^)." 

mm)  Thörr  war  der  Stärkste  der  Götter.  Ihm  kommt 
daher  vor  allen  Göttern  die  Äsen  kraft,  Asmegin  zu. 
Als  Kind  schon  hob  er  zehn  Bärenhäute  in  die  Höhe "). 
Seine  Kraft  erhöht  sich  stets,  wenn  er  zum  Kampf  schrei- 
tet, besonders  durch  Anlegung  seiner  Stärkehandschuhe 
und  durch  seinen  Donnerhammer.  Dieser  heifst  daher 
Thrüöhamarr  Krafthammer.  Als  Thörr  zum  Riesen- 
kampf ausziehend,  vom  Flusse  Vimur  aufgehalten  wird, 
sagt  er: 

Wachse  nicht  Vimur, 

Nun  ich  waten  muss 

Hin  zu  des  Joten  Hause; 

Wisse,  wenn  du  wächsest. 


1)  mgv.  Rosen  LH,  2. 

2)  ibid.   LH,  7. 

3)  Ibid.  XI,  2. 

4)  Benfey,  Sämav.  glossar  S.  25. 

5)  Sämav.  Benfey  II,   6,   3,   7,   2. 

6)  Su.  E.  formäli  cap.  VIII  ed.  Havn.  I,  22.  vgl.  Zeitschr.  f.  D.  Myth. 
III,   lib. 


127 

Wächst  mir  die  Asenkraft 

Ebenhoch  dem  HimmeP). 
Wie  Indra  Sohn  der  Kraft  heifst,  wird  Thorr  Vater  der 
Stärke  faSir  Thrüöar  genannt  und  sein  Wohnsitz  führt 
den  Namen  Kraft  wiese  Thrüövängr,  Kraft  heim  ThrüS- 
heimr^;,  Thors  Söhne  heifsen  Mööi  (der  Mutige)  und 
Magni  (der  Starke).  Beiwörter  Thors  selbst  sind  Kraft- 
Sfott  Thrüöaräss,  Kraftherrscher  der  Götter  Thrüö- 
valldr  goSa^),  der  kräftige  Gott  thrüSugr  äss*),  der 
kraftmutige  thrüSmoSgr),  der  kraftgerüstete  thrött- 
öflugr^),  der  tatkräftige  däörakkr),  der  hartgesinnte 
harShugaör  *').  Von  der  Körperstärke,  die  er  selbst  besitzt, 
teilt  Thorr  seinen  Freunden  mit.  Deshalb  rief  man  ihn  beim 
Ringkampf  um  Beistand  an.  Als  der  Isländer  Thord, 
der  sonst  sehr  geübt  im  Ringkampf  war,  sich  gegen  seinen 
gewandten  Landsmann  Gunnlaugr  Ormstüngi  erproben  sollte, 
rief  er  vorher  Thorr  an.  Gunnlaugr  schlug  ihm  gleich- 
wol  ein  Bein  unter  und  warf  ihn  zur  Erde,  renkte  sich  da- 
bei aber  selbst  den  Fufs  aus  dem  Gelenk '). 

n)  Verzehrend  ist  Indras  Zorn.  Er  spricht:  „Maruts, 
ich  habe  den  Vritra  getötet  durch  die  blofse  Gewalt  mei- 
nes Zornes,  durch  meine  Indrakraft  ^). "  „In  Zorn 
durchbohrt  Indra  des  zitternden  Vritra  Nacken ")."  Him- 
mel und  Erde  beben  davor,  „Bei  deiner  strahlenden  Ge- 
burt bebt  der  Himmel.  Die  Erde  zittert  in  Furcht 
vor  deinem  Zorn.  Die  Plimmelsberge  öffnen,  von  dir 
getroffen,  ihren  Schofs  und  die  Wasser  rauschen  in  Strö- 


1)  Skäldskaparm.  c.  18.  Sn.  E.  I,  286. 

2)  Zeitschr.  f.   d.  Myth.  II,   332   fgg. 

3)  HarbarSsl.   9 

4)  Thrymsqu.    17. 

5)  Ilymisqu.   39.   20. 

6)  Thrymsqu.  31. 

7)  Guunlaugs  Ormstünga  Saga  10.  Bei  den  Deutschen  im  Böhmcrwald 
hebt  die  junge  Frau,  wenn  es  während  des  Brautzuges  donnert,  einen 
schweren  Gegenstand.     Das  verleiht  Stärke  imd  Gesundheit. 

8)  Rigv.  Langl.  U,  3,  8,  8. 

9)  Rigv.  Rosen  LXXX,  5. 


128 

men  herab  ')."  „Ich  setze  mein  Vertrauen  auf  deinen  er- 
sten Zorn,  als  du  den  starken  Räuber  schlugst^  die  Flut 
enthülltest,  als  beide  Welten  zu  dir  flüchteten  vor  Angst, 
die  Erde  gar  ob  deiner  Kraft,  Blitzschleuderer  ^)."  „Alle 
Stämme,  die  Menschen  all  neigen  sich  nieder  seinem 
Zorn,  wie  die  Flüsse  allsammt  zum  Meer^)."  „Wenn  er 
erscheint,  zittern  in  Furcht  die  festen  Berge,  Himmel 
und  Erde*). 

nn)  Thors  Asenzorn  (Asmoör)  ist  ebenso  berühmt,  als 
seine  Kraft.  Er  fasst  im  Grimm,  seiner  selbst  nicht  mäch- 
tig, den  Hammerschaft  so  hart  an,  dass  die  Knöchel  weifs 
werden  und  Alles  vor  ihm  zu  Boden  sinkt  ^).  Besonders 
wenn  er  sich  den  Riesen  und  Trollen  gegenübersieht,  ent- 
brennt dieser  Zorn.  Beim  Verlust  des  Hammers ") ,  beim 
Mangel  des  Braukessels'')  loht  er  hoch  empor,  ja  er  stei- 
gert sich  beim  blofsen  Anblick  des  Riesen  Hrüngnir  zur 
höchsten  Wut  ^).  Bei  Thors  Kämpfen  erzittern  dann  die 
Berge,  brechen  die  Felsen,  Himmel  und  Erde  stehen  in 
Flammen: 

Felsen  krachten, 

Klüfte  heulten, 

Die  alte  Fold 

Fuhr  ächzend  zusammen  ^). 
„Der  Mond  weg  tönte  unter  ihm"  (Mänavegr  dundi  und 
hanom),  „die  Himmelsgefilde  brennen"  (Ginnungave  brinna), 
„es  brannte  der  über  den  Menschen  ausgebreitete  Himmel" 
(upphiminn  manna  brann),  „mit  Hagel  war  die  Erde  be- 
deckt" (grund  var  grapi  hruudin)  '''). 


1)  Rigv.  Langl.  III,  5,   13,  2. 

2)  Sämav.  Benfey  I,   4,   2,   4,   2. 

3)  Sämav.  Benfey  I,   2,   1,   5,   3. 

4)  Rigv.  Rosen  LXI,   14. 

5)  Gylfaginning  44. 

6)  Thrymsqu.    1.   2. 

7)  Hymisqu.   1.   2.     Oegisdr.  45.  Fornmannasög.  11,  154. 

8)  Skäklskaparm.   c.  7  Sn.  E.   I,   270  fgg. 

9)  Hymisqu.   24.     Fold,  Erdgöttin.     S.  Zeitschrift  für  vergl.   Sprachfor- 
schung V,   230. 

10)  Aus  Thors  Kampf  mit  Hrüngnir  in  Thiodolfs  Höstslöng. 


o)  Indra  war  Lebensgott.  „Dies  heldenhafte  Werk, 
o  Tänzer,  ward  als  erstes,  Indra,  und  urältestes,  von  dir 
im  Himmel  Rühmliches  vollbracht,  dass  Leben  du  mit 
Gotteskraft  befördertest  Flut  förderend ')."  „O, 
der  du  Leben  spendest,  in  dir  sind  tausend  Hilfen  -)."  Ich 
will,  sagt  Indra,  dass  alles  zweifttfsige  und  vierfüfsige  Ge- 
schlecht von  mir  Leben  empfange  ^).  Er  verleiht  den  From- 
men langes  Leben  '').  Er  behütet  den  Körper  vor  Scha- 
den ^).  Die  verlorne  Männlichkeit  des  Asanga  stellt  er 
wieder  her'').  Er  ist  darum  auch  Ehegott.  Man  ruft  ihn 
um  Nachkommenschaft  an  ") ,  um  eine  reiche  Familie  und 
viele  Kühe.  Dem  alten  Kakshivän  verlieh  er  die  junge 
Vricayä  zur  Gattin  ®).  Vor  allen  andern  Menschen  ist  er 
den  Familienvätern  gnädig  und  gewährt  ihnen  hohes 
Glück  ^).  Ebenso  versagt  er  bisweilen  zürnend  Familien- 
glück: „Verderbe  nicht,  Indra,  unsere  einstige  Nachkom- 
menschaft '")."  „Sehre  uns  nicht,  o  Indra,  gieb  uns  nicht 
dahin,  nimm  uns  nicht  die  süfse  Lust,  töte  nicht  Magha- 
vän,  ^akra  unsere  Geburten,  töte  nicht  unsere  noch  auf 
den  Knieen  kriechenden  Kleinen  ")." 

oo)  lieber  Thors  lebenspendende  Tätigkeit  habe  ich 
mich  bereits  Zeitschr.  f.  D.  Mjth.  II,  318.  III,  210.  230 
fgg.  und  o.  S.  64  fgg.  ausgelassen.  Andere  wichtige  Seiten 
werden  im  Verfolg  dieses  Buches  Erläuterung  finden.  Nach 
der  Gautrekssaga  bestimmt  Thorr  dem  Starkaör,  dass  er 
weder  Sohn  noch  Tochter  haben  und  so  sein  Geschlecht 
beschliefsen  solle  („skapa  ek  Jjat  Starkaöi,  at  hann  skal  hvärki 
eiga  son  ne  döttur,  ok  enda  svä  astt  sina")  '^).     Er  speu- 


1)  Sämaveda  Benfey  I,  5,   2,  3,   10. 

2)  Rigv.  Langl.  VIII,   5,    11.    11. 

3)  Ibid.  VII,  7,  9,   10. 

4)  Ibid.  V,  3,   11,  4. 

5)  Eigv.  Rosen  V,   10. 

6)  Rigv.  Lang].  V,  7,  5,  34. 

7)  ibid.  V,   1,   7,   5. 

8)  Kigv.  Rosen  LI,   13. 

9)  Rigv.  Langl.  IV,   6,  3,   10.   12. 

10)  Rigv.  Rosen  CIV,  G.     Vergl.  Roth,  Nirukta  S.  38. 

11)  Ibid.  CIV,  8. 

12J  Fornaldarsög.  III,  32  fgg. 

9 


^30  _ 

det  und  versagt  den  Segen  der  Ehe').  Deutscher 
Aberglaube  weist  dieselbe  Spur.  Niemand  soll  seine  Ge- 
vatterin ehelichen,  denn  so  oft  sie  sich  vermischen  don- 
nert es  ^).  Neumond  am  Donnerstag  eintreffend,  gilt 
auf  den  Orkneys  als  die  beste  Heiratszeit  ^),  —  Zeitschr. 
f.  D.  Myth.  III,  70  ist  versucht  auseinanderzusetzen,  dass 
die  sogenannten  Brautsteine,  Steine  in  welche  die  Sage 
an  den  verschiedensten  Orten  Deutschlands  ein  Brautpaar 
verwandelt  sein  lässt,  und  die  Brütkampe,  Felder  auf 
denen  im  Heidentum  den  Ehegottheiten  Opfer  gebracht  sein 
sollen,  alte  Heiligtümer  Thunars  gewesen  sind.  Die  schon 
angeführte  norwegische  Sage  aus  E"'aje  o.  S.  100  bestätigt 
diese  Vermutung,  indem  sie  erzählt,  wie  Thörr  mensch- 
liche Hochzeiten  mit  seinem  Besuche  beehrt.  Von 
einem  Brautpaar  schlecht  aufgenommen,  begräbt  er  dasselbe 
unter  einem  Bergsturz.  Noch  bezeugen  zwei  Steine  das 
Andenken  dieser  Begebenheit  „Brudestenene"   genannt. 

p)  Indra  wurde  als  Lebensgott  j)hallisch  gedacht.  Die 
Sage  erzählt,  dass  Indra  Ahalyä,  die  schöne  Gattin  des 
Rishi  Gautama,  liebgewann  imd  verführte.  Im  Zorn  ver- 
fluchte derRishi  ihn,  auf  seinem  Körper  tausendfach  dasGlied 
zu  tragen,  mit  welchem  er  gesündigt,  verwandelte  jedoch 
bald  darauf  in  milderer  Stimmung  diesen  traurigen  Schmuck 
in  1000  Augen,  mit  welchen  Indras  Körper  nun  besät 
ist  ^).  Schon  im  Veda  begegnet  sahasräksha  (mille  ocu- 
lis  praeditus)  als  Indras  Beiwort  ^).  Diese  tausend  Augen 
bezeichnen  Indra  wie  Varuna  und  bei  den  Griechen  Argos, 
den  Wächter  der  16,  als  Himmelsgott;  sie  sind  die  leuch- 
tenden Sterne.  Jene  Mythe  ist  erst  spät  in  die  ältere  vom 
tausendäugigen  Indra  divaspati  hineingedeutet. 

pp)  Gleichwol  darf  damit  in  Parallele  eine  phallische 
Darstellung  Thunars  gestellt  werden,  worüber  ich  Zeitschr.  f. 


1)  Wolf,  Beiträge  I,   80. 

2)  Myth."    LXXIV,   163. 

3)  Lex.  Myth.   954. 

4)  Asiatic  researclies  VIII,   1818,  G8. 

5)  Rigv.  Roseu  XXIII,  3. 


m 

D.  Myth.  III,  86  — 107  gesprochen  habe  und  wozu  eben- 
das.  III,  246  zu  vergleichen  ist.  Ohne  historische  Einheit 
ist  die  phallische  Natur  des  deutschen  und  des  indischen 
Gewittergottes  aus  derselben  mythischen  Grundlage  hervor- 
gewachsen. 

q)  Beschützer  der  Familie  ist  Indra  teils  als  Lebens- 
gott, teils  als  Genosse  des  Agni,  der  das  heilige  Herd- 
feuer, die  Quelle  der  Gesittung  und  des  Familienglücks, 
entzündet  und  mit  ihm  zusammen  in  zahlreichen  Hymnen 
angerufen  wird.  Von  jener  Tätigkeit  heifst  Agni  sabhya, 
Schützer  des  Stammes  von  sabhä,  das  in  den  Veden 
„Versammlung,  Saal,  dann  die  Menge  der  erwachsenen,  zu 
Verstand  gekommenen  Mitglieder,  die  gens"  bezeichnet '). 
Entsprechend  hat  der  Sup.  sabheyishtha  die  Bedeutung 
„der  im  Stamme  Tüchtigste,"  „der  Häuslichste"  oder  „der 
Höchste  der  Sippe,"  womit,  wie  Kuhn  neuerdings  bewie- 
sen hat  ^) ,  der  Name  ' II^lijJI^TO^  oder  "HcfaiGTog  ge- 
nau übereinstimmt.  Ganz  entsprechend  heifst  nun  auch 
Indra  sadaspati  (Hauses  Herr)  ^),  du  bist  grofsen  Schat- 
zes, o  Schatzgebietender;  du  bist  der  Schützer  der  Woh- 
nungen; dich,  diesen  Indra,  mächtiger  Sanggepriesener, 
rufen  beim  Sömapressen  wir  ^).  Er  gewährt  seinen  Ver- 
ehrern Haus  und  Heim  ^),  und  ist  als  Schützer  der  Woh- 
nung, lar  domesticiis  ^).  Er  wird  angerufen,  das  Haus  vor 
Dieben  zu  schützen. 

qq)  Dass  Thörr  es  ist,  von  dessen  Blitzstrahl  die  hei- 
lige Flamme  des  Herdes  stammt,  und  dass  er  dadurch 
zum  Gründer  des  Familienglückes  wird,  habe  ich  Zeitschr. 
f.  D.  Myth.  II,  331  bewiesen.  Darum  schlägt  der  Blitz 
nicht  ein ,  wenn  Feuer  auf  dem  Herde  brennt "').  In  bai- 
risch  Schwaben   legt   man   beim   Gewitter   o;eweihtes  Holz 


1)  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV,   .S70  fgg. 

2)  Kuhn  a.  a.  0.  V,   214  fgg. 

3)  Rigv.   Kosen  XXI,   5. 

4)  Sämav.  Benfey  II,  5,   2,   1 5. 

5)  Rigv.  Rosen  X,   4. 

(5)  Roth,  Nirukta  S.  137.     Benfey,   Gloss.  Sanscr.    170. 

7)  Mvth.'    LXXII,    126.      Kuhn, 'XorcUl.  Sagen  S.  455,   411. 

9* 


132 

auf  den  Herd  ').  Auch  in  Holstein  lässt  man  beim  Ge- 
witter das  Feuer  nicht  ausgehen,  während  man  zugleich 
eine  Axt  in  den  Ständer  der  Seiten türe  schlägt  und  so 
lange  darin  lässt,  bis  das  Unwetter  vorüber  ist.  Mit  sa- 
bhja  stimmt  nun  etymologisch  genau  das  germanische  Wort 
sif,  sippia  (Geschlecht,  Sippe,  Verwandschaft)  überein. 
Sifheifst  Thors  Gattin  und  ich  habe  schon  Zeitschr. 
f.  D.  Myth.  H,  330—340.  IH,  121  auseinandergesetzt,  wie 
der  deutsche  Gewittergott  das  Geschlechtsbewusstsein  zur 
Genossin  erhalten  musste,  da  um  das  dem  himmlischen  Ge- 
witterfeuer entstammte  Herdfeuer  Haus  und  Geschlecht 
sich  auferbauen.  Aus  diesem  Grunde  und  als  Schützer 
des  Anbaus,  indem  er  mit  seinem  Gewitterstrahl  das  harte 
Felsgebirg  urbar  macht,  ward  er  Verleiher  und  Erhalter 
des  Grundbesitzes.  Thörr  versagt  dem  Starkaör  Land  und 
Grundbesitz  (]?at  skapa  ek  honum,  at  bann  skal  hvärki 
eiga  land  ne  läö).  Landeigentum  ward  mit  dem  Wurf 
des  heiligen  Donnerhammers  in  Besitz  genommen -).  Bei 
Besitzergreifuno;  hcrrnloser  Gründe  ward  das  erworbene 
Land  sehr  häufig  Thörr  geweiht:  helgaöi  landnäm  sitt  ]>ör 
ok  kallaSi  jjorsmörk  (er  heiligte  seine  Landnahme  dem  Thörr 
und  nannte  sie  Thörsmark,  d.  i.  Donnerwald,  oder  Donner- 
grenze) ^).  Thunar  waren  deshalb  auch  die  Grenzen  ge- 
weiht; die  dem  Gewittergott  heiligen  Eichen  dienten  häufig 
bei  Grenzbegängen  zur  Bezeichnung  der  Scheiden  *).  Thörr 
selbst  kämpfte  mit  dem  Riesen  Hrüngnir  auf  der  Landes- 
grenze (ä  landamaeri  ^).  Diese  Sorge  Thunars  für  Haus 
und  Hof  und  das  darin  waltende  sittliche  Leben  „der 
Herdgenossenschaft"  äufsert  sich  aber  noch  in  ver- 
schiedenen  anderen  Gebräuchen.     An  die  Stelle  des  alten 


1)  Panzer,  Beitrag  zur  D.  Mytb.  II.   2.12.   379. 

2)  J.  Grimm,  D.  Grenzaltertümer.  Abhandl.  der  Berliner  Akad.  1843 
S.  121  fgg.  RA.  5ö  fgg. 

3)  Landnämab.   V,   2,   S.  218. 

4)  Grenzaltertümer  S.  128.  Urivunden  des  Slavenvolks  gewähren  bei 
Grenzfestsetziingen  noch  den  bedeutsamen  Ausdruck :  ,,Do  peronowa  dutu" 
bis  zu  Peruns  Eiche. 

5)  Skäldskaparm.  c.  17.  Sn.  E.  I,  272. 


133 

Herdes  trat  später  der  Ofen,  ja  das  Wort  Ofen  ist  die 
älteste  germanische  Benennung  für  den  Herd  selbst.  Wie 
Aufrecht  dargetan  hat  *),  entspricht  goth.  aühns  Ofen,  ahd. 
ovan,  das  aus  einer  alten  Form  uknas,  aknas  hervorgegan- 
gen ist,  dem  vedischen  Worte  a^an,  a^na  (apani,  äpman) 
steinern,  apmanta  steinerner  Feuerherd,  Ofen.  AufThu- 
nar,  den  himmlischen  Geber  des  Herdfeuers,  beziehen  sich 
daher  jedenfalls  die  folgenden  Gebräuche  und  Meinungen. 
Kommt  in  einem  Hause  Feuer  aus,  so  schleife  man  den 
B  a ck 0 f  en  hinaus.  Dem  schlägt  die  Flamme  nach  ^).  Dienst- 
boten sollen  ihr  erstes  Mittagbrod  auf  der  Ofenbank  ver- 
zehren, dann  gewöhnen  sie  sich  gut  ein,  sie  werden  wirk- 
liche Mitglieder  der  Herdgenossenschaft  ^).  Beim  Einzug 
in  ein  neues  Haus,  bevor  man  in  die  Stube  geht,  gucke 
man  in  den  Ofentopf,  um  einzuwohnen.  Dasselbe  soll 
jedes  neu  anziehende  Gesinde  tun  ").  Die  Magd  soll  gleich 
beim  Eintritt  in  einen  neuen  Dienst  nachsehen,  ob  Feuer 
im  Ofen  brennt  und  es  schüren;  dann  bleibt  sie  lange 
im  Hause  ^).  Zu  Weihnachten  oder  Neujahr  schauen  die 
Mädchen  ins  Ofenloch  und  gewahren  darin  ihren  zu- 
künftigen Bräutigam.  —  Nach  den  a.  a.  O.  gepflogenen 
Untersuchungen  über  Sif,  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass 
erst  eine  späte  Zeit  den  abstrakten  BegriflP  der  „Sippe"  zu 
Thors  Gemahlin  erhob.  Keinem  Zweifel  kann  es  jedoch 
unterliegen,  dass  bereits  vor  der  Zeit  der  Sprachtrennung 
an  die  Person  des  Gewittergottes  der  Begriff  eines  Schützers 
der  Herdgenossenschaft  geknüpft  war. 

r)  Wir  kehren  zu  Indras  lebenspendender  Tätigkeit 
zurück.  Aus  dieser  fliefst  seine  Geltung  als  Heilgott, 
wofür  schon  Zeitschr,  f.  D.  Myth.  H,  319  ein  Beleg  bei- 
gebracht ist.  Einen  anderen  haben  wir  im  Verlauf  dieses 
Aufsatzes    S.  43    erwähnt.      Ein   Hymnus    ruft  Indra    an: 


1)  Zs.  für  vergl.  Sprachf.  V,   133  fgg.      Vergl.  Schleicher  ibid.  V,  400. 

2)  Myth.'   LXXXIV,  450. 

3)  Myth. '  cm,  862.  Tliörr  selbst  heilst  Arinbrauti  Sifjar,  Sifs  Ilerdbesucher. 

4)  Myth.'   LXXXVII,   501.  LXXI,  95. 

5)  Myth.'    XCIX,   777.      In  Norwegen    war    der    Donnerstag  Tag  des 
Wohnungswechsels,  in  Holland  der  Maitag. 


134 

Von  unserm  Gesaug  entzückt  heile  unsere  Gebrechen '). 
Apäla,  Atris  Tochter,  hatte  eine  Hautkrankheit,  wel- 
che Indra,  dem  sie  opferte,  ihr  abnahm.  Derselbe  gab 
zugleich  ihrem  Vater  Atri  die  verlorenen  Haare  wieder  -). 
Ein  gewisses  Heilmittel  heilst  ludrahasta.  Der  heilkräf- 
tige Baum  vitex  negundo  ist  nach  dem  Gott  Indrasu- 
rasa,  Indrasurä  benannt.  Die  vorhin  erwähnte  Heilung 
der  Apäla  geschieht  dadurch,  dass  Indra  sie  durch  das 
Wagenrad  zieht: 

Durch  den  Wagen  und  das  Gespann, 
Durch  das  Jochband,  Allmächtiger, 
Zogst  Apäla  du  durch  dreimal. 
Und  ihre  Haut  ward  sonnenrein  ^). 
rr)  Thunars  Bedeutung  als  Heilgott  ist  schon  Zeitschr. 
f.  D.  Myth.  H,  318 — 320  auseinandergesetzt.  Adam  von 
Bremen  bezeugt:  „  Si  pestis  et  famis  imminet,  Thor 
idolo  lybatur  *y^  Es  lässt  sich  noch  vieles  Weitere  zu  dem 
a.  a.  O.  Bemerkten  dafür  beibringen.  Wer  Gründonner- 
stag fastet,  bleibt  das  Jahr  hindurch  frei  von  Fieber,  und 
hat  ers,  so  vergeht  es  °).  Gründonnerstag  fasten  schützt 
vor  Zahnweh.  Johannistag;  vor  Sonnenaufffano-  still- 
schweigend  Eichenholz  auf  den  Leib  gestrichen,  heilt 
alle  ofienen  Schäden  "),  Wenn  man  im  Frühjahr  zum  er- 
stenmal donnern  hört,  so  muss  man  dreimal  rückwärts 
niederfallen  und  den  Rücken  recht  auf  dem  Boden  reiben. 
Dann  ist  man  in  diesem  Jahr  vor  Kreuzschmerzen  si- 
cher''). Wenn  man  einem  siebenjährigen  Kinde  Eichen- 
mispeln in  warmem  Wein  oder  Milch  zu  trinken  giebt, 
so  bleibt  es  frei  von  schwerer  Krankheit  ^).  Kranke  Frauen 
werde;i  in   der  Mark  mit  einem   roten  Garnfaden   gemes- 

1)  mgv.  Lang!.  VIII,   5,    11,   8. 

2)  Ibid.  VI,   6,    10,    1   fgg. 

3)  Riav.  VIII,   80,   7,  nach  xUifrechts  Uebersetzuiig  Ind.   Stud.  IV,   2. 

4)  Gesta  Haniaburgensis  ecclesiae  pontif.  IV,  c.  27. 

5)  Myth.'    LXX,   84.  veigl.  dagegen   Chemnitzer  Eockenphil.  1,44.    Isst 
man   Gründonnerstag  Bretzelu,   so  bekommt  man  das  Fieber. 

6)  Myth-'    CLII,   970. 

7)  Panzer  Beitrag  zur  D.  M3'th.   II,   303. 
8J  Wolf,  Beiträge  I,  209,  55. 


135 

seil').  In  rote  Uuterröcke  hüllt  dcas  Schweizer  Landvolk 
Fieberkranke  -).  Besondere  Uebereinstimmung  mit  der  in- 
dischen Sage  zeigt  es,  dass  Thnnars  heiliger  Vogel,  der 
Kuknk,  den  Hautansschlag  der  Sommersprossen  (Jndas- 
dreck,  bran  de  Judas)  wegzunehmen  die  Macht  hat^),  wie 
der  auch  vom  Donnergott  gespendete  Maitau  (s.  o.  S.  31) 
von  Hautkrankheiten  befreit.  Heilquellen  werden  in  Schwe- 
den *)  und  Norwegen  ^)  am  Donnerstag  besucht.  Bei 
Diby  und  ebenso  auf  Herslätt  bei  Worms  ist  eine  Quelle, 
in  welche  die  Inselschweden  am  Donnerstagabend  nach 
Sonnenuntergang  stillschweigend  einen  Groschen  werfen, 
worauf  sie  Wasser  aus  derselben  schöpfen,  welches  gegen 
kranke  Augen  sehr  heilsam  sein  soll.  Wer  das  Geld 
herausnimmt,  bekommt  alle  Krankheiten,  die  dadurch  ge- 
heilt sind ").  Auch  die  Art  und  Weise  der  Heilung  stimmt 
überein.  Wie  schon  in  einem  früheren  Kapitel  dieses  Bu- 
ches besprochen  ist,  entspricht  dem  indischen  Kriechen 
durch  das  Wagenrad  bei  uns  das  Kriechen  durch  den  Spalt 
der  Eiche,  des  dem  Thunar  geweihten  Baums  ''),  der  beim 


1)  Märkische  Forscliuugen  I,   247.     Mytli.^    1117. 

2)  Rocliolz,  Schweizersageu  ous  dem  Aargau  I,   212. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  III,  246.  Kinder  soll  man  in  der  Maser- 
krankheit mit  Brühe  von  den  dem  Thunar  heiligen  Erbsen  waschen,  so 
werden  die  Stupfen  flaclier  und  die  Masern  verwachsen.  Rocholz,  Allemann. 
Kinderl.  I,  334,  907.  Andererseits  straft  Thunar  diejenigen,  welche  in  den 
Zwölften  unterlassen  seine  heilige  Speise  die  Erbsen  zu  essen,  mit  der  Krätze. 
Panzer,  Beitr.  z.  D.  Myth.  II,  306.  vgl.  Zs.  f.  D.  Myth.III,  104.  Myth. '  XCV,  687. 
Wir  erklärten  diesen  Zug  daraus,  dass  die  Hautausschläge  böse  Elbe  in  In- 
sectengestalt  sind,  denen  Thunar  feindlich  gegenübersteht.  Wir  wiesen  ferner 
Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  274  den  Zusammenhang  Thunars  mit  den  Insecten 
nach.  Atharvaveda  II,  31,  1  wird  Indras  grofser  Stein  (Indrasya  malii  dri- 
shat)  als  Töter  alles  schädlichen  Insectengeschmeifses  (krimur  vi9vasya  tar- 
hani)  genannt,  das  in  Kopf  Rücken  und  Eingeweide  eingedrungen  (ye  asmä- 
kam  tanvam  ävivi<juh)  5,  b  und  4.  Vergl.  Atharvaveda  II,  31.  32,  1.  Fer- 
ner steht  Indra  auch  sonst  zu  den  Insecten  im  engen  Verhältnis.  Wie  er 
in  jeder  Krafttat  wirksam  ist,  ist  auch,  was  Würmer  und  Ameisen  mit 
Kraft  ausführen,  Indras  Werk.  Roth,  Nirukta  105.  Die  Musquitolliege  heifst 
vajratuuga.  Nach  der  späteren  Mythe  verwandelt  sich  Indra  in  die  Mus- 
quitomücke ,  um  Vishuu  zu  stören,  als  er  mit  Bala  kämpft.  Moore  Hindu- 
Pantheon  S.  187. 

4)  Pantoppidan  everriculum  fcrmenti  vcteris  p.  18. 

5)  Lex.  myth.   951. 

6)  Eibofolkc  II,  S.  187.  Indra  gibt  seiner  blinden  Tochter  die  Au- 
gen wieder.     Rigv.  Langl.  VII,   7,  9,   11.     Vergl.  oben  S.  43. 

7)  Myth.'' 1118.  Köstcr,  Sag.  v.Brem.  u.  Verden  206.  Panzer,  Bcitr.  11,201. 


13G 

Sieclitnm  des  Menschen  wie  beim  Vieh  angewandt  wird, 
oder  durch  eine  Oeffnung  der  mit  roten  Früchten  behan- 
genen  Hagedornhecke'),  so  dass  mit  einiger  Wahrschein- 
lichkeit auf  eine  Beteiligung  des  Gewittergottes  bei  dieser 
Art  der  lieihmg  geschlossen  werden  kann. 

s)  Durch  den  Regen,  den  er  befruchtend  auf  die  Erde 
niederfallen  lässt,  durch  den  Blitzstrahl,  mit  dem  er  den 
Boden  lockert'^},  und  als  Lebensspender  im  Allgemeinen 
übt  Indra  auch  Einfluss  auf  das  Wachstum  der  Pflanzen. 
Die  Erde  heifst  ludrarishabhä,  d.  i.  Indra  zum  Stier  oder 
Befruchter  habend.  Indra  wird  .,  Fruchtgeber "  (saträda- 
van)^),  „Spender  der  Gerste"  (durah  yavasya)  genannt"). 
„Du  der  du  Nahrung  giebst,  der  du  aus  dem  regenbefeuch- 
teten Halm,  den  du  wachsen  liefsest,  Körner  süfs  wie  Ho- 
nig ziehst:  der  du,  deine  Herrlichkeit  zu  offenbaren,  die 
Blumen  vmd  heilsamen  Pflanzen  erzeugt  hast  —  dir  (In- 
dra) müssen  wir  lobsingen  ^)."  „Indra  hat  die  Pflanzen 
und  die  Tage  geschenkt,  er  hat  die  Bäume  und  die  Luft 
gegeben"}."     Apälä,  Atris  Tochter,  fleht  Indra  an: 

Drei  Stätten  siehst  du  kahl  und  baar, 

Verleihe  diesen  frischen  Wuchs: 

Des  Vaters  Haupt  und  seinem  Feld, 

Und,  Indra,  meinem  siechen  Leib. 

Hier  dieses  Feld  und  meinen  Leib 

Und  meines  alten  Vaters  Haupt, 

Sie  alle  siehst  du  kahl  und  baar, 

Lass  ihnen  spriefsen  Halm  und  Haar'). 
Wildwachsendes  Kraut  heifst  Indrakrishta   „von  Indra  ge- 
pflügt."     Nach    dem   Gott    sind    eine    grofse   Anzahl   von 
Pflanzen  benannt.    Indracibhiti,  Indraparni,  Indra- 


1)  Aus  der  Gfgeud  bei  Oxford.     Aufrecht,   Ind.  Studien  IV,   8. 

2)  Daher  heifst  Indra  wie  die  Pflugschaar  pavirava. 

3)  Rigv.   Rosen  VU,   6. 

4)  Ibid.   LIII,   2. 

5)  Rigv.   Langl.   II.   6,    h,   6.    7. 

ij)   Ibid.  III,   2,   5,    10.      Die  Erklärung  des  Scholiasten,   der  die  Bäume 
für  Opferbäunie  nimmt,   ist  unzweifelhaft  unrichtig. 

7)   Rigv.   III,   80,   5,   6.    Nach  Aufrechts  Uebcrtragung  Ind.   Stud.  IV,  2. 


137 

pushpä,  eine  Pflanze  mit  blutroter  Blüte  metlionica 
superba.  Inclravarinaka  Coloquintengurke.  ludra- 
bhesha  getrockneter  Ingwer.  Indra^an  Hanf,  dessen 
Spitzen  getrocknet  und  als  Berauschungsmittel  gekaut  wur- 
den, und  abrus  precatorius.  Indrayava  Indrakorn,  der 
haferähnliche  Same  der  wrightia  antidysenterica.  Indra- 
dru,  Indradruma  termiualia  Arjuna,  pentoptera  Arjuna, 
wrightia  antidysenterica.  Indradauta  ein  Baum.  Indra- 
surä,  Indrasurasa,  Indranikä  vitex  negundo.  Indra 
echites  antidysenterica.  Vajrapushya  die  Blüte  des  se- 
samum.  Vajravalli  eine  Art  Sonnenblume  heliotropium. 
Vajradru,  vajradruma,  vajrakangaka  euphorbia. 
Als  Spender  des  Viehreichtums,  des  Getreidesegens  und 
als  Lebensgott  überhaupt  wurde  Indra  um  Speise  angeru- 
fen, wie  aus  unzähligen  Hymnen  des  JRigveda  erhellt,  z.  B. : 
„Vielangerufener  lass  uns  nicht  in  leerem  Hause  woh- 
nen, wenn  wir  nach  Nahrung  verlangen  gib  uns  Speise 
und  Trank  i).« 

ss)  Wolf  wies  in  seinen  Beiträgen  zur  D.  Myth.  II, 
70 — 80  nach,  dass  Thuuar  der  Saat  Gedeihen  spendete. 
Sein  heiliges  Osterfeuer,  in  welches  die  roten  Eichhörn- 
chen gejagt  oder  geworfen  wurden,  brannte  auf  Getreide- 
feldern, um  diese  fruchtbar  zu  machen,  und  wenn  das 
Korn  seinen  reichen  Ernteertrag  gespendet  hatte,  liefs  man 
den  Böcken  des  Gottes  in  mehreren  Gegenden  zum  Dank 
die  letzte  Garbe,  in  Süddeutschland  Halmbock,  Ha- 
berg eifs,  in  Niedersachsen  Bocksthorn  genannt,  stehen. 
Weitere  sehr  interessante  Zeugnisse  bespricht  Panzer,  Bei- 
trag II,  504 — 514.  In  Gabiingen  u.  a.  stellen  die  Schnit- 
ter auf  das  letzte  Ilaferfeld  eine  hölzerne  Geifs.  Zur 
völhgen  Bestätigung  des  Zusammenhangs  dieser  Erutege- 
bräuche  mit  Thunar  dient  ein  Gebrauch  zu  Loching  in 
Niederbayern  ■^).  Ein  rotes  Gründonnerstagsei,  ein 
Kränzl,   geweihtes   Holz,   alles   mit  einigen  Tropfen  Jo- 


1)  Rigv.  Rosen  CIV,   7. 

2)  Panzer  IT,   212. 


138 

hannisvveiu  beofossen  wird  in  die  erste  Garbe  jxeleixt  und 
diese,  wenn  abgedroschen  ist,  ins  Ofenfeuer  geworfen. 
Am  Gründonnerstag  warf  man  auf  Seeland  Aexte  ins 
Saatfeld').  Im  Odenwald  sät  und  pflanzt  man  am 
Gründonnerstag,  soviel  man  kann  ^).  Die  Inselschwe- 
den  legen  bei  der  Aussaat  des  Korns  in  das  Külmit  (kjolnit) 
woraus  sie  streuen  einen  Donnerkeil  (bisavigg),  so  scha- 
det das  Gewitter  dem  Korne  nicht  ^).  Adam  von  Bremen 
sagt  ausdrücklich:  Thor  serena  et  fruges  gubernat  *).  Wie 
nach  Indra  sind  nach  Thunar  viele  Pflanzen  benannt:  an- 
dere waren  ihm  heilisc  ohne  seinen  Namen  zu  trao;en.  Zu 
den  letzteren  zählen  die  Eiche  ^),  die  Hasel  ^),  der  Vogel- 
beerbaum (s.  oben  S.  14),  die  Nessel  (S.  102),  die  Erbse'). 
Plinius  berichtet  ^)  von  einem  Kraut,  das  die  Römer  herba 
Britauuica  nannten,  weil  sie  es  aus  den  zwischen  Deutsch- 
land und  Britannien  gelegenen  Inseln  holten.  Florem  vi- 
bones  vocant,  qui  collectus  priusquam  tonitrua  au- 
diautur,  et  devoratus  securos  a  fulminibus  in  totum 
reddit.  Frisii  qua  castra  erant,  nostris  demonstra- 
verunt  illam.  Ags.  Glossen  übersetzen  die  herba  Bri- 
tannica  hreven  hyöele.  Hajven  bedeutet  blau.  Die  dem 
Donnergott  geweihte  gegen  den  Blitz  schützende  Pflanze, 
welche  vor  dem  ersten  Frühlingsgewitter  gebrochen  wird, 
trug  also  die  blaue  Blitz  färbe  (S.  2  Anm.  5).  Dieselbe 
kommt  auch  dem  Gundermann,  der  Donuerrebe  zu  (S.  6). 
Diese  Pflanze  gehört  schon  zur  ersteren  Art,  ebenso  die 
folgenden:  Semperviviun  tectorum:  Donnerbart,  Don- 
derbaard^),  Joubarbe,  Donnerblatt,  Donuergrüu,  Douner- 


1)  Lex.  myth.  952. 

2)  Wolf,  Beiträge  I,  70. 

3)  Russwurm,  Eibofolke  11,  §.  379,  p.  249. 

4)  Gesta  eccl.   IV,   26. 

5)  Wolf,  Beiträge  I,   68. 

6)  Zeitscbr.  f.  D.  Myth.  III,   95—107. 

7)  Kuhn,  NorJd.  Sagen  13.  Anm.  vergl.  Gebr.  352. 

8)  Histoiia  naturalis  XXV,  3.  Myth.  ^  447.  Ueber  die  Pflanzen,  auf 
welche  man  die  herba  Britamiica  gedeutet  hat  s.  Buddingh,  Verhandeling  over 
het  Westland   392. 

9)  Fuchs,  Nieuwe  herbarius.    Basel   1543.     Math,  de   Lobel   kniydboek. 


139 

kraut,  Donnerwiirz.  Sediirn  telephium:  Johanniskraut, 
Donnerkraut,  isl.  dundarlaukr,  nhd.  Donnerbohne,  Don- 
nerwurz,  Donnerbart.  Corydalis  bulbosa:  Donnerfluch, 
Donnerwurz,  Hehiibusch.  Lycopodium  clavatum,  Bärlapp: 
Blitzkraut  ^).  Aristolochia,  osterluzey:  Donnerwurz. 
Conyza  squarrosa :  D  o  n  d  e  r  w  o  r  t  -).  Dianthus  Carthusia- 
norum:  Donner näglein,  Donner nelke.  Lilium  bulbife- 
rum:  Donnerlilie  ^).  Alpenrose:  Donner  rose').  Eryn- 
gium  campestre:  Donnerdistel.  Fumaria  bulbosa:  Don- 
nerflug. Klette:  dän.  tordenskreppe;  Alprute:  Don- 
nerbesen ^).  Aconitum  lycoctum:  Thörhat,  Thorhiälm '^). 
Osmunda  crispa:  Thörböll,  St.  Olavs  skJKgg').  Nach 
dieser  Beziehung  Thors  zum  Pflanzenwachstum  sind  Orts- 
namen wie  Tb  6  rlöf,  Thörslund  (Thors  Hain),  in  Nord- 
jütlaud  bei  Aalborg  (ein  anderes  Thörslunde  liegt  auf  See- 
land), Thörsakar,  Thörsager,  Thorseng  (Thors 
Acker,  Wiese)  geheifsen.  Auf  der  dänischen  Insel  Thörs- 
eng  stand  eine  Kapelle  St.  Olafs,  wahrscheinlich  an  der 
Stätte  eines  ehemahgen  Thörshofs.  Jedes  Jahr,  sobald  die 
Saat  bestellt  war,  wurde  St.  Olafs  Bild  (einst  wol  Thors) 
in  fieierlicher  Procession  um  die  Marken  jedes  Grundstücks 
geführt,  bis  es  einmal  im  Flecken  Landeby  durch  Unacht- 
samkeit eines  Bonden  verbrannte.  Seit  der  Zeit  verarmte 
der  Flecken^).  Wie  Indra  um  Speise  angerufen  wurde, 
so  Thunar.  Adam  von  Bremen  berichtet:  „Si  famis  im- 
minet  Thor  idolo  lybatur." 

t)  Hinter  dem  Gewölk  ruht  die  glanzvolle  Sonne  ver- 


Antwei-pen  1581.  —  Conrad  Gessner  führt  im  Catalogus  plautarum  Tiguri 
1547  p.  92  ein  Kraut  Herrgottsbärtlein  au  „polygalou  berba  dicta  quod 
lactis  copiam  äuget."  „Pimpiuell  wie  etlicli  aclitend.''  Eiue  Art  der  barbu 
Jovis,  die  ich  nicht  näher  bezeiclinen  kann,  heifst  bei  uns  Silberbart,  engl. 
Silverbush. 

1)  Fiiedr.  lloll,   Wörterbiieli  deutscher  Pflanzennamen.   Erfurt  1833  S.  4.6. 

2)  Lobel  en  Dodocns  kruvdboek.  Antwerpen    1554. 
H)  Holl  a.  a.  O.   72. 

4)  Zeitschr.  f.   D.  Mytli.   I,   75. 

5)  Myth.2  168. 

6)  Myth.2    1145.      Lex.   myth.   1)62. 

7)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  11,  320. 
K)  Lex.   myth.   966.  ' 


140 

borgen;  indem  ludra  das  Wolkeudimkel  zerstreut,  führt  er 
das  helle  Licht  des  Tages  wieder  herauf.  „Du  hast  Sonne 
und  Morgenröte  aufgerichtet,  du  hast  die  Finsternisse  zer- 
streut, du  hast  das  grofse  und  gewaltige  Gebirge  geöffnet,  das 
die  Kühe  verbarg')."  „Enthülle  das  Angesicht  der  Sonne, 
vermehre  unsern  Wolstand,  besiege  deine  Gegner  und  schicke 
uns  die  Kühe '^)."  „Indra,  du  hast  die  Heiterkeit  der  Tage 
wiederhergestellt,  du  pflanztest  deine  glänzende  Standarte 
zum  Kampf  auf'^. "  „Indra  hat  den  Himmel  und  die 
glanzvollen  Welten  geöffnet,  indem  er  den  Körper  des 
Vala  zertrümmerte*)."  Doch  nicht  allein  die  Vertreibung 
des  Wolkendunkels  kommt  Indra  zu.  Als  Gott  der  blauen 
Luft  verscheucht  er  auch  die  Schatten  der  Nacht.  Die 
Sonne  bricht  dann  hervor  und  daher  scheint  es,  dass  In- 
dra die  Gestirne  am  Himmel  befestigt  hat.  „Wenn  der 
Himmel  im  ersten  Lichte  der  Morgenröte  glänzt,  wenn 
die  Devas  das  Feuer  der  Sonne  entzünden,  ver- 
treibt der  edelste  der  Helden,  Indra,  die  schwarzen 
Schatten  und  seine  Gegenwart  verleiht  den  Menschen  die 
Gabe,  die  Gegenstände  zu  unterscheiden  ^)  "  „In- 
dra und  Söma,  ihr  habt  die  Sonne  und  die  Klarheit 
des  Himmels  gegeben,  ihr  habt  die  Dämonen  der  Fin- 
sternis und  die  Feinde  der  Götter  getötet;  Indra  und  Söma 
ihr  erweckt  die  Morgenröte  und  führt  die  Sonne  mit 
ihrem  Lichte  herauf^)."  „Wenn  du  (Indra)  die  Sonne, 
das  leuchtende  Gestirn  am  Himmel  befestigt  hast, 
so  zeigen  sich  dir  die  Welten  unterworfen '')." 
Als  Indra  du  getrofien  der  Ahis  Erstgeborenen 
Vernichtetest  du  bald  der  Trügenden  Trug, 
Erzeugtest  Sonne,  Himmel  und  Morgenröte, 
Dann  fandest  nirgends  ringsum  du  einen  Feind  mehr  ^). 


1)  Rigv.  Langl.  IV,   6,   1, 

2)  Ibid.   IV,   6,   1,   3. 

3)  Ibid.  V,   3,   11,   3. 

4)  Ibid.  VI,   1,   3,   7. 

5)  Ibid.   III,   5,    12,   4. 
6J  Ibid.  V,    1,    11,    1.  2. 

7)  Ibid.   VI,    1,    1,   30. 

8)  Rigv.  Rosen  XXXII,  4. 


141 

„Nicht  besiegten  (des  Vritra  Vasallen)  den  Indra,  er 
tiberwand  seine  Feinde  durch  das  Sonnenlicht')" 
(süryena).  Daher  wird  Indra  bisweilen  mit  der  Sonne  selbst 
identificiert  ^)  und  heifst  wie  die  Sonne  ^)  allwissend'*). 
Denselben  mythischen  Gedanken  drückt  die  häufige  Ver- 
bindung Indras  mit  Vishnu  aus.  Vishnu  ist  nämlich  Son- 
nengott. In  drei  Schritten  (Symbolen  der  Morgen-  Mit- 
tags- und  Abendsonne)  durchmisst  er  täglich  den  Himmels- 
raum. „Als  Vishnu  durch  dich,  o  Indra,  gestärkt  seine  drei 
Schritte  tat,  zogen  deine  schönen  Rosse  deinen  Wagen  her- 
bei ^)."  Vishnu  wird  Indras  jüngerer  Bruder  Indrä- 
nuja  genannt.  Er  heifst  auch  Indrayätman.  Varuna  (griech. 
Uranos)  war  der  Gott  des  weltumgebenden  Himraelsmeeres. 
Am  Nachthimmel  glaubte  man  seine  Gestalt  am  rein- 
sten und  schönsten  zu  schauen.  Deswegen  rief  man  ihn 
besonders  bei  Nacht  an,  Indra  im  Tage  (Morgens  und 
Mittags).  „Indra^  ich  rufe  dich  beim  Erwachen  der  Sonne 
an,  ich  rufe  dich  in  der  Mitte  des  Tages'')."  „In  diesen 
Tagen  o  Indra,  schicke  uns  deine  Gaben,  Die  Feinde 
wollen  uns  bestürmen.  Der  gute  und  weise  Varuna  befreit 
uns  am  (frühen)  Morgen,  und  Abend  vom  Unrecht  das 
uns  bedroht ")," 

tt)  Adam  von  Bremen  bezeugt:  „Thor  serena  et  fru- 
ges  gubernat."  Thunars  Hammer  besafs  auch  die  Kraft 
Sonnenschein  hervorzurufen.  Wie  Zeitschr.  f.  D.  Myth. 
II,  297  ausgeführt  ist,  findet  Thors  Donnerhammer  sich 
wieder  in  Thorsteins  dreieckigem  von  Zwergen  her- 
stammendem Feuerstein,  der  nach  jedem  Wurf  in  die 
Hand  des  Besitzers  zurückkehrt.  Schlägt  man  an 
diesen  Stein,  wo  er  weifs  ist,  so  entsteht  solches  Hagel- 
wetter,  dass   Niemand   dagegen    ansehen    kann;    schlägt 


1)  Ibid.  XXXIII,  8. 

2)  Sämaveda  I,   2,    1,   4.     I,   3,   2,   4.     I,   5,   2,   3. 

3)  Kigv.  Rosen  XXXV,   9. 

4)  Säinaveda  I,   4,   2,   2.  v.  1   und  6. 

5)  Rigv.  Langl.  VI,    1,   1.  27. 

6)  Ibid.  VI,   1,  2,   13, 

7)  Ibid.   V,   3,   9,   4. 


142 

man  daran,  wo  er  gelb  ist,  so  kommt  sogleich  so 
heller  Sonueuschein,  dass  aller  niedergefallene 
Schnee  schmilzt  nnd  angenehmer  Wolgeruch  em- 
porsteigt. Schlägt  mau  endlich  auf  die  rote  Seite,  so 
bricht  Donner  und  Bhtz  mit  fliegenden  Funken  hervor  '). 
Als  Olaf  der  heihge  das  Tempelbild  Thors  zu  Löar  in 
Norwegen  zerstören  und  die  Bonden  „christenen"  will,  for- 
dern die  Verehrer  des  alten  Gottes  den  Christengott  zu 
einem  Wettstreit  mit  T h 6 r r  heraus.  Sie  legen  ihm  auf, 
einen  Tasc  einen  bewölkten  Himmel  ohne  Regen  (at  veSr 
se  skyat  i  morgin  enn  regu  eigi),  den  folgenden  Sonnen- 
schein und  heiteres  Wetter  zu  machen  (at  ä  morgin 
fyrar  middagssöl  läti  haun  vera  heiö  ok  solskin).  Diese 
Dinge  nämlich  verlieh  ihnen  Thörr-).  Thorr  befestigt 
die  leuchtenden  Gestirne  am  Himmel.  So  wirft  er 
Örvandils  Zehe  an  den  Himmel,  wo  sie  als  glänzender  Stern 
strahlt^).  Thiassis  Augen  wirft  er  als  Sterne  an  das  Fir- 
mament. 

Ich  tötete  Thiassi 

Den  übermütigen  Thursen. 

Auf  warf  ich  die  Augen 

Des  Sohnes  Olvalds 

An  den  heitei-n  Himmel. 

Da  wurden  meiner  Werke 

Gröfste  Wahrzeichen 

Allen  Menschen  sichtbar  seitdem  ''). 
Wie  in  den  Veden  die  Sonne  das  Auge  der  Welt,  das 
Auge  Varunas,  das  Auge  Varunas  und  Mitras, 
des  Sonnengottes  heifst,  wird  auch  bei  den  Germanen  die 
Sonne  als  Auge  aufgefasst.  Wenn  Thörr  die  leuchten- 
den Gestirnaugen  Thiassis  am  Himmel  befestigt,    so 


1)  Thorsteins  Bäarmagnssaga  k.  3.  10.    Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  414.  424. 

2)  Heimskringla  Olafs  Helgass.  c.  118. 

3)  Skäldskaparm.    k.   7.     Sn.  E.  I,   278.     vgl.  Zs.  f.  D.  Myth.   II,   322. 

4)  HarbarSsljog  19.  Xach  der  kl.  schwed.  Eeimchi-onik  trug  Thors  Bild 
7  Sterne  und  den  Karlswagen  in  der  Hand.  Aehnliches  erzählen  Er.  Olaus 
und  Olaus  Magnus.  Eine  übereinstimmende  Malerei  in  der  alten  Upsalakirche 
lässt  diesen  Bericht  nicht  als  ganz  unächt  erscheinen.  S.  F.  Magnussen,  Nor- 
disk  archaeologie  S.  135. 


m 

wird  er  auch  zur  Sonne  in  einem  ähnlichen  Verhältnis  ge- 
standen haben,  wie  hier  zu  den  Sternen.  Sichere  Be- 
weise wird  der  geneigte  Leser  in  dem  !'olgenden  Aufsatz 
über  Holda  §.  5  finden.  Dass  Thörr  die  Schatten  der 
Nacht  vertreibt,  ist  unten  unter  ßß.  nachgewiesen^). 

u)  Mit  dem  Gewitter  ist  oftmals  Sturm  verbunden. 
Indra  nimmt  daher  häufig  den  Wind  zu  Hilfe,  um  die 
Dämonen  der  Finsternis  zu  vertreiben.  Er  ist  der  Her- 
scher der  Maruts  d.  i.  der  Winde.  Auch  tritt  er  in 
enger  Verbindung  mit  dem  Windgott  Väyu  auf.  „Indra 
und  Väyu,  diese  Opferspenden  sind  euch  bereitet,  kommt 
mit  Speisen,  der  Trank  erwartet  euch.  Väyu  und  Indra, 
seht  die  Spenden  bereitet,  kommt  in  Eile  herbei,  beim 
Opfer  verweilend^)."  Väyu  heifst  Indrasärati,  Indra  zum 
Kampfgenossen  habend. 

uu)  Von  Thörr  bemerkt  Adam  von  Bremen  ausdrück- 
lich, dass  er  auch  den  Wind  beherrsche  (ventos  guber- 
nat).  Seinen  Gegnern  sendet  er  Sturm  und  Untergang 
auf  dem  Meere").  Die  Friesen  kennen  ihn  unter  dem  Na- 
men Uald  (der  Alte)  oder  Pitje  von  Skotland  als  Erre- 
o-er  der  Nordweststürme,  wodurch  Sand-  und  Wasser- 
fluten,  Schifi"-  und  Uferbrttche  bewirkt  werden'').  Als  Her- 
scher der  den  Maruts  entsprechenden  Geister  haben  wir 
ihn  bereits  unter  dd.  besprochen,  unter  //.  werden  wir 
diesen  Zug  noch  fester  begründen  und  beweisen. 

v)  Schon  mehrfach  ist  bemerkt,  dass  Indra,  den  Schofs 
der  Wolke  spaltend,  den  Regen  auf  die  Erde  herabströ- 
men lässt.  „Indra  befiehlt  den  Wolken,  den  Regen  vom 
Himmel  zu  ergiefsen^)."  „Da  du  den  verschlossenen  un- 
vertilgbaren  nährenden  Regen  hierhin  und  dorthin  vom 
Himmel  austeiltest,  nach  jeder  Himmelsrichtung  hin,  o  tö- 


1)  Der  lettische  Gewittergott  Perkun  teilt  die  oben  dargestellte  Eigen- 
schaft mit  Thunar  und  Indra:  die  Sonne  heifst  seine  Tochter,  oder  sein 
Auge.  S.  Jordan,  Litauische  Volkslieder  und  Sagen.  Berlin  1844.  S.  71. 
7.3  und  Sommer,   Jahrb.  f.  wissenschaftl.  Kritik  1844.   S.  475  fgg. 

2)  Rigv.  Rosen  II,  2,   1.  2. 

3)  Lex.  Myth.  92G.     Petersen,  Nordisk  mythologi  286. 

4)  Zeitschr"  f.  D.  Myth.  II,  313. 

5)  Rigv.  Rosen  LIV,  7. 


144 

tencler  Held,  da  du  im  Kampfe  aufjauchzend  mit  lebendi- 
ger Kraft  den  Vritra  erschlugst,  da  hast  du  der  Wasser 
Fülle  ergossen')."  „Den  Lauf  der  Wasser  zurückhaltend 
stand  der  Nebel,  um  Vritras  Weichen  die  Wolke,  diese  vom 
Umhüller  zurückgehaltenen  Ströme  hat  Indra  der  Reihe 
nach  aufgestellt  und  in  die  Tiefe  entsandt^)." 

vv)  Auch  von  Thunar  ist  diese  Vorstellung  nachge- 
wiesen''). Es  genügt  hier  daran  zu  erinnern,  dass  Adam 
von  Bremen  ihm  auch  das  gubernium  über  die  imbres 
zuschreibt  (ventos  imbresque  gubernat).  Dala  Gudbrandr 
antwortet  zu  Löar  auf  die  Aufforderung,  die  Verehrung 
Thors  aufzugeben  und  sich  christenen  zu  lassen,  die  Chri- 
sten verehrten  einen  Gott,  den  Niemand  sehe,  sie  (die  Hei- 
den) aber  den,  welcher  täglich  sichtbar  werde,  und  von 
ihm  komme  es,  dass  an  dem  Tage  nasses  Wetter  sei 
(at  veSr  er  vatt)*).  Martin  berichtet,  dass  die  Einwoh- 
ner auf  Boreira  einen  5'  hohen  Stein  in  Kreuz  es  form 
aufrichteten,  wenn  sie  Regen  haben  wollten.  Sie  nannten 
diesen  Stein  watercross  ^). 

w)  Die  aus  den  Wolken  niederrinnenden  Regengewäs- 
ser werden  der  Ursprung  der  irdischen  Quellen  und  ver- 
einigen sich,  von  den  Bergen  niederfliefsend,  später  zu  star- 
ken Strömen.  Indem  Indra  dem  Regen  den  Weg  öffnet, 
gräbt  er  zugleich  den  Flüssen  Bahn  und  giebt  ihnen  Schwung. 
„Indra  du  giebst  den  Flüssen  Schwung,  dass  sie  gegen 
das  Meer  wie  Streitwagen  rollen.  Durch  deine  Hilfe  stark, 
haben  sie  einen  unerschöpflichen  Lauf,  sowie  die  Kühe,  die 
Manu  reichliche  Milch  geben,  ja  dem  Menschengeschlecht 
reichliche  Milch  ^)."  „Zu  Indras  Ruhm  häufen  die  Wogen 
sich  an  und  erweitern  (ihr  Bett).  Man  weifs,  dass  sie  ge- 
gen seine  Feinde  furchtbare  Heldinnen  sind"^)."    Die  Flüsse 


1)  Ibid.  LYI,  5. 

2)  Ibid.  LIY,    10. 

3)  Yergl.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,   297. 

4)  Heimskringla   Olafs  Helgass  c.  118. 

5)  Martin  description  of  Western  Island?  p.  59. 

6)  Rigv.  Langl.  II,   1,   9,   5. 

7)  Ibid.  V,  3,   15,  3. 


145 

sprechen:  „Die  Milch  der  Himmelskühe  hat  unsere 
Flut  vergröfsert  und  wir  strömen  insgesammt  in  das 
Becken,  das  uns  der  Gott  (Indra)  bereitet  hat^)."  An- 
dere Vedenstellen,  welche  sagen,  dass  Indra  das  Bett  der 
Flüsse  gegraben  habe,  bedienen  sich  dabei  des  Wortes 
aradat  (cf.  lat.  rädere,  rodere),  desselben  Wortes,  welches 
nacliKuhn  dem  poln.radlo,  der  Pflug,  zu  Grunde  liegen  soll, 
ww)  Dass  auch  Thorr  das  Zusammenströmen  der  Was- 
ser zu  Quellen  begünstigte,  zeigt  das  häufige  Vorkommen 
von  Donnerquellen,  Th  örsbrunnen  ^).  Wie  in  der 
zuletzt  augeführten  Vedenstelle  das  Flusswasser  noch 
immer  als  himmlische  Milch  aufgefasst  wird,  geschieht 
dasselbe  in  den  oben  S.  27  erläuterten  deutschen  und  nor- 
dischen Gebräuchen.  —  Markgraf  Hans  in  der  uckermär- 
kischen  Sage^)  tritt  ganz  wie  Thunar  auf  (s.  oben  S.  61). 
Von  ihm  erzählt  man:  „In  der  Neumark  hat  Markgraf 
Hans  einen  grofsen  Acker  gehabt.  Auf  dem  befand  sich 
ein  Quell,  der  keinen  Abfluss  hatte  und  das  ganze  Land 
versumpfte.  Das  ward  dem  Markgrafen  endlich  lästig. 
Darum  spannte  er  zwei  schwarze  Stiere  vor  seinen 
Pflug  und  zog  damit  eine  grofse  Wasserfahre  bis 
in  die  Gegend  von  Niederkränig  und  Nipperwiese,  wo  er 
mit  Pfluor  und  Stieren  über  den  dortis^en  Eisbusch 
durch  die  Luft  fortfuhr  und  verschwand.  Die  so  ent- 
standene Wasserfahre  ist  das  kleine  Flüsschen  Röhrike, 
welches,  da  die  Stiere  des  Markgrafen  trockenen  Boden 
suchend  unruhig  kreuz  und  quer  liefen,  noch  heute  in 
unaufhörHchem  Zickzack  läuft.  Auf  ähnliche  Weise  stellt 
der  Teufel   den  Teufelsgraben   bei   Rapperdorf  in  Nie- 


1)  Ibid.  III,  2,  4,  4.  Auch  die  Griechen  bewahrten  die  Vorstellung 
der  irdischen  Flüsse  als  Abkömmlinge  der  himmlischen  Wolkenrinder,  We- 
nigstens glaube  ich  entschieden  darauf  die  Tatsache  zurückführen  zu  müssen, 
dass  sowol  die  Schlangenbildung  wie  die  Stierbildung  eine  gewöhnliche 
bei  den  Flüssen,  ja  selbst  bei  Poseidon  und  Okeanos  war,  so  dass  sie  bald 
ganz  als  Einder  bald  nur  stiergchörut  dargestellt  werden.  S.  Preller,  Griech. 
Myth.  I,  340.  Den  Indern  heifst  die  Gangä  bei  ihrem  Ursprung  am  Ilimä- 
laya  Gömukhi  kuhmäulig.     Pott,   Zeitsehr.  f.  vergl.  Sprachf.  VI,  48. 

2)  Die  Nachweisungen  s.  Zeitsehr.  f.  D.  Myth.  II,  324;  III,  120. 
3J  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  33  fgg. 

10 


1 46   _ 

derschlesien  her').     Der  Teufel  pflügt  auch  in  der  Nähe 
von  Hekelghem  das  Flüsschen  Dender  aus^). 

x)  Indra  durchwatet  die  himmlischen  Gewässer  und 
macht  daher  auch  seinen  Verehrern  die  Flüsse  durchwat- 
bar, „Sich  selbst  als  König  bewährend,  hat  er  dem  Tiir- 
viti,  seinem  Verehrer  den  Lohn  erteilend,  da  er  in  den 
Wogen    versunken  war,    eine  Furt  bereitet  (^-'g^- 


1)  Grimm,  Deutsche  Sagen  I.  S.  438.  No.  338. 

2)  Kuhn,  Noi-dd.  Sagen  p.  473.  Die  Entstehung  von  Flüssen  oder  Quel- 
len -wird  in  einigen  Sagen  darauf  zurückgeführt,  dass  eine  Frau  ihr  Was- 
ser gelassen  habe.  So  liegt  in  der  Niederung  bei  Danzig  das  Städtchen 
Neuteich  au  dem  viel  gekrümmten,  zuletzt  in  eine  grade  Linie  enden- 
den Lauf  des  Flüsschens  Schwente  (d.  i.  der  heilige  Fluss  von  swiety 
heilig.  Dieses  Flüsschen  entstand,  als  der  Teufel  einmal  seine  Grofs- 
rautter  im  Zoni  an  der  Nase  herumzog.  Anfangs  sträubte  sich  die  Alte  und 
wich  bald  hier,  bald  dort  zur  Seite  aus.  Doch  mit  der  Zeit  bekam  sie  der 
Teufel  ganz  in  seine  Gewalt  vmd  zerrte  sie  in  grader  Linie  weiter.  Aus  Angst 
liefs  sie  ihr  Wasser  und  es  entstand  der  Fluss.  Auf  der  Höhe  bei  Dan/.ig 
liegt  der  Ort  Heiligenbrunn  mit  einem  der  Sage  nach  einst  für  heilkräf- 
tig erachteten  Quell,  der  besonders  Blinden  das  Augenlicht  wiedergab.  Von 
diesem  Born  sagt  der  Danziger  Philipp  Clüver  in  seiner  berühmten  Germania 
antiqua  1603  p.  251:  Est  hodieque  in  patria  mihi  terra  diiobus  circiter  pa^- 
suum  raillibus  a  Godania  urbe  cum  amoenissimo  luco  fons  vulgo  accolis 
,, he  11  ige  Born"  id  est  sacer  fons  dictus.  Cui  id  cognominis  ex  nulla  alia 
re  haerere  puto,  quam  ex  antiqua  superstitione,  alicui  deorum  dicata.  Hodic 
locus  est  cum  villa  justa  sita  aestivis  oppidanoi-um  exspationibus  celeberri- 
mus.  Die  älteste  Erwähnung  dieses  Ortes  finde  ich  1483.  In  diesem  Jahre 
Jidi  16  gingen  ,,die  Güter  Langcnfurt  und  Heiligen  Brunn  aus  dem  Be- 
sitz Philipp  Bischoffs  an  Philipp  König,  Burggi'afen  und  Bürgenneister  von 
Danzig  über,  der  sie  bis  1530  besafs  (Archiv.  Gedanens.  Biblioth.  A.  I.  B. 
No.  30  p.  29).  Ein  alter  Kaufinann  erzählte  mir  von  diesem  längst  versieg- 
ten heiligen  Brunnen,  er  sei  entstanden,  als  die  ersten  Pilger  zum  Calvarien- 
berg  nach  Neustadt  zogen.  Da  sei  die  Mutter  Gottes  mitgepilgert.  Au  ei- 
nem Ort,  wo  man  Mittags  East  hielt,  verrichtete  sie  im  Gebüsch  ihre  Not 
dürft  und  sogleich  entsprang  der  heilkräftige  Born,  Der  Sage  nach  erlosch 
die  Wunderkraft  des  Briumens,  als  1734  Russen  und  Polen  bei  der  Belage- 
rung Danzigs  ihre  Pferde  daraus  tränkten.  Ich  wage  nicht  zu  entscheiden, 
ob  diese  Sagen  deutsch  oder  slavisch  sind.  Der  Zug  mit  dem  Wasserlassen 
erinnert  an  die  vonWoeste,  Volksüberlieferungen  S.  61  No.  59  von  St.  Mag- 
dalene  beigebrachte,  sonst  von  St.  Margarete  gebräuchliche  Redensart,  und  er 
ist  jedenfalls  ob  slavisch  oder  deutsch  auf  die  aus  der  Wolke  regnende  Was- 
serfrau zu  beziehen.  Man  vergl.  was  wir  oben  S.  36  über  Indra  als  min- 
gens  gesagt  haben.  Da  Kuhn  bereits  nachgewiesen  hat  (Zeitschr.  f.  D.  Myth. 
III,  385),  dass  die  goldenen  Schlüssel  der  weifsen  Frauen  der  Blitz  sind, 
so  stellt  sich  zu  der  häufig  vorkommenden  Mythe,  dass  Indra  die  sieben 
Ströme  fliefsen  macht,  d.h.  die  in  den  7  Wintermonaten  eingefrorenen  Wol- 
kengewässer niedeiTegnen  lässt,  als  identisch  die  Sage  bei  Baader,  Bad,  Sag. 
71,  80,  dass  der  Brunnen  zu  Vörenbach  entsprang,  als  eine  heilige  Märtyrer- 
Jungfrau  7  goldene  Schlüssel  auf  die  Erde  warf. 


147 

Kosen  LXI,  11).  „Du  (Indra)  hast  für  Sudäsa  die  Wogen 
eines  Flusses  durchwatbar  gemacht"  (Iligv.  Langl.  V,  2, 
17,  5).  Nach  den  Scholien  ist  dieser  Fluss  Parushni,  die 
Wolke  (Langl.  Rigv.  III,  230,  25).  Nach  einer  andern 
Legende  wurde  Vipvamitra,  Priester  des  Königs  Sudäsa, 
von  diesem  zu  seinem  Vater  Pijavana  mit  unzähligen  Ge- 
schenken gesendet.  Beim  Zusammenfluss  der  Vipäsä  und 
der  Sutudri  wurde  er  aufgehalten.  Da  opferte  er  Indra, 
um  die  Macht  zu  erhalten  ans  andere  Ufer  setzen  zu  kön- 
nen.    Indra  machte  ihm  eine  Furt. 

xx)  Thunar,  der  mit  seinem  Blitz  die  Wolke  durch- 
zuckte, ward  als  die  himmlischen  Gewässer  durchwa- 
tend dargestellt.  Wahrscheinlich  führte  er  davon  den  Bei- 
namen altn,  Vaöi,  alts.  Wado,  ahd.  Wato  und  daher  ent- 
stand als  Hypostase  Thunars  die  Gestalt  eines  in  der  ger- 
manischen Heldensage  hochberühmten  Heros.  Ueber  die- 
sen Mythus  habe  ich  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  296-328 
ausführlich  gehandelt.  In  ganz  Schweden  enthielt  man  sich 
am  Donnerstag -(Helga  ]7Ör)  abend  des  Schwimraens '), 
wahrscheinlich  deshalb,  weil  die  Heiden,  durch  des  Gottes 
Hilfe  sich  sicher  glaubend,  diesen  Tag  vorzugsweise  für 
diese  Leibesübung  geeignet  gehalten  hatten. 

y)  Indras  Fahrt  durch  die  Gewässer  des  Himmels  wird 
auch  als  Schiffahrt  dargestellt.  „O  Indra  und  Varuna, 
wann  ihr  euer  Schiff  besteigt  um  das  Meer  zu  befahren, 
wenn  ihr  über  die  Spitze  der  Wogen  schreitet,  bewegt  ihr 
euch  auf  dem  Vorderteil  hin  und  her,  in  Glanz  strahlend^)." 
Nach  einer  anderen  Stelle  besteigt  Indra  mit  den  Maruts 
das  herrliche  Schiff,  das  Ayu  gemacht  hat''). 

yy)  Auch  Thörr  besafs  ein  Schiflf.  Ueber  dasselbe 
sind  die  nötigen  Zeugnisse  zusammengestellt  Zeitschr.  f.  D. 
Myth.  II,  313  fgg.  Das  Schiff,  welches  Indra  mit  den  Ma- 
ruts besteigt,  erinnert  an  das  Schiff,  in  welchem  das  wilde 
Heer  fährt  0- 

1)  Lex.  Myth.  952. 

2)  Rigv.  Langl.  V,  6,   8,  0. 

3)  Ibid.  Vm,  5,   11,   9. 

4)  S.  oben  S.  90. 

10* 


148 

z)  Die  dunkele,  finstere  Wolke  verbirgt  in  ihrem  Schofs 
sowol  den  befruchtenden  Regen,  als  die  goldenen  Sonnen- 
strahlen. Das  Gold  der  Sonne  und  die  Wolkenkühe 
wurden  als  ein  reicher  Schatz  gefasst,  welcher  von  den 
Panis,  die  unsern  Zwergen,  insofern  sie  büse  Dämonen  sind, 
entsprechen,  oder  vom  Drachen  Ahi  im  Berg  d.  i.  der 
Wolke  gefangen  gehalten  wird.  Indem  Indra  den  Berg 
spaltet  d.  i.  Vritra  tötet,  erwirbt  er  den  Schatz:  „Als  du 
den  Berg  spaltetest,  hat  dir  Saramä  (die  aufspürende  Göt- 
terhüudin)  zuvor  den  Schatz  gezeigt^)."  «Du  hast  der 
Wasser  fr  auen  Schlupfwinkel  zerbrochen,  im  Berge 
hast  du  des  Hassers  Schatz  erhalten,  da  du  mit  Kraft  Vritra 
tötetest,  o  Indra,  den  Ruchlosen.  Da  hast  du  auch  so- 
gleich die  Sonne  wieder  am  Himmel  heraufgeführt,  damit 
sie  gesehen  werde  ^).'*  Aus  diesem  Grunde  wird  Indra  als 
ein  Gott  der  Reichtümer  verehrt.  Unzählige  Hymnen  ru 
fen  ihn  an,  seinen  Dienern  Gold  und  Schätze  zu  spenden. 
„Komm  zu  uns  mit  Kühen,  Gold  und  Ueberfluss^)."  „Du 
bist,  o  Indra,  speisereich,  stierreich  bist  du,  viel- 
opfriger;  du,  o  Gott,  bist  Goldes  reich*)."  „Der  99  Städte 
mit  seiner  Arme  Gewalt  zerstört,  ein  Vritratöter  die  Schlang 
erschlug;  dieser  Indra,  ein  segnender  Freund,  melk  uns 
wie  eine  strotzende  Kuh,  rossrinder-  und  gerstereiches 
Gut  ^).  „Reichtümer  erflehend  sind  dir  die  Weisen  ge- 
naht ,  o  Sieger,  Loblieder  suchen  dich  wie  liebende  Gattin- 
nen den  liebenden  Gatten,  o  Starker.  In  deiner  Hand  geht 
ja  der  Reichtum  nicht  aus,  noch  vermindert  er  sich  ^)." 
Indra  heifst  „der  Schätze  Hortgebieter "  (Vasöli  va- 
supati)'},  „Reichtumswächter"®)  und  „vieler  wünschenswer- 
ten Schätze  Herr^)."    Er  herrscht  zugleich  über  die  Men- 

1)  Rig.  Langl.  III,  5,   12,   8. 

2)  Eigv.  Rosen  LI,  4. 

3)  Rigv.  Langl.  V,  3,   12,  3. 

4)  Sämav.  Benf.  II,   1,   2,   2,   3. 

5)  Sämav.  Benf.  II,   6,  8,  4,  3. 

6)  mgv.  Rosen  LXH,   11.   12. 

7)  Ibid.  IX,   9. 

8)  Ibid.  IV,  10. 

9)  Ibid.   V,  2. 


149 

sehen  und  Schätze ').  Dem  König  Sudasa  schenkt  Indra 
den  Schatz,  den  zuvor  der  Asure  Anhu  besessen^).  Auch 
als  Gebieter  der  Wolkenkühe  ist  Indra  reich:  „Wenn,  In- 
dra, ich  wie  du  es  bist,  alleiniger  Herr  des  Reichtums  war, 
stierreich  sollt'  mein  Lobsänger  sein  ^)." 

zz)  Das  Vorhandensein  derselben  Mythe  bei  den  Ger 
manen  lehrt  der  weitverbreitete  Glaube,  dass  Schätze  vom 
Drachen   gehütet  werden.     So   liegt  Fafnir  auf  dem  Ni- 
belungengold.    Hat  es  damit  seine  Richtigkeit,  dass  Fafnir 
dem  indischen  Wolkendrachen  gleich  und  die  in  der  Nibe- 
lungeusage  geraubte  Jungfrau  die  von  Ahi  gefangene  Was- 
serfrau ist,  so  muss  auch  der  Schatz  das  Sonnengold  sein, 
wie  bereits  Kuhn   ausgesprochen   hat  * ).     Als  Schatzhüter 
erscheint  der  Drache   sehr  häufig.     Von  Sigemund,    Sigu- 
frits  Vater,  heilst  es  im  Beowulf: 
—  —  —  Sigmunden  entsprang 
Nach  dem  Todtage  Ruhm  nicht  wenig. 
Da  der  Kampf  harte  den  Wurm  fällte, 
Den  Horthüter  (hordes  hyrde).     Unter   grauem 

Felsen 
Der  Edilingssohn  einsam  wagte 
Die  kühne  Tat,  nicht  war  Fitela  bei  ihm. 
Doch  glückte  es  ihm,  dass  das  Schwert  durchdrang 
Den  wunderbaren  W  urm,  so  dass  im  Wall  es  feststand 
Das  herrliche  Eisen  und  der  Drache  starb. 
Da  hatte  der  Kummervolle  mit  Kraft  erworben, 
Dass  er  den  Ringhort  brauchen  durfte 
Nach  eigenem  Willen.     Das  Seeboot  lud, 


1)  Ibid.  VII,   9.     Yah  eka<;  carshaninäm  vasünäm  irajyati  Indrah. 

2)  Ibid.  LXIII,   7. 

3)  Sämav.   Benf.  I,   2,    1,   3,   8. 

4)  Zeitschr.  f.  veigl.  Spracht".  III,   451.     Vergl.  noch: 

Grolsmiiclitige  Sunne,  wie  schön  golist  abe 

O  chönut  i  der  au  dis  G  u  1  d  abschabe. 
Kocholz,  Alemannisches  Kinderlicd  und  Killderspiel  I.  S.  192,  340.  Das  Sprich- 
wort: „Morgenstunde  hat  Gold  im  Munde"  hat  erst  später  ethische  Be- 
deutung bekommen.  Es  beruht  auf  mythischer  Naturanschauung.  S.  unten 
unter  Ilolda  §.  5.  Vergl.  auch  die  Formeln  jSIyth.^  703  und  Rigv.  Kosen 
XL VIII,    1;   Komm  zu  uns  mit  dem   Schatze  Morgenröte. 


150 

In  den  Schiffsbauch  trug  die  leuchtenden  Zierden 
Der  Sprosse  Wälses.  Hitze  den  Wurm  zerschmolz'). 
Auch  Beowulf  kämpft  mit  einem  Drachen,  der  in  einer 
Erdhöle  im  Steinberge  haust  ^),  Er  bewachte  daselbst 
(in  Säm  eorSscrsefe)  300  Winter  lang  alte  Schätze  (£er- 
getreona,  horSwynne)  glitzerndes  gewundenes  Gold 
(wunden  gold)  Bauge,  ein  altes  von  Riesen  gefertigtes 
Schwert,  Helme  von  wunderbarer  Schönheit,  Schalen  und 
Kostbarkeiten  aller  Art.  Der  Lindwurm  heifst  davon  Hort- 
hüter, Goldhüter  (hordeweard,  goldweard),  Schatzwächter 
(frsetva  hyrde),  Bergwart  (bearges  weard).  Nach  der  im 
12ten  Jahrhundert  verfassten  Torskfiröingasaga  brütet  der 
Vikiug  Vali  in  Drachengestalt  auf  seinen  Goldschät- 
zen''). Von  Büi  Digri,  der  sich  nach  der  siegreichen 
Schlacht  Hakons  gegen  die  Jömsvikingar  bei  Hjörüugavagr 
an  Händen  und  Füfsen  verstümmelt  mit  zwei  Kisten  voll 
Gold  über  Bord  stürzte  *),  glaubte  man  später,  dass  er  als 
Drache  über  seinem  Goldhort  hockend  auf  dem  Meer- 
grunde gesehen  werde  ").  Ragnarr  Loöbrok  bekämpft  ei- 
nen Drachen,  der  das  Frauengemach  der  schönen  Thora, 
Tochter  Königs  HerröS  von  Ostgotland,  bewacht.  Dieser 
Lindwurm,  sagt  die  Saga  af  Ragnari  Loöbrok  ok  sonum 
hans  ®),  lag  auf  Golde  und  so  wie  er  wuchs,  wuchs  das 
Gold  mit  als  Mitgift  für  den,  der  den  Drachen  erschlagen 
■würde.  Von  solchen  mythischen  Vorstellungen  heifst  das 
Gold  in  der  Skäldenpoesie  Fafnirs  Lager  (Fafnis  baeli), 
Lindwurmbett,Wurmbettsfeuer  (ormbeSseldr), G r af- 
vitnirs  Polster^);  der  Lindwürrae  Erde,  Bett, 
Strafse  (orma  jörg,  rekkia,  gata)  u.  s.  w.   Noch  heute  er- 


1)  Beouiüf  1773  —  1799. 

2)  Beow.  4430  fgg.  se  8e  on  heäpe  hord  beweotede  stänbeorh  steäpne 
stig  under  lag  eldum  uncüS. 

3)  Sagabiblioth.   übers,  von  Lachmanun  I,    75. 

4)  Heimskringla.   Olafs  TrTgg\asonars.   cap.  46. 

5)  Jomsvikingas.  und  Olafs  Tvyggvasonars.  ed.   Skaltholt  I,    185. 

6)  Formaldarsög.  I,   237.   238. 

7)  Grafvitnir  ist  einer  von  den  Drachen,    welche  nach  Grimnismäl  34 
die  'Esche  Yggdrasil!  benagen. 


15t 

zählt  das  dänische  Volk,  dass  im  Saudalsbjaerg,  einem  Hü- 
gel in  der  Landschaft  Vendsyssel  ein  grofser,  erschreck- 
licher Lindwurm  auf  ungeheuren  Schätzen  ruhte. 
Als  ihn  Schatzgräber  störten,  steckte  er  sein  Haupt  zum 
Hügel  heraus  und  sagte:  „Kann  ich  nicht  länger  in  mei- 
ner kleinen  Ei'dkammer  sein,  so  kann  ich  doch  in  meiner 
grofsen  Stein  kammer  weilen"  und  verschwand.  Seitdem 
wohnt  er  nun  im  Gjölbjairg  *).  Ein  goldhütender  Ura- 
ch e  erscheint  auch  in  einer  samländischen  Sage  ^).  Vor 
der  Schatzhöle  auf  dem  Lägernberge  im  Aargau,  in  wel- 
cher eine  weifse  Frau  „das  Heidenweib"  wohnt,  lagern 
2  Drachen^).  War  Thunar,  was  ich  oben  bewiesen  zu 
haben  glaube,  Bekämpfer  des  Wolkendrachen,  so  musste 
er,  wie  Indra,  im  Siege  über  denselben  zugleich  den  Schatz 
erwerben.  Von  einer  Geltung  Thunars  als  Schatzgott  fin- 
den sich  nun  abt^r  gewichtige  Spuren.  Nicht  allein  rücken 
die  Schätze  nur  alle  sieben  Jahre  an  das  Tageslicht"*), 
wie  der  Donnerkeil  (d.  h.  die  sieben  Wintermonate  ist 
der  Schatz  der  Regenwolke  und  des  Sonnengoldes  verbor- 
gen, von  den  Winterdämonen  gefangen),  sondern  man  glaubt 
noch  in  der  Nähe  von  Stralsund,  wenn  Jemand  plötzlich 
reich  wird,  ohne  dass  die  Nachbarn  sich  den  Grund  da- 
von zu  sagen  wissen,  der  Blitz  schlage  ihm  das  Geld 
zum  Schornstein  herein^).  Am  Heiig  Thorsdag 
(Himmelfahrt)  sonnt  nach  norwegischem  Volksglauben  der 
auf  dem  Golde  liegende  Drache  seine  Schätze,  d.  i. 
er  öffnet  den  Zugang  dem  Gotte  des  Gewitters*').  Don- 
nerstagabende hält  man  in  Norwegen  für  die  gecignet- 

1)  Sv.  Grundtvig  Gamle  Danske  minder  i   folkemuudo   1854;   S.  123. 

2)  Kcuseli,  Sagen  des  Samlandes  No.   3. 

3)  Itocholz,  Aargausagen  I,  No.  17G.  S.  251.  Auch  bei  den  lausitzi- 
sclien  Wenden  bewacht  der  Drache  Zniij  oder  l'lon  als  Gekldraclic  peäeiiiy 
smij  die  verborgenen  Scliätzc.  Haupt  und  Schmaler  II,  ICü.  Zeitselir.  f.  D. 
Myth.  III,  111.  Vom  Zu.sannuenhang  dieses  Drachen  mit  den  Gctraidedra- 
ohen  und  Milchdrachen  der  Deutschen  und  Slaven  wird  bei  vorkonnncuder 
Gelegenheit  besonders  zu  handeln  sein. 

4)  Myth.2  922. 

5)  Schradcr,  Germanische  Mythologie  135.  „Mündliche  Mitteilung  des 
Dichteis  Lappe." 

6)  Lex.  myth.   955. 


152 

ste  Zeit  zur  Schatzgräber  ei').  Um  die  Thunar  hei- 
lige Märzzeit  sonnen  sich  auch  in  Deutschland  die  Schätze'^). 
Der  Schatz  wettert  sich,  wenn  Feuer  darauf  brennt  ^). 
Sprühen  Feuer  funken  aus  dem  angezündeten  Licht,  so 
bekommt  der,  nach  dem  sie  fliegen,  denselben  Tag  Geld*). 
Die  Ofengabel  soll  man  nach  deutschem  Aberglauben 
nicht  im  Ofen  stecken  lassen,  sonst  können  die  Hexen 
täglich  einen  Ortstaler  aus  dem  Hause  holen  ^).  Brennt 
das  Licht  Abends  Rosen,  so  kommt  des  Tages  Geld 
ins  Haus*^).  FastnachtHirse  gegessen,  quillt  das  Geld'). 
Zu  Lauter  bei  Suhl  fand  ein  Mädchen  einen  Topf  voll 
schwarzer  Rosskäfer.  Als  sie  einige  davon  nach  Hause 
brachte,  waren  es  lauter  Petersbatzen  geworden.  Diese  Pe- 
tersbatzen, Curtriersche  Münzen  im  Wert  von  5  Xr.,  erin- 
nern umsomehr  an  den  oft  in  St.  Petrus  versteckten  Thu- 
nar, als  sie  auch  Peter  manne  hen  und  Wolken  b  atzen 
heifsen  ^).  Auf  Thunar,  den  Ehe-  und  Regengott,  geht 
auch  wol  der  Aberglaube  zurück,  wenns  am  Hochzeits- 
tage regnet,  werden  die  Leute  reich  ^).  Gründon- 
nerstags soll  man  etwas  Grünes  essen,  dann  geht  einem 
das  Geld  nie  aus'").     Genau   mit  meinen  Beobachtungen 

1)  Wille,  Beskrivelse  over  Slllejords  proestegjeld  p.  46  —  251.  Norsk 
topographisk  Journal  II,  49.  76.  VIII,  7.  XVI,  9.  Wille,  Beskrivelse  over 
Spydebergs  prajstegjeld  I,   418. 

2)  Panzer,  Beitrag  I,  263,  122.  I,  100,  119.  vgl.  Wolf,  Beiträge  I,  72. 
Die  Bretonen  glauben,  dass  im  Augenblick  wo  am  Palmsontag  das  Evange- 
lium gelesen  wird,  die  bösen  Geister  alle  Schätze  aufdecken  und  ausbreiten, 
welche  sie  verwahren.  Doch  suchen  sie  sie  unter  der  Gestalt  von  Blättern,  Stei- 
nen, Kohlen  u.  s.  w.  den  Augen  der  Menschen  zu  entziehen.  De  Nore  my- 
thes  coutumes  etc.  221. 

3)  Myth.2   923.  vgl.  Myth.»    CXVII,   14. 

4)  Myth.'    LXXXIII,   413. 

5)  Myth.'   LXXVII,   246. 

6)  Mvth.'    LXXVII,   252. 

7)  Myth.'  LXXVI,  225  (Uockenphilos.).  Myth.'  XCV,  682.  Panzer, 
Beitrag  I,  257,  20.  Auf  die  Fastnacht  iviirde  vorzugsweise  Thunar- 
glaube  übertragen.  Der  Hirsebrei  steht  dem  Haferbrei,  Thors  Speise,  gleich. 
Auch  Thors  Heringsspeise  bringt  Geld.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  408,  145. 
Vergl.  HarbarJSsl.   3. 

8)  Bechstein,  Sagenschatz  des  Thüringer  Landes  III,  168.  Der  Ross- 
käfer, dessen  Berührung  mit  den  in  deni;Wolken  weilenden  Mären  wir  weiter- 
hin besprechen  werden,  heifst  Torbagge,  Thors  Widder  nach  Russwunn, 
oder  Mullochse,  Erdochse.  Afzelius,  Sagohäd.  I,  12.  13.  Vgl.  o.  S.  28  Anm.  1. 

9)  Wolf,  Beiträge  I,   211,   91. 
10)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  HI,   175, 


153 

stimmen  Kulms  Nachweisungen  überein  ').  In  unsern  Sa- 
gen erscheint  nämlich  ein  unendlicher  Hort  von  einem 
Drachen  oder  einer  weifsen  Frau  im  Berge  gehütet. 
Letztere  nimmt  sehr  häufig  die  Gestalt  eines  Drachen 
oder  einer  Schlange  an^}.  Den  Zugang  zu  dieser  B er g- 
höle  öflEhet  eine  blaue  oder  rote  Wunderblume.  Ein 
Jüngling  findet  diese  und  steckt  sie  auf  seinen  Hut.  Nun 
tut  sich  plötzlich  vor  ihm  der  Berg  auf  und  der  Schatz 
schimmert  ihm  entgegen.  Hat  er  in  der  Hole  seine  Ta- 
schen gefüllt  und  vom  Anblick  der  Kostbarkeiten  benom- 
men, seinen  Hut  mit  der  Blume  abgelegt,  so  erschallt  dem 
Weggehenden  die  warnende  Stimme:  „Vergiss  das  Beste 
nicht."  Aber  es  ist  zu  spät,  er  liefs  die  Wunderblume 
hinter  sich,  die  Tür  prallt  dröhnend  zu  und  schlägt  ihm 
beim  Heraustreten  noch  ein  Stück  von  der  Ferse  ab. 
Kuhn  beweist,  dass  in  den  Veden  die  Vorstellung  der 
Wolke  als  Berg  oder  Burg  gewöhnlich  ist,  in  welcher 
die  Wasserfrau  verwünscht  sitzt  und  dass  unsere  Sage 
denselben  Gedanken  enthält.  Der  vom  Berg  umschlossene 
Schatz  ist  das  Sonnengold,  der  Drache  Ahi,  Agi, 
Eke ;  die  Jungfrau  die  geraubte  Wasserfrau.  Der  den  Berg 
üfinende  Jüngling,  der  in  unsern  Sagen  meist  als  Hirte 
erscheint,  ist  der  Wolkenhirte,  der  Donnergott,  bei  uns 
Thunar,  in  den  Veden  Indra  ^).  Die  blaue  oder  rote 
Blume,  die  als  Schlüssel  zum  Berge  dient,  ist  der  Blitz. 
In  den  Veden  wird  Vritra,  der  die  Wolke  umhüllende  Dä- 
mon selbst  als  Berg,  ein  andermal  wie  die  Wasserfrau 
als  Rind  dargestellt;  daher  dürfen  wir  uns  nicht  wundern, 
wenn  umgekehrt  in  deutschen  Sagen  ganz  analog  die  Was- 
serfrau im  Zustande  der  Verzauberung  (als  Dasapatni,  Gat- 
tin des  Feindes)  die  Form  eines  Rindes  oder  die  Dra- 
chengestalt annimmt,  die  eigentHch  ihrem  Bedränger  zu- 


1)  Ebendas.  III,  383. 

2)  Myth.2   921.     Vergl.  den  Frauemiamen  Pauglind  =  Ringsclilange. 

3)  Gaväin  gopati  s.  o.  S.  3  Nach  späterer  Uebcrliefcrung  verwandelte 
sich  Indra  einmal  in  einen  Hirten,  um  aus  einem  Garten  für  seine  seliöne 
Gemahlin  Indräni   Granatapfelblüten  zu  stehlen.    Moore,  Ilindu-Pantlieon  2G3. 


154 

kommt.  —  Wir  haben  schon  an  einem  andern  Orte  dar- 
gelegt, dass  St.  Christoph  an  Thunars  Stelle  getreten  ist'). 
Nach  Baader  zeigt  eine  weifse  Frau  zwei  Männern,  die 
dreiviertel  Jahre  das  Chris  toffelgebet  beteten,  einen 
grofsen  Schatz,  den  sie  in  einer  Gründonnerstags- 
uacht  heben  '-). 

a)  Indra  kämpft  im  Osten  mit  den  Dämonen '').  Da- 
her heifst  er  in  der  Epenzeit  als  Herrscher  der  den  Welt- 
gegenden vorgesetzten  8  Welthüter  Herr  des  Ostens  und 
regiert  diese  Himmelsgegend. 

aa)  Thörr  bekämpft  die  Riesen  im  Osten.  So  fährt 
er  auf  der  Fahrt  nach  UtgarÖr  östHch  über  den  Ocean. 
Bragi  beginnt  seine  Erzählung  über  den  Tod  Hrünguirs 
mit  den  Worten:  „]?örr  var  farinn  i  Austrvega  at  berja  tröU," 
d-  i.  Thörr  befand  sich  auf  die  Fahrt  in  den  Osten,  die 
Riesen  zu  schlagen.  Ebenso  heifst  es  im  HarbarSs  lioS  1 : 
„Thörr  för  i  Austrvegi;"  und  in  der  Einleitung  zur  Oegis- 
drecka  „hann  (Thörr)  var  i  Austrvegi."  Ebenso  häutig 
wird  Thors  Ostfahrt  in  der  Snorraedda  genannt. 

ß)  Indra  bekriegt,  wie  wir  schon  oben  gezeigt  haben, 
Vritra  und  Ahi.  Vritra  heifst  der  Umhüll  er.  Ein- 
hüller, weil  er  die  Wolkenkühe  oder  die  Wasser- 
frauen, Sonne  und  Mond  einschliefst.  Häufig  wird 
Vritra  selbst  als  Berg  dargestellt:  „Vor  Vritra,  der  ei- 
nes Berges  Gestalt  führte,  erlahmte  nicht  des  tod- 
drohenden Indra  mordendes  Goldgeschoss  ^).''  „Du  hast,  o 
Vajraträger  Indra  den  b er g ähnlichen,  grofsen,  unge- 
heuren Vritra  mit  deinem  Hammer  in  die  Seiten  getrof- 
fen, ergossen  hast  du  die  gehemmten  Wasser,  dass  sie  da- 
hinflössen''0."     „Er  tötete  Ahi   den  Bergnahen,  Tvash- 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,   320.  III,   118. 

2)  Baader,  Badische  Sagen  68.  No.  78.  Vergl.  die  Chrcschtoffelsböjcl- 
cLer,  Wolf,  Beiträge  I,   99. 

3)  Rig-v.   Langl.  IV,   6,   11,   5. 

4)  Im  Uebrigen  heifst  der  südwestliche  Teil  des  Himmels,  von  woher  die 
meisten  Gewitter  kommen,  Thorshäla  (Thors  Hole  oder  Ofen),  in  Holstein 
Donuergät  Donnerstrafse. 

5)  Rigv.  Rosen  LVII,  2. 

6)  Ibid.  LVII,  6. 


155 

tri  hat  ihm  das  ruhniwürdige  Geschoss  bereitet ').«  Aus 
dem  angegebenen  Grunde  sind  in  den  Veden  alle  diejeni- 
gen Worte,  welche  Stein,  Fels,  Berg  bedeuten  als: 
npman,  adri,  giri,  götra  zugleich  Bezeichnungen  der  Wolke'-). 
Der  Drache  Ahi  heifst  auch  Ahirbudhnyah,  Schlange  des 
Felsens.  Wir  sahen  oben,  dass  Indra  Blitz  gegen  Blitz 
mit  Vritra  kämpft  und  dieser  gegen  den  Gott  ein  flammen- 
des Geschoss  schleudert.  Aber  Indra  spaltet  ihm  das 
Haupt, 

Vritra  oder  Ahi  wird  auch  Vala  oder  Bala,  was  wie- 
derum Eiuhüller  bedeutet,  genannt.  Oft  treten  statt  des 
einen  Vritra  mehrere  Vritras  oder  Ahis  auf.  An  Stelle 
Vritras,  Ahis  oder  Valas  erscheinen  in  vielen  Stellen  an- 
dere Dämonen,  entweder  einzelne  Persönlichkeiten,  wie  Na- 
muci,  Pipru,  Dhuni,  Cumuri,  Cambara,  Qushna, 
Eauhina,  oder  ganze  Heere  wie  die  Druhyus,  die  Pipä- 
cas,  die  Räkshasas,  die  Panis.  Zusammengefasst  werden 
alle  Dämonen  unter  dem  Namen  der  Daityas  oder  Däna- 
vas.  Alle  diese  Gestalten  sind  nichts  anders  als  Spaltun- 
gen einer  und  derselben  Idee  und  nur  verschieden  je  nach 
der  Seite  lichtfeindlicher  Verrichtungen,  welche  sie  beson- 
ders repräsentieren.  Sie  schliefsen  nämlich  entweder  die 
Wolke  ein,  so  dass  die  Himmelskühe  ihre  Milch,  den  Re- 
gen, nicht  spenden,  oder  die  Sonnenstrahlen  (ebenfalls  Him- 
melskühe) nicht  zur  Erde  scheinen  können.  In  dieser  Ver- 
lichtung  heifsen  die  Dämonen  Vritras  oder  Valas,  die  Ein- 
hüller. Diese  Dämonen,  sagt  die  Mythe,  haben  die  Kühe 
oder  die  Frauen  geraubt  und  halten  sie  in  einer  Berg- 
höle  oder  im  Stall  gefesselt.  Indra  öffnet  den  Stall  der 
himmlischen  Tiere  und  befreit  sie.  „Den  strahlenden  Kü- 
hen hast  du  die  Türen  gespalten,  die  Burgen;  losge- 
lassen hast  du  die  Stiere  aus  der  Herde,  von  den  Angi- 
rasen  begleitet^)."  „Du  hast  die  Grotte  des  Vala  des 
Rinderreichen   aufgetan,   zu   dir   eilten  von  Furcht  be- 


1)  Ibid.  XXXII,   2.     Aban  Ahiui  parvate  ^;i9ri3'änaip. 

2)  Benfev,  Säiiiavcda^lussar  S.  8  sub  adri,  S.  61  s.  gotra. 
3J  Rigv.'lV,   6,  Ü,   16. 


156 

freit  die  Götter  in  Bedrängnis  hin  ')."  „Mit  dir  vereint^ 
ja  fürwahr  entgegnen  wir,  o  Stier,  dem  Schnaufenden  ein 
Wort  im  Kampf,  dem  kuhbegabten  Mann"  (Vritra;  ^). 
Der  Dämon  wird  in  diesen  Stellen  geradezu  als  Besitzer 
der  Kühe  bezeichnet,  welche  er  geraubt  hat.  Von  diesen 
ist  zu  der  oben  gegebenen  Beschreibung  noch  nachzuholen, 
dass  sie  goldgehörnt  sind.  „Ihr  Kühe  nahet  euch  dem 
Brunnen,  Erd  und  Himmel  erfreun  das  Werk,  vergoldet 
beide  Hörner  sind^)."  „Befreit  hat  er  (Indra)  die  v(äi 
dem  in  der  Hole  liegenden  (Vritra)  zurückgehaltenen 
(Frauen)"*)."  Insofern  der  Dämon  die  Wasser  lange  ge- 
fangen hält  heifst  er  auch  Namuci  „der  nicht  Lösende," 
„nicht  Loslassende."  Wenn  die  Wolken  regenlos  am  Him- 
mel stehn,  trocknet  der  Sonnenbrand  die  Erde  aus,  die 
Pflanzen  verwelken.  Daher  führt  der  Dämon  den  Namen 
Qushna  „der  Austrockner."  Von  der  Farbe  der  dunkeln 
Wolke  heifst  er  Qambara  der  Schwarzgraue,  oder  Ki-ishna 
der  Schwarze. 

Eine  andere  Verrichtung  der  Dämonen  ist  es,  die  Schat- 
ten der  Nacht  und  die  Nebel  heraufzuführen,  die  die  Sonne 
und  das  Licht  von  der  Erde  entfernen.  „Lass  verschwin- 
den o  Indra  ihn,  der  mit  Dunkel  Himmel  und  Erde  be- 
deckt^ die  beiden  grofsen  Gefährten  deiner  Wanderung  ^)." 
Diese  Tätigkeit  üben  vorzüglich  die  rotköpfigen  Pi^äcas 
(Fleischesser?)  und  die  Druhyus  (die  Trügenden).  Erstere 
sind  Geister,  welche  sich  von  den  Leichen  gestorbener 
Menschen  nähren.  Ihre  Beziehung  zum  himmlischen  Schatz 
des  Regens  oder  des  Sonnengoldes  spricht  sich  darin  aus, 
dass  die  epische  Mythe  sie  zu  Dienern  des  Eeichtumsgot- 
tes  Kuvera  machte.  Die  Druhyus  sind  ähnliche  Wesen, 
identisch  mit  den  westarischen  Drukhs,  die  den  Lebenden 
den  Tod  bringen  oder  sich  auf  den  Leichnam  verstorbener 


1)  Sämav.  Benfey  II,  5,   1,  21. 

2)  Ibid.  I,  5,   1,  2,  5. 

3)  Ibid.   I,   2,   1,   3,   3. 

4)  Rigv.  Rosen  XXXIII,   12. 

5)  Rigv.  Langl.  V,  8,  2,   17. 


157 

Menschen  werfen.  Ferner  gehören  hieher  die  Räkshasas. 
Während  die  Druhyus  zwergartige  Wesen  sind,  sind  die 
Räkshasen  Giganten,  meist  schwarz  von  Farbe,  welche  die 
himmlischen  Schätze  (in  der  Epenzeit  Knveras  Reichtum) 
verwahren  und  in  fortwährendem  Kampfe  darum  mit  In- 
dra  liejren.  Sie  sind  Menschenfresser  und  im  höchsten 
Grade  verderblich,  wie  schon  die  Namen  einzelner  Klassen 
zeigen,  welche  man  in  jüngerer  Zeit  unter  ihnen  annahm, 
z.  B.  Asrapas  (die  Bluttrinker),  Kravyädas  (die  [Menschen-] 
fleischesser),  Rätricaras  (die  Nachtwandler)  u.  s.  w.  Im 
Mahabhärata  erzählt  eine  schöne  Episode,  wie  Kunti  auf 
der  Flucht  mit  ihren  Söhnen,  den  Pändavas,  im  Walde 
schläft : 

Während  jene  daselbst  schhefen  stand  Hidimba  der  Riese 

dort 
Nicht  weit  von  ihrer   Ruhstätte,   an   einen  Baumstamm 

angelehnt. 
Wie   ein  Gewölk   im  Herbst  finster,   braun  von   Augen 

der  Grässliche. 
Weit   die   Zähne   hervorstechend,    fleischgierig   und  vor 

Hunger  krank. 
Lang  die  Hüften,  den  Leib  auch  lang,  rot  der  Bart  und 

die  Haare  rot, 
Grofs  von  Rücken  und  Hai«,  Schultern,  rochenohrig  der 

Schreckliche. 
Der  nahm  recht  nach  Wunsch  jene,  Pändus  Söhne,  die 

Helden  wahr, 
Der  misgestaltet,  braunäugig,  grässlich,  abscheulich  an- 

zusehn. 
Lüstern  nach  Fleisch   und  sehr  hungrig,  nahm   er  jene 

nach  Wunsch  gewahr. 
Seine  Finger  emporstreckend,  zausend,  juckend  sein  bor- 
stig Haar; 
Gähnend  den  langen  Mund  öffnend,  schauend  einmal  und 

abermal; 
Nach  Fleisch   der  Menschen   sehr  lüstern,   grofsgliedrig 

der  Mächtige, 


158 

Einem  dichten  Gewölk  ähnlich,  spitzzahnig,  rot  von  An- 
gesicht. 

Als  Menscheufleisch  nun  roch  dieser,  sprach  er 

also  die  Schwester  an: 

„Endlich  bietet   sich   dar  heute  Lieblingsspeise  so  lang 

entbehrt ! 

Vor  Gier  träuft  mir  der  Mund  wahrhaft,  die  Zunge  backt 

am  Gaumen  mir. 

Ha,   wie  will  ich  die  acht  Zähne,   die  spitzen,   die  ge- 
fastet lang, 

In  die  Leiber  nun  eintauchen,  recht  eingraben  ins  frische 

Fleisch ! 

Bald  werd  ich  Menschenfleisch  schlucken,  und  aufschlitzen 

die  Adern  bald, 

Ganz  warm  werd  ich  das  Blut  schlürfen,  in  vollem  Mafs, 

das  schäumende. 

Gehe  schleunigst  zu  spähn,  Schwester!  wer  sie  sind,  die 

dort  schlafend  ruhn. 

Stark  wirkt  Menschengeruch  wahrhaft,  er  quiekt 

weidlich  die  Nase  mir. 

Töte  die  Menschen  dort  sämmtlich,  setze  mir  ihre  Lei- 
ber vor. 

Die  in  uuserm  Gebiet  schlafen,  jene  wirst  du  doch  fürch- 
ten nicht.  — 

Wenn  ihr  Fleisch  wir  zerstückt  haben,  die  Menschen  so 

nach  Herzenslust; 

Werden   beide   wir    froh   zehren;    schleunigst  vollbringe 

drum  mein  Wort. 

Wenn   das  Fleisch   wir  verzehrt  haben,   uns  nach  Gier 

gelabt ; 

Lus tig  werden  wir  dann  tanzen,  denTakt  schla- 
gend gar  mannigfach." 
Des  Räkshasafürsten  Schwester  Hidimbä  geht  den  Be- 
fehl auszurichten  und  trifft  den  schönen  Pändava  Bhima 
bei  seiner  schlafenden  Mutter  und  den  Brüdern  Wache 
stehn.  Von  Liebe  zu  ihm  ergriffen,  naht  sie  sich  ihm 
in  Gestalt  einer  schönen  Jungfrau  und  bemüht  sich 


159 

ihn  zu  retten,  und  erbietet  sich,  ihn  sammt  den  Seini- 
gen auf  dem  Rücken  durch  die  Luft  davon  zu 
tragen: 

Doch  weil  ich  dich  gesehn  habe,  GöttersprössHngen  gleich 

an  Glanz, 
Kann  ich  andern  mir  nicht  wünschen  als  Gatten,  Wahr- 
heit künd'  ich   dir. 
Solches    wissend,    o    Rechtsamer,    denke    auf  baldigen 

Verein. 
Leib  und  Seele  mir  zwang  Sehnsucht,   mir  die  huldiget 

huldige. 
Retten  werd'  ich  dich  Machtvoller  vor  dem  Riesen,  der 

Menschen  frisst. 
Auf  Höh'n   werden  wir  froh  wohnen;    sei  mein  Gatte, 

o  Treflflicher. 
Ich   diirchwandre   der  Luft  Räume;    wo   mich's 

gelüstet  zieh'  ich  hin. 
Unaussprechliche  Lust  koste,   hier   und  dorten   mit  mir 

vereint. 
Bhima  will  seine  Lieben  nicht  aus  dem  Schlummer 
wecken  und  erwartet  den  Rakshasa  zum  Kampfe.  Der 
Sieg  schwankt  noch  unentschieden,  als  Arjuua,  Bhimas 
Bruder,  vom  Getöse  erweckt,  hinzukommt  und  demselben 
die  Aufforderung  zuruft,  die  schreckliche  Stunde  der  Abend- 
dämmerung nicht  nahen  zu  lassen,  ohne  den  Rakshasa  ge- 
tötet zu  haben: 

Bevor    gänzlich    der    Tag    schwindet    und    die 
Dämmrung  des  Abends  kehrt, 
In  der  Stunde  des  Grauns,  wisse  sind  die  Rie- 
sen erstaunlich  stark'). 
Eile  denn,  nicht  gespielt,  Bhima,  erschlage  ihn  den  Schreck- 
lichen ! 
Eh'    er   durch    Zauber   dich   täuschet,   wende  die 
Kraft  der  Arme  an. 


l)  Diese  Wesensseite  der  Räksliasen  als  Dämonen  des  Nachtschattens 
spricht  sich  ii.  a.  deutlich  in  einem  Hymnus  des  Rigveda  (Rosen  XXXV,  10) 
au  den  Sonnengott  Savitar  aus,  der  auch  aufgefordert  wird  sie  zu  bekam- 


160 

Hidimba  fallt  und  wird  von  Bhima  erwürgt,  sein  Leich- 
nam mitten  entzwei  gebrochen.  Mit  der  schönen  Hidimba 
ziehen  Kunti  und  ihre  Söhne  erfreut  ihres  Weges  weiter  ^). 
Die  Räkshasas  können  jede  beliebige  Gestalt  annehmen, 
sie  lieben  vorzüglich  Tiergestalt.  Ein  Lied,  in  welchem 
Indra  und  Söma  um  Vernichtung  der  Räkshasen  gebeten 
werden,  heifst:  „Die  da  Nachts  wie  eine  Eule  hervor- 
kommt, durch  Zauber  ihre  Gestalt  verbergend,  in  den  bo- 
denlosen Abgrund  hinab  stürze  sie."  „Das  Eulengespenst, 
das  Kauz  gespeust,  schlage  das  Hunde  gespenst  und  W  o  If- 
gespenst,  das  Hahnen  gespenst  und  Geiergespenst  quäle, 
zermalme  die  Geisterwelt,  leuchtender  Indra." —  Die  Rak- 
shasen  heifsen  schlau.  „Tötet  (o  Indra  und  Söma)  die  bö- 
sen Räkshasas,  die  Schlauen"  (hatam  druhö  rakshasö 
bhangurävatah).  Ihnen  wird  ferner  das  Beiwort  ghö- 
racakshas  „mit  furchtbarem  Blicke"  gegeben*^). 

Eine  dritte  Verrichtung  der  Dämonen  ist  es,  die  Him- 
melskühe (Wolken  und  Sonnenstrahlen)  und  Wasser- 
frauen während  des  Winters  zu  fesseln.  Indra  erkämpft 
ihnen  im  Frühling  die  Freiheit  wieder.  „Welche  Väter 
den  Schatz  der  Kühe  heraustrieben  durch  das  Opfer  spal- 
teten sie  beim  Jahres  Umlauf  den  Vala."  Man  stellte 
sich  vor,  dass  die  Dämonen  im  Herbst  eine  Burg  errich- 
ten und  in  dieser  die  7  Wintermonate  hindurch  die 
Wasser  einschlössen.  Statt  der  einen  Burg  werden,  ent- 
sprechend den  7  Wintermonaten,  auch  7  Burgen  genannt, 
häufig  mit  Uebertreibung  noch  mehrere.  „Besiegt  hast  du 
die  lärmenden,  kriegerischen  Scharen,  deren  7  im  Herbst 
errichteteBurgendu  glückhaft  zerstört  hast,  o  Indra  *). " 
„Für  Purukutsa  hast  du   die   7  Burgen  des  Herbstes 


pfen:  „Komme  zu  uns  mit  deiner  Goldhand  Wiederbeleber,  herrlicher  Erhei- 
terer, Reicher.  Da  ist  er  der  Gott  die  Räkshasen  und  bösen  Geister  bändi- 
gend,  der  in  jeder  Nacht  von  uns  angerufen  wird." 

1)  Siehe  Bopp,    Ardschuua's  Reise    zu  Indras  Himmel.     Berlin  1824  S. 
15-  27. 

2)  Vgl.  Kuhn,  Zeitschr.   f.  vergl.  Sprachf.  I,   196. 

3)  Rigv.  VIT,   2,   1. 

4)  Rig^^  Langl.  II,  4,  9,  2. 


^161 

verstört ')."  ,sT)er  Gott,  dessen  Arm  der  Blitz  bewaffnet, 
trifft  den  berüchtigten  Kavaca  und  den  grofsen  Druhyu 
in  der  Mitte  der  Wasser.  —  Alsbald  hat  Indra  alle  ihre 
Befestisfunffen  zerbrochen  und  mit  seiner  Macht 
ihre  7  Burgen  zerstört.  —  Die  Söhne  des  Anu  und 
die  Druhyus,  die  sich  nach  den  Kühen  hatten  ge- 
lüsten lassen,  kamen  um  trotz  ihrer  Macht  und  Stärke 
in  der  Zahl  von  12066^)."  j^Der  furchtbare  Indra  hat  aus 
der  beweglichen  Wolke  die  Wasser,  wie  einen  Strom  her- 
vorgelockt, erschüttert  hat  er  die  festenBurgen  despushna'^)." 
„Du  hast  die  Wolke  den  Angirasen  geöffnet  und  dem  Atri 
den  Zugang  zu  dem  mit  100  Toren  versehenen  Orte  ge- 
wiesen*)." „Als  du  o  Indra  den  pushna,  Pipru,  Kuyava 
und  Vritra  getötet,  erbrachst  du  die  Burgen  des  Qam- 
bara^)."  „Du  dessen  Hand  den  Blitz  trägt,  du  hast  deine 
Kraft  entfaltet  als  du  die  90  Burgen  zerstörend  Vritra  und 
Namuci  den  Tod  gabst '^)."  In  noch  anderen  Hymnen  wer- 
den 99  zerstörte  Burgen  aufgeführt '').  Indra  heifst  von 
dieser  Tat  Purandara  der  Burgenzerstörer.  Den  7 
oder  99  Burgen,  die  Vritra  errichtet,  entsprechen  ebenso- 
viel Flüsse,  die  Indra  im  Frühling  zur  Erde  strömen 
lässt. 

Während  die  Räkshasen  ein  Riesengeschlecht  sind, 
treten  die  Panis  mehr  zwerghaft  auf.  Ihr  Name  bedeutet 
„Kaufleute,  Viehhändler"  weil  sie  die  Kühe  geraubt  ha- 
ben. Sie  heifsen  die  Diener  des  Vala  oder  Vritra,  in  des- 
sen Hole  oder  Burg  sie  die  Kühe  führen.  „Brihaspatis  des 
Indrapriesters  Kühe  waren  von  Asuren,  Panis  genannt,  den 
Kriegern  des  Bala  geraubt  und  in  einer  Hole  verborgen. 
Auf  Brihaspatis  Gebet   schickte  Indra,  um  die  Kühe  auf- 


1)  Rigv.  Langl.  IV,  6,  4,  10.  Die  7  Burgen  des  Herbstes  oder  Win- 
ters sind,  wie  Kuhn  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  380  beweist,  eine  Erinnerung 
an  die  7  Wintermonate  der  altarischen  Ursitze  nördlich  vom  Himälayn. 

2)  Ibid.  V,  2,   17,   12.  13.   14. 

3)  Rigv.  Rosen  LI,   11. 

4)  Ibid.  LI,  3. 

5)  Ibid.  cm,  8. 

6)  Rigv.  Langl.  V,   2,    18,   5. 

7)  Rigv.  Rosen  LIV,  G. 

11 


162 

zusuchen,  die  Götterhüudin  Sararaä  ab.  Als  diese  nach 
Ueberschreitung  eines  (reifsenden)  Stroms  zur  Burg 
des  Bala  gekommen  war,  sah  sie  in  einem  Versteck  die 
Kühe  verborgen."  „Es  wird  erzählt,  die  Kühe  seien  einst 
von  den  Panis  aus  dem  Götterhimmel  geraubt  und  im  Ne- 
bel verborgen,  Indra  aber  habe  sie  mit  den  Maruts  zurück- 
gebracht ')." 

Zur  Charakteristik  der  Dämonen  ist  noch  anzuführen, 
dass  sie  gefräfsig  heilsen  ^).  Besonders  die  Eäkshasen 
führen  das  Beiwort  die  Esser,  die  Gefräfsigen  ^).  Als 
Räuber  des  Schatzes  heifsen  sie  reich  ^).  Sie  leuchten 
von  Gold  und  Edelgesteiu  ^).  Sie  werden  als  schlau  ge- 
schildert. Die  Art  und  Weise  der  Tötung  der  Dämonen 
wird  verschieden  ausgemalt.  Während  in  vielen  Liedern 
der  Kampf  zwischen  Indra  und  Vritra  als  sehr  lebhaft  ge- 
schildert wird,  heifst  es  in  andern,  dass  der  Gott  den  Dä- 
mon im  Schofs  der  Wasser  schlafend  findet  und  so  er- 
schlägt. „Indra,  im  Schofse  der  grofsen  Wogen  schlief 
der  Dämon,  der  die  Wasser  zurückhielt,  du  hast  ihn  ge- 
tötet, und  (die  Gefangenen)  befreit '^)."  „Als  Indra,  der  das 
Leben  aller  Wesen  ist,  den  in  der  Wolke  eingeschla- 
fenen  Ahi  tötete,  der  ihn  beleidigt  hatte,  beugte  der  Him- 
mel selbst  sich  zweimal  in  Furcht  vor  Indra  unter  dem 
Schlag  seines  Donnerkeils  ').•'  „Diese  herrliche  Tat  hast 
du,  o  Indra,  vollführt,  dass  du  den  schlafenden  Ahi 
mit  dem  Vajra  wecktest,  da  haben  dich  den  Erfreuten  (der 
Götter)  Gattinnen  (die  Devapatnis)  und  die  Schreitenden 
(Maruts)  und  alle  Götter  erheitert®}." 

Vritra  schleudert  gegen  Indra  sein  W^urfgeschoss, 
Indra  wirft  ihm  den  Vajra  entgegegen.    Bei  der  Begeg- 


1)  Die  obigen  Stellen  aus  Vedenscholiasten  entnehme  ich  Rosen  Rig^-eda 
annotat.  ad.   hymn.  VT,   5. 

2)  Roth  und  Böthling  s.  v.  v.  atra,   atri,  atrin. 

3)  Rigv.   Rosen  XXI,   5. 

4)  Ibid.  XXXIII,   4. 

5)  Ibid    XXXIII,   8. 

6)  Rig\-.  Langl.  V,   8,   2,    16. 

7)  Ibid.  VI,   6,    1,   9. 

8)  Rigv.   Rosen  CHI,   7. 


niing  bricht  Vritras  Waffe  entzwei*).  Er  kämpft 
nun  noch  mit  Blitz,  Donner  und  Regen  gegen  Indra 
an^),  aber  dieser  durchhaut  ihm  den  Nacken  und 
zerbricht  ihm  die  Schultern.  „Indra  des  zitternden  Vri- 
tra  Nacken  hast  du  im  Zorn  ihn  angreifend  durchhauen 
und  die  Wasser  fliefsen  lassen^)."  Sehr  lebendig  beschreibt 
der  Hymnus  Ivigv.  Rosen  XXXII  den  Vorgang: 

1 )  Ich  will  des  Indra  Siege  singen  nun, 
Die  er  getan,  der  Blitzesschleuderer. 

Den  Ahi  schlug  er,  spendete  dann  die  Wasser; 
Entzwei  gespalten  hat  er  der  Berge  Brüste. 

2)  Er  schlug  den  im  Gebirge  wandelnden  Ahi; 
Gefertigt  hat  den  leuchtenden  Keil  ihm  Tvashtri, 
Gleich  Kühen  brüllend  eilten  strömend  dahin, 
Schäumend  zum  Meere  gingen  die  flielsenden  Wasser. 

3)  Des  Sömas  gelüstet  ihm,  der  stiergleich  schreitet. 
Aus  dreifach  geteilter  Schale  vom  Bereiteten  trinkt  er; 
Er  griff  den  Pfeil,  den  Donnerkeil,  Maghavän 
Traf  ihn  der  Abis  Erstgeborenen. 

4)  Als  Indra  du  getroffen  der  Abis  Erstgeborenen, 
Vernichtetest     du    alsbald    der    Trügenden 

Trug, 
Erzeugtest  Sonne,  Himmel  und  Morgenröte, 
Dann  fandest  nirgends  ringsum  du  einen  Feind  mehr. 

5)  Es  schlug  der  Einhüller  einhüllendsten  ")  Indra, 
Die  Schultern  brachen  vom  Keile,  der  mäch- 
tigen Waffe, 

Baumstämmen  gleich,  gebrochen  von  dem  Beile 
Lag  Ahi  da,  die  Erde  nahe  rührend. 

6 )  Kampflos  rief  übelberauscht  den  grofsen  Held  er 
Herbei  den  weithintreffenden  Feindessieger 

Der  Waffenbegegnung  Kampfplatz  nicht  durchritt  er, 
Entzweigebrochen  zerschellte  der  Indrafeind. 


1)  Ibid.  LXXX,   12,   13. 

2)  Ibid.  XXXII,   1.^. 

3)  Ibid.  LXXX,  5. 

4)  Vritram  vritrntaraip. 

11* 


164 

7)  Kämpfen  mit  Indra  wollt'  er  hände-  und  füfse- 

baar 
Der  schleudert  auf  sein  Haupt  den  Donnerkeil  ihm, 
Des    Mannes    Ansehn    heuchelnd,    der   Ver- 

schnittne, 
Lag  Vritra  da,  der  mannigfach  Zerschellte. 

8)  Frei  stiegen  herzerfreuende  Wasser, 

Wie    durch    das    Flussbett,    über    ihn    den    Ge- 

spaltnen, 
Die  umschlungen  Vritra  mit  Macht 
Zu  deren  Füfsen  lag  er  nun  nieder,  Ahi. 

9)  Es  lag  darnieder  die  Vritraerzeugerin, 
Es  nahm  die  Waffe  hinweg  ihr  Indra. 
Die  Mutter  oben,  unten  lag  der  Sohn  da, 
Wie  mit  dem  Kalb  die  Kuh;  so  ruhte  Dänus. 

10)  Den  Körper  in  der  Wasser  Mitte  gestellt, 
Der  nicht  verweilenden  nicht  fliefsenden. 

Den    Vritraleichnam    überströmen    die 

Wasser, 
Lang  machte  Finsternis  lasten  den  Indrafeind. 

11)  Beherrscht  vom  Feind,  gezügelt  von  Vritra 

Die  Wasser    standen    gehemmt,    wie    von   Pani    die 

Kühe, 
Die  Kluft,  die  zugeschlossene  der  Wasser, 
Die  öffnete  er,  nachdem  er  Vritra  getötet. 

12)  Da  wärest  Indra  du  ein  Pferdeschwanz 
Als  dich  im  Schiefsen  traf  der  eine  Gott 
Ersiegtest  Kühe  und,  o  Held,  den  Söma; 

Zum  Wandern  sandtest  du  die  sieben  Flüsse. 

13)  Nicht  Blitz  hat  ihm  genützt,  nicht  auch  der 

Donner 
Und  Regen,  den  er  machte,  und  Gekrache, 
Als  miteinander  kämpften,  Indra  und  Ahi, 
Auch  über  die  andern  siegte  Maffhavän. 
Der  Zug,  dass  Indra   dem  Dämon   das  Haupt   spal- 
tet, kehrt  öfter  wieder.     „Auch  die  Hiramelsfeste  zitterte 


165 

vor  Furcht  bei  Ahis  Geschrei,  als  dein  Geschoss,  Indra, 
des  Himmel  und  Erde  mit  Tod  bedrohenden  Vritra  Haupt 
mit  Eifer  spaltete  ^)."  „Vritra  will  die  Welt  erschüttern, 
Indra  spaltet  ihm  das  Haupt  mit  dem  schrecklichen  hun- 
dertzackigen Vajra^)."  „Schon  Kraft  der  Geburt  den  Se- 
gen beherrschend,  schlugst  du  die  Feinde,  o  Maghavän, 
mit  dem  Strahl  aufblitzend;  da  schleudertest  du  das  Haupt 
des  Sclaven  Namuci  den  Weg  des  Heiles  für  den  Mann 
begehrend  ^)."  Andere  Dämonen  tötet  Indra  mit  dem  Fufse. 
„Zerschmettere  mit  dem  Fufse  —  du  bist  grofs  —  die 
ruchlosen  Panis,  denn  gegen  dich  kommt  keiner  an'')." 
„Den  Qambara  hast  du  getötet  und  den  grofsen  Arbuda  mit 
dem  Fufse  angegriffen,  täglich  bist  du  auf  den  Tod  der 
Feinde  bedacht^)."  Nach  einigen  Stellen  verbrennt  In- 
dra die  Dämonen  und  namentlich  von  den  Panis  heifst  es, 
dass  die  Angirasen  sie  in  ihrer  Hole  ausgebrannt  hätten. 
Mitunter  tötet  Indra  die  Dämonen  nicht,  sondern  fesselt 
sie  nur  oder  schläfert  sie  ein.  „Wie  ein  Berggipfel  strahlt 
im  Kampfe  hervor  seine  tötende  Kühnheit  mit  der  er  der 
Starke  unter  den  Starken,  der  Eiserne  den  betrugvollen 
Qushnain  derFessel  (dem  Stricke)  verweilen  machte "). " 
Häufig  wird  der  Zauber  hervorgehoben,  welchen  die  Dä- 
monen Indra  entgegensetzen,  ehe  sein  Werk  gelingt.  Es 
heifst  daher  wiederholt,  dass  der  Gott  den  Trug  der 
Trügenden  zerstörte.  „Indra,  Donnerer,  Blitzschleude- 
rer,  unwiderstehlich  war  deine  Kraft,  als  du  das  zauber- 
volle Wild  (Vritra  der  Bocksgestalt  angenommen)  mit  dei- 
nem Zauber  niederschlugst,  leuchtend  im  eigenen  Reiche ').'*■ 
Wie  Vritra  hier  Bocksgestalt  annimmt,  gleich  Indra,  dem 
himmlischen  Widder,  zieht  Indra,  um  den  Regen  der  Wolke 
zu  ergiefsen,  die  Gestalt  der  Wasser  fr  au  an,    „Du  wur- 


1)  Rigv.  Rosen  LH,    10. 

2)  Rigv.  Langl.   V,   8,   2.  6. 
■6)  Rigv.  IV,    1,   27,   2. 

4)  Sämav.  Benfey  II,  6,   l,  3.     VI,  4,   8,  2. 

5)  Rigv.  Rosen  LI,   6. 

6)  Ibid.  LVI,  3. 

7)  Sämav.  Benfey  I,   5,   1,   3,  4. 


166 

dest  Menä  des  Vrishanacva  Tochter  und  verrich- 
tetest herrliche  Taten')."  Menä  ist  gewöhnlich  ein 
Appellativ  in  der  Bedeutung  „Frau."  In  dieser  Bedeu- 
tung kommt  das  Wort  u.  a.  Rigv.  Rosen  CXXI,  2  vor, 
wo  es  heilst:  „Indra  blickt  auf  das  von  ihm  ausgegangene 
Dunkel  zurück  und  die  Frau  des  Rosses  (menära  apvasya) 
macbt  er  zur  Mutter  der  Kuh^)."  Langlois  giebt  wol  nach 
dem  Commentar  von  dieser  Stelle  die  folgende  Erklärung: 
Die  Wolke  (die  himmlische  Kuh)  entsteht  aus  Wasser- 
dampf, der  von  der  Erde  mit  Rossesschnelhgkeit  empor- 
steigt. Indra  umarmt  diesen  Dampf  und  macht  ihn  zu  sei- 
ner Gemahlin,  und  hegt  sie  an  seiner  Brust,  um  die  Erde 
zu  befruchten.  —  Eine  ähnliche  Vorstellung  spricht  die 
Stelle  aus:  „Das  Opfer  gab  dem  Indra  Kraft,  als  er  die 
Erd'  umhüllete,  Wolken  scha£fend  im  Himmelsraum  ^)." 
Um  den  lichten  Tag  wieder  heraufzuführen,  muss  Indra 
selbst  mit  sjrauem  Renjengewölk  den  ganzen  Himmel  erfül- 
len  und  daher  erklärt  sich,  wie  er  (ehe  er  Vritra  schlägt 
und  vernichtet,  die  Klarheit  des  Himmels  wiederherstellt) 
die  Gestalt  einer  Frau,  der  Tochter  des  Vrishanacva  (d.  h. 
des  regnenden,  besamenden  Rosses)  annehmen  kann. 

Die  verschiedenen  Dämonen  zeigen  ihre  ehemalige  Ein- 
heit  noch  durch  fortwährende  Vermischung  ihrer  Namen 
und  Attribute.  So  ist,  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen, 
Qushna  bald  ein  Beiwort  des  Vritra  "*),  bald  eine  selbstän- 
dige Hypostase  dieses  Wesens.  Druh  ist  bald  eine  Be- 
zeichnung des  Pani,  bald  Vritras  oder  ^ushnas;  sehr  häufig 
aber  bezeichnet  es  eine  Classe  von  Wesen,  wie  wir  vorhin 
gezeigt  haben. 

Eine  Schlussbemerkung  über  Indras  Feinde  glaube  ich 
am  besten  mit  Kuhns  Worten  geben  zu  können*):  Vritra, 
Ahi,   Qushna   und   andere   Dämonen   sind   nur  verkörperte 


1)  Rigv.  Rosen  LI,    13.     vergl.  Rigv.   Langl.  I,   4,   5,    13. 

2)  Vergl.  Rigv.  Langl.  I,   8,    9,   2. 

3)  Sämav.  Benfey  I,   2,    1,   3,   3. 

4)  z.  B.   Rigv.  Rosen  LXI,    10. 

5)  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,   199. 


167 

Naturerscheinungen,  die  sich  im  Grunde  von  den  Maruts 
und  Rudras,  die  ebenfalls  solche  sind,  nur  durch  die  ethi- 
sche Auffassung  unterscheiden;  denn  Hagel,  Blitz  und  Don- 
ner, Wolkentreiben  und  Sturm  sind  ihr  gemeinschaftliches 
Element.  "Während  in  jenen  die  feindliche  Seite  der  Na- 
tur zur  Erscheinung  kommt,  zeigen  diese  sie  von  der  mil- 
den und  dem  Menschen  segensreichen,  allein  es  fehlt  doch 
nicht  an  zahlreichen  Stellen,  in  denen  auch  diese  als  Ver- 
derben bringend  auftreten,  indem  sie  Männer  und  Herden 
erschlagen  und  Seuche  und  Tod  bringen.  Wir  werden  des- 
halb für  einen  älteren  Zustand  der  religiösen  Anschauung 
ein  mannigfaches  Zusammenfallen  der  einen  mit  den  andern 
annehmen  müssen.  Alle  diese  Wesen,  feindliche  und  freund- 
liche, entstammen  der  gemeinsamen  Ueberzeu- 
gung  von  derFortdauer  der  Seele  nach  dem  Tode 
und  wenn  wir  es  von  den  Maruts,  Rudras,  Ribhus  aus- 
drücklich ausgesprochen  finden,  dass  sie  einst  Sterbliche 
waren  und  durch  ihre  guten  Werke  den  Göttern  als  Hel- 
fer beigegesellt  wurden,  so  liegt  die  einftiche  Schlussfolge- 
rung nahe,  dass  die  Gottlosen  und  Bösen  Genossen  der  den 
Devas  feindlichen  Dämonen  werden.  Sie  werden  daher 
auch  und  zwar  Rakshasas,  Druhyus  u.  s.  w.,  ebensowol  wie 
Maruts  und  Ribhus  als  ein  Volk  oder  eine  Schar  (vi(?, 
gana)  bezeichnet."  Mit  dieser  Ansicht  stimmt  auch  Roths 
Meinung  überein. 

Fassen  wir  das  über  die  Dämonen  Gesagte  noch  ein- 
mal kurz  zusammen,  so  lässt  sich  von  den  concreteren  Zü- 
gen des  Mythus  folgendes  Bild  entwerfen.  Teils  reine  Na- 
turmächte, teils  in  den  Elementen  waltende  Geister  abge- 
schiedener Menschen  hausen  sie,  die  „Gefräfsigen," 
bald  in  Riesen-,  bald  in  Zwerggestalt  „in  der  Mitte  der 
Wogen"  (d,  i.  im  Wolkcngewässer)  jenseits  eines  mäch- 
tigen Stroms,  hinter  den  sie,  wenn  sie  sich  hervorwageu, 
zurückgeworfen  werden').   Ihr  Aufenthaltsort  ist  ein  Berg 


1)  Die  Dämonen    hast    du,    o  Indra,    der  Opfer   beraubt,    hinter  die   00 
si'liifl'baren  Ströme  zuriickgeworl'cn.     Kigv.  Rosen  CXXI,    13. 


•  168 

oder  eine  Berghöle,  wo  sie  Indra  schlafend  findet, 
oder  wach.  Sie  halten  darin  die  Kühe,  die  Götter  fr  au, 
Sonne  und  Mond,  den  Schatz  des  Regen wassers  und 
Sonnengoldes  gefangen.  Im  Winter  bauen  sie  zur  Fesse- 
lung der  Geraubten  eine  f e s t e  Burg  oder  Umzäunung. 
Sie  führen  die  Schatten  der  Nacht  herauf  und  zer- 
fliefsen  beim  ersten  Strahl  der  von  Indra  heraufgeführten 
Sonne.  Trifft  Indra  sie  nicht  im  Schlaf,  so  kämpfen  sie 
mit  ihm  Blitz  gegen  Blitz;  Indras  Waffe  zerschellt 
im  Begegnen  die  ihrige  und  er  zerspaltet  ihnen  das 
Haupt,  oder  durchbohrt  ihren  Nacken,  oder  er  stöfst 
sie  mit  seinem  Fufs  in  das  Blitzfeuer.  Sie  setzen  Indra 
Zauber  entgegen  und  decken  sich  mit  dem  (Wolken-) 
Fels.  Sie  sind  schlau  und  haben  eine  scharfe  Sehe. 
In  ihrer  Begleitung  sind  oft  weibliche  dämonische  Wesen, 
die  sie  im  Kampfe  zu  Hilfe  rufen  ').  Gradeso  findet  Fe- 
redün  Zohaks  Palast  den  er  zerstört  voll  Weiber. 

ßß)  Dass  Thors  Gegner,  der  MiögarSswurm ,  Oegir 
(Ecke,  Eckhart)  und  Loki  den  Feinden  Indras,  Ahi  und 
Vritra  entsprechen,  ist  bereits  vorhin  nachzuweisen  versucht. 
Die  Zusammenstellung  Lokis  und  Vritras  gewinnt  um  so 
gröfsere  Wahrscheinlichkeit,  als  die  kurzvorhin  S.  165  an- 
geführte Stelle  Rigv.  Rosen  LVI,  3  ^ushna  wie  Loki  ge- 
fesselt werden  lässt.  Es  wird  hier  nun  noch  weiter  aus- 
zuführen sein,  dass  auch  die  übrigen  Feinde  Thunars  und 
ihr  Tod  der  indischen  Indramythe  analog  ist.  Thors  vor- 
züglichste Gegner  sind  nächst  dem  Drachen  die  Riesen, 
welche  alle  auf  eine  Grundgestalt  zurückführen.  Sie  er- 
scheinen bald  als  Schar,  bald  treten  einzelne  unter  ihnen 
hervor.  Appellative  Benennungen  der  Riesen  sind  Jötnar 
und  Thursar,  deren  Verkleinerer,  Widersacher  (hrödrs  and- 
skoti)  Thörr  heifst  ^).  Ebenso  führt  er  die  Namen  Jötua- 
dölgr  Riesenfeiud,  Jötnaotti  Riesenschreck.  Nach  J.  Grimms 
Ermittelungen  bedeuten  altn.  jötunn,   ags.  eoten,  altengl. 


1)  Rigv.  V,   2,    16,   9. 

2)  Ilymisqu.   11.   13. 


m 

etiu,  alts.  etan  der  Esser,  altnord.  jjurs,  uorweg.  tusse, 
dän.  schwed.  tosse,  ags.  l'jrs,  ahd.  turs,  mhd.  turs,  türse, 
dürse,  dürsch  der  Durstige  oder  der  Trunkene.  Schon 
diese  Namen  sind  zutreffende  Bezeichnungen  des  die  Kühe 
und  das  Wolkengewässer  verschlingenden  Dämons,  der  in 
Indien  genau  ebenso  atrin  der  Esser  beigenannt  ist'). 
Auf  den  einstio;en  Zusammenhang  der  Riesen  mit  dem  Wol- 
kengewässer  weisen  verschiedene  Züge.  Zunächst  entlehn- 
ten die  Finnen  in  früher  Zeit  von  den  Normannen  die  Ge- 
stalt und  den  Namen  der  Thursen,  letzteren  gestalteten  sie 
zu  Tursas  oder  diminut.  Tiirso  um  -).  Da  nun  der  finni- 
sche Tursas  ein  Meer  ungeheuer  ist,  der  die  göttlichen 
Helden  Wainämoineu,  Ilmarinen  und  Lemmiukaineu  in  die 
Wogen  hinabziehen  will,  so  liegt  der  Schluss  nahe,  dass 
auch  der  alt  skandinavische  Thurs  seinen  Wohnsitz  im  Ge- 
wässer gehabt  habe.  Diese  Wahrnehmung  stimmt  nun  genau 
mit  dem  Wesen  der  angelsächsischen  Thyrse  überein,  die 
im  Wasser  hausen  (|7yrs  sceal  on  fenne  gewunjan)  ^).  Ein 
solcher  Thyrs  ist  der  berüchtigte  Grendel  im  Beowulf*). 
Er  Avohnt  im  Meere  eine  Meile  tief  unter  dem  Wasser. 
Unter  Nebel  hüllen  kommt  er  vom  Moore  gegangen  (}'ä 
com  of  more  under  misthle6]Him,  Grendel  gongan  1424 — 27); 
unter  Wolken  wandelt  er  bis  zur  Königshalle  von  Heorot 
(wöd  under  wolcnum  1432).  Zoingemut  eilte  er,  aus  den 
Augen  brach  ihm  flammenähnlich  furchtbares 
Licht  (eöde  yrremöd;  him  of  eagum  stöd,  ligegelicost,  leöht 


I 


1)  S.   die  vielen  von  Benfey  Sämavedagloss.  s.  v.   aufgeführten  Stelleu. 

2)  Castren,  Finnische  Mythologie  übersetzt  von   Schiefner  S.  84.     In  ei- 
ner Rune  bei  Gauander,  Mythologia  Fennica  p.  58   kommt  Meri-Tursas  vor. 

3)  Hicls.es   Gram.  Anglosax.    237.      vgl.  Turner,    llistory    of  the  Anglo- 
saxons  324. 

4)  Vergl.  v.   85 G:    And  nü   wiö  Grendel  sceal, 

wiö  ])ä.m  aghecan 

äua  gchegan  Öing  wib  hyrse. 
Boowulf  findet  in  Grendels  Wohnung  ein  goldgefasstes  siegverleihendes  Schwert, 
das  Rie.sen  gemacht  haben  (cald  sweord  cotenislc  3128  enta  lergeweorc  3363). 
Auf  diesem  Schwert  war  in  Kunenbuchstaben  der  Ursprung  des  alten  Strei- 
tes zwisclien  Göttern  und  Kiesen  (wie  Ettmüller  S.  134,  Anm.  1703  mit  Be- 
ziehung auf  Völuspä  22  richtig  zu  deuten  scheint)  eingegraben.  Dieses  Schwert 
scheint  ein  altes  Erbkleinod  (eaUl  läf)  in  Grendels  Hause,  das  ihm  von  sei- 
nen Voreltern,  jenen  Urriesen,  überkommen  ist. 


170 

iinfeger  1456  —  59).  —  Der  Wohnsitz  der  Jötuar  und 
Thursar  ist  Jötunbeimr.  Dieses  mythische  Laud  Hegt  jen- 
seits eines  grofsen  Wassers.  Auf  der  Fahrt  zu  Utgaröa- 
loki  muss  Thorr  über  ein  tiefes  Meer  setzen  ^).  Aus  Jö- 
tuuheim  zurückkehrend,  watet  Thörr  durch  die  Elivägar 
und  trägt  den  Örvandill  im  Korbe  hinüber  '^).  Auf  der 
Reise  nach  GeirröSsgarSr  muss  Thorr  über  den  reifsen- 
den  Strom  Vimur  setzen.  Ebenso  tritt  in  der  Thorsteins 
Eäarmagnssaga  und  bei  Saxo  ein  reifsender  Strom  als  die 
Grenze  von  Geirröös  Königreich  Jötunbeimr  auf;  das  Ge- 
biet des  Utgarthilocus  bei  Saxo  ist  vom  Ocean  bespült. 
In  den  Elivägar  und  dem  Flusse  Vimur  haben  wir  bereits 
Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  298  das  himmlische  Gewässer 
erkannt.  Die  hinter  demselben  wohnenden  Dämonen  wer- 
den deshalb  auch  ursprünglich  coelestische  Wesen  und  erst 
später  irdisch  localisiert  sein.  Auf  den  ehemaligen  Zusam- 
menhang der  Riesen  mit  der  Wolke  deutet  vielleicht  auch 
die  bornholmische  Benennung  der  Donnerkeile  Trolle- 
kile^),  da  wie  wir  sehen  werden  die  Thursen  auch  den 
Blitz  schwingen,  wenn  nicht  jenes  Wort  die  Bedeutung 
hat  „die  Trolle  verfolgende,  vertreibende  Keile."  Als  alte 
Wolkendämonen  charakterisiert  die  Joten  und  Thursen  nun 
auch  der  Zug,  dass  sie  gerne  Rinder  rauben.  Die  im 
Berge  wohnenden  Hougetusser  des"  heutisren  norwegi- 
sehen  Volksglaubens  ziehen  Rindvieh  häufig  in  ihre  Hole*). 
Nach  BrandkrossaJ'attr  einer  Saga  des  zehnten  Jahrhunderts 
verschwand  einem  Bonden  in  Island,  der  an  der  Vopne- 
bucht  wohnte,  Grimr  mit  Namen  ein  Ochse  mit  gelben 
kreuzweis  gehenden  Streifen  (Brandkrossaottr),  auf  den  er 
grofses  Gewicht  legte.  Später  fand  er  diesen  Ochsen  in 
Norwegen  in  einer  Hole  der  Geitersklippe  bei  einem  Rie- 
sen wieder^).     Aus  diesem  Grunde   sind  nach  den  Edden 


1)  ]?ä  för  hann  üt  yfir  hafit  ]jat  it  diüpa.     Gylfagiiiniug  cap.  45. 

2)  Skäldskaparm.   c.  17.   Su.  E.  I,   276. 

3)  Lex.  Myth.   752. 

4)  Lex.  Myth.   982. 

5)  Sagabibliothek  Lachin.   1,   230. 


171 

schwarze  Ochsen  ')  und  Kühe  der  Riesen  Freude,  ja  diese 
letzteren  werden  genau  mit  der  oben  angeführten  Stelle  des 
Sämaveda  übereinstimmend,  als  goldgehörnt  bezeichnet. 
Noch  in  den  nordischen  Volksmärchen  und  Sagen,  zumal 
in  den  Ueberlieferungen  von  Bahüslän  und  Dalsland  und 
den  angrenzenden  norwegischen  Landschaften  spielen  diese 
Rinderherden  der  Jätten  eine  grofse  Rolle.  Verirrte  Wan- 
derer hören  ihr  Gebrüll  in  den  Bergen,  oder  treffen  sie 
zur  Mitternacht  weidend  unter  den  Felsen.  Manchmal 
wagt  ein  Burscli  oder  ein  Mädchen  einen  Stahl  darauf  zu 
werfen  und  es  g-elinijt  dann  ein  Stück  davon  mit  sich  zu 
führen.  Von  solcher  Beute  soll  das  Riesenvieh  (iättekräk) 
jener  Gegenden  stammen,  das  rotbraun  mit  schwarzen,  ge- 
flammten Flecken  ist  und  deshalb  Brand  vi  eh  heilst^). 
Dass  unter  diesen  schwarzen  Rindern  die  Wolkenrinder  zu 
verstehen  sind,  ergiebt  sich  aus  der  Hymirmythe,  nach  wel- 
cher Thörr  mit  einem  solchen  Stier  (Himinbriotr  d.  i.  Ilim- 
melsbrecher)  die  Miggarösschlange  d.  i.  den  Wolkendra- 
chen Ahi,  Ecke  ködert.  Dieser  ist  es  aber,  der  die  Wol- 
kenkühe verschlang.  Gleich  dem  Rindvieh  rauben  die  Rie- 
sen vorzugsweise  gern  Frauen*).  Dass  aber  hiermit  ur- 
sprünglich wiederum  vorzugsweise  die  himmlischen  Götter- 
frauen gemeint  waren,  dafür  haben  wir  ein  altes  Zeugnis. 
Wir  sahen  schon  o.  S.  78  facsc.  dass  Mären  und  Alfen  teil- 


1)  Hymisqu.    18. 

2)  Thrj'msqu.  23. 

3)  Holmberg,  Nordboii  uuder  hednatideii  I,  Ü7  fgg.  Weiuliold,  Altnord. 
Leben  37.  Dybeck  führt  in  Zeitschr.  Runa  mehrere  Beispiele  an,  woraus  J. 
Grimm  bei  Haupt  IV,   507   einige  ausgehoben  hat. 

4)  Helgaqu.  HjörvarÖssonar  17:  Hati  het  minn  faöir  margar  briVSir 
liann  let  frä  büi  teknar.  Vergl.  Faj'e,  Norske  Sagn  23,  I.  Wie  die  geraubte 
Frau  in  der  indischen  Sage  als  Gemahlin  des  Dämons  (Däsapatni)  erscheint, 
tritt  dieselbe  in  germ.  Ueberliel'crung  oft  als  Frau  oder  Tochter  des  Riesen  auf. 
Eine  solche  ist  u.  a.  die  leuchtende  Jungfrau  Gergr,  die  Tochter  Gymirs.  Da 
Gymir  nach  der  Einleitung  zu  Oegisdreka  ein  Beiname  Oegirs  ist,  so  wird 
dadurch  unsere  Deutung  desselben  als  eines  Wolkendämons  (s.  o.  S.  81  fgg.) 
gefestigt.  Wie  er  rau1)t  auch  Rän  vorzüglich  .Jungfrauen.  Nach  Afzelius 
treibt  sie  dem  heutigen  Volksglauben  zufolge  schnecweifse  Rinderheer- 
den  auf  die  Weide.  Sicht  man  sie,  so  muss  man  Feuer  als  Abbild  der 
Blitzflamme  anschlagen.  Sagohäfder  übers,  von  Üngewitter  H,  317.  (lymir 
goth.  GIUMEIS  hängt  mit  geynui  goth.  GAUMJAN  bewachen  zusammen  und 
bedeutet  wie  geymir Wächter,  Verwahrer  (qui  raptas  aquas  vel  femiuas  ciistoditVJ. 


172 

weise  den  himmlischen  Frauen  entsprechen.  Nun  erzcählt 
die  Hervararsaga '),  dass  StarkaSr  ein  Riese  Alfhilldr  die 
Tochter  König-s  Alfr  von  Alfheira  raubte.  Dass  unter  die- 
ser  Jungfrau  eine  mythische  Persönhchkeit  zu  denken  ist, 
lehrt  die  Bemerkung  des  Verfassers:  „Sie  war  schön,  wie 
kein  anderes  Weib  und  das  ganze  Volk  von  Alfheim  war 
schöner,  als  jedes  andere."  Wörtlich  so  beschreibt  die 
Snorraedda  die  Lichtelbe.  König  Alfr  rief  da  zu  Thörr, 
er  möge  ihm  seine  Tochter  wiederschaffen.  Der  Gott  kam, 
erschlug  Starkaör  und  brachte  Alfhilldr  ihrem  Vater  zu- 
rück. Dasselbe  erzählt  die  Gautrekssaga  '^) ,  und  schon 
der  Skalde  Vetrlidi  aus  dem  zehnten  Jahrhundert  bezeugt 
von  Thors  Taten  redend  „  du  stürztest  StarkaSr  (steypSir 
Starkaöi)."  —  Eine  schwedische  Sage  zeigt  uns  eine  sehr 
deutliche  Uebereinstimmung  der  germanischen  Riesensage 
mit  der  indischen.  Die  3  Töchter  eines  Königs  gehen 
im  Krautgarten  lustwandeln,  kaum  sind  sie  unter  freien 
Himmel  gekommen,  als  sich  eine  Wolke  senkt  und  sie 
fortführt.  Alle  Versuche  sie  wiederzufinden  waren  vergeb- 
lich. Drei  Trolle  (Riesen)  haben  sie  in  ihre  Berg- 
höle  entführt,  wo  sie  sie  7  Jahre  (d.  i.  die  7  Wintermo- 
nate) festhalten.  Ein  Hirtenknabe  hat  von  einem  Alten 
drei  wunderbare  Hunde  Hall  (halt  fest),  Slit  (reifs  zusam- 
men) und  Ly  (horch)  erhalten,  die  sehr  kunstreich  tan- 
zen und  alles  zerreifsen,  was  ihnen  naht.  Mit  Hilfe  der- 
selben erlegt  der  Hirte  die  Riesen  und  befreit  die  Königs- 
töchter^). Der  befreiende  Hirte  ist  offenbar  Thorr,  wie 
wir  weiterhin  dartun  werden,  seine  Hunde  sind  die  Ma- 
ruts,  die  Geister  des  Sturms  oder  wilden  Heers,  welche 
nach  der  indischen  Mythe  Indras  Begleiter  sind.  In  der 
germanischen  Mythologie  wird  der  Wind  nämlich  stets  un- 
ter dem  Symbol  des  Hundes  dargestellt  *).  —  In  mehreren 
Ueberlieferungen,  vorzüglich   Märchen,   ist   der  Raub   der 


1)  Forualdarsög.   I,   412  fgg.  vgl.   543   fgg.      Nach    einer    anderen    Sage 
hat  Starkaör  8  Hände,   die  Thorr  ihm  abhaut. 

2)  Fomaldarsög.  III,   15. 

3)  Afzelius,  Schwed.  Volkssagen,  übers,  von  Oberleitner  S.  234  fgg. 

4)  S.  unten  unter  yy. 


173 

Frauen  lind  Kühe  durch  die  Riesen  vereint.  Der  dumme 
Peter,  der  einen  Hammer  führt,  wird  Hirte  bei  3  Jung- 
frauen, deren  Kuhhirten  stets  durch  Riesen  erschlagen 
waren.  Auch  der  dumme  Peter  sieht  an  3  aufeinander- 
folgenden Tagen  sich  Riesen  gegenüber,  deren  letzter  auf 
der  Weide  durch  eine  Falltür  aus  dem  Boden 
steigt.  Er  erlegt  die  Riesen  mit  seinem  Hammer  und 
findet  unter  der  Falltür  einen  unermesslic  hen  Schatz. 
Er  heiratet  darauf  eine  der  3  Jungfrauen  ').  Im  Wesent- 
lichen hiemit  überein  stimmt  eine  niedersächsische  Erzäh- 
lung ^\  Ein  Kuiihirt  wird  gewarnt  in  einem  Garten  zu 
weiden,  wo  2  Riesen  hausen.  Mit  einem  Stock,  der  Jeden 
im  Augenblick  tötet,  nach  dem  er  damit  winkt, 
erschlägt  er  die  Riesen  und  befreit  so  die  Königstochter, 
die  den  Riesen  als  Opfer  dargebracht  werden  soll.  Der 
Hammer  oder  Stock  (s.  oben  S.  21.  62)  kennzeichnet 
den  Hirten  als  Thunar^),  die  Falltüre  bezeichnet  den 
Zugang  zur  Hole,  in  der  nach  einer  älteren  Form  der 
Sage  die  Frauen  sammt  den  Kühen  verborgen  waren.  Der 
Garten  in  diesen  Märchen  entspricht  der  Umzäunung,  mit 
welcher  Vritra  die  gefangene  Wasserfrau  umhegt.  Dass 
diese  Annahme  richtig  Ist,  geht  aus  den  Varianten  des  Mär- 
chens aus  andern  Teilen  Deutschlands  hervor.  Diese  Va- 
rianten nennen  statt  der  Kühe  meistens  Schafe  oder  Hüh- 
ner. Wir  werden  aber  später  noch  gewahren,  wie  gerade 
diese  Tiere  in  unsern  Ueberlieferungen  häutig  an  die  Stelle 
der  Wolkenkühe  treten.  In  Schwaben  erzählt  man,  dass 
die  Schafe  eines  Edelmanns  sammt  dem  Hirten  jedesmal 
von  3  Riesen  geraubt  und  getötet  werden,  welche  in  einer 
Burg  eine  geraubte  Königstochter  gefangen  hal- 
ten. Mit  Hilfe  einer  Pfeife,  welche  alles  tanzen 
macht,  erlegt  ein  Jüngling,  der  sich  als  neuer  Hirte  bei 


1)  Wolf,  Deutsche  Märchen  und  Sagen  S.  6  fgg. 

2)  Schambach  und  Jlüller,  Niedersächs.  Sagen   294,   20. 

3)  In  einer  Variante  bei  Afzclius,  Schwed.  Volkssagen  übersetzt  von 
Ungewitter  I,  72  geschieht  die  Befreiung  dreier  geraubten  Schwestern  aus  der 
feuerumwallten  Riesenhöle  am  Donnerstagabend. 


174 

dem  Edelmann  anwirbt,  die  3  Riesen  und  erwirbt  die  Kö- 
nigin').  Die  Pfeife  ist  wiederum  Symbol  des  Sturmlieds 
(der  Maruts)  welches  alles  tanzen  macht  ^).  Ein  an- 
derer Edelmann  gebietet  seinem  Hirten  drei  Täler  zu  mei- 
den, weil  dort  jedesmal  die  Herde  von  Riesen  ergriffen 
werde.  Der  Hirte  übertritt  das  Gebot,  erlegt  aber  in  drei 
aufeinanderfolgenden  Tagen  die  Riesen,  von  denen  er  den 
einen  mit  seinem  Hirtenstab  erschlägt,  den  andern 
mit  einem  Spiefse  ersticht,  den  dritten  mit  einem  Stein- 
wurfvor  die  Stirn  tötet.  Sobald  einer  der  Riesen  ge- 
fallen ist,  sieht  der  Hirte  plötzlich  ein  prächtiges  Sc  bloss 
vor  sich  stehen,  in  welchem  er  ein  Schwert  und  daneben 
eine  Flasche  Wein  findet.  An  dieser  ist  ein  Zettel  be- 
festigt mit  den  Worten; 

Wer  diese  Flasche  trinkt 

Und  dieses  Schwert  regiert, 

Der  zwingt  den  Teufel. 
In  der  Folge  soll  der  Edelmann  seine  Tochter  dem  Teu- 
fel übergeben.  Durch  den  Genuss  jenes  Weines 
übermenschlich  stark  gemacht,  bekämpft  ihn  der  Hirte 
dreimal  auf  einem  Berge,  wobei  der  Teufel  zuerst  als 
Schlange,  dann  als  Drache,  endlich  als  feuriger  Adler 
erscheint.  Die  Jungfrau  heiratet  ihren  Erretter  ^).  Hier 
ist  der  Wolkendämon  in  4  Gestalten,  die  drei  Riesen  und 
den  Teufel  (Schlange,  Drache,  Adler  —  man  erinnere  sich, 
dass  die  Räkshasen  in  der  verwandten  Geiergestalt  erschei- 
nen) auseinandergefallen.  Der  Wein,  durch  den  der  Be- 
freier (gavämgöpati  s.  o.  S.  3)  sich  stärkt,  ist  das  W ol- 
iv eugewässer,  der  Söma.  Diese  Deutung  bewährt  sich 
durch  K,  M.  No.  60,  wo  der  junge  Jäger  vor  dem  Kampf 
mit  dem  Drachen,  der  eine  Jungfrau  entführen  will,  auf 
dem  Berge  in   einer   Kapelle   drei   gefüllte   Becher  findet 


1)  Meier,  Märchen  No.  29.  S.  101  fgg.  vgl.  S.  306. 

2)  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  IV,  115  fgg.  Rigv.  I,  85,  10  werden 
die  das  Sturmlied  blasenden  Manits  als  Flötenspieler  dargestellt.  Kuhn 
a.   a.   0. 

3)  Meier,  Märchen  S.  1   fgg. 


und  dabei  die  Schrift:  „Wer  die  Becher  austrinkt 
wird  der  stärkste  Mann  auf  Erden  und  wird  das 
Schwert  führen,  das  vor  der  Türschwelle  ver- 
graben liegt  (vergl.  Thors  von  Thrymr  vergrabenen 
Hammer).  Ebenso  vermag  nach  einem  norwegischen  Mär- 
chen ein  Königssohn  das  rostige  Schwert,  mit  dem  er  ei- 
nen zwölfköpfigen  Trollkönig  erschlagen  soll,  erst 
dann  zu  schwingen,  nachdem  er  aus  einer  dabeistehenden 
Flasche  einen  guten  Zug  getan.  Der  Trollköuig  hält  hin- 
ter einem  Meere,  das  man  erst  in  Zeit  von  7  Jahren 
durchschifft,  12  geraubte  Königstöchter  gefangen  '),  Ein 
weiterer  Zug,  der  die  Riesen  als  Wolkendämonen  charak- 
terisiert, ist  der  Besitz  grofser  Schätze.  So  sagt  die 
Riesenjungfrau  Gerör,  als  Skiruir  ihr  den  Goldring  Draup- 
nir  bietet: 

era  mer  gulls  vant         Nicht  hab  ich  Goldmangel, 
i  göröum  Gymis  Da  ich  in  Gymirsgard 

at  deila  fe  fööur.  Den  Vaterschatz  teile  ^). 

Auch  Thrymr  rühmt  sich  vieler  Schätze  und  Kostbarkei- 
ten^). Die  Schätze  der  Riesen  si3ielen  in  den  Ueberliefe- 
rungen  des  nordischen  und  deutschen  *)  Volkes  eine  grofse 
Rolle.  Das  Gold  heifst  „der  Riesen  Mundsprache,  Stimme 
oder  Wort  (jötna  munntal,  rödd,  orö)^j."  Des  Riesen  Schätze 
zu  erobern  ziehen  Helden  aus.  Diese  Schätze  bestehen 
nun  nicht  allein  in  Gold,  sondern  auch  in  andern  wunder- 
baren Dingen,  einem  Goldpferd,  dem  wir  beim  eddischen 
Riesen  Hrüngnir  wiederbegegnen  werden,  einer  Gold- 
lanipe''),  einem  Gold  pelz  oder  Gold  feil'),  Goldhü- 


1)  Asbjörnsen  luid  Moc  übersetzt  von  Bresemann  S.  10  fijir- 

2)  Skiniisför   21. 

3)  IjölÖ  ä  ek  meiÖma,  fjöl"??  ä  ok  menja  ,,vicl  hab  ich  der  Kleinode, 
viel  hab  ich  der  Halsketten."     Thrynisqu.  23.     Vergl.  oben  S.  162,  Anm.  h. 

4)  S.  z.B.  Schambac'h  nnd  Müller,  Niedersächs.  Sagen  297,  21.  Ta- 
bart,  Populär  fairy  tales  ,,Jack  the  giautkiller"  S.  136  fgg.  Müllcnhoff,  Sa- 
gen S.  450  fgg.      Schwed.  Volkswagen  übers,  von  Oberleitner  S.  344. 

5)  Skäldskapami.  k.  32.  Sn.  E.  I,  336.  vgl.  die  Strophe  Bragis.  Skild- 
skap.  k.  38.   Sn.  E.  I,    350.     BragaraSur  k.  56.   Sn.  E.  I,  214. 

6)  Schwed.  Volkssagen  übersetzt  von  Oberleitner  S.  30.   39. 

7)  Schwed.  Volkssagen  S.  35  fgg.  345.  Dybeck,  Runa  1843  IV,  33. 
Asbjörnsen  und  Moe  No.  1.   S.  1 — 8. 


176 

nern'),  einer  Goldliarfe-),  einem  Goldbock  und  ähn- 
lichen Dingen.  Dieselben  sind  alle  Symbole  himmlischer  Er- 
scheinuniren.  So  heifst  es  von  dem  Goldschwert,  das  einer 
dieser  Riesen  besitzt,  ausdrücklich:  „dass  es  jedesmal 
laut  tönte  (donnerte},  wenn  er  zornig  war'');"  offen- 
bar ist  darunter  Blitz  und  Donner  gemeint.  Auf  die  Hü- 
ner als  Gewittersymbole  kommen  wir  weiterhin  noch  wie- 
der zu  sprechen,  vorläufig  sei  an  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II, 
327  erinnert.  Die  Goldharfe  ist  wiederum  wol  nichts  an- 
deres als  Abbild  des  Blitzes  und  Donners,  Eben  diese  Be- 
deutung könnte  die  Goldlampe  haben*).  Da  jedoch  da- 
neben eine  Mondlampe  vorkommt^),  so  möchten  darun- 
ter die  Gestirne  zu  verstehen  sein,  welche  der  Wolkendä- 
mon verbirgt,  zumal  da  in  einzelnen  Sagen  ausdrücklich 
erwähnt  wird,  dass  der  Riese  diese  Kostbarkeiten 
gestohlen  habe*^).  Das  Goldfell  steht  dem  goldenen 
Vliefs  der  griechischen  Sage  gleich,  es  ist  die  bhtzdurch- 
znckte  Gewitterwolke^).  Der  Goldbock  kommt  in  meh- 
reren verschiedenen  Ueberlieferungen  vor.  In  dem  schwe- 
dischen Märchen  vom  Pinkel  besitzt  ihn  ein  Riesenweib. 
Der  Bock  hat  goldene  Hörner,  woran  kleine  Glok- 
ken  befestigt  waren,  die  einen  schönen  Klang 
gaben,  wenn  das  Tier  sich  bewegte.  Es  musste 
Nachts  immer  in  der  eigenen  Stube  der  Riesin  schlafen. 
Pinkel,  der  nachher  die  Königstochter  heiratet,  erobert  die- 
sen Bock  ®).  In  einer  ditmarsischen  Sage  wird  ein  men- 
schenfressender Riese  von  einem  Knaben,  der  sammt  sei- 
ner Schwester  in  seine  Gewalt  gekommen  ist,  überlistet 
und  dem  Tode  nahe   gebracht.     Zur  Hauptlösung  schenkt 


1)  Schwed.  Volkssagen  S.  25  fgg.  Jack  and  the  beanstalk.  Tabart  205. 

2)  Schwed.  Volkssag.  S.  25  fgg.  Jack  and  the  beanstalk.  Asbjörnsen  No.  J. 

3)  Schwed.  Volkssagen  S.  28. 

4)  S.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,   386. 

5)  Schwedische  Sagen  S.  46. 

6)  z.  B.  in  Jack  and  the  beanstalk.   Tabart  a. a. 0. 205 fgg.  KHM.  IIP,  322. 

7)  Vergl.  oben  S.  43.  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  V,  146.  Auch  der 
-ni-:i).o<i  der  'yl&ijrt]  'Eoyavrj  hat  dieselbe  Bedeutung.  S.  Lauer,  S^ystem  der 
Griech.  Myth.   371   fgg.   346.  348.   374.  378. 

8)  Schwed.  Sagen  S.  35  fgg.  vgl.  S.  345. 


177 

er  dem  Jüngling  eine  alte  Kittelkittelkarre  mit  zwei 
Böcken  davor  und  sieben  Säcke  Geld  hinterher. 
Der  Riese  setzt  ihnen  nach,  wird  aber  von  dem  Jünghng 
getötet').  Zwei  Geschwister  geraten  zu  einer  Menschen- 
fresserin und  ihrem  Mann  in  ein  Haus,  dessen  ganze  Sce- 
nerie  sich  als  Holdas  Brunnenwiese  (K.  H.  M.  No.  24)  kund- 
giebt.  Sie  müssen  hier  11  Stuben  kehren,  die  12te  ist  ih- 
nen verboten.  Sie  öjffnen  dieselbe  dennoch  und  finden  darin 
einen  kleinen  Wagen,  mit  einem  kleinen  golde- 
nen Rehbock  bespannt.  Diesen  Wagen  hatten  der 
Menschenfresser  und  seine  Frau  gestohlen  und 
den  rechtmäfsigeu  Eigentümer  ermordet.  Die  Kinder  ent- 
fliehen auf  demselben,  der  Menschenfresser  und  seine  Frau, 
die  ihnen  nachsetzen,  ertrinken-).  Ganz  ebenso  habe 
ich  in  einer  pommerelleschen  Variante  von  K.  H.  M.  No.  24 
vernommen,  dass  im  verbotenen  zwölften  Zimmer  ein  gol- 
dener Wagen  mit  zwei  goldenen  Böcken  stand,  mit 
welchem  ein  in  den  Brunnen  gefallener  Knabe  glücklich 
entkommt.  Ganz  entsprechend  wird  in  einer  Tiroler  Ueber- 
lieferung  ein  Kind  von  einem  wilden  Mann  mit  rotem 
Haar  und  feurigem  Bart  geraubt  und  in  sein  einsames 
Waldhaus  gebracht,  wo  die  Riesin  ihm  alle  Zimmer  zu 
kehren  befiehlt  bis  auf  ein  verbotenes.  In  diesem  steht  ein 
goldener  Wagen  mit  einem  goldenen  Bocke  davor, 
dabei  eine  goldene  Peitsche^).  Das  Kind  fährt  schnell 
wie  der  Wind  auf  dem  Wagen  davon,  der  wilde  Mann 
setzt  ihm  nach  und  ertrinkt*).  Ein  schwedisches  Mär- 
chen erzählt,  dass  eine  Jungfrau  7  Jahre  von  dem  Meer- 
weibe gefangen  war  sammt  vielen  andern  edeln  Königs- 
kindern. Ein  Jüngling  befreit  sie.  Sie  fliehen  auf  einem 
gold  gesattelten  Hengst  und  einer  silb  er  gesattelten  Stute 
(vergl.  o.  S.  123  fgg.)?  die  Meerfrau  setzt  ihnen  auf  einem 
Bocke  nach,  der  hundert  Meilen  läuft  ^).      Eine  unbefan- 

1)  MüUenhoff,  Sagen  S.  445. 

2)  Bechstein,  Deutsches  Märchenbuch'    78. 

3)  Vergl.  Indras  goldene  Peitsche  oben  S.  120. 

4)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  184. 

5)  Schwedische  Sagen  S.  289. 

12 


178 

gene  Vergleichung  dieser  Sagen  ergiebt  leicht  den  ursprüng- 
lichen Sinn.  Der  Bock,  die  Wolke  (s.  oben  S.  63)  wel- 
che gewöhnlich  Thunars  Wagen  zieht  (s.  S.  122),  ist  durch 
Diebstahl ')  in  Besitz  des  Riesen,  des  Wolkendämons  (Vri- 
tri)  und  seiner  Mutter  oder  Gattin  gekommen.  Diese  sind 
es  zugleich,  welche  die  Wasserfrau  oder  die  Wasserfraueu 
7  Monate  gefangen  halten.  Thunar  befreit  die  Geraubte, 
die  hier  als  seine  Schwester,  wie  sonst  als  seine  Braut  oder 
Gemahlin  Devapatni  erscheint,  indem  er  mit  ihr  auf  dem 
Bocke  davoneilt.  Der  Gewittergott  tötet  den  Riesen,  der 
als  Regenschlange  zur  Erde  sinkt,  daher  nach  anderer  Ge- 
stalt der  deutschen  Mythe  im  Wasser  umkommt.  Da 
die  Wasserfrau  gleich  Holda,  der  im  Kiüderbrunnea  sitzenden 
Göttin  ist,  diese  aber  sammt  ihrem  ganzen  Wohnsitz  im 
Winter  von  den  Wolkendämonen  eingeschlossen  ist,  so  er- 
klärt si«h  deutlich,  weshalb  der  Wohnsitz  des  Riesen  ei- 
nerseits wie  Holdas  Brunnenreich  geschildert  wird,  ande- 
rerseits die  Riesin  auf  dem  irdisch  (localisierten)  Meeres- 
grund wohnen  kann.  Dass  dieser  letzte  Aufenthalt  nur 
eine  spätere  Localisierung,  nicht  das  Ursprüngliche  ist, 
geht  schon  daraus  hervor,  dass  andere  Ueberlieferungen 
das  Riesenhaus  in  einem  Walde  liegen  lassen.  Vollständig 
gesichert  wird  unsere  Deutung  des  Riesen  als  Wolken- 
dämon sein,  wenn  man  zugiebt,  dass  die  im  folgenden  Ab- 
schnitt „Holda  und  die  Körnen"  für  die  Bedeutung  des 
Brunnenreichs  der  Holda  als  der  Wolke  beigebrachten  Be- 
weise positiv  und  sicher  sind.  Das  feurige  Haar  und 
der  rote  Bart  des  Riesen  in  der  Tiroler  Sage  erklärt  sich 
daraus,  dass  er  als  Wolkendämon  an  der  Gewitternatur 
Teil  hat  und  Thunar  Blitze  ento-esrensetzt.  So  ist  Rau- 
hina  oder  Röhina,  der  Rötliche,  ein  Name  des  indi- 
schen Wolkendämons  ^)  und  Hidimba  hat  roten  Bart  und 


1)  Man  erinnere  sich,  dass  Loki  =  Vritra  S.  85  Dieb  des  Bockes 
pjofr  hafrs  heifst. 

2)  Diesem  Rauhina  könnte  eine  Rauhinä  zur  Seite  gestanden  haben,  de- 
ren Name  gothisch  Raugiia  lauten  müsste.  Dies  wäre,  da  g  vor  n  häufig  aus- 
fällt, altnordisch  Räu.  Denn  altnord.  ä  entspricht  oft  altem  au;  z.  B.  när 
der  Tote,  när  Schiff,  o.  Fluss,    ä  Schaf,  här  hoch,  flä  abhäuten  =  skr.  na9u, 


179 

rotes  Haupthaar.  Auch  sonst  wird  der  Riesen  Bart  her- 
vorgehoben, z.  B.  bei  Hymir.  Eine  Pflanze  strongyhuin, 
fucus  fihformis  heifst  Riesenbart  l^ursaskegg. 

Wir  sind  hiemit  schon  auf  die  Vorstelhing  gekommen, 
dass  die  Riesen  als  alte  Wolkenwesen  Thunar  Blitz  und 
Donner  entgegensetzen.  Dies  spricht  sich  auch  aufserdem 
nicht  allein  in  dem  allgemeinen  Zuge  aus,  dass  die  Jöt- 
nar  dem  Asenzorn  (Asmoör)  Thors  s.  o.  S.  128  ihren 
Riesenzorn  (Jötuumoör)  trotzig  entgegensetzen,  sondern 
ein  Jötunn  oder  Thurs  heifst  gradezu  Thrymr  d.  i.  Donner 
von  ]?ruma,  ]>rymja  donnern  ').  Von  diesem  Riesen  heifst 
es,  er  habe  Thors  Hammer  gestohlen  und  8  Rasten  unter 
der  Erde  verborgen.  Er  begehrt  die  Wasserfrau  Freyja, 
an  deren  Stelle  Thörr  als  Weib  verkleidet  zu  ihm  kommt, 
worauf  diesem  der  Hammer  in  den  Schofs  gelegt  wird. 
Der  Gott  tötet  damit  den  Riesen  und  sein  ganzes  Ge- 
schlecht. Man  sieht  deutlich  die  Bedeutung  dieser  Mythe. 
Der  Wolkendämon  hat  während  der  8  (7)  Wintermonate 
die  Gewitterwaffe  Thors  gestohlen  und  in  seiner  Burg 
Thrymheimr  d.  i.  Donner  heim  verborgen,  er  der  die 
Wasserfrau  zur  Däsapatni  macht.  Regenlos  hängt  die 
Wolke  am  Himmel.  Thorr  muss,  um  seine  Gewitterkraft 
wieder  entfalten  zu  können,  selbst  die  Gestalt  der  Wasser- 
frau annehmen,  den  Himmel  mit  Donnergrau  überziehen. 


fiy.vq,  goth.  navis,  naus;  lat.  navis;  aqua,  gotli.  ahva,  ahd.  ouwa;  ovis,  goth. 
AVI  (in  avistr,  der  Schafstall),  ahd.  ouwa,  mhd.  ou;  goth.  hauhs,  ags.  heäh; 
ahd.  flawian,  mhd.  fiöuwen.  Somit  hätten  wir  flir  die  Wolkenriesin  Ran, 
in  deren  Halle  Gold  statt  brennenden  Lichtes  diente  (s.  oben  S.  82 
fgg.)  einen  schicklicheren  Sinn,  als  »S.  84  gewonnen.  Erst  später  wird  man 
die  rötliche  in  die  raubende  umgedeutet  haben.  Diese  Annahme  wird 
um  so  wahrscheinlicher,  als  nur  durch  sie  die  Uebereinstimmung  von  Ran 
und  Rauni  erklärbar  wird,  da  nur  das  aus  au  entstandene  d  einen  in  au 
spielenden  Laut  schon  zur  altnordischen  Zeit  besafs  (vergl.  Gramm  I^,  455 
fgg.).  Wie  man  dazu  kam  Raugn,  Ran  zur  Gemahlin  Ukkos  zu  machen,  ist 
leicht  erklärlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  ITkko  in  früherer  Zeit  den  Finnen 
Aka,  Aga  gelautet  haben  muss  (vergl.  türk.  mongol.  aka,  jakut.  aga.  Ca- 
stren,  Myth.  27)  und  eine  Identificierung  desselben  mit  dem  Wolkendämon 
Agi  um  der  Namensähnlichkeit  willen  sehr  leicht  war.  Zu  gleicher  Zeit  er- 
hellt, wie  sehr  mit  Unrecht  Wolf  und  Zingerle,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  186 
den  rotbärtigen  Biesen  auf  Thunar  deuten. 

1)  J.  Grimm,   Namen   des  Donners  S.  LS,  VIII. 

12* 


den  Göttertrank  des  Himmelsgewässers  sich  schaffen  s.  o. 
S.  99  fo"o-.  Lüstern  naht  ihm  der  Dämon,  um  das  neue  Re- 
geno-ewölk  auch  mit  sich  zu  vermählen.  Da  gewinnt  Thorr 
seine  Gewitterkraft  wieder  und  Blitz  gegen  Blitz,  Don- 
ner o-eo-en  Donner  beginnt  der  Kampf,  in  welchem  der 
Gott  die  Wolke  aus  den  Banden  des  Winters  befreit,  Thrymr 
und  sein  ganzes  Geschlecht  vernichtet.  Wir  sahen  oben 
S.  166  dass  diese  Mythe  auch  deminder  bekannt  war,  in- 
dem Indra  aus  gleichem  Grunde  die  Gestalt  einer  Frau 
annimmt '). 

Dem  Namen  des  Riesenlandes  Donnerheim  entspricht 
dann  auch  der  in  der  Edda  mehrfach  wiederkehrende  Zug, 
dass  die  Riesenwohnung  von  flackernder  Flamme  (vafrlogi}, 
heftigem  Brand  (eikinn  für),  heifser  Lohe  (hrettr  logi)  um- 
geben (slunginn)  ist '^),  Der  Sitz  des  Riesenvolks  in 
Fiölsvinusmäl  (})ursa  ))iö8ar  sjöt)  heifst  daher  selbst  Hyrr 
d.  i.  Glut.  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass  unter  dieses 
Waberlohe  das  Blitzfeuer  zu  verstehen  ist,  dass  der  Dä- 
mon dem  eindringenden  Gotte  entgegensetzt,  da  zur  vollen 
Bestätigung  der  eben  besprochenen  Vorstellungen  in  meh- 
reren Sagen  beil-  oder  st  ein  werfende  Riesen  vorkommen, 
worunter  nach  §.  gg.  wol  nur  blitzwerfende  Wesen  verstan- 
den werden  können.  Die  schwedische  V^olkssage  weifs  von 
Riesen,  die  wenn  Thors  Blitz  durch  die  Luft  fährt,  aus 
Furcht  davor  in  manchen  Gestalten  zumeist  als  Knäuel 
oder  Kugeln  vom  Berge  herab  auf  die  Wiesen  rollen 
und  bei  den  Mähdern  Schutz  suchen  ^). 


1)  Dem  Diebstahl  des  Hammers  während  der  7  (8)  Wintermonate  ver- 
gleicht sich,  dass  nach  dem  Volksglauben  der  in  die  Erde  gesunkene  Donner- 
keil erst  in  7  Jahren  wieder  an  die  Oberfläche  emporriickt.  Kuhn  beweist 
Zs.  f.  D.  Myth.  III,  179  fgg.  dass  die  alle  sieben  Jahre  erscheinende  weifse 
Frau,  die  die  sieben  Wintermonate  von  dem  Dämon  eingeschlossene 
Wasserfrau  ist.  Die  sieben  Jahre  sind  mythisch  an  die  Stelle  ebenso  vie- 
ler Monate  getreten.  Folgerichtig  muss  der  häufig  vorkommende  Sagenzug, 
dass  eine  Königstochter  7  Jahre  von  Riesen  gefangen  ist,  oder  bei  den  Zwer- 
gen weilt,   dieselbe  Bedeutung  haben. 

2)  Skirnisfdr  8.    17.     Fiölsvinnsmäl  2.   5.   31.   32.     HyndluljoÖ  45. 

3)  Afzelius,  Sagohäfder  I,  10.  Myth.^  952.  Ausführlichere  Sagen  da- 
rüber s.  Russwurm,  Eibofolke  II,   S.  3/9.   S.  249. 


1^ 

Wie  die  indischen  Dämonen  bald  den  Regen  zurück- 
halten, indem  sie  Berggestalt  annehmend  oder  Wol- 
kenburgen bauend  die  himmlischen  Wasser  umschliefsen, 
bald  als  winterliche  Mächte  die  segnenden  Naturgewalten 
des  Sommers  fesseln,  bald  als  Nachtschatten  die  Lich- 
ter des  Himmels  verhüllen,  lassen  sich  ganz  entsprechende 
feine  Unterschiede  zwischen  den  germanischen  Riesen  be- 
obachten.  Zunächst  treten  unter  den  Riesen  die  Berg- 
riesen (bergrisar,  bergdauir)  ')  hervor,  welche  die  Snor- 
raedda  als  Thors  Feinde  nennt;  als  ihr  Töter  heilst  der 
Gott  brjotr  bergdaua^),  Brecher  der  Bergriesen.  Mit  die- 
ser Benennung  werden  die  Jötnar  belegt,  weil  sie  entwe- 
der im  Berge  wohnen,  wie  Vritra  (vergl.  die  Namen 
bergbiii  ^),  hraunbüi,  jnissin  af  biargi  '*),  hraunvalir  ^),  berg- 
danir  "),  oder  weil  man  ihnen  Steinkörper  zuschrieb  (vgl. 
die  Riesennamen  Jarnsaxa,  Jarnhaus,  die  Eisensteinige,  Ei- 
senschädel). Auf  die  erstere  Art  der  Riesen  bezieht  sich 
folgende  Sage.  Ein  schwedischer  Högbergsgubbe  (Berg- 
greis), den  ein  Bauer,  um  ihn  sich  freundlich  zu  erhalten 
einladen  liefs,  sagte  ab,  so  gern  er  das  Mahl  mitgenom- 
men hätte,  weil  er  vom  Boten  vernahm,  dass  aufser  Chri- 
stus, Petrus  und  Maria  auch  Thörr  erschemen  werde. 
Den  letzteren  scheute  er ').  In  der  jütischen  Variante  die- 
ser Sage  ®)  steht  für  Thörr  Tor  den  veir,  Donnerwetter. 
Ein  Beispiel  der  zweiten  Art  bietet  der  Riese  Hrüngnir. 
Sein  dreikantiges  Herz ^)  und  sein  gewaltiges  Haupt 
waren  von  hartem  Stein,  von  Stein  ebenso  sein  brei- 
ter  Schild.     Auf   seinem    goldmäh uigen   Rosse   Gull- 


1)  Weitere  Bezeicbnuiigen  des  Bergriesen  sind  fjallgautr,  fjangyllör,  byr- 
gityr  bjarga,  bergdolgr,  hellisbör,  giliagramr,   in  der  Mehrzahl  flöcü-ifsdauir. 

2)  nC-misqu.   17. 

3)  Fornaldarsög.   I,   412. 

4)  Ibid.   n,  29. 

5)  Hvmistiu.   36. 

6)  Ibid.   17. 

7)  Nyerup,  Morskabläsning  243. 

8)  Mülbech,  Eventyr  359. 

9)  Gradeso  heifst  es  von  Vritra:  „antar  Vritasya  jathareshu  parvafah" 
„in  des  Vritra  Bauch  standen  die  Berge"  d.i.  die  Wolken.  K.  V. 
Rosen  LIV,'  10. 


182 

faxi  mit  08inn  in  die  Wette  reitend  kommt  er  nach  As- 
garSr  und  verlangt  trunkenen  Mutes  die  Göttinnen  Freyja 
und  Sif  mit  sich  zu  führen.  Da  erscheint  Thorr,  der  ihn 
ernstlich  bedroht  und  auf  Griottünagarör  zum  Zweikampf 
mit  ihm  schreitet.  Thors  Erscheinen  ist  durch  Blitze  und 
starke  Donnerschläge  bezeichnet.  Er  schwingt  den  Ham- 
mer Mjölnir  und  wirft  ihn  schon  aus  der  Ferne  gegen  den 
Riesen,  der  ihm  seinen  Schleifstein  entgeorenschleudert. 
Dieser  trifft  im  Fluge  des  Gottes  Gewitterwaffe 
und  bricht  entzwei,  ein  Zug,  den  wir  auch  in  Indien 
nachgewiesen.  Der  Hammer  aber  triflpt  Hrüngnir  mitten 
ins  Haupt  und  zerschmettert  ihm  den  Schädel  in  kleine 
Stücke  ').  Man  könnte  hier  einmal  wieder  glauben  ein  Ve- 
denlied  auf  Indra  vor  sich  zu  haben,  so  wörtlich  ist  die 
Uebereinstimmung  der  nordischen  und  indischen  Sage.  Zu- 
nächst bemerken  wir,  dass  altnordisah  klakkr  Fels  und 
getürmte  Wolke  zugleich  bedeutet  und  dass  derselbe  Be- 
griflfsübergang  in  ags.  clüd  Fels  und  engl,  cloud  Wolke 
sich  findet  *) ,  gradeso  wie  in  Indien  die  Ausdrücke  für 
Fels  und  Wolke  gleichlautend  sind.  Siehe  oben  S.  155. 
Hiefür  haben  wir  auch  in  der  Edda  selbst  ein  bestimmtes 
Zeugnis.  Das  erste  Lied  von  Helgi  Hundingstöter  sagt  in 
Beschreibung  einer  Sturmnacht:  Aare  klangen,  heilige 
Wasser  rannen  von  Himmelsbergen  (arar  gullu,  hnigu 
heilög  vötn  af  himinfjöllum).  Die  Aare  sind  Personi- 
ficationen  der  Sturmwinde^),  die  heiligen  Wasser  Ge- 
wittergüsse'*), somit  können  die  Himmelsberge^)  nur  die 


1)  Daher  heifst  Thorr  in  der  Thörsdiapa  des  Skäldeu  Bragi  des  Alten: 
haussprengi  Hrüngnis  Schädelsprenger  Hrüngnirs. 

2)  Grimm,  Gramm.  I',  424.  Biörn,  Lex.  Island  425.  Zeitschr.  f.  D. 
Myth.  III,  378. 

3)  Der  Sturm  erscheint  oft  in  Adlergestalt,  so  in  den  nordischen  Mj-- 
then  von  Thiassi,  Egdir  und  Hrsesvelgr.  Vergl.  Uhland,  Mvthus  von  Thorr 
S.  23. 

4)  Der  Ausdruck  heilög  vötn  begegnet  auch  Grimnism.  29  für  die 
himmlischen  Gewässer,  welche  Thorr  dui-chwatet.  Vgl.  Uhland  a.  a.  O. 
Zeitsclir.  f.   D.  Myth.  II,   298.     s.   oben  S.  147. 

5)  Der  Ausdruck  himinfjöll  Himmelberge  kehrt  noch  einmal  in  Thio- 
dölfs  Ynglingatal  nieder.  Ich  suchte  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  309  auch  hier 
die  Bedeutung  Wolke  nachzuweisen. 


183 

Wolke  bedeuten.  Heimdallr,  den  wir  nunmehr  (vgl.  Zeit- 
schr.  f.  D.  Myth.  II,  309  fgg.  III,  117.  oben  S.  85.  125) 
als  Gewittergott  nachgewiesen  betrachten  dürfen,  heilst 
horn}>ytvaldr  himinbjarga  der  Himmel  berge  Hornbläser. 
Diese  Himmelberge  Himinbjörg  werden  als  Heimdalls 
Wohnung  genannt,  wo  er  klaren  Met  (das  Wolkengewäs- 
ser) trinkt.  Sie  stehen  den  S.  186  zu  berührenden  Aus- 
drücken grummeltörn,  witte  torn,  Bisaborg  für  die  Gewit- 
terwolke gleich  ').  Sehen  wir  hieraus,  dass  in  der  Tat  die 
Auffassuno;  der  Wolke  als  Bers  im  germanischen  Alter- 
tum  lebendig  war,  so  tritt  Hrüngnir  deutlich  als  der  berg- 
gestaltete Dämon  der  dunkeln  Gewitterwolke  hervor,  der 
auf  dem  goldmähnigen  Blitzross  mit  dem  Sturm  (OSinn)  in 
die  Wette  jagend  die  Wasserfrau  (Freyja)  entführt  und 
wirklich  gefangen  hält^),  bis  Thorr  dazukommt  und  ihm 
in  heftigem  Kampf  den  Schädel  zerspaltet.  Die  weitere 
Ausschmückung  des  Kampfes  in  der  Snorraedda  ist  ein 
später  Ansatz,  welcher  dem  Skalden  Thiodölfr,  der  im  9ten 
Jahrhundert  in  seinem  berühmten  Höstlaung  Thors  Streit 
mit  Hrüngnir  besang,  noch  nicht  bekannt  war   und  ebenso 


1)  Es  ist  noch  zu  erinnern,  dass  es  von  Heimdallr  heifst  Grininisni.  13: 
Himinbjörg  eru  en  ättu,  en  |>ar  Heimdali  kveÖa  valda  veum,  grade  wie 
Thorr  vorzugsweise  als  Veorr,  Haröveorr,  MiögarSsveorr  genannt  wird. 
Vergl.  Uhland  a.  a.  0.   28. 

2)  Dies  besagte  trotz  meines  Zweifels  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  330  fgg. 
die  ältere  Mythe.  Ich  wies  jedoch  a.  a.  0.  nach,  dass  die  Hrüngnirmythe  in 
eddischer  Zeit  bereits  ethisch  aufgefasst  und  daher  der  Raub  Freyjas  auf  Sif 
ausgedehnt  wurde.  Oder  lag  auch  in  dieser  Sage  Thors  ältere  Gemahlin,  die 
Wolken-  oder  Sonnengöttin  der  Sif  zu  Grunde?  Ich  glaube  fast.  Dass  der  wirkli- 
che Raub  sich  in  ein  blofses  Begehren  des  Riesen  nach  den  Wasserfrauen 
verwandeln  konnte,  ist  leicht  erklärlich  aus  dem  Bestreben  die  Würde  der 
Asynieu  aufrecht  zu  erhalten;  übrigens  bemerkte  ich  schon,  dass  die  in  der 
Skälda  erhaltene  Benennung  Hrüngnirs  ,,j>iofr  Thrüöar"  „Dieb  der  Thruör, 
der  Tochter  Tliors"  uns  noch  Kunde  von  dem  tatsächlichen  Vorhandensein 
eines  Mj'thus  giebt,  wonach  Hrüngnir  den  Raub  einer  Göttin,  einer  Anver- 
wandten (Devapatni)  Thors  ausführt.  Während  bei  unserer  Deutung  der 
Bergriesen  alle  Züge  der  Sage  deutbar  sind,  gesteht  Uhland,  der  an  der  al- 
ten Gleichstellung  der  Riesen  mit  den  starren,  unbeweglichen  irdischen 
Bergen  festhaltend,  in  Thors  Kampf  mit  Hrüngnir  die  Zei-sehmetterung  des 
Felsgebirgs  durch  den  Blitz  zur  Urbarmachung  der  Erde  sieht,  dass  bei 
seiner  Erklärung  das  Ross  Gullfaxi  eine  unlösbare  Rune  biete  und  auch 
der  Baub  der  Göttinnen  nur  eine  sehr  gezwungene  Deutung  zulasse.  (Uh- 
land, Mythus  von  Thorr  S.  45,  Anm.  19J. 


_184  _ 

wenio;  in  den  älteren  Eddenliedern  oder  Skaldengesängren 
jemals  durch  eine  Andeutung  bezeugt  wird.  Entsprechen 
somit  die  Riesen  mit  dem  Steinkörper  dem  bergge- 
staltigen  Vritra,  so  werden  wir  in  den  im  Berg  wohnen- 
den Bergbüar,  Bergdanir  das  Bild  des  in  dem  Wol- 
kenberge wohnenden  Dämons  nicht  verkennen  können. 

Jacob  Grimm  bemerkt*):  „Ssem.  85*^  sind  Jötnar  und 
Hrim|jursar  nebeneinander  aufgerufen,  es  muss  also  zwi- 
schen beiden  ein  feiner  Unterschied  liegen,  den  ich  in  dem 
vorgesetzten  hrim  (Reif;  sehe."  Er  hat  Recht.  Die  Hrim- 
J)ursar  (Reifriesen)  sind  die  Wolkendämonen  in  ihrer  Ei- 
genschaft als  schädliche  Wintermächte.  Hrimkaldr  (reif- 
kalt) ist  ein  Beiwort  für  jötunn  oder  l)urs  überhaupt;  Hrim- 
nir,  Hrimgrimr,  Hrimgerör  sind  riesische  Eigennamen.  Wie 
Vritra  im  Winter  seine  eisige  Wolken  bürg  errichtet, 
worin  er  die  Wasser  fr  au  und  die  erwärmenden  Licht- 
strahlen des  Sommers  einschliefst,  so  erbietet  sich  ein 
Bergriese  den  Göttern  in  einem  Winter  eine  Burg 
zu  bauen  ^).  Er  verlangt  zum  Lohn  dafür  Freyj  a,  Sonne 
und  Mond.  Am  ersten  Wintertage  beginnt  die  Ar- 
beit, sie  soll  bis  zum  ersten  Sommertage  vollendet 
sein.  Ist  die  Burg  dann  nicht  geschlossen,  so  soll  der  Riese 
Freyjas,  der  Sonne  und  des  Mondes  verlustig  gehen.  Das 
Riesenross  Svagilfari  Eisfahrer  schleppt  mächtige  Bau- 
steine herbei  und  schon  naht  sich  der  Bau  seinem  Ende. 
Da  wird  des  Bergriesen  Arbeit  unterbrochen.  Er  gerät  in 
Jötunzorn  und  Thörr  tötet  ihn  mit  seinem  Blitzham- 
mer. Die  Snorraedda,  welche  diese  Sage  erzählt'),  ver- 
flicht damit  einen  andern  Mythus,  wie  Loki  als  Stute  mit 
dem  Pferde  des  Bergriesen  ÖSios  Ross  Sleipnir  zeugte  (s. 
oben  S.  86).  Uhland  bemerkt  aber  schon  mit  Recht  ^)  „die 
Entstehung  des  Rosses  Sleipnir  gehört  nicht  zum  Haupt- 
bestande des  Mythus."  Denn  weder  die  Völuspä,  welche 
Str.    29.    30    unsere    Sage    andeutet,    erwähnt    etwas    dar- 

1)  Myth.2  487. 
2J  Gylfag.  42. 
3)  Mythus  von  Thörr  111. 


185 

über'),  auch  findet  sich  nur  die  leiseste  Andeutung  davon 
in  der  weitverbreiteten  nordischen  Volkssage,  welche  unsern 
Mythus  in  einer  älteren  Gestalt  als  die  aus  dem  kunstmä- 
fsigen  Skäldengesang  hervorgegangene  Erzählung  der  Snor- 
raedda  bewahrt.  Ein  Riese,  heilst  es  in  derselben,  ver- 
pflichtet sich  dem  h.  Olaf,  der  in  den  Riesensagen  stets 
Thorr  vertritt,  den  Bau  einer  Kirche  von  wunderbarer 
Gröfse  mit  Pfeilern  und  Zierraten  innen  und  aufsen  aus 
hartem  Flinsstein  in  bestimmter  Zeit  allein  zu  vollen- 
den. Zum  Lohn  bedingt  er  sich  Sonne  und  Mond  oder 
den  h.  Olaf  selbst.  Schon  ist  das  Werk  fertig  und  selbst 
die  Spitze  aufgesetzt,  als  der  Riese  bei  Nennung  sei- 
nes Namens  mit  schrecklichem  Krach  vom  Dachkamme 
stürzt  und  in  viele  Stücke  zerspringt,  die  lauter  Flins- 
steine  sind^).  Der  Name  des  Werkmeisters  lautet  je 
nach  den  verschiedenen  Fassungen  „Vind  och  Veder"  (Wind 
und  Wetter) ,  Bläster  (Bläser) ,  Skalle  (der  Kahle) ,  Slätt 
(der  Glatte)  ^).  Es  sind  Bezeichnungen  winterlicher  Natur 
überhaupt^  welche  nicht  mehr  streng  die  Grenze  einhalten, 
welche  den  alten  vedischen  Winterdämonen  gestellt  war. 
Doch  ist  kein  Zweifel,  die  Burg  oder  Kirche  unserer 
Mythe  ist  der  Bau  eines  in  der  Luft  waltenden  Wiuter- 
dämons,  der  die  Göttin  Freyja,  Sonne  und  Mond  ihrer 
wohltätigen  Wirksamkeit  berauben  will,  sie  mit  der  einge- 
frorenen burgähnlichen  Wolke  umgiebt,  verdeckt.  Die 
Begriffsübergänge  des  Gewitterdämons,  des  Wind-  und 
Winterriesen  in  einander,  zeigt  deutlich  der  Name  des 
Riesen  Vindsvalr   der  Windkalte,  welcher  der  Vater  des 


1)  Die  der  Erzählung  der  Völuspä  zu  Grunde  liegende  ältere  Fassung 
des  Mythus,  in  Str.  29.  30  Munch  und  Unger,  nach  alter  Zählung  23.  24  scheint 
noch  die  ältere  Form  gekannt  zu  haben,  dass  nämlich  der  Riese  sich  Frey- 
jas wirklich  bemächtigt.  Es  heifst:  Da  gingen  alle  Götter  zu  den  Kich- 
terstühlen  und  berieten,  wer  die  ganze  Luft  mit  Verderben  gemischt 
(hverir  heföi  lopt  all  lajvi  blandit)  oder  dem  Jötunsgeschlecht  0(5s  Braut 
gegeben  habe  (eßa  rett  jötuns  ÖÖs  mey  gefna). 

2)  Myth.2  515.  516.  Iduna  Stockholm  1824  Heft  3^  60  fgg.  Lex. 
myth.  351.   352. 

3)  Vindr,  Skalli  und  Kaldgrani  kommen  bereits  unter  den  Jötnahciti 
im  Eddenbruchstück  Arni  Maguussens  No.  748  Sn.  E.  U,  470,  sowie  in  den 
Eddtubruchstücken  No.  757  und  No.  Ie,9  derselben  Sammlung  vor. 


186 

Winters  ist  (Vindsvalr  heitir,  hann  er  vetrar  f'aöir)  '), 
ferner  das  isländ.  Wort  klösigi  Klauensenkung  für  eine 
dreizackisre  Sturm  verkündende  Wolke,  welchen  Aus- 
druck  schon  der  gelehrte  Guunar  Paulsen  auf  den  weiter- 
hin zu  besprechenden  Riesen  HrjBsvelgr  bezog.  Heifst  doch 
in  Thüringen  noch  heute  ein  Wolkengebilde  „de  witte 
törn"  (der  weifse  Turm)  ^J.  In  Westphalen  bezeichnet 
grumraeltorn  d.  i.  Dounerturm  die  Gewitterwolke,  „de 
grummeltörn  stigt  op"  die  Gewitterwolken  türmen 
sich  ^).  Bei  den  Inselschweden,  wo  ein  Dämon  Bisa  an 
Thors  Stelle  getreten  ist,  heifst  die  dicke  Gewitterwolke 
B  isaborg  Gewitter  bürg  ").  Der  Ruf  St.  Olafs,  der  des 
Riesen  Tod  verursacht,  ist  Thors  Bartruf  (s.  oben  S.  115). 
Mit  dem  ersten  Frühlingsgewitter  sinkt  der  Winter- 
riese zusammen,  die  Burg,  die  Wolke  zerfällt,  zerfliefst 
in  woltuenden  Regen.  Dass  dies  die  ursprüngliche  Gestalt 
der  Sage  besagte,  geht  aus  entsprechenden  deutschen  Ue- 
berlieferungen  hervor,  nach  welchen  der  für  den  Riesen 
eigetretene  Teufel,  um  den  Lohn  für  seinen  Bau  betro- 
gen, imZorndasganzeWerkzusammenschmeifst^). 
Trümmer  der  auseinander  springenden  Winterburg  bleiben 
als  Felsstücke  (d.  i.  Berge  =  dunkle  regenlose  Wolken) 
übrig.  Durch  diese  Auseinandersetzunojen  wird  auch  der 
Grund  deutlich,  weshalb  unsere  Vorfahren  ebensowohl  als 
die  Griechen  geneigt  waren,  die  Steinbauten  der  voran- 
gegangenen Autochtonen  den  Riesen  zuzuschreiben.  Vgl. 
die  Ausdrücke  für  alte  Bauten:  enta  geweorc,  enta  »rge- 
weorc,  eald  enta  geweorc  ");  bürg  on  berge  ho  holmklibu, 
wriselic  giwerk');  we  dise  bürg  stiebte?  ein  rise  in 
den   alden   ziden**)"  sowie   die   nordischen  Benennungen 


1)  Vafjjrüönism.   27. 

2)  Kubn,  Nordd.   Sagen,   Gebr.   428. 

3)  Strodtmann,   Idiotie.  Osuabnig  S.  77. 

4)  Russwurm,  Eibofolke  II,   248,   §.  379. 

5)  Menzel  Odin  20.    Beaufort,   Legendes  No.  5.    MuUenhoft",   Sagen  402, 
,CDXIII. 

6)  Beowulf  3356.   5431.   5554.  Cod.   exon.   211,   24.  Mvth.'*   491. 

7)  Helj.   42,   5. 

8)  Karlmeinet  35. 


187^ 

tr öl  1  ah  1  öd  Riesenbauten,  tröllkonugargr  Hof  der  Rie- 
sin, Riesiunenmauer,  trölladyngiur  Riesenbauten,  tröl- 
lakirkia,  beute  im  Norwegischen  Gau  Söndmor  trold- 
kirke  genannt,  Riesenkirche  '). 

EndHch  zählen  zu  den  Riesen  auch  solche  Dämonen, 
welche  die  Schatten  der  Nacht  heraufführen  und  dar- 
unter die  Gestirne  verbergen.  Nött  die  Nacht  ist  nach 
den  Edden  die  Tochter  des  Riesen  Nörvi,  daher  sie  in 
einem  Liede  des  Skalden  Egill  Skallagrimr  Niörva  nipt 
(Nörvis  Verwandte)  heifst.  Nacht  für  Nacht  kommt  aus 
den  Elivägar  (d.  i.  dem  Wolkengewässer  s.  o.  S.  170)  die 
Rute  dieses  reifkalten  Riesen  (l^urs  hrimkalda),  womit 
Däinn  (d.  i.  der  Gestorbene)  alle  Wesen  in  MiSgarö  triflrt 
(in  Schlaf  senkt)  ^).  Die  Thursen  schwärmen  Nachts  um- 
her und  daher  heifst  nach  ihnen  die  Abenddämmerung 
Riesen  dunkel  tusmörke.  Riesenweiber  führen  die  Bei- 
wörter ^)  grima  (Gespenst,  oder  dunkele  Nacht),  geysa 
(die  Schweifende),  gryla  (feindliches  Gespenst),  myrkriöur*), 
queldriöur^)  (Duukelreiterinnen ,  Nachtreiterinnen).  Steigt 
der  Tag  herauf,  so  fliehen  diese  riesischen  Wesen. 

Da  trieb  aus  dem  Tor 
Wieder  der  Tag 
Sein  schön  mit  Gestein 
Geschmücktes  Ross. 


1)  Den  burgzerstörenden  Thörr,  den  wir  hier  kennen  lernen,  zeigt  auch 
eine  von  Grimm  Zeitschr.  f.  D.  Altertum  IV,  507  aus  Rudbeclis  Athiiuica 
IV,  70  ausgezogene  und  auf  Thorr  gedeutete  Sage  von  Toril,  der  seinem 
Vetter  Erik  Hochzeit  anrichtet.  Mit  seinem  Blitz  brennt  er  das  Meer 
aus  (wenn  der  Blitz  niedei-fälirt  regiiet  das  Wolkenmeer  ab;  vergl.  oben  S. 
107  die  Stelle  aus  Arjunas  Rückkehr  VII,  12),  da  fängt  man  Fische,  mit  dem 
Blitz  verzehrt  er  die  Wälder  (wir  sahen  schon,  dass  die  Riesen  im  Walde 
wohnen  oben  S.  177  und  werden  diesen  Zug  weiterhin  erklären),  da  fängt 
man  gebratne  Vögel,  s.  o.  S.  39.  mit  dem  Blitz  äschert  er  Städte  ein 
und  gewinnt  so  das  Vieh  zum  Hochzeitsmalil.  (Durch  die  Zerstörung  der 
Wolkenburg  werden  die  himmlischen  Kinder  frei). 

2)  Hrafnagaldr  Ogins   13. 

3)  Lex.  myth.   983. 

4)  HaibarÖsl.  20. 

5)  Helgaqu-Hjörvardssonar  15. 


188 

Weit  über  die  Menschenwelt 

Glänzte  die  Mähne; 

Des  Zwergs  Ueberlisteriu  (die  Sonne) 

Zog  es  im  Wagen. 

Durchs  nördliche  Tor 

Der  nährenden  Erde 

Unter  des  Urbaums 

Aeufserste  Wurzel 

Gingen  zur  Ruhe 

Gygien')  und  Thursen, 

Gespenster  (näir)  und  Zwerge 

Und  Dunkelelbe  '). 
Dieser  Schatteudäinonen  Gegner  ist  nun  ebenfalls  Thörr, 
der  davon  bani  jötna  ok  tröUquenna,  j^röngvir  queldrun- 
ninna  quennu  Töter  der  Jötune  und  Kiesenfrauen,  Bedrän- 
ger der  Nachtfahrerinuen  heifst.  Bescheint  der  Strahl  der 
aufgehenden  Sonne  den  Jötunn,  so  wird  er  in  Stein  ver- 
wandelt''J,  oder  springt  in  Flintsteine  auseinander*). 
J.  Grimm  beweist  aus  den  Redensarten  bei  Hans  Sachs: 
„vor  Zorn  zu  einem  Stein  springen,"  „vor  Leid  wol 
zu  einem  Stein  möcht'  springen,"  dass  diese  Sage  auch  in 
Deutschland  gäng  und  gäbe  war.  Beim  Nahen  des  die 
Sonne  wieder  heraufführenden  Donnergottes  zerreii'st  die 
Wolkendecke  des  Nachthimmels  und  ballt  sich  in  einzelne 
dunkele  Wolkenflecke  zusammen.  Diese  Auffassung  bestä- 
tigt sich  durch  deutsche  Sagen,  welche  zugleich  beweisen, 
dass  man  auch  die  nächtlichen  Schatten  als  eine  Burg 
oder  ein  Gehege  ansah ,  worin  der  Dämon  die  Frauen 
und  himmlischen  Lichter  einschloss,  bis  Thunars  Ruf  ihn 
zwang  seine  Beute  fahren  zu  lassen  ^).    Der  Teufel  bedingt 

1)  GCgjar  siud  Kiesenfrauen. 

2)  Hrafnagaldr  OSins  24.  25.  Eine  ausfuhrliche  Schilderung  von  Thors 
oder  Freys  Kämpfen  gegen  die  Schattenriesen  ist  uns  von  Saxo  1.  II.  in  der 
Erzählung  von  Ragnarr  und  Svanhvit  erhalten. 

3)  Helgaqu-Hjörvardssonar  29.   30. 

4)  Myth.2  519. 

5)  Ganz  ebenso  bezeichnet  üdhas  oder  üdhan  das  Euter,  das  wir  schon 
S.  76.  80  als  Bild  der  Wolke  kennen  lernten,  in  den  Veden  zunächst  die  re- 
genschwere dunkle  Wolke,  die  am  Himmel  hängt,  dann  den  dunkeln 
Himmel,   das  Dunkel  überhaupt.     Roth,   Nirukta  S.  87. 


189 

sich,  indem  er  die  Steins  bürg  im  Grabfeld  in  einer  Nacht 
mit  drei  Mauern  zu  umgeben  verspricht,  die  Tochter 
des  ßitters  zum  Lohn  aus  wenn  er  vor  Tagesanbruch 
fertig  sei,  aber  ihre  kkige  Amme  geht  frühzeitig  in  den 
Hühnerstall  und  macht  den  Hahn  krähen.  Da  flieht  der 
Teufel  wütend  davon  ').  Wir  haben  schon  Zeitschr.  f.  D. 
Myth.  II,  327.  328  nachgewiesen,  dass  der  Hahn  Thunars 
Vogel  ist  und  sein  Krähen  die  Stimme  des  Donners 
versinnbildlicht.  Die  ursprüngliche  Gestalt  der  Sage  muss 
die  Burg  als  eigenen  Wohnsitz  des  Riesen  gekannt 
haben  und  auch  diese  Form  ist  uns  noch  in  einem  nor- 
disch-deutschen Märchen  erhalten  ^). 

Der  in  den  Veden  häufig  vorkommende  Zug,  dass  die 
himmlischen  Dämonen  dem  Gewittergott  trügerisches 
Blendwerk  entgegensetzen '^)  bildet  deutlich  die  Grund- 
lage einer  im  nordischen  Mythus  weitausgesponnenen  Sage, 
wie  Thörr  auf  seinen  Zügen  nach  Osten  vom  Kiesen  Ut- 
garöaloki  durch  vielerlei  Trugwerk  aufgehalten  und 
getäuscht  wird,  siegreich  aber  alle  Schwierigkeiten  über- 
windet und  dem  Riesen  gewaltige  Furcht  und  Achtung  vor 
seiner  Stärke  einflöfst.  Bereits  Uhland  und  Wilh.  Müller 
haben  anerkannt,  dass  die  Ausmalung  dieses  Mythus  in 
der  Snorraedda  späteres  Gepräge  verrate  *),  aber  die  Grund- 
züge sind  alt  und  echt,  z.  B.  dass  der  Riese  sich  vor  Thors 


1)  Bechstein,  Sagenschatz  des  Frankenlandcs  I,  262.  Verwandte  Sagen 
sind  zusammengestellt  in  Menzels  Odin  S.  19   fgg. 

2)  Asbjörnsen  und  Moe  übersetzt  von  Breseniann  I,  No.  28.  S.  200  fgg. 
„Herr  Peter."  Hylten-Cavallius  und  Stephens  übersetzt  von  Oberleitner  XII, 
S.  222  fgg.  „Das  Schloss,  das  auf  3  Goldpfeilern  stand."  Haltrich,  Sieben- 
birgische Rlärchen  No.  13.  S.  63  fgg.  ;,Der  Federkönig."  Vergl.  Basile  Pen- 
tamerone  II,  4  (14)  Gagliuso,  Strapparola  Schmidt  180.  Perault  No.  5,  Le 
Chat  bott(?.  Wie  Heimdallr  manche  Züge  aus  der  Mythe  des  altindogemiani- 
schen  Gewittergottes  reiner  bewahrt  als  Thörr,  so  erzählt  Hrafnag.  Oßins  26 
von  ihm,  dass  er  der  Götter  Hornbläser  bei  Tagesanbruch  die  früh- 
tönende  (Brücke?  Burg?)  Ärgiöll  liinaufsteigt.  Vergl.  das  Gjallarhorn 
oben  S.  115  fgg.  und  die  Wörter  gjöll  Bergliöle  (=  Wolke?),  gjall  scoria 
ferri,  strietura,   Hammcrslag,   gnister. 

3)  Auch  Oegir  heifst  im  Beginn  der  BragaraeSur  sehr  zauberkundig 
mjöli  fjölkunnigr. 

4)  Uhland,  Mythus  von  Thorr  70.  74.  W.  Müller,  Versuch  einer  my- 
thol    Erklärung  der  Nibelungensage  S.  14. 


190 

Hammerschlägen  mit  einem  Berge  bedeckt,  dass  Thörr 
bei  ihm  den  Drachen  die  MiögarSsschlange  bekämpft  nnd 
das  halbe  (Wolken-)Meer  austrinkt  (vergl.  oben  S.  92.  99). 
Da  wir  Loki  schon  oben  als  einen  der  Vritra  ähnlichen 
himmlischen  Dämonen  nachgewiesen  haben  (S.  84  fgg. ), 
diese  aber  auch  als  Riesen  gedacht  Avurden,  so  wird  nun 
auch  klar,  weshalb  er  in  unserer  Sage  und  bei  Saxo  als 
Riese  UtofarSaloki  erscheinen  kann,  und  dass  die  Tren- 
nung  des  UtgarSaloki  und  Asaloki,  so  wie  die  des  Oku]>örr 
und  Asajicrr  eine  ganz  willkürliche,  im  alten  Mythus  durchaus 
unbegründete  ist.  W.  Müller  tat  dar  '),  dass  des  gefessel- 
ten UtgarSaloki  Aufenthalt  so  wie  Geirröös  Reich,  das  ei- 
ner dunkeln  Nebelwolke  gleicht  (oppidum  vaporanti 
maxime  nubi  simile)  ein  Totenaufenthalt  ist.  König 
Gorm  schickt  Thorkill  (Thorr)  zu  ersterem,  um  zu  erfor- 
schen „quasnam  sedes  esset  exuto  membris  spiritu  petitu- 
rus."  Beide  Riesensitze  entsprechen  in  fast  jedem  ein- 
zelnen Zug  der  Beschreibung  des  Totenreichs  der  Hei 
und  dass  hier  nicht,  wie  Wilhelm  Müller  meint,  allein  der 
Gedanke  wirkte,  dass  Geirröör  als  getöteter  Riese  in  der 
Totenwelt  wohnen  müsse,  ergiebt  sich  daraus,  dass  Loki 
nur  gefesselt  nicht  tot  gedacht  wurde;  zudem  hat  Sim- 
rock  ausreichend,  wenn  auch  nicht  überall  mit  zutreffenden 
Gründen,  die  Uebereinstimmung  mit  Hels  Totenreich  auch 
von  dem  Wohnsitz  der  lebenden  Riesen  Hymir  und  Gy- 
mir  erwiesen  '^).  Dies  führt  uns  auf  die  dem  indischen 
Glauben  entsprechende  Vorstellung,  dass  die  Riesen  See- 
len böser  Menschen  seien.  Aus  diesem  Grunde  woh- 
nen die  Tossar  in  Grabhügeln^).  Riesennamen  sind 
Helblindi  und  Helreginn,  Todblind  und  Todesherrscher. 
Brynhilldr  muss,  um  zu  Hei  zu  gelangen,  durch  das  Ge- 
höft einer  Riesin  am  Eingang  der  Totenwelt  fahren. 
Die  Sage,  dass  die  Riesen  vor  den  Menschen  die  er- 
sten Bewohner  des  Landes  waren,  geht  ihrem  ursprüngli- 


1)  Schambach  und  Müller,  Niedersächs.  Sagen  S.  376. 

2)  Handbuch  der  D.  Myth.  71.  304.  311.  vergl.  439.  298. 

3)  Lex.  myth.  982. 


J9^1 

chen  Kern,  au  den  sich  freilich  sehr  viele  andere  Momente 
anknüpfen,  auf  den  Glauben  zurück,  dass  Jene  Geister  der 
Voreltern,  freilich  böse  seien.  Ich  möchte  vermuten  dass 
Flüche  wie:  eigi  hann  jötnar ')  mögen  ihn  die  Jötune  ha- 
ben, J>ik  hafi  allan  gramir  '^)  dich  sollen  ganz  und  gar  die 
bösen  Mächte  haben'*  in  eine  dem  eddischen  Zustand  des 
nordischen  Glaubens  vorausgehende  Zeit  zurückreichen  und 
bedeuten:  „Fahre  als  Verdammter  mit  den  bösen  Geistern 
um."  Denn  wie  König  Gorms  Seele  bei  Utgaröaloki  ili- 
ren  künftigen  Wohnsitz  haben  soll,  so  hiefsen  Verbrecher 
durch  die  Hinrichtung  den  Riesen  geweiht.  Von  zwei  Räu- 
bern Treskegg  und  Skurfo,  die  der  Jarl  Torf-Einarr  auf  den 
Orkneys  im  9ten  Jahrhundert  tötet,  wird  gesagt: 

j)ä  gaf  hann  Treskegg  tröllum, 

Torf-Einarr  drap  Scurfu  ^). 
Zauberische  Wiederbelebung  Toter  nannte  man  „den  Troll 
aufwecken  at  veckia  upp  troll  ^)."  Jene  Mythe,  welche 
wir  oben  vom  indischen  Rakshasa  Hidimba  mitteilten,  bil- 
det einen  uralten  Bestandteil  der  germanischen  Riesensage. 
Dieser  zufolge  kommt  ein  Mensch  (in  der  ursprünglichen 
bei  Indern  wie  Deutschen  verdunkelten  Sage  natürlich  ein 
Gott)  in  die  Wohnung  des  menschen  fr  essenden  Rie- 
sen und  wird  darin  von  einem  mildgesinnten  Weibe  (der 
geraubten  Wasserfrau)  versteckt.  Der  Riese  kehrt  heim 
und  ruft  gleich:  „Ich  riech',  ich  rieche  Menschen- 
fleisch," Ich  wittere,  wittere  Menschenfleisch." 
„I  smell  the  blood,"  „her  lugt  er  saa  kristen  mands 
been^)."    Das  älteste  Zeugnis  dieser  Sage  bietet  die  H}'- 


1)  Atlamäl   31. 

2)  Harbarösl.   60. 

3)  Heimskringla  Haralds  llärfagrss.  cap.  27,   d.  i.    Da    gab    er    den  Tres- 
den  Trollen,  Toif-Einarr  erschlug  Skurfa. 

4)  Lex.  myth.   849. 

5)  Myth.*  454.  521.  Wie  wir  bei  Hidimba  bemerkten,  dass  die  indi- 
schen Dämonen  Tanz  und  Spiel  lieben  (ihre  Musik  ist  wol  wieder,  nur  in 
bösem  Sinne  gleich  dem  Sturmlied  der  Maruts)  heifst  eine  traurige  Melodie, 
nach  der  die  Riesen  ilire  Keigen  auffuhren  sollen  tusseldands  Riesentanz. 
Wie  der  Albleich  ist  der  tröllshättr,  tröllaslagr,  norweg.  troldslaat  berühmt. 
In  gewissen  Steinsetzungen  sieht  das  Volk  versteinerte  Riesentänzer. 


192 

misquiSa,  wo  ein  mitleidiges  Weib  Thörr  und  Tyr  vor  dem 
Riesen  Hymir  unter  einem  Kessel  verbirgt.  Wir  müssen 
diese  Sage  mit  kurzen  Worten  näher  betrachten.  Hymir, 
der  hinter  den  Elivägar  wohnende  Riese  ist  seinem 
Namen  nach  der  Dämmerer,  wenn  man  die  Wörter  hüma 
vesperare,  hyma  dormiturire  in  Betracht  zieht  oder  der 
Tosende,  wenn  man  J.  Grimms  Zusammenstellung  mit  goth. 
hiuhma  Tilvidog  und  die  daran  geknüpften  Auseinanderset- 
zungen ^)  gelten  lässt.  Auf  die  letztere  Bedeutung  würde 
auch  der  Name  Ymir  führen,  den  unser  Riese  in  der  Gylfa- 
ginning  trägt.  Sein  Backenwald  ist  gefroren,  Eis- 
berge schallen,  als  er  in  den  Saal  tritt.  Er  hat  ei- 
nen so  scharfen  Blick,  dass  die  kesselbehangene  Säule, 
hinter  der  Thörr  und  Tyr  versteckt  sind,  zerspringt.  Bei 
dem  Riesen  weilt  ein  allgoldenes,  weifsbrauigesWeib, 
die  Mutter  des  (Himmelsgottes)  Tyr.  Thörr  fordert  von 
ihm  den  geraubten  Kessel  Oegirs  (s.  oben  S.  103),  den 
der  Riese  verweigert,  bis  Thörr  Beweise  seiner  Stärke  ge- 
geben. Er  bekämpft  nun  mit  Hymir  ins  Meer  hinausru- 
dernd, die  Miögarösschlange,  der  Hymir  zu  Hilfe  kommt, 
worauf  Thörr  einen  steinharten  Kelch  an  des  Jötuns  Haupte 
zerschmettert  und  auf  seinem  Kopf  den  Kessel  davonträgt. 
In  dieser  Erzählung  sind  zwei  Mythen  verbunden,  wie  der 
abweichende  Bericht  der  Snorraedda  zeigt,  welche  nur 
Thors  Kampf  mit  der  MiögarSsschlange  bei  Hymir  kennt. 
Sie  schildert  diese  Tat  als  eine  Rache  Thors  für  das  Blend- 
werk, das  Utgaröaloki  ihm  vorgemacht.  Folgt  hieraus, 
dass  die  Sage  zu  Snorris  Zeit  noch  ein  dunkles  Gefühl 
davon  hatte,  dass  der  MiSgaröswurm  und  Utgaröaloki  iden- 
tisch waren,  so  unterliegt  die  ursprüngliche  Einheit  des  er- 
steren  mit  Hymir  ebenfalls  kaum  einem  Zweifel.  Die  MiS- 
garSsschlauge  ist,  wie  wir  oben  S.  92  bewiesen,  der  alte 
Wolkendrache  Agi  =  Oegir,  von  ihm  ist  Hymir  eine  an- 
dere Gestalt.  Wie  die  vedische  Mythe  erzählt,  dass  In- 
dra  den  Vritra,  der  die  zur  Dasapatni  gemachte  Devapatni 


1)  Ueber  die  Namen  des  Donners  S.  5. 


193 

gefangen  hält,  aufs  Haupt  schlägt  und  dann  Ahi  die 
Regenschlange  niederstürzt  (s.  oben  S.  77),  wie,  sage  ich, 
dort  der  eine  Dämon  in  zwei  Gestalten  auseinanderfällt, 
die  nach  einander  bekämpft  werden,  so  kommt  Thörr  zu- 
nächst zu  Hymir,  der,  jenseits  der  Elivägar  d.  i.  des  Wol- 
kengewässers wohnend,  die  allgoldige,  weifsbrauige 
(allgullin,  brünhvit)  Mutter  des  Himmelsgottes  Tyr  (=:  Zsvg, 
Dyaus)  geraubt  und  gezwungen  hat,  ihn  zum  Gesellen  (fri) 
zu  nehmen  '),  und  bekämpft  dann  bei  diesem  den  Wolken- 
drachen. Wäre  somit  Hymir  gleich  dem  MiSgarSswurm, 
so  muss  er  nach  S.  92  auch  Oegir  identisch  sein  und  es 
wird  dadurch  klar,  weshalb  er  in  der  zweiten  Mythe,  die 
die  Hymisquiöa  mit  jener  ersten  verbindet,  den  Braukes- 
sel Oegirs  das  Himmelsgewölbe  bewahrt^).  Diese  zweite 
Mythe  fasst  den  Dämon  aber  von  einer  etwas  anderen  Seite, 
als  die  erste.  Während  der  Kampf  mit  der  MiSgargs- 
schlange  einfach  den  Bösen  darstellt,  insofern  er  das  Ge- 
wässer des  Himmels  zurückhält,  drückt  die  Sage  von  der 
Kesselholung  denselben  Gedanken  aus;  nur  dass,  wenn  die 
Ableitung  des  Namens  Hymir  von  hüma  recht  hat,  die  Tä- 
tigkeit des  Dämons  so  aufgefasst  Avird,  als  ob  er  das  die 
Himmelsgewässer  enthaltende  Himmelsgewölbe  in  kalter 
Winternacht  einfriert.  Wie  Thorr  den  Kessel  auf 
seinem  Haupte  zum  Göttergastmahl  trägt,  begegnet  uns 
in   den  Veden  mehrfach    der  Ausdruck,  Indra  trage  den 


1)  Dass  diese  Auffassung  der  allgoldenen  Frau  richtig  ist,  ergiebt  der  in 
den  deutscheu  Sagen  fast  immer  bestimmt  hervortretende  Zug,  dass  das  mit- 
leidige Weib,  welches  den  Helden  vor  dem  Eiesen  oder  Teufel  verbirgt, 
eine  geraubte  Königstochter  ist.  Es  lag  aber  nahe,  als  der  ursprüng- 
liche Sinn  der  Mythe  verdunkelt  wurde,  die  Däsapatni  als  Frau  des  Kiesen 
zur  Kiesin  selbst  zu  machen,  wie  in  der  Hymisquiöa  daraus  sogar  noch  wei- 
ter geschlossen  ist,  dass  Tyr  riesischer  Ablvunft  sei.  Aus  diesem  Grunde  über- 
nimmt denn  auch  in  manchen  deutschen  Märchen  und  Sagen  des  Riesen  Frau 
oder  Mutter,  des  Teufels  Grofsmutter  u.  s.  w.  die  mildtätige  Rolle.  Auch  in 
der  Sage  von  Hidimba  wird  die  Schwester  des  Räkshasa  aus  gleicliem  Grunde 
an  die  Stelle  der  alten  Wasserfrau  getreten  sein,  die  den  zu  ihrer  Befreiung 
nahenden  Helden  wol  empfängt. 

2)  Wird  durch  Oegirs  oder  Thors  Braukessel  klar,  warum  die  Schätze 
in  den  deutschen  Sagen  stets  in  Braukesseln  oder  Braupfannen  versunken 
sind?  Das  Rücken  dieser  Schätze  fand  schon  S.  151  aus  dem  himmlischen 
Schatz  in  der  Wolke  seine  richtige  Erklärung. 

13 


194 

Himmel,  „Indra,  du  setztest  den  Himmel  dhä  dyava'^, 
„er  stützte  den  Himmel"  stambhit  dyäm.  Wir  sehen 
hier  wieder  die  Berührung  der  Wolken-,  Windes-  und  Nacht- 
riesen. Der  Kelch  des  Riesen,  den  Thörr  an  desselben 
Haupte  zerschmettert,  scheint  wieder  eine  mir  noch 
nicht  ganz  verständliche  Form  der  vom  Gewittergott  zer- 
schellten Waflfe  des  Dämons,  s.  oben  S.  182  ").  Die  Hymis- 
mythe  bewahrt  auch  das  germanische  Seitenstück  zu  dem 
oben  S.  160  erwiesenen  scharfen  Blick  der  Räkshasas, 
der  sich  wol  auf  dieselbe  Weise  erklären  wird,  wie  Thors 
feurige  Augen  ^).  Wir  wollen  hier  gleich  bemerken,  dass 
wie  die  Räkshasas  schlau  heifsen,  die  Riesen  als  hundert- 
fachweise (hundvis)  bezeichnet  werden '').  Bergelmir  führt 
das  Beiwort  „inn  fröSi  (der  kluge)  Jötunn*)"  und  alsvitr 
ist  eine  Bezeichnung  Vafthrüönirs  ^). 

Wir  sahen  bei  Hrünguir  und  dem  riesigen  Baumeister, 
der  die  Winterburg  errichtet,  den  Raub  der  Sonne,  des 
Mondes  und  einer  Göttin  in  der  eddischen  Tradition  bis 
auf  wenige  Spuren  des  alten  Verhältnisses  gemildert  und 
in  ein  blofses  Gelüst  nach  denselben  umgewandelt,  durf- 
ten aber  eine  wirkliche  Entführung  mit  Sicherheit  für 
eine  ältere  Gestalt  des  Mythus  vermuten,  in  Uebereinstim- 
mung  mit  der  trejßpenden  Bemerkung  Wilhelm  Müllers  bei 
Gelegenheit  einer  Untersuchung  über  die  Schwanensage ") : 
„Gar  oft  hat  man  in  Mythen  dasjenige,  was  nur  geschehen 
soll,  aber  verhütet  wird,  als  wirklich  geschehen  zu  fassen, 
um  den  Zusammenhang  des  Ganzen  zu  erkennen."  Von 
einem  anderen  Riesen  Thiassi  berichtet  die  skandinavische 
Sage  nun  ausdrücklich,  dass  er  die  Göttinn  Igunn  mit  Lo- 
kis  Hilfe  raubt  und  in  seiner  Burg  gefangen  hält,  nach- 
dem  er  zuvor  drei  wandernden  Äsen  den  Stier  (d.i.  das 


1)  Zu  S.  163,  Anm.  1    noch    Rigv.  Rosen  LXXX,  10    Indra   brach    des 
Vritra  Macht,  mit  dem  Geschosse  das  Geschoss. 

2)  S.   Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II. 

3)  Hymisqu.   5. 

4)  VafthrüÖnism.  35. 

5)  VafthrüÖnism. 

6)  In  Pfeiffers  Germania  I,  422. 


195 

beim  Göttermahl  getötete  Rind;  s.  oben  S.  42) ')  ent- 
wandt, welchen  sie  sich  soeben  zur  Mahlzeit  sieden 
wollten.  löunn  entkommt  aus  Thiassis  Haft,  er  folgt  ihr 
in  Adlergestalt  bis  vor  die  Tore  Asgarös;  da  machen 
die  Götter  ein  Feuer  unter  dem  Burgtor  an;  der 
Adler  vermag  nicht  anzuhalten,  die  Flamme  schlägt 
ihm  ins  Gefieder  und  macht  seinem  Flug  ein 
Ende^).  Nach  Harbarösl.  19  erschlug  Thörr  den 
Thiassi.  Thiassi  ist,  wie  Uhland  sehr  deutlich  nachgewie- 
sen hat^),  der  Dämon,  der  die  Sturmgewalt  in  verderb- 
lichem Sinne  ausbeutet;  dass  aber  auch  die  andern  Ver- 
richtungen der  Wolkendämonen  ihm  nicht  fremd  waren, 
geht  aus  dem  Zeugnisse  des  Grimnismäl  und  den  Beiwör- 
tern hervor,  welche  ihm  schon  im  9ten  Jahrhundert  der 
norvegische  Skalde  Thiodölfr  von  Hvin  in  seinem  Höstlaung, 
einem  Gedichte,  das  die  Entführung  der  löunn  schildert, 
beilegt.  Sein  Wohnsitz  ist  nämlich  Thrymheimr  Donner- 
heim*), Thiodölfr  nennt  ihn  byrgityr  bjarga  der  Berge 
Burgherr,  Bergwolf  fjallgyldir,  vingrögnir  vagna  der  Luft- 
wagen Herscher  ^).  Ganz  ähnlich  tritt  in  einigen  Stellen 
der  indische  Wolkendämon  auf,  z.  B.:  „Wann  du  (Indra) 
über  des  Bläsers  Haupt  über  den  schlafimachenden  Trock- 
ner (Qushna)  dröhnend  die  Gewässer  niederzwingst^)." 
Der  Sturm  entführt  das  Wolkenrind,  das  so  eben  die  Göt- 
ter speisen,  den  Regen  ergiefsen  soll').  Dieselbe  Mythe 
enthält  löuns  Raub.     löunn,    von  welcher  Curtius  neuer- 


1)  Vergl.  Rigv.  Eosen  LXI,  12.  „Wie  das  Fleisch  einer  geschlachteten 
Kuh,  teile  der  Wolke  Seiten  mit  gekrümmtem  Geschoss,  locke  die  Wasser- 
ströme hervor,  dass  sie  fliefsen".  Thiodölfr  von  Hvin  nennt  das  Göttermahl, 
von  dem  Thiassi  den  Ochsen  rauht  (ät  af  eikirotu  okbjöm)  einen  heiligen 
Tisch  (helgi  skutill). 

2)  Bragara3Öur  cap.  56. 

3)  Mytlius  von  Thon-  117. 

4)  Grimnism.   11. 

5)  Skäldskaparm.  cap.  22.  Sn.  E.  I,  306  fgg. 

6)  Rotli,  Nirukta  S.  66.  Der  Scholiast  erklärt,  weil  er  die  Beiwörter 
der  Bläser  und  Austrockner  für  den  von  Indra  bekämpften  Vritra  nicht  mehr 
versteht,  crsteres  (fvasana)  auf  den  Windgott  Väji],  letzteres  auf  die  Sonne. 

7)  Weshalb  der  Riese  dabei  auf  dem  Baume  sitzt,  wird  unten  aus  der 
Untersuchung  über  Yggdrasill  klar  werden. 

13* 


196 

dings  etymologische  Verwandschaft  mit  der  von  Lauer  als 
Wolkengöttin  nachgewiesenen  Athene  darzutun  suchte'), 
ist  eine  der  Persephone-Despoina  ähnliche  Gestalt  (vgl.  die 
Mythe  von  löunn  in  Hrafnagaldr  Oöius).  Sie  ist  die  Göt- 
tin der  Wolke,  deren  Wasser  das  lebende  und  heilende 
Element  in  der  ganzen  Natur  bildet").  Die  germani- 
sche Mythe  hat  das  Wasser  der  Wolke,  von  dieser  Seite 
betrachtet,  als  den  belebenden  Jungbrunnen  gefasst,  über 
welchen  im  Verfolg:  zu  reden  sein  wird.  löuns  Reich  heifst 
Brunnakr  Brunnenfeld,  sie  selbst  nennt  Thiodolfr  mey 
sorgeyra,  ])ä  er  elli-lyf  Asa  kunni  die  schmerzheilende 
Maid,  die  des  Götteralters  (Asarum  senectutis)  Heilung 
kenne.  Ihre  jungmachenden  Aepfel,  die  sie  in  der 
Hand  trägt,  sowie  die  Nuss,  in  welcher  eingeschlossen  sie 
aus  Donnerheim  befreit  wird,  sind  nur  Symbole  des  Le- 
bens und  der  Belebung  überhaupt.  Dass  unsere  Auffas- 
sung der  iSunn  die  richtige  ist,  ergiebt  sich  noch  beson- 
ders daraus,  dass  die  eddische  Mythe  den  Dichtergott 
Bragi  als  ihren  Gemahl  nennt,  eine  sehr  späte  Mythenge- 
Btalt,  welche  analog  den  Musen,  Orpheus,  Apollön  Musa- 
getes,  den  niusikliebenden  Kentauren  und  anderen  Sanges- 
gottheiten, die  einem  der  himmlischen  Naturlaute  des 
Donners,  Windes  oder  plätschernden  Regens  ihre  Entste- 
hung verdanken,  auf  die  Stimme  des  hallenden  Donners 
zurückgeführt  werden  muss.  —  In  Thiassis  Sage  begegnen 
wir  auch  dem  Zuge  wieder,  dass  der  Gewittergott  die  Dä- 
monen verbrennt  s.  oben  S.  165.  Bei  Thiodolfr  heifst 
er  ferner  die  viel  wissende  Möwe  der  Woge  des  Lei- 
chenhaufens margspakr  mär  valkastar  bäru.     Diese  und 


1)  Zeitschr.  f.  vgl.  Spraclif.  III,  153;  vgl.  ebend.  I,  439  fgg.  Zeitschr. 
f.  D.  Myth.  III,   373  fgg. 

2)  Vgl.:  Die  Wasser  (Äpas)  rufe  ich  an,  die  Göttinnen,  von  denen  un- 
sere Kühe  trinken;  den  Flüssen  sollen  wir  opfern.  In  den  Wassern  ist  Am- 
rita,  in  den  Wassern  Heilkraft,  die  Wasser  zu  preisen  seid  unmüfsig  ihr  Prie- 
ster. In  den  Wassern,  sagte  mir  Sonia,  sind  alle  Heilmittel,  der  alles  bese- 
ligende Agni,  und  alles  heilende  Fluten.  Ihr  Wasser  ergiefset  euer  Krankheit 
abwehrendes  Heilmittel  auf  meinen  Körper,  sogleich  Angesichts  der  Sonne. 
Rigv.  Rosen  XXIII,   18—22. 


197 

alle  übereinstimmende  Benennungen  anderer  Riesen  —  so 
führt  ein  auch  in  Adlergestalt  einherfahrender  Sturm- 
riese den  Eigennamen  Hr^svelgr,  Leichenschwei- 
ger —  zeigen  uns,  dass  ebenfalls  an  die  germanischeu 
Dämonen,  wie  an  die  indischen  Räkshasas,  Kravyädas, 
Pi^acas  die  Vorstellung  leichenfressender  Wesen  ge- 
knüpft war.  So  wird  auch  die  Reifriesin  HrimgerSr  nä- 
graöug  leichengefräfsig  gescholten').  Auch  Namen 
von  Riesinnen,  wie  Vigglöö,  die  Schlachtfrohe,  weisen  dar- 
auf hin.  Der  den  Mond  verschlingende  Wolf  Mänagarmr 
wird  mit  dem  Fleisch  aller  gestorbenen  Menschen  gesät- 
tigt. Bewährten  uns  bereits  Thiassi  und  Hrsesvelgr  das 
Vermögen  des  Riesen  ihre  Gestalt  zu  verändern,  so  zeigen 
andere  Ueberlieferungen ,  dass  ihnen  auch  andere  Tierfor- 
raen  zu  Gebote  stehen,  natürlich  ursprünglich  nur  solche, 
welche  symbolischer  Ausdruck  der  himmlischen  Naturer- 
scheinungen sind,  wie  der  Adler,  der  Drache.  Riesin- 
nen reiten  auf  Wölfen;  der  (den  leuchtenden  Himmel)  Tyr 
schädigende  Fenrir,  sowie  Hati,  Sköll  und  Mänagarmr,  die 
der  Sonne  und  dem  Mond  nachstellen,  sind  Riesen  in 
Wolfshaut  ^);  ihre  Mutter,  die  alte  Riesin  im  Eisenwald 
(Jarnviör),  hat  viele  Riesenkinder,  alle  in  Wolfsgestalt  (En 
gamla  gygr  faeöir  at  sonum  marga  jötna,  ok  alla  i  vargs 
likjum).  —  Ein  Weib  in  Grofs-Harja,  erzählt  die  Sage  der 
Inselschweden  auf  Worms  und  Nuckoe,  trug  bei  einem  Ge- 
witter etwas  in  ihrer  Schürze.  Da  kam  eine  Stimme  aus 
der  Wolke:  „Lass  deine  Schürze  herunter".  Sie  tat  es 
und  ein  kleines  schwarzes  Tier,  kleiner  als  eine 
Katze '^)  (ein  Troll,  Riese,  ilaka),  lief  heraus,  wurde  aber 
auf  der  Stelle  von  einem  Blitzstrahl  zerschmettert.  Ein 
Weib  in  Worms  ging  in  die  Badstube  und  kleidete  sich 
vor  der  Tür  aus.     Da  bemerkte   sie  ein  Tier  unter  ihrer 


1)  Ilelgaquiöa  Hjörvargssonar  16. 

2)  Gvlfagimiing  12. 

;i)  Eine  Bezeichnung  der  Riesen  ist  Köttr  Katze,  Luchs.  Man  vergl. 
den  oben  S.  8i  beigebrachten  Ausdruck  Bullerkater,  Bnllorluchs  =  Ge- 
wittcrwoliie,  und  die  Katzen  (die  Wolken),  mit  denen  Frcyja  fährt.  Aiuli 
der  Mi'ögargsdrache  wird  von  Thorr  als  Katze  in  die  Höhe  gehoben. 


198 

Schürze,  welches  sich  unter  den  Kleidern  versteckte.  Ehe 
sie  es  vertreiben  konnte,  schlug  der  Blitz  dahinein,  aber  es 
war  nachher  nichts  mehr  von  ihm  zu  sehen'.)  MüUenhoff 
hat  bereits  darauf  aufmerksam  gemacht^),  dass  holzrüna 
und  holzmuoja  althochdeutsche  Bezeichnungen  der  rie- 
sischen Völur  (Zauberweiber)  sind;  holzmuoja  über- 
setzt aber  auch  in  ahd.  Glossen  die  Eule,  was  auf  einen 
Zusammenhang  dieses  tod-  und  unheilverkündenden  Vogels 
mit  den  Eiesinnen  deutet.  Skrikia,  die  Schreierin,  wird 
unter  den  Namen  der  Riesinnen  aufgezählt  und  wiederum 
heifst  screechowl  die  Toteneule.  Im  deutschen  Helden- 
buch werden  die  Riesen  bercrinder  und  walthunde 
gescholten^),  eine  eddische  Riesin  heifst  Hyndla  Hündin 
und  unter  den  Namen  der  Jötune  begegnet  wieder  H  u  n  d  - 
alfr  oder  Hundölfr,  Hundalf  oder  Huudwolf.  Der  letz- 
tere Ausdruck  führt  uns  auf  den  Hund,  der  in  den  Sa- 
gen von  der  weifsen  Frau  den  Schatz  bewacht.  Er  ist 
eins  mit  dem  auf  dem  Golde  liegenden  Drachen,  worauf 
schon  die  Benennung  des  MiSgarSsdrachen  Jörmungandr 
universalis  lupus  hindeutet.  Die  Begriffe  Hund  und  Wolf 
gehen  in  der  altnord.  Poesie  und  Mythologie  sehr  oft  in 
einander  über.  Die  Wölfe  heifsen  die  Grauhunde  der  Nör- 
nen,  der  Wind  Wolf  oder  Hund  der  Luft,  so  dass,  da  wir 
bereits  S.  149  den  Schatz  als  das  Sonnengold  nach- 
wiesen, dieser  Hund  zunächst  mit  dai  Wesen  Fenrir  und 
Mänagarmr  identisch  erscheint.  Man  hat  aufserdem  nach- 
gewiesen, dass  der  Hund  des  Riesen  Geryones,  der  des- 
sen Rinder  (die  Wolkenherde)  bewacht,  Orthros  mit 
Vritra  sachlich  wie  etymologisch  zusammenfällt*).  Er 
wird  von  Herakles  erlegt.  Die  Mythe  macht  ihn  zum 
Sohn  der  Schlange  Echidna.  Sein  Bruder  ist  der 
Hund  im  Erebos  Kerberos  und  auch  dieser  fällt  seinem 
Namen  nach  mit  einem  vedischen  Worte  ^arvara  oder  9a- 
bala,  dunkel,  gefleckt,  zusammen,   welches  einerseits  Bei- 


1)  Russwurm,  Eibofolke  II.  §.  383.  S.  256.  257. 

2)  Zur  Runenlehre   50. 

3)  Laurin  2625.     Sigenot  13.  114.     Myth.''500. 

4)  Max  MliUer,  Zeitsclir.  f.  vgl.  Spraclif.  V,  150. 


199 

wort  für  den  särameyischen  Hund  des  Totengottes  Yama 
ist,  von  welchem  Kuhn  bereits  die  Identitcät  mit  unserem 
Hellhund  nachgewiesen  hat'),  andererseits  in  der  nasalier- 
ten Form  Carabara,  wie  wir  gesehn  haben,  als  einer  von 
Vritras  Namen  auftritt.  Wiederum  erscheint  das  lautlich 
entsprechende  Qravara  oder  Cruvara  in  der  westarischen 
Ueberheferung  als  Eigenname  einer  Schlange,  welche  von 
dem  dem  Indra  verwandten  Gott  oder  Helden  Qäma  (Ke- 
repäspa  ind.  Kripäpva)  erlegt  wird'^). 

Noch  einmal  müssen  wir  auf  GeirröSr  zurückkommen, 
in  welchem  schon  U bland  einen  Gewitterriesen  er- 
kannte ^).  Die  älteste  Darstellung  seines  Mythus  findet  sich 
in  der  Thörsdräpa  des  Skalden  Eilifr  GuSrünarsonr ,  der 
im  lOten  Jahrhundert  den  Glanz  des  dichterreichen  Hofes 
Hakons  des  Mächtigen,  der  den  alten  Götterglauben  neu 
belebte,  erhöhen  half.  Er  stützte  sich  unzweifelhaft  auf 
ein  älteres  Volkslied,  von  dem  die  Erzählung  der  Skälda 
(Kap.  18  Snorredda  I,  284  fgg.)  S.  286  eine  mit  Str.  7  der 
Thörsdräpa  übereinstimmende  Strophe  anführt.  Snorri,  der 
mithin  dasselbe  ältere  Volkslied  benutzte  wie  Eilifr  *),  be- 
rücksichtigte bei  seiner  Darstellung  aber  noch  ein  zweites 
Lied,  das  bereits  ein  etwas  späteres  Gepräge  an  sich  trägt, 
als  jenes  erste  und  von  dem  er  ebenfalls  eine  Strophe  an- 
führt ^).     Aus   diesem  Liede ,    in   welchem  Thörr  auf  ähn- 


1)  S.  Weber,  Ind.  Studien  II,  297  fgg.  Ind.  Literaturgesch.  34.  Kuhn, 
Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VI,   125  fgg. 

2)  S.  Spiegel,  Zeitschr.  der  morgenl.  Gesellschaft  III,  247.  Kieler  Mo- 
natschrift 1852.  S.  191   fgg. 

3)  Mythus  von  Thörr   189. 

4)  Dies  geht  überdies  noch  aus  andern  Uebereinstimmungeu  Suorris  mit 
dem  Liede  Eilifs  hervor.  Skälda  288:  Eigi  misti  hann  \>av  er  hann  kastaöi 
til.  Thörsdräpa  18:  Glaums  niöjum  för  görva  gramr  meö  dreyrgum  hamri 
of  salvauiö-sjnijar  sigr  laut  ariubrauti.  Skälda:  Ok  j)ä  er  ['orr  kom  ä  mi"Sja 
äna  ])ä  6x  svä  mjök  äin  at  uppi  braut  ä  öxl  honum.  Thörsdräpa  7:  Ilarö- 
vaxnar  scr  hergir  hallands  of  sik  falla,  getag,  mar,  njötr  hinn  neytri,  njar'S 
räÖy  rir  ser  gjaröar.  Vei-gl.  Str.  8.  Vergl.  mit  ersterer  Stelle  oben  S.  111. 
Skäldskaparm.  cap.  35  und  Saxos  Beschreibung  von  Thors  Keule:  Nulluni 
erat  armaturae  genus,  quod  impellenti  non  ccderet.  Nemo  ferientem  tuto  ex- 
cipere  poterat.      Quicquid  ictu  arccbat,  obruit. 

5)  S.  darüber  Uhland,  Mythus  von  Thörr  136.  Anm.  74.  Auf  das  erste 
Lied  beziehen  sich  Snorris  Worte :  cptir  jjessi  sögu  hefir  ort  Eilifr  Gnöni»»!'-- 
sonr  i  ]>6rsdräpu. 


200 

liehe  Weise  von  seinen  Taten  gesprochen  zu  haben  scheint, 
wie  im  HarbarSsHöS,  nahm  Snorri  einige  Züge,  welche  schon 
in  jenem  ersten  Liede  nur  in  anderer  mythischer  Form  ent- 
halten waren  und  flocht  sie  in  seine  Erzählung  ein.  Aufser 
Snorris  Bericht  und  der  Thorsdräpa  ist  Geirröös  Sage  noch 
in  ein  Abenteuer  Thörkills  (Thors)  bei  Saxo  und  in  die 
späte  Sage  Thörsteins  Bäarmagns  (Thors)  verflochten*). 
Die  der  Zeit  nach  älteste  Ueberlieferung  besagt  nun,  dass 
Thorr  auszog  den  Riesen  Geirröör  zu  besuchen.  Er  ge- 
langte unterwegs  an  einen  reilsenden  Strom,  aller 
Flüsse  gröfsten,  den  er,  auf  einen  Stab  gestützt, 
durchschreiten  will,  aber  der  Strom  schwillt  immer  höher 
und  höher  über  sein  gewöhnliches  Bett  empor,  und  die 
Woge  schlägt  über  Thors  Schulter  mit  gewaltiger  Macht 
zusammen.  Da  gewahrt  Thörr,  wie  des  Riesen  Tochter 
Gjälp  (Brandung)  am  Felsufer,  da  wo  die  Flut  sich  auf- 
staute, stand  und  die  Strom  wachs  ung  (ärvöxtinn)  ver- 
ursachte. Er  vertreibt  sie  mit  dem  Wurf  eines  Steins 
und  schreitet  an  dem  Stabe  durch  die  Wogen.  Nun 
kommt  er  zum  Lande  Geirröös,  der  von  Eilifr  der  böse 
Verschlinger  (Eiuschlucker  HarSgleipnir,  von  gleipa  ein- 
schlucken, verschlingen)  genannt  wird.  In  Geirröds  Halle 
setzt  er  sich  auf  einen  Sessel,  merkt  aber  bald,  dass  der- 
selbe gegen  die  Decke  zum  Himmel  (til  himins)  in  die 
Höhe  gehoben  wird.  Giälp  und  Greip  (Griff),  die  Töch- 
ter Geirröös,  sitzen  unter  dem  Stuhl.  Thörr  drückt  ihn 
nieder,  indem  er  sich  mit  dem  Stabe  gegen  die  Decke 
stützt,  seine  Asenkraft  anwendend,  und  zerbricht 
denRiesinnen  mit  Gekrach  das  Rückgrat^).  Nächst- 
dem  ruft  ihn  Geirröör  zu  Spielen  in  eine  Halle,  die 
rings  von  Feuern  leuchtet.  Sobald  der  Gott  sich  naht, 
schleudert  der  Riese  einen  glühenden  Eisenkeil  gegen 
ihn,  den  Thörr  auf  den  Riesen  zurückwirft,   welcher 


1)  Diese  Prosaerzählung  ist  nach  der  Reformation  auf  Island  von  Bryn- 
jiilf  Olafson  wiederum  in  poetischer  Form  bearbeitet.  S.  Halfdani  Einari 
Sciagraphia  liistoriae  literarum  Islandiae  S.  78. 

2)  Nach  Eilifr  die  Brust:  Es  brach  der  Schiffslenker  des  Platz- 
regens der  Gewitterlohe  jeder  von  beiden  Hölenfrauen  den  hundertalten 
Kiel  des  Geläclitersitzes. 


201 

sich  nun  hinter  einer  Säule  versteckt.  Der  Keil  dringt 
durch  die  Säule  und  durch  GeirröSr,  worauf  Thörr  mit 
dem  Stabe  das  übrige  Riesenvolk  erschlägt^).  Bereits 
Uhland  erkannte,  dass  der  Strom  Vimur  die  Gewitterwolke 
sei;  versteht  aber  die  Anschwellung  des  Flusses  auf  das 
Wachsen  der  irdischen  Bergströme,  die  durch  den  herab- 
strömenden Regen  gefüllt  werden.  Mir  ist  es  wahrschein- 
lieber,  dass  ursprünglich  vom  Aufstauen  der  Wolke  durch 
die  zurückhaltende  Tätigkeit  der  Dämonen  die  Rede  war 
und  die  cynische  Weise,  auf  welche  Geirröös  Töchter  Vi- 
mur anschwellen  machen,  spätere  Ausschmückung  ist^). 
Den  Stab  haben  wir  schon  oben  S.  21.  62.  173  als  den 
Blitz  erkannt,  mit  welchem  Thorr  das  Himmelsgewässer 
durchwatet  s.  o.  S.  147.  Suorri  fügt  noch  hinzu,  dass  Thörr 
diesen  Stab  auf  der  Fahrt  zu  Geirröör  von  einer  Riesin 
Griör  sammt  einem  Stärkegürtel  empfangen  habe,  woher 
der  Stab  GriSarvölr  heifse.  Griör  sei  die  Mutter  Viöars 
des  Schweigsamen.  Griö  bedeutet  Heftigkeit,  Unge- 
stüm. Stab  der  Heftigkeit  ist  eine  passende  Um- 
schreibung für  Thors  Mjöluir  und  daher  wird  es  klar,  dass 
hier  die  Riesin  Griö  nur  durch  etymologisches  Misverständ- 
nis  eines  poetischen  Ausdrucks  entstanden  und  mit  der 
gleichnamigen  Mutter  Viöars  ungehörig  vermischt  ist.  In 
GeirröSs  Burg,  die  Saxo  als  eine  Berghöle  beschreibt 
(conclave  saxeum,  cui  Geruthum  fama  erat  pro  regia. as- 
suevisse)  erkennen  wir  ein  anderes  Bild  der  Wolke.  Des 
Dämons  Töchter  türmen  das  Gewässer  zurückhaltend  die 
Wolke  gegen  den  Himmel  auf,  um  den  den  Regenerguss 
zur  Erde  anstrebenden  Gott  in  die  Höhe  zu  schnellen. 
Mit  dem  Blitzstabe  zerbricht  Thörr  ihren  Rücken.  Dass 
unsere  Deutung  des  Stabes  richtig  ist,  geht  aus  Saxos 
Bericht  hervor,  wo  erzählt  wird:  praeterea  foeminas  tres 
corporeis  oneratas  strumis  ac  veluti  dorsi  firmitate  de- 

1)  Thorsdräpa.  18. 

2)  Hiefür  sprechen  die  Island.  Geister:  bjargmigi,  bruunmigi,  bniim- 
üngr  Hälfss.  c.  4,  welche  von  Finu  IMagmisscn  als  Tröllkarle,  Bergriescii,  Jötiiar 
und  zwar  als  „daemoncs  fontes  montanes  custodicntes  et  honiini- 
luis  eorum  iisum  prohibentes"  bezeichnet  werden.  Lex.  niytli.  7J8. 


202 

fectas  junctos  occupasse  discubitus  mit  dem  Beisatz:  foe- 
minas  vi  fulminis  tactas  infracti  corporis  darano  ejus- 
dem  numiuis  (Thori)  attentati  poenas  pependisse.  Wir  be- 
gegnen hier  wieder,  wie  schon  S.  89  dem  mit  der  indi- 
sehen  Ueberlieferung  übereinstimmenden  Zug,  dass  der  Dä- 
mon mit  gebrochener  Schulter  zusammensinkt,  s.o. 
S.77.  163.  Dieselbe  Art  der  Tötung  tritt  bei  Geirröör  selbst 
ein,  der  Thörr  seinen  Blitz  entgegen  wirft.  Auch  Saxo 
sagt:  Thor  divum  per  obluctantis  Geruthi  praecordia 
torridam  egisse  chalybem  eademque  ulterius  lapsa  con- 
vulsi  montis  latera  pertudisse.  Der  glühende  Ei- 
senkeil Geirröös  ist  in  der  Thörsteins  Bäarmagnssaga  mit 
einer  glühenden  Kugel  vertauscht,  die  so  heifs  ist,  dass 
die  Funken  von  ihr  springen  und  das  Fett  heruuterträuft, 
wie  glühendes  Pech.  Der  Donnerkeil  wird  öfter  unter  der 
Gestalt  einer  Kugel  dargestellt ' ).  Wie  der  Keil  durch 
Geirröör  hindurch  in  den  Berg  dringt  und  ihn  spaltet,  spal- 
tet Indra  den  Wolkenberg,  indem  er  den  Dämon  erlegt. 
Die  Säule,  hinter  der  GeirröSr  sich  verbirgt,  scheint  eins 
mit  den  Säulen  in  der  von  Riesen  dem  h.  Olaf  gebauten 
Kirche  s.  o.  S.  185  und  dem  Felsstück,  mit  welchem  Üt- 
garöaloki  bei  Thors  Schlägen  sich  deckt.  Es  ist  der  Berg 
(=  Wolke),  mit  dem  Vritra  sich  umhüllt.  Suorri  fügt  den 
eben  besprochenen  Zügen  noch  hinzu,  dass  Thörr  an  einem 
Vogelbeer  bäum  reynir,  der  am  Ufer  stand,  sich  aus  den 
Fluten  des  Vimurflusses  emporgehoben  habe.  Daher  heifse 
dieser  Baum  Thors  björg  d.  i.  Thors  Rettung.  Dieser  Vo- 
gelbeerbaum ist  nur  eine  andere  Gestalt  des  Griöstabes  s. 
o.  S.  21  und  bedeutet  ebenfalls  den  Blitz  ^). 

Wie  Indra  die  Dämonen  im  Schlaf  tötet,  oder  ein- 
schläfert,   erlegte  Thörr   ebenfalls   die   bösen  Mächte  in 

1)  Auch  beim  slavisch-lettischen  Stamm  begegnet  neben  den  Ausdrücken 
bozy  pratek,  kamien  piorunowy  pratek,  Perkuno  kulka  Donnerkugel. 
Mieike,  Lith.  Wörterb.  139. 

2)  S.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  390.  Jeuer  Griöavöh-  der  Blitz 
kommt  übrigens  als  Stab,  mit  dem  man  über  das  flief sende  Wasser 
setzen  kann,  auch  schwed.  Sagen,  übers,  v.  Oberleitner  S.  341.  344  im 
Besitz  von  Riesen,  nach  der  Thorsteins  Biiarmagnss.  cap.  2  bei  Zwergen,  in 
deutschen  Sagen  als  Stab  der  Hexen  (s.  o.   S.  35  Anm.  4)  vor. 


203 

gleichem  Zustande.     Saxo   hat  uns   die   Sage   aufbewahrt, 
dass  Thorkill,  in  welchem  der  alte  Gott  Thorr  nicht  zu  ver- 
kennen ist,  zum  Eiesen  Ütgaröaloki  kommt,  um  ihm  3  Haare 
auszureifsen.     Dieselbe  Sage  hat  sich  in  der  Volkssage  le- 
bendig erhalten  ').   Ein  Jüngling  zieht  aus,  um  drei  gol- 
dene Haare  (oder  Federn)   des   bösen  Dämons  (der  als 
menschenfressender  Riese  ^),   Teufel^),   Drache^),   oder 
Vogel  ^)  geschildert  wird)  zu  erbeuten.    Unterweges  kommt 
er  zu  drei  Königen.     Dem  einen   ist  ein  Baum,   der  sonst 
goldene  Früchte  trug,  unfruchtbar  geworden;    dem  andern 
eine  Quelle,  daraus  sonst  goldene  Perlen  springen,  versiegt; 
dem  dritten  vom  Bösen  die  Tochter  geraubt").  Statt 
einer    dieser   drei  Angaben    tritt   bisweilen  die  andere  auf, 
dass    der    Schlüssel    zur   Schatzkammer    des  Königs 
verloren  ist.     Der  Jüngling   erhält   den  Auftrag   durch 
seinen  Besuch  bei  dem  Bösen  den  Grund  dieser  Er- 
scheinungen zu   erkunden,    die  Ursache   derselben   zu 
entfernen.     Wolf,    der  diese   Märchenfamilie   wiederholt 
besprach,   aber  teilweise  von  unrichtigem  Princip  aus  deu- 
tete,   sagt  sehr  richtig:    „Dass  der  Jüngling  jedes  bei  ei- 
nem andern  König  findet,  darf  nicht  befremden,  diese  Drei- 
heit  ist  eine  aufgelöste  Einheit",  und  so  ist  denn  auch  bei 
Müllenhoff,   Sagen  S.  427  fgg.  No.  13,     wirklich  nur  von 
einem  König  die  Rede,  der  alle  drei  Aufgaben  stellt. 
Der  Jüngling  zieht  weiter  und  gelangt  an  ein  reifsendes 
Wasser,  über  das  ein  ewig  unabgelöster  Fährmann 
setzt.   Dahinter  liegt  das  Waldhaus,  die  Hole  oder  präch- 
tige Burg    des   Bösen.     Von    der    geraubten   Königs- 
tochter wird  der  Jüngling  versteckt,  bis  ihr  Räuber,  der 


1)  S.  Wolf,  Beiträge  I,  137.  II,  3  fgg.  9  fgg.  Simrock,  Handbuch  d. 
D.  Myth.  299.     Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  337. 

2)  Wolf,  D.  Hausmärchen  S.  184. 

3J  Wolf,  D.  Märchen  und  Sagen  S.  141   fgg.     Grimm  KHM.  No.  29. 

4)  Meier,  Märchen  No.  73.  S.  253.  Zingerle  KHM.  aus  Süddeutschland 
S.  64.     Asbjörnsen  und  Moe  No.  5. 

5)  Vogel  Greif  Wolf,  D.  Ilausm.  S.  312.  Vogel  Phoenix  KHM.  IIP, 
S.  56.  Vogel  Straufs  Meier,  Märclien  S.  277  fgg.  Vgl.  die  Riesen  in  Ad- 
ler- und  Eulengestalt. 

6)  Wolf,  D.  Hausm.  S.  184.     Asbjörnsen  und  Moe  No.  5. 


204 

Böse,  schläft.  Während  er  schlummert,  werden  ihm 
die  goldenen  Haare  ausgezogen  und  er  zugleich  gezwun- 
gen, durch  seine  Aussage  die  Ursache  der  Unfruchtbar- 
keit des  Baumes  und  Brunnens  aufzuheben,  die  Wieder- 
findung der  Schlüssel  zu  ermöglichen  und  die  geraubte 
Frau  fahren  zu  lassen.  Durch  den  Trunk  aus  ei- 
ner neben  dem  Zauberschwert  des  Riesen  hängen- 
den Flasche  gestärkt  (s.  o.  S.  174)  tötet  der  Erretter 
den  schlafenden  Dämon'),  der  goldene  Schlüssel  zur 
Schatzkammer  findet  sich  wieder,  der  Brunnen 
springt  (eine  Kröte  hatte  seinen  Lauf  gehemmt,  in- 
dem sie  die  Röhre  verstopfte),  und  die  befreite  Frau  eilt 
erlöst  von  dannen.  Nach  den  bisherio;en  Erläuteruno;en  lie- 
gen  die  Grundzüge  dieses  Mythus  bis  auf  das  Ausziehen 
der  goldenen  Haare,  das  ich  noch  nicht  zu  deuten  unter- 
nehme -),  klar  vor  Augen  und  es  ist  nur  noch  darauf  hin- 
zuweisen, dass  der  goldene  Schlüssel  zur  Schatzkammer 
(des  Sonnengoldes)  der  Blitz  ist,  wie  bereits  Kuhn  nach- 
wies ^) ;  er  war  verloren,  so  lange  der  Dämon  die  Wasser 
zurückhielt  (vergl.  Thors  von  Thrymr  geraubten  Hammer). 
Der  versiegte  Brunnen  bedeutet  die  Wolke;  die  Kröte, 
welche  den  Lauf  des  Wassers  hemmt,  ist  nur  eine  andere 
Gestalt  für  Agi,  die  Schlange*);  von  dem  Baum  soll 
später  die  Rede  sein.  Das  Wichtigste  ist  der  sichere  Be- 
weis, dass  Thörr,  Thunar  der  in  unserer  Märchenfamilie 
auftretende  Befreier  der  Wasserfrau  ist  ^). 

Während  in  den  betrachteten  Riesensagen  die  alte  Ge- 
stalt der  himmlischen  Dämonen  teilweise  schon  erstarrt  und 


1)  Asbjörnsen  und  Moe  No.  5. 

2)  Wir  hoffen  fest,  dass  spätere  Untersuchungen  über  diesen  Punkt,  wie 
über  das  purpurne  Haar,  welches  dem  Nisos  in  der  Sage  von  Megara 
ausgezogen  wird,  Licht  verschaffen  werden. 

3)  Zeitschr.  f.   D.  Myth.  III,    385.     Vgl.   oben   S.  146.  Aum.  2. 

4)  Vgl.  unke   Kröte  neben  unc   Schlange. 

5)  AVir  sehen  nun  deutlich,  wie  die  Sage  bei  Saxo  componirt  ist.  Er 
warf,  wie  das  seine  Art  war,  zwei  gleichbedeutende  Mythen  zusammen.  Die 
eine  besagte,  dass  Tliorr  (nach  dem  Zeitschr.  für  vergl.  Sprachf.  V,  171  auf 
gedeckten  Gesetz  bereits  Thorketill  s.  oben  S.  104  genannt)  auszog,  um 
Geirröör  in  seiner  Wohnung,  dem  Seelenreich,  3  Haare  auszuziehn;  die  an- 
dere war  die  an  denselben  Dämon  geknüpfte  Eddenmytlic  in  dänischer  Form. 


205 

durch  das  Bestreben  wie  das  Bedürfnis  getrübt  ist,  die 
schädlichen  Naturkräfte  mehr  auf  der  Erde  zu  suchen,  zei- 
gen andere  Ueberlieferungen ,  wie  lange  dieselbe  noch  im 
germanischen  Altertum  ihre  volle  Flüssigkeit  bewahrte.  In 
einem  alten,  von  der  Skälda  aufbewahrten  Liede  giebt  eine 
Riesin,  von  der  erzählt  wird,  dass  sie  Bragi  dem  alten  im 
Walde  beofesrnet  folgende  Definition  des  Wortes  troll: 
Troll  kalla  mik,  Trollweib  heifst  man  mich, 

tüngl  siötrüngnis,  Mond  des  Riesenlandes, 

audsug  jötuns,  Riesenschatz  ein sauger in, 

el,  solar  böl,  Sturm,  Sonnenschädigerin, 

vilsinn  Völu,  Der  Vala  Wegfreundinn, 

vörö  näfjarSar  Wächterin  des  Totenstroms, 

hvelsvelg  himins.  Himmelskreisverschlingerin. 

hvat  er  tröU  nema  )>at?  Was  heifst  Trollweib,  wenn  das  nicht'). 
Dieselbe  Durchsichtigkeit  zeigt  sich  bei  der  Sippe  Forn- 
jöts  d.i.  des  uralten  Riesen,  dessen  Fäller  Thörr 
häufig  genannt  wird.  Diese  Sippe  vereinigt  alle  Eigen- 
schaften, die  wir  bisher,  als  Naturbedeutung  der  Dämonen 
kennen  lernten.  Fornjöts  Söhne  sind  Logi,  Käri,  Hier. 
Logi  oder  Hälogi  (Lohe,  Hochlohe),  VilHeldr  (Wildfeuer) 
ist  die  Glut,  die  der  Wolkendämon  beim  Sonnenbrand,  wie 
im  Gewitter  Thors  segnendem  Einfluss  entgegenstellt^). 
Hier  =  Oegir  ist  schon  S.  84  besprochen.  Käri  (der  Rau- 
schende) bedeutet  den  eisigen  Nordwind^).  Diese  Wesen 
sind  junge  Gestaltungen  der  Sage,  sie  gehören  eigentüm- 
lich der  Winterwelt  des  skandinavischen  Nordens  an,  ge- 
hen aber  aus  derselben  Grundanschauung  hervor,  wie 
die  übrigen,  älteren  Riesen.  Wie  tief  man  die  wesentliche 
Einheit  aller  Dämonen  fühlte,  erhellt  daraus,  dass  selbst 
bei  Fornjöts  Söhnen,  deren  Namen  doch  einen  bis  auf  die 
späteste  Zeit  klar  verständlichen  Sinn  hatten,  die  Verrich- 


1)  Skaldskaparm.   cap.  54. 

2)  Logis  Frau  lic-ifst  Glut  (Glög),  seine  Kinder  Asche  (Eysa)  und  Glut - 
asche  (Eymyrja).     Vgl.   Gylfagiuning  cap.  47. 

3)  Käris  Familie  besteht  aus  Jökul  (Eisberg),  Sna;r  (Schnee),  Thorri 
(der  kalte  Januar),  Fönn  (dichter  Schnee),  Drifa  (Schneegestöber),  Miöll  (leine 
Schneeflocke),  Frosti  (Frost). 


206 

tuDgen    vertauschte.     "Wenn    der  Skalde  Sveinn  in   seiner 
NorSrsetudrapa  mit  den  Worten: 

Töku  fjrst  til  fjoka        Mit  Schneegestöbern  begannen 

Fornjöts  synir  Ijötir  Fornjots  hässliche  Söhne 
Käri  und  seine  Brüder  ausdrücklich  als  Eis  winde  bezeich- 
net, erscheint  ersterer  in  einer  isländischen  Sage  als  frauen- 
raubender Schattenriese  der  eisigen  Winternacht. 
In  einem  Gehöft  war  zur  Juluacht  ein  Mädchen  mit  einem 
Kinde  allein  geblieben^  mit  dem  sie  auf  einer  Bank  in  der 
Badstube  sitzend  plauderte.  Sie  fürchtete  sich,  denn  in 
dieser  Nacht  war  jedesmal  der  zu  Haus  Gebliebene  tot  oder 
wahnsinnig  wiedergefunden.  Da  klopft  zur  Nachtzeit 
etwas  ans  Fenster  und  spricht: 

Wie  schön  erscheint  mir  deine  Hand 

Du  Schnelle,  du  Rasche!  und  eia  wiwi! 

„Sie  hat  noch  niemals  Schmutz  gekehrt 

Du  Dämon  Käri!   und  suse  wiwi ! " 

Wie  schön  erscheint  dein  Auge  mir,  du  Schnelle  u.  s.  w. 

„Kein  Uebel  hat  es  je  gesehn,  du  Dämon  u.  s.  w." 

Wie  schön  erscheint  dein  schlanker  Fufs,  du  Schnelle  u.s.w. 

„Niemals  hat  er  Schmutz  getreten,  du  Dämon  u.  s.  w." 

Im  Osten  zieht  der  Tag  herauf,  du  Schnelle  u.  s.  w. 

„Steh  auf  und  werd'  ein  Steinberg, 

Doch  Niemandem  zum  Meinwerk." 

Da  wandte  sich  das  Gespenst  vom  Fenster  und  als 
die  Hausleute  nach  Hause  kamen,  war  ein  grofser  Stein  in 
den  Hofgraben  geraten  und  stand  da  seitdem  ^). 


1)  islensk  aefintyri   söfnuS    af  M.  Griinssjiii   ag   J.  Ämasyni  S.  121,  25 
Xättrölliö: 

Fögur  J'ykir  mjer  hönd  jjin 
Snör  min,   en  snai-pa,   og  dillido 
,.Hün  hefnr  aldrei  säur  sopaö 
Ari  min,  Käri,   og  korriro" 
Fagurt  pykir  mjer  auga  |jitt, 
snör  min  en  suarpa,   og  dillido. 
„Aldrei  heur  |>aÖ  iUt  sjeö, 
Ari  minn,  Käri,   og  ka  korrirö." 
Fagur  ]?ykir  mjer  fötur  |?imi 
snör  min,  en  snarpa,  og  dillido. 


207 

Die  Gestalten  Riese,  Drache,  Zwerg  gehen  unmerklich 
in  einander  über.  J.  Grimm  bemerkt  Myth.  "^  S.  498 :  „Für 
alle  Helden  wechseln  Riesenkämpfe  mit  Dracheukämpfen." 
Der  MiSgaröswurm  ist  Riesengeschlechtes,  ja  ein  Riese 
selbst').  Ebenso  ist  der  Drache,  welchen  Beowulf  tötet, 
ein  riesischer  Häuptling,  der  in  einer  Berghöle,  die  Schätze 
seines  Hauses  (eald  enta  geweorc)  verwahrt-).  Er  berührt 
sich  mit  den  Schattenriesen  auch  dadurch,  dass  er  zur  Zeit 
der  Dämmerung  umfliegt  und  heifst  daher  eald  uhtsceaöa, 
eald  uhtfloga'^).  Der  Drache  Fafuir  wird  der  alte  Riese 
(hinu  aldni  jötunn)^),  der  reifkalte  Riese  (hinn  hrimkaldi 
jötunn)  genannt.  Sein  Bruder  Reginn  aber  ist  ein  kunst- 
reicher Zwerg  ^).  Riesen  und  Zwerge  (svartälfar,  döck- 
älfar,  dvergar)  müssen  danach  in  einer  engen  mythischen 
Verwandschaft  stehen,  und  dies  bestätigt  sich  durch  eine 
eingehende  Untersuchung,  die  wir  hier  noch  nicht  mitteilen 
können,  auf  das  vollkommenste.  Wir  machen  nur  auf  die 
beide  Wesensklassen  umfassende  nordische  Bezeichnung 
troll,  sowie  auf  ihre  üebereinstimmung  in  mehreren  nur 
aus  der  dargelegten  Natur  cöiestischer  Dämonen  erklär- 
barer Züge  aufmerksam.  Zwerge  sind  Seelen,  und 
grade  soAvie  das  Eddenbruchstück  in  Arni  Magnussens  Samm- 
lung No.  748  unter  den  Riesennamen  (Jötna  heiti)  einen 
ÖnöuSr  (mortuus)  aufführt,  nennt  die  Völuspä  unter  Zwer- 
gen Nar,  Näinn,  Ai,  Däinn,   welche  ebenfalls  den  Toten 


„Aldrei  hefur  hann  säur  troJ5iö 
Äri  minn,  Käri,   og  korriro.'- 
Dagur  er  i  austri 
snör  min,  en  snarpa,  og  dillido. 
„Stattu  ag  vertu  aö  stein! 
en  engum  ])6   a'önieini, 
Äri  minn,  Ivari,   ag  korriro." 
Zu  dillido  und  korriro  vgl.   dill  cantus  nutricum,   naenia  soporifera.  kor- 
riro naeniae  pueriles.     Björn  lex  Island.    144.  4G9. 

1)  Snj'sk  jörniungandr  i  Jötunmööi.     Völuspä  49. 

2)  S.  EttmüUer  in  seinem  Beowulf  S.  470.  477. 

3)  Beowulf  4534.  5513.  Nacoö  niödraca  nihtes  fleogeS,  fj're  be  fangen 
5538—40. 

4)  Ebenso  nahm  die  Sage  keinen  Anstand,  den  Vater  des  Alfen- 
fürsten  (älfa  visi)  Völundr,  als  er  seine  Göttlichkeit  einbüfste,  zum  Riesen 
zu  machen. 


208 

bezeichnen.  Den  Riesen  Vindr,  Frosti,  Finnr  u.  s.  w.  be- 
gegnen gleichnamige  Zwerge.  Die  Zwerge  wohnen  im  B  e  r  g 
oder  Felsen  (dvergar  büa  i  jöröu  ok  i  steinum).  Sie  hei- 
fsen  daher  bjergmand,  bjergfolk,  bjergtrold,  in  Schleswig 
Bergmänner,  man  kann  in  manchen  Fällen  kaum  unter- 
scheiden, ob  die  Sage  mit  diesen  Benennungen  Riesen  oder 
Zwerge  meint,  und  so  ist  es  denn  auch  nicht  zu  verwun- 
dern, wenn  Agi  in  einer  Sage  bei  MüllenhoflP  unter  dem 
Namen  Ekke  Nekkepenn  als  Zwerg  auftritt.  In  den  Berg 
entführen  die  Zwerge  schöne  Jungfrauen').  Wie  die 
Riesen  sind  sie  Besitzer  grofser  Schätze,  und  gleich  ih- 
nen lüstern  nach  Menschenfleisch.  Alsam  Julabend 
auf  Island  ein  Alfenherzog  in  die  Badstube  tritt,  worin  Thor- 
leifr  sich  versteckt  hat,  riecht  er  überall  im  Hause  um- 
her und  ruft  „hjer  er  maSr,  hjer  er  maSr'*  (hier  ist  ein 
Mensch)  ^)  Thörr  redet  den  Zwerg  Alviss  an  : 
hvi  ertu  svä  fölr  um  näsar  Wie  bist  du  so  fahl  um  die  Nase, 
vartu  i  nott  meS  nä?  Warst  du  Nachts  bei  Leichen?^) 

Nachts  schwärmen  die  Svartälfar  umher").  Trifft  sie 
der  Strahl  der  aufgehenden  Sonne,  so  bersten  sie  ausein- 
ander und  werden  zu  S  t  e  i  n.  T  h  6  r  r  ist  es,  der  sie  bei  m 
Frauenraub  auf  diese  Weise  straft^).  Dieselbe  Mythe, 
welche  wir  oben  S.  181  von  dem  zur  Hochzeit  geladeneu 
Bergriesen  namhaft  machten,  wird  in  einer  übereinstim- 
menden '')  und  in  einer  zweiten  etwas  veränderten  Fassung 
von  Zwergen  berichtet').  Nach  letzterer  tritt  aus  einem 
Grabhügel  ein  Zwerg  hervor  und  ladet  sich  bei  einem 
vorübergehenden  Bräutigam  zur  Hochzeit  ein.  Er  wolle 
auch  ein  Stück  Gold  zum  Brautgeschenk  mitbringen,  so 
grofs  wie  ein  Menschenkopf!  Der  Bräutigam  ist  es  zu- 
frieden,   der  Kleine  bittet  aber  sein  Versprechen  zurück- 


1)  S.  Myth.  *  435. 

2)  Islensk  fefintyri.     Reykjavik  1852.  S.  119. 

3)  Alvism.   1. 

4)  S.  d.  S.  000  angeführte  Stelle  aus  Hrafnagaldr  Ogins. 

5)  Alvism.   3G. 

6)  Müllenhoff,  Sagen  S.  289.  No.  CCCXCV. 

7)  Müllenhoff  a.  a.  O.  CCCXCVI. 


209 

nehmen  zu  dürfen,  als  er  erfahrt,  dass  Pauken-  und 
Trommelmusik  auf  der  Hochzeit  sei,  „denn  diese 
Musik  könne  er  nicht  vertragen."  Die  winter- 
liche Natur  der  Zwerge  erhellt  neben  vielen  andern  Zeug- 
nissen aus  den  7  Bergen,  in  oder  hinter  denen  sie  hau- 
sen ').  Es  wird  aus  diesen  Beispielen  genügend  erhellen, 
dass  ein  Teil  der  von  unseren  Dunkelelben  erzählten  Sa- 
gen aus  der  alten  Mythe  der  Wolkendäraonen  erwachsen 
ist.  Die  von  Thörr  verfolgten  Zwerge  stehen  den  indischen 
Panis  nahe,  wofür  eine  Anzahl  der  oben  S.  52  fgg.  beige- 
brachten Stellen  über  die  im  Besitz  der  Zwerge  be- 
findlichen Kühe  geltend  zu  machen  sein  wird,  unter 
denen  sich  auch  goldgehörnte  befinden  wie  bei  den 
niesen  ^).  Kuhn  verspricht  über  diese  doppelte  Seite  des 
elbischen  Wesens,  ihren  Zusammenhang  mit  den  götter- 
freundlichen Pitris  wie  andererseits  mit  den  götterfeindlichen 
Danavas  in  kurzem  fördernde  Untersuchungen  zu  veröflPent- 
lichen.  Ich  führe  nur  noch  an,  dass  auch  die  in  den  deut- 
schen wie  nordischen  Sagen  besonders  hervorgehobene  d  i  e  - 
bische  Natur  der  Zwerge  ^)  aus  ihrer  ehemaligen  Geltung 
als  AYolkendämonen  Licht  empfängt.  Vor  allem  sind  sie 
als  Erbsendiebe  berüchtigt.  Da  in  den  Erbsen  Abbilder 
der  Donnersteine  oder  Donnerkugeln  nicht  zu  verken- 
neu  sind,  steht  dieser  Diebstahl  in  seiner  ältesten  mythi- 
schen Gestalt  dem  Raube  des  Thörshammers  durch  Thrymr 
vollkommen  gleich.  Selbst  Elbegast  der  Meisterdieb,  der 
die  Eier  aus  den  Nestern  unter  den  Vögeln  wegstiehlt, 
wird  erklärlich,  wenn  wir  uns  erinnern,  dass  die  Sonne 
in  der  indischen  wie  der  germanischen  Mythe  als  Vogel 
bezeichnet  wird  (s.  o.  S.  38).  In  einer  Vedenstelle  heifst 
nun  das  Himmelsgewölbe  das  Nest  des  Vogels,  der 
Sonne.  „Indra  hat  die  himmlische  Hole  geöffiiet,  die  das 
Nest  des  Vogels  zu  sein  scheint,  die  im  Schofs  einer  Wöl- 


1)  S.  KHM.  No.  53  und  die  Varianten. 

2)  Steffen,  Märchen  und  Sagen  des  luxemburger  Landes  S.  105. 

3)  Ein  eddisoher  Zwerg  heiffit  Aljjiofr. 

14 


210 

bung  ohne  Quellen  ausgegraben  ist.  Mit  dem  Blitz  be- 
waffnet hat  Indra  der  Angiras  gröfster  den  Stall  der  Kühe 
eröffnet').^  Wie  die  Kühe  hat  der  Dämon  das  Nest  der 
gefiederten  Sonne  geraubt,  die  deutsche  Sage  wird  den 
gleichen  Zug  gekannt  haben,  musste  aber,  als  der  Mythus 
unverständlich  wurde,  den  Diebstahl  des  Nestes,  welcher 
nicht  zu  denken  war  ohne  dass  der  Vogel  herabfiel,  in  den 
Raub  der  Eier  unter  dem  Vogel  verwandeln.  Die  un- 
sichtbar machende  Tarnkappe,  Heikappe,  Helkeplein, 
Tarnhüt  der  Zwerge  steht  dem  oben  S.  176  erwähnten 
Gold  pelz  der  Riesen,  sowie  dem  Oegishjälmr,  hulizhjalmr 
s.  o.  S.  85  fgg.  gleich,  d.  i.  der  Wolke  mit  der  Vritra  sich 
und  die  Apas  verhüllt,  unsichtbar  macht.  Wie  jener 
Riesenpelz  golden,  ist  die  Tarnhüt  rot^)  und  sowol  die 
Volkssage,  wie  die  mhd.  Poesie  bewahrt  für  sie  den  Aus- 
druck A'^e&e/kappe  ^).  Wie  Indra  die  Dämonen,  besonders 
die  Panis,,mit  dem  Fufse  in  das  Blitzfeuer  stöfst,  stöfst 
Thörr  bei  Baldrs  Leichen br and  den  Zwerg  Litr  mit 
seinem  Fufs  in  die  Flamme. 

Die  vorstehenden  Erläuterungen  liefsen  sich  noch  weit 
ausdehnen.  Im  Ganzen  wird  jedoch  schon  jetzt  die  Ueber- 
einstimmung  der  Riesen  und  der  Elbe,  insofern  diese  böse 
Dämonen  sind,  mit  den  Götterfeinden  der  indischen  Sage 
als  hinreichend  bewiesen  zu  betrachten  sein.  Sogar  die 
Namen  Abi,  Rauhinä,   atrin  fanden  wir  in  Agias,  Ecke; 


1)  Rigv.  Langl.  II,   1,   9,  3. 

2)  S.  Myth.2  431. 

3)  Bekanntlich  ist  ein  anderer  Xanie  des  Meisterdiebes  Elbegast  Agez 
(MS.  II,  147a  =  176  D.  Titurel  Halm  4105).  Schon  Lachmann  stellte  (Kritik 
der  Sage  von  den  Nibelungen.  Rhein.  IMus.  III,  457)  Agez  mit  Agazi,  Hagens 
Vater,  zusammen  und  nahm  nach  J.  Grimm  Myth.'  147  Einheit  desselben  mit 
Oegir,  Agi  an.  Hiergegen  bemerkt  J.  Grimm  a.  a.  O.:  ,,Es  müsste  gelin- 
gen eine  altn.  Form  Oegti  oder  Egti  aufzufinden."  Diese  Form  wäre  gefun- 
den, wenn  der  oben  S.  90  besprochene  finnische  Ahto  als  ganz  germanisch 
in  Anspruch  zu  nehmen  und  auch  die  Erweiterung  mit  t  als  eine  ursprüng- 
lich deutsche  Nebenform  zu  betrachten  wäre.  Lässt  sich  Identität  des  Agez 
und  Oegirs  in  der  Tat  erweisen  —  und  es  wird  etymologische  Verwandschaft 
■wie  Wesensähnlichkeit  nicht  abzuleugnen  sein,  wenn  wir  auch  jenes  t  in  Ahto 

dem  Finnischen  zusprechen  so  ist  damit  ein  -weiteres  sicheres  Zeugnis  für 

unsere  Auffassung   Oegirs,    wie    für    die  Uebereinstimmung   der   Riesen   und 
Zwerge  gewonnen. 


211 

RAUGNA,  RAUGNS,  Ran;    und  goth.  IT-ANS  jöt-unn 

wieder.  Jenes  atrin,  atri  oder  atra  ist  nämlich  aus  at- 
trin,  attri,  attra  =  ad-trin,  adtri,  adtra  von  ad  essen, 
entstanden,  das  bekanntlich  mit  uuserm  itan,  der  Wurzel 
von  jötunn,  eins  ist.  Der  "Wechsel  der  Suffixe  darf  nicht 
befremden,  da  die  noch  späte  Flüssigkeit  der  erläuterten 
Vorstellungen  im  germanischen  Altertum  eine  noch  höhere 
Lebendigkeit  und  Flüssigkeit  derselben  vor  der  Trennung 
voraussetzen  lässt.  Den  Namen  Zwerg,  altn.  dvergr, 
stellt  Kuhn  ')  mit  dhvaras  krumm,  unredlich,  einem  Bei- 
wort der  Druhyus  d.  i.  der  Trügenden  zusammen  und  der 
Name  dieser  Wesen  selbst  hat  sich  wenigstens  in  dem  Aus- 
druck „alfsche  droch",  alfs  ghedroch,  ägetroc"  unper- 
sönlich, sowie  persönlich  vielleicht  in  den  draugar  (Ge- 
spenster) erhalten.  In  andern  Fällen  entsprechen  sich  min- 
destens dem  Sinne  nach  die  Namen  oder  Beiwörter  der 
germanischen  Dämonen.  Loki  s.  oben  S.  84  und  GrendeP) 
bedeuten  dasselbe,  wie  Vritra  und  Vala.  Wie  j^urs  den 
Trinker  bedeutet,  heifst  der  indische  Dämon  Wasser- 
dieb*). Här  grau,  ein  Beiwort  der  Jötune  ^)  und  Name 
eines  Zwergs")  entspricht  Qambara,  Cabala  (vielleicht  so- 
gar etymologisch).  HrauSüngr  ein  Riesenname  stellt 
sich  zu  den  rotköpfigen  Pifäcas  und  Räkshasas;  Svartr 
und  Alsvartr,  wiederum  Riesennamen,  treffen  mit  der 
Beschreibung  schwarzer  Räkshasas  und  dem  Namen  des 
Dämons  Krishna  zusammen  und  Oföti  (fufslos),  das  eben- 
falls unter  den  Jötnaheiti  aufgeführt  wird'^),  könnte  die 
Spur  eines  verlornen  Mythus  erhalten,  der  dem  S.  1 64  aus 
Rigv.  Rosen  XXXII,  7   von  Vritra   beigebrachten   ähnlich 

1)  Zeitschr.  f.  vcrgl.  Sprachf.  I,   201. 

2)  Myth.2  432.     Kuhn  a.  a.  O.     Gramm.  II,   709.   740.   741. 

3)  Myth.*  222.  Wie  Beowulf  mit  Grendel  kämpft  Kerecä^pa ,  indisch 
Kri?a9va  der  Töter  der  Schlange  Cruvar  =  Cambara  s.  o.  S.  199  mit  dem 
AVasserdämon  Gandarcva  =  ind.  Gandharva,  griech.  y.ivravgnq  9  Tage  im 
Wasser  imd  tötet  ihn.     Spiegel,  Kieler  Monatsschrift   1852.  S.  191. 

4)  Rig%'.  II,   14,  1,   2.     M.  Müller,  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  V,   147. 
T))  Hjunisqu.  16. 

6)  Völuspä  15.  Auchllati,  der  Name  eines  Riesen  im  Ilelgaqu.  Hjörvarös. 
mid  des  Mondwolfs  entspricht  dem  Beiwort  des  ind.  Dämonen  dveshasHasser. 

7)  Skäldskaparm.  cap.  75.  Sn.  E.  I,  555. 

14* 


212 

war,  worauf  auch  die  S.  172,  Anm.  1  erwähnte  Sage  von 
Starkaör  ^ )  hinweist.  Dass  die  deutschen  Riesen  und  die 
indischen  Dämonen  auch  eine  öfter  auftretende  Vielheit 
der  Glieder  gemein  haben ^),  erklärt  sich  aus  ihrer  Na- 
tur als  Personificationen  der  vielgestaltigen  Wolke.  Für 
den  Erweis  dieser  Naturbedeutung  kommt  mir  noch  eben 
ein  schlagendes  Zeugnis  in  den  Weg.  In  einem  däni- 
schen Märchen,  das  den  S.  175.  176  besprochenen  entspre- 
chend ist,  erobert  der  ausziehende  Held  in  einem  Riesen- 
haus vom  Riesenweibe  ein  Licht,  das  ohne  Leuchter 
brennt,  indem  er  sie  in  den  Brunnen  stürzt,  vom 
Riesen  ein  Ross,  das  Glocken  an  allen  4  Beinen 
hat,  endlich  ein  Schwein,  dem  das  ausgeschnit- 
tene Fleisch  sogleich  wieder  wächst  (en  so,  som 
man  kan  skasre  saa  meget  flresk  af,  som  man  vil-' 
der  bliver  dog  altid  lige  meget  igjen).  Er  gemnnt 
das  Schwein,  indem  er  den  alten  Riesenvater,  der  ihn 
schlachten  soll,  veranlasst,  ihm  zur  Probe  das  Haupt  auf  den 
Block  zu  legen  und  ihn  tötet  ^).  Noch  ein  paar  kurze  Be- 
lege mögen  hier  folgen,  dass  auch  in  der  deutschen  Sage, 
wie  in  der  nordischen,  Thunar  der  Gegner  der  Riesen 
und  Zwerffe  war. 


1)  Sie  wird  erzählt  von  Saxo  VI.  ed.  P.  E.  Müller  I,  274.  Auch  das 
,,limÖir  ]>rivalda-''  in  einer  Strophe  des  Skalden  Vetrliöi  dürfte  auf  einen 
ähnlichen  verlorenen  Mythus  schliefsen  lassen,  -wenngleich  Bragi  Thorr  „sundr- 
kljufr  niu  höföa  Jjrivalda"  nennt. 

2)  Vergl.  den  von  Indra  erschlagenen  Dämon  Uraua,  der  99  Arme  hat, 
Rävana  Yishnus  Gegner  im  Eämäyana  und  die  deutschen  Myth.'^  494  ausgeho- 
benen Beispiele. 

3)  Sv.  Grundtvig,  Gamle  Danske  minder  i  Folkemunde  1854.  S.  205. 
No.48.  Das  leuchterlose  Licht  ist  der  Blitz;  das  Ross  =  Blitz  uud 
Donner  s.  oben  S.  123,  das  Schwein  =  Siehrimnir-varäha  s.  oben  S.  64,  die 
vom  Dämon  geraubte  Wolke.  Im  schwedischen  Märchen,  Oberleitner  S.  46 
sind  die  drei  zurückeroberten  Schätze:  das  Goldpferd,  die  Mondlampe 
und  eine  geraubte  Königstochter,  die  auf  einem  hohen  Boden  in  ei- 
nem Zauber käfich  sitzt,  dessen  Schloss  nur  der  öffnen  kann,  den  das 
Schicksal  zu  ihrem  Bräutigam  bestimmt  hat.  Der  Befreier  versenkt  das  Troll- 
weib durch  einen  Feuerstahl  s.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  297  in  fortwäh- 
renden Schlaf,  klettert  die  steile  Wand  zum  Käfich  der  Jungfi-au  an  in 
die  Mauer  geschlagenen  Eisenkeilen  (den  Zacken  des  Blitzes)  in  die 
Höhe ;  vor  ihm  springt  der  Käfich  von  selbst  auf,  er  heiratet  die  Befreite  ( De- 
vapatni).  Eine  deutsche  Variante,  die  das  Verständnis  einer  grofsen  Märchen- 
familie öflfnet  s.  bei  Haltrich,  Siebenbirg.  Märchen  No.  10.  S.  45. 


213 

Du  widertuo  ez  balJe,  du  ungeslahtez  wip 

Oder  dir  nimet  der  donner  in  drein  tagen  den  lip'). 

Wie  hier  von  Riesen,  ist  in  einem  Kinderreim  vom 
Zwerge  (butz,  dän.  bussemand,  bussegrol,  bussetrold  Myth.'^ 
474.  475)  die  Rede: 

Harne r  slä  bamer, 
Slä  bussemann  döt^). 

Wie  man  bei  Antwerpen  noch  schwört  „bi  gods  be- 
lege steenen!  bi  de  godsige  steenen!"  bei  Zürch 
potz  dummer  hamraer  (potts  donnerhammer) gilt  an  letzte- 
rem Ort  noch  die  Schelte :  du  dummershammershex!''). 

y)  Als  Herr  und  Spender  des  Regens  heilst  Indra  äptya 
„der  aus  dem  Wasser  Geborene,  oder  wie  der  Scholiast 
zu  Rigv.  Rosen  XY  erklärt  apäm  putrah  Sohn  der  Wasser. 
Dieses  Beiwort  kommt  Indra  in  so  besonderer  Weise  zu, 
dass  er  sogar  äptya  äptyänäm ,  Aptya  der  Aptyas  genannt 
wird:  „Den  zu  preisenden,  vielgestaltigen,  grofsen,  den 
höchsten  Herrscher  x\ptyas  der  Aptyas,  der  schlägt  durch 
seine  Kraft  die  sieben  Däuus  und  nimmt  viele  Gestalten 
an*)."  Gleich  Indra  spenden  die  Maruts  den  Regen.  Trotz 
aller  Blitze  und  strömenden  Regengüsse  weicht  die  finstere 
Gewitterwolke  nicht  eher,  als  bis  die  Winde  sich  erheben 
und  das  dunkle  Gewölk  vertreiben.  Deshalb  heifst  es  öfter, 
dass  die  Maruts  dem  Indra  in  seinem  grofsen  Kampfe  mit 
Vritra  durch  den  Zuruf  ihres  Sturmliedes  Mut  eingeflöist 
und  ihm  dadurch  und  durch  ihre  mächtige  Hilfe  zum  Siege 
verholfeu  haben.  So  führen  sie  das  Sonnenlicht  wieder 
herauf:  „Verbergt,  o  Maruts,  das  zu  verbergende 
Dunkel,  vertreibet  jeden  Jötunn  (atrinain),  macht 
das  Licht,   welches  wir  wünschen^).*'     Eine  andere 

1)  Haupt,  Zcitschr.  f.  D.  Altert.  IV,  439.  ,T.  Griinni,  Namen  des  Don 
ners  18. 

2)  MüUenhoft',  Sagen  603.  Vgl.  die  Schelte:  „laet  de  donder  den  nik- 
ker  nig  sehenden"  von  jemand,  der  einem  andern  seine  eigenen  Gebrechun 
vorwirft.   Wolfs  Papiere. 

3)  Mitteilung  H.  Kunges. 

4)  Eine  von  Yuska  angeführte  Stelle  s.  Kuhn  bei  lloefcr,  Zcitschr.  f. 
Wissensch.  d.  Spr.  I,  27G. 

ö)  Rigv.  Rosen  LXXXVI,    10. 


214 

Gestalt  der  Maruts  ist  die  Hündin  Saramä  die  Indra  ent- 
sendet, um  die  von  Vala  geraubten  Kühe  wieder  aufzu- 
spüren ')'  Ein  anderer  Begleiter  Indras,  dem  oft  auch  der 
Kampf  gegen  den  Drachen  Ahi  beigelegt  wird,  ist  Agni, 
der  Feuergott,  weswegen  man  beide  oft  verbunden  mit  einem 
Dvandvacompositum  „Indrägni''  bezeichnet.  Agni  erscheint 
ebensowol  als  Indra  in  der  Begleitung  der  Maruts  "^ ).  Er 
heifst  Indras  Bruder.  Ja  führwahr  eure  Gröfse,  Indra  und 
Agni,  ist  höchsten  Preises  wert,  ihr  habt  denselben  Vater, 
seid  Zwillingsbrüder,  deren  Mutter  hier  und  dort  ist^). 
Auch  Agni  heifst  ein  Enkel  der  Fluten  (apäm  napät). 

Hat  Indra   den  Drachen  getötet,    so   flieht  er;    der 
Blitz  vergeht  im  Siege: 

O  Indra,  welchen  der  Ahihelfer  sahst  du  doch 
Als  Furcht  dein  Herz  anwandelte  nach  dem  Siege, 
Als  neunundneunzig  Ströme  du  hinüber 
Ei'schrocken  eiltest,  wie  ein  Falk  die  Luft  durch  *). 
Im  Indravijaya,  einer  Episode  des  Mahabhärata,  wird 
erzählt,  dass  Indra  den  bösen  Vritra,  den  die  epische  Sage 
zum  Brahmanen  macht,  durch  List  tötete.    Aus  Reue  über 
den  Brahmanenmord  flieht  der  Gott  und  verbirgt  sich  am 
äufsersten  Ende  der  Welt  in  einem  Teich,    wo  er  in  ganz 
verschrumpfter  Gestalt  im  Stengel  einer  Lotosblume  weilt. 
Da  verdorrt   und  vergeht   alles  Leben   in  der  Welt.     Die 
Götter  wählen  zur  Abhilfe  den  Nahusha  zu  ihrem  König, 
der  früher  ein  frommer  Büfser  nun  plötzlich  stolz  und  frech 
wird  und   sein  Gelüst  auch  auf  Indras  Gemahlin  ^aci 
richtet,   die  er  zur  Gattin  verlangt.      Diese  bittet,   seinen 
Anträgen    gegenüber,    sich   Bedenkzeit    aus   und   weifs 
Agni   und  Brihaspati   zu  bewegen  Indra  aufzusuchen,    der 
nun    wieder   zurückkommt,    den  fremden   Thron- 
räuber  und  Nebenbuhler    tötet    und   die  Götterherr- 
schaft mit  kräftigem  Zügel  neu  ergreift.     Wie  viel  in  die- 


1)  S.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VI,   125  fgg. 

2)  Rigv.  Rosen  XIX,   1  fgg. 

.3)  Roth,  Nirukta   140.     Vgl.   Kuhn,   Zeitschr.  f.   vgl.  Sprachf.   I,   449. 
4)  Rig\'.  Rosen  XXXII,   14. 


215 

ser  epischeu  Sage  auch  späterer  Zusatz  ist,  als  alten  Kern 
erkennen  wir,  dass  Indra  nach  des  Drachen  Ahi  Tode  sich 
in  die  Verbannung  begibt,  ein  anderer  nimmt  seinen  Platz 
ein  und  will  sich  mit  des  Gottes  Gattin  vermählen,  da 
kommt  Indra  zurück  und  tötet  den  Eindringling  '). 

Jenes  Beiwort  des  Indra,  das  wir  vorhin  erwähnten, 
aptya  kommt  in  den  älteren  Vedenhymnen  noch  einem 
andern  Gotte  zu,  dem  Trita  nämlich,  der  mit  Indra  in  der 
engsten  Verbindung  steht,  und  von  einigen  Forschern  für 
den  älteren  Namen  des  Indra  selbst,  von  andern  wenig- 
stens für  einen  älteren  Gott  gehalten  wird,  dessen  ganzer 
Mythus  beim  gröfseren  Teil  der  Penjabarier  auf  Indra  über- 
ging, während  andere  daneben  noch  den  alten  Namen  des 
Gottes  bewahrten.  Seine  Kämpfe  sind  dieselben,  wie  In- 
dras;  besonders  aber  wird  sein  Kampf  mit  einer  drei- 
köpfigen, siebeuschwänzigen  Schlange  hervorge- 
hoben. 

Der  Aptya  wusste  seines  Vaters  W^ äffen  zu  gebrauchen, 

Von  Indra  gesandt  schritt  er  zum  Kampfe, 

Den  Dreiköpfigen,   Siebeuschwänzigen    erschlug 

Trita, 
Und  befreit'  aus  Tvashtris  Gewalt  die  Rinder. 

Indra  sagt:  „Ich  bin  es,  der  Trita  verlieh  wider  Ahi 
die  Kühe  zu  gewinnen".  Agastya  ruft  aus:  „Ich  will  den 
Trank  herbeiholen,  den  Sömatrank,  durch  dessen  Kraft  Trita 
denVritra  schlug." 

Einer  Nebenform  von  Trita  Traitana  entspricht  das 
Zendwort  Thraetano;  aptya  lautet  iranisch  äthwya 
Thraetano  kommt  nun  im  Zendavest  als  Name  eines  Hel- 
den vor,  der  der  Sohn  des  Athwya  heifst  und  eine  furcht- 
bare, von  Agramainyus  (Ahrimau)  zum  Vorderben  der  Welt 
gemachte  Schlange  mit  3  Rachen,  3  Schwänzen, 
G  Augen  und  tausend  Kräften  tötet. 


1)  Indiavijaya,    eine  Episode  des  Muhabhärata  hcrausgeg.  von  A.  Ilollii- 
marui.     Kaiisrulie  18-11. 


2j^6   _ 

yy)  Die  hier  dargelegten  Mythen  sind  uns  in  einer 
deutschen  MärchenfaraiUe  erhalten,  deren  Grundgestalt  fol- 
gende ist.  Zwei  (oder  drei)  Zwillingsbrüder  sind  aus 
dem  Wasser  geboren')  und  heifsen  danach  (Was- 
serpaul und  Wasserpeter,-  Johannes  Wassersprung 
und  Caspar  Wassersprung;  Brunnenhold  und  Brun- 
nenstark; Wattuman  und  Wattusin).  Mitunter  er- 
scheint auch  nur  einer  ^),  gewöhnlich  zwei  Brüder.  Sie 
haben  jeder  drei  wunderbare  Hunde  ^)  (Halt  an,  Greif 
an.  Brich  Eisen  und  Stahl;  Bring  Speisen,  Zerreifs'n,  Brich 
Stahl  und  Eisen).  Mit  diesen  Hunden  ziehen  die  Brüder 
erst  gemeinsam,  dann  getrennt  ihres  Weges.  Der  eine  ge- 
langt in  eine  Stadt,  wo  grade  eine  Königstochter  im 
Begriff  ist  von  einem  bösen  Meertroll  oder  einem  sie- 
benköpfigen Drachen  entführt  zu  werden.  Der  Jüng- 
ling findet  auf  einem  Berge  ein  wunderbares  Schwert, 
dabei  ebenso  wunderbaren  Wein,  dessen  Genuss  ihn  be- 
fähigt das  Schwert  zu  schwingen  (s.  o.  S.  174).  Er  er- 
legt mit  demselben  und  durch  Beihilfe  seiner  Hund,e 


1)  Die  deutsche  Sage  drückt  dies  so  aus:  Eine  Köuigstocliter  sitzt  mit 
einer  Dienerin  in  einem  Turm  mitten  im  Fluss  verschlossen.  Da  springt  ein 
Wasserstrahl  zum  Fenster  herein,  welchen  sie  in  einem  Gefdls  auffangen 
und  trinken.  Davon  werden  sie  schwanger  imd  gebären  jede  einen  Knaben. 
Sie  legen  beide  Kinder  in  ein  Kästchen  und  lassen  es  ins  Wasser  hinab. 
Ein  Fischer  fängt  es  auf,  erzieht  die  zwei  Knaben,  die  sich  vollkommen  ähn- 
lich sind  und  lässt  sie  die  Jägerei  lernen.  KHM.  III*,  S.  103.  Im  schwe- 
dischen Märchen  werden  die  im  Turm  eingeschlossene  Königstochter  und  ihre 
Dienerin  schwanger,  indem  sie  von  einer  aus  dem  Berg  hervorspru- 
delnden goldklaren  Quelle  trinken.  Schwed.  Volkssagen  übersetzt 
von  Oberleitner  S.  96.  vgl.  S.  348  und  79  und  Caspar  und  Johannes  Was- 
sersprung KHM.  111%  104.  Frau,  Hirad  und  Stute  eines  Fischers  haben  von 
einem  Fisch  gegessen  und  gebären  jede  drei  Kinder.  Zingerle,  Kinder-  und 
Hausmärchen  1852  S.  148.  Oberleitner  S.  349.  Einem  Fischer  fällt  ins  aus- 
geworfene Netz  eine  goldene  Schachtel  vom  Himmel,  worin  zwei  schöne  Kna- 
ben liegen.     KHM.  111%   104. 

2)  Oberleitner  S.  58  fgg. 

3)  KHM.  IIP,  104  aus  Zwehrn.  Bechstein,  Deutsches  Märchenbuch' 
221.  Oberleitner  S.  81.  58.  351.  Basile,  Pentamerone  I,  7.  Lo  Mercante. 
Vergl.  Müllenhoff,  Sagen  S.  4ö0.  In  mehreren  Recensionen  sind  aus  den  drei 
Hunden  ein  Bär,  Wolf,  Löwe  geworden,  auch  kommen  beide  Reihen  in  ein  und 
demselben  Märclien  neben  einander  vor.  S.  KHM.  No.  60.  Meier,  Märchen 
No.  58.  Oberleitner  S.  99.  348.  KHM.  111%  103.  Zingerle,  Märchen  aus 
Süddeutschland  264.     Stier,  Ungarische  Märchen  1  fgg. 


217 

(s.  oben  S.  172)  den  Troll  oder  Drachen  (der  mit  gesteigerter 
Häupterzahl  mehreniale  wiederkehrt).  Nach  dem  Siege  aber 
begiebt  er  sich  ein  Jahr  und  drei  Tage  in  freiwillige 
Verbannung,  indes  ein  geringerer  Mann  sich  für  den  Dra- 
chentöter  ausgebend,  seine  Stelle  einnimmt  und  um  die 
Hand  der  Königstochter  wirbt.  Am  Tage  der  Hochzeit 
kehrt  der  wahre  Befreier  zurück,  giebt  sich  der  Königs- 
tochter zu  erkennen,  indem  er  seine  Hunde  Speisen  von 
des  Königs  Tische  holen  lässt,  und  vermählt  sich,  den  Ein- 
drinfflins:  tötend,  mit  der  Juno;frau. 

Die  Uebereinstimmung  dieses  Märchens  mit  der  indi- 
schen Sage  ist  auffallend.  Dass  unter  den  aus  dem  Was- 
ser geborenen  Helden  zwei  dem  Thunar  nahestehende 
Wesen  zu  verstehen  seien,  geht  daraus  hervor,  dass  in  meh- 
reren der  S.  203  erläuterten  Ueberlieferungen,  die  den  Thors 
Zug  zu  UtgarSaloki  entsprechenden  Mythus  erhalten,  die- 
selbe Wassergeburt  der  Helden  vorkommt ').  Entspricht 
der  eine  Bruder  somit  Thörr  und  Indra,  so  wird  der  an- 
dere auf  eine  dem  Indra  so  nah  verwandte  und  verbrüderte 
Gestalt,  wie  Agni  zurückgehen.  Die  Hunde  entsprechen, 
wie  wir  bereits  oben  S.  172  aussprachen,  den  Winden,  d.  i. 
den  Maruts,  oder  Geistern  des  waltenden  Heers.  Wir  ha- 
ben hier  nur  noch  den  Beweis  nachzuholen,  dass  der  Hund 
in  der  germanischen  Mythologie  Symbol  des  Windes  ist. 
Auf  die  Skäldenbenennung  des  Windes  hundr  viöar  eör 
segls  eöa  seglreiöa  Hund  des  Waldes,  des  Segels  oder  der 
Segelstaugeu  ^),  wäre  nicht  viel  zu  geben,  da  es  eine  von 
den  Dichtern  erfundene  Bezeichnung  sein  könnte,  wenn 
nicht  ein  norvegisches  Rätsel  den  Beweis  lieferte,  dass  die- 
ses Bild  aus  dem  Volksglauben  entnommen  ist:  Git  kva 
da  er?  Da  stend  ein  hund  paa  glasberg  og  goyr  iit  i 
havet.  Rate  was  das  ist?  Da  steht  ein  Hund  auf  dem 
Glasberg  und   bellt  ins  Meer   hinaus.     Auflösung   ist  der 


1)  Asbjömsen  und  Moe  übersetzt  von  Bresemanu  No.  5.  KHM.  No.  29. 
Meier,  Märchen  No.  79.  S.  273.  Prölile,  Märchen  für  die  Jugend  No.  8. 
S.  30  fgg. 

2)  Skäldskaparm.  c.  27.  Sn.  E.  I,  330. 


218 

Wind*).  Dass  in  Deutschland  die  Hunde  des  wilden 
Jägers  den  Wind  bedeuten,  dafür  hat  Schwartz  ^)  u.  a. 
einen  schlagenden  Beweis  darin  aufgezeigt,  dass  ihnen  Mehl- 
säcke zum  Frafs  hingestellt  werden  ^) ,  wie  man  bei  star- 
kem Sturm  dem  Wind  einen  Mehlsack  aus  dem  Fenster 
schüttelt  mit  den  Worten:  „Lege  dich  lieber  Wind,  bring 
das  deinem  Kind^)." 

Kuhn  hat  nun  bereits  auf  einen  ganz  ähnlichen  Zug 
in  der  indischen  Sage  hingewiesen.  Indra  schickte  näm- 
lich die  Götterhündin  Saramä  ab,  um  die  geraubten  Kühe 
und  die  grofsen  Schätze  zurückzufordern,  welche  die  Pa- 
nis  hinter  dem  100  Yojanas  breiten  Flusse  Rasa  in  der 
schwer  einnehmbaren  Stadt  des  Vala  (Vritra)  ver- 
borgen halten,  wo  erstere  „an  den  Enden  des  Him- 
mels umherfliegen"  (siehe  oben  S.  3)  und  von  Panis 
mit  scharfen  Waffen  gehütet  werden,  letztere  am  Bo- 
den des  Berges  (adribudhnah)  von  andern  wachsamen 
Panis  bewacht  sind.  Saramä  verlaugt  nun:  „Indra,  wenn 
du  die  Milch  der  Kühe  und  andere  von  ihnen  stammende 
Speise  meinem  Kinde  giebst,  dann  will  ich  gehen"  (^ver- 
gleiche oben  Seite  42)  und  Indra  sagt  ihr  zu:  „Speise- 
essend will  ich  deinen  Spross  o  Saramä  machen,  wenn 
du  die  Kühe  gefunden  hast^)."  Die  Kinder  der  Saramä 
sind  nun  jene  se  eleu  geleitenden  Hunde  des  Totengottes 
Yama  (s.  oben  S.  199),  die  davon  Särameyau  in  der  Ein- 
zahl Särameya  heifsen.  Der  Hund  Särameya  wird  nun 
aber  in  der  Brihaddevatä  II,  1,  4  unter  dem  Namen  Pu- 
nahsara,  der  Hin-  und  Herlaufende  zugleich  mit  dem  Wind- 
gott Väyu  angerufen,  und  dieser  sowol  wie  Indra  als  Wind- 


1)  Aasen  prcEver  af  landsmaalet  i  Norge  87,  1. 

2)  Der  heutige  Volksglaube  uud  das  alte  Heidentum  S.  13. 

3)  S.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  70. 

4)  Myth.'^  602.  Myth.'  LXYVIII,  282.  Asbjömsen  und  Moe  übersetzt 
von  Bresemann  I,  S.  49  fgg.  Auch  bei  den  Russen  s.  Narochiija  russkija 
skazki  izdal  A.  Afanasiew.  Moskva  1855  —  56.  II,  140  fgg.  Vergl.  Kuhn 
bei  Haupt,  Zeitschr.  f.  D.  Altertum  VI,   131. 

5)  Nach  verschiedenen  von  Kuhn  a.  a.  O.  VI,  117  fgg.  ausgeschobenen 
späteren  indischen  Uebcrlieferungen  aus  den  Vedenscholiasten ,  der  Brihadde- 
vatä, dem  Cädyägana  u.  s.  w.  Von  Saramä  lieifst  es  in  nieln-eren  Stellen  gradezu, 
dass  Indra  sie  als  Jagdhund  gebrauche.    S.  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VI,  122. 


219 

gott  (s.  o.  S.  143)  werden  mit  dem  Beiwort  funas  =  ^van 
der  Hund  belesct.  Kann  es  somit  keinem  Zweifel  miterlie- 
gen,  dass  Saramä  und  die  Särameyau  nur  eine  andere  Auf- 
fassung der  Maruts,  die  ja  wie  die  Geister  des  wütenden 
Heers  und  der  wilden  Jagd  Seelen  sind,  waren,  so  ist  deut- 
lich, weshalb  die  letzteren  in  Hundegestalt  den  Drachentö- 
ter  unseres  Märchens  begleiten.  Wir  sahen  S.  47  und  143 
Thunar  auch  des  Windes  gewaltig  und  in  Begleitung  der 
Windgeister  der  wilden  Jagd. 

Verfolgen  wir  unser  Märchen  weiter.  Mit  seinen  Hun- 
den zieht  der  Gott  zum  Kampf  mit  dem  Drachen  oder 
Meertrollen  und  die  Hunde  leisten  ihm  dabei  wirksa- 
men Beistand').  Wie  lange  noch  bei  uusern  skandina- 
vischen Stammverwandten  die  Vorstellung  lebendig  blieb, 
dass  der  Wind  die  sonne-  und  mond verschlingende 
Finsternis  vertreibe,  dieselbe  Vorstellung  welche  dem  Hel- 
feramt der  Maruts  in  Indras  Kämpfen  zu  Grunde  lag,  geht 
aus  einem  dem  Stoff  nach  uralten  Rätsel  in  der  Getspecki 
HeiSrecks  konüngs  hervor. 
Gestiblindr : 

Wer  ist  der  Dunkele, 
Der  über  die  Erde  fährt. 
Verschlingt  Wasser  und  Wälder? 
Vor  dem  Wind  er  sich  fürchtet, 
Nicht  vor  den  Menschen, 
Und  ruft  die  Sonne  zum  Kampfe. 
König  Heiörek 
Merk  auf  das  Rätsel. 
Heiörek : 

Leicht  ist  dein  Rätsel, 
Blinder  Gest, 
Auszudeuten. 

Nebel  (myrkvi,  eigentUch  Finsternis)  erhebt  sich 
Aus  Gymirs  Wohnung  (dem  Meer.    Gymir  =  Oegir. 

s.  oben  S.  171.) 


1)  Oberleitnev  a.  a.  0.  S.  83.   110.      MüUenhoflf,    Sagen  S.  450.      ßccli- 
steil.,  Märchen  S.  223. 


220 

Hindert  des  Himmels  Anschaun, 
Verbirgt  die  Strahlen 
Der  Z wergüberlisterin  (der  Sonne), 
Flieht  nur  vor  Fornjöts  Sohne  (Käri  dem  Wind)  '). 
Bedeutsam  ist,  dass  der  Gott  bald  mit  Drachen  die  auf 
Bergen  wohnen  oder  erscheinen,  bald  mit  im  (Wolken-) 
Meer  wohnenden  Trollen  kämpft.  Gradeso  ist  im  Maha- 
bhärata  Vritra  zum  Herscher  der  im  irdischen  Meere 
hausenden  Asuren  geworden,  die  Indra  oder  seine  Hypo- 
stase Arjuna  bekämpft,  wie  in  Skandinavien  Ahi  im  Meer- 
riesen Oegir  wieder  auftaucht.  Entspricht  somit  in  unserm 
Märchen  der  Kampf  mit  dem  Drachen  dem  Streit  Thors 
mit  dem  MiögarSswurm ,  so  der  Straufs  mit  dem  Meer- 
troll der  Fehde  mit  Hymir  und  Oegir.  Wo  in  den  Va- 
rianten mehrere  Trolle  auftreten,  ist  eine  in  der  Sage  sehr 
gewöhnliche  Vervielfältigung  ein  und  desselben  Wesens  ein- 
getreten. Jene  verschiedenen  Angaben  des  Märchens  be- 
weisen aufs  Neue  die  von  uns  nachgewiesene  Einheit  des 
(Wolken-)  Meer  es  und  (Wolken-)  Berg  es.  Durch  den 
Genuss  des  himmlischen  (Söma-)Tranks  gestärkt,  vollbringt 
der  Held  den  Kampf  siegreich  ^).  Dann  sinkt  er  auf  dem 
Schofs  der  befreiten  Jungfrau  in  Schlaf  und  wird  von  ei- 
nem Nebenbuhler  getötet.  Der  Blitz  erstirbt,  nachdem  er 
die  Wolke  gespaltet,  um  erst  später,  wenn  die  himmlische 
Frau  aufs  Neue  in  Gefahr  ist  sich  dem  bösen  Feinde  zu 
vermählen,  auf  den  Schauplatz  zu  treten.  In  diesem  Teile 
ist  noch  nicht  alles  klar,  aber  die  Uebereinstimmung  der 
deutscheu  und  indischen  Sage  leidet  keinen  Zweifel.  Als 
der  Gott  dann  erscheint,  um  die  Wasserfrau  sich  zu  ver- 
mählen, die  Däsapatni  zur  Devapatni  zu  machen  kündigt 
er  seine  Gegenwart  dadurch  an,  dass  er  seine  Hunde 
Speise  von  ihrem  Tische  holen  lässt.  Das  Regengewäs- 
ser die  Milch  der  Wolkenkühe  ist,  wie  wir  gesehen  haben, 
öfter  als  Götterspeise  Amrita  aufgefasst,  s.  oben  S.  97, 
vergl.    S.  64   die  Maruts,    die   Geister   des    wilden  Heers 

1)  Hen^arars.  ed.  Havu.   152.     Vergl.  Lex.  myth.  342. 

2)  KHM.  No.  60. 


221 

speisen  davon  s.  o.  S.  42.  49  fgg-,  Saramä  empfängt,  die 
verborgenen  Kühe  und  Wasserfrauen  aufspürend,  von 
dieser  Speise  s.  oben  S.  218.  In  den  Veden  wird  oft  ge- 
schildert wie  die  Winde,  die  Maruts,  das  Regengewässer,  das 
Nebelo-rau  das  den  gauzenHimmel  überzieht,  zur  geschlos- 
senen Gewitterwolke  zusammenblasen  und  sie  werden 
so  als  Sammler  des  Regens  gefasst,  wodurch  sie  erst  In- 
dra  den  Kampf  ermöglichen,  ihm  den  Gewittertrank,  den 
hiramhschen  Söma  schaffen.  Dass  der  Gott  diesen  vor  dem 
Kampfe  geniefst  während  in  der  Natur  die  Regenflut  erst 
niederströmt,  nachdem  die  Wolke  bereits  gespalten,  Abi, 
Ägi,  getötet  ist,  dürfte  am  Ende  ein  in  der  Mythe  häufi- 
ges vOTBQOV  rtooTEQOv  sciu.  Einen  ähnlichen  Gehalt  stehe  ich 
durchaus  nicht  an,  für  den  eben  berührten  Zug  in  unserem 
Märchen  anzunehmen. 

Sehr  merkwürdig  ist  die  Uebereinstimmung  der  indi- 
schen und  deutschen  Sage  darin,  dass  diese  den  erlegten 
Drachen  siebenköpfig  sein  lässt '),  wie  die  indische  Sage 
dem  von  Trita  getöteten  Drachen  sieben  Schwänze  giebt. 
Es  geht  daraus  hervor,  dass  wir  es  in  unserm  Mythus  mit 
derjenigen  Tätigkeit  des  Gewittergottes  zu  tun  haben,  wel- 
che er  als  Befreier  aus  den  Banden  des  siebenmonat- 
lichen Winters  ausübt. 

Wie  Trita  neben  Indra  steht  schreibt  die  dänische 
Mythe,  welche  uns  in  verschiedenen  Fassungen  bei  Saxo 
erhalten  ist,  den  Drachenkampf  einem  dem  Thorr  ver- 
wandten Gott,  dem  Freyr  zu,  der  hier  unter  den  Namen 
Froöi,  FriöfroSi,  Fridleifr  auftritt'^).     Er  muss  eine  Thorr 

1)  KHM.  No.  60.  Steir,  Ungarische  Sagen  No.  1.  Zingcrle,  KIIM. 
1852.  S.  154.  Zingerle,  KHM.  aus  Süddeutschland  S.  2G5.  Pröhle,  Volks- 
märchen No.  5.   S.  21.     Meier,  Märchen  No.  58. 

2)  S.  Simrock,  Handbuch  der  D.  Myth.  S.  346.  Petersen,  Nordisk  my- 
thologi  347.  ^V.  Müller  bei  Haupt,  Zeitschr.  f.  D.  Altertum  III,  51  fgg.  Be- 
merkenswert ist,  dass  Saxo  den  von  Fri'Sleifr  getöteten  Drachen  als  ,,anguem 
undis  cmergentem"  schildert,  da  dieser  Zug  ein  neues  Zeugnis  für  die 
Identität  des  Miggarös^iirms  mit  Alii  ablegt.  Noch  wichtiger  ist  der  folgende 
Zug;  ,,Fridlevus  thcsaurum  humi  conclusum  effodere,  custodemque  ejus  dra- 
conem  bovine  tergore  tectiis  appetere  cujusdani  per  quietem  conspeeti  mo- 
nitu  perdocetur."  Denn  die  Ochsenhaut  dürfte  nichts  anderes  als  ein  Ue- 
berbleibsel  der  Stiergestalt  s.  o.  S.  36.  37  des  drachentötenden  Gottes  sein. 


222 

naliverwandte  Gottheit  sein,  welche  mit  diesem  zugleich  aus 
dem  indogermanischen  Göttermythus  hervorging,  von  dem 
auch  Indra  ein  Ausfluss  ist.  Wir  sahen  schon  oben  S.  171 
Anm.  4  dass  in  Freys  Freiwerbung  um  Gerör  derselbe 
Mythus,  wie  in  den  Riesenkämpfen  Thors  steckt  und  dem 
Drachenkampf  steht  ein  Streit  mit  dem  Riesen  Beli  zur 
Seite.  Nun  hat  uns  die  skandinavische  Mythe  bei  Freyr 
die  Wassergeburt  erhalten;  als  Sohn  desNjörör  giebt 
er  sich  als  Aptya  kimd.  Man  hat  Njörör  bisher  immer 
als  Gott  des  irdischen  Meers  gefasst  und  dafür  sogar 
etymol.  Anhalt  zu  gewinnen  gesucht ').  Wir  werden  aber 
an  einem  andern  Orte  den  Erweis  liefern,  dass  NjörSr  ur- 
sprünglich, wie  Varuna  das  himmlische  weltumgebende 
Gewässer  bedeutete  und  dann  gleich  diesem  zum  irdischen 
Meergotte  herabsank.  Gylfaginning  23  legt  ihm  ausdrück- 
lich himmhschen  Wohnsitz  bei  (hann  byr  a  himni).  Liefse 
sich  aus  der  Natur  eines  Meergottes,  der  durch  SchifiFahrt 
das  reichmachende  Vikingertum  beförderte,  erklären,  dass 
NjörSr  als  Spender  fahrenden  Gutes  und  von  Reichtum  im 
Allgemeinen  (lausafe,  fesaela)  angerufen  wurde,  so  kann  ein 
simpler  Meergott  nimmermehr  Landbesitz  (auS  landa)  ^)  ver- 
leihen noch  um  Frieden  und  Fruchtbarkeit  der 
Aecker  (är)  angerufen  werden  ^) ,  ebensowenig  würde 
man  einem  Meergott,  der  dies  ursprünglich  war,  die  Gabe 
das  Feuer  zu  löschen  (hann  stillir  eld)  zugeschrieben  ha- 
ben.  Entscheidend  aber  ist,  dass  sein  Name  „der  Kräf- 
tiger," »der  durch  den  man  kräftig  wird"  auf  ein 
himmlisches  Wesen  hinweist  ■*).     Ist  Njörör  mithin,    wofür 


Ebenso  erhält  Frogi  (Frotho  I.)  der  auf  einer  „insula  edita  praemollibus  cli- 
vis  collibus  aera  tegens"  den  goldhiitenden  Drachen  (montis  possessor)  tötet, 
die  Weisung:  ,,Taurinas  intende  cutes,  corpusque  bovinis  tergoribus  te- 
gito.'- 

1)  S.  Weinhold  bei  Haupt,  Zeitschr.  f.  D.  Altertum  VI,  460. 

2)  Gylfag.   23. 

3)  Heimskriugla  Yuglingasaga   c.  XI. 

4)  Der  Name  XjörSr  ist  gebildet  me  ^örör,  mörör,  jörö.  Diese  Worte 
sind  mit  dem  Suffix  8u,  goth.  \>u  abgeleitet.  FjörSr  von  fara  bedeutet  das 
■worauf  gefahren  wird;  mör^'r  Widder  von  Wiu-zel  mar,  mr  das  zum  Töten 
bestimmte  Opfertier  mactaudum;  jörö  von  aran,  lat.  arare  das  worauf  gepflügt 


223 

man  den  ausführlicheren  Beweis  in  meinem  Buche  „Anthro- 
pogonie  der  Germanen"  suchen  möge,  der  Gott  des  Him- 
melsmeeres, so  steht  er  jenem  westarischeu  Athwya  dem 
Sinne  nach  gleich. 

Wilhelm  Müller  hat  auf  überzeugende  Weise  dargetan'), 
dass  in  einer  ganzen  Reihe  deutscher  und  nordischer  üe- 
berlieferungen  ein  unserm  Märchen  ganz  ähnlicher  Mythus 
von  Oöhinn -Wuotan  erzählt  wird,  eine  Uebereinstimmung, 
welche  durchaus  nicht  befremden  kann,  da  verwandte  Göt- 
ter (und  es  berührt  sich  Wuotan  mit  Thunar  und  Fro  in 
vielen  Stücken,  gradeso  wie  Rudra  mit  Indra  und  Trita) 
ähnliche  Mythen  haben,  aber  —  und  dies  ist  ein  wichtiges 
Unterscheidungszeichen  —  es  fehlt  den  auf  Wuotan  bezüg- 
lichen Mythen  der  Drachen  kämpf  als  wesentliches  Mo- 
ment.  Wir  kommen  bei  Gelegenheit  auf  diese  Dinge  zurück. 

ö)  Durch  seine  Dämonenkämpfe  wird  Indra  der  Freund 
der  Menschen.  In  vielen  Liedern  heifst  es,  dass  er  zu 
Gunsten  Manus  oder  Purus  (des  Menschengeschlechtes) 
oder  der  Aryas  (der  Gesammtheit  der  arischen  Stämme)  die 
Bösen  besiegt,  ja  Indra  selbst  erhält  den  Beinamen  Arya 
der  Arier.  Er  heifst  mä'nusha  den  Menschen  wolgesinnt  ^). 
„Dich  den  Herrn  der  Männergesammtheit,  den  Herrn 
ungebeugter  Kraft  (s.  o.  S.  125)  rufe  ich  zum  Schutze  der 
Menschen  herbei  mit  dem  eilenden  Wagen  ^)."  „Ein  Be- 
kämpfer  der  übermütig  Wachsenden  ist  der  König  beider 
Reiche,  es  schützt  aber  Indra  sein  Volk  unter  den 
Menschen'').  Unter  den  Menschen  hat  er  wieder  beson- 
dere Lieblinge.    Seinen  Freund  Kutsa  nimmt  er  im  Kampf 

wird  (arandum),  wie  bargi  Schild  von  bcra  gestandum,  burgr  Geburt  qua  rc 
efticitur,  ut  latus  sis  vel  tuleris.  Auf  dieselbe  Weise  ist  Njörgr  von  Wur- 
zel nar,  nr  aus  anar,  anr  abzuleiten,  welche  in  wälsch  nertli  Kraft,  nerthus 
kräftig,  neart  Kraft,  neartor  kräftig,  in  lat.  nervus,  nero  Mann;  Neriene,  Ne- 
ria  griech.  dn](),  sanskr.  nar  und  nara  (s.  Zeitschr.  f.  D.  Altertum  III,  226. 
Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  I,  307.  II,  2G.  V,  371)  erhalten  ist  und  kräftigsein 
bedeuten  muss.  Nach  der  Analogie  des  zweiten  burgr  bedeutet  Njörör  dem- 
nach einen  durch  welchen  man  kräftig  ist  perquem  efficitur,  ut  validi 
siraus. 

1)  Schambach  und  Müller,  Niedersächs.  Sagen  S.  389—424. 

2)  Sämav.   Bcnf.  II,   8,   3,   5,   2. 

3)  Roth,  Nirukta  S.  163. 

4)  Roth,  Nirukta  S.  90. 


224 

gegen  ^ushna  auf  seinen  Streitwagen  mit,  schützt  ihn  im 
Straufs  mit  seinem  eigenen  Körper  und  verleiht  ihm  das 
eine  der  beiden  erbeuteten  Sonnenräder,  während  er 
selbst  das  andere,  behält.  Dem  Turväpa  leistet  er  Beistand 
im  Kampfe  zwischen  denBhrigus  undDruhyus.  DemUpana, 
Kavis  Sohn,  befreit  er  den  in  Gefangenschaft  fortgeführten 
Enkel  Navavästva.  Für  Purukutsa  zerstört  er  die  7  Win- 
terburgen, Noch  manche  andere  Beispiele  könnten  namhaft 
gemacht  werden.  Die  meisten  dieser  Freunde  Indras  sind 
noch  als  ursprünghch  mythische  Gestalten  durchsichtig. 
Kutsa  erscheint  in  mehreren  Stellen  als  Name  des  Vajra, 
also  als  Indras  Hypostase  selbst.  Seine  Mutter  heifst  Ar- 
juni,  sein  Vater  einmal  Arjuna  und  dieses  ist  wieder  ein 
Beiname  Indras.  Upana  soll  der  Venusstern  sein,  dessen 
Geschlecht  Indra  von  der  Verdunkelung  durch  die  Dämo- 
nen befreit.  Fast  immer  sind  dagegen  die  Feinde,  gegen 
welche  Indra  seinen  Freunden  Hilfe  leistet,  als  himmlische 
Dämonen  erkennbar.  Turväga  und  Yadu  wateten  durch 
eine  Furt,  vom  Wolkendämon  Dhuni  verfolgt,  da  erregte 
Indra  einen  heftigen  Sturm,  der  die  Wogen  aufstaute,  so 
dass  der  Feind  ihnen  nicht  folgen  konnte.  „O  starker  In- 
dra, du  bewegst  die  Wogen,  du  erregst  die  Wasser,  wel- 
che Dhuni  beherrschte.  Plötzlich  eine  Furt  bildend  hast 
du  Turvä^a  und  Yadu  sicher  gerettet '). 

öd)  Als  Trollenbesieger  führt  Thörr  den  Namen  Freund 
der  Menschen  vinr  verliSa  *).  Zum  Schutze  der  Men- 
schen zieht  er  gegen  die  Kiesen  aus  und  daher  riefen  die 
Sterblichen  seinen  roten  Bart  um  Schutz  gegen  das  böse 
Jötungeschlecht  an  ^).  Aber  auch  einzelnen  Menschen  ist 
er  hold,  und  diese  durften  sich  Thors  Freunde  Thors  vinar 
nennen.  Dem  Schweden  Styrbjörn  leistete  er  Beistand  ge- 
gen Eirikr,  den  OSinn  beschützte  *).  Auf  seinem  Wagen  führt 
ThorrThiälfi  und  Röskva  nach  SimrockPersonificationen  des 
Blitzes  mit  sich,  sowie  Orvandill,  den  ich  ebenso  deutete. 


1)  Rigv.  Langl.  IV,   6,   4,   12. 

2)  Hymisqu.   11.     Vgl.  Harbarösl.  23. 

3)  Olafs  Tiygg\^asonars.   Fommannasög.  II,   213  fgg. 

4)  Stvrbjömsjjattr.   2. 


225 

Als  Schützer  der  Menschheit  heifst  Thörr  Miggarös- 
veorr  der  Menschenwelt  Weiher  (Tenipelfriedenstifter ) 
und  in  Norwegen  verehrte  man  ihn  als  Schützer  des  Lan- 
des Landäss.  Was  dies  besagt  geht  aus  der  Nachricht 
hervor,  dass  auf*  einer  der  Orkneys  ein  dem  Thorr  heiliger 
Vogelbeerbaum  stand.  Die  Norweger  glaubten,  dass 
ihre  Herrschaft  untergehen  werde,  wenn  die  Feinde 
auch  nur  einen  einzigen  Zweig  von  diesem  Baume  weg- 
trügen '). 

g)  Aus  der  eben  entwickelten  Wesensseite  Indras  floss 
auch  seine  Geltung  als  Kriegsgott,  der  den  Menschen  in 
ihren  Kämpfen  Ruhm  und  Sieg  verleiht  und  die  Städte  der 
Feinde  zerstört^).  „Ihn  den  König  der  Menschen,  der  un- 
aufhaltsam auf  Scl)lachtwagen  fährt,  den  Ueberwältiger 
aller  Heere,  preise  ich  den  Vritratötenden'^)."  „Auf  schmük- 
ket  unsern  Indra  aus,  der  anzuflehu  in  jeder  Schlacht;  zu 
den  Gebeten,  Opfern  Vritratötender  komm,  mit  starker 
Sehne  Preis  würdiger ")." 

i  )  Brihaspati  (Indra)  umflieg  uns  mit  dem  Wagen 
Räkshas  tötend,  die  Feinde  niederschlagend, 
Heere  brechend,  Vorkämpfer  im  Kampf  siegend. 
Sei  der  Beschützer  unserer  Kriegeswaoren. 

2)  Durch  Stärke  kenntlich,  tiralt^)^  heldenkräftig, 
Mächtig  gewaltig,  furchterregend,  siegreich 
Umringt   von  Heldenlcriegern ,  kraftgeboren  (s.  o. 

S.  126) 
Besteig  stierspendend,  Indra,  den  Siegeswagen. 

3)  Dem  Wolkenspalter,  Stierspender,  Blitzschleudrer, 
Dem  Heeressieger,  der  mit  Stärke  vorkämpft, 
Ihm  ahmt,  o  Freunde,  nach  im  Heldentume, 
Mit  Indra  eifert  in  die  Wette,  Brüder*^). 


1)  Lex.  myth.  8!) 7. 

2)  S.  Kuhn,  Jahrb.   f.   wissenschaftl.  Kritik    1844   S.  99. 

3)  Sämav.  Bcnfey  I,   3,   2,   4,    1. 

4)  Ibid.   I,   3,   2,'  3,  J. 

5)  Im  Text  steht  sthavira,   dafür  im  Glossar  nur  die  Bcdeutunp;  fcsl. 
;;egen  führt  Bopp,   Gl.   Sanscr.   allerdings  die  Bedeutung  „senex"   auf. 

6)  Sämav.   Bcnfey  H,   9,   3,   2. 

15 


226 

Raben  begleiten  Inclras  Zug  in  die  Schlacht: 
Ihr  sollen  Raben  folgen  rasch  geflügelt, 
Des  Geiers  Speise  werde  jene  Heerschar; 
Gerettet,  Indra,  sei  der  Bösen  Keiner, 
Die  Vögel  mögen  sie  allsammt  ereilen. 
Das  Feiudesheer,  o  Mächtiger,  welches  feindlich 
Gegen  uns  zieht,  verbrennt  es  beide,  Indra 
Vritratöter  und  Agni  du  ^). 
Wenn  die  Aryas  nach  Geschlechtern  und  Verwandschaften 
geordnet  (?)  in  den  Kampf  ziehen  rufen  sie  Indra  an: 

Den  vor  dem  Feind  die  kämpfenden  Geschlechter^) 
Den  im  Gespann  die  Stürmenden  anrufen, 
Den  in  der  Schlacht,  den  in  der  Wogen  Sturme 
Die  Priester  feiern,  Indra  ist  es,  dieser^). 
Als  Vritra-  und  Valatöter  hiefs  Indra  Vritrahan,  oder  Ba- 
lavritrahan.      Dieser  Name   blieb    dem    Zendvolk  erhalten, 
das   das   entsprechende    Wort  Verethraghna  oder  Vaheva- 
hean  als  Namen  eines  guten  Genius  kannte.     Bei  den  Ar- 
meniern hat  sich   dieselbe  Gestalt  in  der   gekürzten  Form 
Vahagn   erhalten.     Man  verehrte  denselben  als  Drachentö- 
ter  und  machte  in  hellenistischer  Zeit   aus   ihm  einen  dra- 
chenschlagenden Herakles  Babeios,    dem   unter   anderem 
in   der  Provinz   Taron    in    den    karcharischen   Bergen  ein 
Tempel  geweiht  Avar,  welcher  als  Hauptopferort  der  arme- 
nischen Könige  zu  grofser  Berühmtheit  gelangte*).    Ande- 
rerseits nahm  sowol  der  vedische  Superlativ  vritrahantama 
als  das  entsprechende   zendische   veretrazan   die  allgemeine 
Bedeutung  siegreich  an. 

es)  Auch  Thörr  war  Kriegsgott,  wenngleich  er  als  sol- 
cher im  nordischen  Glauben  sehr  zurücktrat.  Er  urteilt 
dem  Starkaör,  dass  er  in  jedem  Kampf  unheilbare  Wun- 


1)  Sämav.   Benfey  II,    0,   3,    6. 

2)  Kshitaya  spardhamänah.  kshiti  bedeutet  eigentlich  Haus,  Wohnung,  dann 
Familie,  in  der  Mehrzahl  die  Stämme,  tribus.  So  heifsen  die  5  Stämme 
der  Arier  pauca  kshitayah. 

3)  Sämav.  Benfey  I,   4,    1,   5,    6. 

4)  S.  Windischmaun,  Abhandl.  der  Bair.  Akad.  München  1856.  VIII.  I, 
S.  109. 


227 

den  davontragen  solle  (\>at  legg  ek  a  bann,  at  hann  fai  i 
hveiju  vigi  meiSslasar).  Die  Wiedereinführung  des  Thörs- 
dienstes  durch  Häkon  den  Mächtigen  besang  der  Hofskalde 
Einarr  Skalaglam  in  seinem  Preislied  Vellekla.  Darin 
beifst  es: 

Zurück  gab  sie  mitsammt  der  Kluge 

EinriSis  wahre  allbekannte 

Vordem  verheerte  Tempelgründe 

Und  der  Götter  Heiligtümer. 

Zuvor  führt'  Hlorriöi  (Thörr)  den  Raben 

Den  Wecr  des  Leichenfalls  der  Riesen 

Weit  über  alles  Meer,  es  steuern 

Den  (Herrn)  des  Lanzenwalls  (den  Häkon)  die  Götter '). 
EinriSi  und  Hlorriöi  sind  bekanntlich  Eigennamen  Thors, 
unter  den  gefällten  Riesen  sind  die  Eirikssöhne  gemeint, 
welche  den  alten  Götterdienst  abgestellt  und  Häkon  aus 
seinem  Erblaude  Throndheimr  vertrieben  hatten,  von  ihm 
aber  im  Bunde  mit  König  Haralldr  von  Dänemark  um  970 
einer  nach  dem  andern  besiegt  und  getötet  waren.  Ist  in 
dieser  Stelle  auch  der  Gedanke  zweifelhaft,  dass  Thörr 
selbst  dem  Raben  die  Leichname  der  erschlagenen 
Feinde  giebt '^)  —  da  die  Worte  geiragarSs  Hlorriöi  auch 
zusammengenommen  werden  könnten  und  dann  von  Häkon 
„dem  Hlorriöi  der  Lanzumzäunung"  (d.  i.  des  Schildes)  die 


1)  Heimskrmgla  Olafs  Tryggvasonarss.  k.  IG.     Fommanuasög.  I,  91. 

011  let  semi  cnn  svinni  söun  Eimiriöa,  möniium 
hverjum  kimii,   of  herjuö  hofslanö   ok  ve  banda: 
äör  veg  jötna  vitui  valfalls  of  sjö  allan, 
j^eim  styra  goÖ  geira  garös,  Hlorridi  faröi- 

2)  In  der  obigen  Vcdcnstulle  Sämav.  II,  9,  3,  G  ist  die  Ueberoinstim- 
mung  in  der  Scliildoning  der  Schlacht  mit  den  Beschreibnngen  der  altgerma- 
nischen  Poesie  bemerkenswert.  Niclit  allein  die  nordischen  Skäklenlieder  son- 
dern auch  die  angelsächsischen  Gedichte  sind  des  Preises  der  Helden  voll, 
welche  im  Kampf  dem  Wolfe  Speise  schaffen,  dem  Raben  den  Bluttrank 
bereiten.  Sie  heifscn  daher  ülfs  tannlituöar  Wolfs  Zahnfärber.  Oöiun  selbst 
zieht  als  Ivriegsgott  in  den  Kampf  von  seinen  Raben  und  Wölfen  begleitet, 
von  den  erstercn  heifst  es,  dass  sie  täglich  von  des  Götterkönigs  Sitz  zur 
Erde  fliegen  und  vom  Blut  der  Gefallenen  sich  nähren.  Auf  einem  zu  Ehren 
Eyvins  des  Griechenlandsfahrers  errichteten  Bautastein  zu  Totten  ist  ein  Rei- 
ter mit  4  Rossen  abgebildet.  Ihm  zur  Seite  läuft  ein  Wolf  und  darüber 
schwebt  der  Rabe.     Ol.  Worniü   Monum.   Danic.   CVI,   S.  485. 

15* 


228 

Rede  wäre  —  so  lernen  wir  doch,  dass  wie  in  obiger  Ve- 
denstelle  die  Räkshasas,  so  im  germanischen  Norden  die 
Jötnar  als  Bild  der  irdischen  Feinde  der  Menschen 
gefasst  wurden,  eine  Vorstellung  welche  mehrere  Skälden- 
gesänge  bestätigen.  Wenn  es  nun  von  Thörr  heifst,  dass 
er  an  der  Spitze  der  Einheriar  die  Götterburg  gegen  die 
Thursen  verteidige,  z.  B.  bei  Thörbjörn  Disarskäld: 

l^örr  hefir  Yggs   meS  ärum       Thorr  mit  Yggs  Genossen 
Asgarö  af  ]>vek  varöan  Wehrt   mit  Stärke  Asgarö 

und  wenn  er  andererseits  als  deijenige  bezeichnet  wird,  der 
die  Menschen  gegen  die  Riesen  schützt  (sä  er  öldum  bergr) '), 
so  war  es  natürlich,  in  ihm  einen  Schützer  und  ein  leuch- 
tendes Vorbild  im  Kampfe  zu  sehen.  Es  wird  daher  das 
Zeugnis  des  Hugo  von  St.  Quintin  unverwerflich  erschei- 
nen, der  zwar  erst  um  das  Jahr  1000  sein  Buch  De  mo- 
ribus  Nortmannorum  schrieb,  sich  aber  auf  alte  Lieder  und 
die  lebende  Sage  seines  Volkes  stützte^):  „Ceterura  in  ex- 
pletione  suarum  espulsionum  atque  exituum  sacri- 
ficabant  olim  venerantes  Thur  deum  suum.  Cui  non  ali- 
quod  pecudum  neque  pecorum  nee  Liberi  patris,  nee  Ce- 
veris  litantes  donum,  sed  sanguinem  mactabant  ho- 
minum,  holocaustorum  omnium  putantes  pretiosissimum, 
eo  quod  sacerdote  sortilego  praedestinanti  juga  boum  una 
vice  diriter  icebantur  in  capite  collisoque  unicuique  singu- 
lari  ictu  sorte  electo  cerebro,  sternebatur  in  tellure  perqui- 
rebaturque  levorsum  fibra  cordis,  scilicet  vena.  Cujus  ex- 
hausto  sanguine  ex  more  sua  suorumque  capita  linientes, 
librabant  cele riter  carbasa  ventis,  illosque  tali  ne- 
gotio  putantes  placare,  velociter  navium  insurgebant  remis. 
Sin  vero  majori  sorte  equites  egressi  essent,  mavortia 
erigebant  vexilla  proelii.  Sicque  suis  a  finibus  ela- 
bentes  tenebant  intentionem  in  gentium  mortiferam  concus- 
sionem '')." 


1)  Hymisqu.   22. 

2)  S.  Waitz  bei  Pertz,   Monum.   Germ.  IV,  94. 

3)  Dudo  de  moribus  Nortmannorum  c.  I  ap.  Du  Chesne  Script.  Normann. 


229 

Im  Kampf  gegen  seinen  Vaterbruder  Eirikr,  dem 
Oöinn  beistand,  rief  Styrbjörn  Thorr  mu  Hilfe  an  ').  Aus 
den  angeführten  Zeugnissen  wird  sich  zum  wenigsten  schHe- 
fsen  lassen,  dass  den  Nordgermanen  vor  der  vorwiegenden 
Geltung  Oöins  und  Tyrs  als  Kriegsgottheiten  der  Gedanke 
an  einen  Einfluss  Thors  auf  das  Geschick  der  Heerzüo-e 
nicht  ganz  geschwunden  war,  bei  den  Südgermanen  scheint 
Tacitus  den  Thunar  noch  in  lebendiger  Kraft  als  Kriegs- 
herrn  waltend  gekannt  zu  haben.  Er  nennt  nämlich,  in 
römischer,  Avahrscheinlich  aus  dem  Munde  der  in  Deutsch- 
land stehenden  Legionen  geflossener  Uebertragung,  Ilercu- 


p.  62.     Wol  nach  Dudo  berichtet  im  zwölften  Jahrhundert  Robert  Vaee,   Ca- 
nonicus  zu  Caen  in  seiner  Normannischen  Eeimchronik  (Romaiiz   de  Kou) : 

Ceuls  (les  Danois)  sont  unes  gens  moult  diverses  (cruelle) 

moult  contraire  et  moult  perverses. 

Un  dieu  soloient  aorer, 

qu'il  soloient  Türe  apeler, 

moult  l'amoient,  moult  se  fioient, 

hommes  vis  li  sacri fioient; 

du  sanc  de  Tonime  s'arrosoient. 

Mes  anchiez  (auparavaut)   s'en  desgeunoient. 

Ja,  puisque  ils  eins  feissent, 

li  uns  as  autres  ne  faillissent 

de  cel  sanc  lor  armes  teiguoient 

et  eulx  mesmes,   quant  devoient 

aler  eu  ancune  bataille, 

ou  por  gaing,  ou  por  vitaille, 

plus  assur  partout  aloient 

quant  de  cel  sanc  a  eulx  portoient, 

que  il  avoient  sacrefie 

et  a  lour  dieu  tout  atouchie'. 
Mit  Dudos  Bericht  über  dem  Thon-  dargebrachte  Menschenopfer  vergleiche 
man,  was  das  Landnäraabok  von  dem  durch  Thorolfr  Möstraskeggr  diesem 
Gotte  geweihten  Hofe  erzählt.  Daselbst  befand  sich  ein  spitzer  Stein,  Thors- 
steinn  genannt,  auf  welchem  den  zum  Opfertode  bestimmten  Gefangeneu  der 
Rücken  zerbrochen  wurde,  daneben  lag  der  Gerichtskreis  (dömhringr)  in  wel- 
chem über  die  dem  Opfertode  zu  weihenden  Menschen  das  Urteil  gesprochen 
ward.  Landnämab.  p.  92.  94.  E3'rb3'ggjasaga  k.  10.  Auch  der  grausame 
Brauch  heidnischer  Vikinge,  kleine  Kinder  in  die  liUft  zu  werfen  und  mit  der 
Speerspitze  wieder  aufzufangen  (henda  börn  ä  spiota  oddiim)  ist  ein  um  Kriegs- 
glück  dargebrachtes  Menschenopfer.  S.  Keyser  Ts'ordmicndencs  Rdigionsforfat- 
ning  i  Hedendommen  §.21.  S.  103.  Jener  Dömhringr  wiederum  darf  mit 
des  Tacitus  Aussage  (Germania  7)  zusammengehalten  Averdeu:  Ceterun^  neque 
animadvertere  neque  vincirc,  ne  verberare  quidem  nisi  sacerdotibus  pcr- 
missum,  non  quasi  in  poenam  nee  ducis  jussu  sed  velut  Dco  imperantc,  «lueni 
adesse  bellantibus  credunt. 
1)  Styrbjöruspattr  k.  2. 


230 

les  neben  Mars  als  einen  germanischen  Gott').  Vor  dem 
Kampf  mit  Germanicus  auf  der  Idisenwiese  versammeln 
sich  die  zu  Armin  stolsenden  Stämme  in  einem  diesem 
Hercules  heiligen  Haine  ^).  Wenn  sie  in  die 
Schlacht  ziehen  wollen,  besingen  sie  ihn  als  den 
ersten  aller  tapferen  Männer'').  Mit  seiteuer  Ein- 
mütigkeit haben  die  neuereu  Mythenforscher  in  diesem  Her- 
cules Thunar  erkannt  *),  der  als  Drachenkämpfer  dem  Be- 
sieger der  Lernäischeu  Hyder,  der  schon  in  der  Wiege 
Schlangen  erwürgte,  als  Hammerträger  dem  keuleuschwin- 
geudeu  Zeussohn  ^),  als  Dursenbekämpfer  dem  Töter  der  Ger- 


1)  Germania  9. 

2)  Aunal.  II,    12. 

3)  Germania  3. 

4)  Müllenhoff,  De  autiquissima  Germanoriim  poesi  cborica  S.  7.  12.  15 
fgg.  C.  Zeuss,  Die  Deutschen  und  ihre  Nachbarstämme  S.  25.  W.  Müller, 
Altd.  Eeligion  S.  44.  241.  242.  Versuch  einer  mythol.  Erklärung  der  Nibe- 
lungens.  S.  143.  Simrock,  Handbuch  der  D.  Mytli.  S.  294  fgg.  H.  Eückert, 
Culturgescb.  des  D.  Volkes  79.  130.  Vergl.  Myth.^  338.  In  Bezug  auf  den 
von  Grimm  und  Andern  über  den  Ausdruck  vir  erhobenen  Zweifel  bemerkt 
Müllenhoff,  De  poesi  eher.  16  sehr  richtig:  ,,Xeque  quoniam  Hercules  primus 
omnium  virorum  fortium  dicitur  eum  heroem  fuisse  quisquam  affinnare  po- 
terit,  nisi  qui,  si  quis  Venerem  omnium  mulierum  formosissimani  dixit,  eam 
quoque  heroina  habebit.  Sed  etiam  Grimmius  eum  int  er  heroes  nostros  po- 
suit,  quod  non  solum  aperte  Taciti  verbis  cap.  3.  repugnat,  verum  etiam  vir 
doctissimus  non  considerasse  videtur  id  quod  satis  notum  est,  Herculem  apud 
Italos  et  Komanos  non  heroem  ut  apud  Graecos,  sed  deum  et  quidem  anti- 
quissimum  et  nobilissimum  fuisse."  Wir  fügen  hinzu,  dass  Thorr  in  der  Edda 
mit  demselben  Worte,  das  Tacitus  gebraucht,  Wagen  mann  vagnaverr  (ags. 
ver,  alts.  altfr.  ahd.  wer  :^  lat.  vir,  skr.  vira)  genannt  wird  und  dass  des  Kö- 
lners primus  fortium  virorum  sich  wörtlich  in  Thors  Beinamen  Einheri  (d.i. 
der  Held  xar  f^oxV'"^  wiederfindet. 

5)  Im  dänischen  Glauben  muss  Thors  Hammer  fast  durchweg  als  Keule 
(clava)  gedacht  sein,  da  Saxo  nicht  allein  dem  Gotte  selbst  dieselbe  im  Kampf 
gegen  HöÖr  beilegt,  sondern  auch  alle  Hypostasen  Thors  in  der  dänischen 
Heldensage  diese  Waffe,  die  sich  noch  deutlich  als  Donnerwafle  kuudgiebt, 
tragen.  S.  Uhland,  Mythus  von  ThoiT  S.  192  fgg.  Die  gleiche  Darstellung 
zeigt  das  ,,sceptrum,"  welches  nach  Adam  von  Bremen  cap.  233  Thors 
Büd  im  Upsalatempel  führte,  sowie  jenes  noch  unerklärte  ,,reföi  giiUbüit" 
(ein  längeres  Messer  nach  Weinhold.  Altnord.  Leben  S.  201),  welches  Thors 
Statue  in  Throndheim  in  der  Hand  hatte  (Heimskringla,  Olafs  Trt-ggvasonars. 
c.  LXXVI).  Interessant  ist  die  Bemerkung,  dass  nach  A.  Cunningham  (The 
Bhilsa  Topes.  PI.  XXXIII.  fig.  7  fgg.)  die  indischen  Könige  eine  Nachbildung 
von  Indras  goldenem  ,.thunderbolt"  als  Scepter  trugen.  Eine  au- 
thentische Nachbildung  dieses  Donnerkeilscepters  nach  den  ältesten  Mo- 
numenten s.  bei  Weifs,  Handbuch  der  Kostümkunde  I,  S.  491.  Fig.  204,  d. 
Die  Berechtigung  unsere  Deutung  des  taciteischen  Hercules  wesentlich  auf  sein 


231 

youes  und  anderer  Riesen  der  hellenischen  Sage  sehr  ähn- 
lich sah  und  daher  von  den  römischen  Soldaten  und  Co- 
lonisten  an  den  deutschen  Grenzen  bei  oberflächlicher  Be- 
kanntschaft mit  seinem  Mythus  leicht  für  Hercules  erklärt 
werden  konnte.  Wie  nahe  diese  römische  Uebersetzung 
lag,  sehen  wir  daraus,  dass  im  Orient  der  Thunar  entspre- 
chende Verethragna  (der  Vritratöter)  ebenso  durch  Hera- 
kles verdollraetscht  wurde,  und  in  der  Tat  gehört  Hera- 
kles-Hercules  (insoweit  seine  Mythe  indogermanisch  ist) 
demselben  Gedankenkreise  und  demselben  Urmythus  an, 
wie  Indra  und  Thunar. 

Sehen  wir  demnach  Thunar  wie  Indra  vor  dem 
Kampfe  angerufen  und  als  leuchtendes,  nachahmungswer- 
tes Vorbild  (primum  fortium  virorum)  gepriesen,  so  bie- 
tet eine  weitere  Nachricht  bei  Tacitus  eine  beachtungs- 
werte Parallele  zu  der  oben  aus  Sämaveda  I,  4,  1,  5,  6 
angeführten  Stelle,  Der  römische  Geschichtsschreiber  be- 
richtet, nachdem  er  so  eben  von  der  Gottheit  gesprochen, 
die  sie  in  den  Schlachten  gegenwärtig  glauben: 
„Auch  tragen  sie  Göttersymbole  und  Attribute  mit  in  die 
Schlacht,  die  sie  aus  den  heiligen  Hai  neu  hervorholen 
(efügiesque   et   signa   quaedam   detracta   lucis).     Was  aber 


Attribut  die  Keule  zu  stützen,  geht  aus  der  weiten  Verbreitung  römischer 
Statuetten  grade  des  keuleu tragenden  Hercules  in  ganz  Deutschland  her- 
vor. Denn  ganz  übereinstimmende  echte  Bilder  dieser  Art  fanden  sich  nicht 
allein  in  den  Römerlagern  von  Xanten  und  Strafsburg  (s.  Hauben  und  Fied- 
ler, Denkmäler  von  Castra  Vetera  und  Colonia  Trajana.  Xanten  1839.  Taf. 
XXVII,  4.  Caylus,  Recueil  d'antiqnites  tom.  III.  p.  LXXXVIII.  f.  1  und  pag. 
324.  Dorow,  Denkmäler  alter  Sprache  und  Kunst  II,  92.  tab.  II,  2,  a.  b.), 
sondern  auch  im  Taunusgebirge  (Dorow  a.  a.  O.  S.  91),  bei  Wien,  im  Bette 
der  Spree  bei  Bautzen  (s.  Klemm,  Handbuch  der  germ.  Altertunisk.  S.  355. 
No.  2.  3)  u.  s.  w.  Die  weite  Verbreitung  dieser  römischen  Idole  macht  zum 
mindesten  wahrscheinlich,  dass  der  Germane  in  dem  Kculenträger  das  Bild  ei- 
ner einheimischen  Gottheit  wiederzuerkennen  glaubte.  Römische  Bildwerke, 
wie  den  zu  Azebrule  a.  d.  Loire  gefundenen  AVagon,  auf  welchem  drei  Amo- 
retten mit  2  Ziegenböcken  fahren  (s.  Dorow,  Opferstätten  und  Grabhügel 
tab.  XVII,  1)  hätte  der  Nordgermanc  unzweifelhaft  auf  Thorr,  Thiälli  und 
Röskva  gedeutet  —  safs  doch  auch  im  Tempel  zu  Mieroe  Thors  Bild  auf 
einem  prächtigen  Wagen  mit  2  Böcken  davor  (Olafs  Trvggvasonais. 
Skalth.  II,  24)  —  wie  sollten  nicht  jene  Ilerculesbilder  die  Vermutung  begrün- 
den, dass  der  Germane  sie  durch  Handel  erwarb ,  um  ein  Bild  des  Keulcn- 
schwingers  Thunar  zu  haben  V 


232 

vorzAigsweise  zur  Tapferkeit  antreibt,  nicht  das  Ungefähr 
oder  zufälliges  Zusammentreten  bildet  eine  Schar  oder 
einen  Keil,  sondern  Familien  oder  Sippsch  aften" 
(non  fortuita  conglobatio  turmam  aut  cuneum  facit,  sed  fa- 
miliae  et  proprinquitates).  Dieselbe  Art  der  Aufstellung 
nach  Verwandschaften  erfolgte  im  Grofsen,  wenn  mehrere 
Stämme  gemeinsam  kämpften.  Claudius  Civilis  stellt  in 
seiner  ersten  Schlacht  gegen  die  Kömer  die  Canninefaten, 
Friesen,  Bataver,  jeden  Stamm  besonders  in  Keilform 
auf  (propriis  cuneis  componit)  ').  Unter  den  von  Priestern 
aus  dem  Haine  (vergl.  Thorslundr,  Thorslöf  oben  S.  139) 
geholten  Göttersymbolep  und  Attributen  werden  Thunars 
Bock  und  Hammer  die  Hauptrolle  gespielt  haben.  Wie 
tief  es  in  Thunars  Cultus  begründet  war,  dass  grade  die 
in  die  Schlacht  ziehenden  Geschlechter  ihm  Loblieder  san- 
gen, ihn  unter  Vortragung  seiner  heiligen  Symbole  mit 
feierlichem  Chorreigen  priesen,  habe  ich  in  meinem  Auf- 
satz „Sif,  Sippia'^)"  auseinanderzusetzen  gesucht. 

^)  Indra  wurde  als  Jüngling  gedacht.  „Denn  grofs 
ist  deren  Opferstofs,  hehr  der  Gesang,  die  Keule  breit,  de- 
nen Indra  der  Jüngling  Freund.  Kampflos  fürwahr  ge- 
winnt im  Kampf  der  Held  durch  seine  Kraft  den  Schatz, 
welchem  Indra  der  Jüngling  Freund'^)."  «Der  Städte- 
zerstörer, Jüngling  ist,  der  weise  übermächtige  Indra, 
gezeugt  der  Werke  Allbesitzer,  Donnerer  vielgerühmt  ^).'' 
„Die  Maruts  singen  einen  Sang  schöusingend;  gepriesen 
wird  der  hehre  Jüngling  Indra."  Daneben  heilst  Indra 
aber  auch  uralt  (sthavira  =  senex)  s.  o.  S.  225.  Die  cr- 
stere  Vorstellung  fliefst  aus  ludras  Natur  als  Kraftgott  s. 
oben  S.  126,  die  andere  aus  der  Vorstellung,  dass  er  älter 


1)  Tac.  bistor.  IV,  16.  vergl.  77.  Caesar  de  beU.  Call.  I,  öl.  Vergl. 
meiuen  Aufsatz  Sif,  Sippia  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  330  fgg.  und  Müllenhoff, 
De  poesi  chorica  S.  12. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  331  fgg.  Vergl.  Müllenhoff,  De  pocsi  cho- 
rica  S.  13. 

3)  Sämav.   Benf.  II,   5,   2,   21,   2,   3. 

4)  Ibid.   II,   4,   2,   2,   8. 

5)  Ibid.   II,  5,    2,    1,   9. 


_^3    _ 

als  die  anderD  Götter  sei.  So  heilst  er  Rigv.  Langl.  11, 
2,  I,  1  fgg-:  r^'or  deu  andern  Unsterblichen  geboren,  die 
er  mit  Kraft  geschmückt  hat." 

CC)  Thörr  erschien  dem  Styrbjörn  als  rotbärtiger 
Jüngling,  ebenso  dem  (Jlafr  Tryggvasour  ^).  Anderer- 
seits nannte  man  ihn  Atli  Väterchen,  Goldgubbe 
(„goldgubben  äker"  der  gute  Alte  fährt,  sagt  man  in  Schwe- 
den beim  Gewitter)  und  in  einer  deutschen  Sage  tritt  Thu- 
nar  als  Greis  mit  langem  weifsen  Barte  auf'). 

7/)  Gleich  nach  seiner  Geburt  zieht  Indra  gegen 
die  Dämonen  aus.  „Kaum  war  (^atakratu  geboren,  so  sagte 
er  zu  seiner  Mutter:  was  sind  das  für  furchtbare  Schreie, 
die  man  hört?  Es  sind,  sagte  sie,  Aurnaväbha  und  Ahipuva. 
Mein  Sohn  möchten  sie  von  dir  besiegt  werden '^)."  Zur 
Hilfe  herbeigerufen  kommt  Indra  aus  der  Ferne  mit  der 
Schnelligkeit  des  Blitzes  herbei.  „Komm  zu  uns 
Indra  aus  der  Ferne,  du  bist  nicht  da,  wie  zu  dem  Opfer 
ein  Heldenfürst,  zur  Burg  ein  König,  Heldenfürst  ^)." 
„Komm  zu  uns  aus  ferner  Gegend  mit  deinen  beiden 
Rossen^;."  „Gleich  kommt  er,  sowie  er  nur  hört,  mit 
tausend  Hilfen  auf  unser  Gebet'')." 

?/?/)  Thörr  war  nach  Osten  gezogen  Riesen  zu  töten 
(]>6rr  var  farinn  i  austrvega  at  berja  troll).  Inzwischen 
kommt  der  Jötunn  Hrüngnir  nach  VallhöU  und  belästigt 
die  Äsen.  Als  den  Äsen  sein  Uebermut  zum  üeber- 
druss  wird,  da  nennen  sie  Thörr.  Sogleich  kommt 
Thörr  in  die  Halle  und  schwingt  den  Hammer,  er  ist 
sehr  zornig  und  fragt,  wer  gestattet  habe,  dass  hundert- 
weise  Jötune  dort  trinken  dürften.  (En  er  Asum  leiddist 
ofrefli  hans  ]>a,  nefna  ]?eir  j'ör,  |>vi  n.-est  kom  J'örr  i 
hölliua  ok  haföi    uppi    ä  lopti  hamariun  ok  var  allreiÖr)  '). 

1)  Fommaunasög.  II,   182. 

2)  Seiünt,  Sagen  von  Ilildesheim  Xo.  6.  S.  8.  ve.rgl.  S.  176.  Ztitsclir. 
f.  D.  Myth.  II,  305  fgg.  III,  394. 

3)  Rig\%  Langl.  VI,  6,   10,   1. 

4)  Sämav.  Benf.  I,   6,   2,   3,   3. 
.5)  Rig.  Langl.  V,   8,   2,   3,   6. 

6)  Rigv.  Kosen  XXX,   8. 

7)  Skäldskaparm.   cap.  17.   Sn.  E.   I,   272. 


234 

In  der  Oegisclrecka  schmcäht  Loki  den  auf  der  Ostfahrt 
abwesendeu  Thörr  und  sein  Weib,  die  Sif  und  im  näm- 
lichen Augenblick  beben  alle  Berge,  und  Thörr  tritt 
in  den  Saal,  Loki  mit  dem  Hammer  bedrohend  ').  —  In 
dem  norvegischen  Märchen  von  Lillekort  und  Lillevaker 
einer  Variante  der  S.  216  besprochenen  Ueberlieferungen 
scheinen  beide  Züge,  welche  wir  unter  i],  von  Indra  be- 
rührten, Analogien  zu  finden.  Eine  Frau  gebiert  einen 
Knaben,  der  sich  König  Lavring  nennt  und  gleich  nach 
der  Geburt  sich  mit  einem  Schnappsack  und  Essen  für 
ein  paar  Tage  auf  den  Weg  macht.  Kaum  ist  er  fort, 
so  gebiert  die  Frau  noch  einen  zweiten  Knaben  Lillekort, 
der  ebenso  gleich  nach  der  Geburt  sich  in  der  Stube 
umliersieht,  nach  seinem  Zwillingsbruder  fragt  und  diesen 
zu  suchen  auszieht.  Er  holt  diesen  ein,  später  trennen  sie 
sich.  Lillckort  zieht  nach  Osten,  erwirbt  ein  Schwert, 
das  eine  ganze  Kriegsmacht  niedermetzelt,  ein  Schiflf,  das 
über  Süfs-  und  Salzwasser,  über  Berge  und  tiefe 
Täler  geht  (vgl.  Thors  Schiff  S.  147,  sowie  Freys  Skiö- 
bladnir),  endlich  die  Kunst  hundert  Lasten  Malz  auf 
einmal  zu  ver brauen  (vgl.  Thors  Beziehung  zur  Brauerei 
S.  101  fggO-  Er  fährt  auf  seinem  Schiff  durch  die  Luft 
zu  einem  Königshof,  wo  er  am  Donerstagabeud  die 
Königstochter  von  drei  Trollen  befreit,  die  unter  dem 
Rufe  „Feuer"  mit  Eisenstangen  nach  ihm  schlagen, 
während  er  unter  dem  gleichem  Ituf  „Feuer*  mit  seinem 
Zauberschwert  ihnen  die  Köpfe  abschlägt.  Aus  den  Troll- 
schiffen nimmt  er  goldene  und  silberne  Fass reifen 
und  viele  andere  Schätze.  Ein  Anderer  stellt  sich  als 
Befreier  der  Jungfrau  an,  bis  nach  geraumer  Zeit  Lillekort 
sich  als  solchen  zu  erkennen  giebt  und  den  falschen  Bräu- 
tigam dem  Tode  überliefert.  Eine  zweite  Tochter  des  Kö- 
nigs ist  von  einem  Meertrollen  geraubt  und  wird  un- 
ter dem  Wasser  gefangen  gehalten.  Lillekort  zieht  da- 
hin,  braut  dem  Riesen   hundert   Lasten  Bier   auf 


1)  Oegisclrecka   55  fgg. 


235 

einmal,  von  dessen  starker  Würze  der  Troll  und  sein 
ganzes  Geschleclit  sogleich  getötet  werden  (indem  Thörr 
den  himmlischen  Met  im  Braukessel  S.  103  bereitet,  den 
Regen  niederströmen  macht,  sinken  die  Dämonen  tot  zu- 
sammen). Da  Lillekort  mit  der  so  befreiten  Königstochter 
heimziehend  in  Verlegenheit  ist,  welche  der  beiden  Schwe- 
stern er  heiraten  soll,  ruft  er  dreimal  mit  lauter  Stimme 
seinen  fernen  Bruder  König  Lavring  bei  Namen.  Da 
steht  derselbe  plötzlich  vor  ihm'),  und  ist  bereit  eine 
der  beiden  Jungfrauen  zur  Gemahlin  zu  nehmen. 

&)  Dem  Indra  wurde  auf  Bergen  und  in  Wäldern 
geopfert.  „Als  (der  Brahmane)  von  Berg  zu  Berg  stieg 
und  das  schwere  (Opfer-) Werk  unternahm,  erkannte  Indra 
seinen  Vorsatz,  mit  der  Schar  (der  Maruts)  kam  der  Wunsch- 
erfüller  ^)"  „Im  Walde  wird  er  von  seinen  Verehrern  ge- 
priesen den  Sterblichen  seine  Macht  oflenbarend  '^)."  „Am 
Abhänge  der  Berge  und  an  der  Ströme  Verbindung  ist 
(Indra)  der  Weise  durch  Opfer  gezeugt'*)." 

&&)  Dass  auch  Thunar  auf  Bergen  und  in  Wäldern 
verehrt  wurde,  geht  aus  den  Ortsnamen  Donnersberg 
(Thunoresberg ,  Thuneresberg,  Donnersperch ) ,  Donner- 
kaute, Donnerbühel,  Thorsklint  ^),  Thörsbjerg, 
Thörsbjörg,  Thorslund,  Thorslöf,  Donnermark 
hervor.  Aus  einem  heiligen  Haine  des  Hercules  zogen 
die  Hilfsvölker  Armins  in  die  Schlacht  von  Idisiaviso.  Thors 
Mutter  selbst  heifst  Fjörgyn  (=  goth.  fairguni,  althd. 
virgunia)  Waldgebirg  eine  mythische  Verwandschaft, 
welche  erst  verständlich  wird ,  wenn  wir  ihre  Entstehung 
in  einer  Zeit  suchen,  in  welcher  noch  die  Vorstellung  vom 
himmlischen  Wolken  berge,  aus  dem  der  Blitz  hervorbricht, 
in  vollem  Mafse  wach  und  lebendig  war. 

i)  Bei  den  Tieropfern  der  Brahmanen  spielt  der  Opfer- 


1)  Asbjörnsen  und  Moe  No.  24.  Brcsemann  S.  159  fgg. 

2)  Rig^^  Rosen  X,   2. 

3)  Ibid.  LV,  4. 

4)  Sämav.  Bcnicy    1,    2,    1,   5,   0. 
b)  Myth.2  155.  'Lcx.  mytli.   922. 


_   236 

pfeiler  yüpa  eine  grofse  Rolle.  Dieser  yüpa  wird  in  den 
Brabmanas  mit  dem  Blitze  verglichen.  Achtkantig  muss 
er  sein,  wie  der  Blitz  mit  8  Zacken.  Und  wie  dieser  von 
dem  Gotte  auf  denjenigen  geschleudert  wird,  der  ihn  an- 
feindet, so  steht  der  yüpa  da  zum  Verderben  des  Feindes 
und  den  Feinden  ist  es  unlieb  zu  sehen,  wie  der,  dem  sie 
übelwollen ,  durch  Aufrichtung  des  yüpa  zum  Opfer  sich 
anschickt.  Mau  salbte  den  Pfeiler  mit  geklärter  But- 
ter unter  Absinguno;  alter  dem  Rigveda  entnommener  Stro- 
j)hen,  welche  gröfstenteils  im  Metrum  Trishtubb,  einer  dem 
Indra  vorzugsweise  heiligen  Versart  verfasst  waren.  „Elf- 
sylbig,  heilst  es,  ist  die  Trishtubh,  die  Trishtubh  ist  In ^ 
dras  Donnerkeil,  so  vollbringt  mit  diesen  Versen  als 
Indrawerkzeugen  das  heilige  Werk,  wer  solches  weifs  ')." 
ii)  Ohne  bei  dem  Mangel  eingehender  Untersuchungen 
über  germanische  wie  ostarische  Cultusgebräuche  Verwand- 
schaft suchen  zu  wollen,  kann  ich  nicht  umhin,  auf  einige 
ähnliche  Züge  im  Thorsdienst  hinzuweisen.  Woher  J.  Grimm, 
Myth.^  107  die  Notiz  nimmt,  dass  es  in  Schweden  Thörs- 
säulen  gegeben  habe,  weifs  ich  nicht ^).  Es  ist  aber  all- 
bekannt, dass  die  Säuleu  des  Hochsitzes  (öndvegi),  des 
heiligsten  Platzes  im  Hause  nach  dem  Herde,  Thörr  ge- 
weiht waren  und  an  ihrem  oberen  spitzzulaufenden  Ende 
meistens  das  Bild  des  Gottes  trugen.  Die  isländischen 
Landnahmemänner  brachtea  diese  Säulen  meistens  aus  der 
norveffischen  Heimat  mit  und  warfen  sie  bei  Annäherung 
an  die  Küste  ins  Meer,  damit  ihnen  Thörr  die  Stätte  zum 
Anbau  weise.  Dafür  galt  die  Stelle,  wo  die  Balken  ans 
Land  trieben.  Manche  Isländer  die  ein  Haus  bauen  woll- 
ten, opferten  Thörr,  damit  er  ihnen  unter  dem  Treibholz 
Öndveiris Säulen  schicke^).  Hiemit  steht  nun  offenbar  im 
Zusammenhang,  dass  im  deutschen  Aberglauben  häufig  die 
Ständer  der  Haustür  in   bedeutsamer  Verbindung  mit  den 


1)  Roth,  Nirukta  XXXIV  fgg. 

2)  Wenn  er  damit  nicht  etwa  deu  Thore  läng  von  Skeningen  (bei  Claus 
Magnus,   Ilist.   geut.  septentr.  cap.  XIV,   15)  meint. 

3)  S.  die  Zusammenstellung  darüber  bei  Weinhold,  Altnord.  Leben  S.  221. 


237 

verschiedensten  Thunarsymbolen  auftreten  (S.  16  Anm.  7;  24 
A.  4.  8;  25  A.  3;  34  fgg.;  132).  Dass  der  Hochsitz  und  die 
Tür  des  Hauses  dem  Gotte  geweiht  waren,  der  segnend  über 
Haus  und  Heim  der  Menschen  waltete,  S.  131  fgg.,  ist  be- 
greifhch,  dass  aber  grade  die  Säulen  in  den  angeführten 
Gebräuchen  in  den  Vordergrund  treten,  verrät  Zusamraen- 
hanor  mit  uralten  noch  nicht  ffeuugrsam  aufo;ehellten  An- 
schauungen ,  welche  weiterer  Untersuchungen  in  hohem 
Grade  wert  scheinen.  Jene  Salbung  des  yüpa  mit  geklär- 
ter Butter  erinnert  an  die  Salbung  des  nordischen  Götter- 
bildes (s.  oben  S.  23). 

x)  Dass  dem  Indra  der  Kukuk  geheiligt  war,  habe 
ich  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IH,  218  fgg.  395  darzutun  ge- 
sucht, aber  auch  die  Bedenken  nicht  verschwiegen,  welche 
noch  gegen  das  Alter  dieser  Vorstellung  obwalten.  Den 
Widder  lernten  wir  o.  S.  63  als  Indras  Tierverwandlung 
kennen.  Von  Indra  ist  nochmals  zu  erwähnen,  dass  die  Veden 
ihm  gewaltige,  goldene  Kinnbacken  zuschreiben.  Eben 
solche  führt  der  zuweilen  bockgestaltige  (s.  oben  S.  165) 
Vritra  und  eine  Vedenstelle  besagt,  Indra  habe  Blitz  ge- 
gen Blitz  mit  ihm  kämpfend  den  Donner  seiner  Kinn- 
backen vernichtet.  Das  Geräusch  der  Kinnbacken  be- 
deutet also  den  Donner,  die  Kinnbacken  selbst  sind  der 
Blitz,  wie  Agni,  HeimSallr  und  Perkun  goldz ahnig 
heifsen.     Vercjl.  oben  S.  125. 

xx)  Dem  Erweise,  dass  der  Kukuk  Thunar  geweiht 
war,  habe  ich  einen  Aufsatz  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III, 
209  —  298.  309.  395  —  408.  413  gewidmet.  In  Bocksge- 
stalt tritt  Thunar  in  den  Umzügen  der  Bauern  um  Weih- 
nachten als  Klapperbock  oder  Julebock  auf.  Auf  der 
Insel  Usedom  ziehen  nämlich  zur  Weihnachtszeit  der  Schim- 
melreiter (Wodan),  ein  in  Erbsenstroh  gehüllter  Mann 
und  einer  mit  dem  Klapp  er  bock  in  den  Dörfern  umher 
die  guten  Kinder  belohnend,  böse  bestrafend.  Dieser  Klap- 
perbock ist  eine  Stange,  worüber  eine  Bockshaut  gespannt 
ist  mit  daran  befindlichem  hölzernem  Kopf,  an  dessen  un- 
terer Kinnlade  eine  Schnur  befestigt  ist,   welche  durch 


238 

die  obere  und  den  Schlund  läuft,  so  dass,  wenn  der  Tra- 
gende daran  zieht,  die  beiden  Kinnladen  klappernd 
zusammenschlagen').  Dieser  Umzug  ist  das  Ueber- 
bleibsel  eines  alten  Chorreigens,  durch  welchen  man  sich 
vergegenwärtigte,  wie  die  höchsten  Gottheiten  der  Erde 
und  den  Menschen  nahen  und  bei  der  Zunahme  des  Lich- 
tes im  Wiutersolstig  segnend  die  Gewissheit  des  wieder- 
kehrenden Sommers  bringen.  Neben  Wodan,  Frikka,  Frau 
Holle,  Göde  und  Bertha  tritt  nun  Thuuar  in  dieser  Zeit 
auf,  so  in  den  3  Donners tagnächten  (Klopf leinsnächten, 
Anklopfete,  Bosnächteu  u.  s.  w.)  als  Pelzmarte  in  Erbseu- 
s troll  gehüllt  und  wirft  Erbsen  an  die  Fenster;  im  Dröm- 
ling  als  Reiter  (s.  oben  S.  123)  in  rotem  Mantel  in  Be- 
oleitunflc  eines  in  Erbsenstroh  ffehüllten  Burschen  der 
der  Bär  heifst  (Björn  d.  i.  Bär  ist  Thors  Beiname^).  In 
England  warf  man  Thuuar  Eichhörnchen  ins  Weih- 
nachtsfeuer  *),  wie  in  Deutschland  ins  Osterfeuer  ^).  So- 
mit wird  auch  der  Klapperbock  ein  Abbild  des  in  Bocks- 
gestalt umziehenden  Thunar  (effigies,  forma  capri,  vergl. 
Tac.  Germ.  c.  7.  45)  sein.  Nun  machte  bereits  Kuhn  dar- 
auf aufmerksam,  dass  bei  dem  Klapperbock  jener  dem  In- 
dra  zugeschriebene  Kinnbacken donn er  wiederkehrt^). 

/)  Indra  war  Todesgott.  Er  nahm  die  Seelen  der 
Gestorbenen  bei  sich  auf,  ein  Gedanke  der  sich  schon  darin 
ausspricht,  dass  die  ihn  begleitenden  Maruts  Geister  abge- 
schiedener Menschen  sind.  Die  Seelen  der  tapferen  Män- 
ner weilen  bei  ihm  im  leuchtenden  Himmel.  „Du  bist  der 
Schützer  des  durch  ruhmvolle  Helden  glänzenden  Him- 
mels'')."  „Wer,  o  Indra,  du  Quell  des  Guts,  bewältigt 
mich,  welch  Sterblicher?     Der  Glaub'   au  dich,   Schatzrt-i- 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  403.  No.  126. 

2)  Meier,   Schwab.  Sagen  457.   459.  460.  465. 

3)  S.  Zcitschr.  f.  D.  Myth.  III,   145. 

4)  Siehe   Rob.    Forbv,    Vocabulary    of    East-Auglia.       London    1830. 
II,  420. 

5)  Wolf,  Beiträge  I,   74. 

6)  Hagens  Germania  VII,   433. 

7)  Rigv.  Rosen  LH,  13.     Vergl.   Kuhn,   Zeitschr.   f.   D.  Altert.- V,   48'J. 


239 

eher,  führt  zum  Paradies  (cly aus  der  leuchtende  Himmel), 
der  Kräftige  will  spenden  Kraft  ')."  Die  spätere  epische 
Poesie  der  Inder  hat  diese  Vorstellungen  weitergebildet 
und  bunt  ausgeschmückt.  Die  Helden  gelangen  in  Indras 
Paradies  (svarga  d.  i.  der  schönglänzende  leuchtende 
Himmel  =  dyaus  von  su  schön  und  arj  glänzen).  In  die- 
sem Paradies  blühen  5  himmlische  Bäume  (Mandara,  Pä- 
rijätaka,  Santana,  Kalpavriksha,  Haricandana).  Unter  dem 
Schatten  dieser  Bäume  geniefsen  die  Seligen  die  ungetrübte 
Freude  des  Amrita.  Im  svarga  liegt  Indras  Königsburg 
Araarävati  d.  i.  die  Unsterbliche  sowie  sein  Lustgarten  Nan- 
dana  d.  i.  der  Erfreuer.  Hier  umgeben  ihn  himmlische 
Tänzerinnen  die  Apsarasen  und  Sänger  die  Gandharvas. 
Jene  5  Bäume  sind  nur  Vervielfältigungen  eines  schön- 
belaubten Baumes^,  unter  welchem  nach  den  ältesten  Ve- 
denhymnen  Yama  der  Totengott  mit  den  Seligen  im  Rei- 
che des  Varuna  d.  i.  hinter  dem  Wolkengewässer  weilt 
(davon  weiter  unten).  Da  Yama  in  alten  Vedenhymnen 
mitunter  dem  Agni  oder  Indra  identificiert  erscheint  ■^), 
folglich  diesen  Göttern  sehr  nahe  stehen  muss,  so  ergiebt 
sich,  dass  schon  die  Urzeit  den  Gewittergott  unter  denje- 
nigen Göttern  kannte,  welche  an  der  Spitze  der  Seligen  in 
einem  Lichtlande  hinter  dem  Wolkengewässer,  oder  in 
diesem  thronten.  Aus  letzterem  sind  die  Apsarasen,  d.  h. 
die  alten  Apas,  der  Baum  Pärijätaka  s.  oben  S.  197  und 
andere  Figuren  des  späteren  Indraparadieses  hervorge- 
gangen. 

?d)  Die  nordische  Mythologie  lässt  zu  Thörr  nach  dem 
Tode  die  Seelen  der  Knechte  kommen^).  AV.  Müller  hat 
aber  bereits  erwiesen,  dass  dies  nur  eine  spätere  Einschrän- 
kung ist  ■*),  und  in  der  Tat  fand  sich  auf  einem  Runenstein 
zu  Rue  in  Telemarken  eine  Inschrift,  in  welcher  ein  ge- 
wisser Ogmund   (Ogmol)  „Thörr  den   allwaltenden  Ascn" 


1)  Sämav.  Benfey  I,  3,   2,  4,  8. 

2)  Kulin,  Zcitschr.  f.  vergl.  Sprachf.   I,  448  fgg. 
'c)  Hiu-barösl.    124. 

4)  Altdeutsche  Religion  S.  247. 


240 

bittet  seine  Seele  aufzunehmen  ').  Tborölfr  Möstrarskeggr 
weiht  den  bei  seinem  Thörshof  liegenden  Heiligeuberg  Hel- 
gaQäll  so,  dass  kein  Unreiner,  Ungevveihter  (ü}>veiginn)  sei- 
nen Blick  dahin  wenden  darf,  kein  Mensch  und  kein  Tier 
darf  auf  demselben  getötet  werden.  Thorolfr  aber  und  seine 
Freunde  glaubten,  in  diesem  Berge  würden  sie  nach 
ihrem  Tode  wohnen'^).  Selthorir  und  die  Seinigen 
hofften  nach  ihrem  Tode  in  den  Felsberg  Thörisbjörg  ver- 
setzt zu  werden  ^) ,  Kraku-Hreidur  hoflPt  im  MielaQäll  zu 
hausen  *).  Da  nun  im  Norden  auch  sonst  die  Vorstellung 
sehr  häufig  ist,  dass  die  Seelen  im  Berge  wohnen^)  und 
„in  den  Berg  gehen"  in  Skandinavien  wie  Deutschland 
ein  symbolischer  Ausdruck  für  Sterben  ist  *"') ,  von  Thörr 
aber  noch  in  Schweden  die  Rede  geht  er  wohne  im 
Berg'),  worauf  sich  der  Ausdruck  „at  locka  tili  Thors 
i  fjäll,"  zu  Thörr  in  den  Berg  locken  bezieht^),  so  ist 
es  nach  dem  was  wir  über  die  Bedeutung  des  Berges  in 
unserer  Mythologie  oben  S.  182  erkannten  klar,  dass  man 
sich  Thörr  in  älterer  Zeit  mit  den  Seelen  in  dem  Wol- 
kenfels sitzend  dachte,  gradeso  wie  die  Geister  des  wil- 
den Heers,  die  ja  auch  Thors  Begleiter  sind,  nach  S.  95 
ebendaselbst  weilen.  Wenn  es  uns  nun  weiterhin  gelingt 
nachzuweisen,  dass  man  sich  im  germanischen  Altertum 
als  Aufenhalt  der  Seelen  bald  die  W^olkenschicht,  bald  ein 
dahintergelegenes  himmlisches  Lichtlaud  vorstellte,  so  wird 
die  Vermutung  nicht  unbegründet  sein,  dass  Thors  Him- 
mel Bilskirnir  s.  oben  S.  2  ursprünglich  ein  dem  dyaus 
entsprechender  lichter  Seelenw^ohnsitz  war  ^). 


1)  Lund,  Beskrivelse  ovcr  Teilemarken  1785   p.  251.     Lex.  myth.   926. 

2)  Landnäraab.   II,  1"2.     Eyrbyggjasaga  4. 

3)  Landuäniab.  II,   5. 

4)  Landnämab.  III,   7. 

5)  S.  W.  Müller,  Altdeutsche  Religion  S.  396. 

6)  Sirarock,   Handbuch  der  D.  Myth.   366. 

7)  Vergl.  Afzelius  übei-setzt  von  Ungewitter  II,    162. 

8)  J.  Grimm,   Xamen  des  Donners  S.  18.     Afzelius  a.  a.  O. 

9)  Jener  Name  von  Indras  Himmel  svarga  soll  nur  einmal  in  den  Ve- 
den  vorkommen.  Er  kann  darum  doch  alt  sein  als  Ausdrack  für  den  Him- 
mel überhaupt  und   es  wird  erlaubt  sein  damit   das   niederl.  zwerk  Himratl 


241    _ 

Nunmehr  werden  wir  nicht  mehr  voreiliger  Kühnheit 
geziehen  werden  können,  wenn  wir  auf  Grund  der  voran- 
stehenden Untersuchungen  für  bewiesen  erachten,  dass  die 
beiden  Götter  Indra  und  Thunar  auf  eine  vor  der  Sprach- 
trennung vorhandene  Grundgestalt  zurückgehen,  welche  be- 
reits einen  grofsen  Teil  der  von  Indra  wie  Thunar  und 
Thörr  geglaubten  Wesensseiten  und  der  an  sie  geknüpften 
Mythen  in  sich  vereinigte.  Dem  scheint  nun  die  Beobach- 
tung zu  widersprechen,  dass  Indra  ein  speciell  indischer 
Gott  ist,  der  erst  in  jener  Zeit  aufzutreten  beginnt,  als  der 
grofse  mit  Zarathushtras  Reformation  endende  baktrische 
Religionskampf  gegen  die  ostarischen  Stammesgenossen  ent- 
brannte. Als  die  ältesten  Gottheiten  des  Veda  sind  unzwei- 
felhaft Agni,  Varuna  und  Trita  zu  bezeichnen,  welche 
während  des  Aufenthaltes  der  Inder  im  Penjab  immer  mehr 
zurücktraten  und  Indra  Platz  machten^  der  bald  zur  Gel- 
tung eines  Götterkönigs  erwuchs.  War  aber  auch  viel- 
leicht der  Name  Indra,  so  wie  jedenfalls  die  Würde  des 
Gottes  als  Fürst  der  Devas  neu,  so  muss  dennoch  das  We- 
sen desselben  alt  gewesen  sein  und  bereits  vor  der  Tren- 
nung der  Iranier  und  Inder  religiöse  Verehrung  genossen 
haben,  wennschon  wahrscheinlich  unter  anderer  Benennung. 
Jene  die  ganze  Fülle  der  alten  Natursymbolik  entfaltende 
neue  Form  Indras  als  Götterherscher  wurde  von  den  nach 
ethischer  Religion  strebenden  Baktriern  aus  Hass  verketzert 
und  zu  einem  bösen  Diw  Aiidra  oder  Aindra  gemacht;  die 
alte  von  dem  indogermanischen  Urvolk  und  somit  auch  von 
dem  Zendstamme  vor  der  Trennung  geglaubte  Gestalt  des 
Gottes  als  Dämonentöter  sahen  wir  dagegen  S.  226  noch 
bei  demselben  als  einen  guten  Genius  Verethragna  = 
Vritrahan  erhalten.  Da  dieser  Name  mehrfach  als  Bei- 
name   Traetanos  =  Traitana,    Trita    im    Avesta    auftritt, 


zusammenzustellen,  um  so  mehr  da  jenes  su  bei  ileu  Germanen  auch  in  gotli. 
suti-s,  nhtl.  suefs,  griech.  lyJi'/c,  sanskr.  su-ad-u  „schön  zu  essen"  von  su  uml 
ad  sowie  in  su-istar  die  schön  Stellende,  schön  Ordnende  erhalten  ist.  Hängt 
mit  diesem  zwerk  alts.  giswerc  nnd.  dünn  er  seh  werk  :=:  Gewölk  zusam- 
men, so  zeigt  sich  uns  darin  wieder,  wie  oben,  die  Einschränkung  des  h  im  m- 
lisclien,  lichten  ScclenwohnsitTies  auf  das  I/Ocal  der  Gewitterwolke. 

16 


242 

darf  mau  vielleicht  schliefsen,  dass  Trita  der  altiudogerma- 
nische  Name  jenes  Gottes  ist,  von  welchem  Indra  die  mei- 
sten Wesensseiten  überkam;  des  Gottes,  in  welchem  wir 
auch  Thors  und  Thunars  Grundgestalt  anzuerkennen  haben. 
Die  Erledigung  dieser  Frage  dürfen  wir  getrost  unsern  ge- 
lehrten Zend-  und  Vedenforschern  M.  Hang  und  R,  Roth 
überlassen,  von  denen  wir  in  nicht  allzu  langer  Zeit  tief- 
greifende Untersuchungen  über  die  Rehgionsgeschichte  un- 
serer asiatischen  Stammgenossen  zu  erwarten  haben  ^). 


1)  Kuhn  hat  den  Indra  in  unserm  Wuotan  wiederfinden  wollen,  Zeitschr. 
f.  D.  Altert.  V,  485.  Nordd.  Sagen  S.  490.  Er  stützt  seine  Ansieht  1)  auf 
Wuotans  Herrschaft  über  das  wütende  Heer,  d.  i.  die  Maruts;  2)  seine  Ver- 
bindung mit  den  Rossen,  und  ihm  wie  Indra  gebrachte  Pferdeopfer;  3)  auf 
OSins  mit  Indras  Svarga  übereinstimmende  VaUhöll.  Aber  der  erste  Punkt 
beweist  nichts,  da  die  Maruts  in  keiner  näheren  Beziehung  zu  Indra  stehen, 
wie  zu  Rudra,  von  dem  wir  beweisen  werden,  dass  er  wesentlich  in  unsern 
Wuotan  sich  wiederfindet.  Das  Doppelverhältnis  der  Maiiits  zu  Indra  und 
Rudra  steht  also  vollkommen  dem  Doppelverhältnis  des  -wütenden  Heers  zu 
Thunar  und  Wuotan  gleich.  Zu  2)  und  3)  vergl.  oben  S.  123  und  240. 
Endlich  glaubt  Kuhn  einen  in  englischen  Mai-  und  Weihnachtspielen  auftre- 
tenden Drachentöter  Suapdragon  oder  St.  George  auf  Voden  deuten  und  mit 
Indra  Vritrahan  vergleichen  zu  können.  Da  aber  Wuotan  nie  als  Drachen- 
töter erscheint,  so  wird  auch  diese  Figur  durch  Thunar  oder  Freä  (Freyr)  zu 
erklären  sein. 


II. 

Holda  und  die  Nomen. 

§.   1.     Der  Marienkäfer. 

Der  Marienkäfer  (coccinella)  und  Goldkäfer  (chryso- 
mela)  waren  im  germanischen  Heidentum  von  uralt  religiö- 
ser Weihe  umgeben,  ihre  mannigfachen  Benennungen  werden 
fortwährend  unter  einander  vertauscht,  so  dass  ihnen  e  i  n  und 
dieselbe  mythische  Bedeutung  zugeschrieben  werden  muss. 
Sie  teilen  dieselbe  noch  mit  dem  Maikäfer  (scarabaeus  me- 
lolontha),  der  zwar  unter  dem  Volke  andere  Namen  führt? 
aber  mit  denselben  Liedern  wie  sie  angerufen  wird.  Jene 
Benennungen  der  coccinella  und  chrysomela  reizen  nach 
verschiedenen  Seiten  hin  zur  Betrachtung  an.  Einmal  näm- 
lich zeigt  sich  in  ihnen  ein  durchgehender  Vergleich  mit 
anderen  Tieren,  gradeso  wie  die  Heerschnepfe  (scolopax 
galhnago)  auch  Donnerziege,  Himmelsziege  lett. pehrkona 
kasa,  pehrkona  ahsis,  der  Rosskäfer  auch  Thors  Widder 
und  Erdochse,  der  Hirschkäfer  Donnerpuppe  auch  Eich- 
ochse heifst  (s.  o.  S.  28.  152)  nach  dem  Bock  und  dem 
Ochsen,  die  gleich  jenen  Tieren  dem  Donnergott  geweiht 
waren.  Die  chrysomela  und  coccinella  werden  nun  aufge- 
fasst  a)  als  Hühner:  Marienküchlein,  unserer  lieben  Frauen 
Küchlein  '),  hiärguots  häunken'*),  Herrgotts  Hühnchen,  der 
liebe  froue  henje  ^),  sunnekiken  (Sonnenhühnchen)*),  Gold- 


1)  Popowitsch  S.  212.     Schmidt,   Schwab,   idiotic.    275. 

2)  Woeste,  Volksüberlieferungen  S.  4. 

3)  Albert  Schott,  Deutsche  in  Piemont  S.  297. 

4)  Myth.2    658. 

16 


244 

hähucheu,  in  Graubünden  la  gallina  del  Signore  *),  boljänd. 
lieven  heersbantje  ^),  dän.  Mariböne,  vorberresböne,  in  West- 
gotland  gullhoena,  bei  den  Inselscbweden  auf  Worms  Gesbena 
(Jesiibubn)  *') ;  b)  als  Kiibe:  Frauenküble  *) ,  Hergotten- 
küble  ^) ,  Herrgottsküblein ,  Herrgottsöcbslein ,  Marienküb- 
cben,  Marienkälbcben ,  Herrgottskälble ,  Sonnenkub '''),  Bu- 
köken,  Sonnenkalb,  Sunnenkalf,  Mcinkalf  (Mondkalb)'), 
engl,  ladycow,  cowlady,  ciisbacowlady  ^) ;  franz.  vacbe  ä 
Dieu;  span.  buei  de  Dios;  russ.  bozija  korowka  (Gottes- 
küblein)  ist  vorzugsweise,  böbra.  bozi  kravka  nur  für 
die  cbrysomela  im  Gebraucb.  Von  den  Litbauern  wird 
ein  kleiner  roter  Käfer  obne  Punkte  das  Herrgottsvögel- 
cben,  dewo  jautis  Gottesoebse  genannt").  Aueb  den  in- 
discben  Namen  der  coccinella  Indragöpa  der  ursprünglich 
bedeutet  „Indra  zum  Kubbirten  babend"  wäre  man  be- 
recbtigt  auf  dieselbe  Vorstellung  zu  bezieben,  wenn  wir 
seines  Alters  versicbert  wären,  so  aber  ist  er  erst  aus  einer 
Zeit  überliefert,  in  welcber  gopa  den  alten  Sinn  fast  gänz- 
licb  verloren  batte  und  zum  Ausdruck  für  Schützling 
im  Allgemeinen  erweitert  war;  c)  als  Ross:  in  Plön  heifst 
die  coccinella  marspert,  „uns  berrgott  sin  best  pert"  ^''), 
in  Dauzig  die  cbrysomela  Herrgottspferdeben;  franz.  che- 
val  ä  Dieu  und  cheval  de  Dieu'^);  d)  als  Schaf:  Got- 
teslämmlein,  Gottesschäfclien,  Muttergottesläramcben,  Lüre- 
lürelämmken  '-);  den  Litbauern  führen  die  Heei'scbnepfe 
und  der  Marienkäfer  denselben  Namen,  Dewo  ozys,  Dewo 
ozelis,   Perkuno  ozys,   Dangaus  ozys  (Gottes-,  Perkunas-, 


1)  Leonhardi,  Bündner  Vierteljahresschrift   1849,  48''. 

2)  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV,  174. 

3)  Russwurm,  Eibofolke  II,   §.  308.   S.  122. 

4)  Meier,  Kindersagen  aus  Sehwaben  S.  22.  No.  74. 

5)  Blunier-Heer,   Canton  Gla.ms  214. 

G)  O.  Lenz,   Gemeinnützige  Naturgeschichte.      Gotha   1836. 

7)  Simrock.  Kinderbuch'^    S.  141.   No.  555. 

8)  Notes  and  queries  IV,  53. 

9)  Schwenck,   Slavische  Mythologie  S.  70. 

10)  MüllenhüfF,   Sagen  S.  509.  No.  LVI,   1. 

11)  Zeitschr.    f.  vergl.   Sprachf.  IV,    174. 

12)  Franz,    Geistl.  Liedertexte    1853,    151.      Aus    der  Gegend   von  Hal- 
berstadt. 


245 

Himmelsziege)');  e)  als  Katze:  in  der  Elbraarsch  lieifst 
die  coccinella  septempunctata  Maikatt-);  f)  als  Mücke: 
Herrgottsmückel ,  Fliegewäppchen,  ladyfly.  Hiezu  kom- 
men nun  noch  allo-emeiuere  Benenmino-eii  als:  Marienkäfer, 
Liebegottscbäberli,  Herrgottsvöglein,  Herrgottsvögele,  Son- 
nevögele, Himmelstierchen,  Goldvogel,  ladybird,  bete  ä 
Dieu,  bete  de  la  vierge,  Sunnvvendkäfer  im  Pinzgau  u.  s.  w.**). 
Ohne  vorerst  weitere  Folgeruno-en  daraus  ziehen  zu  vpollen 
können  wir  nicht  umhin  zu  bemerken,  dass  die  vergliche- 
nen Tiere  Huhn,  Kuh,  Schaf,  Ross,  Katze  solche  sind, 
welche  auch  als  Symbole  der  Wolken  oder  des  Gewitters 
dienen*),  und  dass  wir  wenigstens  von  den  Kühen  und 
Katzen  bisher  nachwiesen,  dass  sie  ebenfalls  als  Gestal- 
ten der  Elbe  oder  himmlischen  Wasserfrauen  (Apas)  ge- 
dacht wurden  (vergl.  oben  S.  78  fgg.)- 

Eine  andere  Seite  der  Benennungen  unserer  Käfer, 
welche  Beachtung  verdient,  ist  die  klar  ausgesprochene  Be- 
ziehung zur  Sonne,  zum  Monde,  zum  Himmel  oder  zu 
einer  göttlichen  Persönlichkeit:  Sonnevögele,  Sün- 
nenkind^),  Sonnenkuh,  Sonnenkalb,  Sunuenkalf,  Sunne- 
schinken  ")  (Sonnenscheinchen) ,  Mänkalf,  Himmelstiercheu. 
Den  Böhmen  heifst  die  coccinella  slunicko  d.  i.  Sonnchen '). 
Andererseits:  Unserer  lieben  Frauen  Küchlein,  der  liebe 
froue  henje,  Muttergotteslämmchen ,  Ladybird,  Lady- 
eow,  Ladyfly.     Marienküchlein,   Marienkälbchen ,   Marien- 


1)  Schwenck  a.  a.  0.  Dieses  Perkuuo  ozj's  entspricht  übrigens  dem 
Indragopa.  Auch  Freyr,  dem  bei  uns  der  Käfer  geheiligt  scheint,  führt 
nach  S.  222  auf  dieselbe  Gestalt,  wie  Indra,  Thunar  und  Perkunas  zurück. 

2)  Müllenhoff  Sagen  S.  508.  No.  LVI,  1. 

3)  Vergl.  im  Allgemeinen  Myth.*  658.  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV, 
174.    Rocholz,  AUemaunisches  Kinderlied  S.  92.    Simrock,  Kinderbuch*  139, 

4)  S.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  U,  327;  oben  S.  102.  4  fgg.  122  fgg.  81. 
197.  Was  die  Schafe  betrifft  s.  oben  S.  173.  Die  lichten  weifsen  "Wölkchen 
am  Himmel  heifseu  uns  noch  heute  Schäfchen.  In  der  Altmark  sagt  man, 
beim  Anblick  solcher  kleiner  krauser  Wölkchen  ,,hütt  hütt  de  schäper  sine 
schäpe,"  oder  „de  haben  is  lämmerbunt.''  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  455.  In 
Schwaben  heifst  es  von  solchen  weifsen  Wölkchen  ,, Unser  Herrgott  hütet  die 
Schafe."     Meier,  Schwab.  Sagen  S.  263. 

5)  Russwurm,  Eibofolke  II,  S.  122,  §.  308.    Meier,  Schwab.  Sagen  223. 
0)  Woeste,  Volksüberlieferungen   S.  4. 

7 )  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Ilanus  in  Frag. 


246 

käfer,  Marihöne,  bete  ä  la  Vierge  u.  s.  w.  Herrgottspferd- 
chen,  Herrgottsküble ,  Herrgottsöchslein ,  Vorberreshoene, 
vache  ä  Dien,  Dewo  ozys  u.  s.  \v.  In  Scbwaben  verstebt 
man  unter  frauacbüele  die  cbrysomela,  unter  berracbüele 
die  coccinella,  in  Westpreufsen  dagegen  beifst  diese  Marien- 
käfer, Marienwürmcben,  dagegen  die  cbrysomela  Herrgotts- 
pferdeben. Die  Castilianer  sagen  für  die  coccinella  statt 
des  gewöbnlicben  Ausdrucks  gocbinilla  „  arca  de  Dios " 
(caisse  de  Dieu),  die  Catalouier  statt  der  sonst  bei  ibneu 
gebräucblicbeu  Bezeicbuung  pastereta  aucb  „arca  de  nostro 
senyor  o  de  la  mare  de  Deu  ')."  In  Böbmen  trägt  der 
Maikäfer  den  Namen  der  slaviscben  Göttermutter  Baba. 
Er  heifst  babka  (junge  Baba,  Grofsmütterchen). 

Da  neben  Sonnenkub,  Sunnenkalf  aucb  ein  Män- 
kalf  (Mondkalb)  und  Himmel  stiereben  vorkommt,  wird 
man  jene  Benennungen  uicbt  auf  das  Umherfliegen  des 
Käfers  im  Sonnenschein,  sondern  nur  auf  die  Vorstellung 
deuten  dürfen,  dass  seine  Wohnung  in  der  himmlischen 
Licbtregion,  in  der  Nähe  der  Sonne  und  des  Mondes 
gelegen  sei  und  diese  sinnliche  Vorstellung  macht  schon 
wahrscheinlich,  dass  hinter  der  Jungfrau  Maria  und  dem 
Herrgott,  denen  er  geweiht  erscheint,  ein  alter  heidnischer 
Gott  und  eine  ihm  verwandte  Göttin  verborgen  sind,  an 
deren  Stelle  in  christlicher  Zeit  der  Herr  und  seine  Mut- 
ter traten.  Noch  mehr  erhellt  dies  aus  einem  schwedischen 
Namen,  der  den  Käfer  als  persönliches,  vernunftbegabtes, 
elbisches  Wesen  auffasst  „  Jungfru  Marias  nyckelpiga " 
(Jungfrau  Marias  Schlüsselmagdj ,  bei  den  luselschweden 
auf  Runoe  „  nickelpia , "  auf  Dagoe  „  Geswallpika  "  (Jesu 
Hirtenmädchen).  Diese  Namen  erinnern  sofort  an  nordi- 
sche Göttinnen,  wie  Freyja,  deren  Magd  Loki  in  der 
ThrymsquiSa  vorstellt,  und  Prigg,  welcher  eine  götthche 
Dienerin  Fulla  das  Schmuckkästchen  und  die  Fufsbeklei- 
dung  verwahrt.  Wiederum  heifst  die  Pflanze  satyrium 
Friggjargras  und  zugleich  Jungfru  Marie  nykäl,  Santa 


1)  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Milä  y  Fontaual  iii  Barcelona. 


247 

Pars  nyckäl,  St.  Johannis  nycklar^)  (Jungfrau  Marias,  St. 
Peters,  St.  Johannes  Schlüssel).  Auch  die  weilsen  Frauen 
der  deutschen  Volkssage  tragen  Schlüssel  und  damit  steht 
der  Name  der  primula  veris  Schlüsselblume  im  Zu- 
sammenhang (vergl.  oben  S.  146.  153).  Zur  Bestätigung 
dient  der  altnordische  Name  der  coccinella  Freyjuhoena 
(Freyjas  Henne)  den  J.  Grimm,  Myth.^  658  und  Petersen, 
Nordisk  mythologi  S.  351  anführen^),  sobald  dieser  Name 
aufs  Neue  aus  guten  und  echten  Quellen  belegt  sein  wird. 
Wäre  hienach  Freyja  die  Göttin,  der  der  Käfer  geheiligt 
war,  so  wird  unter  Jesus,  oder  dem  Herrgott  ihr  Bruder 
Freyr  verborgen  sein,  eine  Annahme,  für  welche  die  fol- 
gende Betrachtung  stichhaltige  Gründe  beizubringen  im 
Stande  ist. 

Freyja  teilte  die  Macht  ihres  Bruders  Freyr.  Wie 
dieser  verlieh  sie  Regen  und  Sonnenschein^)  und 
Fruchtbarkeit  der  Erde*).  Wird  er  als  Spender  der 
Liebeslust  betrachtet,  dem  man  bei  Hochzeiten  Opfer 
brachte^),  so  war  Freyja  gut  in  Liebesangelegenhei- 
ten anzurufen.  Besonderes  Wolgefallen  fand  sie  an  Lie- 
besliedern ( mannsöngr )  '^ ).  Freyr  war  Orakelgott.  Die 
Throndheimer  (J>rsendir)  bezeugten,  als  Olafr  Tryggvasonr 
Freys  Tempel  bei  ihnen  zerstört  hatte,  „dieser  Gott  habe 
oft  mit  ihnen  geredet  und  ihnen  das  Zukünftige 
geweissagt')."  Dem  Freyr  waren  die  Rinder  heilig, 
nach  ihm  heifst  der  Stier  freyr  und  Kühe  zogen  seinen 
Wagen,  wenn  sein  Bild  in  feierlichem  Chorreigeu  durchs 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,   261.     Lex.  mytli.   378. 

2)  Aus  mir  unbekannter  Quelle  (bei  Björn  sowol,  wie  in  Finu  Magnus- 
sens  Lexicon  mytholog.  linde  ich  den  Namen  nicht). 

3)  Gylfagimiing  24:  Freyr  racör  fyrir  regni  og  skini  solar,  ok  )>ar 
ineö  ävexti  jaröar. 

4)  Frej'jas  Minne  wurde  nach  der  Ilerröössaga  (Forualdarsög.  III,  233) 
im  Heidentum  getrunken,  später  Marias  Minne  (Gulathingslagh.  Norges  gamle 
love  I,  6).  Dies  geschah  „til  ärs  ok  friöar"  um  Frieden  und  Fruchtbar- 
keit, s.  Petersen,  Nordisk  mythologi   349. 

5)  Adam.  Bremens,  gesta  Hamaburgensis  ecclesiae  ponteficum. 

6)  Gj'lfaginning  24. 

7)  Olafs  Tryggvasonarss.  Skaltholt   1699   II,  c.  49. 


248 

Land  gefahren  wurde.   Freyja  wird  auch  an  diesen  Kühen 
Teil  gehabt  haben  '). 

Bestätigt  sich  durch  Freys  Sonnenschein  spen- 
dende Milde  aufs  Neue  der  Zusammenhang  des  Sonnen- 
käfers, Sonnenkalbes,  der  Sonnenkuh  mit  diesem  Gott 
und  seiner  Schwester,  so  tragen  die  vielfachen  an  den  Kä- 
fer gerichteten  Lieder  deutlich  alle  Züge  in  sich,  welche 
wir  soeben  von  dem  göttlichen  Geschwisterpaar  namhaft 
machten.  Diese  Lieder  finden  sich  gleicherweise  und  fast 
wörtlich  übereinstimmend  in  allen  germanischen  Län- 
dern, der  Käfer  muss  demnach  auch  aufserhalb  des  germa- 
nischen Nordens  den  dem  Freyr  und  seiner  Schwester  ent- 
sprechenden Gottheiten  geweiht  gewesen  sein.  Bei  Slaveu 
und  Romanen  scheinen  diese  Lieder  zu  man2:eln,  wenio:- 
stens  haben  aufmerksame  Nachforschungen  unter  Böhmen, 
Cassuben,  Piemontesen  und  Catalonen  bis  jetzt  kein  Stück 
dieser  Art  zu  entdecken  vermocht. 

Kinder  setzen  den  Käfer  (besonders  die  coccinella)  auf 
die  Hand  und  lassen  ihn  von  derselben  fliegen.  Auf  Fü- 
nen  spricht  man  dabei: 

Floii,  Floei  vorherreshoene.  Flieg',  flieg  Herrgottshuhn, 
imorgen  bliver  det  godt  veir.  Morgen  wirds  gut  Wetter, 
den  anden  dag  lifsaa  ^)  Uebermorgen  ebenso! 

oder   Vorherreshoene   flyv  til  vers   og  sig  mig  om  vi  faaer 
godt   veer  i   morgen.      Je  nach   der  Höhe   des  Fluges  er- 
misst  man,  ob  gutes  oder  schlechtes  Wetter  werde  ^). 
Auf  Bornholm: 

Mariputte,  Mariputte 

imorgen  blier  det  sölskin  og  grant  veir*). 
Bei  den  Inselschweden  auf  Nuckoe  und  Worms: 
GuUhena,  gullhena, 
lät  sölen  skina! 


1)  Dies   lässt   scLuu    der    ebenfall.s   von    Kühen   gezogeue  Wagen   ihrer 
Mutter  Nerthus  vermuten. 

2)  Thiele,  Danske  folliesagn'    UI,    134. 

3)  Mitteilung  der  Frau  Doctor  Biematzki. 

4)  Prfeve  paa  et  Bornholmsk    dialectlexicon   ved.    P.  Adler.    Ide  og  2de 
saniling.     Kjubenhavn.     A.  Reizeis   1856.   S.  27. 


249 

mullefläken,  mullefläken 

lät  wsere  driwa! 

skasrt  up  i  sunna, 

raullen  gär  ner  i  uörda!  ') 
Im  Schweizer  Aargau: 

Spanisch,  spanisch  mugge, 
flüg  über  de  höh'  rugge, 
flüg  über  de  höh'  berg', 
dass  mor'n  gut  weiter  gab'"}. 
In  Jeverland: 

Pater  fleg  up, 

mäk  morgen  möi  we'r! 

wenn  de  wakker  meisches 

von't  melken  kamt  her^). 
In  Westphalen  (Grafschaft  Mark): 

Hiärguotshäuueken  fluch  op, 
tüh  den  bogen  hiemel  rop, 
brenk  ue  güUne  kie  met  *). 
In  Schwaben: 

Frauenkühle 
steig  aufs  stuhle! 


1)  Russ-nTirm,  Eibofolke  a  a.  O. 

Goldhenne,  Goldhenne, 
La  SS  die  Soune  scheinen. 
Die  Regenwolke,   den  Wolkenfleck 
Lass  den  Wind  vertreiben, 
Klar  auf  im  Süden, 
Die  Wolken  gehn  nieder  im  Norden. 
2J  Rocliolz,  Alemannisches  Kinderlied  S.  94,   189.     Kirchbofer,  Sprich- 
wörter S.  292. 

3)  Mitteil,  des  Cand.  theol.  E.  Rost  ans  Jever. 

4)  Woeste,  VolksUberlieferungeu  S.  4.     Andere  Aureden  sind  nach  Woe- 
stes  brieflicher  Mitteilung  zu  KiersTce: 

S  u  n  n  e  s  c  lü  n  e  k  e  n ,  liäwerkineken  (hiäwenkinneken  ? j 

flüg  du  in  de  nügc  Stadt 

da  kristu  häwerbroud  sad. 
Zu  Werdohl  a.  d.  Lenne: 

Sunnefüelken  flüg  op,  flüg  den  högen  tourn  rop! 

(flüg  mi  nit  te  hougc,  süs  kristu  wat  oppet  ouge). 
Die  beiden  letzten  Zeilen  sind  späterer  Zusatz,   der  hohe  Turm    ^^it    der    S. 
186  erläuterte  witte  toni. 


250 

fliea^  in  himmel  nuf 
und  bring  gut  wetter  rus'). 
In  Niederbayern; 

Frauenkäferl  sitz  auf's  stüel 
melk  dein  küel, 
flieg  hinter  die  tanebam 

und  mach  mir  ain  schön  warme  suneschein'^). 
In  der  Eibmarsch; 
Maikatt  weg 
flügg  weg, 
stüflf  weg, 

bring'  mi  morgen  got  wedder  ned^). 
Im  Aargau: 

Kathrinen,  flüg  üs, 
übers  heredach  üs, 
flüg  in  es  beckehüs! 
wenn's  chunt  go  regne 
so  chumm  mir's  go  säge  u.  s.  w.^).  . 

In  Schottland:  1 

Lady,  lady  landers 

fly  away  to  Flanders  ^).  i 

Dem  Maikäfer  gelten  ganz  ähnliche  Anrufungen:  \ 

Oldenboerre,  Oldenboerre 
imorgen  faaer  vi  godt  veir^). 


1)  Meier,  Kinderreime  aus  Schwaben  24,   74. 

2)  Panzer,  Beitrag  zur  D.  Myth.  II,  15.  Die  Tannenbäume  sind, 
wie  weiterhin  zu  beweisen  sein  wird,  ursprünglich  der  Wald  in  welchem  wir 
S.  178   die  Riesen  wohnen  sahen.     Vergl.   Simrock,   Kinderbuch^    139,   535: 

HeiTgottsöchslein  flieg  in  die  Busch, 

Bring  mir  einen  Sack  mit  Haselnüss. 
Vergl.  Simrock,    Kinderbuch'^    140,  549:    Maikäfer,    flüg  uf,    uf  die  hohe 
tanne  u.  s.  w. 

3)  Müllenhoff,  Sagen  S.  508.  No.  LVI,  1 ;  daraus  Simrock,  Kiuderbuch- 
141.  551. 

4)  Rocholz  a.  a.  O.   93,   185. 

5)  Chambers,  Populär  rhymes  s.  43.  Pott  vermutet  Zeitschr.  f.  vergl. 
Sprachf.  IV,  174  dass  dieses  landers  aus  engl,  laudress,  franz.  lavandiere 
Wäscherin  entstanden  sei.  Es  würde  damit  wiederum  Bezug  auf  die  Wolke 
veii'aten. 

6)  Thiele,  Danske  folkesagn'    III,    134. 


251 

Neben  diesen  Volksreimen  sprechen  die  Beziehung  des 
Marienkäfers  zum  Wetter  auch  abergläubische  Meinungen 
aus.  Ein  Herrgottstierchen  von  den  Kleidern  abschütteln 
bringt  Unglück  ').  Man  glaubt  in  Westpreufsen  und  Hol- 
stein dass  Glück  habe,  wem  ein  Käfer  dieser  Art  auf  den 
Kock  kriecht  und  nennt  ihn  daher  Glückskäfer.  Wenn 
einer  ein  Sünnenschinken  tötet,  so  scheint  die 
Sonne  den  ganzen  Tag  nicht^)  oder  die  Kühe  ge- 
ben rote  Milch  ^).  Giebt  dieser  letzte  Glaube  eine  Er- 
läuterung zu  dem  obigen  Namen  Geswallpika  (Jesu  Hir- 
tenmädchen), indem  es  an  Freys  Herrschaft  über  die  Kühe 
anknüpft  und  zeigt,  dass  neben  der  Darstellung  des  Käfers 
als  Kuh  selbst  die  andere  Vorstellung  als  eines  die  Kühe 
hütenden  Albs  gäng  und  gäbe  war,  so  wird  dies  auch  durch 
Volksreime  weiter  belegt.  Schon  in  dem  obigen  Reim  aus 
Panzer  Beitr.  S.  15  hiefs  es  „Frauenkäferl  sitz  aufs  stüel, 
melk  dein  küel. "  Im  Aarscau  redet  man  die  cocci- 
uella  an: 

Ankethrineli,  Ankethrineli, 

wo  hesch  dine  chüehli? 

(„z'  Lauersinge,  z'  Lauersinge 

üf  em  seile  flüehh  !")*). 
Die  beiden  letzten  Verse   sind  wiederum   späterer  Zusatz. 
Die  Kühe  sind  die  Wolkenkühe.     Wir  werden   dafür  wei- 
ter unten  vollofültige  Belege  beizubrino;en  im  Stande  sein. 

Wie  Freyr  und  Freyja  Erntegottheiten  sind  und  um 
guten  Ertrag  der  Aecker  (til  ärs)  Opfer  empfangen,  zäh- 
len die  schwedischen  Kinder,  ob  die  coccinella  mehr  als 
sieben  schwarze  Punkte  auf  den  Flügeln  hat.    Ist  dem  so, 


1)  Wolf,  Beitr.  I,  233,  396. 

2)  "Woeste,  Volksiiberliefcr.  4.  Auch  die  catalauischen  Kinder  sagen: 
„Töte  den  Käfer  nicht,  er  ist  das  Würmchen  Gottes  oder  der  h.  Jungfrau." 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  29.  In  Schwaben  sagt  man  sogar,  wer  ein 
Herrgottskäferle  tötet,  kommt  in  die  Hölle.  Meier,  Scliwäb.  Sagen  S.  224. 
In  Noi'dbrabant  redet  mau  die  coccinella  an:  ,,Lieven  lieers  KTmken  koni 
by  my,  ben  je  (bist  du)  van  den  duivel  dan  ga  van  my,  ben  je  van  onzen 
lieven  heer,   dan  blyf  by  my.'"     Mitteilung  des  Dr.   H.  Kern  in   Groeulo. 

4)  Kocholz,  Alemannisches  Kinderliod  S.  !>3,    184. 


252 

so   wird  in   dem   Jahre   das  Korn  sehr  teuer,   sind  ihrer 
weniger,  so  steht  eine  reiche  Ernte  zu  erwarten  '). 

Auch  Freys  und  Freyjas  Beziehung  auf  das  Liebesle- 
ben sind  in  den  Reimen  an  den  Käfer  unvergessen.  Als 
ein  Glücksumstand  wird  es  in  Schweden  betrachtet,  wenn 
ein  junges  Mädchen  ihn  im  Vorsommer  zu  sehen  bekommt. 
Sie  nimmt  ihn  dann  auf  die  Hand  und,  wenn  er  herum- 
kriecht, so  sagt  sie:  „hon  märker  mig  brudhandskar"  (er 
bezeichnet  mir  die  Brauthandschuhe).  Wenn  er 
zuletzt  seine  Flügel  ausbreitet  und  enteilt,  so  giebt  sie 
genau  acht,  nach  welcher  Himmelsrichtung  er  da- 
vonfliegt, denn,  meint  sie,  von  dort  werde  einst  ihr 
Bräutigam  kommen.  Diesen  Volksglauben  sprechen 
wiederum  verschiedene  Reime  aus.  In  Upland  sagt  man: 
JuDgfru  Marie  Jungfrau  Marias 

nyckelpie,  Schlüsselmagd, 

flyg  öster.  Flieg  nach  Osten, 

flyg  vester,  Flieg  nach  Westen, 

flyg  dit  min  käreste      Flieg  dahin,  wo  mein  Liebster 
bor.  wohnt. 

In  Södermannland: 

Jungfru  Marie 

nyckelpie 

flyg  öster,  flyg  vester 

flyg  söder,  flyg  norr, 

dit  du  flyr,  der  bor  kärestau 

flyg  hem  tili  dina  bröder 

sä  fär  du  nya  kläder  -). 


1)  Afzelius,  Sagohäfder  III,   112.  118. 

2)  Jungfrau  Marias 
Schlüsselmagd, 

Flieg  nach  Osten,  flieg  nach  AVesten, 

Flieg  nach  Süden,  flieg  nach  Norden, 

Wohin  du  fliegst,  da  wohnt  der  Liebste, 

Flieg  heim  zu  deinen  Brüdern, 

So  kriegst  du  neue  Kleider. 
Aus  der  noch  uugedruckten  Sammlung   schwed.   Kinderlieder  von  Hylte'n-Ca- 
vallius  uud  Stephens.      Vergl.    das    westphälische    aus   Brakel    Zeitschr.  f.  D. 
Mvth.   II,   94: 


253 

In  Schottland  scheint  derselbe  Glaube  zu  herschen,  oder 
herschend  gewesen  zu  sein.  Man  ruft  hier  die  cocci- 
nella  an : 

King,  king  Golloway 
up  your  wings  and  fly  away, 
over  land  and  over  sea, 
teil  me,  where  my  love  can  be'). 
Ebenso  in  Deutschland.     In  Westphalen  sagt  man: 
Hiärguotshäunken  fluch  op, 
tüh  den  bogen  hiemel  op, 
fluch  vor  mines  näbers  hüs, 
locke  mi  de  brüt  herüt-). 
In  Witten  a.  d.  Ruhr  sagen   die   kleinen   Mädchen,   wenn 
sie  den  Käfer  auf  der  Spitze  des  Zeigefingers  sitzen  haben : 
Sunnenschineken 
risegenschineken, 
wanner  sali  ek  brüt  sin? 
en  jär,  twe  jär  u.  s.  w. 
so  lange  bis   das  Tierchen  auffliegt.      Sie   sind  sehr  unge- 
halten,   wenn    sie  hoch    zählen    müssen'').      Zeigen    diese 
Reime   bereits  Beziehung   auf  Freyr,   den   Orakelgott,   so 
tritt  dieselbe  noch  mehr  in  den  folgenden  hervor: 
Sunnekieken  ik  frage  di, 
wie  lange  schall  ik  lewen? 
en  jär,  twe  jär  u.  s.  w.  *). 


Hiärgnätspiärreken,  wä  kömstu  hiär? 
ütm  a  u  s  t  e  n  ucler  ütin  w  e  s  t  e  n  ? 
krer  du  di  nä  Lippstadt, 
da  kristu  iä'ten  un  drinken  satt. 

1)  Aus  Kinkardinashire.  Chambers,  Populär  rhymes  of  Scotland  s.  4.3. 
Ein  ähnliches  Lied,  auf  die  Biene  übertragen,  s.  Songs  for  mirseri'.  4".  s.  1. 
e.  a.  p.  18 : 

Bless  you,  blcss  you  bonny-bee 
say,  wlien  will  your  wedding  be? 
if  it  be  to  morrow-day 
take  your  wings  and  fly  away. 

2)  Wocste,  Volksilbcrlief.  S.  4. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  94. 

4)  Myth.»  6.5 S. 


254 

>  Sunnenkalf, 

Mäukalf, 

■vvo  lang  schall  ik  läwen? 
en  jär,  twe  jär  u.  s.  w.  '). 
Weisen  die  vorstehenden  Ueberlieferungen  mit  Ent- 
schiedenheit darauf  hin,  dass  unser  Käfer  im  Norden  Gott- 
heiten wie  Frigg,  Freyja  und  Frej-r  geweiht  war  (obwol 
auch  Thorr  als  Herscher  der  Wolkenkühe,  Spender  von 
Regen  und  Sonnenschein  und  Geber  des  Eheglücks  in  Be- 
tracht kommen  könnte),  so  gewähren  uns  einige  deutsche 
Kinderreime  neue  und  zwar  sehr  wichtige  Anknüpfungs- 
punkte an  eine  deutsche  Göttin,  welche  im  Wesen  mit 
Freyja  nahe  oder  ganz  zusammenfällt.  In  Niederbayern 
sagt  man: 

Suwendkäfer  flieg  in'n  hrumi 
bring  uns  morgng  ein  schöne  sunn'^). 
Bei  Wien: 

Käferl,  käferl 
flieg  nach  Mariabrunn 
und  bring  uns  ä  schöne  sunn^). 
Zu  Baden  in  Niederösterseich : 
Liawi  fraukuU 
fliah  kca  den  brunn 
las  haind  odar  moargu 
sehen  schainen  di  sun  *). 
Zu    Guschterholländer    bei    Driesen    im    Regierungsbezirk 
Frankfurt : 

Marien  würmchen  fliege  fort 
Hinter  (Schulzen)6rMW«ew, 
Da  sind  deine  Jungen  ^). 

1)  Simrock,  Kinderb.^   141,  535. 

2)  Panzer,  Beitrag  zur  D.  Myth.  11,   547. 

3)  Chambers,  Populär  rhymes  of  Scotland  S.  75.  Mariabrunn  ist  ein 
Ort  bei  Wien.  In  unserm  Volksreim  findet  entweder  eine  zufällige  Ueber- 
einstimmung  dieses  Ortsnamens  mit  einem  älteren  mythischen  Marienbrunn, 
Holdenbrunn  statt,  oder  derselbe  ist  an  die  Stelle  eines  einfachen  , .brunn" 
getreten. 

4)  Mitteilung  des  Unterlehrers  Johann  Wurth. 

5)  Aufgezeichnet    von    Schorfs.      Mitteilung   von   L.  Erk.    —    Das  Wort 


255 

Hiemit  stimmt  nun  der  Chorreigen  der  Presburger  Kinder 
beim  Regen  überein: 

Liabi  Frau  mach's  tür'l  auf, 

läfs  di  liabi  sunn  herauf 

läfs  in  reg'n  drina, 

läfs  in  sehne  verbrina. 

d'Engeln  sitzen  hintern  hrnnn 

wart'n  auf  die  liabi  sunn. 
Kommt  nun  die  Sonne  hervor,  fällt  der  tanzende  Kreis  nie- 
der und  singt: 

Sunn,  sunn  kummt 

d'engarln  fall'n  in'n  bnmn  '). 
Der  heilige  Käfer  wohnt  also  hinter  oder  über  dem 
Brunnen  und  dieser  Brunnen  ist  das  himmlische  Ge- 
wässer, hinter  welchem  die  Sonne  verborgen  ist.  Wir 
lernen  aber  noch  eine  weitere  Eigenschaft  dieses  Brunnens 
kennen,  er  verbirgt  die  Seelen  der  Ungebornen,  er  ist  Kin- 
derbrunnen. In  bairisch  Mittelfranken  singt  man,  die  coc- 
cinella  auf  der  Hand  haltend: 

Herrgottsmoggela  flieg  auf 

flieg  mir  in  den  himmel  nauf, 

bring  a  goldis  schüssela  runder 

und  a  goldis  wickelkindla  drunder  ^). 

§.  2.     Holda. 

Durch  ganz  Deutschland  verbreitet  ist  die  Ammen- 
rede, dass  die  kleinen  Wickelkinder  aus  dem  Brunnen 
geholt  werden  ^).  In  demselben  weilen  sie  bei  einer  mil- 
den göttlichen  Frau,  welche  die  heutige  Sage  meistens  als 
Mutter  Gottes  bezeichnet.    In  Köln  werden  die  Kinder  aus 


Schulzen    ist    wiederum    neu    und    durch    die    Localisierung    des    himmlischen 
Brunnens  auf  der  Erde  her\'orgerufen. 

1)  S.  Schröer,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  192;  darauf  mit  Hinzufdgung 
zweier  später  aufgefundenen  Verse  Schröer,  Beitrag  zur  D.  Jlyth.  und  Sit- 
tenkunde. Prcsburg  1855.   S.  22. 

2)  Rocholz  Sagen  aus  dem  Aargau  S.  345. 

3)  Wolf,  Beiträge  I,  162—168.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  196.  286.  11. 
345.  Pröhle,  Unterharzsagen  1855.  S.  76  —  78.  Wolf,  Hessische  Sagen  133. 
210.  211.  und  a.  a.  O.    Pröhle,   Harzbilder   1855   S.  76—78. 


256    _ 

dem  Brunnen  der  St.  Kimibertskirche  geholt.  Dort  sitzen 
sie  um  die  Mutter  Gottes  herum,  welche  ihnen  Brei  «liebt 
und  mit  ihnen  spielt.  Es  ist  nicht  dunkel  im  Brunnen, 
sondern  tageshell'.  In  lugeuheim  a.  d.  Bergstrafse  heifst 
es,  Maria  sitze  mit  St.  Johannes  in  einem  Brunnen,  geige 
den  in  demselben  befindlichen  Kindern  vor  und  spiele  mit 
ihnen  '^).  Bei  Schulenburg  im  Harz  sitzt  im  Festenburger 
Teich  die  grofse  Wasserfrau,  die  hat  die  ungebornen  Kin- 
der bei  sich  im  Wasser  ^).  Der  Aufenthalt  der  Kinder  im 
Brunnen  wird  als  ein  Saal,  eine  Wiese,  ein  Garten  unter 
dem  Wasser  dargestellt.  So  befindet  sich  im  stillen  Sumpf 
unter  der  Teufelsbrücke  bei  der  Rosstrappe  eine  warme 
Stube,  worin  die  Kinder  vor  der  Geburt  von  der  Kiu- 
dermutter  beaufsichtigt  werden  ^).  Häufig  ist  jedoch  nicht 
der  Brunnen,  sondern  eine  tiefe  Hole  der  Wohnsitz  der 
ungebornen  Seelen.  Im  schwäbischen  Heubach  sagt  man, 
dass  die  Hebamme  die  Kinder  aus  der  Hole  des  Rosen- 
steins hole.  Dort  sei  eine  weifse  Frau,  die  ihr  die  Kinder 
zureiche  ^).  Die  in  ihrer  ersten  Jugend  verstorbenen  Kinder 
kehren  an  diesen  Ort  zurück.  Die  Sage  stellt  diese  Rück- 
kehr der  Seelen  an  ihren  Heimatsort  oft  als  einen  von  der 
weilsen  Frau  verübten  Raub  dar.  Ober  St.  Jörgen  bei 
Bruneck  steht  ein  kleines  Marienkirchlein,  das  im  Volksmunde 
das  Stockl  heifst.  Das  Volk  erzählt  sich  davon,  dass  au 
der  Stelle  des  Kirchleins  früher  der  Einocang  zu  einer  Hole 
gewesen  sei.  Gingen  daran  Leute  mit  Kindern  vorüber, 
so  verloren  sie  diese.  Eine  Frau,  deren  Kind  auch  ver- 
schwand, drang  mit  einem  Licht  in  die  Hole.  Dort  war 
es  gar  hell  und  viele  Kinder  safsen  und  standen 
umher.  In  der  Mitte  safs  eine  schöne,  herrliche  Frau, 
das  geraubte  Kind  auf  dem  Schofse  haltend"). 
Aehnliche   Sagen   habe   ich   Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  85 


1)  Wolf,   Beiträge  I,    163. 

2)  Wolf  a.  a.  O.    165. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   196. 

4)  Pröhle,   Unterharz.   Sagen  S.  4.  No.  10. 

5)  Meier,   Schwab.   Sagen  263.  No.  294. 

6)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  I,   462,   5, 


257 

nachgewiesen,  in  denen  die  göttliche  Frau  Kinder  in  ihre 
Hole  zieht,  hinter  der  sie  auf  einer  leuchtenden  blu- 
menreichen Wiese  spielen.  Wolf  hält  mit  Recht 
hieher  eine  Reihe  von  Ueberheferungen ,  wonach  ganze 
Scharen  von  Kindern  durch  Zwerge,  die  auf  einer 
Pfeife  blasen,  in  den  Berg  verlockt  werden  (z.  B.  von 
dem  berüchtigten  Rattenfänger  zu  Hameln),  um  nie  wieder 
zum  Vorschein  zu  kommen  ').  Dass  hier  wirklich  von  See- 
len die  Rede  ist,  geht  aus  einem  Märchen  aus  dem  Harz 
hervor,  wo  ein  alter  Dudelsackbläser  durch  den  Ton  seiner 
Sackpfeife  jedesmal  eine  Jungfrau  sterben  macht  und  auf 
diese  Weise  bei  50  Mädchenseelen  ihn  zu  begleiten  zwingt"). 
Aus  dem  Stein  oder  Brunnen  werden  die  Kinder  durch 
den  Storch  abgeholt  und  den  Müttern  gebracht^). 

Wolf  hat  vermutet,  dass  die  weifse  Frau  im  Kinderbrun- 
nen die  deutsche  Göttin  Holda  sei '').  Hiefür  ergiebt  sich 
nunmehr  der  ausreichende  Beweis  aus  der  Betrachtung  der 
bis  jetzt  aufgefundenen  Holdasagen.  Holda  (in  den  Volksmund- 
arten Frau  Holle,  Holli,  Hollefrau  u.  s.  w.  genannt)  war  eine 
lichte  mütterliche  Göttin  und  lebt  als  solche  noch  in  der  Erin- 
nerung unseres  Volkes  fort.  Die  lebendige  Volkssage  beschreibt 
sie  als  eine  Frau  von  wunderbarer  Schönheit  mit  langem 
goldgelbem  Haar,  ihr  Leib  ist  so  weifs  wie  Schnee^). 
Sie  trägt  ein  langes  weifses  Gewand  und  einen 
Schleier,  der  am  Rücken  herabhängt,  manchmal  aber 
auch  das  Gesicht  verhüllt"),  nach  andern  Sagen  hat  sie 
eine  weite  Haube  auf  dem  Kopf  und  ist  in  einen  weifsen 


1)  Beiträge  I,   171  fgg. 

2)  Pröhle,  Märchen  für  die  Jugend  S.  53.  No.  14. 

3)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  13.  14.  Grimm,  KHM.  Ausg.  1819.  II,  S.  LX. 
Zu  Scheidiiigen  in  der  Gegend  von  Werl  liolt  der  Storch  die  Kinder  aus 
dem  Teiche  auf  der  Werler  Voedc.  Mitteilung  Wocstcs.  In  Erfurt  holt  der 
Storch  die  Kinder  aus  dem  Kessel,  einer  Vertiefung  beim  Wallgraben,  zu  Hal- 
berstadt aus  der  Klüs.     Mitteilung   der  Frau  Nuthmann    in  Halberstadt. 

4)  Beiträge  I,   162. 

5)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  S.  25.  No.  4,  III.    Panzer,  Beitr.  II,  S.  115. 

6)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  S.  23.  No.  4,  I.  Pröhle,  Harzsagen  S.  155. 
153.  No.  8,  I. 

17 


258 

Mantel  gehüllt').  Zu  Lerbach  im  Harz  wird  Frau 
Holle  am  Hollenabend  von  Jemand  dargestellt,  der  ein 
kreideweifses  Laken  trägt.  Der  eine  Zipfel  hängt  ihr 
bis  au  die  Nase,  zwei  andere  Zipfel  hat  sie  um  sich  her- 
umgeschlagen, der  vierte  hängt  ihr  auf  die  Hacken  ^).  Sie 
hat  glühe  Augen  und  einen  roten  ganz  feurigen 
Mund^).  Von  ihr  strahlt  wunderbares  Licht  aus,  wo 
sie  geht  und  steht,  ist  es  glockenhell  in  der 
dunkelsten  Nacht  ^).  Ihre  Haare  haben  eine  gewal- 
tige Schwere^).  Mitunter  ist  Holda  aber  auch  schwarz 
gekleidet ").  Durch  christliche  Verketzerung  der  lichten 
Gestalt  unserer  Göttin  wurde  diese  schon  früh  in  eine  dä- 
monische Gestalt  verkehrt  und  tritt  so  in  mehreren  Gegen- 
den als  buckliges  Mütterchen ') ,  als  grauköpfige  Alte  mit 
langen  Zähneu  ^)  auf,  und  schon  Luther  ^)  vergleicht  die 
Gott  widerspenstige  Natur  mit  der  heidnischen  Göttin, 
wie  sie  in  Volksaufzügen  auftrat:  „hie  tritt  fraw  Hui  de 
herfür  mit  der  potznasen,  die  uatur  und  darf  irem  gott 
widerpellen  und  in  lügen  strafen,  hengt  umb  sich  iren  al- 
ten stroharnfs  (Strohharnisch)  hebt  an  und  scharret 
daher  mit  irer  geigen."  Zu  diesen  christlichen  Verkehrun- 
gen gehört  aber  nicht  die  Beschreibung  der  Göttin  in  hes- 
sischen Hexenprocessacten :  „Fraw  Holt  were  von  vorn 
her  wie  ein  fein  weibsmensch,  aber  binden  her, 
wie  ein  holer  bäum  von  rohen  rinden'"),"  denn  die- 
selbe Beschreibunar  kehrt  in  Elbensagen  wieder.  In  einer 
merkwürdigen  Teufelsgeschichte,  wo  der  Böse  mehr  im 
Charakter   eines   Hausgeistes   auftritt,   bekennt   er:    „Licet 


1)  Schöppner,  Bair.  Sagenbuch  II,  S.  255.  No.  727. 

2)  Pröhle  a.  a.  0.  S.  156.  Xo.  8.  III. 

3)  Pröhle  a.  a.  0.   155.  8,  I. 

4)  Pröhle  a.  a.  0.  S.  135. 

5)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   196. 

6)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  S.  23.  No.  4,  I. 

7)  Sommer,   Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Sachsen  und  Thüringen 
S.  9.  No.  6. 

8)  Schambach  und  Müller,  Xiedersächs.  Sagen  S.  75.  No.  103,  I. 

9)  Auslegung  der  Episteln,  Basel  1522.  Fol.  69  a.     Myth.^   247. 
10)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   274. 


259 

Corpora  humana  nobis  assiimamus,  dorsa  tarnen  iion  ha- 
bemus."  Eine  Nonne,  die  er  verführen  wollte,  erzählt: 
„Cavit  ne  eum  viderem  a  dorso ')."  In  einem  Segen 
gegen  Elbe  heifst  es:  „Ich  beschwöre  dich  Alb,  der  du 
Augen  hast,  wie  ein  Kalb,  Rücken  wie  ein  Teigtrog, 
weise  mir  deines  Herren  Hof-)."  Von  der  Königin  des  nor- 
dischen Huldrefolks  Huldra  oder  Hu  IIa  heifst  es  nun 
gleichfalls,  sie  sehe  aus  wie  ein  schönes  Weib,  in  blauem 
Gewand  und  weifser  Haube,  aber  nur  von  vorn,  von  hin- 
ten sei  sie  desto  hässlicher  (men  bagtil  deste  hassli- 
gere)  ^).  Sie  trägt  nämlich  entweder  einen  Kuhschwanz 
(s.  oben  S.  80)  oder  sie  ist  im  Rücken  hohl  wie  ein 
Backtrog;  oder,  von  vorne  schön  und  licht,  von  hinten 
schwarzblau  * ).  Die  Uebereinstimmung  dieses  speciellen 
Zugs  erhebt  die  Identität  der  deutschen  Hulda,  Holla,  Holle 
mit  der  nordischen  Hulda,  Huldra  zur  Gewisheit.  Erkann- 
ten wir  nun  in  dem  Kuhschwanz  der  letzteren,  so  wie  in 
den  Kühen,  welche  sie  austreibt  s.  S.  8.  Anm. ''  bereits  ein 
Ueberbleibsel  ihrer  alten  Geltung  als  himmlische  Wasser- 
frau, so  muss  auch  die  deutsche  Holda  dieselbe  Grundbe- 
deutung haben.  Dies  bestätigt  sich  durch  den  Glauben, 
dass  sie  das  Wetter  behersche.  Wenn  es  bei  den  Men- 
schen schneit  sagt  man,  Frau  Holle  schütte  ihre 
Betten,  davon  die  Flocken  in  der  Luft  fliegen^), 
oder  Frau  Holle  pflückt  die  Gänse").  Nach  dem  Glau- 
ben der  Harzer  in  Wildemann  zieht  Frau  Holle  wenn  es 
schneit  nach  dem  Brocken').  In  Lerbach,  ebenfalls  im. 
Harz,  meint  man  beim  Schneefall  sie  schlage  ihr 
weifses  Gewand  weit  auseinander^).     Ueberhaupt  be- 


1)  Cacsarius  Ileistcrbacensis  ed.  Tissin.  Bibl.  patr.  Cisterciens.  II,  p.  52. 

2)  Carpzov   pract.    rer.    crini.   p.  I.    qu.  50.   p.  420.      Mvth.  '    CXLIV, 
XLII. 

3)  Munch,  NordniJBndenes  ajldste  gude-og  heltesagu  S.  43. 

4)  Faye,  Norske  Sapi  S.  42. 

5)  Schambach  und  Müller  S.  349.     Grimm,  D.  Sagen  No.  4.  S.  7. 
C)   Schambach  und  Müller  S.  349. 

7)  Zeitschr.   f.  D.  Mytlu  I,   197. 

8)  Pröhle,  Harzsagen  S.  155.   No.  8,  I. 

17* 


260 

haupten  die  Harzer  „sie  habe  beim  Schnee  zu  tun')." 
Regnet  es  die  ganze  Woche  hindurch,  so  erwartet  man 
dennoch  zum  Freitag  oder  Samstag  Sonnenschein, 
„denn  Frau  Holle  müsse  zum  Sonntag  ihren 
Schleier  wieder  trocken  haben  ^)."  Regnet  es  wäh- 
rend die  Sonne  scheint,  so  sagt  man  am  Niederrhein  „Frau 
Holle  hat  Kirmes').  Frau  Holle  macht  Wirbelwind 
auf  den  Gebirgshöhen  *).  Erkennen  wir  hienach  Holda  als 
eine  himmlische  lichte  Göttin,  die  vorzugsweise  in  der 
Wolke  ihren  Sitz  hat,  so  wird  diese  Wahrnehmung  noch 
bestätigt  durch  die  beiden  Eimer  ohne  Boden,  oder  das 
bodenlose  Fass,  die  sie  nach  Harzer  Sagen  vollschöpfen 
solP).  Wir  erkannten  darin  bereits  S.  104  das  regener- 
giefsende  Himmelsgewölbe  oder  die  Wolke.  Eine  ähnliche 
Bedeutung  wird  nun  wol  auch  der  Zug  haben,  dass  Holda 
im  Rücken  hohl  ist '^). 

Ein  weiterer  Beleg  für  die  Naturbedeutung  Holdas 
liegt  in  ihrer  Verbindung  mit  den  weifsen  Frauen,  Eiben 
und  Mären  (vergl.  o.  S.  78  fgg-)-  -An  zwei  Stellen  im  Harz 
erscheint  Holda  als  Gesellschafterin  der  weifsen  Frau, 
die  im  (Wolken-)Berge  den  Schatz  (des  Sonnengoldes)  hü- 
tet ^)  und  in  einer  fränkischen  Sage  badet  die  Hulli  sich 
mit  zwei  lichten  Jungfrauen  im  Main  ^).  In  Tirol  kennt 
man  Hulda  als  Königin  der  Saugen  Fräulein  ^).  Diese 
werden  wie  die  wilden  Weibchen  von  dem  wilden  Jäger, 
so  von  dem  wilden  Mann  verfolgt,  und  sind  gleich  diesen 
Personificationen   der  (sturmgejagten)  Wolke.     Einen  Ko- 


1)  Pröhle  a.  a.  0.  S.  278. 

2)  Pröhle  a.  a.  O.   198. 

3)  Montauus,  Volksfeste  S.  38. 

4)  Pröhle  a.  a.  0.  278. 

5)  Pröhle  a.  a.  O.    135.  227. 

6)  Vergl.  Rigv.  IV,  30,  3  bei  Roth,  Nirukta  X,  4.  „Den  nach  un- 
ten sich  öffnenden  Körper  (die  Wolke),  die  beiden  Welten,  die  Luft 
schuf  Varuiia,  dadurch  benetzt  der  König  aller  Wesen  mit  Regen,  wie 
mit  Gerste   die  Erde. 

7j  Pröhle,  Harzsagen  S.  198. 

8)  Zeitschr.  f.  D.  Mjth.  I,   24,  III. 

9)  Zeitschr.  f.  D.  Mj'th.  II,  345.  Hammerle,  Neue  Erinnerungen  aus 
den  Bergen  Tirols  1856  S.  8—22. 


26^1 

bold  Hollepeter  oder  Peter  Holl  wies  ich  bereits  Zeitschr. 
f.  D.  Myth.  II,  193  fgg.  III,  116  fgg.  als  Gesellen  der 
Holda  nach.  Holda  und  die  Saligen  Fräulein  sind  Schütze- 
rinnen des  Flachsbaus  und  wachen  über  den  Fleifs 
der  Spinnerinnen.  Faulen  Mägden,  die  ihren  Hocken  nicht 
abgesponnen  haben,  verwirrt  Holda  die  Haare').  Holle- 
zopp  im  Westerwald,  Holl  er  köpf  in  Hessen  heifst  da- 
her verwirrtes  Haar,  und  ebenso  benennt  man  im  Wester- 
wald ein  Moos,  das  aus  langen  Fäserchen  besteht,  welche 
die  Gestalt  eines  Haarzopfes  haben  und  in  den  hohlen 
Wasserrohren  häufig  angetroffen  werden.  Sie  werden  oft 
5  Fufs  lang  und  haben  Aehnlichkeit  mit  einem  Pfer- 
dezopf-).  Für  diese  verfilzten  Haare  giebt  es  nun  auch 
den  schon  oben  S.  46  erwähnten  Ausdruck  Märenzopf 
Märklatt,  Märenlocke,  dän.  marelock,  Wichtel- 
zopf, engl,  elflocks,  in  Niedersachsen  Elf klatte")  und  der 
die  Pferde  oder  Kühe  reitende  Kobold  oder  Mär 
flicht  diesen  ebenso  Zöpfe  in  die  Mähnen.  Wie- 
derum hat  das  Gefolge  der  Frau  Holle  in  büdinger  Hexen- 
processacten  Pferde  mit  Locken*)  und  Holda  selbst 
trägt  verfilztes  Haar^).  Dies  zeigt  die  Verbindung 
der  Göttin  mit  den  Mären.  Als  drückende  Märe  erscheint 
die  nordische  Hulldr  in  der  Ynglingasaga,  und  wie  die  Mä- 
ren in  vielen  Sagen  mit  Menschen  sich  verehelichen,  wird 
dasselbe  in  Norwegen  von  einer  Huldra  erzählt '''). 

Mären  sind  Seelen  und  wie  wir  zu  beweisen  trachte- 
ten o.  S.  44  fgg.  gleich  den  Maruts  und  Geistern  des  wil- 
den Heers.  Wir  werden  dafür  weiterhin  noch  klarere  Be- 
weise beibringen  können.  Holda  tritt  nun  aber  auch  als 
Anführerin  des  wütenden  Heeres  auf.  In  ihrem  Ge- 
folge ziehen  die  Seelen  der  verschiedensten  Ge- 
schlechter und  Altersstufen.      Schon   Burkhard  von 


1)  Lyncker,  Hess.  Sagen  S.  18. 

2)  Schmidt,  Wcsterwiiid.  idiotic.  S.  341. 

3)  Myth.2  433. 

4)  Zeitschr.  f.   D,  Myth.   I,   273. 

5)  Myth.^   247.   433. 

6)  Fayc,  Norske   Sagn  S.  41. 


262 

Worms  gewährt  „Credidisti,  ut  aliqua  femina  sit,  quae  hoc 
facere  possit,  quod  quaedam  a  diabolo  deceptae  se  affirmant 
necessario  et  ex  praecepto  facere  debere  id  est  cum  dae- 
monum  turba  in  similitudinem  mulierum  trans- 
formata  quam  vulgaris  stultitia  Hol  dam  vocat  certis 
noctibus  equitare  debere  super  quasdam  bestias  et  in  eorum 
se  consortio  annumeratam  esse."  In  Hessen  zieht  nach  heu- 
tigem Volksglauben  Holda  an  der  Spitze  des  wütenden 
Heers  einher  ').  Ebenso  in  Thüringen  -j.  Agricola  berichtet, 
dass  Frau  Holla  auf  Fastnachtdonnerstag  durch  das  Mans- 
felder  Land  mit  dem  wütenden  Heere  fuhr.  Da  sah  man 
etliche  Geister  reiten,  etliche  gehen.  Man  gewahrte  dar- 
unter neulich  verstorbene  Menschen.  Einer  ritt 
auf  zweibeinigem  Pferde,  einer  lag  auf  ein  Rad  gebunden, 
das  sich  von  selbst  bewegte,  andere  liefen  kopflos,  oder 
trugen  ihre  Schenkel  auf  den  Achseln.  Dazu  hört  man 
Hundegebell,  Jägergeschrei  und  Hörnerschall,  und  aufge- 
jagtes Wild  brüllt  wie  Löwen  oder  grunzt  wie  Schweine''). 
„Mött  de  Holle  fahren"  bedeutet  im  Westerwald  Nacht- 
wandeln *)  imd  ebenso  sagt  man  von  Leuten  mit  strup- 
pigen Haaren  „du  bist  mit  der  Holle  gefahren. "  Als 
Anführerin  des  wütenden  Heers  reitet  Hulda  in  Franken 
wie  Wuotan  auf  einem  Schimmel  „der  Rollegaul"  ge- 
nannt, dessen  Satteldecke  und  Gezäume  mit  silbernen  Röll- 
chen und  Glöckchen  besetzt  sind,  die  ein  wunderbar  schö- 
nes Geläute  geben.  Der  Schimmel  berührt  dabei  nicht  die 
Erde,  sondern  schwebt  einige  Fufs  hoch  über  den  Wald- 
boden hin,  oder  fährt  hoch  in  der  Luft  von  Berg  zu 
Berg  über  weite  Täler  weg  ^).  Wie  das  wütende  Heer 
häufig  in  einer  Kutsche  fährt,  heifst  es  in  einer  Harzsage, 
„Frau  Holle  fahre  mit  dem  Teufel  in  einer  Kut- 
sche'^)" und  dieser  Wagen  der  Göttin,  der  Thunars  Wol- 


1)  Grimm,  D.  Sagen  Xo.  4.  S.  7. 

2)  Grimm  a.  a.  0.  No.  7.  S.  0. 

3)  Agricola,   Sprichwörter  667. 

4)  Schmidt,  Westerwald.   Idiotie.   73. 
b)  Zeitschr.  f.  D.  M>-th.  I,   28.  VII. 

6)   Pröhle.   Harzsagen  S.  156.   No.  8,   11. 


263 

kenwagen  (s.  oben  S.  121)  gleichsteht,  kehrt  in  einer  Sage 
bei  Praetorius  •)  wieder.  Das  wütende  Heer  lässt  laute 
Musik,  das  Sturmlied  hören  (s.  o.  S.  44.  174),  das  wir 
schon  mit  dem  Albleich  d.  i.  dem  Gesang  der  Elbe  zu- 
sammenstellten. So  ist  auch  die  wunderbare  Weise  der 
nordischen  Huldre,  Huldreslaat  berühmt  und  Frau 
Hulli  lässt  in  Franken  liebliche  Lieder  vernehmen, 
die  einem  Menschen  das  Herz  im  Leibe  schmel- 
zen macheu.  Man  warnt  aber  die  Kinder  darauf  zu 
lauschen.  Tun  sie  das  dennoch,  so  müssen  sie  „mit  Frau 
Hulli  bis  zum  jüngsten  Tag  im  Walde  umherfah- 
ren." Ein  junger  Bursch,  der  diesem  Gesänge  zugehorcht 
hat,  wünscht  immer  und  ewig  bei  Frau  Hulda  zu  sein  und 
ihrem  Liede  zu  lauschen.  Drei  Tage  darauf  stirbt  er. 
Da  sagte  man  sogleich;  „Seht  der  Aufenthalt  bei  Frau 
Hulda  ist  ihm  lieber  als  der  im  Himmel!  nun  muss  er  auch 
zur  Strafe  bis  zum  jüngsten  Tag  bei  ihr  im  Walde 
bleiben  2).« 

Mit  dem  wütenden  Heer  hat  Holda  ihre  Wohnung 
nun  entweder  im  Walde,  über  den  später  zu  reden  sein 
wird,  oder  in  einem  Berge.  Zu  Hermeskeil  an  der  Mo- 
sel sitzt  Frau  Holla  im  Berge  und  spinnf).  Sie  soll 
gleichfalls  im  untern  Berge  bei  Hasloch  am  Main  wohnen 
und  daraus  hervorkommen  ■*).  Wenn  es  am  Meifsner  ne- 
belt, sagt  man  Frau  Holle  habe  im  Berge  Feuer  ange- 
macht^). Im  Holleberg  wohnen  die  Ölken  d.  i.  die 
Geister  der  Vorfahren  (die  Pitris  s.  oben  8.43)").  Bei 
Kaiser  Friedrich  Barbarossa  weilt  die  Königin  Holle 
im  KifFhäuser.  Sie  ist  seine  Haushälterin  und  sorgt  für 
alles,  was  er  und  die  vielen  hundert  Ritter  und  Knappen 
bedürfen,  die  mit  um  den  grofsen  steinernen  Tisch  sitzen ''). 


1)  Weihnachtsfratzen  p.  56.      Grimm,  D.  Sagen  No.  8.  S.  10. 

2)  Zeitsclir.  f.  D.  Myth.  I,  27.  VI. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   194,  17. 

4)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  23.  26. 

5)  Lynclier,  Hessische  Sagen  S.  18. 

6)  Kuhn,  Nonld.  Sagen  S.  288.  No.  322. 

7)  Sommer,  Sagen  S.  6.  No.  2.    Kuhn,  Nordd.  Sagen  No.  247,   9.    Vgl. 
Beclistein,  TliUring.   Sagenschatz   IV,  No.  16. 


264 

Bereits  Sommer  erkannte,  dass  die  den  Kaiser  umgebenden 
Ritter  und  Knappen  eine  neuere  Form  der  Geister  des  wü- 
tenden Heers   gleich    den   Einheriar    der  nordischen   Sao;e 
sind.     Nach  hessischen  Hexenacten  zieht  Holda  mit  dem 
wütenden  Heer  in   den  Venusberg,   wo   sie   ihre  Woh- 
nung habe.    „Sie  führe  voranen,  das  gezücht  hernach  und 
zuletzt   ein  mansmensch"  (der  treue  Eckhart  s.  o.  S.  92). 
Der  Berg  „were  wie  ein  zimblich  grofs   geweihter  keller." 
In  diesem  Berg  befindet  sich  nun  ein  Strafort  für  die  See- 
len  böser  Menschen,      Da   sind  Männer    die    in    schönen 
Sammetbetteu   zu  liegen  scheinen  und   doch  im  Feuer  ste- 
hen, „Weibspersonen,   die  vor  Jungfern   sich  aufsgeben  und 
zur   kirchen   gingen,   den   fielen  tropflPen  uflf  die  köpfe  von 
eiszappen  ')."     In  Thüringen   gilt  seit  alter  Zeit   der  Hör- 
selberg bei  Eisenach  als  Sitz  der  Holda  ^).    In  diesem  Berg 
verschwindet  die  wilde   Jagd,   welche   Holda   anführt  und 
wenn   man  vor   dem  Hörselloch   den  Platz   mit  Besen   ge- 
kehrt und  mit  Sand  bestreut   hat,   findet  man   am   andern 
Tage  die  Fufstapfen  einer  Menge   von  Tieren   darin  abge- 
drückt ^).      Gleich  jenem   hessischen   Venusberge    gilt    der 
Hörselbergfels  als  Strafort  verdammter  Seelen.    Man  glaubte 
in  demselben  befinde  sich    das  Fegefeuer,   worin  die  Sage 
u.  A.  einen  König  von  England,  den  Gemahl  der  frommen 
Reinswiga  *)    und    den   Landgrafen   Ludwig   den   Eisernen 
von  Thüringen  versetzte  ^).    Oft  hört  man  das  Heulen  und 
Wimmern  der  Seelen  aus  dem  Berge.   Es  ist  offenbar,  dass 
diese  Verdammten   durch   christliche   Auffassung   aus   dem 
wütenden  Heer  entstanden  sind.     Endlich   macht  die  Sage 
seit  dem  löten  und  16ten  Jahrhundert  den  Hörselberg  zum 
wonnevollen  Aufenthalt   der  Frau  Venus,   welche  Men- 
schen,  z.  B.  den  Tannhäuser,   dahin   zu  sich  lockt,   grade 
wie  die  nordischen  Elfenfrauen  Helden  in  den  Berg  zu  sich 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  274  fgg-. 

2)  Praetorius,  Weihnachtsfratzen  S.  54.      Grinnn,   D.   Sagen  No.  5.   S.  8. 

3)  Gräfse,  Tannhäusersage  S.  C. 

4)  Hornmann,  De  miraculis  niortuorum   ICIO.   8.   LH,   c.  47. 

5)  Buchstein,    Sagenschatz   des  Thüringer  Landes  I,  30  fgg. 


265 

einladen.  Da  auch  in  Schwaben  ein  Venusberg  unmittel- 
bar neben  einem  Hollenhof  liegt'),  so  ist  kein  Zweifel, 
dass  Venus  nur  eine  gelehrte  Uebersetzung  der  älteren 
Hol  da  ist  und  das  Weilen  der  Menschen  bei  ihr  nichts 
anderes  als  ein  symbolischer  Ausdruck  für  Gestorbensein. 
—  Nach  allen  diesen  Zeugnissen  steht  es  fest,  dass  Holda 
mit  den  Seelen  im  Berge  weilend  gedacht  wurde, 
wenn  sie  nicht  mit  denselben  im  wütenden  Heere  um- 
zog. Da  nun  das  wütende  Heer  eine  himmlische  Ge- 
nossenschaft ist,  wir  aber  bereits  oben  S.  182  nachgewie- 
sen haben,  dass  die  Bedeutung  des  Berges  in  unserer 
Mythologie  die  Wolke  ist,  so  kann  kein  Zweifel  obwal- 
ten, dass  der  Wolkenberg  als  der  ursprüngliche  Sitz 
der  Göttin  und  der  Seelen  gedacht  und  derselbe  erst  spä- 
ter irdisch  localisiert  wurde.  Es  ist  klar,  welches  bedeu- 
tende Licht  nun  auf  die  bergeutrückten  Helden  unserer 
Volkssage,  Friedrich  Rotbart  im  Kifhäuser  und  Unterberg, 
Karl  Langbart  im  Unterberg  und  Odenberg  u.  s.  w.  fällt. 
Es  sind  die  mit  der  Göttin  und  den  Seelen  der  Gestor- 
benen aller  Geschlechter,  unter  denen  erst  eine  junge  Zeit 
Sonderung  eintreten  liefs,  wohnhaften  Götter  Wodan  und 
Thunar,  eine  Vorstellung,  die  nun  erst  begreiflich  wird. 
Denn  wie  anders  als  durch  solche  Localisierung  sollte  man 
dazu  gekommen  sein,  die  himmlischen  Gottheiten  in  den 
irdischen  Fels  zu  verweisen? 

Dieselben  Personen,  welche  im  Berge  mit  dem  wü- 
tenden Heere  hausen,  werden  im  Brunnen  wohnend  ge- 
dacht. So  sitzt  Kaiser  Karl  in  einem  Brunnen  zu  Nürn- 
berg *).  Ritter  Tils  sitzt  in  dem  nach  ihm  benannten  Gra- 
ben, sein  weifser  Bart  ist  durch  den  Tisch  gewachsen^). 
Frau  Holle  badet  im  Frauhollenbad,  einem  grofsen  Pfuhl 
oder  See   in   der  Nähe   des   Meifsners  *)  und   ebenso  wird 


1)  Meier,  Schwab.  Sagen  No.  47.  S.  43. 

2)  Grimm,  D.  Sagen  No.  22.  S.  28. 

3)  Hanys,  Volkssagen  Niedersachsens  I,  No.  2.   S.  8. 

4)  Zeiler,   Epistolische  Schatzkammer  Ausg.  1683.   S.  622''.    Grimm,   D. 
Sagen  S.  9.  No.  5.     Lyncker.   Hessische  Sagen  S.  18.  No.  20. 


266 

eine  Stelle  im  Main  bei  Hasloch  als  Huldas  Badplatz 
genannt ').  Eine  wol  verderbte  Harzsage  lässt  Frau  Holle 
auf  Veranlassung  der  weifsen  Burgjungfrau  auf  der  Ilburg 
ins  Wasser  geworfen  werden^),  was  nichts  anderes 
aussagt,  als  dass  sie  im  Wasser  ihr  eigentliches  Element 
hat.  Am  hessischen  Meü'sner  liegt  auch  der  Frau  Hol- 
lenteich. Darin  wird  sie  zuweilen  um  die  Mittagsstunde 
badend  gesehn.  Auf  dem  Grunde  dieses  Teiches 
hat  Frau  Holle  ihre  Wohnung.  Bald  zeigt  sie  sich 
als  schöne  weifse  Frau  in  oder  auf  der  Mitte  des  Teiches, 
bald  ist  sie  unsichtbar  und  man  hört  blofs  aus  der  Tiefe 
herauf  Glockengeläute  und  geheimnisvolles  Rau- 
schen. Im  KHM.  No.  24  wird  ein  kleines  Mädchen  von 
ihrer  Stiefmutter  in  den  Brunnen  gestofsen.  Unter 
dem  Wasser  kommt  es  zu  einer  schönen  Wiese,  auf  wel- 
cher Frau  Holles  Haus  steht.  Diese  giebt  ihm  auf 
täglich  ihr  Bett  zu  schütten,  dass  die  Federn 
fliegen  „dann  schneit  es  in  der  Welt."  Als  das 
Mädchen  eine  Zeit  lang  treu  gedient,  entlässt  Frau  Holle 
dasselbe  aus  dem  Brunnenreich  durch  ein  goldenes 
Tor.  Das  ward  aufgetan  wie  das  Mädchen  grade  darun- 
ter stand,  da  fiel  ein  gewaltiger  Goldregen  und  alles  Gold 
blieb  an  ihm  hängen,  so  dass  es  über  und  über  davon  be- 
deckt war.  Die  Stiefschwester  springt  nun  ebenfalls  in 
den  Brunnen,  führt  sich  aber  so  schlecht  bei  Frau  Holle 
auf,  dass  diese  sie  durch  ein  Pechtor  entlässt,  welches 
einen  ganzen  Kessel  voll  Unrat  auf  sie  niederschüttet.  Der 
Brunnen,  in  welchem  Frau  Holles  Schneehett  gemacht 
wird,  kann  nur  das  Wolkengewässer  sein,  das  Goldtor 
stellt  die  sich  öffnende  Wolkenschicht  dar,  welche  der  gol- 
denen Sonne  ihre  Strahlen  herauszuergiefsen  gestat- 
tet, das  Pechtor  Unwetter  und  Hagel  welcher  aus  der 
Wolke  niederregnet.  Wir  bringen  weiterhin  den  strengen 
Beweis  für  diese  Behauptung,  so  wie  wir  eine  Erläuterung 
des  Märchens  im  Ganzen  versuchen  werden.     Vergl.  oben 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   24. 

2)  Pröhle,  Harzsagen  S.  227.  No.  4,   8. 


267 

S.  255  den  Spruch  „Liabi  frau  maclis  türl  auf  lass 
die  liabi  sunn  herauf."  In  zwei  Varianten  dieses  Mär- 
chens befinden  sich  in  Holdas  Wohnbaus  zwei  goldene 
Böcke  oder  Rehböcke  und  wir  haben  oben  S.  177  die- 
selben ebenfalls  auf  die  sonnendurchleuchtete  oder  blitz- 
durchzuckte Wolke  gedeutet.  HoidasBrunnen  ist  also 
das  Wolkengewässer.  Vom  Frau  Hollenteich  am 
Meifsner  wird  nun  weiter  Folgendes  erzählt.  Unten  im 
Teich  ist  ein  sonniger  Garten,  worin  Frau  Holle  wohnt 
und  Obst  und  Blumen  zieht.  Frauen,  die  zu  ihr  in  den 
Brunnen  steigen,  macht  sie  gesund  und  fruchtbar.  Aus 
diesem  ihrem  Brunnen  kommen  die  neugebornen 
Kinder.  Treten  kleine  Kinder  dem  Brunnen  zu  nahe,  so 
zieht  Frau  Holle  sie  wieder  zu  sich  in  den  Brunnen  und 
schickt  sie  zu  neuer  Geburt  auf  die  Welt,  Sie  macht  die 
guten  zu  Glückskindern,  die  bösen  zu  Wechselbälgen  '). 
Am  Hausberge  im  Harz  wohnt  Frau  Holle  bei  dem  Esels- 
brunnen, aus  welchem  die  kleinen  Wickelkinder 
kommen.  Wenn  Kinder  unartig  sind  sagt  man  ihnen 
„sei  still,  oder  wir  bringen  dich  wieder  nach  dem  Esels- 
brunnen ^)."  Die  schlesische  Spillaholle  d.  i.  Spindel- 
Hold  a  nimmt  die  faulen  Kinder  mit  sich  in  den  Brun- 
nen, in  welchem  sie  wohnt,  und  bringt  sie  neugeboren 
kinderlosen  Eltern  zu  ^).  Zu  Lautental  im  Harz  sagt  man, 
dass  Frau  Holle  früher  unartige  oder  faule  Kinder  wegge- 
holt habe,  um  sie  zu  erziehen.  Sie  führte  sie  in  den 
Wald  nach  ihrer  Wohnung,  woselbst  sie  saure  Arbeit  und 
schlechtes  Essen  bekamen  *).  Ebenso  erzählt  man  an  der 
Mosel,  Frau  Holl  habe  ihren  Namen  daher,  dass  sie  die 
Kinder  hole  ^).  Zu  Würzburg  nahm  Frau  Holle  die  un- 
folgsamen Kinder  in  einem  Sacke  mit  sich  fort  und  trug 
sie  dem  Teufel  zu ").     Zu  Warburg  in  Westphalen  dage- 


1)  Grimm,  D.  Sagen  S.  7.  No.  4.    LjTicker,  Hess.  Sagen  S.  17.  No.  19. 

2)  Pröhle,  Harzsagen  S.  108. 

3)  Weinhold,  Die  deutschen  Frauen  S.  36. 

4)  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  I,   196. 

5)  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  II,   194,   17. 

6)  Schöppner,   Bair.   Sagenb.   II,   255,    727. 


268 

gen  kommt  die  Holle,  während  die  Wöchnerin  schläft, 
nimmt  das  Kind,  macht  die  Windeln  los,  trocknet  die  Tü- 
cher und  legt  das  Kind  wieder  hinein  ').  Kinder,  die  zu 
Hasloch  am  Main  Huldas  Gesang  lauschen,  sterben  und 
müssen  ewig  mit  ihr  umherfahren.  Aber  auch  Jünglinge 
haben  dieses  Geschick  s.  oben  S.  263  Anm.^  Wir  stehen 
hiemit  wieder  beim  wütenden  Heer  und  sahen  bereits  S. 
95  dass  dieses,  wie  im  Berge,  so  in  solchen  Teichen 
seinen  Aufenthalt  nimmt,  aus  welchen  die  kleinen  Kin- 
der kommen. 

Die  angeführten  Holdasagen  ergeben  deutlich,  dass 
Holda  jener  weifsen  Erau  identisch  ist,  welche  die  Kinder 
im  Brunnen,  einer  Berghöle  oder  im  Walde  hütet. 
Dieser  Brunnen,  Berg  oder  das  Waldhaus  sind  nur 
drei  verschiedene  Ausdrücke  für  die  Wolke.  Dass  wirk- 
lich das  Waldhaus  oder  der  Brunnen  der  Holda  und  jener 
S.  255  nachgewiesene  Kinderbrunnen,  zu  dem  der  Marien- 
käfer emporfliegt  eins  sind,  lässt  sich  durch  eine  nieder- 
sächsische Sage  erweisen.  Ein  kleines  Mädchen,  das  gern 
im  Walde  mit  Käfern, 'Schmetterlingen  und  anderm  Ge- 
tier spielt,  wird  von  einem  grofseu  Goldkäfer  in  die 
Luft  zu  einer  guten  Holde  geführt,  die  als  altes  Müt- 
terchen mit  ihrem  Spinnrad  vor  der  Tür  einer  Strohhütte 
sitzt.  Fünf  Jahre  bleibt  die  Kleine  hier  oben,  indess  auf 
der  Erde  ein  heftiger  Krieg  wütet.  Nach  dem  Friedens- 
schluss  kehrt  sie  zum  heimatlichen  Dorf  mit  einem  reichen 
Brautschatz  von  Leinenzeug  und  Kleidern  zurück  '^).  Hie- 
mit fällt  fast  wörtlich  eine  fränkische  Sage  zusammen,  worin 
Frau  Hülle  einen  von  seinem  Bruder  verstofsenen  Kna- 
ben, den  krummen  Jacob,  zu  sich  in  ihre  Waldhütte 
nimmt  und  drei  Jahre  lang  erzieht,  worauf  sie  ihn  heim- 
o-eleitet  und  ihm  zu  seinem  väterlichen  Erbe  verhilft  ^). 

Gehen  wir  nunmehr  tiefer  auf  die  Bedeutung  und  den 
inneren   Zusammenhang    der   dargelegten    Ueberlieferungen 

1)  Kuhn,  llageus  Germania  IX,   290. 

2)  E.  M.  Arndt,   Märchen  und  Jugenderinueruugen   1818   S.  357. 

3)  llerrlcin,   Sagen  der  Spessarts  S.  179,   8. 


269 

ein,  so  ist  es  klar,  dass  Holda  eine  himmlische  Gottheit 
ist,  welche  in  Wind  und  Sonnenschein  ihre  Macht  entfal- 
tet, vorzugsweise  aloer  den  Segen  der  Wolke  spendet, 
in  dieser  ihren  Haiiptsitz  hat  und  daher  auch  von  dieser 
ausgegangen  sein  wird.  Sie  ist  mit  einem  Wort  die  alte 
Wasserfrau.  Ihr  Aufenthaltsort  die  Wolke  wurde  als 
Berg,  Brunnen*)  oder  Wald  gedacht.  Hier  thront  sie 
in  Gemeinschaft  eines  hohen  Gottes,  als  welchen  man  bald 
Wodan,  bald  Donar  gedacht  haben  wird.  Bei  ihr  in  der 
Wolke  befinden  sich  nun  auch  die  Seelen  der  verstorbe- 
nen Menschen.  Der  Germane  dachte  sich  den  Geist  als 
Luft  hauch  oder  als  Feuer.  Er  teilt  die  erstere  An- 
sicht mit  den  meisten  indogermanischen  Völkern.  Schon 
Kuhn  machte  darauf  aufmerksam^),  dass  für  die  Begrifie 
Geist  und  Wind  gröfstenteils  dieselben  Wurzeln  verwandt 
werden,  vergl.  gisan  (wehen)  und  Geist;  skr.  anila  Wind, 
chsfiogund  animus;  spirare  und  Spiritus;  atem  imd 
skr.  ätma  die  Seele.  Floh  der  Lebenshauch  aus  dem  er- 
starrten Körper,  so  schwebte  er  zur  Luftregion  empor  und 
vereinigte  sich  entweder  mit  der  Wolke,  dem  ersten  schein- 
bar festen  Haltpunkt  im  Himmelsraum,  oder  dem  Sturm- 
wind, behielt  jedoch  seine  individuelle  Existenz,  ohne  ganz 
in  das  allgemeine  Element  verflüchtigt  zu  werden.  So  bil- 
dete sich  auf  der  einen  Seite  die  Vorstellung  aus,  dass  die 
Seelen    mit    dem   Sturmgott   Wuotan    im    wütenden    Heer 


1)  Auch  in  den  Veden  ist  die  Darstellung  der  Wolke  als  Brunnen 
sehr  gewöhnlich,  s.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  D.  Myth  III,  387  und  gradoso,  wie 
bei  uns  Holda  bald  im  Brunnen,  bald  in  dem  Berge  wohnt,  lässt  Rigv. 
II,  24,  2  den  Brahmanaspati,  Indras  späteren  Vertreter  in  den  schätz eber- 
geuden  Berg  (vasuniautam  parvatam)  d.  i.  die  das  Sonnenlicht  verhüllende 
Wolke  eintreten,  während  eine  andere  Stelle  von  ihm  sagt,  er  habe  den 
Stein  vom  verschlossenen  Brunnen  gehoben.  Vergl.  Rigv.  Rosen 
LXXXV,  9.  10;  ,,Indra  tötete  Vritra,  er  ergoss  die  Fülle  der  Wasser.  Die 
Maruts  haben  mit  Kraft  den  Brunnen  geölluet  imd  den  gewaltigen  Berg 
zerbrochen."  Die  Einheit  des  Berges  und  Brunnens  der  Ilolda  tritt  deut- 
lich in  einer  Harzsage  hervor.  In  der  alten  Burg  auf  dem  llausberge  M-ohnt 
Frau  Holle  mit  der  Schlüsseljungfrau  (St.  Marias  nyckelpiga?),  von  welcher 
die  Hebamme  die  Icleinen  Kinder  emjjfüngt.  Tief  im  Keller  der  alten  Burg 
ist  ein  Brunnen  imd  dabei  grofse   Schätze.     Prölile,   llarzsagen  S.  198. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Altertum  V,  488. 


270 

durch  die  Luft  fahren  '),  andererseits  der  Glaube,  dass  sie 
in  der  Wolke  ihren  Sitz  haben.  Fasste  man  den  Sturm 
einmal  als  die  Vereinigung  von  Seelen  (daneben  liefen  frei- 
lich von  Anfang  an  auch  andere  Auffassungen),  so  musste 
man  den  Geistern,  während  der  Wind  ruhte,  einen  andern 
Verbleib  anweisen  und  suchte  diesen  nun  entweder  im  lich- 


1)  In  Pommerellen  sagt  man,  wenn  ein  grofser  Sturm  weht,  es  habe  sich 
Jemand  erhängt,  ebenso  in  Schlesien  Myth. '  LXXX,  343.  In  Bunzlau : 
hält  der  Sturmwind  drei  Tage  ohne  Aufhören  an,  so  erhängt  sich  einer  Myth. ' 
CLIV,  1013.  Nach  der  Mitteilung  des  Stud.  Birlinger  in  Tübingen  sagt  man 
in  Schwaben,  wenn  auf  eine  trübe,  besonders  stürmische  Xacht  schönes 
Wetter  wird:  ,, hätte  sich  gestern  einer  erhängt,  so  reute  es  ihn  heut  gewiss." 
In  andern  Gegenden  dreht  man  den  Satz  um.  Sobald  sich  einer  erhängt  hat, 
entsteht  Sturm.  Müllenhoff,  Sagen  109.  Ko.  132.  Auch  in  der  Bretagne: 
Lorsque  de  grands  criminels  cessent  de  vivre,  l'aire,  la  terre  et  les  mers  sont 
violemment  agites.  De  Nore,  Coutumes  mvthes  et  traditions  p.  229.  In  den 
angeführten  deutschen  Meinungen  ist  der  Glaube,  dass  der  dem  Körper  ent- 
schwebende Lufthauch,  die  Seele,  mit  dem  ihm  naturgemäfsen  Element 
dem  Wind  sich  verbinde,  bereits  auf  diejenigen  eingeschränkt,  die  sich  er- 
hängen. Diese  Einschränkung  fällt  aber  der  späteren  Periode  unseres  Hei- 
dentums zu,  in  welcher  man  den  Heldense  elen  vorzugsweise  oder  nur  den 
Aufenthalt  im  Gefolge  des  Sturmgottes  Wodan  nordisch  Oöinn  zuschrieb,  dem 
die  Todesart  des  Hängens  heilig  war.  OSinn  hing  selbst  9  Tage  am  windi- 
gen Baum,  sich  selber  geweiht.  Hävamäl  139.  Nach  der  Gautreks-  ok 
Hrolfssaga  muss  sich  König  Vikarr,  der  sich  O'Sinn  gelobt  hatte,  erhängen 
und  nach  der  Hälfssaga  erhenkt  Geirhilldr  dem  OÖinn  zum  Opfer  ihr  erstes 
Kind.  Beinamen  Ogins  sindHängagoS  Hrafnag.  OSins  18.  gälga  gramr, 
gälga  valldr.  Lex.  Myth.  139  (Gott  der  Gehenkten,  Galgenherr,  Galgenfürst). 
Wer  sich  erhängte,  brachte  sich  damit  Wodan  zum  Opfer,  und  durfte  vor 
Andern  gewärtigen,  dass  der  Gott  mit  seiner  Schar  kräftiger  Heldenseelen, 
die  als  solche  im  Sturm  umfuhren,  herbeikommen  und  ihn  in  die  Genossen- 
schaft aufnehmen  werde.  Eine  ältere  und  allgemeinere  Form  desselben  Glau- 
bens zeigen  aber  noch  die  folgenden  Volksmeinungen.  ,,Wenn  i  de  neujahrs- 
necht  de  wind  geht,  so  bedeuts  en  sterb"  Myth.'  CVI,  910.  „Wind  in 
der  Neujahrsnacht  bedeutet  Pest"  M^vth.^  LXXX,  330.  Die  Menge  des  bei 
allgemeinem  Sterben  zur  Himmelsfeste  entschwebenden  Lufthauchs  erzeugt 
Wind  und  diesen  schaut  man  wie  andere  Ereignisse  des  kommenden  Jahres 
in  der  Neujahrsnacht  vor.  —  Yergl.  die  Erzählung  des  Demetrios  bei  Plu- 
tarch  de  defect,  oraeul,  c.  18.  Auf  einer  der  Sporaden  vor  Brittannien, 
von  denen  einige  die  Inseln  der  Heroen  und  Dämonen  genannt  werden,  sei 
plötzlich  eine  grofse  Verwirrung  in  der  Luft  entstanden,  viele  Him- 
melszeichen sichtbar  geworden,  alle  Winde  wie  durch  Zauber  entfes- 
selt, gewaltige  Blitze  hätten  in  die  Erde  geschlagen.  Die  Einwohner  be- 
haupteten, jetzt  sei  ein  Mächtiger  gestorben.  Denn  wie  eine  ange- 
steckte Lampe  durchaus  nichts  Schreckliches  darbiete,  aber  erlöschend  Vielen 
traurig  erscheine,  sei  auch  das  Aufflackern  der  grofsen  Seelen  woltätig  und 
schmerzlos,  ihr  Verschwinden  bringe  aber  oftmals  wie  jetzt  Sturm- 
wind und  üngewitter  zu  AVege. 


271 

tea  Himmelsraum,  der  über  dem  Wolkengewässer  ausge- 
breitet ist  —  eine  Vorstellung,  die  wir  in  einem  der  näch- 
sten Paragraphen  zu  besprechen  haben  —  oder  in  der 
Wolke  bei  Hokla,  wo  man  nun  sich  Thunar  als  den  die 
Wolke  durchzuckenden  Blitz,  Wuotan  als  den  die  Seelen 
anführenden  Sturmgott  gleichfalls  ruhend  vorstellte.  Der 
deutliche  Beweis  für  diese  Vorstellung  ergiebt  sich  aus  den 
S.  95  angeführten  Sagen,  nach  denen  das  wilde  Heer 
in  Brunnen  verschwindet,  oder  aus  denselben  hervorzieht, 
welche  zugleich  Kinderbrunnen  sind.  Noch  manche 
weitere  Belege  wären  beizubringen.  Ich  verweise  nur  bei- 
spielsweise auf  die  Sage  bei  Gödsche,  Schles.  Sagenschatz 
S.  147,  wonach  der  wilde  Jäger  Wolf  von  Braun  mit  Ross 
und  Hunden  aus  dem  Braunsteich  ausfährt.  Andererseits 
war  es  natürlich,  dass  man  nun  auch  die  Wasserfrau,  bei 
welcher  die  Seeleu  in  der  Wolke  wohnten  an  dem  Um- 
züge derselben  oder  in  der  wilden  Jagd  teilnehmen  liefs. 
Der  Sturm  treibt  die  Wolke  vor  sich  her  und  so  trat  Holda 
an  die  Spitze  des  durch  die  Luft  fahrenden  Seelenheers '). 
Dieses  Toteuvolk  (so  heifst  das  wilde  Heer  in  Graubünden 
gradezu,  im  Romanischen  nennt  man  es:  spirits)  enthält 
nun  die  Seelen  Gestorbener  jedes  Alters  und  Geschlechts. 
Das  Muotesheer  in  Schwaben,  von  dem  man  sagt  es  sei 
eine  v  e  r  w  u  n  s  c  h  e  n  e  F  r  a  u ;  ein  Ermahner,  die  dem  treuen 
Eckart  des  thüringischen  Holdazuges  entsprechende  Ge- 
stalt s.  o.  S.  92  fgg.  fahre  voraus,  ist  eine  Schar  von  ganz 
verschiedenen  Menschen  alten  und  jungen,  von  Män- 
nern und  Weibern,  die  mit  wildem  Lärm  durch  die 


1)  Dieselbe  Vorstellung  enthält  die  schwäbische  Sage,  dass  die  wilden 
Jäger  zu  Herrenburg  in  Schwaben  (Meier,  Schwab.  Sagen  S.  142.  No.  1G2) 
auf  einem  Wagen  mit  4  Katzen  durch  die  Luft  fahren,  gradeso  wie  Freyja 
mit  Katzen  d.  i.  mit  Wolken  fährt  s.  oben  S.  197.  Zu  dieser  Seite  wäre 
auch  naclizutragen  dass  bei  Afzelius  übersetzt  von  Ungewitter  III,  192  ein 
Bergriese  in  Schoningeu  als  Luchs  erscheint  vergl.  oben  S.  194,  ein  an- 
derer Bergriese  zu  Gjemoe  in  Blekingen  3  Tage  laug  in  Gestalt  eines  Geiers 
vergl.  oben  S.  160  auf  einem  Hügel  Halleberg  sitzt,  vor  dem  Menschen  und 
Tiere  sich  flüchten,  bis  man  am  dritten  Tage  einen  wilden  Stier  ins  Freie 
lässt,  den  der  Riese  alsbald  fortträgt  und  verzehrt. 


272 

Luft  brausen  ').  Man  hört  aus  diesem  Zuge  Gesang  von 
den  jüngsten  und  feinsten  Kinderstimmen,  bis  zu 
den  gröbsten  und  ältesten  Männerstimmen^).  Als 
einmal  das  Muotesheer  im  Sturm  daberfahrend  ein  Haus 
umreifst,  klemmt  sich  einer  der  Geister,  ein  kleiner  Knabe, 
in  einem  Balken  ein  ^).  Oft  wird  es  hervorgehoben,  dass 
zu  Frau  Holdas  wütendem  Heer  die  Seelen  der  unge- 
tauften  Kinder  fahren.  Wenn  es  uns  nun  berichtet 
wird,  dass  diese  Göttiu  die  in  ihr  Gefolge  oder  ihren  Brun- 
nen geraubten  kleinen  Kinder  neugeboren  auf  die  Erde 
zurückschickt  und  aus  eben  demselben  Brunnen,  der  der 
Wohnsitz  der  Geister  jedes  Alters  und  Geschlechts  ist, 
die  Neugebornen  überhaupt  kommen,  so  ergiebt  sich  deut- 
lich folgende  Vorstellung.  Die  zur  Himmelshöhe  empor- 
geschwebten  Seelen  warten  in  Gemeinschaft  der  Götter 
zumal  im  Wolkenbrunnen  bei  Holda,  bis  sie  zu  neuer  Ge- 
burt in  einem  anderen  Körper  auf  die  Erde  gesandt  wer- 
den. Der  Storch  oder  der  Marienkäfer  bringt  die 
Seelen  den  gebärenden  Frauen  zur  Menschenwelt  herab. 
Hieraus  entstand  durch  Localisierung  des  himmlischen  Brun- 
nens oder  Berges  auf  der  Erde  und  durch  die  Verallgemei- 
neruno;  des  Begriffes  der  Seele  in  Seele  und  Leib  zusam- 
men  die  Ammenrede,  dass  die  Wickelkinder  aus  Brunnen 
oder  Bergen  geholt  werden,  oder  dass  der  Storch  die  Kin- 
der bringe  ■*).  Freilich  waren  die  Seelen  herangewachsener 
Menschen  nicht  ohne  Weiteres  fähig,  in  menschliche  Kör- 
per als  Kinder  zurückzukehren,  sie  bedurften  erst  der  Er- 
neuerung.   Eine  niedersächsische  Sage  erzählt,  dass  Wald- 


1)  Meier,  Schwab.  Sagen  136.  No.  151. 

2)  Meier  a.  a.  0.  S.  140.  No.  157. 

3)  Meier  a.  a.  O.  S.  140.  No.  158. 

4)  Auch  im  Kinderreim  ist  die  Erinnerung  davon  erhalten,  dass  der 
Storch  aus  dem  Brunnen  die  Kinderseelen  holt:  Stork  stork  steine  mit  de 
lange  beine  mit  de  korze  knie!  Jungfrau  Marie  hat  e  kind  gefunne 
in  dem  kleine  brunne.  Wer  solls  hebe?  Der  petter  mit  der  gese  (d.  i. 
der  Pate  mit  der  Gote,  Taufpatin).  Wer  soll  die  winnel  wasche?  De  raäd  mit 
der  plapperdäsche.     Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  475,  2. 


273 

minchen  (der  Name  ist  entstanden  aus  waltminne)*)  eine 
der  Holda  identische  Göttin  ein  unartiges  Mädchen  in  ihre 
Berghöle  holt.  Darin  sind  viele  kleine  Kinder,  mit  denen 
das  Mädchen  auf  eine  Wiese  läuft,  Blumen  pflückt  und 
spielt.  Als  das  kleine  Mädchen  sich  auch  hier  nicht  besser 
aufführt,  trägt  Waldminchen  es  zu  einer  Mühle,  worin  Wei- 
ber und  Männer  jung  gemahlen  werden  und  lässt  es  hier 
gutgeartet  aus  der  Mühle  hervorgehen  ^).  Diese  verjün- 
gende Kraft  steht  nun  auch  dem  Jungbrunnen  zu  (Mjth.^ 
554),  den  schon  Wolf,  Beiträge  I,  167  als  dem  Kinder- 
brunnen der  Holda  identisch  erkannte^). 

§.  3.     Frau  Rose,  Gode,  Sole. 

Ein  weitverbreitetes  Kinderspiel  bewahrt  uns  die  Dar- 
stellung der  Göttin,  die  die  Seelen  der  Kinder  auf  dem 
Schofse  trägt.     Ich  kenne  davon  folgende  Fassungen: 

1)  In  Pommerellen  setzt  sich  ein  Mädchen  „öle 
möder  Rose"  oder  öle  möder  Taersche  (d.  i.  töwer- 
sche)  ■*),  Zauberin,  Hexe  genannt,  auf  einen  Stuhl,  oder  die 


1)  Vergl.  Myth.*  405.  üeber  die  Sage  von  Waldminchen  siehe  auch 
Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,   85. 

2)  Colshom,  Märchen  und  Sagen  S.  92.  No.  31. 

3)  Beizubringen  ist  hier  noch  die  merkwürdige  Sage  bei  Rocholz,  Sagen 
des  Aargaus  I,  S.  221 — 241.  Ko.  167.  Zu  Tegernfelden  wohnt  eine  weirse 
Jungfrau  im  Berge.  Darin  sind  mehrere  heUe  Säle.  Ringsum  an  den  Wän- 
den sitzt  eine  Reihe  uralter  Männer  im  Schlaf  eingenickt,  Seelen  nach  dem 
ausdrücklichen  Zeugnis  der  Sage  S.  237.  An  der  Rückwand  aber  steht  ein 
grofser  Eichentrog.  Ein  zweites  Zimmer  ist  voll  schlafender  Jünglinge 
und  Jungfrauen.  Auch  hinter  ihnen  steht  ein  Eichen  trog.  In  einem 
dritten  Zimmer  schlafen  vor  einem  Eichentrog  eine  Unzahl  kleiner  Kinder.  — 
Eüie  Variante  dieser  Sage  sagt  aber,  die  Jungfrau  von  Tegernfelden  hege  im 
Berge  alle  Ungebornen,  die  liegen  im  Kleinkindertrog.  Von  hier  kom- 
men alle  kleinen  Kinder,  die  in  Tegernfelden  geboren  werden.  Stirbt  ein 
Kind  noch  ungetauft,  so  kommt  es  wieder  in  den  Berg  zurück  und  in  den- 
selben Trog  hinein,  stirbt  es  aber  erst  nach  etlichen  Wochen  oder  nimmt  die 
weifse  Frau  es  wieder  zu  sich,  weil  die  Mensclien  sein  nicht  wert  gewesen, 
so  hat  es  nicht  mehr  in  seinem  vorigen  Troge  Platz,  sondern  kommt  in  ei- 
nen andern,  der  tiefer  innen  im  Berge  ist.  Es  ist  klar,  dass  auch  in  der  er- 
sten Variante  die  Seelen  der  verschiedenen  Altersstufen  i  m  Troge  lagen,  statt 
daneben.  Zeigt  sich  hier  nun  freilich  eine  Scheidung  der  Seelen  verschiede- 
nen Alters,  so  lässt  die  gleiche  Weise  der  Beherbergung  doch  vermuten  dass 
alle  diese  Seelen  zur  Wiedergeburt  bestimmt  waren.  . 

4)  S.  Hennig,  Preufs.  WB.  s.  v.  Theersche. 

18 


274 

platte  Erde,  ihr  auf  den  Schofs  eins  über  dem  andern  die 
mitspielenden  Kinder,  aufser  einem  das  wieder  ein  Mäd- 
chen zu  sein  pflegt.  Dieses  kommt  hinkend  herzu  und 
fragt  das  oberste  Kind:  „Wont  duar  de  öle  moder  Rose?" 
„Treppken  höcher"  lautet  die  Antwort.  Dieselbe  Frage 
und  Antwort  wiederholt  sich  bei  dem  zweitobersten  Kinde 
und  so  die  ganze  Reihe  herunter  bis  auf  das  zu  unterst 
sitzende,  „Best  do  de  ole  möder  Rose?"  „Jua.  Wat 
willst?"  „En  plasterke  för  min  schewen  fot."  Die  alte 
Mutter  Rose  giebt  ihr  das  oberste  Kind.  Bald  kommt  sie 
zum  zweitenmal  angehumpelt,  fragt  die  ganze  Reihe  durch 
und  bittet  nochmals  um  ein  Pflaster.  Das  vorherige  giebt 
sie  vor  verloren  zu  haben,  oder  die  Katze,  der  Hund 
hätten  es  gefressen.  Nach  längerem  Hin-  und  Herreden 
erhält  sie  das  zweite  Kind,  auf  gleiche  Weise  das  dritte 
und  so  fort,  bis  Mutter  Rose  allein  übrig  bleibt.  Die  vom 
Schofs  abgeholten  Kinder  haben  sich  neben  einander  auf 
den  Boden  hingekauert  und  erhalten  nun  von  der  Hinken- 
den Hundenamen  (Packan,  Bello,  Ami  u.  s.  w.).  Dar- 
auf geht  Jene,  die  Mutter  Rose  zumKaffee  einzula- 
den. Kaum  naht  dieselbe  sich,  so  fahren  die 
Hunde  mit  Gekläff  auf  sie  zu  und  macheu  die  Ge- 
berde des  Zerreifsens '). 

2)  In  Tübingen  steht  einer  Reihe  von  Mädchen  die 
Mutter  gegenüber  und  fragt:  „Wo  ist  die  Frau  Ros?" 
Dann  sagt  die  erste  an  dem  einem  Ende  der  Reihe  „hin- 
ter mir."  Hierauf  fragt  sie  die  zweite  „Wo  ist  die  Frau 
Ros?"  Die  sagt  ebenfalls  „hinter  mir."  Dann  schlägt  die 
Mutter  die  erste  und  sagt:  „warum  hast  du  gelogen?"  So 
geht  es  nun  die  ganze  Reihe  durch.  Die  letzte  aber  ant- 
wortet auf  die  Frage  der  Mutter:  „ich  höre  nichts  auf 
meinem  linken  Ohr!"  Die  Mutter  fragt  aber  weiter 
auf  dem  rechten  Ohr,  oder  sonst  die,  welche  oben  am 


1)  In  dieser  Form  habe  ich  das  Spiel  namentlich  noch  im  Winter  1854 

56    in  einer  Armenschule    in   Danzig,    wo    das    unterste    Kind    ,,61e    moder 

Taersche    genannt   wurde,    und   im   Sommer    1855  wiederum   in  St.  Albrecht 
bei  Danzig  beobachtet,  wo  man  Mutter  Rose  sagte. 


275 

Anfang  der  Reihe  steht:  „Wo  hast  du  des  Herrn  Schlüs- 
sel nadon?  (hingetan?)."  „Auf  den  Ofen."  Die  Mutter: 
„Er  liegt  nimme  au£Pem  Ofe."  „Na  da  ist  er  verschmölze." 
Mutter:  „Wart  nur,  das  sag  ich  dem  Herre."  „Ich  gib  dir  e 
Butterbrod."  „I  tu's  nit."  „I  gib  dir  e  viertel  Him- 
melreich." „I  tu's  nit."  „I  gib  dir  das  halbe  Him- 
melreich." —  Die  Mutter:  „I  tu's  nit."  „I  gib  dir  das 
ganzeHimmel  reich  und  all'  meine  Kleider."  Die  Mut- 
ter: „Meintwege."  Darauf  nimmt  die  Mutter  die  Kinder 
bei  der  Hand  und  führt  sie  im  Kreise  herum,  indem  sie 
spricht : 

Guck  übersehe  und  lache  nicht, 

Wer  lacht,  der  is  e  Teufele, 

Wer  nit  lacht  is  en  Engele. 
Nun  lacht  eins  aus  der  Reihe  und  ist  dann  das  Teufele. 
Hierauf  fragen  die  Kinder:  „Derf  i  zu  des  Teufels 
Hochzig?"  Die  Mutter:  „I  will  de  Teufel  vor  anbinde." 
Dann  tut  sie  als  ob  sie  ihn  festbinde.  Indem  die  Kinder 
nun  zur  Hochzeit  gehn  und  am  Teufel  vorüberziehn,  sucht 
er  sie  zu  fangen.  Sie  flüchten  zur  Mutter;  allein  zuletzt 
fängt  der  Teufel  doch  alle,  aufser  der  Mutter,  und  macht 
sie  zu  Teufeln  '). 

3)  Stöber  führt,  Elsässisches  Volksbüchlein  S.  38,  un- 
ter den  Spielen  der  elsässischen  Kinder,  bei  denen  nicht 
grade  Sprüchlein  oder  Lieder  vorkommen,  auf:  „Frau 
Ros." 

4)  Im  schweizerischen  Aargau  tritt  ein  Kind  vor,  die 
andern  erwiedern  seine  Frage: 

Frager:  Wo  hocket  d'  Frau  Rose?  —  Kinder:  obe  dra. 
Fr.:  Was  het  sie  a?  —  K.:  Wifs  und  schwarz. 
Fr.:  Was  no  derzue?  —  K.:  e  neues  paar  schueh. 
Fr.:  I  hett  gern  es  huendli  (Hühnchen)  gha;  s'ist  mer 

i  d'  aesche  g'falle. 
Frau  Rose:  Hebs  üf  und  wäsch's.    —  Frager:   es  wott 

net  loh. 


1)  Meier,  Kinderreime  aus  Sclnvaben  113.  114. 

18 


276 

iFr.  R. :  Gib's  em  huud.  —  Fr.:  s'ist  net  gesund. 

Fr.  R. :  Gib's  der  chatz.  —  Fr.:  s'ist  net  g'schmack. 

Fr.  R.r  Gib's  em  chnecht.  —  Fr.:  s'ist  gar  et  recht. 

Fr.  R. :  Se  gib's  der  müs.    —   Fr.:  Sie  springt  obe  zur 
first  US. 

Fr.  R.:  Gib's  em  nigel. 

Fr.:   Er  springt   d'   wand  üf  und  ab  und  bringt's  mer 
wieder. 

Fr.  R.:  So  nimms  vorab,  und  brechet  ehm  ekeis  füefsli  ab. 
Das  fragende  Kind  nimmt  nun  ein  Stöcklein,  lässt  das  aus- 
gewählte am  andern  Ende  anfassen  und  um  sich  herum- 
tanzen. Wird  es  dabei  schwindelig  oder  lachts,  so  ist's 
ein  Rüppel  (Teufel),  ein  Rubel  (Dummkopf),  wo  nicht, 
so  ist's  ein  Engel'). 

5)  In  Appenzell  heifst  unser  Spiel  „das  engeli  üf- 
zücha"  (das  Englein  aufziehen).  Die  mitspielenden  Kinder 
hocken  sich  der  Reihe  nach  auf  die  Unterschenkel,  eines 
ausgenommen,  welches  die  sitzenden  später  aufzuheben  hat. 
Die  erste  der  Reihe  heifst:  Marei  Muetter  Gottes. 
Zu  dieser  tritt  das  umhergehende  Kind  und  fragt:  „Tar 
i  en  engeli  üfzücha?"  M.  G.:  „Jo. "  Chas  tanza? 
M.  G. :  „Jo."  Dann  hebt  das  umgehende  Mädchen  eins 
der  hockenden  an  den  Armen  ziehend  empor  und  tanzt  mit 
ihm.  Dabei  muss  das  letztere  unverwandt  gen  Him- 
mel schauen;  lacht  es  dann,  so  kommt  es  unter  die 
Schar  der  Teufel,  bleibt  es  ernst  unter  die  der  Engel. 
So  geht  es  mit  allen  Kindern  der  Reihe  nach,  bis  die  Mut- 
ter Gottes  allein  übrig  bleibt.  Das  umgehende  Kind  fragt 
sodann  diese,  ob  sie  nicht  zu  ihm  auf  Nachmittagsbe- 
such kommen  wolle.  „Frau  Bas  wönd-er  so  guet  se,  ond 
wönd-er  zuemer  zuer  stoberta  cho?"  M.  G.:  „Nei,  si 
hend  böse  hönd  (Hunde)."  „Jo  se  sönd  jo  an  zwenzg- 
fache  chetta  n'abonda."  M.  G.:  „Jo  so  wil  i  ehe  cho." 
Dieselben  Fragen  werden  auch  an  die  Engel  gerichtet, 
worauf  diese  miteinander  an  den  Teufeln  vorbeigehen.   Kei- 


1)  Eocholz,  Alemannisches  Kinderlied  u.  Kinderspiel  II.  No.  67.  S.  436. 


277 

ner  will  aber  zuerst  näher  treten.  Sie  stofsen  einander  an 
und  lärmen:  „Gang  du  z'erst."  Endlich  wagt  es  ein  En- 
gel. Die  Teufel  fallen  grimmig  über  ihn  her,  die  Engel 
eilen  ihm  zu  Hilfe  und  es  entspinnt  sich  ein  Kampf,  der 
so  lange  dauert,  bis  sich  beide  Parteien  müde  gebalgt 
haben  '). 

6)  In  der  Umgegend  von  Dünkirchen  und  Hazebrouk 
hocken  die  Kinder  auf  der  Erde,  hinter  ihnen 
sitzt  Maria  auf  einem  Stuhl.  Ein  anderes  Kind  geht 
um  die  Gruppe: 

„Kintje  Jesus  is  ons  Vrouwje  't  huis?" 

Neen,  zy  is  int  achterhuis. 

„"Wat  doet  zy  daer?" 

Haer  her  kämmen. 

„Met  wat  kam?" 

Met  een  goud  kam. 

„Wat  heeft  zy  verlooren?" 

Eene  goude  krooue. 

„En  wat  uog?" 

Een  goude  krog. 

„Zegt  dat  zy  wat  vooren  komt!" 

Ons  Vrouwje  komt  vooren. 

„'K  zoude  geern  een  van  uwe  schoonste  schaapkens 
h ebben" 

Ja,  gript,  maar  't  schoonste  uiet  ^). 


1)  Tobler,   Appenzeller   Sprachschatz  S.  169.      Vergl.  Rocholz   a.  a.  O, 
No.  65.  S.  444. 

2)  Kind  Jesus  ist  U.  1.  Frau  zu  Haus?  —   Nein  sie  ist  im  Hinterhaus. 

—  Was  macht  sie  da?  —  Ihr  Haar  kämmen.  —  Mit  was  für  'nem  Kamm? 

—  Mit  goldenem  Kamm.  —  Was  hat  sie  verloren?  —  Eine  Goldkrone.  — 
Was  noch?  —  Einen  goldenen  Trog. Sagt,  was  ist  das,  was  da  hen'orkommt? 

—  U.  1.  Frau  konmit  hers'or.  —  Ich  wollte  gern  eins  von  deinen  schönsten 
Schäfchen  haben.  —  Ja  greif  dir  eins,  nur  das  schönste  niclit.  —  Louis  de 
Baecker,  De  la  rcligion  du  Nord  de  la  France  devant  le  christiauisme.  Lille 
1854.  S.  170.  In  diesem  übrigens  durchaus  unselbständigem  und  fehlerhaftem 
Buche  findet  man  S.  133.  162.  169.  171.  178  u  s.  w.  einen  Teil  der  in  diesem  Ab- 
schnitt ,,Holda  und  die  Nomen"  gedeuteten  Kinderlieder  nach  meiner  Auffas- 
sung erklärt.  Ich  hatte  nämlich,  damals  Berliner  Student,  im  Märzmond  1853 
Herrn  de  Baecker  auf  eine  an  Mafsmann  gcriclitete  Frage  nach  dem  Ursprung 
der  Kinderlieder,  mit  einer  mehrere  Bogen  starken  Abhandlung  geantwortet 
und  ihm  in  kurzen  Zügen  mythischen  Gehalt  in  einer  Keihe   von  Ueberliefe 


278 

7)  In  Hemer  in  Westphalen  (Grafschaft  Mark)  setzen 
sich  die  Kinder  so  nieder,  dass  das  erste  dem  zweiten, 
das  zweite  dem  dritten  u.  s.  w.  auf  dem  Schofse  sitzt. 
Eins  (der  Käufer)  geht  umher  einen  Stab  in  der  Hand  tra- 
gend und   singt: 

Schaspken  imme  schote 
vi  laipen  all  te  hope, 
laipen  in  de  wintergiärste 
un  fräten  ues  te  biärste. 
Ingank,  ütgank  — 

bu  hett  de  küenink  van  Engellant? 
Der    Käufer   stellt    sich    darauf   neben    dem    hintersten 
Kinde  auf,  berührt  es  mit  seinem  Stabe  und  fragt: 
„Hett  i  en  schsepken  te  verkopen?" 
Ja. 

„Bat  sali  et  kosten?" 
Twe  daler. 
„Bu  hett  et? 
Der  Name. 
Nun  geht  der  Käufer  zu  dem  genannten,  fasst  mit  beiden 
Händen  seinen  Stab,  stellt  sich  vor  ihn  und  macht  Faxen, 
um  ihn  zum  Lachen  zu  bringen.    Gelingt  dies,  so  ist 
das  Schäfchen  gekauft^). 

8)  Im  westphälischen  Orte  Hemschlag  setzen  sich  die 
Kinder  auf  den  Boden,  eins  dem  andern  in  den  Schofs, 
bis  auf  eins,  das  herumgeht.    Dieses  hat  ein  Stöckchen  in 


rungen  dargelegt,  in  denen  ich  einen  solchen  bis  zu  jener  Zeit  erkannt  hatte. 
Im  Herbst  1853  fügte  ich  von  Tübingen  aus  einige  weitere  Mitteilungen  hinzu, 
indem  ich  Herrn  de  Baecker  um  flandrische  Varianten  zu  der  gröfseren  Masse 
der  in  gegenwärtigem  Abschnitt  behandelten  Kinderlieder  befragte.  1854  er- 
schien obengenanntes  Buch,  in  welchem  ich  zu  nicht  geringem  Erstaunen  den 
Inhalt  meiner  Briefe  unverarbeitet,  niu-  durch  üble  Misverständnisse  und  Text- 
verdrehungen entstellt  als  eigene  Forschung  des  Herrn  de  Baecker  wiederfinde. 
Indem  ich  mein  ui-sprüngliches  Eigentum  reclamiere,  sage  ich  Herrn  de  Baecker, 
der  sich  durch  die  Gründung  des  Comite  Flamand  de  France  ein  besseres 
Verdienst  envorben  hat,  als  durch  seine  Scliriften,  Dank,  dass  er  wenigstens 
auf  diesem  Wege  die  von  mir  erbetenen  Varianten  der  Forschung  zugänglich 
gemacht  hat,  und  gebe  ihm  die  Ermächtigung  auch  diese  Anmerkung  für  seine 
Landsleute  ins  Französische  zu  übertragen. 

1)  Woeste,  Volksüberlieferungen  aus  der  Grafschaft  Mark  S.  11,  4. 


279 

der  Hand,  klopft  damit  dem  vordersten  auf  den  Fufs  und 
spricht:  „Wo  steht  die  Frau  Rose?"  Oben  aus.  „Ich 
wollte  gern  ein  schmutziges  Hammellämmchen  haben." 
Du  hast  gestern  und  vorgestern  eins  gekriegt.  „Eins  ist 
mir  übers  Brückelche  gegange  und  hat  mirs  Kückel- 
che  gebroche.  Eins  ist  mir  ins  Born  che  gefalle  und  hats 
Hörnche  zebroche.  Eins  ist  mir  übers  Mistche  gegange 
und  ist  mist- mistfaul  geworde."  Dann  solltest  du  dirs  ge- 
salzen haben.  „Ich  hatte  kein  Salz."  Dann  solltest  du 
dirs  gelehnt  haben.  „Die  Leute  wollten  mir  keins  lehnen." 
Dann  solltest  du  dirs  geborgt  haben.  „Die  Leute  wollten 
mir  keins  borgen."  Dann  solltest  du  dirs  gestohlen  haben. 
„Dann  hätte  man  mich  an  den  höchsten  Baum  gehenkt, 
der  im  Walde  ist." 

Nun  sprechen  alle:  „Dann  nimm  dir  das."  Jetzt  fasst 
das  umhergehende  Kind  das  Stöckchen  an  beiden  Enden; 
das  vorderste  der  Sitzenden  ergreift  dasselbe  in  der  Mitte 
und  richtet  sich  dran  empor.  Jenes  fragt:  „Was  hast  ge- 
gesse?"  —  Gillegresse.  —  „Was  hast  getrunke?"  —  Gil- 
lefunke.  —  „Wo  hast  gelege?"  —  Im  Heu.  —  „Was  hast 
du  gesehn ? "  —  Ein  rot  Vögelchen.  —  „Dann  guck  in 
die  Höh  und  lach  tüchtig."  So  gehts  die  Reihe  durch, 
dann  ist  das  Spiel  aus  '). 

9)  In  Holstein  sitzen  Mädchen  in  einer  Reihe  ein- 
ander auf  dem  Schofs.     Eine  fragt  die  Reihe  entlang: 

„Woniem  Avant  Mutter  Marie?  (oder  Fru  Rosen)" 

kann  nich  hören  op  min  rechtes  ohr, 

kann  nich  hören  min  linkes  ohr. 
Bei  der  letzten: 

„Is  se  Mutter  Marie  (Fru  Rosen)?" 

kannst  mi  dat  nich  ansen? 

ik  schlTip  nich, 

ik  wäk  nich, 

ik  bin  nich  in  dröm. 

„Kann  ik  nich  cn  van  är  lamm  er  kr  igen?" 

1)  Mitteilung  des  Lehrer  Kulm  in  Ilemschlag. 


280 

Hest  ja  erst  gistem  en  kragen. 

„Dat  lach  nich,  dat  schach  nicb, 

dat  wis  de  lütten  witten  taen. 

dat  Sprung  aewert  heck  un  füll  in  den  dreck. 

ik  leg  em  op  de  bank,  do  wer  he  as'n  ael  so  lank 

ik  leg  em  op  de  er,  do  wörd'  he  as  en  scher, 

ik  leg  em  in  de  weg,  do  wörd  he  asn  fleg. 

ik  leg  em  op  de  flnsterbank, 

do  kem  de  eische  wulf  un  häl  em  weg." 

Harst  man  en  bäten  seit  opstreien  schult. 

„Ik  harr  niks." 

Harst  dl  ja  man  en  bäten  lenen  kunnt. 

„Nabers  wuUen  mi  niks  lenen." 

Harst  di  wat  köpen  kunnt. 

„Ik  harr  ken  gelt." 

Harst  di  wat  borgen  kunnt. 

„Se  wuUen  mi  niks  borgen." 

Na,  denn  nimm  di  fasr  en  weg 

un  slüt  achter  wedder  to. 
Sie  nimmt  die  erste  aus  der  Reihe,  tut  dann,  als  wenn  sie 
vor  der  nächsten  die  Türe  abschliefst  und  nun  muss  die, 
welche  aufgenommen  ward,  dreimal  ohne  zu  lachen 
über  einen  Strich  springen.  Gelingts  ihr,  so  kommt 
sie  in  den  Himmel,  lacht  sie  aber,  so  kommt  sie  in  die 
Hölle.  Zuletzt,  wenn  alle  Mitspielenden  so  verteilt  sind, 
fassen  sich  die  Mutter  Marie  und  die,  welche  bisher  fragte, 
bei  den  Händen;  die  aus  dem  Himmel  hängen  sich  an 
jene,  die  aus  der  Hölle  an  diese,  und  es  gilt,  welche  von 
beiden  Parteien  im  Zerren  die  stärkste  ist  '). 

In  Altena  sagt  das  oberste  Eaud  auf  die  Frage  „Wänt 
dar  frü  Rös?":  Achter  mi  oppen  bliernen  knopp;  die  fol- 
gende: Achter  mi  oppen  missiugnen  knopp  u.  s.  w. ;  die 
beiden  letzten:  Achter  mi  oppen  sülvernen  knopp.  Achter 
mi  oppen  gollnen  knopp  ^). 


1)  Müllenhoff,  Schleswigholst.  Sagen  S.  486.  No.  7. 

2)  Mitteilung  des  Cand.  J.  v.  d.  Smissen. 


281 

10)  Zu  Perleberg  in  der  Priegnitz  setzt  Frau  Rose 
eine  Anzahl  Kinder  eins  über  dem  andern  hockend  auf  ih- 
ren Schofs.  Ein  Kind  geht  als  Käufer  herum  und  fragt: 
„Wo  wont  frü  Rosen?"  Antw. :  Kort  achter  mi.  Dieselbe 
Frage  und  Antwort  wiederholt  sich  bis  zu  Frau  Rose,  die 
die  Frage  bejaht.  Jetzt  beginnt  ein  Handel  um  ein 
Lämmchen.  Hat  Frau  Rose  das  vorderste  abgegeben, 
so  fassen  sich  dieses  und  der  Käufer  an  die  rechte  Hand, 
drehen  sich  im  Kreise  um  und  der  Käufer  singt: 

Fru  Rose  het  mi'n  lämmken  dön 
da  sal  ik  mit  uppen  danzboden  gän. 
Dann  steht  sie  still  und  der  Käufer  fragt  das  Lamm: 
„Wat  wistu  äten?"  —  Kol  un  speck.  —  „Wat  wistu  drin- 
ken?"  —  Win  un  ber.  —  „Wat  krüpt  dar?"  (auf  die  Erde 
zeigend).  —  Ne  müs.  —  „Wat  flügt  da?"  —  'n  Vogel. 

11)  Zu  Lenzen  in  der  Priegnitz  nahe  der  meklenbur- 
gischen  Grenze  heifst,  nach  der  Mitteilung  des  Rector  Ul- 
rici  daselbst,  das  unterste  Kind,  dem  die  andern  auf  dem 
Schofse  sitzen,  heutzutage  frü  Göden,  oder  in  abge- 
schwächter Form  frü  Göl.  Dr.  Roeper  in  Danzig,  der 
aus  Lenzen  gebürtig  ist,  wusste  sich  aus  der  Uebung  sei- 
ner Jugend  mit  Bestimmtheit  der  Form  frü  Gode  und 
nur  dieser  zu  erinnern.  Das  herumgehende  Kind  fragte: 
„Wo  wänt  frü  Gode?"  Die  Antwort  war:  „Kort  achter 
mi."  Heutzutage  lautet  die  Antwort  kat  (oder  kol,  beides 
aus  kort)  achter  mi.  Kommt  die  Fragende  zur  Frau  Gode, 
so  antwortet  diese:  Ik  bin  her  sülwst.  „Kann  ik  nich  en 
fett  lämmken  krign?"  Se  het  irscht  gistern  ens  krau.  Wo 
het  se't  denn  läten?  —  „De  is  mi  öwern  tun  Sprüngen." 
—  Worum  hest't  nig  nich  wiss  holln?  —  „Ik  harr'n 
gröt  knäken  in't  ben."  —  Wo  lang?  —  jjWie  en 
bank."  —  Wo  gröt?  —  „Wie'n  brot."  —  Worum  hest 
em  ken  solt  uppen  swanz  streit?  —  „Ik  harr  ken  solt."  — 
Worum  hest  di  ken't  stolen?  —  „Det  het  min  vader  un 
mudder  allwegs  verboden."     Denn  nemm  di  den  irschten. 


1)  Mitteilung  des  Director  Victor  in  Peiieberg. 


282 

Nun  singt  die  Fragerin;  „Frü  Goden  het  mi'n  fett 
lämmken  gäwen,  raet  em  da  sali  ik  in  freiden  läwen.  Wat 
krüpt  da?"  —  Das  abgeholte  Kind;  ene  müs.  —  „Wat 
fleit  da?"  —  en  voal  (Vogel).  Nach  diesen  Fragen,  die 
das  fortgeholte  Kind  beantworten  muss,  sagt  die  Fragerin 
zu  ihm:  „Drei  di  dreimal  um  un  lach  nich."  Lacht  es 
dann,  so  ist  es  des  Teufels  Kind,  lacht  es  nicht,  so  ist  es 
Gottes  Kind.  Wenn  alle  sammt  Frau  Gode  fort  sind^  fängt 
das  Spiel  von  Neuem  an. 

In  der  angegebenen  Form  scheint  das  Spiel  weiter  in 
Meklenburg  verbreitet  zu  sein.  Der  Hilfsprediger  Günther 
in  Eldena  gab  in  einem  Aufsatz  über  Sagen  von  Frau 
Gode  in  Meklenburg ')  folgende  Notiz :  Frau  Gauden  liebt 
insonderheit  kleine  Kinder  und  beschenkt  sie  mit  allerlei 
guten  Gaben.  Darum  singen  auch  die  Kinder,  wenn  sie 
Fru  Gauden  spielen: 

Fru  Gauden  het  mi'n  lämmken  gewen, 
därmit  sali  ik  in  freuden  lewen. 

12)  In  Pankow  bei  Berlin  zeichnete  ich  folgende  Va- 
riante auf.  Das  unterste  Kind  heilst  „Mutter  Tepper- 
chen."  Ihm  sitzen  die  anderen  Kinder  auf  dem  Schofs 
bis  auf  das  herumgehende.  „Wohnt  hier  Mutter  Tepper- 
chen?"  —  Ein  Treppchen  höher.  —  Nachdem  die  Keihe 
durchgefragt  antwortet  Mutter  Tepperchen:  Ja  hier  wohnt 
sie,  was  willst  du  denn?  —  „Einen  Eosentopp."  —  Such 
dir  einen  aus. 

Das  herumgehende  Kind  sucht  sich  eins  von  den  sitzen- 
den aus  und  bringt  es  an  einen  abseits  gelegenen  Ort.  Dann 
kommt  es  wieder  und  verlangt  nacheinander  einen  Nelken- 
topp, einen  braunen  Topp  u.  s.  w.,  bis  Mutter  Tepperchen 
allein  bleibt.  Dann  versteckt  sich  das  herumgehende  Kind 
hinter  den  geholten.  Mutter  Tepperchen  kommt  um  sich 
die  Bezahlung  für  die  Töpfe  zu  fordern:  Ist  der  Herr  zu 
Hause?  —  „Nein."  —  Wann  kommt  er?  —  „In  zwei 
Stunden."    —   Mutter  Tepperchen   geht   fort,    kehrt    aber 


1)  Lisch,   Mekleub.  Jahrbücher  VIII,   202— 205.     Daraus  Myth.*  879. 


283 

nach  einiger  Zeit  zurück  und  wiederholt  die  Frage.  —  „Der 
Herr  zieht  sich  au,"  lautet  die  Antwort.  —  Mutter  Tep- 
perchen  geht  abermals  fort.  Da  läuft  das  versteckte  Kind 
vor  die  Reihe  heraus  und  Mutter  Tepperchen  sucht  es  zu 
haschen. 

13)  In  Wolfs  Belgischen  CoUectaneen  finde  ich  die 
leider  nur  unvollständige  Aufzeichnung  einer  französischen 
Variante.     Das  herumgehende  Kind  spricht; 

Je  suis  pauvre,  je  suis  pauvre, 

Anne  Marie  Jaqueline, 

Je  suis  pauvre  dans  ce  jeu  d'ici. 
Die  sitzenden  antworten: 

Je  suis  riche,  je  suis  riche, 

Anne  Marie  Jaqueline, 

Je  suis  riche  dans  ce  jeu  d'ici. 


Die  erste; 


Jene; 


Donnez  moi  un  de  vos  enfans, 
Anne  Marie  Jaqueline, 
Donnez  etc.  dans  ce  jeu  d'ici. 


Prenez  celui,  que  vous  voulez. 
14)  In  Schweden  sitzt  Frau  Sonne  (Fru  Sole)  auf 
einem  Stuhl.  Die  sie  umgebenden  Kinder  stellen  Hühn- 
chen oder  Hähnchen  vor.  Ein  uraltes  Mütterchen  kommt, 
auf  einen  Stock  gestützt,  geht  zu  Frau  Sonne  und  klopft 
(knappar  pä).  Frau  Sonne:  „Wer  klopft  da  an  meinen 
vordersten  Ring?  (hvem  är  det,  som  knappar  pä  min  för- 
stugu  ring?)"  Die  Alte  mit  kläglicher  Stimme:  „Eine  alte 
Frau,  zugleich  lahm  und  blind,  sie  fragt  nach  dem  Weg 
zu  Frau  Sonne.  Ist  sie  zu  Hause?"  (Fattig  gumma,  bäd  halt 
och  blind,  fragar  vagen  tili  fru  Sole!  Är  hon  herama?)  — 
Frau  Sonne :  Nein.  —  Die  Alte  weist  mit  dem  Finger  auf 
einen  von  der  Gesellschaft :  „Liebste  Frau  Sonne  bekomme 
ich  das  kleine  Hähnchen  da?  (kära  fru  Sole,  far  jag  den 
der  lilla  tuppen?)"  —  Frau  Sonne:  Nein!  —  Die  Alte 
bittet  inständigst:  „Ach  süfse  Frau  Sonne  (a  sota  fru  Sole)" 
u.  s.  w.,   bis  Frau  Sonne    beistimmt.     Verweigert   diese  es 


284 

«nunterbrochen,  so  bedankt  sich  die  Alte,  als  hätte  sie  be- 
kommen, was  sie  begehrt  und  nimmt  sich  das  Hähnchen. 
Indem  sie  mit  demselben  über  die  Diele  forthinkt,  sagt 
sie:  „Die  Alte  war  nicht  so  lahm,  als  sie  sich  anstellte." 
Darnach  kommt  sie  wieder,  ist  lahm  und  elend,  erneuert 
ihre  Bitten  und  erhält  das  Geschenk,  so  lange  bis  kein 
Huhn  mehr  da  ist.  Die  ganze  Ergötzung  bei  diesem  Spiele 
beruht  auf  der  Art  und  Weise,  wie  Frau  Sonne  und  die 
Alte  ihre  Angelegenheiten  miteinander  verhandeln  ^). 

Dass  uns  im  vorstehenden  Spiel  ziemlich  unverfälscht 
ein  heidnischer  Chorreigen  aufbehalten  ist,  geht  aus  folgen- 
den Gründen  hervor: 

a)  Schon  der  in  No.  5.  6.  9.  vorkommende  Name 
Maria,  dem  sich  Anne  Marie  in  No.  13  anschliefst,  macht 
wahrscheinlich,  dass  unter  dem  untersten  Kinde  ursprüng- 
lich ein  himmlisches,  übermenschliches  Wesen  dargestellt 
wurde.  Da  nun  Maria  häufig  an  die  Stelle  heidnischer 
Göttinnen  trat,  welche  ebenso  häufig  in  dämonische  Gestalt 
verketzert  wurden,  an  Stelle  der  Mutter  Gottes  in  No.  1 
aber  öle  möder  Ttersche  d.  i.  töwersche,  Zauberin, 
Hexe  genannt  wird,  so  ist  klar,  dass  dieser  Fall  hier  an- 
zunehmen ist.  Denn  die  Mutter  des  Herrn  hätte  Niemand 
in  eine  Hexe  umzuwandeln  gewagt.  Auch  der  Name  alte 
Mutter  Teppersche,  alte  Mutter  Tepperken  in 
Berlin  und  Umgegend  ist  aus  tewersche  entstanden,  spä- 
ter aber  in  Töpferin  volksetymologisch  umgedeutet,  da- 
her die  in  No.  12  die  auf  dem  Schofse  sitzenden  Kinder 
als  Töpfe  gefasst  sind,  während  die  andern  Recensionen 
sie  Engel,  Lämmer  oder  Hühner  benennen.  Welche 
Göttin  gemeint  ist,  lernen  wir  aus  No.  11  kennen.  Frau 
Gauden  oder  Gö de,  die  weibliche  Form  von  Wodan,  ist 
eine  andere  in  der  Priegnitz  und  dem  angrenzenden  Mek- 
lenburg  gebräuchliche  Benennung  derHolda^).    Wie  dem 

1)  Arwidson,  Swenska  fornsängor  III.   1843  S.  437.  No.  28. 

2)  Wie  Holda  fährt  Frau  Gaudeu  mit  der  wilden  Jagd  zu  Wagen  durch 
die  Luft.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  No.  2.  Myth.^  877  fgg.  Gleich  Holda 
(Grimm ,  D.  Sag.  No.  8  )    lässt  sie  sich  ihren  Wagen  ausbessern  Myth.  a.  a.  O. 


285 

Wödau  in  Frau  Gode  eine  weibliche  Person  zur  Seite 
steht,  weisen  mittel-  und  oberdeutsche  Stämme  dasselbe 
Götterpaar  unter  dem  Namen  Peralitold  und  Perahta  (Ber- 
thold und  Bertha)  auf.  Da  nun  wiederum  der  wilde  Jä- 
ger Wodan  auch  unter  dem  Namen  Hruodperaht  (Ru- 
precht) der  Ruhmglänzende  auftritt,  so  wird  wahrscheinlich, 
dass  auch  dieser  männlichen  Form  des  Gottes  eine  entspre- 
chende weibliche  zur  Seite  gestanden  habe.  Ich  erkenne 
dieselbe  in  der  Mutter  Rose  in  No.  1.  2.  3.  4.  8.  10.  9  unseres 
Kinderspiels,  deren  Namen  sich  zunächst  an  die  altnordi- 
schen Formen  hrösa  laudare,  decantare,  hros  n.  laus,  en- 
comium;  hrösa  f.  laudatio,  laus;  dän.  ros,  roes,  laus,  fama 
anlehnt.  Dass  der  Name  der  mythischen  Frau  Rose  mit 
dem  von  der  Blume  hergenommenen  Taufnamen  nichts  zu 
tun  hat,  ist  klar;  man  wird  versucht  an  die  mehrfach  vor- 
kommende Diminutivform  von  Hruodo  (=  Hruodperaht), 
Hruozo,  Ruozo  (Urk.  v.  1040  b.  Mabillon;  Mon.  Germ. 
VI,  412),  Rözo  (Mon.  Germ.  IX,  30)  zu  denken,  wozu 
das  Femin.  Röza  (Mon.  Germ.  V.)  sich  findet.  Allein 
abgesehen  davon,  dassHroza,  Röza  in  neuhochdeutscher 
Sprache  Rosse  lauten  müsste,  wie  uns  läzen  zu  lassen 
wird,  so  würde  aus  dieser  rein  oberdeutschen  Form 
die  Verbreitung  des  Namens  Rose  in  den  niederdeutschen 
Fassungen  unseres  Spiels  unerklärt  bleiben. 

Ich  versuche  den  Namen  Rose  daher  auf  folgende 
Weise  zu  erklären.  Vom  Stamme  hruod,  hröd  bildete  sich 
durch  ableitendes  s,  das  unserer  älteren  Sprache  geläufig  ') 


Gleich  Holda  liebt  Frau  Gauden  kleine  Kinder  und  beschenkt  sie  mit  allerlei 
guten  Gaben.  Myth.  a.a.O.  S.  879.  vergl.  Grimm,  D.  Sagen  I.  No.  4. 
Schon  durch  die  von  Schwartz,  Der  alte  Volksglaube  S.  20  gegebene  Aus- 
einandersetzung ist  dargetan,  dass  Frau  Gode,  Gaude  die  im  Gewittersturm 
umfahrende  Wolke  (die  Wasserfrau)  bedeute.  „Sie  fährt,  wenn  der  Sturm 
heult  in  den  Wolken  umher  unter  dem  Gebell  der  sie  umgebenden  Hunde 
(der  Winde)  und  wenn  des  Blitzes  Funken  sprülien,  dann  lässt  sie,  auf  ihrem 
Wege  aufgehalten,  au  ihrem  Wagen  (der  Wolke)  arbeiten,  dass  die  Späne 
(die  Blitzfunkeu)  davon  fliegen.  Erst  wenn  dies  geschehen,  die  Blitze  nicht 
mehr  sprühen,  zieht  die  Göttin  weiter,  der  Gewitterwolken  dahin  toben- 
der Zug  vorüber." 

1)  Vergl.  altn.  ber-si  neben  ahd.  pero,  altn.  biör-n;  gl6-si  flamma  von 
glop ;  häl-sar  neben  halir  viri  fortcs,  up-s  iuja  pars  tecti ;  goth.  ga-run-s  fo- 
rum, platea  von  rinnan,  mhd.  run-s  cursus  u.  s.  w. 


286 

und  besonders  in  starken  Neutris  üblich  war'),  ein  Neu- 
trum hröds,  hrös  Ruhm,  das  einzig  im  Altnordischen  be- 
wahrt ist,  aber  auch  den  südgermanischen  Dialecten  nicht 
gefehlt  haben  wird.  Wie  aus  dem  gleichgebildeten  Neu- 
trum sahs,  ags.  seahs  Messer,  der  Volksname  Sahso,  Seaxa 
in  der  Bedeutung  der  Messerträger  abgeleitet  wurde,  bil- 
dete man  aus  hröds  den  der  zusammengesetzten  Form 
Hruodperaht  gleichbedeutenden  Beinamen  Wodans,  Hruodso, 
Hrödso,  Hröso,  Röso  d.  i.  der  Ruhmträger;  sowie  für  Holda, 
seine  Gemahlin  den  Beinamen  Hrösa,  Rosa  die  Ruhmträge- 
rin.  Sprachlich  wird  meine  Erklärung  durch  das  in  No.  9 
zum  Vorschein  kommende  fru  Rösere  unterstützt,  welches 
auf  ein  schwach  decliniertes  alts.  Rosa,  Gen.  Rösim  zurück- 
weist; aber  auch  sachlich  glaube  ich  dieselbe  durch  die 
Bemerkung  festigen  zu  können,  dass  jener  Hrödso  in  der 
heutigen  Volkssage  noch  erhalten  ist.  In  der  Gegend  von 
Üchte  im  Hannoverschen  nennt  man  nämlich  Wödan-Ha- 
kelberg,  den  wilden  Jäger,  Röds  oder  Her odis  ^)  und  es 
ist  klar,  dass  die  letztere  Form  nur  aus  Hröds  oder 
Hrödso  volksetymologisch  herausgedeutet  ist.  Vom  wil- 
den Jäger  Herodes  und  der  wilden  Jägerin  Herodias  = 
Hrödsa,  Holda  wusste  nun  bereits  die  ältere  Volkssage  des 
Mittelalters  zu  berichten.  Sie  werden  besonders  erwähnt 
von  Burchard  von  Worms  f  10.  Aug.  1025,  der  das  be- 
treffende Capitel  seiner  Decretalensammlung  oder  wenig- 
stens die  Zusätze  dazu  nach  Richters  Vermutung  aus  ei- 
nem fränkischen  Capitular  schöpfte;  Ratherius  Bischof  zu 
Verona  -}-  972,  der  ein  Franke,  aus  Lobi  bei  Cambray  ge- 
bürtig war;  Johannes  von  Salisbury,  der  abwechselnd  in 
Frankreich  und  England  lebte,  f  1182;  und  im  Gedicht 
von  Reinardus  vulpes,  das  an  der  nordfranzösischen  Grenze 
gedichtet  wurde  ^).  Es  scheint  daher  wol  vorzüglich  bei 
Franken  die  Sage  von  Herodias  bekannt  gewesen  zu  sein, 
und  die  Franken  wiederum  sind  es,  bei  welchen  jener  Stamm 


1)  S.  Gram.  II,  266. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   S.  100  fgg. 

3)  S.  Myth.»   Vorrede  XXIV.     Myth.«  260  fgg.   1010. 


287  _ 

hröd  bis  auf  spätere  Zeit  in  der  lebendigsten  Fülle  wal- 
tete. Ob  die  teilweise  abweichenden  italischen  Legen- 
den von  Herodias  ')  ebenso  auf  eine  langobardische  Hrösa 
zurückgehen  ^)  und  auch  auf  die  fränkische  Herodiassage  zu- 
gleich mit  der  Hrösamythe  eine  ältere  romanische  Legende 
von  Herodias  einwirkte,  muss  durch  spätere  Untersuchun- 
gen, bei  denen  namentlich  der  untergeschobene  Augustini- 
sche  Tractat  De  spiritu  et  anima  in  Betracht  kommen  wird, 
festjyestellt  werden. 

Ergab  sich  somit  Rose  in  unserm  Kinderspiel  als  ein 
alter  und  echter  Göttername,  so  wird  auch  Frau  Sonne 
(fru  Sole)  in  der  schwedischen  Fassung  No.  14  als  ein 
solcher  erklärlich.  Frau  Holda,  die  Besitzerin  des  Kin- 
derbrunnens, gewährt  heiteres  Wetter;  sie  wird  gebeten 
die  Tür  der  Wolke  zu  öflhen  und  die  Sonne  aus  dem 
Brunnen  herauszulassen;  und  ihr  Bote  der  Käfer  wird  um 
Sonnenschein  angerufen.  Somit  lag  es  sehr  nahe  die  Göt- 
tin gradezu  als  Sonne  aufzufassen.  Wir  sahen  schon  oben 
S.  246  fgg.,  dass  im  Norden  Freyja  als  die  Herrin  des  Käfers 
galt  und  es  wird  hier  darauf  ankommen  nachzuweisen,  dass 
sie  der  Hulda  ursprünglich  identisch  war,  dass  auch  sie  auf 


1)  S.  Myth.'  260. 

2)  Dies  dürfte  durch  den  Namen  Eosamund  =  Hrosamimd  wahrschein- 
lich werden.  Die  Namen  Chrodmund,  Hruodmunt,  Euadmund,  Rödoman, 
Ilrodliop,  Hrodwin ,  Hruodwin  weisen  nach  unserer  Auseinandersetzung  Zeit- 
sc,hr.  f.  D.  Myth.  III,  130  fgg.  auf  einen  Gott  Hruodo  zurück.  Diesem  Hruodo 
neben  Ilruodso  stünde  als  Femininum  das  ags.  Hre'Se  Myth.^  186.  266.  zur 
Seite.  Gleichbedeutend  ist  ein  aus  der  neben  der  Ä-Forni  hröd  herlaufenden  Ü- 
Fonn  hlüd  gebildetes  Hluda,  s.  Myth.'^  1211.  Zs.  f.  D.  Myth.  11,335.  Die- 
ser Name  Hlüda  ist  aus  dem  Genitiv  Hludanae  =  Hindun  in  einer  Inschrift 
auf  einem  Steine  von  Birten,  der  jetzt  in  Bonn  aufbewahrt  wird,  zu  entneh- 
men: DEAE  HLUDANAE  SACRUM  .  C.  TIBERIUS  VERUS.  Auf  dem 
Monterbcrg  bei  Calcar,  einer  von  Römern  befestigten  Anhöhe,  an  deren  Fufse 
der  Ort  Burginacium  lag,  ist  noch  ein  anderer  Stein  gefunden  mit  der  In- 
schrift: 

DEA .  HLV 
•  ENyE  CEN 


Dr.  L.  Schneider  will  diese  Inschrift  in  DEAE  HLVDENAE  CENSORDH^S 
V.  S.  L.  M.  (votum  solvit  lubens  merito)  ergänzen.  S.  Jahrbücher  des  Ver- 
eins von  Altertumsfreunden  in  den  Rhcinlanden  XXII.  1855  S.  62  fgg.  Lorsch, 
Centralmuseum  Rheinischer  Inschriften  II,  27.  Die  Form  Hlüden  =  Hlüdün 
stellt  sich  zu  niarhe,  alte  =  merihä,  altä.     Gesch.  d.  D.  Spr.  947. 


_288 ^ 

die  Gestalt  der  himmlischen  Wasserfrau,  welche  die  See-* 
len  bei  sich  beherbergt,  zurückgeht. 

Freyjas  Vater  ist  Njörör,  der  Gott  des  himmlischen 
Gewässers  s.  oben  S.  222,  ihre  Mutter  NjörS,  Nairjjus  wird 
ursprünglich  eine  ähnliche  Bedeutung  gehabt  haben.  Nach- 
dem ihr  jährlicher  Umzug  geendigt  ist,  badet  sie  sich 
im  See  (Tac.  Germ.  40)  wie  Frau  Holda.  Sie  ist  gleich 
Demeter  s.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  452  ur- 
sprünglich die  alte  Wasserfrau,  die  Wolke,  die  die  Erde 
fruchtbar  macht  und  daher  später  ebenso  zur  Erdgöttin 
selbst  wird,  wie  man  andere  alte  Wolkensymbole  z.  B.  die 
K  u  h  (des  Ueberflusses)  später  als  Bild  der  Erde  auffasste. 
Geht  aus  diesem  Elternpaar  hervor,  dass  Freyja  dem  himm- 
lischen Gewässer  entsprang,  so  wird  durch  das  Katzen- 
gespann, mit  welchem  sie  fährt,  ihre  Bedeutung  als  Was- 
serfrau weiter  bestätigt,  sowie  durch  die  Sage  dass  sie  um 
ihren  Gemahl  08r,  der  sie  verlassen  habe,  goldene  Tr ah- 
nen weinte,  denn  diese  Trähnen  sind  die  im  Gewitter  nie- 
derfallenden Regentropfen. 

Dieselbe  Sage  wird  nun  von  Frau  Holle  erzählt.  Bei 
Fulda  im  Wald  liegt  ein  Stein,  in  dem  man  Furchen  sieht; 
da  hat  Frau  Holl  über  ihren  Mann  so  bittere  Trähnen 
geweint,  dass  der  harte  Stein  davon  erweichte').  Das 
entschiedenste  Zeugnis  für  Freyjas  Bedeutung  als  Wasser- 
frau  gewährt  aber  die  1 68  fgg.  mehrfach  besprochene  Mythe, 
dass  sie  von  Riesen  zusammt  der  Sonne  und  dem  Mond 
geraubt  wird.  Ihr  zur  Seite  stehen  lichte  Jungfrauen,  die 
Valkyrien,  an  Gestalt  ihr  gleich,  Vervielfältigungen  ihrer 
selbst,   welche   sich  ebenfalls   als  Apas  kundgeben,   indem 


1)  Wolf,  Hessische  Sagen  No.  12.  S.  10.  Diese  Sage,  welche  mehrfach 
angezweifelt  ist,  ergiebt  sich  als  echt,  da  auch  anderswo  sowol  Frau  Hulli- 
.steine  vorkommen,  auf  denen  die  Göttin  sitzt.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  24. 
27,  als  auch  der  Ziig,  dass  sie  auf  diesen  Steinen  sitzend  weine.  Alle  Nacht 
zwischen  elf  und  zwölf  kommt  Frau  Holle  nach  den  drei  Brodsteinen  im 
Walde  bei  Andreasberg,  setzt  sich  darauf  und  weint.  Pröhle,  Harzsagen 
S.  135.  Am  Frau  Hollenabend  muss  Frau  Holle  auf  der  Kuhkolksklippe  im 
weifsen  Laken  (das  wol  dem  Goldfell  s.  oben  S.  175  identisch  ist)  sitzen 
und  heulen.     Pröhle  a.  a.  0.   S.  155.   156. 


289  _ 

von  den  Rossen,  auf  denen  sie  reiten,  Tau  in  die  Täler 
tropft.  Gradeso  sind  die  Säligen  Fräulein,  Holdas  Beglei- 
terinnen in  Tirol  von  der  Göttin  nicht  zu  unterscheiden 
und  von  den  schlafenden  Jungfrauen  im  Berge  der  S.  273 
Anm.^  besprochenen  weifsen  Frau  zu  Tegernfelden  heifst 
es,  dass  sie  derselben  aufs  Haar  gleichsehen.  Ebenso  sind 
die  nordischen  Huldre  von  ihrer  Königin  Hulda  kaum  zu 
unterscheiden.  Die  Göttin ,  welche  unter  den  Namen  Hul- 
dra-Holda,  Freyja,  Frigg-Frikka,  Perahta  erscheint,  ist 
überhaupt  nur  eine  Difierenzierung,  eine  aus  der  Schar  der 
Apas  bestimmter  hervortretende  Gestalt  und  geht  deshalb 
fortwährend  in  die  Gestalten  über,  welche  aus  diesen  in 
der  späteren  Mythologie  entsprossen,  die  Elbe,  Nixen, 
Zwerge,  weifsen  Frauen  u.  s.  w. 

Der  Goldeber  Hildisvini,  auf  welchem  Freyja  reitet,  ist 
ebenfalls  ein  Bild  der  Wolke  und  steht  dem  im  Kinderbrun- 
nen der  Holda  weilenden  Goldbock  gleich  (s.  o.  S.  64.  177. 
212).  Dieser  Eber  heifst  nach  einem  Beinamen  der  Freyja, 
Hilldr,  den  sie  in  späterer  Zeit  in  Deutschland  und  im 
Norden  führte.  Unter  diesem  Namen  Hilldr  wird  uns  von 
Freyja,  der  Tochter  Njörös,  folgende  Sage  berichtet.  Ein 
König  Hebinn,  Hiarrandis  Sohn,  raubt  Hilldr,  die 
schöne  Tochter  Högnis  von  Njaröarey  (d.  i.  Njörös- 
insel),  die  sich  noch  aufserdem  durch  ein  goldenes  Hals- 
band (das  die  Edda  auch  sonst  Freyja  beilegt  und  mit 
dem  Namen  Brisingamen  benennt)  als  die  Göttin  kundgiebt'). 
Högni  =  Njörör  folgt  dem  Entführer,  es  kommt  zwischen 
dem  beiderseitigen  Gefolge  zum  Kampf.  In  der  Nacht  aber 
ging  Hilldr  zur  Wahlstatt  und  weckte  durch  Zauberei  alle, 
die  da  tot  lagen  und  anderen  Tags  gingen  die  Könige  zum 
Schlachtfeld  und  stritten  und  mit  ihnen  wieder  alle,  die 
da  Tags  zuvor  gefallen  waren.  So  dauert  der  Kampf  bis 
zum  jüngsten  Tage  '^).  Nach  der  Olafs  Tryggvasonarsaga 
cap.  17  hat  Oöinn  der  Freyja  das  Halsband  Brisingamen 


1)  Ploennies,  Kiulrün  S.  227  fgg.    Simrock,  Bertha  die  Spinnerin  97  fgg. 

2)  Skäkliäkaparm.  cap.  50.     Sn.  E.  I,  423. 

19 


290 

entwenden  lassen  und  stellt  es  ihr  nur  unter  der  Bedingung 
zurück,  dass  sie  zwei  Könige  sammt  ihren  Heeren  gegen- 
einander reize,  aus  dem  Todesschluf  aber  die  Gefallenen 
täglich  zu  neuem  Kampfe  wecke. 

Hiarrandi  ist  ein  Name  Oöins '),  der  das  wilde  Heer 
anführt.  Die  deutsche  Kütrunsage  kennt  ihn  auch  unter  dem 
Namen  Horant  und  lässt  ihn  eine  Weise  singen,  dass  davor 
der  kleinen  Vöglein  Schallen  schweigt,  das  Wild  im  Walde 
die  Weide  lässt,  Fische  und  Würmer  lauschend  herbeieilen; 
es  ist  dieses  Lied  die  wunderbare  Musik,  die  aus  dem 
Zuge  des  wilden  Heeres  tönt'-),  es  ist  das  Sturmlied  der 
Maruts  s.  o.  S.  40.  44.  Giebt  sich  somit  Hiarrandi-Horant 
als  der  wütende  Jäger  Oöiun  zu  erkennen,  so  ist  HeSinn 
nicht  minder  ein  deutlich  erkennbarer  Eigenname  desselben 
Gottes,  dem  deutschen  Hakolberand,  Hakelberg  (Mantel- 
träger) gleichbedeutend.  Oöinn-Wödan  trägt  nämlich  y.ar 
i'§o/i)v  einen  grofsen  dunkelen  Mantel  und  heöiuu  heifst  ei- 
nen Rock  oder  Mantel  tragend  ^).  Hiarrandi  und  Heöinn 
drücken  also  eine  Person  aus.  Der  Sturmgott,  der  Herr 
des  wütenden  Heers  entführt  die  Wolke,  die  Wasserfrau, 
und  treibt  sie  vor  sich  her.  Die  Geister  der  Helden,  wel- 
che das  wütende  Heer  bilden,  beginnen  um  die  Göttin  ei- 
nen ewigen  Kampf,  der  zu  Zeiten  entschlummert  mit  neuen 
Kräften  auflebt.  Dieser  Kampf  der  Seelen  gegeneinander 
ist  der  Wirbelwind,  welcher  auch  den  altmythologischen 
Namen  Windsbraut  führt").  Auch  der  schon  angeführte 
Geliebte  oder  Gemahl  Freyjas  Oör  ist  Oöinn,  die  Form  ()8r 
entspricht  der  deutschen  Wöd,  Wo  de  neben  Wodan  s.  oben 


1)  Sn.  E.  Arnamagn.  II,  472. 

2)  Diese  Musik  war  auch  der  nordgermanischen  Sage  einst  bekannt. 
Vergl.  Myth.2   461.  867. 

3)  S-  Myth.2  1232.  Ülfheginn  ahd.  wolfhetan  heifst  wer  ein  Wolfs- 
kleid (ülfhamr),  biarnhe'öinn  wer  ein  Bärengewand  trägt. 

4)  M_vth.'2  508.  Schwartz,  Der  heutige  Volksglaube  und  das  alte  Hei- 
dentum S.  12.  —  Schon  längst  hat  man  erkannt,  dass  der  Kampf  der  Heer- 
genossen Högnis  und  Hegins ,  der  Hiaöninge  eins  ist  mit  dem ,  was  die  Snor- 
raedda  von  den  Seelen  der  zu  OÖinu  gefahrenen  Helden,  den  Einheriar  be- 
richtet: ,, Jeden  Morgen,  wenn  sie  angekleidet  sind,  wappnen  sie  sich  und  ge- 
hen in  den  Hof  und  fällen  einander.    Das  ist  ihr  Zeitvertreib." 


291 

S.  288.  Dass  aber  die  vom  wilden  Jäger  entführte  Freyja  die 
Wasserfrau  sei,  geht  aus  einer  Sage  auf  der  Insel  Möen 
noch  deutlicher  hervor.  Hier  jagt  Oöinn  jede  Nacht  zu 
Ross  mit  seinen  Hunden  unter  dem  Beinamen  Grönjette 
nach  der  Meer  fr  au.  Ein  Bauer  sah  ihn  zurückkehren, 
wie  er  die  Meerfrau  queer  über  seinem  Pferd  liegen  hatte. 
„Sieben  Jahr  jagte  ich  ihr  nach,  auf  Falster  hab'  ich  sie 
erlegt')."  Diese  Sage  ist  nur  etwas  anders  gewandt,  als  die 
vorige  von  Freya-Hilldr.  Während  bei  dieser  die  kämpfen- 
den Seelen,  wenn  der  Streit  ausgetobt  hat,  (in  der  Wolke) 
bis  zu  neuem  Kampfe  ruhen,  stellt  die  Sage  vom  Gröujette 
die  Wasserfrau  dar,  insofern  sie,  nachdem  sie  die  7  Winter- 
monate (vom  Dämon)  eingefroren  war,  durch  den  Sturm- 
gott erreicht  und  zerrissen,  ihren  Segen  der  Erde  zu  spen- 
den gezwungen  wird. 

Aus  den  vorhergehenden  Ausführungen  erhellt  deut- 
lich, dass  Freyja  ursprünglich,  gleich  Holda,  die  an  der 
Spitze  der  Seelen  des  wütenden  Heers  umfahrende  Was- 
serfrau war.  Die  seelenbeherbergende  Tätigkeit  der  Göt- 
tin wird  durch  ausdrückliche  Eddenstellen  gewährleistet: 
„Freyja  ist  die  herrlichste  der  Asinnen.  Sie  hat  die  Woh- 
nung im  Himmel,  welche  Fölkväugr  (Volksaue)  heifst 
und  wenn  sie  zum  Kampf  zieht,  gehört  die  Hälfte  der 
im  Streit  Gefallenen  ihr  und  die  Hälfte  OSinn,  wie 
hier  gesagt  ist: 

Fölkväng  ist  der  neunte  (Götterpalast) 

Da  hat  Freyja  Gewalt 

Die  Sitze  zu  ordnen  im  Saal, 

Der  Walstatt  Hälfte 

Hat  sie  täglich  zu  wählen, 

Oöinn  hat  die  andere  Hälfte. 
Ihr   Saal  Sessrümnir  (d.  i.   der   sitzgeräumige)   ist 
grofs  und  schön  -)."    Aulser  den  im  Streit  gefallenen  Helden 

1)  Mytlv*   896. 

2)  Gylfaginning  24.  Grimnism.  14.  Folkvängr  er  inn  niundi,  en  |7ar 
Freyja  rceör  sessa  kostum,  hälfan  val  hon  kyss  hverjan  dag,  en  balfan 
Oöinn  ä. 

19* 


292 

nimmt  sie  aber  auch  Frauen  und  Jungfrauen  nach  ihrem 
Tode  bei  sich  auf.  Um  945  antwortet  die  Isländerin  Thör- 
gerSr,  zum  Tode  betrübt,  auf  die  Frage  ob  sie  schon  zu 
Nacht  gegessen:  „Nicht  Nachtmahl  hielt  ich  und  keins 
werd  ich  halten,  eher  als  bei  Freyja"').  Wie  W.  Müller 
bereits  richtig  erkannt  haf^)  ist  die  Anschauung,  dass  Freyja 
nur  die  Hälfte  der  Gefallenen  erhalte,  eine  der  späteren 
Zeit  des  nordischen  Asenglaubeus  angehörige  Einschrän- 
kung. In  einer  älteren  Periode  nahm  Frejja  gleich  Thörr 
und  Oöinn,  die  in  der  Eddenreligion  mit  ihr  und  Hei  in 
die  Toten  sich  teilen,  alle  Seelen  und  zwar,  da  sie  die 
Wasserfrau  ist,  in  oder  hinter  der  Wolke  bei  sich  auf,  oder 
vielmehr  alle  diese  Gottheiten  hatten  an  dem  gemeinschaft- 
lichen Aufenthaltsort  der  Seligen  Teil.  Finden  wir  somit 
dass  Freyja  in  einer  der  Eddenreligion  vorausgehenden  Pe- 
riode, wie  Holda  die  Seelen  in  der  Wolke  beherbergte  oder 
an  ihrer  Spitze  als  Anführerin  des  wütenden  Heers  eiuher- 
zog,  und  dass  sie  andererseits,  wie  die  deutsche  Göttin,  in 
Liebesangelegenheiten  angerufen  wurde,  ihr  Bruder 
Frevr  (Fricco),  dessen  Verrichtungen  sie  teilte,  Herr  der 
Zeugung  war,  so  erscheint  der  Schluss  berechtigt,  dass 
auch  sie  einst  die  in  ihrer  Hut  stehenden  Geister  zur  Wie- 
dergeburt auf  die  Erde  zurücksandte.  Den  Manojel  der 
nordischen  Quellen  über  Freyjas  Tätigkeit  in  dieser  Rich- 
tung ersetzen  sehr  lebendige  Zeugnisse  dafür,  dass  eine 
solche  Wiedergeburt  überhaupt  vor  der  Eddenzeit 
Volksglaube  war.  Der  Sammler  der  poetischen  Edda  fügt 
dem  zweiten  Liede  von  Helgi  Hundingstöter  die  Prosa- 
worte hinzu:  „Das  war  Glaube  im  Altertum,  dass 
Menschen  wiedergeboren  würden,  aber  das  keifst 
nun  alte?'  Weiber  Wahn.  Von  Helgi  (Hundingstöter)  und 
Sigrün  wird  gesagt,  dass  sie  wiedergeboren  wären,  er  hiefs 
da  Helgi  Haömgiaskaöi,   sie  aber  Kära,  Hälfdans  Tochter, 


1)  Engan  hefi  ek  nättverb  oc  engan  munn  ek  fjTr  at  Freyju.    Egilssaga 
603.     Vgl.  J.  Grimm  in  Scbmidt,   Zeitschr.  f.  GeschichtsTvissensch.   III,   351. 

2)  Altdeutsche  Keligion  S.  285. 


293 

so  wie  erzählt  wird  im  Küralied  ')."  Hinter  dem  Liede 
von  Helgi  Hjörvarössohn  findet  sich  ebenfalls  die  kurze 
Notiz:  „Helgi  und  Svava  sollen  wiedergeboren  sein^)". 
Vom  König  Olaf  dem  Heiligen  glaubte  das  Volk,  er  sei 
der  wiedergeborne  Olafr  Geirstadaalfr  ■^).  Was  in  der  Ed- 
denzeit aus  dem  Zusammenhano-e  losgerissen  nur  noch  im 
Glauben  alter  Mütterchen,  der  treuen  Bewahrerinnen  urväte- 
rischer Anschauungen,  aber  hier  fest  und  unvertilgbar  wur- 
zelte, muss  in  einer  älteren  Periode  des  Heidentums,  die 
noch  vollere  Uebereinstimmung  mit  der  südgermanischen 
Gedankenwelt  zeigte,  eine  feste  Stelle  gehabt  haben  und 
wir  dürfen  ihm  dieselbe  da  anweisen,  wo  auch  der  deut- 
sche Volksglaube  die  Wiedergeburt  kennt.  Es  springt  uns 
demnach  die  vollständige  Einheit  Freyjas  mit  Holda  und 
Göde  entgegen.  Da  nun  Freyja  als  Wasserfrau  mit  der 
Wolke  die  Sonne  beschliefst,  und  wenn  sie  ihren  Schofs 
öffnet  wiederum  das  Licht  derselben  spendet,  war  es  ein 
natürlicher  Uebergang  sie,  die  Schwester  des  über  Regen 
und  Sonnenschein  herrschenden  Gottes,  Frau  Sonne 
selbst  zu  nennen  ^).  Fru  Sole  ist  somit  kein  anderes  We- 
sen als  Frau  Gode,  Rose,  Holda.  Alle  diese  Namen  be- 
zeichnen dieselbe  Göttin. 

Ein  Beiname  jener  Hrösa-Herodias  war  Pharaildis  *), 
d.  i.  Vrouwa  Hiltia  mnl.  Vereide  d.  i.  Ver  Heide  =  Frau 
Hilde,  nach  der  der  Seelenweg  der  Milchstrafse  mnl.  Vro- 


1)  ]?at  var  trüa  i  forneskju  at  nieun  vseri  endrboruir,  en  jjat  er  nii  köllii^ 
kerlinga  villa.  Helgi  ok  Sigrün  er  kallat  at  va3ri  endrboriii,  liet  hanii  (ni 
TIflgi  lladdingjaskaSi  en  hon  Kära  Hälfdanardottir,  svä  sem  kveöit  er  i  Käru- 
Ijögum. 

2)  Ilelgi  ok  Svava  er  sagt,   at  vairi  endrborin. 

3)  Olafs  Helgas.     Fornimannasög  IV,  G3. 

4)  Das  Kraut  drosera  rotundifolia  heifst  im  Norden  mit  deutliclier  Be- 
iiicluing  auf  die  Guldträhuen  der  Freyja  Mariae  Oientaare  (l\Iarias  Augen- 
zälire)  zugleich  aber  duggrses,  hinimcldiig  Soldug,  deutseli  Sonnentau. 
Haben  wir  hier  bereits  die  persönliche  Sole  =  Freyja?  Der  Name  Sünnen- 
kind  für  die  coccinella  könnte  sogar  für  ein  persönliches  Sunna  =  Holda 
spi-echen. 

5)  Keinardiis  I,  113',)  — 116-1.  ,,Nunc  ea  nomcn  habet  Pharaildis,  Hero- 
(lias  ante  saltria"  Myth.'^  2(51  fgg.  W.  Müller,  Versuch  einer  mythol.  Erklär, 
d.  Nilielungens.    S.  Üb. 


294 

neldenstraet  (Frauen  Hildenstrafse )  genannt  wurde.  Da 
nun  Hiltia,  Hilde  gleichermafsen  bei  den  Südgermanen,  wie 
in  Skandinavien  seit  der  Zeit  der  Völkerwanderung  einer 
von  Freyjas  oder  Holdas  Beinamen  war  (was  sowol  aus 
dem  Hildenschnee  ^)  =  Holdas  Schnee,  als  aus  der  fränkisch- 
schwäbischen Bezeichnung  Hildaberta*^)  für  die  der  Hulda 
identische  Göttin  Perahta  hervorgeht),  so  werden  wir  durch 
Freyja-Sole  unmittelbar  wieder  auf  Rösa-Göde  zurückge- 
leitet =^). 

Ehe  wir  weiter  gehen  wird  es  geraten  sein  davon  Akt 
zu  nehmen,  dass  noch  andere  Namen  und  Gestalten  unter 
denen  die  Göttin  auftritt,  welche  wir  bisher  als  Freyja, 
Holda,  Göde  oder  Hrosa  kennen  lernten,  Perahta  (Bertha) 
und  Frikka  nord.  Frigg  sind. 

Frigg  wird  in  den  Edden  als  OSins  Hausfrau  genannt, 
die  in  Vallhöll  mit  ihrem  Gemahl  die  Seelen  der  Helden 
empfängt,  der  Ehe  Fruchtbarkeit  verleiht  und  die 

1)  Myth.2  246.  Grimm,  D.  Sag.  No.  456.  II.  S.  143.  Seyfart,  Hildes- 
heim. Sag.  S.  172. 

2)  Myth.2  255. 

3)  Ich  kann  nicht  von  der  Form  Rose  scheiden,  ohne  noch  die  Mög- 
lichkeit einer  anderen  Erklärung  dieses  Namens  zu  erwähnen,  welche  durch 
einige  Gründe  unterstützt  wird.  In  Thüritz  in  der  Altmark  heifst  Frau  Göde 
Gosen,  in  Thimen,  Godendorf  und  Calbe  frü  Wäsen  oder  Was.  Kuhn, 
Nordd.  Sag.,  Gebr.  178  S.  414.  Diese  Formen  sind  entstanden  aus  Wödse. 
Sie  enthalten  das  aus  dem  Romanischen  -issa  stammende  -se,  -sehe,  das 
sehr  häufig  Frauennamen  angehängt  wird.  Z.  B.  Adamse,  Adamsche ;  Meierse, 
Meiersche  =  Frau  Adam,  Frau  Meier.  Vgl.  die  Appellativa  clüsenerse,  tol- 
nerse,  munzerse,  beckersa,  springerse,  helperse  in  mnd.  Glossen  des  XIV.  Jahrh. 
Grimm  gram  IL  328,  3.  III.  340,  i.  Ganz  analog  gebildet  sind  die  Formen 
„frü  Gö'ik  in  Wittenberge,  frü  Godke  in  Wilsnack,  de  Godsche  oder  Mutter 
Godsche  in  Heiligengrabe  für  Frau  Gode.  Kuhn  a.  a..  0.  S.  413,  176.  Auf 
dieselbe  "Weise  könnte  Rosa  entstanden  sein  aus  Hrod-se ,  wofür  die  S.  287, 
Anm.  2  vermutete  einfache  Form  Hröda  =  Hreöe  sprechen  dürfte.  Damit 
ginge  freilich  Herodias  =  Hrosa  S.  286  verloren.  Allein  jenes  se  aus  issa 
gehört  nur  dem  niederdeutschen  Gebiet  an  und  findet  sich  kaum  ausnalims- 
weise  in  mhd.  Glossen  niedersächsischer  Grenzlandschaften.  Oberd.  Bildungen 
wie  bremse  aus  ahd.  primisa  neben  breme  ahd.  premo  stehen  ganz  verein- 
samt, oder  gehören  wie  färse  f.  neben  farre  m.  oft  dem  jüngeren  Sprach- 
wachstum an.  Das  Ulfileische  gait-sa  neben  gaitei  Nehem.  V,  18  ist  durch 
Mafsmanns  annehmbare  Lesung  gaits  A  =  gaits  ains  beseitigt.  Somit  ge- 
nügt die  Erklärung  von  Hrose  aus  Hrod-se,  so  schicklich  sie  für  die  nieder- 
deutsche Form  sein  mag,  für  das  Oberdeutsche  nicht,  während  umgekehrt  das 
hj'pocoriitische  Hröza  nicht  ausreichte  ein  sächsisches  Rose  zu  deuten. 
Dass  die  oberd.  Form  Rose  (Hrodsa)  festhält,  nicht  Ruse  (Hraodsa)  gewälirt, 
erklärt  sich  aus  früher  Erstarrung  des  Götternamens. 


295 

Geburten  zur  Welt  fördert').  Ihr  Palast  Fensalir 
(See -Sumpfsaal)  ist  wie  ISuus  Brunnakr  s.  oben  S.  196, 
Holdas  Kiuderbrunnen  aufzufassen.  In  Deutschland  erscheint 
Frigg  unter  dem  Namen  Frikka.  Auch  diese  deutsche 
Göttin  hat  einen  See^),  in  ihrem  Heiligtum  Fricken- 
hausen  in  Schwaben  sollen  die  ersten  (der  kinderbrin- 
gonden)  Störche  genistet  haben,  woher  die  Fricken- 
häuser  noch  heute  die  Storche  heifsen  ^).  Andererseits 
zieht  sie  im  Sturmgebraus  mit  ihren  Hunden  jagend  da- 
her*). Könnte  hienach  noch  irgend  ein  Zweifel  daran  ge- 
hegt werden,  dass  Holda  und  Frikka  ursprünglich  identisch 
seien,  so  hebt  ihn  die  kürzlich  von  J.  Grimm  veröffent- 
lichte Notiz,  dass  eine  1143  verfertigte  Abschrift  der  De- 
cretensammlung  Burchards,  die  zu  Madrid  aufbewahrt  wird, 
in  der  oben  S.  262  angeführten  Stelle  „quam  vulgaris  stul- 
titia  Holdam  vocat"  das  Compositum  Frigaholdam  dar- 
bietet ^). 


1)  Sie  räumt  die  Hindernisse  der  Ehe  hinweg.  Gylfag.  35.  Als  Od- 
drün  der  Borgny  bei  einer  schweren  Geburt  Beistand  geleistet,  sagt  diese: 
So  mögen  dir  einst  holde  Wichte  helfen,  Frigg  und  Freyja  und  andere 
Götter,  wie  du  mir  nun  von  Händen  die  Gefahr  entfernt  (wörtl.  gefällt)  hast. 
Svä  hialpi  jjer  hollar  vrottir,  Frigg  ok  Freyja  ok  fleiri  go'S ,  sem  Jju 
faldir  nicr  für  af  höndum.     Oddrünargrätr  10. 

2)  S.  den  Frickenhäuser  See.  Bechsteln,  Sagen  des  Rhoengebirges  S.  300 
No.  160. 

3)  Meier,.  Schwab.  Sagen  24,  14. 

4)  S.  die  Belege  Schwartz,  Der  heutige  Volksgl.   S.  12  fgg. 

5)  Monatsber.  d.  Berl.  Akad.  12.  März  1857  S.  175:  ,, Diese  Lesart  er- 
weist die  Richtigkeit  meiner  in  der  Myth.^  S.  899  ausgesprochenen  Meinung, 
dass  Holda  mit  der  Göttin  Fricka,  Frigg  zusammenfallen  müsse.  Häufung 
zweier  Namen  zu  einem  einzigen  begegnet  auch  sonst,  man  könnte  zwar  friga 
für  den  beigefügten  Accusativ  frija  liberam  pulchram  nehmen,  die  zusammen- 
gesetzte Form  Frigaholda  scheint  aber  den  Vorzug  zu  verdienen."  In  der  Lan- 
gobardischen  Stammsage  wird  Fricka  unter  der  Namensform  Frea  als  Gemah- 
lin Wodans  genannt.  Paul.  Diac.  Im  Harz  kennt  das  Volk  sie  noch  unter 
dem  Namen  Frü  Friun  oder  Frü  Freen  und  erzählt  von  ihr:  sie  sei  im 
Himmel  gewesen  und  wurde  von  den  Leuten  um  Rat  gefragt  (wie  Frea  in 
der  Langobardischen  Sage).  Sie  machte  Musik  (das  Sturmlied  des  wüten- 
den Heers),  tanzte  viel  und  fiel  zuletzt  ins  Wasser  (den  himmliscluu 
Brunnen,  wie  Holda  s.  o.  S.  266,  Anni.  2).  Sic  reiste  die  ganze  Welt 
nach  einem  Freier  aus,  hatte  sie  Jemand  dann  war  er  wieder 
fort  und  sie  schrie  furchtbar.  Besonders  zeigt  sie  sich  bei  Bäumlers 
Klippe  vor  Ilscnburg.  Pröhle,  Unterharz.  Sag.  S.  209  fgg.  Letztere  Sage 
ist  genau  die  nordische  vou  OÖr  (Oöinn),   den  Freyja,    nachdem   er  sie  ver- 


296 

Bezeugt  die  Zusammensetzung  Frigaholda  die  Einheit 
Frickas  mit  Holda,  so  gesellt  der  Name  Hildaberta  (d.  i. 
Freyja,  Hilldr  =  Bertha)  auch  noch  Perahta,  Berchta  die- 
ser Verwandschaft  zu.  Bertha  zeigt  sich  im  Waadtland 
zu  Weihnacht  als  Jägerin,  aus  den  Wäldern  hervorkom- 
mend, umgeben  von  einer  Menge  von  Nixen,  Kobolden, 
Irrlichtern,  Zwergen,  bösen  und  neckenden  Geistern.  In 
der  Hand  trägt  sie  einen  Zauberstab  (den  Blitzstab,  wel- 
chen auch  Herodias  führt  s.  o.  S.  59.  62)  ' ).  In  Schwa- 
ben zieht  sie  als  BrechtölderH ,  Brechtölterin  =  Peraht- 
hold-in  an  der  Spitze  des  wütenden  Heers  ^).  In  Oberkärn- 
ten  heifst  der  Umzug  der  Bertha  am  5.  Januar  das  Berch- 
teljagen,  d.  i.  die  wilde  Jagd  der  Bertha^).  Die  Berch- 
tel  reifst  Nachts  Menschen  mit  in  ihren  Zug  fort  und  führt 
sie  in  weite  Länder,  erst  Morgens  bringt  sie  den  entseel- 
ten Leichnam  wieder.  Zwischen  Zehen  und  Fingern  der 
Toten  findet  mau  Blumen,  die  kein  Mensch  kennt*).  Die 
Haare  der  Perchte  in  Tirol  sind  ungekämmt  und  Kin- 
der mit  ungekämmten  verfilzten  Haaren  nennt  mau 
nach  der  Göttin  Perchteln^).  Diese  zerzausten  Haare 
sind  die  schon  mehrfach  s.  o.  S.  AG.  261  besprochene  Mä- 
renlocke, das  Gefolge  der  Perhta,  die  Geister  des  wil- 
den Heers,  sind  Mären  und  sie  trägt  gleich  Holda  deren 
Abzeichen.  —  In  der  Perchtuacht  opfert  man  „der  Percht 
Speiss  und  dem  Schretlein"  ^).  Nach  Michael  Behaimer 
reitet  und  fährt  das  Schrezlein  auf  dem  Vieh,  man 
richtet  ihm  in  der  Berchtnacht  seinen  Tisch  an  ' ).  Das 
Schretlein   oder  Schrezlein   ist   ein   den  Mären   verwandter 


lassen,  durch  die  ganze  Welt  sucht.  Vgl.  oben  S.  288,  sowie  auch  Holda 
auf  Steinen  sitzend  um  ihren  Gemahl  weint.  Wir  sehen  mithin  Identität  von 
Fricka  Holda  und  Freyja  auch  von  dieser  Seite  her  sich  bestätigen. 

1)  Vulliemin,  Cauton  Waadt  U,   20.     H.  Runge,    Der  Berchtoldstag   in 
der  Schweiz.     Zürch    1857.   S.  13. 

2)  Myth.2  257.     Meier,   Schwab.  Sag.   S.  115.  No.  49. 

3)  Weinhold,   Weihnachtsspiele   S.  20. 

4)  Weinhold  a.   a.  0.   S.  21. 

5)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.   II,  422;    HI,  204. 

6)  Hagens  Germania  I,   349. 

7)  Mone,  Anzeiger   1835,   448. 


297 

Geist,  den  ältere  lat.  Glossen  gewöhnlich  pilosus  verdeut- 
schen. Wie  wir  hier  die  im  wilden  Heer  mit  Bertha  um- 
fahrenden Seelen  als  Mären  oder  Elbe  (Schretel)  aufgefafst 
sehen,  bildet  der  Tiroler  und  Thüringer  Volksglaube  das 
Gefolge  der  Perchta  aus  den  Seelen  aller  ungetauft  ver- 
storbenen Kinder,  denen  man  am  Perchtenabend  gleich  den 
Schreteln  den  Tisch  deckt.  Diese  Kinderseelen  werden 
wiederum  in  Thüringen  auch  als  Heimchen  betrachtet, 
d.  i.  Elbe  in  Kindergestalt,  die  ein  eigenes  Volk  bilden, 
an  dessen  Spitze  Perchta  als  Königin  steht.  Es  ist  klar, 
dass  diese  Heimchen  mit  den  Geistern  des  wütenden  Heers 
eins  sind.  Mit  ihnen  zieht  Perchta  auf  dem  (sturragejag- 
ten  Wolken)  -wagen  einher,  den  sie  gleich  Holda  und  Göde 
s.  oben  S.  284,  Anm.  2  verkeilen  oder  ausbessern  läfst^). 
Perchtas  Untergebene,  die  Heimchen,  tauschen  Kinder 
gegen  W  e  c  h  s  e  1  b  ä  1  g  e  aus  und  Perchta  selbst  verleiht  Kin- 
dersegen, wenigstens  verkündet  sie  in  einer  Orlagausage 
einem  Bei^gmann  die  Geburt  zweier  Kinder  voraus^). 

Fassen  wir  unser  Ergebnis  noch  einmal  zusammen. 
Das  unten  sitzende  Mädchen  in  unserem  Kinderspiel  stellt 
die  Göttin  vor,  welche  je  nach  den  verschiedenen  Land- 
schaften des  Vaterlandes  anders  benannt  als  Freyja,  Fricka, 
Holda,  Hrösa,  Perahta  oder  Göde  einstiger  Verehrung  ge- 
noss.  Diese  Göttin  hegt  in  oder  hinter  der  Wolke  die 
Seelen  der  Verstorbenen,  welche  durch  das  himmlische  Ge- 
wässer (den  Jungbrunnen)  erneuert  als  Kinderseelen  zu  neuer 
Geburt  auf  die  Erde  zurückzukehren  bestimmt  sind.  Mit- 
unter zieht  die  Göttin  mit  ihnen  im  wütenden  Heere  aus. 
Sie  sind  zugleich  als  Elbe  gedacht^).  Nur  im  Gebiet  der 
Holdasage  ist  der  dargelegte  Gedankenzusammenhang  noch 


1)  Börner,  Sagen  aus  dem  Orlagau  118-126.  172.  182.  Vgl.  Myth." 
252  fgg. 

2)  Börner  a.  a.  0.   117. 

3)  Börner  a.  a.  O.   174. 

4)  Auch  die  der  nordischen  Huldra  und  deutschen  Holda  zugesellten 
Klbe,  die  Iluhh-e,  Hollen,  Wasserholden,  guten  Holden  u.  s.  w.  sind  Seelen 
und  durchaus  nicht  verschieden  von  den  Geistern  des  wütenden  Heers,  mit 
denen  Hulda  umziclit  oder  den  Kindern,  die  aus  ihrem  Brunnen  geliolt  wer- 
den.    So  kommen   die  Kinder  in  Halle  aus  dem   Gütcli  entclch ,   wohinein 


298 

mit  einiger  Vollständigkeit  erhalten,  die  Sage  der  anderen 
Göttinnen  bewahrt  nur  Bruchstücke  davon,  welche  jedoch 
das  einstige  Dasein  des  Ganzen  mit  gröfster  Wahrschein- 
lichkeit erraten  lassen. 

b)  Nächst  den  Namen  sprechen  die  dem  untersten  Kinde 
beigelegten  Eigenschaften  demselben  die  Natur  einer  Göt- 
tin zu.  Frau  ßose  verschenkt  das  Himmelreich  No.  2. 
Die  göttliche  Natur  ist  ihr  gleich  anzusehn  No.9. 
Sie  wacht  nicht,  sie  schläft  nicht,  sie  ist  nicht 
im  Traum.  Ihre  ganze  Wesenheit  ist  von  der  mensch- 
lichen durchaus  verschieden  No.  9.  Wie  Hella,  die  See- 
lengöttin, ist  sie  halb  weifs,  halb  schwarz  No.  4.  Sie  strählt 
gleich  den  weifsen  Frauen  ihr  Haar  mit  goldenem  Kamme 
und  ergiefst  wie  Holda  aus  goldenem  Kruge  die  Regenflu- 
ten No.  6. 

c)  Haben  wir  in  dem  untersten  Mädchen  die  Göttin 
Göde  oder  Hrösa  erkannt,  so  wird  schon  an  und  für  sich 
wahrscheinlich,  dass  die  auf  ihrem  Schofse  sitzenden  Kin- 
der die  Seelen  bedeuten,  welche  diese  Göttin  bei  sich  be- 
herbergte. Sie  werden  in  No.  5  als  Engel,  in  No.  4  und 
14  als  Hühner,  in  No.  6.  7.  8.  9.  10.  11  als  Lämmer 
bezeichnet;  in  No.  12  vielleicht,  wenn  man  die  schon  S.  284 
als  neu  abgewiesene  Benennung  „Töpfe"  abzieht,  als  Blu- 
men ' ). 

Dass  die  Enjcel  ein  blofs  christlicher  Ausdruck  für 
Seeleu  schlechthin  seien,  leuchtet  ein.  Sehr  häufig  er- 
scheinen die  Seelen  in  der  Volkssage  noch  in  Gestalt  von 
Vögeln"^),  mehrfach  geradezu  als  Hühner.  Ein  Bürger 
in  Antwerpen  fand  Nachts  auf  dem  Friedhof  eine  Henne 


eine  Gräfin  in  scliwarzer  Kutsche  gefahren  und  verschwunden  ist  (Holda 
mit  dem  -wilden  Heer  s.  oben  S.  262).  Gütchen  aber  ist  ein  Name  für  die 
Elbe  ==  den  guten  Holden.  S.  Sommer,  Sagen  aus  Thüringen  S.  169  fgg. 
Unter  andern  Namen  des  Kinderbrunnens  kommt  auch  mehrfach  Butzen- 
brunnen  Meier,  Schwab.  Sag.  263.  294  vor.  Vgl.  Butzen  =  Elbe  Myth.^ 
474.   956. 

1)  In  diesen  Tagen  gelang  es  mii-  das  Spiel  Mutter  Tepperken  auch  hier 
in  Berlin  zu  beobachten.  Hier  wurden  die  Kinder  alsEose,  Nelke,  Veil- 
chen u.  s.  w.  schlechthin  vom  Schofs  der  Mutter  Tepperken  abgegeben. 

2)  Myth.2  788.  W.  Müller,  Altd.  Kelig.  402.  Schade,  Ursulasage  70. 
V.  d.  Hagen,  Schwaueusage  S.  571. 


299 

mit  vielen  Küchlein,  welche  um  die  Alte  herumliefen 
und  piepten.  Er  nahm  sie  in  einem  Sacke  mit  sich  und 
setzte  sie  auf  seinen  Hof.  Am  andern  Morgen  fand  er 
statt  ihrer  auf  dem  Hofe  einen  grofsen  Haufen  Menschen- 
knochen. Auf  Geheifs  des  Pfarrers  trug  er  um  dieselbe 
Stunde  die  Knochen  auf  den  Kirchhof  zurück.  Da  rief 
eine  Stimme  aus  einem  Grabe:  „es  wäre  dir  schlecht  be- 
kommen, hättest  du  das  nicht  getan" ').  Zu  Herzeele  kommt 
jede  Nacht  gegen  zwölf  ein  schwarzes  Huhn  auf  die  Kreuz- 
wege und  bleibt  dort  sitzen  bis  zum  Tagesanbruch^).  Stirbt 
im  Elsass  auf  dem  Lande  ein  Huhu,  so  soll  man  „Gott 
Lob  und  Dank"  sagen,  denn  es  vertritt  die  Stelle  einer 
Person  im  Hause ,  welche  hätte  sterben  sollen  ^).  Auf  ei- 
nem An^er  zwischen  Andershausen  und  Kluventhal  läuft 
Nachts  zwischen  11  und  12  Uhr  eine  Glucke  mit  einem 
Haufen  glühender  Küchlein  umher.  Man  hält  sie  für  ver- 
wünschte Menschen  *).  Ein  Zauberer  liefs  vor  dem  Hause 
eines  Wirts  in  Niederbeerbach  in  Hessen  seinen  Tragekorb 
stehn  mit  einer  eingefangenen  Seele  darin.  Die  Wirtin  hob 
neugierig  den  Deckel  auf,  da  fuhr  ein  Ding  wie  ein  stunipf- 
schwänziges  Huhn  heraus  und  die  Bodentreppe  herauf.  Der 
Geist  machte  später  auf  dem  Boden  grofsen  Lärm  luid 
warf  die  Türen  auf  und  zu,  bis  er  wieder  gebannt  wurde  ^). 
Auf  der  Kiensburg  in  Schlesien  erschien  unter  einem  Ofen 
eine  Henne  mit  ihren  Küchlein.  Als  man  nachsuchte,  fand 
man  in  einem  Kästchen  zwei  Kinderleichen  ").  Auf  die 
Lammgestalt  der  Seelen  werden  wir  weiterhin  zu  reden 
kommen.  Auch  in  Blumenbildung  erscheinen  die  Geister 
Verstorbener.  Wir  verweisen  vorläufig  auf  Myth.'-  786. 
Ein  deutlicher  Beweis  zugleich  dafür,  dass  der  Name 


1)  Wolf,  Niederläiul.  Sag.  S.  650  No.  557. 

2)  Wolf  a.  a.  O.  S.  647,  551.     Wodana  I,  28. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   408. 

4)  Müller  und  Schainbacli,  Niedersäclisische  Sagen  S.  187.  No.  203. 

5)  Wolf,    Hessische  Sagen  S.  107  No.  158.     Vgl.  S.  102  No.  156  und 
S.  201   Anm.  150. 

C)  Schlcsische  Sagenchronik,    ein  Album  ausgewählter  Balladen,  Kouuiu- 
zen  und  Legenden.     Breslau    1840.     Zeitschr.   f.   D.  ]Myth.   I,   374. 


300 

der  Frau  Göde  iu  uuserm  Kinderspiel  alt  und  echt  und 
nicht  etwa  zufällig  darum  in  den  Text  hineingeraten  ist, 
weil  der  Glaube  an  diese  Göttin  unter  dem  Landvolk  der 
Priegnitz  vorzugsweise  lebendig  blieb,  sowie  dass  die  bei 
der  Göttin  weilenden  Kinder  Seelen  darstellen  sollen,  er- 
giebt  sich  aus  der  Pommerellischen  Variante  No.  1.  Die 
abgeholten  Kinder  werden  später  zu  Hunden  und  z er- 
reif sen  die  Göttin,  deren  Name  bereits  vergessen  ist.  In 
No.  5  ist  eine  nicht  mehr  ganz  deutliche  Erinnerung  an 
diese  Hunde  ebenfalls  bewahrt.  Halten  wir  damit  fol- 
gende Sagen  zusammen.  Frau  Gau  den  hatte  vier  und 
zwanzig  Töchter,  die  gleich  ihr  leidenschaftliche  Jagdheb- 
haberinnen waren.  Als  nun  einmal  Mutter  und  Töchter 
in  wilder  Freude  durch  Wälder  und  Felder  jagten  und 
wieder  das  ruchlose  Wort  „die  Jagd  ist  besser  als  der  Him- 
mel!" von  ihren  Lij^pen  erscholl,  da  wandeln  sich  plötz- 
lich vor  den  Augen  der  Mutter  die  Kleider  der  Töchter 
in  Zotten,  die  Arme  in  Beine  und  vier  und  zwanzig  Hün- 
dinnen umkläffen  den  Jagd  wagen  der  Mutter.  So  geht 
der  Zug  in  Ewigkeit  durch  die  Luft"  ' ).  Eine  Ditmarsi- 
sche  Sage  berichtet,  dass  der  wilde  Jäger  ein  verfluchter 
Freischütz  war,  den  nun  seine  Frau  und  Kinder  als 
Hunde  begleiten^;.  Hakelberg-Wödan  zieht  nach  nieder- 
sächsischer Ueberlieferung  unsichtbar  durch  die  Luft,  seine 
drei  Hunde  sind  seine  Söhne  ^).  Hacke berg  (Hacke- 
barg) war  nach  einer  Variante  dieser  Sage  einst  ein  Mensch, 
ein  bitterböser  Mann,  der  seine  sieben  Söhne  grausam 
tötete.  Als  er  nun  auch  sammt  Frau  und  Bruder  ge- 
storben war,  da  waren  Hackebargs  7  Kinder  keine  Kinder, 
sondern  sieben  lebendige  kleine  Hunde,  welche  an  Hacke- 
bargs Frau  herumhiugen,  als  wenn  sie  an  ihr  sögen.  Da 
Hackebarg  nicht  zu  Gnaden  kommen  konnte,  zieht  er  ewig 
durch  die  Luft  mit  einem  langen  glühenden  Schwanz,  woran 


1)  Lisch,  JMüklenburg.  Jahrb.  VIII,   282.     Myth. 

2)  Mülleuhoff  Sagen  S.  368.  No.  CDXCl. 

3)  Schambaeh  und  Müller  S.  347. 


die  7  jungen  Hunde  hängen,  welche  gif  gaf,  gif  gaf  bellen, 
während  er  selbst  tje  hö,  tje  hö  ruft'). 

Die  Bedeutung  dieser  Sagen  liegt  klar  vor  Augen. 
Die  bei  Wodan  oder  Göde  in  der  Wolke  weilenden  Men- 
schen Seelen,  die  Kinder  dieser  mütterlichen  Göttin,  kön- 
nen vermöge  ihrer  in  Lufthauch  bestehenden  Substanz  s. 
oben  S.  269  fgg.  die  Wolke  verlassen  und  zum  stärkeren 
Winde  anschwellen,  d.  i.  mythisch  ausgedrückt  Hunde 
werden  s.  oben  S.  217  fgg.  Dann  verfolgen  sie  die  müt- 
terliche Göttin,  die  Wasserfrau  (die  Wolke)  und  zerreifsen 
dieselbe  im  Geleit  des  ihr  nachjagenden  Wodans  s.  oben 
S.  290.  Dieser  Mythus  ist  es  nun  ofienbar,  den  die  Pom- 
merellische  und  Appenzeller  Fassung  unseres  Kinderspiels 
darstellen  wollen,  während  No.  11  und  die  andern  Varian- 
ten einen  anderen  Zug  aus  dem  Sagenkreise  der  Gau  de 
zur  Aufführung  bringen. 

Ich  gebe  noch  einige  weitere  Belege  dafür,  dass  die 
Hunde  des  wilden  Jägers  und  seiner  Gemahlin  Seelen 
mid  den  Kindern  im  Holdabrunnen  identisch  sind.  In 
einer  Variante  des  oben  S.  216  fgg.  besprochenen  Märchens 
verwandeln  sich  die  3  Hunde  des  Drachentöters,  in  denen 
wir  Geister  des  wilden  Heers  =  Maruts  erkannten,  schliefs- 
lich  in  Vögel  ^)  d.i.  Seelen.  —  In  Pommern  gelten  die 
Hunde  des  Wöd  als  Seelen  der  Selbstmörder,  die  zwi- 
schen Himmel  und  Erde  schweben  und  nicht  zu  Gnaden 
kommen,  oder  als  die  Seelen  derer,  die  sich  auf  Erden  dem 
Teufel  ergeben  haben'').  Der  Hund  des  Hakelberg -Röds 
(des  Gemahls  unserer  Rose)  heifst  Alke  oder  Aulke''), 
geradeso  wie  der  Wirt  im  Totenkrug  und  wie  die  Gei- 
ster der  Vorältern,  die  in  den  heidnischen  Grabhügeln  be- 
graben liegen ,  älken,  aulken,  ölkers,  ilkers  benannt  wer- 
den^).    Die  Alken  gelten  als  Zwerge,  welche  Kinder  ver- 

1)  Schambach  und  Müller  S.  421   fgg. 

2)  Bechstein,   D.  IMärchcnbuch   S.  225. 

3J  rieiflers  Gennauia  I.  S.  104.  Vgl.  o.  S.  270  Anm.  1.  In  einer  Novelle 
im  Feuilleton  der  Zeit  1857  No.  102  sagt  ein  Fischer  beim  Unwetter:  „Manches  ar- 
men Sünders  Seele  mag  im  Sturm  nun  davonfliegen  ohne  Beichte  und  Absolution." 

4)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,    100. 

5)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  No.  357.  S.  308.  Anm.  No.  152. 


302 

tauschen  (Wechselbälge)').  Frau  Ganden  fuhr  in  Mek- 
leuburg  in  der  Sylvesternacht  durch  ein  Haus  und  liefs  ein 
schwarzes  Hündchen  auf  dem  Feuerheerde  liegen,  das 
in  nächster  Nacht  mit  unausstehlichem  Gewinsel  den  Leu- 
ten die  Ohren  voll  schrie.  Da  man  den  ungebetenen  Gast 
nicht  los  werden  konnte,  rief  eine  alte  weise  Frau:  man 
solle  das  sämmtliche  Hausbier  durch  einen  „Eierdopp" 
brauen!  Gesagt,  getan.  Eine  Eierschale  ward  ins  Zapf- 
loch des  Braukübels  gesteckt  und  kaum  dass  das  Wörp 
(angegohrue  Bier)  hindurch  gelaufen  war,  da  erhob  sich 
Frau  Gaudens  Hündlein  und  redete  mit  vernehmhcher 
Stimme  : 

ik  bün  so  olt 

as  Böhmen  golt 

äwerst  dat  heff  ik  min  leder  nich  trüt, 

wenn  man't  bier  dörchn  eierdopp  brüt ''). 
Zu  Buchholz  bei  Petershagen,  nördlich  von  Minden,  hat 
Hakelberg  einmal  in  den  Zwölften  seinen  Hund  in  ei- 
nem Hause  gelassen.  Der  hat  am  Heerde  gelegen  und 
nichts  als  Asche  gefressen.  Die  Leute  haben  ihn  gern 
los  sein  wollen,  haben  aber  nicht  gewusst,  wie  sie  das  an- 
fangen sollten,  bis  ihnen  endlich  einer  gesagt,  sie  sollten 
Essen  in  einem  Eierdopp  kochen,  das  haben  sie  ge- 
tan. Als  der  Hund  das  gesehen,  hat  er  zu  sprechen  an- 
gefangen und  gefragt,  was  das  werden  sollte.  Da  haben 
sie  ihm  gesagt,  das  solle  sein  Fressen  werden.  Da  ist  er 
davon  geffano-en  und  nicht  wiedero-ekommen  ^).  Ganz  das- 
selbe  Verfahren  finden  wir  in  deutschen  und  keltischen  Sa- 
gen angewandt,  um  einen  Wechselbalg,  d.  i.  ein  von 
den  Eiben  umgetauschtes  Wichtelkind  zum  Sprechen  zu 
bringen.  Einer  Mutter  war  ihr  Kind  von  den  Wichtelmän- 
nern  (Eiben)  aus  der  Wiege  geholt  und  ein  Wechselbalg 
mit  dickem  Kopf  und  starren  Augen  hineingelegt,  der  nichts 
als  essen  und  trinken  konnte,  aber  kein  Wort  sprach. 


1)  Kuhn  a.  a.  0.   S.  485.  Anm.  152. 

•2)  Lisch,  Mcklouburg.  Jahrb.  VIU,   205.     IMyth.«   879. 

3)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.   I,    101,   3. 


Eine  Nachbarin  riet  ihr,  sie  solle  Feuer  anmachen  und  in 
zwei  Eierschalen  Wasser  kochen,  das  bringe  den 
Wechselbalg  zum  Lachen,  und  wenn  er  lache  dann 
sei  es  mit  ihm  aus.  Wie  sie  die  Eierschalen  mit  Was- 
ser über  das  Feuer  setzte,  sprach  der  Klotzkopf: 
Nun  bin  ich  so  alt 
Wie  der  Westerwald 

Und  hab'  nicht  gesehn,  dass  Jemand  in  Schalen  kocht, 
und  fing   darüber  an   zu  lachen.     Indem  er  lachte,   kam 
auf  einmal   eine  Menge  von  Wichtelmännchen,   die  brach- 
ten das  rechte  Kind,  setzten  es  auf  den  Heerd  und  nah- 
men den  Wechselbalg  wieder  mit  sich  fort^).    Andere  Bei- 
spiele sind  Myth."^  348.  349    zusammengestellt.     In   einem 
bretagnischen  Volkslied  spricht  die  Jungfrau  Maria: 
Wer  kocht  zum  Schein  in  einem  Ei 
Für  zehen  Knecht'  der  Meierei, 
Zum  Sprechen  bringt  den  Sohn  der  Hei. 
Als  die  Bäuerin  dies  tut,  ruft  der  Wechselbalg: 
Mutter,  in  einem  Ei  für  zehn?  — 
Ich  hab  das  Ei  vorm  Huhn  gesehn. 
Die  Eichel,  eh'  der  Baum  mocht'  stehn; 
Die  Eichel,  und  das  Reis  zumal. 
Die  Eich'  im  Forste  von  Brezal, 
Doch  solches  sah  ich  noch  niemal  -). 
Geht  schon  aus  dieser  Uebereinstimmung  hervor,  dass  der 
Hund  des  wilden  Jägers,   Grau  Gödes,   dem  Wechselbalg 
identisch  ist,  so  wird  diese  Bemerkung  durch  einen  weite- 
ren Zug  bestätigt.     Wie   es   mehrfach   von  jenem  Hunde 
heifst,   dass   er  nur  von  Mehl,    Brotteig  oder  Flugasche 
zehre,  weswegen  er,  in  menschlichen  Häusern  zurückgelas- 
sen,  immer  auf  oder  neben  dem  Heerde  liegt,   spielen  die 
von    den    guten    Hollen    gebrachten  Wechsel  bälge    am 
liebsten  in  der  Asche'').    Da  es  nun  von  Holda  ausdrück- 


1)  KIIM.  No.  39. 

2)  VUlemarque  cliants  popul.  I,   32. 

3)  Landau,   Zcitschr.  d.  Vereins  f.  liess.  Gesch.  II,   277.     Lynckcr,  Hes- 
sische Sagen  S.  55.  No.  86. 


304 

lieh  heifst,  dass  sie  die  bösen  Kinder  aus  ihrem  Brunnen 
als  Wechselbälge  auf  die  Welt  schicke  s.  oben  S.  267 
leidet  die  Bedeutung  der  Hunde  in  unserm  Kinderspiel 
als  Seelen  keinen  Zweifel  mehr '). 

Als  solche  characterisiert  sie  nun  auch  die  Angabe  in 
No.  9:  „kann  nich  hören  op  min  rechtes  ohr,  kann  nich 
hören  op  min  linkes  ohr",  welche  in  No.  2  fälschlich  auf 
Frau  Rose  übertragen  ist.  Die  Taubheit  sagt  den  Mano-el 
menschlicher  Organe  aus  und  ist  schwerlich  etwas  anderes 
als  ein  symbolischer  Ausdruck  für  Totsein. 

d)  Nach  No.  6.  14  sitzt  die  Göttin  auf  einem  Stuhl 
von  den  Seelen  umgeben,  wie  die  weifse  Frau  im  Stockl 
bei  Bruneck  s.  oben  S.  256.  Nach  No.  5  zieht  sie  an  der 
Spitze  des  Kinderzuges  vorauf.  Die  Varianten  1.  7.  8. 
9.  10.  11.  12  stellen  die  Seelen  als  auf  dem  Schofse  der 
Göttin  sitzend  dar  und  7.  nennt  die  Kinder  sogar  schaspken 
im  nie  schote.  Diese  Scenerie,  wenn  sie  überhaupt  ur- 
sprünglich so  beabsichtigt  wurde  und  nicht  etwa  in  Unge- 
schicktheit der  ältesten  Darsteller  ihren  Grund  hat,  mischt 
sich  aber  mit  der  anderen  Vorstellung,  Gode  oder  Hrösa 
sitze  erhöht  (auf  himmlischem  Sitz)  gleichsam  auf  der 
obersten  Sprosse  einer  Leiter,  ihr  zu  Füfsen  eine  unter  der 
andern  in  immer  tieferer  Abstufung  die  Seelen.  Dies  be- 
sagen die  Formeln  „treppchen  höher  1.  12.  hinter  mir  2. 


1)  In  der  Nähe  von  Osnabrück  liegen  die  Wulwekerslöcker,  tiefe  Berg- 
hölen,  in  welchen  schmiedende  Elbe  die  Sgönaunken  wohnen  (vgl.  über  diese 
als  den  Pitris  identische  Wesen  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  IV,  98  fgg.). 
Bei  diesen  Sgönaunken  in  der  Bergliöle  (der  Wolke)  sitzt  eine  Alte  und 
spinnt  (die  Göttin  Hrösa  oder  Holda).  Zu  ihren  Füfsen  liegen  zwei  grofse 
schlafende  Doggen.  Die  Sgönaunken  vertauschen  den  Leuten  in  der  Um- 
gegend die  Kinder  und  legen  ihre  Wechselbälge  in  die  Wiegen.  Diesel- 
ben werden  zum  Sprechen  gebracht  und  zum  Fortgehen  genötigt,  wenn 
man  Bier  in  Eierschalen  braut.  In  Sterlebrink  kam  einmal  eine  Frau 
in  die  Wochen  und  ging,  ehe  sie  ihren  Kirchgang  getan,  aus.  Da  ist  sie 
plötzlich  in  die  Wulwekerslöcker  geführt  worden  vmd  hat  dort  Hunde  säu- 
gen müssen,  so  dass,  als  sie  wieder  herauskam,  ihre  Briiste  so  lang  gewor- 
den waren,  dass  sie  sie  hat  über  die  Schultern  schlagen  können.  Bald  dar- 
auf sind  auch  die  Sgönaunken  zu  ihr  gekommen  und  haben  von  ihr  zwei 
Tonnen  Butter  verlangt,  denn  wenn  sie  die  nicht  erhielten,  so  müsse  sie  täg- 
lich wieder  in  den  Berg  und  Hunde  säugen.  Hagens  Gennania  IX.  1850. 
S.  93  fgg.  Die  Hunde,  welche  das  menschliche  Weib  in  dieser  Sage  säugen 
soll,  sind  Eibenkinder,  Wechselbälge.    Vgl.  o.  S.  300  n.  301  Anm.  '. 


305 

kortachtermilO.il.  obedra4.  obenan  s8').  Ach- 
ter mi  opn  sülvernen  knopp,  achter  mi  opngoll- 
nen  knopp  No.  9. 

e)  Suchen  wir  nunmehr  nach  der  Bedeutung  des  her- 
umgehenden Mädchens  —  denn  1.  2.  14  betonen  aus- 
drücklich das  weibliche  Geschlecht  des  fragenden  Kindes  — 
so  ergiebt  sich,  dass  hier  wieder  zwei  Anschauungen  ge- 
mischt sind.  Nach  der  einen  stellt  es  eine  gebärende  Mut- 
ter vor,  nach  der  andern  die  Schicksalsgöttin  (Norn),  wel- 
che die  Seelen  vom  Schofse  oder  aus  der  Gesellschaft  der 
Göttin  Holda  (Gode,  Hrösa,  Freyja)  zu  neuer  Geburt  in 
menschlichem  Körper  abholt. 

Die  Krankheit  der  entbundenen  Mütter  motivirt  man 
den  Kindern  mit  der  althergebrachten  Redensart:  „Der 
Storch  hat  die  Mutter  ins  Bein  gebissen"^)  und  in 
einer  kürzlich  in  den  Neuen  preufs.  Provincialblättern  mit- 
geteilten preufs.  Urkunde  ist  für  die  Schwangerschaft  der 
ebenso  altertümliche  Ausdruck  gebraucht  „se  het  'n  buk 
vull  knäken  (sie  hat  einen  Bauch  voll  Knochen).  In 
No.  1  verlangt  die  umgehende  „en  plasterke  för  min 
slimmen  (oder  schewen)  föt,  in  No.  1 1  „ik  harrn  gröt 
knäken  in't  ben."  In  vielen  deutschen  Sagen  ist  aus- 
gesprochen, dass  die  gebärenden  Mütter  die  (Seelen  der) 
Kinder  unmittelbar  aus  dem  Kinderbrunnen  empfangen. 

Jene  andere  Anschauung  spricht  sich  am  deutlichsten 
in  der  blinden,  hinkenden  Alten  No.  14  aus.  Wir 
werden  weiterhin  erweisen,  dass  man  sich  die  Schicksals- 
göttin als  altes  Mütterchen  mit  einem  Klumpfufs 
hinkend,  oft  als  blind  vorstellte  und  dass  sie  es  war, 
welche  nach  altgermauischem  Glauben  das  Eintreten  der 
Seelen  in  menschliche  Gestalt  vermittelte. 

f )  Nie  verliefs  eine  Seele  einsam  den  gemeinschaftlichen 
Aufenthalt.    Beim  Eintritt  in  menschlichen  Körper  wurden 

1)  Auffallend  stimmt  in  KIIM.  No.  42.  Ausg.  ISöO.  I,  249  die  Beschrei- 
bung von  der  Wohnung  des  Todes  überein.  Auch  hier  erhält  der  nach  sei- 
nem Gevatter  fragende  Pate  dreimal  die  Antwort  ,,eine  Treppe  höher". 

2)  MUndl.  Pommerellen.  Vgl.  Rocholz,  Alemann.  Kinderlied  S.  127:  „Er 
(der  Storch)  hat  gebracht  ein  Brüderlein,   er  hat  gebissen  die  Mutter  ins  Bein." 

20 


306 

ihr  eine  oder  zwei,  oft  mehrere  andere  Seelen  als  Schutz- 
oder Folgegeister  mitgegeben.  Man  nennt  diese  Geister 
Fylgien  oder  Hamingien,  ihr  Dasein  in  Deutschland  wie 
im  Norden  erweist  J.  Grimm,  Myth.  -  829  fgg. 

Die  Fylgien')  kamen  mit  der  Geburt  des  Menschen 
in  die  Welt,  sie  hatten  dann  ihren  Sitz  in  der  Haut,  wel- 
che manche  Kinder  um  ihr  Häuptlein  gewunden  mitbrin- 
gen. Wird  diese  Haut  verbrannt  oder  fortgeworfen,  so 
entbehrt  nach  isländischem  Glauben  der  Neugeborne  fortan 
seinen  Schutzgeist,  der  ihm  durch  das  ganze  Leben  folgt '). 
In  Norwegen  begleitet  man  jeden,  selbst  den  geringsten 
Gast  vor  das  Haus  oder  üflfnet  wenigstens  noch  einmal  die 
Tür  wenn  er  fortgegangen  ist,  damit  der  Folgegeist  (foelgie, 
fylgie  oder  vardoegl),  fixlls  derselbe  zurückgebheben  sein 
sollte,  Gelegenheit  findet  seinem  Herrn  nachzukommen,  der 
in  dessen  Abwesenheit  dem  Unglück  und  der  Gefahr  aus- 
gesetzt wäre  beim  liiesenbett  (Thusbettet)  in  Abgründe  zu 
stürzen,  oder  von  einem  bösen  Geist  geschädigt  zu  wer- 
den, der  ebenso  jedem  Menschen  folgt  ^).  Die  Fylgien  wei- 
sen sich  teils  in  Menschen-,  teils  in  Tiergestalt  und  zwar 
in  Gestalt  desjenigen  Tiers,  dessen  Gemütsart  dem  Cha- 
racter  des  Menschen  am  meisten  ähnlich  ist.  Des  Mutigen 
Folgegeist  hat  Wolfs-  oder  Bärgestalt,  die  Fylgie  des  Listi- 
gen erscheint  als  Fuchs  oder  Katze,  die  des  Furchtsamen 
als  Hase  oder  kleiner  Vogel.  Als  ein  gewisser  Thörsteinn 
noch  ein  kleiner  Knabe  von  7  Jahren  war,  kam  er  einmal, 
wie  Kinder  pflegen,  hastig  in  die  Stube  gefahren  und  fiel 
auf  der  Diele  hin.  Der  alte  Geitir  sah  das  und  brach  in 
Lachen  aus.     Später  von  Thörsteinn   befragt,    weshalb  er 

1)  Fj-lgia  se  adjungens.  Ueber  die  Etymologie  dieses  Wortes  s.  Ebel, 
Zeitschr.  für  vergl.  Sprachf.  VI,   217. 

2)  Fimi  Magnussen,  Eddalaeren  IV,  35.  Grimm,  Myth.*  828.  Dieses 
Häutebeu  beifst  auf  Island  selbst  Fylgja,  in  Deutschland  Glückshaube, 
Wehmutterhäubcben,  Kinderpelglin,  Glückshelra.  Kinder,  die  damit  geboren 
sind,  sollen  Glückskinder  sein,  weil  ein  Folgegeist  sie  schützend  begleitet. 
Vergl.  Haupt,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  I,  137.  K.  v.  K.  Erin  VI,  44«.  Eo- 
cholz.  Alemannisches  Kinderl.  S.  280  fgg.  Nach  Fischarts  Gargantua  c.  39 
zogen  feldflüchtige  Soldaten  , .ihre  Kinderb  äl  gl  in  herlür,  meinten  also  dem 
Teufel  zu  entfliehen.'"     Der  Schutzgeist  sollte  sie  retten. 

3)  Faye,  Norske  Sagn  S.  77. 


307 

gelacht  habe,  antwortete  er:  „Ich  sah,  was  du  nicht  sahst; 
als  du  in  die  Stube  tratst,  folgte  dir  ein  weifses  Bärenwelf 
und  lief  dir  voran  in  das  Zimmer;  als  es  mich  aber  ge- 
wahr ward,  blieb  es  stehn  und  du  fielst  im  hastigen  Lauf 
darüber  zu  Boden."  Das  war  Thorsteius  eigne  Fylgie  und 
Geitir  schloss  daraus,  dass  er  nicht  von  gemeiner  Art  sei  *). 
Der  Isländer  Eiuarr  Eyjolfsonr  sah  seines  Bruders  Gud- 
muud  Tod  im  Traume  voraus.  Ihm  däuchte,  ein  starkge- 
hörnter Ochse  steige  aus  dem  Eyjafjorö  auf  und  springe 
auf  den  Hochsitz  in  Gudmunds  Gehöft  Madruvöllr,  wo  er 
tot  niederstürzte.  Dieser  Ochse,  sagte  Einarr,  sei  eines 
Mannes  Fylgie.  Denselben  Tag  kam  sein  Bruder  Gudmundr 
der  Mächtige  von  einer  Reise  nach  Hause,  setzte  sich  auf 
den  Hochsitz  des  Hauses  und  sank  entseelt  zusammen  '^ ), 
Njäl  und  Thord  gingen  einmal  zusammen  aufs  Feld.  Da 
pflegte  ein  Bock  zu  verweilen,  den  Niemand  fortjagen 
konnte.  Mit  einmal  sagte  Thord:  „Das  kommt  mir  wun- 
derlich vor."  „Was  siehst  du  denn  Wunderliches,  fragte 
Njäl?"  „Mir  scheint,  sagte  Thord,  da  liegt  der  Bock  und 
ist  ganz  blutig."  Njäl  erwiederte,  das  sei  kein  Bock,  son- 
dern etwas  anderes.  „Was  denn?"  fragte  Thord.  „Sieh 
dich  vor,  du  bist  dem  Tode  nahe  (feigr  raaör)  und  das  ist 
dein  Folgegeist  ^)." 

Nehmen  die  Fylgien  nicht  Tierbildung  an,  so  erschei- 
nen sie  bald  als  hehre  Frauen  bald  ganz  in  derselben 
Gestalt  wie  der  Mensch,  den  sie  begleiten.  Hier- 
aus wie  aus  der  eben  dargelegten  Tiergestalt  der  Fylgien 
erklärt  sich  denn  auch,  weshalb  in  unserm  Kinderspiel  die 
Seelen  als  Lämmer  gedacht  sein  können'*). 

1)  Foramannasög.  IIT,    113. 

2)  Leösvetns.   21. 

3)  Niälssaga.   cap.  41. 

4)  Man  halte  dazu  dass  die  Schäfchen  oben  S.  245,  den  Kühen  S.  78 
gleich  stehn  und  daher  auch  wahrscheinlich  wie  diese  Mäi'en,  d.  i.  Seelen 
sind.  Vgl.  den  Aargauischen  Aberglauben:  „Bilden  die  Wolken  am  Himmel 
grade  in  des  Kindes  Geburtsstunde  Schäfchen,  so  wird  dasselbe 
recht  glücklich."  Rocholz,  Alemannisches  Kinderlied  S.  283.  No.  622.  Diese 
Schäfchen  sind  Fj-lgien.  Wie  Seeleu  in  unserem  Spiel  Hühner  und  Läm- 
mer sind,  gelten  die  Marienkäfer  =  Mären  als  himmlische  Hühner  und 
Schafe. 

20* 


308 

Sehr  häufig  hat  christlicher  Einfluss  im  Volksglauben 
die  Sclmtzgeister  in  Engel  verwandelt.  So  sagt  man  in 
Belgien:  „Wenn  ein  Kind  auf  der  Erde  fällt,  fällt  ein  En- 
gelchen im  Himmel  mit."  Doch  hat  sich  auch  noch  in  con- 
creteren  Gestalten  der  Glaube  an  die  Folgegeister  bewahrt. 
In  Schlesien  sagt  man,  wenn  die  Kinder  im  Schlaf  lachen, 
die  Augen  öffnen  und  wenden  „das  Jüdel  spielt  mit 
ihnen."  Lässt  das  Jüdel  die  Kinder  nicht  ruhen,  so  gebe 
man  ihm  etwas  zu  spielen.  Man  kaufe,  ohne  etwas  vom 
geforderten  Preis  abzuziehen,  ein  neu  Topf  lein,  tue  von 
des  Kindes  Bad  hinein  und  stelle  es  auf  den  Ofen.  Nach 
einigen  Tagen  wird  das  Jüdel  alles  Wasser  herausgeflet- 
schert  haben.  Sie  hängen  auch  Eierschalen,  aus  wel- 
chen der  Dotter  in  des  Kindes  Brei  und  der  Mutter  Suppe 
geblasen  ist,  an  der  Wiege  mit  Zwirnsfaden  auf,  dass  das 
Jüdel  damit  spiele,  statt  mit  dem  Kind.  Hat  das  Jüdel 
ein  Kind  verbrannt,  so  schmiere  man  das  Ofenloch  mit 
Speckschwarte').  Wie  schon  J.  Grimm,  später  ausführ- 
licher Sommer,  dargetan,  ist  Jüdel  eine  Nebenform  für 
Gütel,  Gütchen  eine  sehr  häufige  Benennung  der  Elbe''). 
Da  nun  die  Neugebornen  ebenfalls  aus  dem  Jütchen- 
oder  Gütchenteich  kommen  s,  oben  S.  298,  also  selbst 
als  Gütchen  bezeichnet  werden,  so  ist  der  gemeinsame  Ur- 
sprung der  in  menschlichem  Körper  weilenden  Seele  und  des 
Schutzgeistes,  der  mit  ihr  wächst,  mit  ihr  in  der  Kindheit 
spielt,  dadurch  auch  für  Deutschland  belegt. 

Verliefsen  Seelen  den  Aufenthalt  bei  der  Göttin  Holda, 
Hrosa,  Göde,  so  musste  nach  Vorstehendem  entschieden 
werden,  ob  sie  in  menschlichem  Körper  hinabzusteigen  be- 
stimmt sein  soUten,  oder  ob  ihnen  mit  Bewahrung  der  Gei- 
stigkeit der  Beruf  eines  Folgegeistes  zukomme.  Diesen 
Entscheidungsact  stellen  die  meisten  Varianten  unseres  Kin- 
derspiels dar,  indem  sie  die  Mutter  oder  die  Schicksals- 
göttin mit  der  abgeholten  Seele  tanzen  4.  5.  10  oder  die- 


1)  Myth.'  LXX,  62;  LXXXV,  473.  Vgl.  LXXXII,  389;  LXXXV,  454, 

2)  Myth.2  449  Anm.  1.     Sommer,  Sagen  S.  170. 


509^ 

selbe  über  einen  Strich  springen  lassen  9  und  zwar 
beides  mit  der  Aufgabe  nicht  zu  lachen.  Lacht  das  abge- 
holte Kind,  so  wird  es  ein  Teufel^  lacht  es  nicht,  so  bleibt 
es  ein  Engel  2.  4.  5.  7.  8.  9.   II. 

Der  Ausdruck  „Engel"  bezeichnet  hier,  wie  aus  5 
hervorgeht,  die  reine  Seele,  es  ist  die  Geist  gebliebene 
Fylgie;  notwendig  muss  der  Gegensatz  „Teufel"  in  Ver- 
derbnis durch  christlichen  Einfluss  die  in  menschlichen 
(sündhaften)  Körper  eingetretene  Seele  bedeuten.  Eine 
Haupteigenschaft  der  Geister  ist  es,  dass  sie  nicht  la- 
chen, wie  Wilhelm  Müller,  Nieders.  Sag.  S.  380  bewiesen 
hat;  der  Tod  macht  ernst  und  stumm.  Ausdrücklich  be- 
zeugt die  Sage,  dass  die  Gesellschaft  der  Frau  Holda 
im  Venusberg  nicht  lachen  darf).  Der  Wechselbalg 
d.  i.  eine  Seele,  die  nicht  in  die  volle  Menschennatur  ein- 
gedrungen ist,  bleibt  stumm,  gelingt  es  ihn  zum  Lachen 
zu  bringen,  so  liegt  statt  seiner  ein  vollgebildetes  Men- 
schenkind in  der  Wiege  s.  oben  S.  303.  Das  Lachen 
ist  also  ein  symbolischer  Zug  für  das  Eingehen  der  Seele 
in  menschliches  Wesen,  menschliche  Geberde  und  Em- 
pfindung. 

In  dem  Tanz  vermute  ich  ein  Abbild  des  Wirbelwin- 
des, mit  dem  die  Seele  zur  Erde  fährt,  wie  sie  vom  abge- 
storbenen Leichnam  als  Windhauch  wiederum  scheidet  s, 
o.  S.  269  fgg.  Der  Strich  in  No.  9  soll  wol  den  Fluss 
vorstellen  (das  Wolkengewässer  oder  den  Luftstrom),  wel- 
cher das  Seelenreich  von  der  Menschenwelt  scheidet  s. 
oben  S.  203. 

Ein  weiterer  symbolischer  Zug  ist  in  9.  10.  11  erhal- 
ten. Die  zum  Eintritt  in  das  Leben  bestimmte  Seele  wird 
gefragt:  „Wat  wistu  aeten?  wat  wistu  drinken?  wat 
krüpt  dar?  wat  flügt  dar?"  10.  —  Wat  krüpt  da?  wat 
fleit  da?  11.  —  Was  hast  gegesse?  wast  hast  getrunke? 
was  hast  du  gesehn?  8. 

Durch  den  Genuss  von  Speisen  im  Seelenreich  lassen 


1)  Zcitschr.  f.  D.  Myth.  I,  275. 


310 

unsere  Sagen  lebende  Menschen  den  Toten  anheimfallen, 
geradeso  wie  in  der  griechischen  Mythe  Persephone  durch 
den  Genuss  des  Granatapfels  gezwungen  ist  im  Hades  zu 
verweilen.  W.  Müller  hat  hiefür  die  sichersten  Beweise 
aus  der  germanischen  Mythenwelt  zusammengestellt ').  An- 
dererseits aber  streift  der  Genuss  irdischer  Speise  wie- 
derum der  Seele  die  rein  geistige  Natur  ab  und  bannt  sie 
in  die  Körperwelt.  Auch  hiefür  hat  "W.  Müller  bereits  ei- 
nige Gründe  namhaft  gemacht^).  Wir  wollen  die  Betrach- 
tuns dieses  Gelehrten  von  einer  anderen  Seite  wieder  auf- 
nehmen. 

Das  neugeborne  Kind  galt,  so  lange  es  die  heidnische 
Wassertaufe,  mit  welcher  die  Namengebung  verbunden  war, 
noch  nicht  empfangen  oder  noch  keine  menschliche  Speise 
genossen  hatte,  als  Seele.  Der  menschliche  sowie  jeder  an- 
dere Körper  wurde  als  ein  Gewand  gedacht,  das  die  Seele 
anzieht  (lihham  altn.  likhamr).  Das  Band  zwischen  der 
Seele  und  dem  Leibe  war  so  lange  lose,  bis  es  durch  ein 
von  den  Schicksalsjungfrauen  oder  der  höchsten  Göttin  ge- 
sponnenes Seil  oder  einen  Ring,  der  in  unseren  Sagen  be- 
sonders lebhaft  unter  der  Benennung  Schwan  ring  in  Er- 
innerung blieb,  gefestigt  wurde.  Mehrere  Spuren  verraten, 
dass  man  dieses  Schicksalsseil  erst  während  der  Was- 
serbegiefsung  gefertigt  wähnte.  Doch  davon  weiter  unten. 
Aus  diesem  Grunde  glaubte  man,  dass  ungeborne  d.  i. 
aus  dem  Mutterleibe  geschnittene  Kinder  leuchten,  Glie- 
der (Arme,  Füfse,  Finger)  von  ihnen  unsichtbar  machende, 
alles  einschläfernde  zum  Diebshand  werk  taugliche  Lichter 
abgeben.  Die  Seele  galt  ja,  wie  als  Lufthauch,  so  als 
feuriges  Element**).     Weil  die  Verbindung   der  Seele 


1)  Niedersächs.  Sagen  S.  372  fgg. 

2)  A.  a.  O.  S.  387. 

3)  S.  R.  Köhler  in  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV.  Heft  2.  Sterne  sind  See- 
leu; -wenn  ein  Kind  stirbt,  macht  der  Herrgott  einen  neuen  Stern;  ungetauft 
gestorbene  Kinder  werden  Irrlichter,  auf  Gräbern  hüpfen  blaue  Flammen. 
Grenzven'ücker  gehen  nach  dem  Tode  als  Feuermänner  iim.  In  der  Hole  des 
Todes  brennen  die  Seelen  als  Lichter.  Gisli  Sürssonr  träumt,  dass  er  von 
der  einen   seiner   beiden  Fylgien    in   ein   grofses  Haus  geführt  werde,    wo  er 


3H 

mit  dem  Körper  noch  nicht  Halt  gewonnen  hat,  ist  das 
Kind  bis  zur  Taufe  (die  im  Volksaberglauben  die  Stelle  der 
heidnischen  „Dication"  —  s.  darüber  unten  —  einnahm)  der 
Vertauschuug  ausgesetzt,  d.  i.  in  Gefahr  von  den  Geistern 
ohne  weiteres  wieder  in  ihre  Gemeinschaft  gezooren  und 
durch  den  nur  anscheinend  mit  menschlicher  Körperlich- 
keit behafteten  Folgegeist  ( ? )  ersetzt  ' )  zu  werden.  Der 
Wechselbalg  selbst  ist  nichts  anderes  als  eine  nicht  zur 
vollen  Menschheit  durchgedrungene  Seele.  Bis  zu  dem  be- 
zeichneten Zeitpunkt  war  es  auch  nach  altgermanischem 
Recht  erlaubt  ein  Kind  zu  töten  oder  auszusetzen,  weil  es 
noch  nicht  als  ein  echter  Mensch  betrachtet  werden  konnte. 
War  jedoch  irdische  Speise  über  die  Lippen  gekommen, 
so  hörte  dieses  Recht  auf.  Als  des  heiligen  Liudger  Mut- 
ter Liafburg  geboren  wurde,  befahl  die  noch  heidnische 
Schwieger,  das  neugeborne  Kind  als  Mädchen  in  knaben- 
losem Hause  in  eine  Badwanne  zu  werfen  und  so  zu  töten. 
Eine  mitleidige  Nachbarin  kam  herzu,  strich  dem  Kinde 
etwas  Honig  in  den  Mund  und  erwarb  ihm  so  das 
Recht  ans  Leben.  Es  wurde  nicht  getötet,  sondern  aufser- 
halb  des  elterlichen  Hauses   auferzogen  ^).     Mit  dem  heid- 


viele  von  seinen  vei-storbenen  Freunden  und  Venvandten  findet.  Diese  safseu 
und  tranken  an  Feuern,  die  in  der  Halle  angerichtet  waren.  Sieben  Feuer 
brannten  da,  von  denen  die  einen  noch  hell  loderten,  die  andern  nahe  am 
Erlöschen  waren.  Da  sagte  sein  guter  Folgegeist,  zu  ihm  tretend:  ,, Hier  will 
ich  dich  o  Freund  aufnehmen  und  dir  die  übrigen  Jahre  deines  Lebens  zeigen. 
Die  Feuer,  die  du  siehst,  bedeuten  dein  noch  übriges  Lebensalter."  Gisla 
Sürssouarsaga  ed.  Island,  cap.  22.  p.  157.  Beide  Vorstellungen  der  Seele  als 
Lufthauch  und  als  Feuer  vereint  folgende  Sage:  Einer  alten  Frau  in  Bro- 
dersdorf  begegnete  einmal  die  wilde  Jagd.  Nichts  als  Lichter 
und  Lichter  brannten  bei  ihr  herum  und  dabei  lärmte,  schrie,  sclioss 
und  heulte  es,  dass  ihr  Hören  und  Seheu  verging.  Müllenhoft",  Sagen  S.  370. 
No.  CDXCV. 

1)  Darf  diese  Vorstellung  etwa  aus  dem  Zuge  geschlossen  werden,  dass 
das  von  den  Eiben  geraul)te  Kind  dieselbe  Beluindlung  erfahrt,  wie  der  Wech- 
selbalg, mit  ilim  also  in  Wechselwirkung  steht? 

2)  KA.  '158.  Um  den  ersten  pechschwarzen  Unrat  des  neugebomen 
Kindes  (das  Kindspech,  mcconium)  zu  verdünnen,  giebt  man  demselben  in 
Oestreich  und  der  Schweiz  das  sogenannte  ,,kindss!iftlein,  kindstränkli",  be- 
stehend aus  Ptirsichblüten  oder  Iloldermufs,  in  Erfurt  Mecrzwiebelsaft,  in  Ber- 
lin Mannasaft  mit  Rhabarber  ein.  Da  die  Natur  durch  die  erste  salzhaltige 
Muttermilch  (Colostrum)  schon  von  selbst  für  die  Abführung  gesorgt  hat,  imd 


312 

nischeu  Taufact  war  im  Scandinavischen  Norden  die  Knie- 
setzimg verbunden.  Der  Vater  liefs  sich  das  Kind,  das 
nach  der  Geburt  auf  den  Boden  (göH)  gelegt  war,  rei- 
chen und  entschied,  ob  er  es  anerkennen  wolle  oder  nicht. 
Geschah  das  erstere,  hatte  der  Vater  das  Kind  aufgenom- 
men, so  setzte  er  es  auf  seine  Knie,  gab  ihm  einen  Namen 
und  begoss  es  mit  Wasser  (ios  vatni).  Durch  diese  Hand- 
lung erhielt  der  Säugling  ebenso,  wie  durch  den  Genuss 
irdischer  Speise,  Anspruch  auf  das  Leben.  Er  durfte  fortan 
nicht  mehr  ausgesetzt  oder  getötet  werden.  Aus  Deutsch- 
land ist  uns  leider  so  gut  wie  jede  Quelle  über  das  Ver- 
fahren der  Heiden  bei  der  Geburt  der  Kinder  verloren  ge- 
gangen, dass  aber  eine  ähnliche  Sitte  wie  die  nordische 
Wasserbegiefsung  stattfand,  geht  wol  aus  den  Worten 
Chlodwigs,  des  Frankenkönigs,  über  sein  christlich  getauf- 
tes aber  noch  während  der  Taufwoche  in  den  weifsen  Ge- 
wändern verstorbenes  Söhnlein  hervor:  „Si  in  nomine  deo- 
rum  raeorura  puer  fmsset  dicatus,  vixisset  utique,  nunc 
autem,  quia  in  nomine  dei  vestri  baptizatus  est,  vivere 
omnino  non  potuit"  ^).  Die  christliche  Taufe  übt  nach  des 
Heiden  Ansicht  nicht  die  der  heidnischen  Weihung  zuste- 
hende Kraft,  des  Kindes  Körperlichkeit  zu  festigen.  Auch 
die  humi  positio  vor  dieser  Dication  wird  nicht  gefehlt 
haben,  sie  scheint  nach  Spuren  im  heutigen  Volksglauben 
noch  mit  dem  besonderen  Zusatz  in  Geltung  gewesen  zu 
sein,    dass  man   das  Kind  statt  auf  die  Diele '^)  überhaupt 


die  Verdünnung  normal  in  wenigen  Tagen  ohne  künstliche  Mittel  eintritt,  bei 
dem  mit  feiner  Beobachtixngsgabe  ausgerüsteten  Naturmenschen  daher  die  Er- 
fahrung nicht  leicht  zur  Anwenduung  von  Abführungsmitteln  verleiten  konnte, 
ist  eine  symbolische  Bedeutung  des  Kindssäftli  nicht  undenkbar.  Es  wurde 
vielleicht  ursprünglich  gegeben,  uhi  das  Kind  der  voUen  Menschlichkeit  desto 
eher  teilhaftig  zu  machen;  als  der  alte  Sinn  erlosch,  trat  ein  anderes  Motiv 
ein.  Wahrscheinlich  wird  diese  Annahme  durch  den  Aargauischen  Aberglau- 
ben „will  man  beim  Neugebornen  das  Kindstränkli  nicht  anwenden,  so  muss 
man  ihm  doch  Syrup,  Eiergelb,  Nidel,  auch  Traubeumufs,  sogleich  zwi- 
schen die  Lippen  streichen."  Es  kommt  also  nur  darauf  an,  dass  das 
Kind  etwas  geniefse,  nicht  dass  die  Speise  abführende  Wirkung  äufsere.  S. 
Kocholz,  Alemannisches  Kinderlied  S.  282  fgg.  No.  624.  625. 

1)  Gregor.  Turon.  II,  29—31. 

2)  Das  Aufnehmen    des    Kindes    vom    Boden    bei    der  Namengebung 
hat  nach  Grimms  wahrscheinlicher  Vermutung  der  Hebamme  ahd.  hevanna 


313 

auf  den  Fufsboden  unter  die  Stubenbank  legte'). 
„Wenn  das  Kind  geboren  ist,  muss  man  es  sogleich  un- 
ter die  Stubenbank  legen,  damit  es  seine  Lebtage 
nie  den  Geistern  verfalle.  Ein  um  Weihnachten  und 
Fronfasten  zur  Welt  kommendes  Kind  ist  ge  ist  er  sich- 
tig; wickelt  man  es  aber  sogleich  in  Windeln  und  legts 
unter  die  Stubenbank,  so  wird  alles  verhütet-)."  Wenn 
ein  neugebornes  Kind  einen  zu  grofsen  Kopf  (das 
Abzeichen  der  Wechselbälge)  oder  sonst  etwas  Selt- 
sames an  sich  trägt,  soll  man  es,  sobald  es  von  der  Mut- 
ter kommt,  am  ersten  auf  die  blofseErde  unter  eine 
Bank  legen ^).  In  Pechüle  bei  Treuenbrietzen  und  Rauen, 
bei  Fürstenwalde,  aber  auch  sonst  in  der  Mark,  nament- 
lich in  der  nächsten  Umgebung  von  Berlin,  legt  die  He- 
bamme, sobald  sie  von  der  Taufe  mit  dem  Kinde  nach 
Hause  kommt,  dasselbe  erst  unter  die  Bank  und 
dann  in  die  Wiege;  hier  dreht  sie  es  dann  mehrmals 
um  und  um*)."  Wir  sehen  in  den  augeführten  Gebräu- 
chen die  mit  dem  Taufact  verbundene  Humiposition,  die 
schon  Rocholz  mit  der  nordischen  Sitte  zusammeno^estellt 
hat,  verhüten,  dass  das  Kind  den  Geistern  verfalle,  gei- 
stersichtig und  Wechselbalg  (d.  i.  nicht  zur  Körperlichkeit 
durchgedrungene  Seele)  sei.  Hiemit  ergiebt  sich  ein  ge- 
wichtiges Zeugnis  für  die  von  uns  vorgetragene  Ansicht. 
Hat  dieselbe  im  Ganzen  Grund,  so  wird  auch  gegen  die 
Auffassung    der  Liafburglegende    nichts   zu   erinnern   sein, 

den  Namen  eingetragen  RA.  455;  gram  II,  680  so  wie  von  dem  Zuboden- 
legen  des  Kindes  die  nordische  Hebamme  jordgumma,  jordemoder  (Erdmut- 
ter) heifst. 

1)  Es  geschah  dies  wol  aus  demselben  Grunde,  aus  welchem  bei  der 
Hochzeit  im  Norden  eine  Bankgabe  (beckjargjöf)  dargereicht  wurde,  oder 
alts.  die  Frau  Bett-  und  Bankgenossiu  ( gibeukia  gibeddea)  des  Mannes 
genannt  Avurde.  EA.  443.  Der  neue  Ankömmling  sollte  durch  die  feierliche 
Dication  nicht  allein  in  die  Menschengemeinschaft,  sondern  auch  in  die  Haus- 
geuossenschaft    aufgenommen  werden. 

2)  Aargauischer  Aberglaube.  Rocholz,  Alem.Kiuderl.  S.279.  No.G13.614. 

3)  Puerperium  Marianum,  Unser  Lieben  Frawcn  Kindelbett  durch  Christ. 
Marianum.     Constanz  b.  Nicol  Kalt   1599  p.  133.     Rocholz  a.  a.  0. 

4)  Hängt  dieses  Umdrehen  vielleicht  mit  dem  Tanz  oder  Umdre- 
hen (drei  di  dreimal  um  u.  s.  w.)  in  unscrm  Kinderspiel  No.  4.  5.  10  vergl- 
oben  S.  308  zusammen?  —  Kuhn,  Nordd.  Sag.  430,  2G0. 


314 

dass   der   Genuss   irdischer  Speise   als  Gewähr  voll- 
ständiger Annahme  der  Meuschennatur  betrachtet  wurde. 

Stellt  unser  Kinderspiel  den  Eintritt  der  Seele  in  mensch- 
liche Gestalt   dar   und   knüpft  denselben  an  die  Aufnahme 
irdischer  Nahrung,   so  tritt  uns  in  einem  andern  mit  ganz 
ähnlicher  Wendung  das  Zurücktreten  der  Seele  in  die  Gei- 
sterwelt  durch   den   Genuss  himmlischer   Speise   entgegen. 
„Rüssel  di  dussel  wat  hestu  gedronken?" 
Hemmelsch  water. 
„Rüssel  di  dussel,  wat  hestu  gegäten?" 
Hemmelsch  brod. 

Das  in  der  Mitte  stehende  Kind  bezeichnet  nun  ein 
anderes  in  dem  Kreise  und  sagt: 

Spei  en  de  loft  on  lach  nich. 
Lacht  es  nicht,  so  tritt  es  in  den  Kreis'). 

Sollte  mit  dem  feierlichen  Aufnehmen  des  Kindes  vom 
Boden,  wovon  die  Hebamme  ihren  Namen  hat,  die  Formel 
„engeli  ufzücha"  (in  die  Höhe  heben)  in  No.  5  zusam- 
menhängen? 

g)  In  No.  1 .  4.  8.  9.  11  wird  angegeben,  dass  eine  vor- 
her abgeholte  Seele  nicht  zum  Eintritt  in  menschlichen 
Körper  getaugt  habe.  Am  besten  schildert  den  Hergang 
No.  9.  Du  hast  ja  erst  gestern  ein  Lamm  erhalten?  „Das 
lachte  nicht"  d.  i.  es  war  ein  Wechselbalg  s.  oben  S.  303, 
„es  sprang  übers  Heck;  ich  legte  es  auf  die  Bank, 
da  wurde  es  wie  ein  Äal  so  lansc;  ich  legte  es  auf  den 
Fufsboden,  da  wurde  es  wie  eine  Scheere;  ich  legte  es 
in  die  Wiege,  da  wurde  es  wie  eine  Fliege;  ich  legte  es 
auf  die  Fensterbank,  da  holte  der  hässliche  Wolf  es  weg." 
Die  Seelen  sind  jeder  Verwandlung  fähig  und  sträuben  sich 
durch  oftmalige  Metamorphose  in  menschliche  Natur  ein- 
zugehen. 

Ein  ganz  analoger  Vorgang  wird  uns  in  dem  schönen 
schottischen  Volkslied  von  Young  Tamlane  geschildert,  aus 
dem  ich,    da   mir  das  Original  nicht  zur  Hand  ist,    einen 


1)  Kettwig  aufgezeichn.  v.  IL  Greef  in  Meurs;    d.  L.  Erk. 


315 

Auszug  mit  Gräfses  Worten  gebe :  „Einst  ging  die  Tochter 
Dunbars  des  Grafen  von  March,  Janet  auf  die  Ebene  Car- 
terhaugh  in  Selkershire,  wo  der  Ettrick  sich  mit  dem  Yar- 
row  vereinigt,  und  kam  da  an  eine  Quelle,  wo  sie  einen 
schönen  Zelter  stehen  sah,  aber  einen  Reiter  sah  sie  nicht. 
Da  brach  sie  eine  rote  Rose  ab  und  noch  eine  und  wie- 
der eine.  Auf  einmal  stand  ein  Mann  vor  ihr,  der  sie 
fragte  warum  sie  hieher  komme  und  Rosen  abpflücke,  ohne 
ihm  zuvor  etwas  davon  zu  sagen.  Sie  aber  entgegnete  ihm, 
Carterhaugh  gehöre  ihr,  denn  ihr  Vater  habe  es  ihr  ge- 
schenkt und  sie  werde  Niemanden  fragen,  ob  sie  gehen 
oder  kommen  solle.  Jener  aber  nahm  sie  bei  der  Hand 
und  führte  sie  unter  eine  Linde  und  sprach  lange  mit  ihr. 
Niemand  aber  erfuhr,  was  da  mit  ihr  vorgegangen  ist.  Als 
sie  aber  wieder  nach  Hause  zurückgekehrt  war,  fanden 
Alle,  dass  ihr  früherer  Frohsinn  verschwunden  sei  und  es 
war  ofienbar,  dass  sie  geheimes  Leid  trage  und  irgend  eine 
hofihungslose  Liebe  den  Grund  davon  abgebe.  Als  nun 
ihr  Vater  von  ihr  zu  wissen  begehrte,  wer  der  Vater  des 
Kindes  sei,  das  sie  unter  ihrem  Herzen  trage,  gestand  sie 
ihm,  dass  sie  als  solchen  keinen  von  den  Rittern  des  Lan- 
des nennen  könne,  denn  ihr  Geliebter  sei  ein  Elfe 
und  gehöre  den  Ueb erirdischen  an,  sei  ihr  aber  viel 
werter  als  der  schönste  Ritter.  Sie  ging  nun  wieder  nach 
Carterhaugh,  wo  sie  jedoch  nur  den  Zelter  ihres  Tamlane 
stehen  sah,  ihn  selbst  aber  nicht  erblickte.  Daher  pflückte 
sie  wiederum  Rosen  und  siehe,  er  erschien  und  untersagte 
ihr  das  Pflücken').  Nun  fragte  ihn  Janet,  ob  er  ein  Christ 
sei,  er  aber  sagte,  er  sei  der  Sohn  Rudolphs,  Grafen  von 
Murray  und  wie  sie  von  einer  sterblichen  Mutter  geboren. 
Einst  habe  ihn  als  achtjährigen  Knaben  sein  Onkel  mit  auf 
die  Jagd  genommen  und  es  sei  ihn  ein  Todes  schlaf 
überkommen ,  bei  seinem  Erwachen  habe  er  sich 
unter  den  Elfen  befunden  und  die  Königin  derselben 
habe   ihm  Leib   und  Glieder  ausgezogen  und  ihn 


1)  Die  Rosen  sind  die  Seele  Tamlanes  selbst. 


316 

zu  einem  Elfen  gemacht.  Er  könne  sich  seitdem  grofs 
und  klein  machen  und  nach  Belieben  in  der  Luft  oder  auf 
der  Erde  wohuen  und  er  möchte  Zeitlebeus  im  Elfenlande 
bleiben,  wenn  er  nur  nicht  alle  sieben  Jahre  mit  den 
Elfen  zur  Hölle  müsste'),  wo  ein  Wesen  aus  dem 
Elfenreiche  als  Zoll  gespendet  werde  und  er  fürchte,  dass 
ihn  diesmal  das  Loos  treffen  dürfe.  Er  fügte  hinzu,  dass 
sie,  wenn  sie  Mut  und  wahre  Liebe  besitze,  ihn  den  Elfen 
entreifsen  könnte,  und  als  jene  versicherte  zu  Allem  bereit 
zu  sein,  so  sagte  er  ihr,  dass  heute  der  heilige  Abend  sei, 
an  welchem  die  Elfen  auszuziehen  pflegen  und  sie  möge 
daher  an  einem  auf  dem  Wege  stehenden  Kreuz  um  Mit- 
ternacht ihn  erwarten.  Er  werde  auf  einem  weifsen  Pferde 
reiten  und  an  der  rechten  Hand  einen  Handschuh  tragen, 
während  die  linke  unbedeckt  sei.  Hieran  möge  sie  ihn  er- 
kennen, ihn  vom  Rosse  herabziehen  und  in  ihre  Arme 
schliefsen,  woraus  sie  ihn  nicht  loslassen  dürfe,  auch  wenn 
er  sich  dann  in  eine  Schlange,  Molch,  Feuer  und  glühen- 
des Eisen  verwandeln  werde,  denn  er  tue  ihr  nichts  zu 
Leide.  Sie  möge  ihn  dann  in  ein  Fass  mit  Milch  und 
nachher  ins  Wasser  werfen-),  denn  er  werde  zu  ei- 
nem Aal  und  zu  einer  Kröte,  sodann  aber  zu  einer  Taube 
und  einem  Schwane  werden,  hierauf  aber  müsse  sie  ihren 
grünen  Mantel  über  ihn  werfen,  denn  dann  werde  er  wie- 
der nackend  sein,  wie  er  zur  Welt  gekommen.  Als  dieses 
nun  Janet  alles  buchstäblich  erfüllte,  bekam  sie  ihren  Tam- 
lane  wieder,  die  Elfenkönigin  aber  liefs  aus  den  grünen 
Gebüschen  laute  Klagen  über  den  Verlust  des  schönen 
Jünglings  ertönen  ^). 


1)  Die  7  Wintermonate  werden  die  Seelen  in  der  Wolke  von  den  bösen 
Dämonen  gefangen  gehalten. 

2)  Entspricht  dieses  Bad  der  heidnischen  Wasserbegiefsuug? 

3)  W.  Scott  Minstrelsy  of  the  Scottish  borders  U.  p.  193  fgg.  Grälse, 
Die  Sage  vom  Tannhäuser  S.  11  fgg.  Ganz  äliuliche  Verwandlungen  nehmen 
vor  ihrer  Erlösung  die  weifsen  Frauen  an,  die  nach  S.  78  fgg.  den  Mären,  Elfen 
identisch  sind  und  in  denen  die  Bedeutung  als  Elementarwesen  (Wasserfrauen) 
und  Seelen  (s.  oben  S.  79)  sich  mischt.  Ueber  diese  Erlösungssagen  ein 
andermal. 


317 

Bedeutungsvoll  scheint  die  Formel  in  8  „eins  ist 
mir  ins  Börnche  gefalle",  die  Seele  ist  in  den  Kin- 
derb ruunen  zurückgesunken.  —  Das  Dreifache  Legen  auf 
die  Bank,  die  Fensterbank  und  den  Fufsboden  in 
No.  9  ist  wol  nur  Auseinanderziehung  des  Vorgangs  bei 
der  humipositio,  wobei  das  Kind  auch  auf  den  Fufsbo- 
den unter  der  Bank  gelegt  wird.  Weshalb  diese  Hand- 
lung hier  fruchtlos  bleibt,  sehe  ich  nicht  ein.  Etwa  weil 
die  Aufnahme  (Kniesetzung)  fehlend  gedacht  wurde?  In 
No.  10  enthält  die  Phrase:  Ik  harrn  gröt  knäken  int  ben. 
Wo  lang?  asn  bank"  ein  oifenbares  Verderbnis,  da  der 
S.  305  besprochene  Knochen  im  Bein  hier  so  wol  über- 
haupt an  unrechter  Stelle  eingeschoben  ist,  als  auch  ins- 
besondere nicht  „lang  wie  eineBank"  genannt  werden 
kann.  Die  zuletzt  angeführten  Worte  sind  vielmehr  Ueber- 
rest  einer  ähnlichen  Wendung  wie  die  eben  besprochene 
in  No.  9.  Merkwürdig  wird  auch  der  kinderbringende 
Storch  aufgefordert,  das  Kind  auf  die  Bank  zu  legen: 

Storch,  Storch  Langbein 

Bring  der  Mutter  ein  Kind  heim. 

Legs  auf  die  Bank, 

Wirds  hübsch  lang; 

Legs  auf  die  Lade, 

Wirds  ein  Soldate; 

Legs  hinter  die  Plölle, 

Wirds  ein  Junggeselle'). 
Als  Mittel,  um  das  Entweichen  der  Seele  zu  hindern, 
das  Band  zwischen  Körper  und  Geist  zu  festigen,  wird  in 
8.9.  11  das  Bestreuen  mit  Salz  angegeben  und  jedes- 
mal die  Wichtigkeit  dieser  Handlung  eingeschärft.  Dies 
erinnert  sogleich  an  folgenden  Aberglauben.  Kindern,  die 
einen  Vogel  haschen  wollen,  gibt  man  scherzweise  den 
Rat,  ihm  Salz  auf  den  Schwanz  zu  streuen,  so  lasse  er 
sich  greifen 2).     Auch  Wild  soll  auf  gleiche  Weise  gefan- 

1)  Weimar  d.  Reinhold  Köhler. 

2)  Mündlich  Pommerellen,  Mark  Brandenburg;   auch  im  Rheinland  nacli 
einer  Anmerkung  in  Simrocks  Edda,  ebenso  in  Oestreich. 


318 

gen  werden  können  ').  Ein  Bursche  warf  einer  Hexe,  ne- 
ben der  er  beim  Essen  safs,  eine  Handvoll  Salz  in  den 
Nacken.  Da  konnte  sie  nicht  aufstehen,  weil  sie  zu 
schwer  geworden.  Erst  als  der  Junge  sie  wieder  vom 
Salz  freimachte,  kam  sie  los^).  Wild  und  Vögel  sind  Ge- 
stalten, in  denen  Seelen  erscheinen;  den  Hexensagen  liegen 
Elbensagen  zu  Grunde  und  was  von  den  Hexen  gesagt 
wird,  ist  häufig  von  den  Eiben  zu  verstehen.  Die  Schnel- 
ligkeit des  Wildes  und  Vogels  mochten  unsere  Alten  nicht 
anders  begreifen,  als  indem  sie  dieselbe  der  Windeseile 
entschwebender  Geister  zuschrieben.  Salz  bricht  Verzau- 
berung, bricht  die  Macht  der  Geister  s.  oben  S.  6  Anm.  3, 
verleiht  dem  Körper  irdische  Wesenheit,  Schwere  und 
Langsamkeit.  Darum  würden  die  Tiere  zu  fangen  sein, 
wenn  es  gelänge,  ihnen  Salz  auf  den  Schwanz  zu  streuen, 
und  in  gleichem  Mafse  würde  das  Salz  bei  dem  Kinde  gewirkt 
haben,  dem  Leibe  Halt  und  Körperlichkeit  zu  verleihen''). 

h)  Den  Beschluss  des  Spiels  bildet  in  No.  5  und  9  ein 
Kampf  zwischen  Engeln  und  Teufeln  d.  i.  Seelen  und 
Menschen.  Die  Geisterwelt  sucht  die  Menschen  fortwäh- 
rend wieder  in  ihr  Bereich  zu  ziehen,  die  Körperwelt  wie- 
derum strebt  die  Seelen  mit  Leiblichkeit  zu  umkleiden,  da- 
her zwischen  beiden  ein  ewiger  Kampf  stattfindet.  In  No.  9 
und  auch  nach  der  Spielweise  mehrerer  anderer  Gegenden, 
von  der  ich  nur  Bruchstücke  kenne,  geschieht,  wie  ich  aus 
mündlicher  Quelle  weifs,    der  Kampf  in  der  Weise,    dass 

1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   203. 

2)  MüUenhoff,  Sagen  S.  564.  No.  DLXXI. 

3)  Dem  scheint  zu  widersprechen,  dass  arme  Leute  bei  den  Nord-  und 
Südgermauen  (in  Frankreich  noch  1408)  neben  ausgesetzte  Kinder  mit- 
unter Salz  legten  zum  Zeichen,  dass  der  Aussetzling  noch  ungetauft  sei. 
RA.  457.  Ich  glaube  jedoch,  dass  dieser  Gebrauch,  in  welchem  ein  älteres 
Motiv  wiederum  mit  einem  neueren  vertauscht  scheint,  ebenso  aufzufassen  ist 
wie  die  nordische  Sitte,  das  ausgesetzte  Kind  durch  eine  Umhüllung  zu 
schützen  und  ihm  etwas  Nahrung  in  den  Mund  zu  geben.  Es  fand  dies 
nur  dann  statt,  wenn  man  wünschte,  dass  ein  Anderer  das  Kleine  finde  und 
aufziehe.  Gunnlaugssaga  ed.  Havn.  192  —  220.  Durch  Salz  xmd  Speise  sollte 
der  Wunsch  ausgedrückt  werden,  dass  das  Kind  dem  Leben  erhalten  bleibe. 
Dies  geht  namentlich  auch  noch  daraus  hervor,  dass  Dansk.  Vis.  No.  176  (RA. 
a.  a.  O.)  geweihtes  Salz  und  Licht  neben  das  ausgesetzte  Kind  gesetzt  wird. 
Lichter  lässt  man  bei  Kindern  brennen,  damit  die  Elbe  sie  nicht  holen,  ver- 
tauschen sollen. 


_31_9^ 

beide  Parteien  sich  gegenseitig  über  den  von  uns  oben  S.  309 
für  den  Seelenstrom  oder  Totenfluss  erklärten  Strich 
zu  ziehen  suchen,  der  die  Grenze  der  Geister-  und  Men- 
schenwelt bildet.  In  No.  12  macht  Mutter  Tepperken  selbst 
den  Versuch,  die  in  der  Menschheit  geborenen  Seelen  wie- 
der in  ihr  Totenheer  zu  reifsen,  grade  wie  wir  bei  Holda 
oben  S.  267.  268  dieses  Bestreben  wahrnahmen.  In  No.  2 
fängt  ein  Teufel  alle  Engel  und  macht  sie  zu  Teufeln.  Ich 
möchte  darin  eine  sehr  begreifliche  Umkehrung  davon  se- 
hen, dass  der  Engel  (die  Seele)  die  Teufel  (Menschenkin- 
der) wieder  zu  Engeln  machte. 

Gelang  der  voranstehenden  Untersuchung  auch  nicht 
alle  einzelnen  Züge  unseres  Kinderspiels  mit  voller  Klarheit 
zu  deuten,  so  wird  doch  der  dargelegte  Ideenzusammen- 
hang im  Ganzen  keinem  Zweifel  unterliegen,  und  als  ge- 
wiss kann  betrachtet  werden,  dass  wir  in  diesem  Reigen 
einen  zusammenhängenden  Ueberrest  der  ältesten  chorischen 
Poesie  unseres  Volkes  vor  uns  haben..  Durch  diese  Be- 
merkung erhält  die  oben  S.  272  vorgetragene  Lehi'e  von 
der  Wiedergeburt  festeren  Halt.  Wir  bringen  dafür  noch 
einige  weitere  Spuren  bei.  Von  St.  Gerdrüt,  welche  in 
Deutschland  an  die  Stelle  der  Fre}'ja-Hildr  trat')  (ihr  Name 
„die  Speerjungfrau"  kommt  dem  jener  Göttin  Valfreyja, 
Herrin  der  in  der  Schlacht  Gefallenen  nahezu  gleich),  heilst 
es,  dass  die  Seelen  der  Sterbenden  zu  ihr  eilen  und 
jedesmal  die  erste  Nacht  bei  ihr  zubringen  ^ ).  Sie  tritt 
aber  in  der  Volkslegende  ebensowol  in  Verbindung  mit  dem 
kinderbringenden  Storch  auf.  Von  der  Kai-leburü 
in  Franken  ging  St.  Gertrud  nach  Neustadt.  In  der  Nähe 
von  Waldzell  ward  sie  von  Erschöpfung  und  Durst  ergriffen. 
Da  flog  plötzlich  ein  Storch  vor  ihr  auf  und  es  ent- 
sprang eine  Quelle,  deren  Wasser  kranke  Augen  heilt  ^). 

1)  Myth.2  54.  282.  639.  Wolf,  Beitr.  I,  192.  Zeitschr.  f.D.  Myth. 
III,  320.  Ueber  Gertruds  mythische  Natur  s.  auch  Kettberg,  Kirchenge- 
ßchichte  Deutschlands  II,   334.   339. 

2)  Papierhs.   zu  St.  Florian.     Myth.'  XLVIII,   24, 

3)  Archiv  des  histor.  Vereins  von  Unterfranken  und  Aschaftenburg  XTII, 
3,   154. 


320 

Die  den  Germanen  nah  verwandten  Kelten  hatten,  wie 
wir  besonders  aus  den  zahlreichen  Sagen  über  die  Fairies 
zu  erkennen  Gelegenheit  haben,  im  Wesentlichen  densel- 
ben Glauben  über  Seelen  und  Elbe,  wie  unsere  Vorväter, 
aus  einer  gemeinsamen  Urzeit  bewahrt.  Die  Uebereinstim- 
mung  wird,  je  höher  wir  in  das  Altertum  hinaufgehen,  im- 
mer gröfser  gewesen  sein.  Somit  ist  es  von  vorne  herein 
wahrscheinlich,  dass  wenn  dem  einen  Volke  in  der  Urzeit 
die  Wiedergeburt  bekannt  war,  das  andere  des  gleichen 
Glaubens  nicht  entbehrte.  Ein  gewichtiges  Zeugnis  gewährt 
uns  Caesar,  der  von  den  gallischen  Druiden  berichtet:  Im- 
primis  hoc  volunt  persuadere,  uon  interire  animam,  sed  ab 
aliis  post  mortem  transire  ad  alios;  atque  hoc  maxime  ad 
virtutem   excitari    possunt   metu   mortis   neglecto  ' ).     Dass 


1)  De    hello  Gallico  VI.    cap.  14.     Aus   Caesar   offenbar   schöpft  Lucan 
Pharsal.  I,  452—462: 

Solls  nosse  deos  et  coeli  numiua  vohis 

Aut  solis  nescire  datum:  nemora  alta  remotis 

Incolitis  lucis.      Vohis  auctoribus  umbrae 

Haud  tacitas  Erebi  sedes  Ditisqne  profandi 

PaUida  regna  petunt:    regit  idem  spiritus  artus 

Orbe  alio :  longae  (caiütis  si  coguita)  vitae 

Mors  media  est.     Gerte  populi  quos  despicit  arctos 

Feliees  errore  sui,  quos  ille  timorum 

Maximus   haud  urget  leti  metus.     Inda  ruendi 

In  feiTum  mens  prona  viris  auimaeque  capaces 

Mortis  et  igna\nim  rediturae  parcere  vitae. 

Dieselbe  Stelle  des  Caesar  scheint  schon  im  Augusteischen  Zeitalter  Diodor 
von  Sicilien  benutzt  zu  haben  V,  28:  'Eiia/vii,  yäo  nao'  avTotq  6  Tlv&a- 
yögov  y.öyoq,  oti  Ta?  t/t/«;  twv  at'&oa)JTO)v  aO-avazovq  flvai»  aii/ißf'ßijy.e 
y.al  Si  iiö)i'  öigi<Ttt(i'(nv  nahv  ßiniv,  f/s  ftf onv  aö)ii(cc  t;)?  i/»!'^?/?  fiadro- 
fiii'riq.  Jio  y.at  xarrt  t«;  xaqdq  tmv  TfTflfintjxozmv  iilovq  {nitTio'/.aq 
yfyQa/i(f(eya!;  toI;  nty.fCoig  TSTelavTtjy.oau'  f/ißä).).in'  fiQ  Tt]v  nvqav,  ox;  tojv 
Tfr().fVTriy.öro)v  di'ayfoxro/^if'i'O))'  To-inaq.  Hiermit  vergl.  Ammian.  Marcellin. 
XV,  9:  Inter  hos  Druides  ingeniis  celsiores,  ut  auctoritas  Pythagorae  decre 
vit,  sodalicüs  adstricti  consortiis ,  quaestionibus  occultarum  rerum  altarumque 
erecti  sunt  et  despectantes  humana  pronunciarunt  animas  esse  immortales. 
Pomponius  Mela  III,  1 :  Hi  (Druidae)  terrae  muudique  magnitudinem  et  for- 
mam,  niotus  coeli  et  siderum  ac  quid  Dii  velint,  scire  profitentur.  Docent 
multa  nobilissimos  gentis  clani  et  diu,  vicenis  annis  in  specu  aut  abditis  sal- 
tibus.  Unum  ex  iis,  quae  praecipiunt  in  vulgus  effluit,  videlicet 
ut  forent  ad  bella  meliores,  aeternas  esse  animas  vitamque  alte- 
ram  ad  manes.  Valer.  Maximus  de  exteniis  institut.  II,  10:  Gallos  memo- 
riae   proditum  est  pecunias  mutuas,    quae  sibi  apud  inferos  redderentur  dare, 


321 

hierunter  nur  eine  der  germanischen  ähnliche  Wiederge- 
burt in  menschlichem  Körper  nicht  eine  Seelenwanderung  im 
buddhistischen  Sinne')  zu  verstehen  sei,  ist  weiterhin  zu 
besprechen. 

§.  4.     Engelland. 

Wir  sahen  S.  254.  255,  dass  der  Marienkäfer  aufge- 
fordert wird  über  oder  hinter  den  Brunnen  d.  i.  den 
himmlischen  Kinderbruunen  zu  seiner  Herrin,  bei  der  die 
Seelen  weilen,  zu  fliegen  und  ebendaselbst  heifst  es,  dass 
die  Engel  d.i.  die  Seelen  hinter  dem  Brunnen  sit- 
zen. Uebereinstimmend  ist  der  Zug,  dass  hinter  Wald- 
minchens  d.  i.  Holdas  Berghöle  s.  oben  S.  273  eine  blu- 
mige Wiese  sich  befindet,  worauf  Kinderseelen  spielen. 
Weisen  alle  diese  Züge  darauf  hin,  dass  man  sich  den 
Seeleuaufenthalt  ebenso  oft  hinter  wie  im  Wolkengewäs- 
ser (dem  Kinderbrunnen,  Himmelsberge)  also  im  lichten 
Himmelsraum  (skr.  svar  s.  darüber  unten)  gelegen  dachte,  so 
wird  diese  Vorstellung  durch  eine  ganze  Reihe  anderer 
Zeugnisse  bestätigt. 

Eine  mit  Unrecht  mehrfach  verdächtigte  Stelle  der 
Snorraedda  spricht  von  drei  verschiedenen,  übereinander 
liegenden  Himmeln.  Der  erste  unterste  ist  Asaheimr,  dar- 
über Audlängr  (der  dagegen  liegende)  und  Vi?^bläinn 
(der  Weitblaue).  Hier  liegt  der  Palast  Gimill,  der 
schöner  als  die  Götterwohnungen  und  leuchten- 
der  als   die  Sonne  ist.     Er  wird  stehen  bleiben,   wenn 


quia  persuasum  habuerint,  animos  homiuiim  immortales  esse.  Dice 
rem  stultos,  uisi  idem  Braecati  scnsissent,  quod  palliatus  P ythagoras  sensit. 
Aus  eben  derselben  Quelle  nämlich  dem  Caesar  wird  durch  Älisverständnis 
stammen,  Avas  Appiau  von  den  Germanen  des  Ariovist  berichtet,  sie  ver- 
achteten in  der  Hoffnung  auf  Wiedergeburt  den  Tod.  Lib.  IV  de 
reb.  Galileis  aap.  3:  intiza  toi»?  /«jt«  'A()ioß(ainv  {irt/.ijafi'  o  Kcüauo)  oi 
xal  T«  ftey£&7]  /((('^ovq  twi'  /(f/iarojv  vnijn^ov ,  y.al  to  Tj&oq  a;'^(oi,  xat 
ifjv  ToXfiav  &<)aGVTajoi,  xal  »9-ai'äToi'  y.ciTa(()Q0ii7]Tal  dt'  i).nlSa 
ai'  aß i.()>af  o)<;.  Oder  sollte  Appian,  der  sich  häufig  auf  gute  ältere  Quellen 
stützt  und  im  aUgemeinen  mit  einer  füi*  seine  Zeit  (die  Mitte  des  2.  Jahrhun- 
derts) aneikenneuswerteu  Ki-itik  verfährt  (vgl.  Brandes,  Das  ethnographische 
Verhältnis  der  Kelten  und  Germanen.  Leipzig  1857.  S.  217  fgg.),  hier  den- 
noch eine  zuverlässige  Angabc  früherer  Schriftsteller  benutzen? 

1)  Die  Angaben  der  Triaden  (s.  Eckcrmann,  Religionsgesch.  III,  24)  las- 
sen wir  ihres  zweifelhaften  Characters  wegen  unberücksichtigt. 

21 


322 

sowol  Himmel  als  Erde  vergehen,  und  die  guten  und 
rechtscliaffenen  Menschen  aller  Zeiten  werden 
ihn  bewohnen.     Die  Völuspä  sagt: 

Einen  Saal  sieht  sie  (die  Vala)  stehn 
Schöner  als  die  Sonne 
Auf  Gimill  droben, 
Mit  Gold  gedeckt. 
Dort  soll  der  Tross 
Der  Treuerprobten 
Wohnen  und  ewig 
Wonne  geniefsen  ' ). 
Der  Tross   der   Treuen   (wörtl.  „treue  Scharen" 
oder  „Völker")  ist  den  Meineidigen  und  Meuchelmör- 
dern entgegengesetzt,  von  denen  Völuspä  42.  43  spricht: 
Einen  Saal  sah  sie  stehn 
Der  Sonne  fern. 
In  Nästrand  (Leichenküste) 
Nordwärts  sind  die  Türen  gekehrt, 
Eitertropfen  fallen 
Durch  die  Fenster  nieder, 
Der  Saal  ist  umwunden 
Mit  Schlangenrücken. 

Da  sah  sie  waten 

In  starrenden  (wörtl.  schweren)  Strömen 

Meineidige  Männer 

Und  Meuchelmörder; 

Da  sog  Niöhöggr  (ein  Drache) 

Die  entseelten  Körper, 

Zerfleischte  der  Wolf  die  Männer. 

Wisst  ihr,  was  das  bedeutet?  ^) 


1)  Völuspä  62.  Sal  ser  hon  standa  sola  fegra,  gulli  ])akSan, 
ä  Gimli.  ]jar  skolu  dyggvar  dröttir  byggja  ok  um  aldrdaga  ynSis  njota. 
unrichtig  übersetzt  Simrock  auch  noch  in  der  zweiten  Ausgabe  seiner  Edda 
„dyggvar  dröttir"  u.  s.w.:  ,,Da  -werden  werte  Fürsten  wohnen  und  ohne 
Ende  der  Ehren  geniefsen." 

2)  Sal  sä  hon  standa,  sola  fjarri  Näströndu  ä.  NorSr  horfad^Tr: 
fellu  eitrdropir  inn  um  Ijora,  sä  er  undinn  salr  orma  hryggjum.    Sä  hon  par 


^3 

Der  strenge  Parallelismus  in  diesen  Strophen,  der  beim 
ersten  Anblick  scharf  in  die  Augen  springt,  wird  noch 
deutlicher,  wenn  man  die  Lesarten  der  verschiedenen  Codd. 
der  Völuspä  und  der  Snorraedda  zur  Vergleichung  herauf- 
zieht, wo  Gylfaginning  17  die  Strophe  von  Gimill,  52  die 
beiden  über  Näströnd  gleichfalls  mitgeteilt  sind"),  so  dass 
schon  hieraus  das  genaue  Zusammengehören  der  drei  Stro- 
phen unzweifelhaft  wird.  Eine  unbefangene  Kritik  lehrt 
aber  weiter,  dass  in  der  Textrecension,  welche  der  Ver- 
fasser von  Gylfaginning  benutzte,  noch  Str.  42.  43  (nach 
Munchs  Zählung)  oder  vielmehr  Str.  40 — 43  neben  Str.  G2 
standen^).   Es  war  dort  von  einem  schlangenerfüllten 


vaga  I^ÜDga  strauma  menn  meinsvara  ok  niorSuarga  (ok  j^ann  annars  glepr 
eyrarüiiu);  [>ar  saug  Niöhöggr  näi  framgengna,  sleit  vargr  vera.  Vitu^  er 
enn  e'Sa  hvaÖ?  Die  eingeklammerten  Worte  ,,ok  ])ann  annars  u.  s.  w."  d.  i. 
„und  der  des  andern  (Gattin)  berückt  mit  Olirgerauu"  sind,  wie  Dietrich 
Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VII,  305  bemerkt,  nicht  ursprünglich,  da  sie  den  vier- 
zeiligen  Strophenbau  zerstören,  sondern  eingeschoben,  durch  Hävamäl  117 
veranlasst:  „Rä?5umk  her  Loddfafnir,  en  j>ü  räS  nemir,  njota  mundu  ef  \)U. 
nemr;  annars  konu  teygÖu  ]?er  aldregi  eyrarunu  at. 

1)  Sal  ser  hon  standa.  Völ.  62;  Sal  ser  hon  standa.  Völ.  42.  Cod.  Arn- 
Sal  veit  ek  standa.  Gylfag.  17;  Sal  veit  ek  standa  Gylfag.  52.  —  Solu  fc- 
gra  Völ.  62  ;  Solu  fjarri.  Völ.  42  —  guUi  })aköan.  Völ.  62  ;  sä  er  undinn 
salr  orma  hryggjum  Völ.  42.  —  ä  Gimli.  Völ.  62.  Naströndu  ä.  Völ.  42. 
Absichtlich  verstöfst  der  Dichter  in  dem  Halbverse  ,,ä  Gimli"  gegen  die  Vers- 
gesetze, um  strengen  Parallelismus  zu  ,, Naströndu  ä"  zu  erzielen.  Cod.  Arn. 
versteht  die  Absicht  des  Dichters  nicht  mehr  und  teilt  gemäss  der  Regel,  dass 
die  Alliteration  der  zweiten  Vershtilfte  auf  die  zweite  Hebung  vom  Schluss 
fallen  soll,  ab : 

a,  Gimli  ])ar 

skolu  dyggvar  u.  s.  W.  — 
]>ar  skolu  dyggvar  drottir  byggja.    Völ.  62.    Gylfag.   17;   Skulu  ]?ar  vaöa 
menn    meinsvara    ok     morSvargar.     Gylfag.  52.      Menn    entspricht    den 
drottir.     Cod.  h.  morövarga  oli  meinsvara. 

2)  Schon  Simrock  urteilt  Edda^  379:  „Str.  40— 43  (bei  ihm  42—46) 
scheinen  eingeschoben,  da  sie  den  Gang  der  Ereignisse  sehr  zur  Unzeit  unter- 
brechen." Die  Eiclitigkeit  dieser  Annahme  erweist  sich  deutlich  aus  der  ver- 
schiedenen Stellung  dieser  Strophen  in  den  beiden  Haupthdss.  der  Völuspä. 
Cod.  Arn.  No.  544  schliefst  sie  an  die  Strophen  ,,Sat  bar  at  haugi"  und  G61 
yfir  Asum  (Muuch  34.  35)  und  man  sieht  deutlich,  dass  die  Anschiebung 
durch  die  Schlussworte  „at  sölum  Heljar"  veranlasst  ist.  Diesen  beiden 
Strophen  vorher  gehen  aber  die  Worte  „Gcyr  gannr  mjök  fyri  Gnöpa- 
helli,  festr  mun  slitna  ok  Freki  renna;  fram  sc  ck  leugra,  fjöld  kann  ek  seggja 
um  ragnarök,  röm  sigtiva.  (Es  heult  der  Wolf  vor  der  Guupahölc,  die  Fessel 
wird  brechen  und  das  Ungetüm  hervorstürzen.  W^eit  seh  ich  voraus,  viel  kann 
ich  sagen  von  dem  W^eltuntergang  und  der  Götterdämmerung.)  Unmittelbar 
nach   dem  Schluss   von  43  (Cod.  Arn.  34)    wird   dieselbe  Strophe  wie- 

21* 


324 

im  Wasser  gelegenen  Strafort  für  Meineidige,  sowie 
im  Gegensatz  von  einem  im  heiteren  Himmel  strahlenden 
Freudenaufenthalt  für  die  in  der  Treue,  der  höchsten  Tu- 
gend der  germanischen  Urzeit  (s.  Tac.  Germ.  24 j  Bewähr- 
ten nach  dem  Weltuntergang  die  Rede.  Die  Was- 
serhölle in  Näströnd  ist  von  Dietrich  und  Simrock^)  als 
echt  heidnisch  nachgewiesen  und  ihre  Verbindung  mit 
andern  germanischen  Mythen  auf  das  Deutlichste  dargetan; 
dasselbe  muss  von  Gimill  gelten.  Da  nun  aber  im  eddi- 
schen Glaubenssystem,  wo  alle  waffentoten  Menschen  zu 
Oöiun  nach  Vallhöll  fahren,  die  siechtoten  dagegen  zu 
Hei,  diese  beiden  Seelenaufenthalte  keinen  Platz  haben,  so 


d erholt  und  es  folgt  nun  die  Beschreibung  des  den  Weltuntergang  einleiten- 
den Bruderzwistes  „broedr  munu  berjask".  Dass  der  gefesselte  Fenriswolf 
loskomme,  ist  der  Anfang  der  Götterdämmerung.  Es  ist  daher  klar,  dass  die 
Strophe  ..broeör  munu  berjask"  sich  genau  an  das  ,;fjöl8  kann  ek  seggja 
um  ragnarök,  röm  sigtiva"  anschliefst  und  der  luterpolator  deshalb  die  Worte 
,,mjök  gevT  garmr"  nach  dem  Einschiebsel  noch  einmal  aufnahm.  Mit  dem 
Loskommen  Fenrirs  ist  aber  das  Loskommen  Lokis,  mithin  dessen  vorherige 
Fesselung  in  Folge  der  Tötung  Baldrs,  eng  verbunden.  Der  Mord  Baldrs  ist 
nach  eddischem  Glaubenssystem  die  eigentliche  L^rsache  des  Götteruntergangs. 
Da  nun  auch  Cod.  Reg.  Str.  40  —  43  (in  der  Hs.  33 — 35)  hinter  der  Erzäh- 
lung von  Lokis  Fesselung  ganz  unmotivirt  aufführt,  worauf  die  in  Cod. 
Am.  vorangesetzten  Str.  ,,Sat  J?ar  at  haugi"  und  „G61  um  Äsum",  dann 
,,munu  berjask"  u.  s.  w.  folgen,  so  ist  die  Unterbrechung  des  Zusammen- 
hangs auch  hier  klar.  Die  ursprüngliche  Gedankenfolge  war  „Baldr  stirbt, 
Loki  und  der  Fenriswolf  werden  zur  Vorsicht  von  den  Göttern  gefesselt,  aber 
einst  kommen  sie  los  und  damit  bricht  die  Götterdämmerung  ein,  durch  Bru- 
derzwist eingeleitet."  Genau  diese  Reihenfolge  hält  nun  die  Erzählung  der 
letzten  Dinge  in  Gylfaginuing  50.  51  inne,  welche  sich  genau  an  die  Yöluspä 
anschliefst.  Mithin  scheint  die  dort  benutzte  Recension  dieses  Gedichts  das 
Einschiebsel  am  bezeichneten  Orte  noch  nicht  gekannt  zu  haben.  Gj'lfag.  52 
beweist  aber  geradezu,  dass  in  jener  Textrecension  Str.  40  —  43  noch  neben 
62  stand.  Hier  werden  nämlich  als  Aufenthaltsorte  für  die  Seelen  nach 
der  auf  die  Götterdämmerung  folgenden  Erneuerung  der  Welt 
die  Str.  40 — 43  aufgefülirten  Säle  für  Sindris  Geschlecht,  Okolnir  und  Nä- 
strönd neben  Gimill  aufgeführt,  wobei  es  dem  Verfasser  begegnet,  dass  er 
die  Stelle  der  Völuspä  über  jenen  ersten  Palast  misversteht  (s.  Simrock,  Hand- 
buch d.  D.  Mjlh.  I,  176)  und  aufserdem  was  von  Gimill  Str.  62  gesagt 
ist,  auf  Okolnir  und  den  Saal  für  Sindris  Geschlecht  mit  be- 
zieht. Dies  konnte  doch  nur  dann  geschehen,  wenn  in  seinem  Text  die 
berührten  Strophen  neben  einander  standen. 

1)  Dietrich,  Zeitschr.  f.  D.  Altertum  VH,  304  —  328;  IX,  175  —  186. 
Simrock,  Vaticinii  Valae  Vindiciae.  Bonn  1853.  Kieler  Monatschr.  1853. 
Handb.  d.  D.  Myth.  I,   164  fgg. 


325 

wird  man  dem  Schlüsse  nicht  ausweichen  können,  dass  sie 
Reste  des  Glaubens  einer  älteren  Periode  sind  und  dar- 
aus erklärt  sich  sehr  deutlich  ihre  Stellung  im  Welterrieue- 
rungsmythus.  Der  nordische  Mythus  von  den  letzten  zu- 
künftigen Dingen  ist  nämlich  allmählich  zusammengewach- 
sen aus  alten  Sagen,  welchen  man  in  der  Gegenwart  keine 
Stelle  mehr  anweisen  konnte,  weil  ihr  Verständnis  erloschen 
war.  So  sind,  um  nur  eins  anzuführen,  die  Mythen  von 
Thors  und  Heimöalls  Tod  in  Folge  des  Kampfes  mit  dem 
MiSgaröswurm  und  Loki  nichts  anderes,  als  die  alte  oben 
S.  213  fgg.  besprochene  Sage,  dass  Indra  im  Kampf  mit 
Vritra,  Thunar  im  Streit  gegen  die  Dämonen  umkommt, 
der  Blitz  im  Siege  vergeht;  ein  Zug  dem  in  einer  voll- 
ständig anthropomorphischen  Mythenwelt  nur  der  Ausweg 
blieb  sich  in  das  Märchen  s.  oben  S.  216  oder  in  die 
Eschatologie  zu  flüchten. 

Schon  Dietrich  machte  darauf  aufmerksam,  dass  die 
Beschreibung  von  Näströnd  genau  der  Beschreibung  des 
Berges  entspreche,  in  welchem  Loki  gebunden  liegt.  Da 
wir  nun  in  diesem  den  Wolkenfels  erkannt  haben,  '.vird 
die  Wasserhölle  gleichfalls  als  eine  spätere  Localisierung 
aufzufassen  und  ursprünglich  in  der  Wolke  zu  suchen  sein, 
wo  wir  bereits  S.  190.  207  im  urgermanischen  Mythus  die 
Dämonen  (Riesen  oder  Zwerge)  als  winterliche 
Mächte,  abgeschiedene  Geister  böser  Menschen, 
häufig  in  Dr  ach  enges  talt,  kennen  lernten. 

Führen  uns  die  Zwerge  (döckälfar)  auf  den  Teil  der 
Elbe,  welche  böse  sind,  so  sind  die  ihnen  entgegenstehen- 
den Lichtalfen  (liosälfar)  für  die  Seelen  guter  und  recht- 
schafiener  Menschen  zu  erachten.  Ich  werde  später  hiefür 
ausreichende  Beweise  beibringen. 

Der  oben  angeführten  Stelle  über  Gimils  Lage  im 
Himmel  Viöbläinn  Gylfag.  17  ist  die  wichtige  Notiz 
hinzugefügt:  „In  diesem  Himmel  denken  wir  jene  Stätte  ge- 
legen, und  glauben  dass  jetzt  allein  die  Lichtalfen 
darin  wohnen')."   Dass  diese  Bemerkung  nicht  aus  der 

1)  Ok   ä  ])cim  hinini   liyggjum  vcr  j^enna  staö  vera,    en  Ljosälfar  cinir 
hyggjum  vcr  at  ny  byggvi  ]?ä  sta'öi. 


326 

Luft  gegriffen  ist,  geht  daraus  hervor,  dass  wie  Gimill 
schöner  als  die  Sonne  (sölu  fegri;  sölu  betri)  genannt 
wird,  es  von  den  Lichtelben  heifst:  Sie  sind  schöner, 
als  die  Sonne  von  Angesicht  (Ljösälfar  eru  fegri  en 
sol  Synum).  Nach  dem  vorhin  Gesagten  ist  es  offenbar, 
dass  die  Lichtalfen  (liösälfar)  mit  den  treuenSchaaren 
(dyggvar  dröttir)  identisch  sind.  Da  man  nicht  mehr  klar 
wusste,  dass  die  Alfen  Seelen  sind,  konnte  der  Aufenthalt 
der  Verstorbenen  unter  dieser  Benennung  auch  noch  in  der 
Asenreligion  auf  Gimli  gesucht  werden,  und  daher  kommt 
die  in  Gylfag.  17  ausgesprochene  Scheidung  zwischen  der 
Gegenwart  und  dem  Zustande  nach  der  Erneuerung  der 
Welt.  Wir  erinnern  uns,  dass  Freyja-Sole  die  See- 
len in  oder  hinter  der  Wolke  bei  sich  empfing,  von  ihrem 
Bruder  Freyr  heifst  es  nun,  dafs  ihm  die  Götter  Licht- 
alfenheim  zum  Zahngebiude  gesjeben  haben;  wir  sehen 
hier  wieder  die  Seelen  und  Alfen  zusammentreffen. 

Halten  wir  fest,  dass  die  Alfen  oder  Seelen  des  heid- 
nischen Volksglaubens  in  christlicher  Zeit  häufig  in  die 
Engel  übergingen^),  so  ergiebt  sich  eine  Erinnerung  an 
das  im  weitblauen  Himmel  Viöbläinn  belegene  Licht- 
elbenheim  (Liösälfaheimr)  mit  dem  Palast  Gimill  in  ei- 
ner ganzen  Reihe  deutscher  Ueberlieferungen ,  welche  von 
einem  Lande  der  Engel  (Engelland)  sprechen. 

Schon  ein  ags.  Rätsel,  dessen  Auflösimg  die  Luft  zu 
sein  scheint,  führt  neben  Hölle,  Himmel  und  Erde  (mid- 
dangeard  =  altn.  miSgarör)  ein  selbständiges  Reich  der 
Engel  auf. 


1)  S.  oben  298.  In  Skandinavien  wird  das  altheiduische  Opfer  für  die 
Alfen  (älfablöt)  noch  jetzt  unter  dem  Namen  Euglöl  (Engelbier)  geübt. 
Dem  folgenden  Kinderreim  liegt  offenbar  die  Vorstellung  von  Holda,  die  die 
Kinderseelen  auf  dem  Schofse  trägt,  zu  Grunde:  „BUopfer,  klopfer  Eingelchen. 
Da  stein  zwei  arme  Kinderchen!  Gieb  ihnen  was  und  lass  sie  geho.  Die 
Himmelstür  wird  offengehn.  Kommt  Jesus  aus  der  Schule,  kocht  Ma- 
ria Apfelbrei,  setzen  sich  alle  Engelchen  bei,  klein  und  grofs, 
nackt  und  blofs,  alle  auf  Marien  Schofs."  S.  mündl.  Danzig.  Simrock, 
Kinderb.'  171,  468.  Var. :  Als  Jesus  aus  der  Schule  kam,  hatte  Maria  noch 
nicht  gekocht,  da  kochte  sie  einen  Linsenbrei,  da  safsen  alle  Englein 
bei  u.  s.  w.     Kaiserswerth. 


327 

—  —  —  Die  Tiefen  ich  berühre, 
Unter  die  Hölle  tauch'  ich,  die  Himmel  übersteig  ich 
Wunsches  edel;  weit  reiche  ich 
lieber  der  Engel  Land;  die  Erde  erfüll  ich 
Ganz  Mittelgart  und  die  Meeresströme 
Weit  mit  mir  selber  '). 
Nicht  minder  ist  dieses  Land  der  mhd.  Poesie  bekannt.   In 
der  Tochter  Syon  spricht  die  Speculatio: 
In  der  creatüre  ram 
Würk  ih  unde  tuon  bekant. 
Wie  schön  ez  si  in  engel  lanf^). 
Deutsche  Volksreime  entfalten  den  mythischen  Begriff  die- 
ses Kelches  in  breiter  Fülle.    Aus  ihnen  geht  hervor,  dass 
man  dasselbe  als  ein  über  den  Wolken  im  blauen  Him- 
melsraum belegenes  Land  dachte,  das  sein  Licht  nicht 
von  den  Gestirnen  empfängt,  sondern  diesen  vielmehr  von 
dem  seinigen  mitteilt.   Hier  ist  die  Rüstkammer  aller  Herr- 
lichkeiten.    Alles   irdische  Gut  hat  hier  seine  Heimat  und 
ist    typisch    vorgebildet.     Von    hier  kommt   des   Sommers 
Farbenpracht,  von  hier  der  Fruchtsegen  als  geliehenes  Gut 
auf  die  Erde,   um  im  Herbst  in  das  himmlische  Lichtland 
zurückzukehren.     Hier  wohnen  bei  milden  Gottheiten   die 
Seelen  der  Verstorbenen  (Frommen) ;    von  hier  gehen  die- 
selben wieder  aus,  um  aufs  Neue  unter  den  Menschen  ge- 
boren zu  werden. 

I.     Ein  weit  verbreiteter  Kinderreim  lautet: 


1)  Ettmüller,  Ags.  Lesebuch  300,  XXV: 

—  —  —   grundum  ic  hrine 

Helle  iinderhnige ;  heofonas  oferstige 

Wuldres  egel;    wide  rsce 

Ofer  engla  eard;  eoröan  gefylle 

Ealdnc  middangeard;  and  merestreämas 

Side  inid  me  selfum. 

2)  Ed.  Osk.  Schade  18.  Aehulich  sind  Ausdrücke  wie  diese:  der  smit 
üz  Ob  er  lande  =  Gott.  Frauenl.  Fr.  L.  11,  1  ze  zeseme  in  derhiniele 
laut  Frauenl.  Kr.  L.  170.  Das  kint,  das  kumt  von  oberlant.  Hoflmann, 
Gesch.  der  Kirchenl.  170.  Kenningar  des  Himmels  sind  ,, solar  land,  grund 
hüs.  Skäldskaparm.  cap.  23.  Sn.  E.  I,  316.  Schwedische  Volkslieder  z.  B. 
das  Rätsellied  von  Sven  Svanhvit  bewahren  den  Ausdruck  Sonnenland 
noch.     Svenska  i'olksvisor  II,   138  fgg. 


328 

Krüne  krane  swikle  swäne  a) 
Waner  söffe  no  Engelland  färe?  b) 
Engelland  es  geslöten 
De  slötel  es  tobröken. 
Wofan  söl  fi  ne  weder  mäken? 
Fan  stenen,  fan  benen. 
Krüpe  dörch  allene  0  •). 


1)  Elberfeld  mündl.  d.  Woeste.  Firmenich,  Germaniens  Völkerstimmen 
I,  426.  (Kranich,  Kranich,  weifser  Schwan,  wann  sollen  wir  nach  E.  fahren? 
E.  ist  geschlossen.  Der  Schlüssel  ist  zerbrochen.  Wovon  sollen  wir  ihn  wie- 
der machen?  Von  Beinen,  von  Steinen.  Krieche  durch  allein!).  Swikle  alts. 
svigli  bedeutet  weifs.  a)  Unser  Anfang  lautet  in  den  Varianten:  Krone 
krane  schwekele  schwane  Meurs  aufgez.  v.  Greef.  Mit  Abfall  des  an- 
lautenden s  in  swane  und  swikle:  Kronekrane  wiklefane  Bilk  a.  Leysers 
handschr.  Xachlass  auf  der  Universitätsbibliothek  zu  Leipzig.  Krone  krane 
wekelefäne  Düsseldorf  Firm.  I,  431.  Kronen  kranen  wikelen  fanen 
Düsseldorf  d.  Lehrer  Engels.  Euse kränz  icctklewanz  Köln  d.  Hocker.  Ruse- 
Tcranz  weklewanz  ebend.  Weiden  Kölns  Vorzeit  221,2  entstanden  aus  krwnes 
kraries  ivikles  wanes  aus  krwne  skraries  swikle  swanes.  Wie  in  engl.  Dick 
aus  Eichard,  Bob  aus  Robert  das  inlautende  b  und  auslautende  d  in  den  An- 
laut übertrat,  hat  hier  das  Streben  nach  Gleichlaut  das  s  von  swikle  und 
swane  in  den  Anlaut  von  krane  und  den  Auslaut  von  swane  hineingezogen.  — 
Mit  dem  üebergang  von  w  in  m  und  von  k  in  p  (vgl.  machoUer  =  wachol- 
ler, Wachholder;  smode  sanft  =  swoede;  wispelte  =  mispel;  nl.  maar  = 
uewäre.  Gram  III,  244.  lat.  mare  skr.  vari  und  knippen  =  knicken  s.  Zeitschr. 
f.  vgl.  Sprachf.  IV,  176.  184):  Krune  krane  7/iis^jlefäne  (aus  wisklewane, 
das  s  von  swane  ist  in  den  Inlaut  von  swikle  getreten).  Werden,  Leysers 
Nachlass  —  An  die  Stelle  von  kinine  krane  trat  der  in  Abzählfonneln  ge- 
wöhnliche Anfang  ene  meue,  ine  miue,  ene  dene  u.  s.  w.  aus  ene  twene,  ene 
dwene  u.  s.  w.  Ane  krane  wikele  wane  aus  ane  krane  (s)wikele 
(s)wane  Anhang  z.  Wunderhorn  1809.  S.  90.  Daraus  Erlach  IV,  446.  Dich- 
tungen aus  der  Kinderwelt  Hamburg  1815  S.  87.  Ene  mene  zucker- 
zene (sfäckerfsene)  aus  SYrickelsy^icene  mit  Üebergang  von  l  in  r.  Vergl. 
nd.  armes  =  almosen,  lirge  =  lilie,  lilge,  prüme  =  pflaume,  hämer  =  hä- 
mel,  hammel  u.  s.  w.  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  III,  182.  Müunichhüffen  bei 
Minden —  en-ke  menke  minke  manke  aus  en(ke)  dwen(ke)  swinke  swan(ke) 
Graudenz  d.  Lehrer  Beyer.  Engel  bengel  kwintikwant  aus  enege 
benege  (ene,  twene)  (s)winkle  (s)wan(d)  Siebenbirgen  d.  Haltrich. 
Ebenso  aufzufassen  sind  ine  mine  mäne  Kannstein  in  Westphalen.  Hagens 
Germania  IX,  291,  34.  ene,  mene,  mine,  mone  Zürch  d.  H.  Runge.  — 
Statt  des  unverständlichen  swikle  trat  das  Svnonymum  witte  in  den  Vers. 
Enne  denne  witte  wanne  aus  ene  dwene  witte  swane  Grafsch. 
Tambach  in  Franken  Firm.  II,  404.  Ene  dene  mit  em  Lene  aus  ene 
dwene  witte  swene.  Mittelsaar  Firm.  II,  556.  One  tone  widerstand 
aus  ane  twäne  witte  swan(d)  mit  Hinzufügung  des  d  nach  w  (wie  in 
mond,  jemand;  das  t  in  stand  ist  durch  den  Einfluss  des  s  hen-orgerufen). 
Thüringen  d.  Richard  KreU.  —  Die  oberdeutsche  Form  weifs  bieten  dar: 
Krune  krane  wifse  schwane.  Aachen  Myth.  ^  400.  Ane  krane 
weifse  schwane  Simrock  Kinderb.*  157,  437. —  Mit  dem  Üebergang  von 


329 

Der  Kranich  (krune  krane)  und  der  weifse  Schwan, 
die  beiden  elbischen  Tiere,  von  denen  das  letztere  Frouwas 


w  in  b  und  r  in  l  (über  das  erstere  s.  Zeitschr.  f.  vgl.  Sprachf.  IV,  178,  zu 
dem  zweiten  Lautweclisel  vgl.  nd.  alberte  ==  Erdbeere,  mälgeublaume  =  Mär- 
genblaume,  Marienblümchen):  Eine  kleine  weifse  Bohne  aus  ane  kräne 
wilse  wäne  (=  swaue)  Pommerellcn;  "Waidenburg  in  Sachsen  d.  Dr.  Hilde- 
brand in  Leipzig;  Magdeburg  mündl;  Oldenburg  Thöle  imd  Strakerjan  aus 
dem  Kinderleben  S.  55.  Eine  weifse  Bohne  Berlin  d.  Beyer.  One  bone 
weifse  bone.  Harz.  Pröhle,  Kinder-  und  Volksmärchen  S.  XXH.  eue  tene 
weifse  b  ohne  Dessau  Fiedler  Volksr.  a.  Anhalt-Dessau  S.  48.  Daraus  Firm, 
II,  233.  Witte  bohne  rohe  bohne  ebendas.  ene  bene  bunte  bone 
Genthin,  Regierungsbez.  Magdeburg  —  äne  däne  daffetband  (band  aus 
swan(d).  Stoeber,  Elsäss.  Volksbüchl.  23,  37;  daraus  Simrock,  Kiuderb.^ 
181,  749  —  enige  benige  bink  und  bank  (bink  imd  bauk  aus  swikla 
stuaiike)  Wurmlingen.  Meier,  Kinderr.  a.  Schwaben  33,  108.  —  ene  mene 
miken  mäken,  harrn  mest  un  wull  mi  stäken,  harrn  stock  un 
wuU  di  slän,  kumt  lät  ims  beid  nä  Engelland  gän.  Bremenser 
Kinder-  und  Ammenreime  63,  7;  aus  dem  Bergischen  Leysers  Nachlass;  Ha- 
gen und  Bus  Chi  ng,  Sammlung  deutscher  Volkslieder  Berlin  1807.  S.  281,  115. 
Daraus  Erlach  IV,  447  —  ine  mine  donke  danke  Siegen  Firm.  I,  520. 
Janke  Tanke  fär  nich  weg,  fär  nich  nach  E.  Pommerellen.  Möne 
(morgen)  dann  wöfe  no  Engelland  fahren.  Elberfeld.  Firm.  I,  420. 
b)  Willst  du  mit  nach  Engelland?  Münnichhüften  bei  Minden.  Dessau 
Fiedler,  Volksreime  S.  49.  No.  54;  Thüringen  d.  Richard  Krell;  Genthiu  Re- 
gierungsbez. Magdeburg.  Wet  du  bet  no  Engellande?  Siegen  Firm.  I, 
520  fahren  wir  nach  E.  Siebenbirgen  d.  Ilaltrich.  Gehen  wir  nach 
E.  Tambach  in  Franken.  Firm.  II,  404;  Wurmlingen  Meier,  Schwäbische 
Kinderreime  33,  108;  Zürch  d.  H.  Runge  kimmste  mit  nä  E.  Dessau 
Fiedler,  Volksreime  S.  48,  54;  daraus  Firm.  II,  233.  Gehst  du  mit  nach 
N.  Mittelsaar  Firm.  II,  556.  Schmitz,  Sitten  und  Gebräuche  der  Eifel.  78. 
Kumm,  lät  üs  beide  nä  Engelland  gän  Bremen.  Schmidt,  Ammenreime 
63,  7.  Kumm  wi  will  beid  na  E.  gän  a.  d.  Bergischen,  Leysers  Nach- 
lass; Mark  v.  d.  Hagen  und  Büsching,  D.  Volksl.  S.  281,  115.  Daraus  Er- 
lach IV,  447.  Wir  wollen  miteinander  nach  E.  gehn.  Hildburgshau- 
sen d.  Lehrer  Anding.  Wollen  wir  nicht  nach  E.  fahren.  Anhang  z. 
Wundcrhorn  III.  1809.  S.  90.  Daraus  Dichtungen  aus  der  Kinderwclt  Ham- 
burg 1815.  S.  87  und  Erlach  IV,  440.  Wer  will  mit  nach  E.  Kannsteiu 
in  Westphalen  Hagens  Germania  IX,  291  ;  Magdeburg.  Wer  geht  mit  mir 
nach  E.  Meier,  Kinderr.  a.  Schwaben  33,  109.  Wer  will  mit  nach  E. 
fahren  Köln  d.  Hocker;  Aachen  Myth.  ^  400.  Düsseldorf  Firm.  I,  432; 
ebendas.  mündL  d.  Lehrer  Engels;  Simrock,  Kinderb.'  157,  437.  We  will 
met  no  Holland  fahre  Bilk  Leysers  Nachlass.  War  will  met  no  Äng- 
land  gon.  Köln  Firm.  I,  460.  Wollte  mal  nach  E.  fahren.  Olden- 
burg Thöle  und  Strakerjan,  A.  d.  Kindcrlebcn  S.  55;  Pommerellen.  Führt 
mich  hin  nach  E.  Berlin  d.  Bcyei-.  Fülirte  mich  nach  E.  Pomme- 
rellen. Ging  mit  nach  E.  Waidenburg  in  Sachsen  d.  Dr.  Hildebrand  in 
Leipzig,  's  isch  nit  wid  vun  Engelland  Stöber,  Elsäss.  Volksbüclilcin 
S.  23.  No.  37.  Daraus  Sunrock,  Kiiulerbiich  3  181,  749.  Firm.  II,  522. 
fär  nich  nach  E.  Pommerellen.  Geh  doch  nicht  nach  E.  Graudcnz 
d.  H.  Bej'er.  'Merkwürdig  sind  die  Varr.  cnt,  two,  dre  ver  f i  f ,  wc  will 
mit  to  krieg,  we  will  mit  nä  Engelland?  Pricgnitz  d.  Lehrer  Deichen. 


330 

(Freyjas)  heiliger  Vogel  war  (s.  Zeitschr.  für  D.  Myth.  I, 
305  fgg.)?  werden  aufgefordert  den  Sänger  ins  Land  der 
Engel,  das  Eibenreich,  zu  führen.  Dasselbe  ist  jedoch  ge- 
schlossen, der  Schlüssel  verloren.  Die  Angabe  der  Art  und 
Weise,  wie  der  Schlüssel  wieder  herzustellen  sei,  zeigt  uns, 
was  unter  Engelland  zu  verstehen  ist.  Es  kommt  überein 
mit  dem  Glasberg  unserer  Märchen.  Dieser  wird  näm- 
lich auch  mit  Beinen  aufgeschlossen.  Ein  kleines  Mäd- 
chen sucht  ihre  in  7  Raben  verwandelten  Brüder  auf  dem 
Glasberg.  Unterwegs  gab  ihr  der  Morgenstern  ein  Hin- 
kelbeinchen  und  sprach:  Wenn  du  das  Beinchen 
nicht  hast,  kannst  du  den  Glasberg  nicht  auf- 
schlief sen.  Schwesterchen  verliert  jedoch  den  Knochen 
und  als  es  an  den  Glasberg  kommt,  hat  es  keinen  Schlüs- 
sel. Da  schneidet  es  sich  den  kleinen  Finger  ab,  steckt 
ihn  in  das  Tor  und  schliefst  glücklich  auf).  In  andern 
Recensioneu  desselben  Märchens  wird  der  Glasberg  erstie- 
gen, indem  derjenige,  welcher  ihn  beschreitet,  Hüner- 
knochen  in  denselben  steckt  und  sich  daraus 
eine  Leiter  bildet^).  Bei  Meier,  Märchen  S.  174.  No. 
49  braucht  das  Mädchen  zwei  Hünerfüfse,  um  in  den 
Glasberg  zu  kommen.  In  Brüderchen  und  Schwesterchen^) 
führt  der  Weg  zum  goldenen  Schloss  über  eine  gläserne 
Brücke,  die  geht  steil  hinauf  zum  Schlosse  und 
ist  so  glatt,  dass  sie  Niemand  ersteigen  kann,  er  tauche 


Willst  du  mit  nach  Bonapart?  Dieses  Bonapart  ist  aus  Bomelland,  Pom- 
merland  entstanden  s.  u.  S.  347.  Hopfgarten  bei  Darmstadt  d.  Lehrer  Föl- 
sing.  c)  Engelland  ist  zugeschlossen,  Schlüssel  ist  entzwei  ge- 
brochen geht  mit  unwesentlicher  Abweichung  durch  alle  Varr.  und  Mund- 
arten. Von  den  übrigen  Lesarten  werden  wir  die  wichtigern  im  Verfolg 
namhaft  machen.  Der  schlössel  iss  zerbreche,  mer  welln'nen  Wid- 
der mäke  von  bene,  von  stene,  von  allerhand  leckertüch.  Düsseldorf 
Firm.  I,  431.  E.  ist  geschlossen,  der  Schlüssel  ist  zerbrochen, 
mer  wolln  'ne  neue  machen,  von  Steine,  von  Beine,  von  aller- 
hand leckere  Sachen.  Düsseldorf  d.  Lehrer  Engels.  schlötel  is  ter- 
broken,  we  we  eine  maken?  van  beine  van  steine,  engle  bengle 
bus.     Werden,  Leysers  Nachlass. 

1)  KHM.  No.  25. 

2)  KHjyL  111,3    45. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  310. 


331 

denn  die  Knochen  einer  schwarzen  Henne  in  Syrop  und 
lege  sie  als  Leitersprossen  auf  die  Brücke.  In  meh- 
reren Märchen  führt  der  Weg  zum  Glasberg  durch  das 
Land  des  Windes,  der  Sonne  und  des  Mondes. 
Von  hier  ist  es  noch  weit  bis  zum  Glasberg.  Derselbe 
muss  also  über  jenen  liegend  gedacht  sein  und  wir  werden 
nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  in  ihm  den  nordischen  ViS- 
bläinn,  das  kristallhelle,  weitblaue  Himmelsgewölbe  über 
der  Wolkenregion,  in  dem  goldenen  Schloss  eine  dem  Gi- 
mill  entsprechende  Stätte  erkennen.  Den  vollen  Beweis 
liefert  das  schon  oben  S.  217  namhaft  gemachte  norwegi- 
sche Rätsel,  das  wir  seiner  Wichtigkeit  wegen  noch  ein- 
mal hersetzen: 

Da  stend  ein  hund  paa  glasberg 
og  goyr  üt  i  havet.     Aufl.:  Vindeu. 
Das  Meer,  in  welches  der  Hund  (der  Wind)  hinaus- 
bellt, ist  das  Wolkengewässer,  der  Glasberg  der  Himmel. 
In  neuerer  Umbildung  findet  sich  dieses  Rätsel  in  Schwe- 
den'): 

Der  stär  en  hund  pä  Skälleberg  (Bellberg) 
han  skalier  öfver  haf  och  land, 
bans  namn  er  sagd; 
men  ingen  gisser  det  te'  qwäll.  (sagd); 
oder; 

Päfwen  i  Rom 
han  havde  en  hund 
han  liette  som  du, 
han  bette  som  jag, 
som  folk,  som  fä, 
som  topp,  som  trä, 
som  alla  de  djur  i  skoga  ä; 
hwad  hette  hunden?  (hwad). 
Diese  Umkehrungen   des   alten  mythischen  Rätsels  zu 
Vexirrätseln  zeigen  deutliche  Uebereinstimmung  mit  einem 
deutschen  Rätsel  gleicher  Art,  dem  nunmehr  auch  dieselbe 
mythische  Grundlage  zuzusprechen  ist: 

1)  Dybeck,  Ruiia  1848,  No.  38.  39.     Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  354. 


332 

Dar  was  eu  hund  in  Engelland, 
den  hund  sin  näm  was  mi  bekannt 
den  hund  sin  nam  was  mi  vergäten 
hef't  dremal  segt,  schast  nonuig  weten.  (Was)') 
Geht  hieraus  hervor,  dass  der  Glasberg  und  unser  En- 
gelland identisch  sind,  dass  beide  das  blaue  Himmels- 
zelt  bedeuten,    so  weist    eine    unserm  Rätsel   ganz   ähn- 
liche Strophe  in   dem  Volksliede   „von    eitel    unmöglichen 
Dingen"  ebenfalls  darauf  hin: 

Wenn  ich  dir  soll  eine  Peitsche  machen 
Von  hundertfunfzig  Meilen, 
So  sollst  du  mir  die  bunte  Kuh 
Den  gläsern  Berg  hinauftreiben^). 
Die  meisten  für  den  Menschen  unerfüllbaren  Forderun- 
gen,  welche  in  den  verschiedenen  Kecensionen  dieses  Lie- 
des aufgestellt  werden,  sind  Taten,  deren  wirkliche  Erfül- 
lung das  Volksmärchen  oder  die  Volkssage  durch  mit  über- 
menschlicher Kraft  oder  Hilfe  ausgerüstete  Helden  meldete; 
sie  gründen  sich  somit  auf  alten,   hier  ins  Lächerliche  ge- 
zogenen Mythus.     Oben  S.  7  lernten   wir  die  am  Himmel 
wandelnde  Wolkenkuh  kennen,    S.  113   sahen    wir  Thunar 
als  Stier   auf  der  grofsen  Himmelswiese  weiden.     Es  wird 
eine  Sage  gegeben  haben ,  dass  die  Wolkenkuh  den  Glas- 
berg (das  Himmelsgewölbe)   von  einem  Gott  (vgl.  Thunar 
als  Kuhhirt)  hinaufgetrieben  wurde.   Dass  die  bunte  Kuh 
mindestens  gleich  der  schwarzrandigenKuh  S.  7  my- 
thisch war,  beweist  die  Redensart:  Das  weifsGott  und 
die  bunte  Kuh  ^). 

Der  Glasberg  ist  nun  wie  Viöblainn  der  Aufenthalts- 
ort von  Eiben.  So  führt,  nach  einem  Wiener  Märchen, 
Schneewittchen  guten  Zwergen  im  Glasberg  denHaus- 


1)  Thöle  und  Strakerjau,  Aus  dem  Kinderleben  S.  76.  Ganz  überein- 
stimmend mündl.  Münniclihüflen  bei  Minden.  Die  von  Woeste,  Zeitsehr.  für 
D.  Mj'th.  III,  185,  29  beigebrachte  Variante  setzt  Pömelland  au  die  Stelle 
von  Engelland. 

2)  L.  Erk,  Deutscher  Liederhort  S.  334.  No.  152.  Str.  5. 

3)  Müudl.  Pommerelleu. 


333 

halt.     Ihre  bösen  Schwestern  fragen  den  Spiegel,  wer  die 
Schönste  im  Lande  sei  und  erhalten  zur  Antwort: 

Die  Schönste  ist  auf  dem  Glasberge 

Wohnt  bei  den  kleinen  Zwergen  '). 
In  einer  Variante  desselben  Märchens  lautet  die  Frage  an 
den  Spiegel: 

Spiegel  unter  der  Bank 

Sieh  in  dieses  Land,  sieh  in  jenes  Land, 

Wer  ist  die  Schönste  in  Engelland? 
und  wiederum  lautet  die  Antwort:  Schneewittchen  bei  den 
7  Zwergen  '^).  Wir  sehen  hier  also  wiederum  die  Identität 
des  Glasberges  mit  dem  mythischen  Engelland.  Kö- 
nig Gübich  wohnt  mit  seinen  Zwergen  ebenfalls  auf  dem 
Glasberg  ^).  Auf  dem  verwünschten  Berge,  der  so 
steil,  so  glänzend  und  schlüpfrig  ist,  als  wäre 
er  mit  Oel  übergössen,  tritt  dem  Tirolischen  Hansl 
zuerst  ein  kleines  Männchen  mit  langem  Bart  in  den  Weg''). 
Ein  graues  Männchen  verschajfft  einem  Trompeter  den  Zu- 
gang zum  Glasberg  ^). 

Da  die  Zwerge  Seeleu  sind  "),  so  giebt  sich  schon  hie- 
durch  der  Glasberg,  wie  Viöbläinn  als  Seelenaufenthalt 
knnd.  Wir  haben  aber  dafür  noch  andere  wichtige  Zeug- 
nisse.  Nach  einem  dänischen  Volkslied'')  befindet  sich  Bryn- 
hilldr,  welche  nach  der  eddischeu  Darstellung-  in  einem  mit 
der  Waberlohe  umgebenen  Saale  schläft,  auf  dem  Glas- 
berge, den  Sigfrid  mit  dem  Rosse  Grani  hinaufreitet  und 
gradeso  berichten  unsere  Märchen  von  einem  Glas  berge, 
auf  welchen  Jünglinge  oder  Jungfrauen  verwünscht  sind, 
die  von  denjenigen,  welche  ihn  erklimmen,  befreit  werden. 
Mit  Recht  schliefst  W.  Müller'):  „Beide  Vorstellungen  trcf- 


1)  KHM.  III.  3   90. 

2)  KlIM.  a.  a.  O.  89. 

3)  Colshorn,  Sagen  und  Märchen  S.  73.  No.  23. 

4)  Zingerle,  KHM.  aus  Süddeutschland  S.  3.  4. 

5)  Pröhle,  Kinder-  und  VolksniiirclionS.  104.  No.  30.  II. 

6)  S.  oben  S.  207.    Sdiambach  und  Müller,  Nieders.  Sagen  S.  382.  383. 
1)  Udvalgte  Danske  Viser  I,    132. 

8)  Altdeutsche  Religion  S.  398. 


334 

en  in  ihrer  Bedeutung  überein,  der  Glasberg  ist  mythisch 
sfleich  dem  mit  der  Waberlohe  ump-ebenen  Saal."  Da  wir 
nun  in  letzterem  oben  S.  180  die  blitzumloderte  Wolke,  in 
welcher  Holda  mit  den  Seelen  weilt  oder  hinter  welcher 
im  lichten  Himmelsraum  (ViSblainn)  die  Seligen  wohnen, 
nachwiesen,  so  ist  damit  ein  abermaliges  Zeugnis  für  die 
von  uns  angegebene  Bedeutung  des  Glasbergs  gewonnen. 
Ueberdies  tut  W.  Müller  dar^),  dass  die  Zustände  der  auf 
den  Glasberg  oder  sonst  Verwünschten  genau  den  Zu- 
ständen entsprechen,  welche  andere  deutsche  Mythen  klar 
und  bestimmt  den  Toten,  den  Seelen  zuschreiben. 

Ist,  wie  wir  annahmen,  das  goldene  Schloss  auf 
dem  Glasberge  dem  nordischen  Gimi  11  aufViöbläinn 
im  Grunde  eins,  so  muss  die  Vorstellung  davon  ebenfalls 
in  jene  Urzeit  hinaufreichen,  welche  der  Eddenreligion  vor- 
ausliegt. Dies  bestätigt  die  folgende  Betrachtung.  Wir 
können  mit  ziemlicher  Sicherheit  aus  den  vorhandenen  Sprach- 
resten auf  das  einstige  Dasein  eines  starken  Verbums  goth. 
GLISA,  GLAS,  GLESUM,  GLISANS;  nord.  GLES, 
GLAS,  GLÄSUM,  GLESINN  mit  der  Bedeutung  glän- 
zen, leuchten  zurückschliefsen.  Vom  Stamme  des  Prät. 
Singul.  dieses  Verbums  haben  sich  folgende  Ableitungen 
erhalten;  ags.  glas,  aldnord.  glas  und  glar  vitrum  (vgl.  die 
Zusammensetzungen  glas-ker  n.  PI.  vasa  vitrea,  glarmeistari 
vitriarius),  Schweiz,  glarren,  glaren  splendere;  die  glurren 
oculi  (splendidi)  glasir  res  splendida.  Vom  Plural  des  Prät.: 
glesum.  (Tac.  Germ.  45.  Plin.  bist.  nat.  37,  3),  ags.  gltere. 
succinum,  glser  mare  vel  aer;  gloerhiminn  aer  purus 
et  serenus;  glsesa  polire  glneselegr  splendidus.  Glaesir 
res  splendida;  glaera  facula,  gljering  fulguratio.  Von  der 
Ablautstufe  des  Präsens  endlich  kommen  altn.  gier  vitrum, 
glerhallr  quartzum'').  Soviel  zum  sprachlichen  Verständnis 
der  folgenden  mythischen  Angaben,  welche  sich  in  nordi- 
schen  Quellen  erhalten  finden.     Glas   sagt  nach   unserer 


1)  Nieders.  Sagen  S.  386. 

2j  Vgl.  im  Allgemeinen  über  diesen  Stamm  Grimm,  Gesch.  der  D.  Spr. 
718.     Zacher,  Das  gothische  Eunenalphabet  81  fgg. 


835 

Untersuchung  nichts  anders  als  „res  splendens"  aus,  so- 
mit wird  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  Glasberg  „der 
glänzende  Berg"  sein.  In  der  Jarlmagussaga  ist  von 
einem  Paradies  die  Rede,  wohin  alte  Helden  reiten. 
Dieser  Seelenaufenthalt  heifst  Glerhiminn.  Da  wir 
eben  vorhin  das  nur  ablautend  verschiedene  glser  himinn 
als  Bezeichnung  des  Sonne  durchleuchteten  blauen  Him- 
mels kennen  lernten,  ist  die  Uebereinstimmung  von  Gler- 
himinn und  Viöbläinn  wol  klar.  Dass  die  Vorstellung 
vom  Glanzhimmel  (Glerhiminn)  tieferen  Haft  in  der  altger- 
manischen Vergangenheit  hatte,  zeigt  das  Wort  glser  d.i. 
die  blaue  Luft.  Wenn  nun  die  HerrauSs  og  Bosissaga 
ein  Seelenreich  Glassisvellir')  (campi  splendoris  sive 
rerum  lucidarum)  nennen  (das  auch  Saxo  bekannt  und  von 
W.  Müller  als  alte  und  echte  Ueberlieferung  von  einem 
heidnischen  Totenaufenthalt  nachgewiesen  ist)'-), 
wenn  ferner  die  Skälda  von  einem  goldbelaubten  Haine 
Glasir  weifs,  der  vor  den  Sälen  Vallhölls  steht,  in  wel- 
chen Oöinn  die  Seelen  der  gefallenen  Helden  empfängt^), 
so  wird  es  wahrscheinlich,  dass  alle  diese  Stätten  Gler- 
himinn, Glsesisvellir  und  Glasir  Reste  eines  Urmy- 
thus  enthalten,  der  von  einem  Glerhiminn  gleich  dem 
Glasberg  unserer  Märchen  berichtete. 

Auch  die  Sage  der  nahverwandten  Letten  und  Slaven 
weifs  von  einem  Glasberg  zu  berichten,  der  Seele n au f- 
enthalt  ist.     Bei   den   alten  Litauern   war  es  ein  religiö- 


1)  In  diesem  Laude  Gltesisvellir  soll  ein  Ort  Ödäinsakr  (Unsterb- 
lichkeitsfeld) liegen,  vro  Niemand  stirbt,  jeder  Kranke  genest,  jeder 
Greis  sich  verjüngt,  ganz  wie  der  himmlische  Kinderbnmnen  als  löuns 
Brunnakr  Kranke  heilt  s.   o.  S.  19G   als  Jungbrmmeu   verjüngt  s.  o.  S.  273. 

2)  Niedersächs.  Sagen  S.  374  fgg. 

3)  Skäldskaparm.  cap.  34.  Sn.  E.  Am.  I,  340.  Auch  auf  dem  Glas- 
berg steht  nach  vielen  Märchen  ein  solcher  goldner  oder  sonst  wun- 
derbarer Hain.  —  Wie  der  Hain  Glasir,  obwol  aus  voreddischer  Eeligions- 
periode  stammend,  in  OÖins  ÄsgarS  überging,  lässt  Gylfaginning  3  OSinn 
(Allföör)  Gimill  mit  den  Seelen  der  Eechtschaftenen  bewohnen  und  nennt 
als  Synonymum  von  Gimill  Vingolf,  während  Gylfag.  20  gesagt  wird  OJSinn, 
der  den  Namen  AllföÖr  führe,  empfange  die  Helden  in  Vallhöll  oder  Vin- 
golf. 


336 

ser  Glaube,  dass  die  Seelen  der  Verstorbenen  einen  steilen 
Berg  hinan  müssen,  weswegen  man  auch  Luchs-  und 
Bärenklauen  und  anderes  zum  Hinaufsteigen 
Dienliche  zugleich  mit  dem  Leichnam  verbrannte.  Auf 
diesem  Berge  wohnte  die  höchste  unbekannte  Gottheit,  der 
oberste  Richter  (kriwe  kriweito)  und  richtete  die  Taten  der 
Menschen.  Je  reicher  man  gewesen  war,  desto  schwerer 
wurde  das  Klettern,  denn  das  irdische  Gut  belastete  die 
Seele.  Der  Arme  hingegen  kam  leicht  hinan,  wie  eine 
Feder,  wenn  er  die  Götter  sonst  nicht  beleidigt  hatte.  Die 
Sünder  hob  nämlich  ein  grofser  Drache  Namens  Wizunas 
empor,  der  ihnen  unterwegs  die  Glieder  abfrafs,  die  ar- 
men Sünder  führte  der  Wind  in  die  Höhe').  Die- 
ser Berg  heifst  den  Litauern  Anafielas.  Unter  dem  pol- 
nischen Landvolk  geht  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag  die 
Sage,  dass  die  Seelen  der  Verdammten  auf  einen  glä- 
sernen Berg  (szklanua  gora)  klettern  müssen  und  dann, 
sowie  sie  einen  Fufs  auf  den  Gipfel  gesetzt,  ausglitschen 
und  taumelnd  wieder  herunterfallen^).  Woycicki  teilt  uns 
folgendes  Märchen  von  der  Szklanna  gora  mit.  Auf  dem 
hohen  Glasberg  steht  ein  goldenes  Schloss  (vgl.  Gi- 
mill)  und  vor  dem  Schloss  ein  Apfelbaum  mit  gol- 
denen Aepfeln  (vergl.  Glasir),  im  Schlosse  selbst  aber 
baust  eine  verwünschte  Fürstentochter.  Viele  suchen  zu 
Pferde  den  Berg  zu  erklimmen,  glitschen  aber  unterwegs 
aus  und  fallen  tot  amFufse  des  Berges  nieder,  wo 
die  Leichname  liegen  bleiben.  Ist  einer  schon  zur  Hälfte 
hinauf,  so  hackt  ein  böser  Falke  dem  Pferde  die  Augen 
aus  und  der  Ritter  sinkt  in  die  Tiefe.    Endlich  kommt  ein 


1)  Wo,vcicki  Klechdy  II,  134.  135.  Woycicki,  Polnische  Volkssagen 
und  Märchen  übers,  von  Lewestam.  Berlin  1839.  S.  156  Narbutt  I,  284. 
Hanns,  Slavische  Myth.  415.  Myth.'^  796.  Albert  Wijuk  Kojalowicz  erzählt 
(Geschichte  von  Litauen  I,  5.  S.  140;  vgl.  Hartknoch  188)  vom  Leichenbe- 
gängnis des  litauischen  Fürsten  Szwentorog :  Als  der  Leichnam  verbrannt  war, 
erhoben  die  Anwesenden  laute  Klage  und  die  Vornehmsten  des  Landes  war- 
fen abgeschnittene  Klauen  von  Bären  und  Panthern  (?)  in  das  Feuer, 
um  dem  Toten  die  letzte  Ehre  zu  erweisen. 

2)  Woycicki  a.  a.  O. 


337 

Jüngling,  der  sich  die  scharfen  Krallen  eines  Luch- 
ses an  Händen  und  Füfsen  festgemacht  hat,  bis  nahe  zum 
Gipfel  und  sinkt  hier  vor  Ermüdung  in  Schlummer.  Der 
Falke  hält  ihn  für  Aas  und  trägt  ihn,  die  Krallen  ins  Fleisch 
bohrend,  bis  ans  goldene  Schloss,  wo  der  Jüngling  dem 
Vogel  die  Füfse  abschneidet  und  sich  so  niederlässt.  Mit 
den  goldenen"  Aep fein,  die  er  vom  Baume  pflückt,  be- 
sänftigt er  den  bösen  Drachen,  der  den  Eingang  zum 
Schloss  verwehren  will.  Er  bleibt  nun  ewig  bei  der 
erlösten  Princessin  und  kann  nicht  wieder  auf 
die  Erde.  Vom  Blute  des  Falken,  das  auf  die  Erde 
tröpfelt,  werden  die  Leichen  unten  am  Berge  wieder 
belebt').  Das  slavische  Ersteigen  des  Glasberges  mit 
Hilfe  der  Luchs-  und  Bärenklauen  steht  deutlich  dem 
deutschen  Erkhmmen  durch  die  Hühnerknochen  gleich. 
An  eine  Entlehnung  ist  bei  der  Abweichung  der  specielle- 
ren  Züge  nicht  zu  denken,  die  Sage  vom  Glasberg  muss 
also  in  die  gemeinsame  Urzeit  der  Letten,  Slaven  und  Ger- 
manen hinaufreichen. 

Kehren  wir  nunmehr  nach  Deutschland  zurück,  so  fin- 
den wir  noch  in  der  höfischen  Poesie  des  dreizehnten  Jahr- 
hunderts mit  dem  Glas b er g  die  Vorstellung  vom  Para- 
diese verbunden.     Im  jüngeren  Titurel  heifst  es: 


1)  Woycicki,  Polnische  Volkssagen,  übers,  von  Lewestam  S.  115.  Sollte 
die  Belebung  der  Gestorbenen  unterhalb  des  Glasbergs  ein  Rest  des  Glaubens 
an  die  Wiedergeburt  sein,  auf  -welehen  auch  bei  Letten  und  Slaven  meh- 
rere Spuren  hinzudeuten  scheinen?  Unter  den  russischen  Soldaten  ist  der 
Glaube  verbreitet,  wenn  sie  in  fernem  Lande  auf  dem  Schlachtfelde  stürben, 
würden  sie  in  der  Heimat  wieder  aufleben.  Kojalowicz  fügt  dem  obenerwähn- 
ten Bericht  über  die  Bestattung  des  litauischen  Szweutorog  hinzu :  ,,Denn  von, 
einem  andern  Leben  der  Menschen  nach  dem  Tode,  und  von  der  Wieder- 
kehr der  Seelen  zu  ihren  Leibern,  wann  ein  Gott  der  ihnen  unbe- 
kannt auf  einem  hohen  Berge  das  ganze  Menschengeschlecht  aus  den 
Gräbern  rufen  und  richten  wird,  haben  die  alten  Litauer,  wiewol  sie  in  gött- 
lichen Dingen  ganz  imerfahren  gewesen,  etwas  geglaubt."  Vinc.  Kadlubeck, 
Bischof  von  Krakau  (f  1223)  schreibt  von  den  alten  Preufsen,  die  er  Getcn 
nennt:  ,,Es  ist  ein  gemeinsamer  Unsinn  aller  Geten  zu  glauben,  dass  die 
Seelen,  welche  die  Leiber  verlassen,  wiederum  in  geboren 
werdende  Leiber  eingehen,  dass  manche  auch  durch  die  Annahme  von 
Tierleibem  tierisch  werden." 

22 


338 

daz  paradys  vil  nahen  lit  des  kuniges  heime 

wan   daz   ez  undervahen   kan   ein  berc  vor  aller  vogel 

sweirae, 
gehohet  hoch  al  ober  sich  die  rihte 

eben  glase   helle,  daz  niht  daran  gekleben   mac   vor 

slihte  ' ). 
Unsere  Volkssagen  und  Kiuderlieder  kennen  den  Glasberg 
gradezu  als  Holdas  Bergaufenthalt  d.  i.  die  Stätte,  in  wel- 
cher die  Kinderseelen  weilen.  Ein  kleines  Mädchen,  das 
von  seiner  Stiefmutter  aus  dem  Hause  gejagt  wird,  schläft 
im  Walde  auf  einem  Berge  ein.  Ein  graues  Männchen, 
ein  Zwerg,  der  ihm  einen  warmen  Mantel  und  eine  goldene 
Schale  mit  Suppe  sammt  einem  GoldlöflPel  zum  Essen  und 
eine  goldspendende  weifse  Katze  (vgl.  Freyjas  heili- 
ges Tier)  zur  Gesellschafterin  gegeben  hat,  lässt  das  Kind 
in  den  Berg  zum  goldenen  Schlosse  tragen.  Dawar 
es  in  einem  grofsen  Saal  und  hatte  viele  kleine  Kin- 
der um  sich,  mit  denen  es  afs  und  trank  und  später  auf 
einer  grofsen  Wiese  spielte  und  tanzte'*).  Ist  der  Berg 
hier  auch  nicht  geradezu  Glasberg  genannt,  so  giebt  ihn 
doch  das  goldene  Schloss  als  solchen  kund.  Deutlicher 
sprechen  sich  die  Kinderlieder  aus: 

1. 

Es  sitzt  beim  brünnl 

A  holdige  frau; 

hats  kindl  aufghoben 

Auf  d'  stieg  aufiglegt. 

Wo  is  denn  dös  brünnl? 

Am  gemmigen  herg. 

Wo  is  denn  der  berg? 

Die  muttar  hat  den  schlüssl. 

Wo  is  denn  die  muttar? 

Beim  goldenen  brünnl. 

Hat's  kindl  aufghoben 

Auf  d'  stieg  aufiglegt. 

1)  Titurel  ed.  Hahn.     Quedlinb.  und  Leipz.  1842.  Str.  C044.  S.  594. 

2)  Colshorn,  Märchen  und  Sagen  S.  135.  No.  40. 


339 

2. 

Mutter  Gottes  tut  wasser  tragen 

Mit  goldenen  kannen 

Aus  dem  goldenen  brünnel. 

Da  liegen  viel  drin. 

Sie  legt's  auf  die  kisser 

Und  tut  sie  still  küssen, 

Und  tut  sie  schön  wiegen 

Auf  der  goldenen  stiegen. 
3. 

Is  gor  a  schöner  garten, 

Sein  schöne  lädle  drin, 

Und  blume  wunderschün. 

Der  weg   der  is  vu  gülden, 

Die  Staffel  sein  vu  glos. 

Z'oberst  droba  sitzat 

A  wundarschüne  frau, 

Hats  kindl  aufm  arm 

Mit  zepper  und  mit  krön  •). 
Fassen  wir  die  hier  dargebotenen  Züge  zusammen,  so 
ergiebt  sich  die  Vorstellung:  Am  oder  auf  dem  Berge, 
dessen  Staffeln  von  Glas  sind,  dem  Glasberg,  liegt  der 
goldige  Brunnen,  in  welchem  eine  holde  Frau  (Frau 
Holda)  die  Kinderseelen  hegt.  Sie  legt  sie  auf  die 
Stiegen,  eins  über  das  andere,  genau  wie  in  dem  S.  273 
bis  321  erläuterten  Kinderspiel  die  Seelen,  eines  eine 
Treppe  über  dem  anderen  sitzen.  Vgl.  besonders  S. 
304.305.  Im  oder  unter  dem  Brunnen  ist  ein  wunder- 
schöner Garten,  der  eigentliche  Seelen-  oder  Elbenauf- 
enthalt.  Nach  Anleitung  der  vorhergehenden  Untersuchun- 
gen verstehen  wir  nun  diese  Angaben  dahin.  Ueber  dem 
Wolkenhimmel,  dem  himmlischen  Kinderbrunnen,  dehnt 
sich  das  glashclle  blaue  Himmelsgewölbe  aus,  der 
Sitz  Holdas  mit  den  Seelen,  der  als  freudenreicher  Lust- 
aufenthalt bald  als  goldenes  Schloss,  bald  als  blühen- 


1)  Alle  drei  Lieder  aus  Tirol  d.  J.  V.  Zingerle. 

22* 


340 

der  Garten  gedacht  ist.  Von  der  Erde  aus  betrach- 
tet liegt  dieser  hinter  dem  Brunnen,  dem  Wolkenge- 
wässer und  es  ist  nun  deutlich,  weshalb  man  die  Seelen 
bald  im,  bald  hinter  dem  Brunnen  sitzend  denken 
konnte.  Zugleich  ist  es  klar,  dass  der  Glasberg  verschie- 
den ist  von  dem  S.  182  nachgewiesenem  Wolkenberge. 
Wenn  es  vom  goldenen  Schloss  heifst,  dass  es  im  oder 
über  dem  Berge  liege,  so  ist  damit  der  letztere,  der  die 
Herrlichkeit  des  blauen  Himmelsgewölbes  verdeckende  Wol- 
ke nf  eis  gemeint.  Zu  vergleichen  stehen  noch  folgende 
Kinderlieder : 

1. 

Dort  oben  auf  dem  Berge 

Da  wehet  der  Wind, 

Da   sitzt  die  Frau  Maria 

Und  wieget  ihr  Kind, 

Sie  wiegt  es  mit  ihrer  schneeweifsen  Hand 

Und  braucht  dazu  kein  Windelband  ^). 
2. 

Dreie  sechse  neune. 

Im  Hofe  steht  die  Scheune, 

Im  Garten  jagt  der  Wind, 

Im  Brunnen   liegt  das  Kind. 

Alte  Hex  spring!^). 
In   den  Märchen   vom  Glasberg   erscheint  auf  dem- 
selben  meistenteils   ein  Teich,   See  oder  Brunnen.     In 


1)  Simrock,  Kinderb. ^  71,  243.  Schlesien  Firmen.  II,  348:  Uffin  berga, 
da  gibt  dar  -n-ind,  da  wiegt  de  Maria  ihr  kind  mit  ihrer  schlohengelweifsen 
hand,  se  hatt'  och  derzue  keen  ■windelband.  Dieses  Kinderlied  ist  in  einem 
alten  Weihnachtsliede  benutzt.  HofFmann,  Kirchenl.  I,  171  V.  7.  8.  aus  der 
Handschr.  des  Jungfrauenklosters  zu  Inzhofeu  bei  Sigmaringen,  geschr.  1470 
bis  1480. 

2)  Simrock,  Kinderb.'*  191,  791.  Leistenau  bei  Graudene  d.  Bej'er:  1 — 9. 
In  Schwetz  steht  eine  lange  Scheun,  die  ist  voll  Roggen  und  voll  Weizen,  wie 
soll  das  Kindlein  heifsen?  Ente  potente  knix  knax  knorr!  —  Weifsen- 
fels  d.  Lebing:  3.  6.  9,  im  Hofe  steht  die  Scheun,  im  Garten  jagt  der 
Wind,  Hanne  Marie  spring!  —  Alttöplitz  bei  Potsdam:  1 — 9,  Mädel  um 
die  Scheun,  Mädel  um  den  Ring,  die  alte  Hexe  springt,  Mädel  um  das 
Haus,  ich  oder  du  must  raus.  Vgl.:  Wer  klopft  an  meinen  vordersten 
Ring?  oben  S.  283.  No.  14. 


341 

diesem  ist  seit  Jahren  ein  ganzes  Bund  goldener  Schlüs- 
sel verloren,  welche  den  Eingang  zum  goldenen  Schloss 
gewähren.  Enten  (Schwanjungfrauen)  holen  dieselben  her- 
aus').  Wir  sahen  schon  oben,  dass  der  Schlüssel  in 
den  Sagen  von  der  weifsen  Frau  der  Blitz  ist.  Da 
nun  derselbe  als  Hahn  gedacht  ist^),  indem  man  das  Krä- 
hen des  Huhnes  mit  dem  Donner  verglich,  wäre  es  nicht 
unmöglich,  dass  imter  dem  Hühnerknochen,  mit  wel- 
chem der  Glasberg  erstiegen,  geöffnet  wird,  der  Blitz  zu 
verstehen  sei,  der  die  das  leuchtende  Himmelsgewölbe  ver- 
deckende, beschliefsende  Wolke  spaltet.  Das  Zickzack  des 
Blitzes  bietet  ebenso  natürlich  die  Anschauung  einer  Lei- 
ter. Ist  die  Himmelsburg  verschlossen,  ro  ruht  der  Schlüs- 
sel, der  Blitz  in  dem  Brunnen,  der  Wolke.  Um  diese  Deu- 
tung annehmbar  zu  finden,  müssteu  wir  über  die  gleiche 
symbolische  Bedeutung  der  Bärenklaue  in  der  lettischen 
Mythologie  unterrichtet  sein.  Doch  bietet  sich  noch  eine 
andere  gleich  wahrscheinliche  Deutung  dar.  Wir  fanden 
oben  S.  299  die  Hühnerknochen  als  Symbol  der  Seele 
oder  des  Gestorben  sein  s.  Des  Körpers  entledigt  ent- 
schwebt die  Seele  zum  lichten  Freudenaufenthalt  auf  dem 
Glasberge.  Hiemit  würden  denn  auch  die  Beine  und 
Steine  übereinstimmen,  welche  Engelland  öffnen.  Erst 
wenn  zwischen  der  Steinsetzung  des  hochaufgeschüt- 
teten Grabhügels  die  Gebeine  im  Aschenkrug  ruhen, 
findet  die  Seele  den  Weg  ins  Totenland.  Wir  stellen 
die  Entscheidung  dieses  Problems  weiterer  Forschung  an- 
heim. 

Haben  wir  nunmehr  bereits  vorläufig  durch  die  Betrach- 
tung des  Glasberges  ein  Verständnis  darüber  gewonnen, 
was  unsere  Volkspoesie  mit  Engelland  meint,  so  ist  jetzt 
zu   untersuchen,    warum  der  Schwan   aufgefordert   wird 


1)  S.  Pröhle,  Kinder-  und  Volksmärchen  S.  30.  No.  7.. 

2)  S.  146.     Vgl.  Zcitschr.  Air  D.  Myth.  ITI,  386.      In  Iserl&hn  brauche 
man   statt   des   sonst  in  Westphalen   gangbaren  „duenermäge"    den   Fluch, 
„häunerwiaär"  Hühnerwetter.    Mitteilung  Woestes. 


342 

nach  diesem  Lande  der  Seligkeit  hinzuführen.  Der  Schwan 
ist  der  heilige  Vogel  des  Nerthus  (Njörör)  und  seiner  Toch- 
ter nord. Freyja,  die  die  Herscherin  der  als  Schwanjung- 
frauen umfliegenden  Valkyren  war.  Der  Glasberg  wird 
in  den  Märchen  als  die  Heimat  der  Schwanjungfrauen 
genannt*).  Freyja,  die  Schwester  Freys,  dem  die  Götter 
in  Urzeiten  Liösälfaheimr  (Viöbläinn  mit  Gimill)  zum  Zahn- 
gebinde schenkten^),  ist,  wie  wir  oben  S.  291  fgg.  sahen, 
die  Göttin,  welche  die  Seelen  der  Gestorbenen  bei  sich 
empfängt  und  neugeboren  auf  die  Erde  schickt.  Sind  die 
Valkyrien  =  den  Mären  d.  i.  Seelen,  so  wird  in  unsern 
Volkssagen  den  Seelen  häufig  unmittelbar  die  Gestalt  von 
Schwänen  zugeschrieben,  oder  der  Schwan  als  Toten- 
geleiter  genannt'').  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  46  erscheint 
ein  Toter  als  Schwan*).  Ein  Nachtwächter  zu  Kem- 
nitz  sah  um  Mitternacht,  wenn  einer  aus  dem  Dorf 
sterben  sollte,  einen  weifsen  Schwan  aus  dem  See 
steigen  und  zum  Kirchhof  gehn.  Einst  ging  er  vom  Kirch- 
hof zum  Edelhof.  Da  starb  der  Edelmann  in  8  Tagen ^). 
Der  Geist  einer  Jungfrau  zu  Ypern,  welcher  umgehen 
musste,  ward  1459  erlöst.  Da  flog  er  in  Gestalt  eines 
weifsen  Schwanes  davon  ^).  Im  Teufelssee  bei  Müg- 
gelsberge   bei  Köpenick   hat  sich  früher  ein  Schwan  sehen 


1)  Z.  B.  Wolf,  D.  Hausmärclien  S.  217.  Kulda  Pohädky  a  povesti  na- 
rodu  moravskeho  I.  Xo.  66.  S.  484  —  509.  Auch  König  Schwan  KHM.* 
208  ist  auf  dem  Glasberg  zu  Hause.  Verwünschte  Jungfrauen  erscheinen 
in  Schwangestalt  in  einer  im  Berg  versunkenen  Burg  bei  Schätzen  (dem 
Sonnengold).  L.  Rocholz,  Aargauische  Sagen  S.  144.  Andere  Nachweise 
giebt  Menzel  Odin  S. 303.  Auf  einem  See  im  Berge  schwimmt  ein  Schwan, 
der  einen  Ring  im  Schnabel  hält.  Wenn  er  ihn  fallen  lässt,  geht  die 
Welt  unter.  Gottschalk,  Sagen  und  Volksmärchen  der  Deutschen.  Halle 
1814.  S.  227. 

2)  Grimnism.   5. 

3)  Ueber  den  Zusammenhang  des  S  c  h  w  a  n  s  mit  der  Toten  weit  sprach 
schon  W.  Müller  in  Pfeiffers  Germania  I,   421. 

4)  In  einer  Variante  desselben  Märchens  ist  statt  des  Schwans  nur  im 
Allgemeinen  ein  grofser  Vogel  genannt.  Meier,  Märchen  No.  42.  S.  148 
sowie  in  noch  andern  Varianten  Tauben.  Simrock,  Der  gute  Gerhard.  Bonn 
1856.  S.  122. 

5)  Kuhn,  Mark.  Sagen  No.  68. 

6)  Wolf,  D.  MS.  No.  57.  S.  176. 


343 

lassen.  Das  ist  die  Princessin  gewesen,  deren  Schloss  dort 
im  See  versunken  ist').  Drei  durch  Zauber  in  Schwäne 
verwandelte  Jungfrauen  rufen,  wenn  Jemand  auf  der 
Wakuitz  ertrinken  soll'^).  Im  Roman  von  Gawan  führt 
ein  Schwan  einen  Nachen,  worin  ein  toter  Ritter 
liegt  ^).  Gradeso  führt  ein  Schwan  den  Loherangrin  aus 
dem  Lande  der  Seligen  nach  Kleve  und  wieder  zurück*). 
Dieser  Schwan  wird  ausdrücklich  als  Engel  d.  i.  als  Alb 
bezeichnet.  Auf  Rügen  endlich  verrichtet  umgekehrt  der 
Schwan  die  Rolle  des  Storches,  man  sagt  dass  er 
die  Kinder  bringe^). 

Wenn  wir  somit  den  Schwan  sowol  in  das  Leben 
als  aus  dem  Leben  die  Seele  geleiten  sehen  als  Boten 
der  seelenhütenden  Göttin,  so  ist  es  klar,  weswegen  er  auf- 
gefordert wird  nach  Engelland  in  das  Reich  der  Seligen 
zu  führen.  Gradeso  führt  der  Schwan  in  einem  Märchen 
auf  den  Glasberg.  Schwesterchen  gelangt  auf  den  Berg, 
der  mit  spiegelglatten  Steinen  gepflastert  und 
so  schlüpfrig  ist,  dass  sie  jedesmal,  wenn  sie 
eine  Strecke  hinan  war,  wieder  herunterfiel,  nur 
mit  Hilfe  der  Flügel  und  Beine  einer  Gans  d.  i.  im 
Schwanhemd  "). 

In  Hessen  zeichnete  ich  folgenden  Kinderreim  auf : 

Mädche  mach  dei  lädche  zu, 

s'  kimmt  e  schwarzer  harlebu, 

kriegt  dich  an  die  linke  band, 

führt  dich  bis  nach  Hesseland, 

Hesseland  ist  zugeschlossen 

und  der  Schlüssel  abgebrochen  ^). 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  No.  85.  S.  81. 

2)  Deceke,  Lübi^che  Sagen  No.  116. 

3)  Keller  Romvart  670. 

4)  Vgl.   V.  d.  Ilagen,   Schwanensage;  Reiffenberg,  Le  Chevalier  au  cygue. 

5)  E.  M.  Arndt,  Schriften  für  und  an  meine  1.  Deutschen.  1845.  111,547. 

6)  Beehstein,  D.  Märchenb.'    S.  105. 

7)  Jugenheim  a.  d.  Bergstrafse.  Hiemit  vergl. :  Mädle  niachs  lädle  zu, 
kommt  a  Zigeuuerbu,  führt  di  an  deiner  band  in  das  Zigcunerland. 
Meier,  Kinderr.  a.  Schwaben  S.  52,  189.  Maidel  machs  fenster  zue,  s'  kinnnt 
e  dragonerbue,  hebt  di  am  ehrel,  fiehrt  di  an's  dehrel  (Tür),  hebt  di  am  bau- 


344 

Wenn  die  beiden  letzten  Verse  nicht  ein  ganz  junger 
Ansatz  sind,  was  freilich  die  Varianten  wahrscheinlich  ma- 
chen (doch  dürfte  in  denselben  ebensowol  der  Schlusssatz 
abgefallen  sein),  so  steht  Hessenland  an  Stelle  von  Engel- 
land und  die  Reime  enthalten  einen  Mythus  wie  den  von 
"Wolf,  Beiträge  zur  D.  Myth.  I,  170.  171  besprochenen  vom 
Zwerge,  der  ein  auf  ihren  Geliebten  harrendes  Mädchen 
bei  ihrer  weifsen  Hand  nimmt  und  in  das  Eibenland  zu 
seiner  Mutter  (Holda)  führt: 

Er  füert  si  in  ainen  holen  perg, 

da  war  des  twerges  muter 

und  andre   klaine  twerg. 
Dass  die  Seelen  in  Holdas  Berg  auch  als  Zwerge  ge- 
dacht wurden,     geht    aus  einem  Tannhäuserliede    hervor: 
Frau  Venus  (Holda  s.  oben  S.  264)  spricht  zu  Tannhäuser: 
Str.  2.  Tanhüser  ir  seiend  nit  trüren, 

ich  bin  die  höchest  in  dem  berg, 

al  euwer  schult  sint  ir  vermüren, 

ich  han  so  vil  der  edlen  zwerg 

helt,  die  müssen  dienen  dir. 
und  Str.4.  ewer  seiend  dienen  mine  zwerg'). 

2)  Als  Seelenreich  zeigen  uns  Engelland  mehrere 
Volkssagen.  Der  Heimatsitz  der  Maren  ist  nämlich  En- 
ge 11  and.  Ein  Knecht  fängt  eine  Mär,  die  durch  ein  Ast- 
loch in  der  Kammertür  hereinkam  und  heiratete  sie.  Gerne 
hätte  sie  das  Astloch  in  der  Wand  gekannt,  welches  ein 
Mitknecht  sorgsam  zugesteckt  hatte.  Einmal  bat  sie  sehr 
inständig  es  ihr  zu  zeigen  und  sagte,  sie  höre  ihre  Mut- 
ter in  Engelland  die  Schweine  locken.  Der  Mann 
liefs  sich  erweichen  und  zog  den  Propfen  aus  dem  Astloch. 


del,  fiehrt  di  ins  SchwizerlUndl.  Stöber,  Elsäss.  Volksbüchl.  70,  185. 
Mareili  was  machst?  i  chüechle  für  t  nacht.  Meieli  tues'  lädli  zue,  s'  chunt 
e  dragonerbue,  s'  chöme  Franzose:  blaue  pantoffli  a,  brüue  spitzhose,  samme- 
tigs  hüetli  üf,  und  e  rots  bändeli  drüf.  Rocholz,  Alemannisches  Kinderlied 
I,  185,  315.  Meitli  tue's  lädeli  zu,  es  chonnt  e  Franzos,  het  rote  spitzhöseli 
a,  s'  vodertal  (Vorderteil)  hennadra,  meitli  witt  (willst)  au  en  ma  ?  tra  la  la  la. 
Appenzell.  Firm.  11,  665. 

1)  Mone,  Anzeiger  1836.  p.  169. 


345 

Sogleich  war  sie  verschwunden  und  kam  nicht  wieder  ' ). 
Eine  andere  Mär  bekennt  weit  weg  aus  Engelland  zu 
Hause  zu  sein^).  Ein  anderer  Mann  hatte  eine  Walri- 
derske  (Mar)  gefangen  und  gefreit.  Als  er  ihr  einmal  das 
Loch  zeigte,  wo  sie  hergekommen,  rief  sie:  „wq  lüden 
doch  de  klokken  in  Engelland  so  voll!  und  ist  ver- 
schwunden, aber  alle  Sonntage  ist  sie  Nachts  zurückge- 
kehrt und  hat  ihrem  Manne  Wäsche  gebracht  ^).  Bei  Ol- 
denburg in  Holstein  hütete  eine  Dirne  am  wilden  Wasser 
das  Vieh.  Sie  wurde  allnächtlich  vom  Mär  geplagt.  Mit 
Hilfe  ihres  Bruders  suchte  sie  desselben  habhaft  zu  wer- 
den, fasste  aber  nur  einen  Siebrand  (Säwenrand).  Der  Bru- 
der steckte  den  Arm  hindurch  und  dachte  „wie  soll  das 
ablaufen?"  Da  fing  der  Siebrand  mit  einmal  an  zu  ziehen 
und  wollte  sich  losreifsen.  Als  der  Bursche  trotzdem  fest- 
hielt, liefs  sich  eine  Stimme  vernehmen: 

Och  säwenrand,  och  säwenrand, 
wanner  kämt  wi  nach  Engelland? 
Erschreckt  hefs  der  Bursche  los,  der  Siebrand  sprang  ins 
Wasser  und  schwamm  fort*).  In  Barneize  fand  ein 
Wildhüter  an  einem  Steg,  der  durchs  Korn  führte,  ein  Sieb 
und  nahm  es  mit  sich.  Bald  kam  eine  Frau,  die  ängst- 
lich nach  etwas  suchte  und  rief:  tcie  weinen  meine  Kinder 
in  Engelland!  wie  weinen  meine  Kinder  in  Engelland!  Der 
Mann  legt  das  Sieb  nieder,  da  ist  sie  alsbald  verschwun- 
den^). Dieselben  Sagen  finden  sich  auch,  ohne  dass  der 
Name  Engelland  genannt  wird.  Ein  Knecht,  dessen 
Pferde  oft  von  der  Mär  geritten  wurden,  sah,  als  er  sich 
einst  im  Bache  wusch,  wie  eine  Muschel  über  das 
Wasser  schwamm  und  am  Ufer  anhielt  und  zu 
gleicher  Zeit  riefen  ihm  seine  Mitknechte  zu,  die  Mär  sei 


1)  Kuhn,  Noi-dd.  Sagen  14,   16. 

2)  Kuhn  a.   a.  0.   91,    102. 

3)  Kuhn  a.  a.  0.  298,  338. 

4j  Müllenhoff,  Schleswigholstein.  Sagen  244.  333.  Dieselbe  Sage  aus 
Rügen  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,    141,   V. 

5)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  262,  203.  Die  gleiche  Ueberlieferung  aus  Thü- 
ringen: Bechstein,  Sagenschatz  des  Thüringer  Landes  I,   138. 


34g 

wieder  auf  den  Pferden,  die  nun  unruhig  stampften  und 
ganz  mit  Schweifs  bedeckt  waren.  Schnell  lief  er  zum 
Bache  und  steckte  die  Muschel  in  die  Tasche,  worauf  die 
Pferde  ruhig  waren  und  ein  Weib  zu  ihm  trat,  die  mit 
kläglicher  Stimme  bat:  „Gebt  mir  die  Muschel  zu- 
rück, denn  ich  muss  bis  morgen  früh  dreihundert 
Stunden  von  hier  sein  und  tnuss  meine  Kinder  cer- 
sorgen  und  backen  und  buttern."  Gegen  das  Ver- 
sprechen, die  Tiere  nicht  wieder  zu  quälen,  gab  er  ihr  die 
Muschel  zurück.  Das  Weib  verschwand  und  langsam  fuhr 
die  Muschel  über  das  Wasser  zum  anderen  Ufer  ').  Der 
Trud  oder  Alp  kommt  oft  weit  her.  Einmal  sind  Hir- 
ten in  der  Nacht  im  Felde  gewesen  und  haben  nicht  weit 
von  einem  Wasser  ihrer  Herden  gewartet,  da  kommt  der 
Alp,  steigt  in  den  Kahn,  löst  ihn  vom  Ufer  ab  und 
rudert  mit  einer  selbst  mitgebrachten  Schwinge 
hinüber,  steigt  alsdann  aus,  befestigt  den  Kahn 
jenseits  und  v  erfolgt  seinen  Weg.  Nach  einer  Weile 
kehrt  er  zurück.  So  geschieht  es  mehrere  Nächte  hinter- 
einander. Einmal  nehmen  die  Hirten  den  Kahn  fort.  Da 
hebt  der  Alp  an  zu  winseln  und  droht  den  Hir- 
ten den  Kahn  gleich  herüberzuschaffen,  wenn 
sie  Frieden  haben  wollten^).  Häufig  sieht  man  auf 
dem  Wasser  schwimmende  Eierschalen;  darin  fahren  die 
Eiben  herum ^). 

3)  Dass  unter  Engelland  in  diesen  Sagen  nicht  Grofs- 
britannien,  sondern  vielmehr  das  Land  der  Engel,  der  Elbe, 
der  lichte  Himmelsraum  *)   zu  verstehen  sei ,   geht  aus  den. 


1)  Wolf,  Kiederländ.  Sagen  61-i,  515.      Vergl.  Wolf,  Beiträge  II,  273. 

2)  Grimm,  D.  Sagen  I,   130,  80. 

3)  Wolf,  Niederl.  Sagen  660,  572.  Vergl.  Myth.'  LXXX,  328.  Wer 
ein  Ei  isst,  soll  die  Schalen  zerknicken,  die  Hexen  (Elbe)  nisten  darin. 
Vergl.  Myth.'    CLIX,   1119.     LXX,   62. 

4)  Dies  sagt  auch  ausdrücklich  ein  sonst  sehr  verderbtes  Lied  aus  Hem- 
schlag  in  Westphalen:  „Inchen  vom  Minchen  was  wollen  sie  haben?  da  die 
sieben  Sterne  standen,  standen  sie  in  Engelland.  Husch  safs  ein 
Weber  auf  dem  Stuhl,  wusst'  nicht  was  er  essen  sollte,  schele  Milch  und 
Gerstenbrod,  schlug  das  liebe  Lieschen  tot. 


347 

folgenden    Volksreiraen    vom   Marienkäfer    oder    ^taikäfer 

hervor : 

1. 
Marienwörmken  flig  fürt, 
Flig  fürt  nach  Engelland! 
Engelland  ist  zugeschlossen, 
Schlüssel  davon  abgebrochen  '). 

2. 

Herrgottspferdchen  fliege, 
Vater  ist  im  Kriege, 
Mutter  ist  in  Engelland, 
Engelland  ist  abgebrannt. 
Herrgottspferdchen  fliege !  ^) 


1)  Alttöplitz  bei  Potsdam. 

2)  Miindl.  Pommerellen.  Aus  folgenden  Orten  ist  mir  diese  Recension 
mit  der  Variante  Pommerland  statt  Engelland  bekannt:  Berlin  Hagens 
Gennania  VIT,  435.  Mündl.  d.  HH.  Lehrer  Grimm  imd  Spanne;  Alttöplitz 
bei  Potsdam;  Adamsdorf  bei  Soldin  d.  H.  Seelig;  Treuenbrietzen  d.  H.  Sachse; 
Küstrin  d.  H.  Lucas;  Magdeburger  Börde  im  Kreise  Kalbe  a.  d.  Saale.  Firm. 
I,  164.  Genthin  im  Regierungsbezirk  Magdeburg  d.  L.  Erk;  Weifsenfeis  d. 
Seminarist  Lorber ;  Grafschaft  Rossla  d.  Seminarist  Hessler ;  Anhalt,  Fiedler 
95,  167.  Daraus  Firm.  II,  228;  Wernigerode  d.  Pröhle ;  Hildburghausen  d. 
Lehrer  Anding;  Göttingen  d.  Bibliothekar  Müldener;  Grafschaft  Mark,  AVoeste 
Volksüberliefer.  5;  Mülheim  im  Möhnetale  Firm.  I,  344;  Münstersche  Ge- 
schichten und  Sagen  S.  244;  Meklenburg,  Dr.  Ed.  Dürre,  Erziehungsblätter 
1851.  S.  79;  Dietzenbach  bei  Offenbach  d.  H.  Rosenstiel  —  Düsseldorf  Firm. 
1,431:  Pommeland.  —  Trier  d.  Hocker:  Häverling  flieg,  dein  Vater  ist  im 
Krieg,  deine  Mutter  ist  im  Kiederland ,  Niederland  ist  abgebraunt ,  Häverling 
flieg!  Vergl.  d.  H.  Seminarist  Sachse:  Himmelskühchen  fliege  aus,  fliege  bis 
nach  Pommerland,  Pommerland  ist  abgebrannt,  es  steht  nur  noch 
die  halbe  Wand.  —  Potsdam  d.  H.  Schulz:  Marienwürmchen  fliege  doch, 
dein  Vater  sitzt  in  der  Röhre,  Mutter  ist  in  Pommerland;  Pommerland  ist  ab- 
gebrannt, Marienwürmchen  fliege  doch.  —  Weifsenfeis  d.  Seminarist  Riethdorf: 
Schake,  schake  rit,  willst  du  mit  inu  Krieg?  willst  du  mit  nach  Pommerland, 
wo  der  Blaukohl  stand?  Dieses  Pommerland  begegnete  uns  schon  o.  S.  332 
für  Engelland  imter  der  Form  Pö  mm  eil  and,  und  wir  werden  es  später 
noch  mehrmals  dafür  verwandt  finden.  Ein  gewöhnlicher,  sehr  verbreiteter 
Ansatz  für  das  S.  328  beigebrachte  Kinderlied  „Engelland  ist  zugeschlossen 
u.  8.  w."  ist:  Bauer  bind'  dein  Hündleiu  an,  dass  es  mich  nicht  beifsen  kann, 
beifst  es  mich,  so  straf  ich  dich,  hundert  Taler  kost'  es  dich.  Bei  Meier, 
Kinderr.  60,  230  findet  sich  der  fgg.  Spruch :  „Jäger  bind  dein  Hündle  an,  dass  es 
mich  nicht  beifsen  kann ;  beifst  es  mich,  so  straf  ich  dich  um  en  Gulden  dreifsig. 
Alle  Pommerle  ksch,  ksch,  ksch  ;  packs  am  Füfsle  ps,  ps,  ps!"  Meier  a.  a.  O. 
19,  58:  „Gestern  bin  i  z'  Pommere  gwä,  z'  Pommere  in  de  nusse,  ist  e 
buckligs  mändle  komme,  hat  mir  meine  nusse  gnomme,  ei  so  schlag  der 
Kukuk  drein  in  das  buckligs  mändle  nein!    Dieser  Käme  Pommerland,  Born- 


348 

3. 
Kritzekrebs  fliege, 
Dein  Vater  ist  im  Kriege, 
Deine  Mutter  ist  in  Engelland, 
Engelland  ist  abgebrannt. 
Hinter  der  Kirche  liegt  der  Sand 
Aussrestreut  vor  Engelland, 
Engelland  und  Spanien 
Dippel  dappel  danien  '). 

4. 
Käfer,  Käfer  flieg  ähnich  (ohne  mich), 
Mei  Mutter  ist  in  Krähnig  (Kronach  ein  Ort  bei 

Hildburghausen), 
Mei  Vater  ist  im  Vaterland, 
Sein  Häusle  dort  ist  abgebrannt  ^). 


Maikäfer  flieg, 

Dei  Vater  ist  im  Krieg, 

Dei  Mutter  in  der  Asche, 

Müefs  der  'n  Hemdle  wasche  ^). 

6. 

Flieg  Käfer,  flieg. 

Dein  Vater  ist  im  Krieg, 

Deine  Mutter  ist  in'n  Stiefel  gekroche, 

Hat  das  linke  Bein  gebroche  "*). 


meland  muss  eine  mj'thische  Bedeutung  haben,  die  ich  noch  nicht  verstehe. 
Mit  Pommern  (Pomerauia)  hat  es  begreiflicherweise  nichts  zu  tun.  Die  Les- 
art Bonapart  o.  S.  330   scheint  ebenfalls  auf  Bommeland  zu  beruhen. 

1)  Weimar  d.  Reinhold  Köhler.  Kritzekrebs  ist  in  Weimar  und  Um- 
gegend ein  sehr  gewöhnlicher  Xame  des  Maikäfers.  Im  Marktflecken  Mei- 
lingen, eine  Stunde  südöstlich  von  Weimar,  ist  am  Dienstag  nach  Cantate 
ein  Jahrmarkt.  Auf  diesem  Jahrmarkt  hält  man  aus  Teig  gebackene  Mai- 
käfer feil. 

2)  Hildburghausen  d.  Lehrer  Anding.  Weifsenfeis  in  Sachsen  d.  Sem. 
Niese:  Flieg  Käfer  flieg,  dein  Vater  ist  im  Krieg,  deine  Mutter  ist  in  Sach- 
sen, wo  die  Käfer  wachsen.     Vgl.  K.  H.  M.   1819.  II,  XXIV. 

3)  Wertheim  d.  A.  Kauftnann. 

4)  Weifsenfeis  d.  Seminarist  Niese. 


349 

7. 
Herrgottspferdchen  fliege  weg, 
Dein  Häuschen  brennt, 
Dein  Kähnchen  schwimmt^ 
Deine  Kinderchen  schreien  nach  Butterbrod; 
Herrgottspferdchen  fliege  wegl  '). 
8. 
Herrgottsperdke, 
dine  kinnerke  schrie, 
din  hüske  brennt, 
fleg  weg!^) 
9. 
Himmelsküchlichen  flieg  aus! 
Dein  Haus  brennt, 
Deine  Kinder  iceinen  alle  miteinander  ^). 

10. 
Maikäfer  fliege! 
Dein  Häuschen  brennt, 
Dein  Löffelchen  schmilzt, 
Deine  Kinder  schreien  nach  Brod !  *) 
11. 
Herrgottsschäfchen,  Fliegewäppchen, 
Dein  Töpfchen  kocht,  dein  Kindchen  kreischt, 
Da  kommen  ihr  sieben  mit  Spiefsen, 
Wollen  dich  erschiefsen! 
HasI  hasi  bu!^). 

12. 
Herrgottskühle  flieg  auf  und  davon, 
Flieg  zum  hintern  Türle  naus, 
Dei  Mutterle  flennt, 

Dei  Kinnerle  liegen  in  der  Wiege, 
Da  fressen  sie  alle  Fliege^). 


1)  Danzig  mündl. 

2)  Pommerellen  mündl. 

3)  Weifsciifels    d.   Seminarist  Richter. 

4)  St.  Albrecht  bei  Danzig. 

5)  Schmitz,  Sitten  des  Eifler  Volkes  S.  73.    Daraus  Simrock,  Kinderb. 
141,  550. 

6)  llildburghausen  d.  Lehrer  Anding. 


350 

13. 
Marienkäferchen  flieg  eweg! 
Dein  Häuschen  brennt, 
Dein  Mütterchen  flennt, 
Dein  Vater  sitzt  auf  der  Schwelle, 
Flieg  in'n  Himmel  aus  der  Hölle  '). 

14. 
Ladycow,  Ladycow,  fly  thy  way  home, 
thy  house  is  on  fire,  thy  children  all  gone, 
all  but  one,  that  ligs  under  a  stone, 
ply  thee  home,  Ladycow,  ere  it  be  gone  '^). 

15. 
Ladybird,  Ladybird  fly  away  home, 
your  house  is  on  fire,  your  children  will  burn^). 

16. 
Maikäfer  fliege  fort. 
Dein  Häuschen  brennt, 
Dein  Kreischen  brennt, 
Die  Jungen  sitzen  drinnen 
Und  spinnen. 

Und  wenn  sie  ihre  Zahl  (10  Schock)  nicht  haben, 
Können  sie  nicht  spazieren  gan*). 

17. 
Zulla  zulla  gogl 
spinn,  spinn  a  gaare, 
der  wewer  will  eins  habe  ^). 


1)  Myth.'  658,  daraus  Simrock,  Kinderb. ^  139,  543.  In  Frankfurt  a.  M. 
Firm.  II,  65:  Käwerche,  käwerche  flieh  ewegg!  dein  häusi  brennt,  dein  mud- 
derche  flennt,  dei  vadderche  sitzt  ufF  schawelle,  flieh  hoch  in  alle  helle. 
Vergl.  noch:  Maikäfer  flieg  uff,  dien  fiereli  brennt,  dien  sibbele  (Süppchen) 
kocht,  dien  muader  sitzt  uff  der  schawälle  (Schwelle).  Stöber,  Elsäss.  Volks- 
büchlein 44,  48,  daraus  Fum.  II,  524.  Simrock,  Kinderb.^  140,  547.  Vgl. 
W.  Grimm  K.  H.  M.  1819.  II.  XXIV. 

2)  Hunters  Hallamshire  gloss.  S.  56.  HalliweU  nurserj'-rhymes  168,  380. 
Vgl.  Jamieson,  Northern  antiquities  I,  322:  Ladybird,  Ladybird  fly  and  be- 
gonel  your  house  is  a  fire  and  your  children  at  home! 

3)  Myth.2   658. 

4)  Erfurt  d.  Frau  Kuthmann  in  Halberstadt. 

5)  Simrock,  Kinderb.«   140,  548. 


351 

18. 
Ladybird,  Ladybird 
eigh  thy  way  home! 
thy  house  is  on  fire 
thy  children  all  roam, 
except  little  Nan, 
who  sits  in  her  pan, 
weaving  gold  laces, 
as  fast  as  she  can  '). 

19. 
Marieuwürrachen  fliege  weg, 
Deine  Mutter  ist  gefangen 
An  einer  langen  Stangen  '^). 

20. 
Himmelstierchen  flieg  hoch  in  die  Luft, 
Flieg  ins  Herrgottsgärtchen, 

Flieg,  sonst  kommen  die  Leut  mit  den  Spiefsen 
Und  wollen  (mich  und)  dich  erschiefsen  ^). 

21. 
Türkenmännchen,  flieg  hinweg! 
Die  Weiber  mit  den  Stangen 
Wollen  dich  empfangen. 
Türkenweibchen  flieg  hinweg. 
Die  Männer  mit  den  Spiefsen 
Wollen  dich  erschiefsen. 
Flieg  in  den  Himmel, 
Bring  einen  Sack  voll  Kringel, 
Tunk  ich  meinen  Weck  hinein, 
Bei  dem  roten  kühlen  Wein "). 


1)  Notes  and  queries  IV,  53.     Yorkshire   und  Lancasliire. 

2)  Berlin  uiündl. 

3)  Schmitz,   Sitten  des  Eifler  Volkes  S.  73,  daraus  Simrock,  Kinderb. '■* 
UO,  545. 

4)  Simrock  a.  a.  0.  139,  544. 


352 

22. 

Maikäfer,  fliej  uff! 
mah  dinre  mueder  d'  schür  uff. 
d'  Judde  kumme, 
d'  Heide  kumme, 
welle  mit  dir  reche, 

welle  dick  tiud  dine  liewe  kind  alli  zsamme  zu  dod 

steche  '). 
23. 
Goldhähnchen  flieg  hinweg, 
Dein  Häuschen  brennt, 
Dein  Süppchen  siedt. 
Die  Bauern  kommen  mit  Spiefsen, 
Wollen  dein  Kindlein  tot  schiefsen. 
Puh!  ti  poh!  ti  puh! -). 

24. 
Tipesken,  Tipesken  (Maikäfer) 
flej  af  de  birrebum  (Birnbaum) 
säch,  wun  de  Tattre  (Zigeuner)  kun. 
de  Tattre  ku'  mät  Stangen. 
der  te'iwel  huot  sich  erhangen, 
der  bäsch  br^ed  (der  Busch  brennt)  um  äinjs, 
der  fuss  (Fuchs)  huot  sich  den  schwänz  versänjt^). 

25. 
Herrgottisken  (Marienkäfer) 
flej  äf  de  birrebum 
säch  wenn  de  Tattre  hm. 
ech  wäll  dich  ä  nser  schtälche  löken, 
ech  wäll  der  malt  seh  (Milch)  och  bruit  (Brod) 

bröken  ■*). 


1)  Stöber,    Elsäss.   Volksbüclilein  43,   87.      Daraus  Simrock,  Kinderb. '^ 
140,   596.     Denselben  Anfang  s.  auch:  Keue  Preufs.  Zeitung   1856  Iso.  27. 

2)  Dichtungen  aus  der  Kinderwelt  S.  78. 

3)  Reufsraarkt  in  Siebenbirgen  d.  W.  Schuster. 

4)  Repa  und  Bistritz  in  Siebenbirgen  d.  W.  Schuster. 


353 

26. 

Härrjotsteifsken 

fleij  an  himmel, 

so  mer,  wen  de  motter  kit, 

so  mer,  wen  der  vätter  kit, 

sä  mer,  wen  de  Tattern  ku, 

so  mer,  wen  de  Tirken  ku, 

ech  wäl  dich  zä  mer  löken, 

ech  wäl  der  brüt  (Brod)  bröken, 

ech  wäl  der  möUich  geifsen  (Milch  eingiefsen), 

ech  wäl  dich  an  en  gäldän  tru  änschleifsen*). 
Wie  wir  schon  oben  S.  254  gesehen  haben,  wird  der  Ma- 
rienkäfer oder  der  Maikäfer  aufgefordert,  zum  Seelensitz  der 
Holda  in  oder  hinter  der  Wolke  hinaufzufliegen.  Auch  in 
den  hier  zusammengestellten  Liedern  wird  dies  ausdrück- 
lich gesagt:  „Flieg  in  den  Himmel"  21.;  Flieg  inn 
Himmel  aus  der  Hölle,  oder  Flieg  hoch  in  alle 
Hölle  (zur  Hella)  in  jedem  Fall  in  den  Seelensitz  13.; 
„Flieg  in's  Herrgottsgärtchen"  20.;  „Fly  thy  way 
home"  14.;  „Eigh  thy  way  home"  18.;  „Fly  away  home" 
15.  Diese  Heimat  des  Käfers  wird  nun  1.  2.  3.,  wie  die 
der  Mären  als  Engelland  bezeichnet.  Der  Grund  der 
Aufforderung  ist  eine  grofse  Gefahr,  in  welcher  sich  die 
Heimat  des  Käfers  befindet.  Feinde,  und  zwar  Juden  und 
Heiden,  Zigeuner  (Tattern)  oder  Türken  kamen  mit  Spie- 
fsen  und  Stangen,  um  seine  Sippschaft  gefangen  zu  neh- 
men; schon  brennt  sein  Haus,  Holdas  ganzes  Reich 
steht  in  Flammen. 

Wie  in  der  Sage,  dass  am  Ende  der  Tage  die  Tür- 
ken bis  nach  Köln  vordringen,  im  Rhein  ihre  Pferde  trän- 
ken und  eine  grofse  Schlacht  schlagen  sollen  ge- 
gen einen  weifsen  König,  der  Deutschland  erlösen  wird, 
der  Schrecken  der  Christenheit  an  die  Stelle  der  dämoni- 
schen Riesen  getreten  ist,  welche  nach  germanischer  My- 
thologie den  letzten  Kampf  mit  den  Göttern  bei  der  Göt- 


1)  Bistritz  in  Siebenbirgen  d.  W.  Schuster. 

23 


354 

terdämmerung  erheben'),  wie  insbesondere  die  Winter- 
riesen in  deutschen  Frühlingsspielen  jetzt  als  Türken 
auftreten ''),  sagen  auch  in  unsern  Reimen  die  Juden,  Hei- 
den ^),  Türken  und  Zigeuner  nichts  anderes  als  die  furcht- 
barsten Feinde  der  Welt,  d.  i.  nach  altheidnischer  An- 
schauung die  Dämonen  (Riesen)  aus,  welche  die  himmli- 
schen Gewalten  in  Banden  schlagen,  die  Wolke  verschhe- 
fsen,  den  lichten  Himmel  mit  den  Schatten  der  Nacht 
bedecken  (s.  S.  165  fgg.  187).  Wir  sahen  schon  oben  S.  90 
dass  das  Abendrot  als  ein  solcher  dämonischer  Riese 
gefasst  war,  der  das  Dunkel  über  den  Himmel  heraufführt, 
des  bösen  Ecke  (Ahi)  Bruder.  Ich  vermute  daher,  dass 
die  Zurufe  an  den  Käfer:  „Dein  Häuschen  brennt" 
8.  9.  10.  13.  16.,  „Thy  house  is  on  fire«  14.  15.  18., 
„Engelland  ist  abgebrannt"  den  Sinn  enthalten,  kehre 
zum  Himmel  zurück,  es  ist  Abendzeit,  die  Deinigen  sind 
in  Gefahr,  und  du  wirst  bei  längerem  Verweilen  ausge- 
schlossen von  deiner  Heimat,  die  der  Dämon  nun  mit 
festen  Banden  umklammert.  Die  im  Abendrot  purpurn 
gefärbte  Wolke,  das  im  Strahl  der  untergehenden  Sonne 
rötlich  gefärbte  Firmament  ist  das  brennende  Engel- 
land*). Bemerkenswert  sind  die  Ausdrücke  »Flieg  auf  den 
Birnbaum"  24.25.  „Der  Busch  brennt"  14.  Wir  sa- 
hen oben  S.  177.  1T8  das  Waldhaus  der  Riesen,  S.  268 
die  Waldhütte  Holdas  dem  Wolkenfels  und  Kinderbrun- 
nen gleichstehen;  eine  gleiche  Bedeutung  vermuteten  wir 
oben  S.  250,  Anm.  2  für  den  Tannenwald  oder  Busch, 
wohin  der  Käfer  auch  nach  andern  Varianten  fliegen  solP); 


1)  S.   Simrock,  Handbuch    d.  D.  Myth.   180. 

2)  S.   Simrock  a.  a.  O.   565. 

3)  In  altfranzös.  Gedichten  werden  die  Heiden  (paian)  häufig  als  die 
Erbauer  der  Riesenmauem,  Kyklopenmauem  genannt;  z.  B.  Gerars  de  Viane 
1745:  Les  fors  tors,  ke  sont  dantiquitey,  ke  paian  firent  par  lor  grant 
poestey.    Mj'th.^   501. 

4)  Doch  dürfte  auch  die  im  Gewitterfeuer  flammende  Wolke  Anspruch 
darauf  haben,  s.  unten  S.  397  fgg. 

5)  Nachzutragen  wäre  noch  der  Aargauische  Reim  an  die  Chrysomela: 

Goldkäfer  fiUg  üf, 
üf  dine  hohe  tanne 
zue  diner  muetter  Anne  u.  s.  w. 
Rocholz,  Alemann.  Kinderlied  I,  95,   196. 


355 

wir  werden  auf  dieses  Symbol  der  Wolke  weiterhin  aus- 
führlicher zurückkommen.  Auch  das  charakterisiert  die 
Feinde  in  unsern  Kinderreimen  als  Dämonen,  dass  sie 
Stangen  tragen  19.  21.  24.,  denn  diese  sind  ein  unter- 
scheidendes Merkmal  der  Riesen'). 

Die  Lichtwesen  lassen  sich  die  Einschliefsung  durch 
die  Dämonen  nicht  ohne  weiteres  gefallen,  Tag  und  Nacht, 
Sommer  und  Winter  kämpfen  mit  einander;  es  entsteht 
zwischen  ihnen  Krieg  2.  3.  5.  6.,  der  hier  mit  dem  Siege 
der  Nachtgeister  endigt. 

Dass  Kinderreime,  welche  ursprünglich  zum  Gebrauch 
bei  bestimmten  Jahresfesten  oder  Tageszeiten 
componiert  waren,  später  als  der  alte  Zusammenhang  er- 
losch, zu  jeder  beliebigen  Zeit  oder  Stunde  gesungen  wur- 
den, ist  von  mir  schon  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  215.  412 
besprochen.  Auf  die  Abendzeit  weisen  vielleicht  auch 
die  Reden  „dein  fiereli  brennt,  dein  sibbeli  kocht"  s.  o.  S. 
350,  Anm.  1. 

No.  25.  26  nehmen  eine  andere  Wendung.    Sie  bieten 
dem  Käfer  an,  wenn  die  Dämonen  kommen,  das  Land  der 
Elbe  (Engel  Land)  verschlossen  wird,  so  dass  er  nicht  mehr 
hinein  kann,  ihn  in  den  Stall  zu  locken,  ihm  Milch  und 
Brod  vorzusetzen.    Diese  Gabe  ist  ein  Opfer,  dem  Boten 
der  Holda  dargebracht.     In  der  Schweiz  sagt  man: 
Cheferli,  cheferli  flüg  us, 
i  getter  milech  ond  brocka 
ond  e  silberigs  löffeli  dezue'^). 
In  einem  Aargauischen  Reim   an   das  „Liebgottschäl- 
beli"  heifst   es  „i   gi  der  milch  und   mocke"^).     Das 
ganze  Lied  lautet: 

Liebgottschälbeli,  flüg  üf, 
der  hciland  tut  der's  türli  üf 
bring  mer  drei  pfund  anken  (Butter)  dnis 
und  e  silberigs  löffeli*). 


1)  Mytli.2    500. 

2)  Myth.  2    658. 

3)  Rocholz,  Alemaiiu.  Kinderlied  S.  94.  No.  187. 

4)  Zu  diesen  silbernen  Löffel  vergl.  oben  S.  349.  No.  10.    Gradeso  setzt 

23* 


356 

Flug  über  der  hohe  rugge 

i  gi  der  milch  und  mocke, 

flüg:  über  de  Härteste! 

und  suech  mer  vatter  und  muetter  hei. 
Hier  ist  davon  die  Kede,  dass  der  Käfer  Butter  aus 
dem  himmlischen  Lichtlande  mitbringen  soll,  dessen  Tür 
der  Heiland,  wie  oben  S.  255  Maria  öffnet,  indem  er  die 
Wolken  zurückschiebt.  Diese  durch  die  Himmelstür  herab- 
gebrachte Butter  kann  nur  von  den  Wolkenkühen 
kommen,  als  deren  Hüter  wir  oben  S.  251  den  Käfer  nach- 
wiesen. Wir  bemerkten  ebendort,  dass  der  Käfer  selbst 
Kuh  genannt  wird,  und  damit  Verwandschaft  mit  den 
Wolkenkühen  d.  i.  den  Mären  s.  o.  S.  78  fgg.  245  ver- 
rät. Zur  vollen  Gewissheit  der  Identität  der  Mären  und 
unseres  Käfers  führen  uns  die  Ausdrücke  in  den  eben  zu- 
sammengestellten Liedern,  in  denen  man  dem  nach  En- 
gelland fliegenden  Käfer  zuruft:  „Deine  Kinder  schreien^ 
7.8.  9.  10.  11.  „Dein  Mütterchen  flennt''  12.  „Thy  chil- 
dren  all  gone"  14.  „Your  children  will  burn"  15. 
„Thy  children  all  roam"  18.  Diese  Worte  entspre- 
chen orenau  den  oben  S.  345  beigebrachten  Reden  der  Mär: 
„Wie  ineinen  meine  Kinder  in  Engelland!  ^ 

Leitet  uns  bereits  dieser  Ausdruck  in  das  Bereich  der 
oben  besprochenen  Märensagen,  so  zeigt  sich  eine  andere 
Uebereinstimmung  in  dem  Zuruf  „deiti  Kähnchen  schwimmt^ 
No.  7.  Der  Käfer  muss  gleich  den  Mären  s.  o.  S.  344  fgg. 
über  das  Wasser  setzen,  um  nach  Engelland  zu  kommen. 
Das  vom  himmlischen  Gewässer  bedeckte,  oder  durch  den 
Luftstrom  ')  von  der  Menschenwelt  geschiedene  Eibenreich 
=  Engelland,  wurde  begreiflicher  Weise  leicht  als  eine 
Insel  gedacht,  zum  mindesten  als  ein  von  einem  Fluss 
begrenztes  Land  und  es  ist  längst  erwiesen,  dass  man  sich 
die  germanische  Totenwelt  gleich   der   griechischen  von 


man  den  Eiben  eine   Schüssel   mit  Milch,    den  Heimchen    oder  Schret- 
lein,   d.  i.  Mären  in  Berthas   Gefolge  einen  Tisch  mit  Speisen  hin,    auf  Is- 
land deckt  man  den  am  Julabend  umziehenden  Alfen  ebenso  die  Tafel. 
1)  S.  Weber,  Indische   Skizzen.      Berlin   1857   S.  10. 


357 

einem  Strome  bespült  dachte.  Ein  solcher  Strom  um- 
fliefst  Hels  unterweltlichen  Wohnsitz ').  Eine  schwedische 
Sage  lässt  Odin  die  Seelen  der  in  der  Bravallaschlacht 
gefallenen  Krieger  auf  goldenem  Schiffe  nach  Vallhöll 
führen  *).  Da  in  der  Eddenreligion  wiederum  die  Helden 
nach  Vallhöll  entweder  auf  den  Wolkenrossen  der  Val- 
kyren  oder  ihren  eigenen  mit  verbrannten  Pferden  reiten, 
muss  diese  Sage  entweder  aus  einer  der  Eddenreligion  vor- 
hergehenden Periode  im  Volksglauben  gehaftet  haben,  und 
auf  Vallhöll  aus  der  Erinnerung  daran  übertragen  sein,  oder 
sie  ist  ganz  junge  Erfindung.  Wir  fanden  nun  aber  be- 
reits in  den  ältesten  Ueberlieferungen  unseres  Volkes,  in 
Märchen  s.  oben  S.  203  die  Toten  weit  von  einem  Strom 
bespült,  und  das  Land  des  S.  335  besprochenen  GuSmundr, 
welches  wir  mit  Viöbläinn  zusammenstellten,  wird  ebenfalls 
von  einem  Fluss  begrenzt,  der  den  Aufenthalt  der  Men- 
schen von  der  Geisterwelt  trennt  (eo  alveo  humana  a  mon- 
strosis  rerum  secrevisse  naturam)  ^). 

Endlich  war  es  ein  häufiger  Gebrauch  im  Norden,  die 
Leichen  in  einem  Schiffe  dem  Meer  zu  überlassen.  Gud- 
run bestattet  den  Atli  in  einem  Steinsarg,  den  sie  in  ein 
Schiff  gesetzt*').  Von  Scilds  des  Scefings  Bestattung  er- 
zählt das  Beowulfslied; 

Zu  der  Brandung  Ufer  bracht  ihn  da 
Das  süfse  Gesinde,  wie  er  selbst  bat. 
Da  er  des  Worts  noch  waltete  der  Wirt  der  Scildinge, 
Der  liebe  Landfürst,  lange  besafs  ersi 
Da  am  Ufer  stand  wie  Eis  glänzend 
Zur  Ausfahrt  bereit  des  Edlings  Ringsteven, 
Da  legten  sie  den  lieben  Fürsten 
Den  Baugspender  in  den  Busen  des  Schifies, 
An  den  Mast  den  berühmten.   Da  war  Menge  der  Schätze 
'Her  auf  Fernwegen  geführt,  der  Kleinode. 


1)  Gylfaginning  49. 

2)  Afzelius,   Sagoliafder  I,   4. 

.3)  Saxo  ed.   P.  E.  Müller  VIIF.    IG2. 
4)  Atlamäl  101. 


358 

Nie  hörte  ich  schicklicher  ein  Schiff  ausrüsten 

Mit  Kämpferwaffen  und  Kampfgewanden 

Beilen  und  Brünnen.     Ihm  am  Busen  lag 

Menge  der  Schätze,  die  mit  ihm  sollten 

In  der  Wogen  Reich  weithin  schiffen  '). 

Als  Sigmundr  seinen  toten  Sohn  Sin^ötli  lange  her- 
umgetragen, kam  er  zu  einer  schmalen  Meerbucht.  Am 
Gestade  harrte  ein  Mann,  der  sich  zur  Ueberfahrt  erbot. 
Kaum  war  die  Leiche  in  den  Kahn  gelegt,  als  der  Ferge 
abstiefs  und  verschwand  ").  Lebensmüde  Greise  gaben  sich 
auf  diese  Weise  selbst  den  Tod.  Als  Flösi  ThorSarsonr 
als  Greis  nach  Norwegen  ging,  um  Bauholz  zu  holen,  nahm 
er  zur  Rückfahrt  ein  leckes  Schiff  und  da  man  ihm  das 
bemerkte,  sprach  er:  für  Alte  und  Todesnahe  ist  es  gut. 
Darauf  stach  er  in  See  und  Schiff  und  Flösi  sah  man  nie- 
mals wieder  ^).  In  späterer  Zeit  zündete  man  auf  dem 
Schiffe  einen  Holzstofs  au,  ehe  man  es  den  Wellen  über- 
gab. So  wird  Baldr  von  den  Göttern  auf  seinem  Schiffe 
Hringhorni  verbrannt.  Die  Riesin  Hyrrokin  schob  das 
brennende  Fahrzeug  in  die  Flut  •*).  Nach  der  Schlacht 
bei  Fyrisvöllr  liefs  der  siegreiche,  aber  totwunde  König 
Häki  sich  inmitten  vieler  gefallener  Krieger  auf  sein  gro- 
fses  Kriegsschiff  (skeiö)  legen.  Als  er  verschieden  war, 
warf  man  Feuer  hinein,  richtete  das  Steuer,  zog  die  Segel 
auf  und  brennend  trieb  das  Schiff  mit  seiner  Leichenla- 
dung in  die  See  hinaus  ^).  König  Sigurör  Hringr  warb 
um  die  schöne  Alfsol.  Ihre  Brüder  Alfr  und  Ingi  wollten 
das  jugendliche  Mädchen  keinem  Greise  vermählen  und 
gingen  mit  SigurSr  deshalb  einen  lebhaften  Streit  ein.  Als 
sie  sich  unterliegen  sahen,  töteten  sie  ihre  Schwester  durch 
Gift.  Sigurör,  der  im  Streit  gefährlich  verwundet  wird, 
will  nun   auch  nicht  läno^er  unter  den   Lebenden  bleiben. 


1)  Beowulf  ed.  Thorpe  55— 8i. 

2)  Sinfjötlalok.     Munch,  Edda  97. 

3)  Njälasaga  cap.  166.     Weinhold.  Aitnord.   Leben   479  fgg.   495  fgg. 

4)  Gylfaginning  49. 

5)  Ynglingasaga  cap.  27. 


_  359  _ 

Er  befiehlt,  die  Leichname  aller  Gefallenen  auf  ein  Schiff 
zu  bringen,  setzt  sich  selbst  ans  Steuer  und  legt  Alfsöl 
neben  sich.  Dann  heifst  er  mit  Schwefel  und  Pech  das 
Schiff  anzünden,  hisst  die  Segel  und  steuert  mit  frischem 
Winde  ins  offene  Meer  hinaus.  „Er  wolle,  sagt  er,  mit 
Pracht  und  wie  ein  berühmter  König  zu  Oöinn  kommen." 
Als  er  aus  den  Schären  hinaus  ist,  durchbohrt  er  sich  mit 
dem  Schwert  und  sinkt  neben  der  geliebten  Alfsöl  nieder '). 
Noch  später  errichtete  man  den  Scheiterhaufen  auf  einem 
ans  Land  gezogenen  Schiff  und  setzte  dann  die  Asche 
in  einem  Grabhügel  bei.  Von  Hother  (Hö8r)  wird  erzählt, 
dass  er  auf  diese  Weise  den  toten  Gelder  von  Sachsenland 
bestatten  liefs  ^).  Der  durchaus  mythische  Frotho  III. 
(Freyr)  soll  diese  Bestattungsart  für  Vornehme  eingeführt 
haben  ^).  Zuletzt  blieb  das  Schiff  unverbrannt  und  die 
Leiche  wurde  nur  in  einem  solchen  beerdigt.  So  geschah 
es  mit  dem  Viking  nach  der  Haröarsaga,  mit  Thörgrimr 
dem  Vater  des  Priesters  Snorri  nach  der  Gislasaga,  und 
mit  Asmundr  dem  Sohne  Atlis  nach  dem  Landnämabök, 
mit  Egill  Ullserkr  nach  Häkonar  Goöasaga,  mit  Unni  nach 
der  Laxdselasaga  und  mit  Geirmundr  nach  Islendingasög. 
I,  66  *).  In  einem  Hügel  auf  Sylt  soll  ein  Seeheld  in 
goldenem  Schiffe  begraben  hegen  ^).  In  Schweden  und 
Norwegen  fand  man  Teile  von  Holzbauen  im  Innern  von 
Hügeln,  von  denen  man  angenommen  hat,  dass  es  Schiffe, 
oder  Böte  gewesen  sind '"').     Endlich,  als  alle  diese  Sitten- 


1)  Arngrim  Jonas's  handschriftl.  Ergänzungen  zur  schwed.  Geschichte, 
die  nach  P.  A.  Munch  auf  einer  vollständigeren  Handschrift  von  Sögubrot  af 
nokkrum  fomkonüngum  beruhen,  von  uns  angeführt  nach  Fryxell  berättelser  ur 
Svenska  liistorien.     Stockholm   1835   I,   87. 

2)  Saxo  ed.  P.  E.  Müller  I,  190.  Gelderum,  Saxoniae  regem  eodem 
consumptum  hello  remiguiii  suorum  cadaveribus  superjectum  ac  rogo  navigiis 
exstructo  impositum  pulcherrimo  funerls  obsequio  extulit,  cinerea  perinde  ac 
regii  corporis  relliquias  non  solum  insigni  tumulo  tradidit  verum  etiani  plenis 
veneratiouis  exequiis  decoravit. 

3)  Saxo  ed.  P.  E.  Müller  I,   234. 

4)  Vergl.  Myth.^  790.  EttmUller,  Beowulf  S.  58.  J.  Grimm,  üeber 
das  Verbrennen  der  Leichen.     Abhandl.  d.  Berl.  Akad.    1849   S.  239. 

5)  Müllenhoir,   Sagen  DU,   373. 

6)  Leitfaden  zur  nord.  Altertumskunde  S.  31. 


360  __ 

abgekommen  waren,  ahmte  man  (besonders  in  der  Landschaft 
Blekingen)  in  der  Form  der  das  Grab  bedeckenden  Stein- 
setzung Schiffe  nach.  Ein  solches  Schiffsgrab  ist  kürzhch 
(1854)  auch  in  Pommern  entdeckt  ^). 

Im  Gebiet  der  Burgunden  bei  Arles  lag  ein  sehr  be- 
rühmter Begräbnisort  Campus  Elisius,  Ailis  campi,  altfranz. 
Aleschans,  mhd.  Alischanz,  Alleschanz,  genannt,  der  die 
Gabe  haben  sollte,  die  Toten  vor  dem  Wiedererscheinen 
und  Umgehen  zu  bewahren  (ut  quicunque  inibi  sepeliren- 
tur  nullas  in  cadaveribus  suis  paterentur  diabolicas  illusio- 
nes).  Hieher  wurden  viele  Leichen  weither  gebracht,  die 
meisten,  indem  man  sie  in  einem  Nachen  in  Särgen 
oder  Fässern  dem  Rhonestrom  überliefs.  Neben 
den  Leichnam  hatte  man  Geld  gelegt.  In  Arles  machte 
der  Totenschrein  Halt  und  der  Leichnam  wurde  feierlich 
bestattet.  (Maxima  potentum  pars  quae  in  Galliis  aut  circa 
Pyrenaeos  montes  aut  Alpes  Peuninas  in  puguis  paganorum 
moriebantur,  illuc  sepulturam  habent,  et  quidam  in  plau- 
stris  alii  in  curribus,  nonnulli  in  equis,  plurimi  per  de- 
pendulum  fluentisRhodani  ad  coemeteri um  campi 
Elisii  deferebantur,  ubi  Jovianus  et  Comes  Bertra- 
mus  et  Aistulfus  et  innumeri  proceres  requiescunt.  So- 
lent  mortui  in  dolus  bituminatis,  ac  in  thecis  Corpora  mor- 
tuorum  a  louginquis  regionibus  fluminis  Rhodani  dimitti 
cum  pecunia  sigillata,  quae  coemeteiio  tarn  sacro  nomine 
eleemosynae  confertur)  ^).  In  verschiedenen  Legenden  wird 
erzählt,  dass  der  Leichnam  des  Heiligen  auf  ein  Schiff 
gesetzt  wurde,  das  man  den  Wogen  frei  überliefs.  Es 
schwamm  stromaufwärts.  Wo  es  landete,  wurde  der  Hei- 
lige begraben  ^). 

Diesen    weitverbreiteten  Gebräuchen    treten    deutsche 


1)  "Weinhold,  Altnord.  Leben  485.  Holmberg,  Hednatiden  203.  Sjö- 
borg,   Samlinger  for  Nordens  fomälskare  III.      Baltische  Stiidien  XV,   2,  49. 

2)  Gen'asius  Tilburiensis,   Otia  imperalia  ed.  Liebrecht  III,  XC.  S.  42  fgg. 

3)  Vergl.  z.  B.  die  Legenden  des  h.  Matenius  bei  Köln,  St.  Werenfrid 
zu  Eiste,  St.  Emeran  in  Bayern,  St.  Cuthbert  in  England.  Liebrecht  Ger- 
vasius  V.  Tilbury  S.  149  fgg.  s.  Attribute  der  Heiligen,  Hannover  1843  S. 
152.     Rocholz,  Aargausagen  S.  388. 


361  _ 

Sagen  auf  das  Merkwürdigste  zur  Seite.  Walter  von  Meer, 
ein  Hofmann  Karls  V.,  begegnete  einem  von  einem  schwar- 
zen Schiflfsmann  geführten  Schiff,  das  die  Seele  eines 
Erzbischofs  über  See  zum  Berge  Hekla  nach  Island 
führte  ').  In  Heisterbach  hatte  ein  Bruder  einst  ein  Ge- 
sicht, wie  der  vor  Jahren  verstorbene  Kellermeister 
des  Klosters  Richwin  mit  Namen  zu  ihm  trat,  ihm  zu- 
winkte und  sprach:  „Bruder  Lambert  komm  lass  uns 
zum  Rheine  gehen."  Lambert  lehnte  dies  ab,  worauf 
Richwin  an  einen  alten  Mönch  mit  Namen  Konrad  dieselbe 
Aufforderung  richtete,  der  seine  Kapuze  über  den  Kopf 
warf  und  jenem  folgte.  Am  folgenden  Morgen  begann 
Konrad  wirklich  zu  kränkeln  und  starb  in  wenig  Tagen. 
Man  begrub  ihn  in  derselben  Kutte,  in  der  Lamberts  Traum 
ihn  gesehn  ^).  Da  die  Heisterbacher  Mönche  nicht  auf  der 
andern  Seite  des  Rheines  begraben,  sondern  neben  dem 
Kloster  oder  in  der  Kirche  beigesetzt  wurden,  spielt  der 
Gang  zum  Rheine  auf  eine  Seelenüberfahrt  über 
das  Wasser  an.  —  In  stürmischer  Nacht  weckt  eine 
Mönchsgestalt  einen  schlaftrunkenen  Schiffer,  legt  ihm 
Fährlohn  in  die  Hand  und  verlangt  über  den  Strom 
gebracht  zu  werden.  Erst  steigen  6  Mönche  in  den  Na- 
chen, kaum  aber  ist  er  gelöst  und  auf  der  Flut,  als  ihn 
plötzlich  eine  Menge  schwarzer  und  weifser  Her- 
ren füllt  und  der  Fährmann  fast  keinen  Raum  für  sich 
behält.  Mit  Mühe  rudert  er  hinüber,  die  Ladung  steigt 
aus  und  das  Fahrzeug  wird  von  jähem  Sturm  zurückge- 
worfen an  die  Stelle  der  Abfahrt,  wo  schon  wieder 
neue  Reisende  harren,  welche  den  Kahn  einnehmen 
und  deren  vorderster  mit  eiskalten  Fingern  dem  Schif- 


1)  Tim.  Bredenb.  sacr.  collat,  VIII.  cap.  12.  Hieron.  Diexelius,  vom 
Richterstuhl  Christi  cap.  9.  §.  3.  Wolf,  DMS.  S.  505,  380.  Vergl.  die  dä- 
nische Redensart  für  „fahre  zur  Hölle,"  gaa  du  dig  til  Häkkenfeldt  = 
Heklufjäll.  Lyngbye  Fasroeiske  quted.  549;  til  Hekkenfjäldt.  Thiele,  Dan- 
marks folkesagn  III,  71.  Niedersächsisch:  nä  Hekkelvelde  vären.  Sam.  Mei- 
ger  CCCIIIa.  Myth.^  958.  Alberich  von  Trifontaines  ad.  ann.  1180.  (Leib- 
nitz  II,  265  fgg.)  berichtet,  dass  isländische  Hirten  die  Seelen  Verdammter  in 
Gestalt  schwarzer  Raben  und  anderer  Vögel  in  den  Hekla  stürzen  sahen. 

2)  Caesar.  Hcisterbac.  dial.  mivac.  XI,  cap.  33.    Wolf,  DMS.  430,  340. 


362 

fer  den  Fährgroschen  in  die  Hand  drückt^).  Zu  Speier 
verlangt  ein  Mönch  bei  Nachtzeit  über  den  Rhein  ge- 
setzt zu  werden.  Als  der  Schiffer  zurückkommt,  steigen 
noch  5  andere  Mönche  in  den  Kahn.  Als  der  Nachen 
mitten  im  Rhein  ist,  erhebt  sich  ein  fürchterlicher 
Sturm,  der  augenblicklich  klarem  Himmel  Platz  macht, 
als  die  Reisenden  am  jenseitigen  Ufer  ausgestiegen  sind. 
Tags  darauf  begegnen  dieselben  Mönche,  einem  früh  aus 
Speier  reisenden  Boten.  Sie  safsen  in  einem  rasseln- 
den schwarzbedeckten  Wagen  mit  drei  Rädern 
und  einem  langnasigten  Fuhrmann.  Mit  Prasseln  ver- 
lor sich  der  Wagen  in  die  Lüfte,  dabei  vernahm 
man  Schwerterklingen  als  ob  ein  Heer  zusam- 
menginge-). 

Was  in  der  zuerst  angeführten  Sage  klar  ausgespro- 
chen ist,  dass  die  über  den  Rhein,  d.  i.  ein  Gewässer 
im  Allgemeinen,  schifieuden  Mönche  Seelen  sind,  die  den 
Körper  verlassen,  tritt  uns  in  den  beiden  letzten  Ueberlie- 
rungen  nur  verhüllt  und  in  anderer  Form  entgegen.  Nach 
dem  Uebergang  über  den  die  Menschenwelt  vom  Geister- 
reich  trennenden  Strom  braust  die  Seele  im  Sturm,  im 
wütenden  Heer,  das  ja  häufig  im  schwarzbedeck- 
ten Wagen  fährt,  dahin.  Wie  nun  hier  die  aus  dem 
Leben  scheidenden  Seelen  nach  dem  Ueberschreiten  des 
Toten flusses  mit  dem  wilden  Heer  sich  verbinden,  setzt 
nach  andern  Sagen  auch  das  letztere  über  das  himmli- 
sche Gewässer,  das  wiederum  irdisch  localisiert  erscheint. 
Ein  Fährmann  in  Randersacker  am  Main  hörte  ein  Brau- 
sen und  Winseln  am  jenseitigen  Ufer  und  meinte,  es  wolle 
Jemand  übergesetzt  sein.  Er  fuhr  ans  jenseitige  Ufer.  Da 
bestieg  der  wilde  Jäger  mit  seinen  Geistern  die 
Fähre.  Als  das  wilde  Heer  übergeschifft  war, 
hörte  der  Fährmann  eine  Stimme  nach  dem  Fahrlohn  fra- 
gen, er  konnte  aber  aus  Angst   kein  Wort   sprechen.     Da 


1)  Neue  Volksmärchen  der  Deutschen.     Leipzig  1792,  3,  45 — 47. 

2)  Grimm,  D.  Sagen  S.  263.  No.  275. 


363 

warf  das  wilde  Heer  Feuer  in  die  Fähre,  dass  die  Koh- 
len auf  dem  Boden  rollten').  Ein  andermal  hörte 
der  Ueberführer  zu  Wipfeld  am  Main  in  Unterfranken  bei 
Sturm  und  Regen  ein  Gewinsel  am  jenseitigen  Fluss- 
ufer und  fuhr  hinüber.  Das  wilde  Heer  stieg  in  die 
Fähre.  Da  waren  grofse  und  kleine  Geister  durch- 
einander. Er  aber  hatte  so  grofse  Furcht,  dass  er  sie  nicht 
zu  betrachten  wagte.  Als  sie  übergefahren  waren,  fragte 
einer  nach  dem  Fährlohn.  Der  Ferge  schwieg.  Da 
wurde  ein  Knochen  auf  den  Ständer  der  Fähre  gelegt-). 

In  derselben  Weise  fährt  nach  anderen  Sagen  der  Tod 
über  den  Fluss^)^  sowie  die  Zwerge,  Elbe,  Heim- 
chen, in  denen  wir  Seelen  erkannten'').  Perahta  setzt 
in  der  Perchtennacht,  umgeben  von  den  weinenden  Heim- 
chen über  die  Saale,  Spähne  ihres  Ackerpfluges,  woran 
sie  während  der  Ueberfahrt  gezimmert,  sind  des  Fergen 
Lohn^).  In  sehr  vielen  deutschen  aber  auch  keltischen 
Sagen  verlassen  die  Zwerge  die  Menschenwelt,  indem  sie 
unsichtbar  in  einer  Fähre  sich  über  den  Strom 
setzen  lassen  und  jeder  einen  Groschen  als  Fahrlohn  in  ein 
Gefafs  werfen,  oder  indem  sie  über  eine  Brücke  aus 
dem  Lande  abziehen,  auf  der  man  nur  ein  leises  Ge- 
trappel hört.  J.  Grimm  bemerkt  bereits:  „Merkwürdig 
sind  die  Worte  der  Hüterin  bei  der  Brücke,  welche  Hels 
Totenreich  mit  der  Menschenwelt  verbindet.  Sie  sagt  zu 
Hermöör,  der  lebend  über  diese  Brücke  reitet:  „„unter  dir 


1)  Panzer,  Beitrag  I,   176.  No,  198. 

2)  Panzer  a.  a.  0.  I,  161.  No.  189.    Vergl.  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  I,  18,  2. 

3)  Kuhn,  Mark.  Sagen  No.  129. 

4)  Vergl.  oben  S.  297.  Ich  führe  noch  an,  dass  Dietrich  von  Bern 
nach  der  Vorrede  des  Heldenbuchs  von  einem  Zwerge  in  den  Berg  geholt 
wird,  der  zu  ihm  sagt:  „dein  Reich  ist  nicht  mehr  von  dieser  Welt." 
König  Svegöir  von  Schweden  wird  von  einem  Zwerg  zu  OSinn  in  den  Fels 
(den  Wolkenfels)  geladen,  d.  i.  er  stirbt.  Ynglingasaga  c.  XV.  Im  Walde 
zwischen  Wohlen  und  Bremgarten  im  Aargau  liegt  der  Herdmännlistein.  In 
diesem  hatten  die  Erdmännchen  ihre  Stuben,  und  bis  zum  heutigen  Tage 
soll  man  aus  eben  diesem  Stein  die  kleinen  Kinder  aus  Wohlen  holen. 
Rocholz,  Sagen  des  Aargaus  I,  S.  288. 

5)  S.  die  Beispiele  bei  Kuhn,  Nordd.  Sagen  No.  270  Anm. ;  Menzel, 
Odin  181. 


_  364    _ 

einem  tönt  meine  Brücke  mehr  als  unter  den  fünf  Hau- 
fen toter  Männer,  die  gestern  darüber  ritten."" 
Ich  finde  darin  die  gröfste  Aehnlichkeit  mit  dem  sachten 
Getrippel  der  fortziehenden  Zwerge  über  die  Brücke,  mit 
ihrer  UeberschiflPung  in  dem  Nachen  und  die  Verwand- 
schaft der  Seelen  mit  den  elbischen  Wesen  zeigt  sich  auf 
das  Deutlichste"  ').  Wie  wir  schon  S.  301  fgg.  die  Iden- 
tität der  Zwerge  mit  den  Seelen  des  wilden  Heers  sahen; 
wie  dieses  beim  Ueberschiffen  über  den  himmlischen 
Strom  einen  Knochen  zum  Lohn  giebt,  oder  aus  sei- 
nem Zuge  durch  die  Luft  oft  eine  Pferdekeule  her- 
abwirft, geben  die  über  die  Aller  schiffenden  Zwerge  dem 
Kuhhirten  von  Barneize  ein  totes  Ross,  die  bei  Stöcken 
über  die  Leine  setzenden  Zwerge  einen  Pferde- 
schinken als  Fährlohn '').  Wir  kommen  hiermit  wiederum 
zu  den  Mären  zurück,  die  nach  S.  44  fgg.  sich  auf  das  engste 
mit  dem  wilden  Heer  berühren.  Nach  dem  Volksglauben 
der  Grafschaft  Mark  steht  der  Teufel  auf  dem  Hiälwiäch 
(Hellweg)  mit  einem  Ruder  als  Fährmann,  nimmt  die  See- 
len in  Empfang,  die  ihm  seine  Grofsmutter  bringt,  schifft 
sie  in  einem  Kahne  ein  und  führt  sie  über  Wasser  in 
die  Hölle  % 

Aus  den  vorstehenden  Sitten  und  Sagen  erhellt  deut- 
lich, dass  der  Glaube  an  eine  bei  verschiedenen  Anlässen 
geschehende  Fahrt  der  Seelen  über  das  Wasser  im  ger- 
manischeu Volksbewusstsein  tief  begründet  war.  Da  auch 
die  keltische  *),  hellenische,  iranische  und  indiche  Religion  ^) 
diese  Vorstellung  kennt,  so  ist  es  von  vorne  herein  wahr- 
scheinlich, dass  dieselbe  über  die  Zeit  der  Trennung  hin- 
ausgeht. In  den  Edden  findet  sie  sich  vor,  hat  aber  darin 
keine  lebensvolle  Stelle;  sie  muss  dieselbe  in  voreddi- 
scher  Zeit  besessen  haben.     Unsere   bisherigen  Untersu- 


1)  Myth.2    794. 

2)  Kuhn,  Nordd.   Sagen  No.  291.  S.  260   fgg. 

3)  Woeste,  Volksiiberlieferuugen  S.  49. 

4)  Myth.*    791   fgg. 

5)  Weber,  Indische  Skizzen  S.  10. 


^65 

chungen  machen  wahrscheinlich,  dass  unter  dem  Strom 
an  der  Grenze  der  Toten  weit  der  Luft  ström  oder  das 
Himmelsgewässer  zu  verstehen  sei.  Der  Glasberg 
oder  nach  anderen  Märchen  das  goldene  Schloss  liegt 
jenseits  des  grofsen  Wassers,  ja  wir  haben  noch  Spuren, 
dass  man  sich  das  himmlische  Land  der  Seligen  als  ganz 
von  Wasser  umgeben,  als  eine  Insel  dachte.  In  dem 
angelsächsischen  Gespräch  zwischen  Adrian  und  Ritheus 
wird  die  Frage  aufgeworfen:  Sage  mir,  wo  scheint  die 
Sonne  Nachts?  „Ich  sage  dir  an  drei  Orten;  zuerst  in 
des  Wallfisches  Eingeweide,  der  ist  geheifsen  Leviathan, 
und  zur  andern  Zeit  scheint  sie  in  der  Hölle,  und  die 
dritte  Zeit  scheint  sie  auf  dem  Eilande,  das  ist 
Gltd  genannt,  und  rasten  da  der  heiligen  Männer 
Seelen  bis  zu  des  Gerichtes  Tag"  ').  Dieses  Wort 
Gliö  gehört  zu  einem  verlorenen  Verbum  GLEDE,  glist, 
gliS,  GLÄD,  GLAEDON,  GLEDEN,  das  glänzen,  froh- 
sein bedeutete  und  von  dessen  Präteritalstamm  ags.  gläö, 
gläd,  glänzend,  mild,  sowie  das  nordische  Wort  glaSr, 
glöö,  glatt,  glänzend,  froh,  ahd.  klatt,  nhd.  glatt,  schlü- 
pfrig gehört.  In  der  Bedeutung  des  Namens  sehen  wir 
somit  das  Seeleneiland  Gliö  auf  das  Innigste  mit  dem 
Glasberg  sich  berühren.  Es  findet  sich  für  dasselbe  aber 
noch  weiterer  Halt  in  der  altgermanischen  Poesie. 

Es  begegnet  nämlich   eine    angelsächsische   Redensart 
ser  sun   go   to   glade,   nach   J.Grimm  Mjth.^  702  die 


1)  Ettmüller,  Ags.  Lesebuch  S.  39:  A.  Saga  me,  hwaer  seine  seo  sunne 
on  niht?  R.  Ic  J)e  secge:  on  ]>rim  stovum;  aerest  on  ]>äs  hvales  innoÖe,  j)e 
is  cweden  Lewiathan,  and  on  oöre  tid  heo  skine'ö  on  helle ,  and  ]?ä  jjridda 
tid  heo  scind  on  |)äm  eälonde,  ]>ät  is  Gliö  nemned  and  Jjrer  restag  häligra 
raanna  sävla  6Ö  domes  dag.  Uebcrraschend  stimmt  hiermit  eine  Stelle  des 
Mimnermos  (bei  Strabo  I,  2)  überein,  wo  gesagt  wird,  dass  auf  dem  östli- 
chen Eilande  Aia  des  schnellen  Helios  Strahlenkrone  in  goldener  Kammer 
verborgen  liege : 

ylti']Tao  nokiv,  toO-i,  tojxso;  t](XloiO 
axTiJ'f?  ;^^i'(Tf'w   ntlaxav  iv  ■O-aXd.f.m 
Slxiavov  naQa  /(Ikar  ,  iv    m/iro  -d-üoi;  Irfffut'. 
Dieses  Eiland  Aia  ist  wie  Gliö  nichts  anderes  als  die  Totenwelt,   sein   Her- 
scher Aietes  wird  durch   die  verschiedensten  Ueberlieferungen   als   Sohn   oder 
Gemahl   der   Hekate    bezeugt.      S.  H.  D.   MUller   Ares.      Braunschweig  1848 
S.  15. 


366 

Sonne  ist  zu  Glänze  eingegangen,  altn.  heifst  s6- 
larglaöi  Sonnenfreude  oder  Sonnenglanz  der  Sonnenun- 
tergang, in  Westgötland  gilt  noch  „solengladas,  sö- 
len  gl  aas,  d.  i.  die  Sonne  freut  sich  oder  glänzt,  sole- 
glanding,  söleglädgen  Sonnenglanz,  Sonneufreude  vom 
Sonnenuntergang."  Grimm  legt  diese  Reden  aus:  „die 
untergehende  Sonne  strahlt  in  erhöhtem  Glänze,  sie  geht 
zu  ihrer  Wonne  ein."  Wir  werden  Aveiterhin  bestätigt 
sehen,  dass  sie  am  Abend  in  die  Heimat  des  eigentli- 
chen Lichtes,  in  das  Glanzland  G/iö,  das  von  glaör, 
gläde  u.  s.  w.  nur  ablautend  verschieden  ist,  den  Glasberg, 
Engelland  einkehrt.  Von  demselben  Worte  Glaör  ist  nun 
auch  eine  eddische  Benennung  des  nordischen  Götterhim- 
mels  GlaSsheimr  Glanzheim,  Wonneland  abgeleitet. 
Hier  steht  Oöins  Goldburg  Vallhöll.  Es  wäre  sehr  wol 
möglich,  dass  GlaSsheimr  in  älterer  Zeit  ein  Synonymum 
von  Gimli  war  und  wie  dieses  s.  oben  S.  335  Anm.  3  auf 
Oöins  Wohnsitz  übertragen  wurde.  Wie  dem  auch  sei,  so 
viel  ist  deutlich,  dass  die  Worte  unserer  Kinderreime  „dein 
Kähnchen')  schwimmt"  auf  der  Vorstellung  beruhen, 
dass  der  Käfer,  wie  die  Mär  den  himmlischen  Toten- 
strom zu  überschreiten  habe. 


1)  Fassen  -wir  den  Totenfluss  als  den  Luftstrom  oder  das  himm^ 
lische  Gewässer  insgesammt,  so  leidet  die  Bedeutung  des  Nachens  als  ein- 
zelne Wolke  wol  keinen  Zweifel.  Kuhn  hat  bereits  bewiesen,  dass  schon 
in  den  Veden  die  Wolken  nävyah  d.  h.  die  Schiffe  des  himmlischen  Oceans 
genannt  werden,  und  dass  den  Griechen  die  Quellnymphe  iVaia?,  JVTjifit;  = 
nävyä  ursprünglich  als  die  schifiende  Wolkengöttin  galt.  Zeitschr.  f.  vergl. 
Sprachf.  I,  536  und  im  Mythus  der  Athene  bedeutet  das  Schiff  die  Wolke, 
s.  Lauer,  System  S.  157.  357.  Im  germanischen  Norden  heifst  die  Wolke 
ebenso  vindflot  Windschiff.  Alvism.  19.  Der  Hamburger  Pöbel  nennt  eine 
dicke  Regenwolke:  en  schip  vull  süre  appeln.  Ganz  entsprechend  be- 
zeichnet das  rheinische  Landvolk  im  Gebirge  einen  heftigen  Platzregen 
mit  den  Worten:  „das  Schiff  schwabbelt  (schwankt),  oder  das  Schiff 
ist  nicht  dicht,  nicht  geharzt."  Von  alten  wetterkundigen  Leuten  wird 
in  allen  Gegenden  des  Niederrheins  noch  ein  schiffgestaltetes  Wolken- 
gebilde, das  bei  sonst  heiterem  Wetter  Abends  sichtbar  wird,  eifrig  beob- 
achtet und  aus  seiner  Richtung  von  Süden  nach  Norden  oder  von  Westen 
nach  Osten  auf  die  Witterung  der  folgenden  Tage  geschlossen.  Erscheint  es 
nach  anhaltender  Dürre,  so  begrüfst  man  es  mit  froher  RegenhofFnung.  Das 
Volk  nennt  dieses  Wolkengebilde  das  ,, Regenschiff"  oder  ,, Mutter- 
gottesschiff."     Montanus,    Die    deutschen    Volksfeste   u.  s.  w.    S.  37.    38. 


367 

Diese  Betrachtung  wird  durch  die  Bemerkung  bestä- 
tigt, dass  die  Insecten  und  insbesondere  die  Käfer  Ge- 
stalten sind,  in  denen  Maren,  Elbe  oder  Seelen  erschei- 
nen. Die  Libelle  in  Deutschland  gleich  dem  Goldkäfer 
Gottespferd  genannt,  heifst  auf  Runoe  bei  den  Inselschwe- 
den gradezu  horsho-mära  Pferderaär.  Russwurm,  Ei- 
bofolke  II,  283.  Die  Eintagsfliege  wird  ebendaselbst  trull- 
^älda  Hexenschmetterling  und  ein  ganz  ähnliches  Insect 
alpa  Alb  genannt.  In  Betzingen  bei  Tübingen  schlief  eine 
Magd  so  fest,  dass  sie  durch  alles  Rütteln  und  Schütteln 
nicht  geweckt  werden  konnte.  Nach  Verlauf  mehrerer 
Stunden  kam  ein  Käfer  geflogen,  kroch  der  Schlafenden 
in  den  Mund  und  sie  erwachte.  Sie  war  also  Märe  *). 
Geldmachende  Kobolde  erscheinen  in  Gestalt  eines  Kä- 
fers oder  einer  Hummel-}.  Die  Verwandschaft  des  Kä- 
fers mit  den  Eiben  und  Mären  spricht  sich  auch  noch 
in  der  mehrfach  vorkommenden  Sage  aus,  dass  Käfer  ver- 
wünschte Prinzen  d.  i.  Elbe  sind,  wie  die  weifsen  ver- 
wünschten Frauen  den  Eibinnen  gleichstehen  ^).     Wie  der 

O.  Schade  tat  überzeugend  dar,  dass  man  Holda  mit  den  Seelen  in  der 
Wolke  schiffend  sich  vorstellte.  Ursulasage  S.  69  fgg.  Johannes  Prae- 
torius  erzählt  (in  dem  seltenen  Buch:  „Sacra  filamenta  Divae  virginis,  oder 
Naumburgische  plumerantfarbene  Seidenfaden.  Halle  MDCLVJ  bei  Naumburg 
habe  es  am  Gründonnerstag  hochblaue  Seide  geregnet.  Mehrere  Aecker 
seien  davon  erfüllt  gewesen.  Das  Volk  glaubte,  Maria  habe  diese  Fä- 
den gesponnen.  Andere  ■wollten  wissen,  viele  Schiffe,  die  mit  diesem  Sei- 
dengarn befrachtet  gewesen,  seien  kürzlich  untergegangen  und  die  Sonne  habe 
dasselbe  an  sich  gezogen.  Noch  Andere  erzählten,  ein  ganzes  Schitf  sei  in 
die  Wolken  gezogen  und  segelte  darin  wie  im  Meer.  Ein  Bürgersohn 
zog  sein  Messer  zum  Essen  hervor  und  liefs  es  über  Bord  fallen.  Es  fiel  in 
seines  Vaters  Schweinetrog,  wo  er  es  zu  seinem  Erstaunen  nach  einigen  Jah- 
ren bei  seiner  Heimkehr  fand.  Es  scheint,  dass  hier  verschiedene  zusammen- 
gehörige Sagen  auseinandergerissen  sind.  Holda,  die  die  Sommerfäden  spinnt, 
ist  die  Besitzerin  des  WolkenschifFes.  Der  letzte  Teil  der  Sage  wird  schon 
im  dreizelmten  Jahrhundert  von  GerA-asius  von  Tilbury  in  den  Otia  imperia- 
lia  cap.  Xni  de  mari ,  ed.  Liebrecht  S.  2  erzählt.  Er  fügt  seinem  Bericht 
die  Aeufserung  hinzu:  ,,Quis  ergo,  ex  publicato  hujus  facti  testimonio  mare 
super  nostram  habitationem  in  a6re  vel  super  aerem  positum 
dubitabit? 

1)  Meier,  Schwäbische  Sagen  S.  183.  No.  201. 

2)  Sommer,    Sagen   aus    Sachsen   und   Thüringen   S.  34.  No.  31.  S.  33. 
No.  30. 

3)  Schambach  und  Müller,    Niedersächs.  Sagen  S.  267.     Kuhn,    Nordd. 
Sagen  S.  347  fgg.     Bemerkenswert  führten  Dienstmänner  der  Pfalzgrafen  von 


368 

Schwan  (Ente)  den  Schlüssel  zum  Glasberg  oder 
goldenen  Schloss  zu  finden  weifs,  s.  oben  S.  345,  fin- 
det der  Käfer  den  Schlüssel  zum  kinder bergenden  (Wolken-) 
Fels. 

Es  wird  nämlich  erzählt,  dass  ein  armer  Knabe  von  einem 
grauen  Männchen  eine  Schachtel  erhält,  worin  ein  Käfer  sich 
befindet.  Durch  einen  geheimnisvollen  Pfeifer  werden  nun 
viele  Kinder  in  einen  Berg  gelockt  und  darin  verschlos- 
sen. Hansl  öfibet  seine  Schachtel,  der  Käfer  wühlt  aus  der 
Erde  einen  Schlüssel  heraus,  womit  eine  Tür  im  Berge  sich 
auftut,  die  hinter  dem  Berge  zu  einem  lichten  Wonneland 
mit  dem  goldenen  Schlosse  führt,  zu  welchem  der  Käfer 
wiederum  den  Schlüssel  aufsucht  und  findet.  Der  Käfer 
war  ein  verwünschter  König').  In  der  ehemaligen 
Geltung  der  Insecten  als  Mären,  Eiben  liegt  vielleicht  der 
Grund  davon,  dass  man  noch  spät  im  Mittelalter  dieselben 
als  vernünftige  Wesen  behandelte  ^). 

Der  in  den  Reimen  vom  Maikäfer  und  Marienkäfer 
beobachtete  Gedankenzusammenhang  wird  somit  von  allen 
Seiten  bestätigt.  Zu  erwähnen  wäre  noch  ein  schwedisches 
Kinderspiel.  Man  fragt  das  Kind:  „har  du  sett  her- 
rans  höns?"  hast  du  die  Marienkäfer  gesehn?   Lautet  die 


Tübingen   den   ständigen  Beinamen  Sunnenchalp.      S.  Uhland  bei  Pfeiffer. 
Germania  T,   310. 

1)  Zingerle,  KHM.  aus  Süddeutschland  1854  S.  179  fgg.  Ich  vermute 
fast,  dass  dieser  auch  in  der  Sage  voii  Hameln  und  sonst  s.  oben  S.  257. 
Wolf,  Beiträge  I,  171  vorkommende  Pfeifer,  der  das  Sturmlied  des  wil- 
den Heers  singende  Wodan  ist  vergl.  oben  S.  44 ;  174;  290  der  die  Seelen 
in  den  Wolkenberg  lockt. 

2)  Im  Jahre  1479  wurden  die  Insecten  in  der  Diöcese  des  Bischofs  von 
Lausanne  vom  Stadtschreiber  Frickart  zu  Bern  vor  Gericht  geladen  und  ihnen 
in  der  Person  des  kürzlich  ^^erstorbenen  Advocaten  Perrodet,  eines  berühmten 
Rabulisten,  ein  öff'entlicher  Sachwalter  bestellt.  Als  die  Beklagten  nicht  er- 
schienen, wurden  sie  in  contumaciam  verurteilt,  bei  Strafe  der  Excommuni- 
cation  das  Land  zu  räumen.  S.  Histor.  literar.  Reise  d.  d.  abendl.  Helvetien. 
Leipzig  1782  II,  131.  132.  Die  in  Folge  des  angestellte  Beschwörung 
ist  mitgeteilt:  Zeitschr.  f.  D,  Myth.  IV,  119.  Ebenso  verurteilten  die  Offi- 
cialen  von  Troyes  am  9ten  des  Heumonats  1516  auf  die  Klage  der  Bauern 
von  Villeneuve  die  Raupen,  in  6  Tagen  fortzuziehen,  widrigenfalls  sie  ver- 
flucht und  excommuniciert  werden  sollten.  S.  Vulpius,  Curiositäten  I,  391. 
Die  Umer  Geistlichkeit  wandte  sich  1492  gegen  die  Engerlinge  an  den  Con- 
stanzer  Bischof  und  1557  wurde  ein  Process  gegen  die  grünen  Fliegen  und 
Stechbremsen  anhängig  gemacht. 


369 

Antwort  verneinend,  so  hebt  man  das  Kind  an  den 
Ohren  in  die  Höhe').  Es  soll  die  Käfer  also  in  der 
Höhe  suchen. 

Unsere  Käferlieder  müssen  sehr  alt  sein.  Mehrere  von 
ihnen  werden  gesungen,  während  man  den  Maikäfer  an  ei- 
nem Faden  hin-  und  herflattern  lässt.  Der  gleiche  Gebrauch 
hatte  in  England  beim  Schmetterling  statt.  Strutt  veröf- 
fentlicht aus  einem  Manuscript  des  14ten  Jahrh.  (Royal 
library  No.  II,  6.  VII.)  das  Bild  eines  Knaben,  der  einen 
Schmetterling  an  einem  Faden  gefangen  hält  und  auffliegen 
macht  ^).  Mit  dem  Goldkäfer  übte  schon  die  hellenische  Ju- 
gend denselben  Brauch.     Aristophanes  sagt: 

dXX   a7io%dlcc  T)]v  (foovTi'd'    eig  tov  ccenct 
hvodsTOV  ojöTTeo  ur}lol6}h^h]v  tov  noting  ^). 

Wir  kehren  nunmehr  zum  Ausgangspunkt  unserer  Un- 
tersuchimg, zu  Engelland  zurück.  Durch  die  Käferlieder 
ist  dasselbe  als  ein  himmlisches,  vom  Gewässer  umflosse- 
nes Seelenreich  bestätigt.  Als  solches  wird  es  auch  wol 
in  dem  schwäbischen  Kinderreim  zu  fassen  sein: 


1)  Arvidson,   Svenska  fonisiuigor  III,   494. 

2)  Sports  and  pastimes'  I,  S.  389.  In  Holland  liefs  man  auf  gleiche 
Weise  Sperlinge  am  Bande  flattern.  In  Jacobi  Catzii  „Sinnebeelden  nu  ge- 
bruykt  tot  leere  der  zeden.  Amsterodami  MDXX"  findet  sich  p.  11,  S.  106 
ein  Abschnitt  „Kinderspel  geduyt  tot  Sinnebeelden  ende  leere  der  zeden.  ex 
nugis  sera;"  woneben  auf  einer  Tafel  allerlei  Kinderspiele  abgebildet  sind. 
Ein  Knabe  hat  einem  Sperling  ein  Band  um  das  Bein  gebunden  und  lässt 
ihn  fliegen,  ein  anderer  lockt  einen  davongeflogenen  Vogel  wieder  herbei. 
Dabei  steht  der  Text  (S.  106.   110): 

Den  jongen,  die  daer  speien  gaet 

en  houdt  een  musken  by  een  draet, 

wanneer  de  musch  te  hooghe  schiet 

roept  over  luyt  hey:  hoogher  niet! 

en  sehoon  de  musch  haer  stelt  tor  wecr 

hy  rucktse  met  den  draet  ter  neer. 

Als  is  de  musch  los  van  den  bant 

sy  keert  weer  nae  de  jongens  hant, 

en  dit  al  om  een  weynich  aes, 

veel  menschen  zyn  soo  dom  en  dwaes, 

dat's   om   een  schotel  moes  of  kruyt, 

haer  vryheyt  geven  als  tcn  buyt. 
lieber  dieselbe  Sitte  den  Spatz  an  der  Schnur  fliegen  zu  lassen   im  Elsass  und 
der  Schweiz  s.  Rocholz,   Aloinann.   Kinderlied  II,   S.  464. 

3)  Nubes  762. 

24 


370 

Fahr  üfe,  fahr  abe, 

fahr  Engelland  zu. 

(drei  Guide,  drei  Batze, 

gibt  au  e  Paar  Schuh)  '). 
Dagegen  ist  in  der  Variante  des  oben  S.  328  fgg.  er- 
läuterten Liedes:  „Wie  well  met  no  England  gon?  Eng- 
land es  gefslote,  de  fslötel  es  gebroke.  Dor  färe  wei  hen, 
dor  brektdat  schepp,  dor  legge  wei  allegaar  ^),"  die  Er- 
wähnung des  Schiffs  offenbar  durch  misverständliche 
Auffassung  von  Engelland  als  Grofsbritannien  hervorgeru- 
fen. Eher  könnte  die  Lesart  „Engeland  isch  zuge- 
schlosse,  un  die  brick  isch  abgebroche"  ^)  echt 
und  hier  von  der  Totenbrücke  die  Rede  sein,  welche 
s.  oben  S.  364  die  abziehenden  Zwerge  überschreiten. 

Wie  Holda  s.  oben  S.  263  fgg.  und  Gerdrüt  S.  319 
sowol  die  Toten  bei  sich  aufnehmen,  als  auch  die  See- 
len zur  Geburt  auf  die  Erde  senden,  wie  der  Schwan 
sowol  Seele  selbst  ist,  als  auch  Seelen  in  das  mensch- 
liche Leben  und  aus  demselben  geleitet  s.  oben  S. 
342  fgg.,  wie  der  Hund  des  wilden  Jägers  Seele,  Seelenge- 
leiter und  Wechselbalg  zugleich  war  s.  o.  S.  300  fgg.,  gra- 
deso  kommen  auf  demselben  Wege,  den  wir  in  diesem  Ab- 
schnitt Seelen  und  Mären  nach  Engelland  nehmen  sahen, 
über  das  himmlische  Gewässer  nämlich,  nach  niederländi- 
schem Glauben  die  Kinderseelen.  In  Belgien  fragen  die 
Kinder:  Moder  wanner  köpen  wy  en  kindje?  „Het 
schip  zal  weldra  komen,  dan  zult  gy  en  zuster- 
ken  hebben"  *). 

Wir  wiesen  vorhin  Verwandschaft  der  lusecten  mit 
den  Seelen  und  Eiben  nach.  In  Salzburg  sagt  man  für: 
„du  hast  damals  noch  nicht  gelebt,"  „du  bist  noch 
mit  den  Mücken  ho'umgeflogen  ^)."     Beim  Beginn  des  Som- 


1)  Meier,   Schwab.  Kinderlieder  S.  539.   No.  220. 

2)  Kleve.   Firm.   I,   379. 

3)  Mittelsaar.  Firm.   11,   556. 

4)  Wolf,  Beiträge  I,    164.     Wolfs  Papiere. 

5)  Mündl.   d.  J.   V.  Zingerle. 


371 

mers  kommen  nun  die  Mücken   und  Fliegen  aus   dem  Ei- 
benreiche zu  Schiffe  angefahren. 
Matthe  oder  Barthlime 
Bringt  es  Schiff  voll  Fleugen  und  Flöh. 
In  Aargau  geht  von  der  Mücke  folgendes  Rätsel: 

Es  tritt  e  schnepf  i's  schiff 

und  git  dem  speck  e  spick, 

und  isch  es  nit  e  schick 

ass  der  schnepf  is  schiff  tritt 

und  dem  speck  en  spick  git?"  ') 
Aus  den  dargelegten  Anschauungen  erklärt  sich  viel- 
leicht eine  Strophe  in  dem  berühmten  Liede  Sonartorrek, 
dass  der  Skalde  Egill  Skallagrimssonr  (er  lebte  902 — 980) 
auf  seinen  ertrunkenen  Sohn  sang; 

Byrr  er  byskips  i  bae  kominn 

kvanar  son  kynnis  leita  -). 
Hier  wird  der  Himmel  oder  die  Luft  als  Sitz  der  Seligen, 
„die  Wohnung  des  Schiffes  der  Bienen  genannt." 

4)  In  Bezug  auf  ihre  mythische  Bedeutung  berühren 
sich  die  Käfer  auf  das  engste  mit  den  Schmetterlin- 
gen. Wie  im  Norden  die  coccinella  Marihoene,  heifst 
der  Schmetterling  in  mehreren  norvegischen  Landschaf- 
ten gleichfalls  Marihoena,  in  Soendmoärstift  Mari  haue, 
in  Guldbrandsdalen  Murihoene  ^).  Die  Irrwische,  welche 
bald  für  Seelen  ungetaufter  Kinder,  bald  für  Geister  be- 
trügerischer Landmesser  gelten,  heifsen  nd.  Tükbolde, 
Tukkebolde,  und  ebenso  der  Schmetterling  hd.  Zie- 
bold,  umgekehrt  führt  der  Schmetterling  die  Namen  Züns- 
ler und  Landmesser*).  Hexen  d.i.  Elbe  s.  o.  S.  54 
heifsen  Milch diebe,   der  Schmetterling  Molkentöver- 


1)  Rocholz,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  137,  14.  Alemannisches  Kinder- 
lied I,   227,    19. 

2)  Egilssaga  ed.  Havn.  634.  Sonartorrek  17.  In  des  Bienenschiffs 
Bau  stieg  der  Bube,  der  Sohn  meiner  Gattin  sein  Geschlecht  (die  Kundschaft, 
Verwandschaft)  zu  besuchen. 

.S)  Ivar  Aasen  ordbog  ovcr  det  Norske  folkesprog  S.  300. 
4)  Myth.2   868. 

24* 


J72 

sehe  ')  auch  sloveii.  werden  Hexe  und  Schmetterling  durch 
dasselbe  Wort  „vesa"  bezeichnet.  Die  Eiben,  guten 
Holden  haben  die  Gestalt  von  Schmetterlingen,  Rau- 
pen, Hummeln  oder  Queppen.  Schon  eine  ahd.  Glosse  ^) 
übersetzt  die  verwandte  Heuschrecke  in  Alp:  brucus,  lo- 
custa  quae  nondum  volavit,  quam  vulgo  albam  vocant; 
auch  der  Teufel  erscheint  als  Schmetterling.  In  oberdeut- 
schen Mundarten  sind  Schretel,  Mären  und  Schmet- 
terlinge mit  denselben  Namen:  „Schrat teli  und  Tog- 
geli"  belegt.  Im  Luzerner  Dialect  bedeutet  Toggeli  Alp- 
drücken und  Schmetterling  zugleich^).  Ein  Zwerg  in 
einer  aargauischen  Sage  kommt  wie  ein  Schmetterling  da- 
her*); und  die  Pest,  der  Tod  erscheint  ebenfalls  als  Schmet- 
terling ^). 

Hienach  ist  es  gewiss,  dass  auch  der  Schmetter- 
ling als  Seele  =  Alb  =  Mär  gedacht  wurde.  Als 
solches  Wesen  muss  er  auch  im  himmlischen  Elbenlande 
bei  (Holda  und)  den  Kinderseelen  seinen  Sitz  gehabt  ha- 
ben.    Hören  wir  die  folgenden  Zeugnisse. 

Der  Schmetterling  heifst  in  mehreren,  vorzüglich  ober- 
deutschen Landschaften  Miller.  Ebenso  ist  in  Sommerset- 
shire  „a  certain  kind  of  large  white  moth"  genannt^),  in 
anderen  englischen  Provinzen  bedeutet  milier  eine  Fliege. 
Heinsius  führt  Mühler  als  Namen  der  Schmetterlinge  auf). 


1)  Myth.*   1026. 

2)  GraffI,  243.  Notker  übersetzt  ps.  104  (Hattemer  11,  380)  die  Worte : 
Dixit  et  venit  locusta  et  bruchns,  cujus  non  erat  numerus:  .,S6  gebot  er 
aber  unde  do  cham  mätoscregh,  cham  sin  sunchever  (Sonnenkäfer)  der  ende 
ne  was. 

3)  S.  Rocholz,   Sagen  des  Aargaus  I,   S.  346. 

4)  Rocholz  a.  a.  0.  I,  277.  No.  191. 

5)  Woeste,  Volksüberlieferungen   S.  44, 

6)  Notes  and  queries  1851  III,  133.  Vergl.  Thomas  Wright,  Dictionary 
of  obsolete  and  provincial  English.     London   1857   S.  673. 

7)  Volkstümliches  Wörterb.  d.  D.  Sprache  III,  476.  Das  Wort  Miller 
entspriefst  aus  malan  (molo),  skr.  mr,  mar  zermalmen  und  ist  verwandt  mit 
melo  (farina),  goth.  malma,  altn.  mälmr,  ags.  mealm,  alts.  melm,  uhd.  mulm, 
muH  und  müU,  ahd.  molta  (pulvis),  goth.  mili]?  (mel),  ahd.  milta  (liberali- 
tas),  Mord,  Marder  (nielis,  martes),  lat.  mors,  griech.  fiÖQu;,  f.iogi6^,  ä/(- 
(/5)(>0T0?.  Vergl.  Gramm.  II,  54.  No.  560.  Buttmann,  Philol.  I,  131  fgg. 
Bopp,  Gloss.  Sanscr.  269.  Von  dieser  Wurzel  leitet  sich  goth.  malo  (Motte), 
altn.  mölr  (Motte),  ahd.  miliwa  (Milbe),  d.  i.  das  zermalmende,  alles  zerfres- 


373 

In  Baiern  ist  Mile-raale,  in  Hessen  Miller- Maler  ein 
Kiuderwort  für  Schmetterling.  Es  ist  natürlich,  dass  das 
Volk  sobald  es  den  Namen  des  Schmetterlings  Miller 
nicht  mehr  versteht,  denselben  in  Müller  (molitor)  umdeu- 
tet. In  der  Wetterau  reden  die  Kinder  den  Schmetter- 
ling mit  folgenden  Worten  an: 

Miller,  milier,  mäler, 

geab  mr'n  sack  voll  däler, 

geabb  mr'n  däler  ean  die  haa(n)d, 

se  färn  aich  meatt  nooch  Engellaa{n)d^}. 
Ist  der   Käfer  hienach  im   himmlischen  Lande  der   Engel 
zu  Hause,   so   zeigt  sich  seine  Verbindung   mit  den  Kin- 
derseelen in  folgendem  Spruch: 
Müller,  Müller,  Maler, 
Hat  eu  Sack  voll  Daler, 
Müller,  Müller  (Metzendieb), 
Hat  die  kleinen  Kinder  lieb"^). 
Der  Schmetterling  wird   sogar   aufgefordert,   eine   Kinder- 
seele für  die  gebärende  Mutter  zu  kaufen  (vergl.  o.  S.  370 
„wanner  köpen  wy  en  kindje?").     Das  alte  Lied,  welches 
diese  Aufforderung  enthielt,  ist  uns  nur  in  mehren  stufen- 
weise modernisierenden  Umdichtungen  bewahrt: 

1. 

Müller,  Müller,  Maler, 

Die  Jungens  kosten  'n  Taler, 


sende  lusect.  Denselben  Sinn  gewährt  obiges  Miller,  Müh  1er.  Milllen- 
hoff  sucht  Nordalbing,  Stud.  I,  223  —  226  das  Dasein  eines  Zwerges  Milo 
zu  erweisen,  dessen  Name  denselben  Stamm  enthält.  In  Berlin  heilst  Mil- 
ler oder  Müller  eine  weifsliche  Art  Maikäfer,  welche  bei  den  Kindern 
im  Frühling  in  besonders  hohem  Preise  und  vorzüglicher  Geltung  steht.  Nach 
Heinsius  ist  der  Müllerkäfer  ein  dem  Maikäfer  sehr  ähnlicher,  aber  fast 
noch  einmal  so  grofser  und  gefleckter  Käfer,  welcher  im  Juli  zum  Vorschein 
kommt  und  aucli  die  Namen  ,,gcmarmelter  Maikäfer,  Tannenkäfer,  Donuer- 
käfer"  führt.     Diese  Tiere  sind  wol  nach  der  Farbe   benannt. 

1)  Friedberg.  Firm.  11,  101.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  475,  daraus  Sim- 
rock  KB. 2   142,  560. 

2)  Sachsen  mündl.  d.  Dr.  Hildebrand  in  Leipzig.  —  Varr.  Hildburghau- 
sen d.  Lehrer  Anding:  Du  hast  die  alten  Weiber  lieb.  —  Weimar  d.  Reinh. 
Köhler:  Hat  die  hübschen  Mädchen  lieb.  —  Hildburghausen  d.  Lehrer  An- 
ding: Hast  de  jonge  maige  lieb. 


374 

Die  Mädchen  kosten  'n  Taubendreck, 
Die  wirft  man  mit  der  Schaufel  weg  '). 

2. 

Müller,  müller,  maier, 

de  därens  kost'n  daler, 

de  jungens  kost'n  dübendreck, 

de  fägt  wi  mit'n  bessen  weg^). 

3. 

Müller,  müller,  maier, 

de  därens  kost'n  daler, 

de  jungens  up  dat  hottepärd, 

de  sind  wol  düsend  daler  wärt^). 

4. 

Möller,  möUer,  moaler;, 

de  mäkens  kriehn  in  doaler, 

de  jungens  kriehn  in  reiterperd, 

dat  ist  wol  dausend  doaler  wert  *). 

5. 
Miller,  milier,  maier, 
s'  Bärwel  um  e  daler, 
s'  Lissel  um  e  schissellumbe, 
s'  Gredel  um  dreihundert  gulde  ^). 
Die  angeführten  Lieder  gehen  jetzt  schon  meistenteils 
auf  den  Müller,  No.  5   aber  wird  im  Elsass  noch   immer 
dann,  und  nur  dann  gesungen,  wenn  man  des  Schmetter- 
lings  ansichtig  wird.     Es  kann   daher  kein  Zweifel  sein, 


1)  Pommerellen  mündlich.  Vergl.  Simrock,  Kinderb. ^  51,  183:  „Die 
schuppt  man  mit  den  Beinen  weg."     Yergl.   Simrock  a.  a.  0.   S.  33,   139. 

2)  Oldenburg  Thöle  und  Strakerjan,  Aus  dem  Kinderleben  S.  88;  Prieg- 
nitz  Firm.  I,   101.     Elberfeld  Firm.  I,  426. 

3)  Thöle  und  Strakerjan  a.  a.  0.  88.   99. 

4)  Neudamm  bei  Küstrin.  Firm.  I,  122,  daraus  Simrock  Kß.^  51,  184. 
Varr.  Priegnitz  d.  H.  Deichen:  „das  ist  nicht  6  Pfennige  wert."  —  Adams- 
dorf bei  Soldin:  „de  jungens  kriehn  'n  duwendreck ,  schmiem  sich  miil  un 
näs  dämet."  ■ 

5)  Stöber,   Elsäss.  Volksbüchlein  43,   85.     Daraus   Simrock  KB.'    119,        ■ 
315.     Firm.  II,  524.  ' 


375 

dass  auch  die  andern  Recensionen  ursprünglich  bei  gleicher 
Gelegenheit  dienten  und  damit  ergiebt  sich  die  Richtigkeit 
des  von  uns  behaupteten  Sinnes ').  Engelland  birgt  also 
die  Kinderseelen.  In  No.  7  des  Spiels  von  Frau  Rose 
6.  oben  S.  278  fragt  der  Käufer  der  Kinderseelen: 
„Wie  heifst  der  König  von  Engelland?^  Offenbar  will  er 
von  diesem  die  Seelen  verlangen;  Frau  Rose,  Göde,  Holda 
soll  damit  als  Herrscherin  des  Engellandes  bezeichnet 
werden. 

5)  Ein  holsteinischer  Segensspruch  beim  Regen  lautet; 

Ragen,  ragen,  rüsch, 

de  könig  färt  to  büsch; 

„lät  den  ragen  oewergan, 

lät  de  Sünn  wedderkämn!" 

Sftnn,  Sünn  kumm  wedder 

mit  dm  golden  fedder, 

mit  din  golden  stralen  (var.  lect. :  schal) 

beschin  uns  alltomälen  (var.  lect. :  mal), 

beschin  dat  ganze  Engelland, 

dar  hangt  de  klokken  an  de  wand, 

wo  Maria  bawen  sitt, 

mit  dat  lütje  kind  in'n  schöt, 

hält  en  stüten  botterbrod  ^). 
Auf  den  Faöroeer  hat  sich  dasselbe  Lied  erhalten: 

Maria  gongur  til  stettar, 

kembur  sitt  här  og  flettar, 

bäö  hon  gud  at  regniö  skuldi  latta, 

„latti  regn  og  skini  sol." 

Kirkjan  i  Skänoy 

hon  skinur  sum  sol  og  mäni, 


1)  In  Souimersetshire  ist  das  alte  Lied  noch  mehr  verunstaltet.     Die  Kin- 
der singen  beim  Anblick  des  Schmetterlings: 

Millerj,  millery  dousty  poU 

how  many  sacks  hast  thou  stole? 

Nach    diesen  Worten   wird    die  Motte   getötet.      Notes  and  queries  III.    1851. 
S.  133. 

2)  MüUenhoff,  Sagen  S.  517,  33.     Daraus  Simrock  KB^   133,  5H. 


376 

allir  guds  einglar  i  himmariki 

vilja  firi  henni  klära. 

klagd  teg  vel  og  legg  teg  til; 

torni,  tä  iö  Jesus  vil; 

summir  halda  eystur, 

summir  halda  vestur, 

men  eg  lialdi  middags  tima. 

Mariusonurin  bliöi 

Ijeti  nü  soliiia  skina! 

upp  lysi  mjörki  äf  tindi 

aftur  komi  sölskin  viö  ongum  vindi '). 
Den  niederdeutschen  Segen  hat  schon  MüUeuhoff  be- 
sprochen -).  Das  Lied  leitet  mit  einer  epischen  Formel 
ein.  Der  Kegen  rauschte;  da  der  König,  ein  Gott  (Wo- 
dan oder  Thunar)  zu  Walde  fuhr  (dieser  Busch  ist  die 
Wolke  s.  o.  S.  354).  Der  Gott  selbst  beschwört  den  Re- 
gen; „Mag  der  Regen  übergeh'n,  mag  die  Sonne  wieder- 
kommen." 

Nun  folo;t  die  Anrufun»  von  Seiten  der  Menschen: 
„Komm  wieder,  o  Sonne  mit  deinen  beiden  Töchtern  Gold- 
feder und  Goldstrahl,  bescheine  uns  allzumal,  durch- 
leuchte den  ganzen  Himmelsraum,  dasLand  der 
Engel,  wo  eine  holde  Frau  mit  dem  Kinde  auf  dem  Arme, 
Holda  (mit  den  Kinderseelen?)  sitzt  ^).'' 


1)  Antiquarisk  tidskiift  1849  —  51  S.  314,  13.  Maria  geht  zur  Stätte^ 
kämmt  und  flicht  ihr  Haar.  Sie  bat  Gott,  dass  das  Regnen  aufhören 
sollte.  .jHöre  auf  Regen  und  scheine  Sonne!"  Die  Kirche  auf 
Skäney  glänzt  ^^'ie  Sonne  und  Mond,  alle  Gottes  Engel  werden  vor 
ihr  (der  Kirche,  ante  templum  )  leuchten.  Kleide  dich  wol  und  tu  dich 
an,  trocken  wirds,  wenn  Jesus  es  ■wUl.  Einige  (Gebete)  schjdlen  um  die  Mor- 
genzeit, andere  schallen  um  die  Abendzeit,  aber  ich  schalle  in  der  Mittags- 
stunde. Milder  Mariensohn  lass  die  Sonne  nun  scheinen,  fort  nimm 
den  Xebel  vom  Berggipfel.     Statt  dessen  komme  Sonnenschein  ohne  Wind. 

2)  Xordalbing  slud.  IV,   211. 

3)  Nach  Fomaldarsög.  II,  7  (vergl.  Petersen,  Nordisk  mythologi  73,  s. 
oben  S.  39)  hatten  Tag  und  Sonne  (Dagr  ok  S61)  eine  Tochter  Schwan- 
hild  Goldfeder  (Svanhilldr  GullfjöÖr),  welche  sich  somit  als  Hypostase  des 
Sonnenstrahls  kundgiebt.  Daraus  wird  wahrscheinlich,  dass  in  unserm  Segen 
..die  goldue  Feder"  ein  aufgelöster  Eigenname  ist.  Der  epische  Parallelis- 
mus erfordert,  dass  dann  auch  ,,mit  deinen  goldnen  Stralen"  auf  eine  Gold- 
s  t  r  a  1  a,  Goldpfeil,  Goldstrahl  zurückweist,  für  die  Müllenhoff  eine  ältere  Goldskima, 
Goldberahta  vermutet,  das  er  aus  den  Worten  ,,mit  din  golden  schäl"  entnimmt. 


^377  _ 

Ergebnisreicher  ist  die  faeroeische  Fassung.  In  ihren 
ersten  Zeilen  stimmt  sie  ganz  mit  der  deutschen  überein, 
nur  dass  Maria  (Freyja),  die  hier  gleich  den  weifsen  Frauen 
ihr  Goldhaar  strählend  dargestellt  wird,  nicht  ein  Gott,  das 
Aufhören  des  Regens  veranlasst,  und  die  Sonne  wieder  her- 
aufführt. Wieder  wird  das  strahlende  Tagesgestein  seinen 
Glanz  verbreiten.  Dies  wird  dadurch  bewirkt,  dass  Got- 
tes Engel  vor  der  Kirche  auf  der  Lichtinsel  (?)  ^),  die  wie 
Sonne  und  Mond  leuchtet,  ihr  Licht  ausstrahlen. 

Diese  Kirche  (auf  der  Lichtinsel),  die  wie  Sonne 
und  Mond  strahlend  im  glänzenden  Himmelsraum  steht, 
vor  der  alle  Engel  ihr  Licht  ausstrahlen,  ist  der 
Palast  Gimill,  der  glänzender  als  die  Sonne  ist  (allra 
er  fegrstr  ok  bjartari  en  sölin)  ^),  von  Golde  strahlen- 
der (sölu  fegri,  gulli  betri)^),  und  in  welchem  die  Licht- 
älfen  wohnen,  die  glänzender  von  Angesicht  sind 
als  die  Sonne  (s.  oben  S.  322  fgg.) ''). 

Sind  die  Liösälfar  strahlender  als  die  Sonne,  ist  das 
Licht  in  Gimill  heller  als  der  Schein  des  Tagesgestirns, 
und  hat  die  Sonne,  wie  wir  bei  der  Betrachtung  von  Gliö 
wahrzunehmen  glaubten,  an  diesem  Ort  ihre  Heimat,  so 
liegt  der  Schluss  nahe,  dass  sie  erst  von  dem  Lichte  aus 
Liösälfaheimr  =  Gimill  =  Viöblainn  ihren  Glanz  empfängt. 


1)  Skänoy,  Skäney  ist  die  allgemein  nordische  Benennung  von  Schonen. 
Es  ist  aber  klar,  dass  dieses  hier  nicht  gemeint  sein  kann,  da  von  einem 
himmlischen  Ort  die  Rede  ist.  Ich  vermute  daher,  dass  dieses  Skäney 
volksetymologische  Umdeutung  von  Skiney  Glanzinsel  ist  (vergleiche 
das  Eiland  GliS)-  Man  könnte  selbst  die  volksetjTnologische  Umbildung 
abweisen,  und  die  Form  Skäney  unmittelbar  in  der  Bedeutung  von  Lichtinsel 
zu  rechtfertigen  versuchen.  Neben  altn.  skin  (splendor)  bestand  wahrschein- 
lich in  älterer  Zeit  ein  in  unsern  Denkmälern  verlorenes  skein  (lux,  splen- 
dor), wie  ags.  sc  an  in  der  Tat  vorkommt.  Da  nun  altn.  ei  =  goth.  ai 
mitunter  in  ä  übergeht,  zwar  meistens  vor  h  und  v,  aber  doch  auch  in  vie- 
len andern  Beispielen  (s.  Gram.  I.^  458).  so  könnte  Skäney  auf  ein  älteres 
Skeiney  zurückgehen.  Oder  enthielte,  da  altn.  ä  in  anderen  Fällen  aus 
goth.  au  erwächst  (s.  oben  S.  178,  Anm.  2),  imser  Skäney  das  Wort  goth. 
sliauns,  ags.  scene,  scyne,  scione,  ahd.  alts.  scuni,  schwed.  skön,  dän,  skjön, 
nhd.  schön,  so  dass  darin  die  Bedeutung  „pulchra,  formosa,  splendida  insula" 
läge?    Vergl.  ags.  scir-häme  clara  patria,  ahd.  scaonisanc  melodia. 

2)  Gylfaginning  17. 

3)  Völuspä  62   in  Gylfag.   17. 

4)  Vgl.  ags.  älfscine  schön  wie  die  Elbe,  u.  Grimm,  Ir.  Elfenm.  S.  LXVIII. 


378 

Bestätigt  wird  diese  Annahme  durch  die  altnordische  Be- 
nennung der  Sonne  älfrööull  Alfenstrahl,  d.  i.  Ausfluss 
des  Lichtes  in  Alfaheimr.  Dieser  Ausdruck  alfrööull 
begegnet  bereits  in  den  ältesten  Liedern  der  poetischen 
Edda  ').  Er  stimmt  genau  mit  dem  deutschen  Aberglau- 
ben überein,  dass  die  Sterne  Augen  der  Engel  d.  i.  der 
Lichtelbe  sind  -).  Jeder  Stern  hat  seinen  Alb  (Engel),  der 
ihm  die  Stätte  weist,  wo  er  hingehen  soll  ^).  Elbe,  die 
Seelen  alter  Jungfern,  schneiden  aus  abgenutzten  Sonnen 
die  Sterne  zu  ^).  So  oft  ein  Kind  stirbt,  macht  Gott  ei- 
nen neuen  Stern  und  giebt  ihm  den  zum  spielen  ^).  Die 
Sterne  sind  also  Wirkungen  der  Elbe,  diese  schauen 
aus  den  Gestirnen  heraus,  lassen  durch  dieselben  ihr  Licht 
leuchten.  Was  Ton  den  übrigen  Gestirnen  gilt,  hat  auch 
bei  der  Sonne  statt.  Der  Aufganff  der  Sonne  ist  das  Na- 
hen  lichter  Elbe,  man  hört  ihre  Flügel  rauschen  ^).  Zwerge 
haben  die  Sonne  geschmiedet,  Zwerge  tragen  sie  oder  füh- 
ren sie  am  Himmel  herauf').  Eine  eddische  Umschreibuns: 
der  Sonne  ist  eyglö  Augenglanz  ^)  und  wiederum  werden 
die  Augen  in  der  altnordischen  Poesie  durch  Sonne  (söl), 
Stern  (tüugl),  gier  (Glanz,  Glas),  Licht  (liös),  der  Au- 
genbrauen, Wimpern,  der  Augenlider  oder  der  Stirn  (brä 
eöa  brüna,   hvarma  eöa   ennis)   umschrieben^).      In   einer 


1)  Vaf  jjrüönism.  47  ;   Skimisför  47,  später  Hrafnagaldr  Öbins  26.     Skäld- 
jarm.   c.  75. 

2)  Myth.»   LXXX,   334.     Myth.^   G65. 

3)  Myth.^    684.     Eenner  10984. 

.      4)  MüUenhoff,  Sagen  S.  359,   182.     Nordalbing.  Stud.  IV,   202. 

5)  Rocholz,  Alemannisclies  Kinderlied  II,   345,   268. 

6)  ]?ä  com  eugla  sweg,  dj-ne  on  dägred.  Caedm.  289,  26.  Vergl.  J. 
Grimm,  Andreas  und  Elene  XXX. 

7)  Heiti  der  Sonne  ist:  erfibi  ega  byrSi  dverganna.  Skäldskaparm. 
cap.  23.  SnE.  I,  314. 

8)  Alvism.  17.  Eyglö  (zusammengesetzt  aus  ey  =  eyg  Auge,  s.  S«- 
mundaredda  Havu.  I,  473,  und  gloi  m.  f.  oder  glöa  indecl.  glänzend)  d.  i. 
oculis  corusca.  vgl.  fagrgloa  Alvism.  5.  Nach  dem  Svefnej-er  papiercod.  Eggert 
Olafsons  u.  Fragm.  Amamagn.  748  heifst  die  Sonne  Eygloa  SnE.  II,  460. 
Wiederum  ist  Völuspa  15  ein  Zwerg  Glöi  (in  der  Snorraedda  Glöinn)  ge- 
nannt. —  Als  Auge  der  Lichtälfen  oder  der  Götter  s.  oben  S.  143  schaut 
die  Sonne  die  Wesen  in  allen  Welten.  ,,S61,  er  sjä  alda  synir  heimi  hverjum 
i."    Alvism.   a.  a.  O. 

9)  Skäldskaparm.  cap.  69.     SnE.  I,   538. 


379 

Strophe    des    Skalden    Einarr    Skulasonr    wird    das    Auge 
Himmelsgestirn  (himintüngl)  des  Schädels  genannt*). 

Fassen  wir  nunmehr  noch  einmal  das  Pressburger  Re- 
genlied s.  oben  S.  255  ins  Auge,  das  wir  hier  der  Bequem- 
lichkeit wegen  wiederholen.  Bei  trübem  oder  veränder- 
lichem Wetter  z.  B.  im  April,  wenn  die  Sonne  sich  bald 
verbirgt,  bald  wieder  hervorkommt,  singen  die  Kinder  im 
Kreise  herumtanzend: 

Liabi  frau  machs  türl  auf, 

läfs  die  liabi  sunn  herauf. 

läfs  in  reg'n  drina, 

läfs  in  sehne  verbrina. 

d' engein  sitzen  hintern  brunn, 

wart'n  auf  die  liabi  sunn. 
Kommt  die  Sonne  hervor,  so  fallen  die  umtanzenden  Kin- 
der auf  die  Knie: 

Sunn,  sunn  kummt 

d'engarln  fall'n  in'n  brunu. 
Hinter  dem  himmlischen  Brunnen,  dem  Wolken- 
gewässer, hat  Frau  Holda  Sonnenschein,  Regen  und  Schnee 
verborgen.  Ist  die  Sonne  nicht  draufsen,  ruht  sie  im  ver- 
schlossenen Hause  der  Göttin,  so  ruhen  auch  die  Elbe 
hinter  dem  Wolkengewässer,  öflPnet  Holda  die  Tür,  schiebt 
sie  die  Wolken  auseinander  und  lässt  die  Sonne  heraus, 
so  treten  auch  die  Elbe  in  die  vordere  Wolkenschicht 
vor  und  erhellen  sie  mit  ihrem  Glänze,  sie  sind  es,  die  das 
Sonnenlicht,  die  Sonnenstrahlen  bewirken.  Wörtlich  mit 
dieser  Vorstellung  stimmt  die  faeroeische  überein,  wenn  die 
Sonne  scheint,  so  leuchten  die  Engel  (Liosälfar)  vor  dem 
Palast  auf  der  Lichtinsel,  der  Kirche  in  Skäney  ^).    Gleich 


1)  Orms  Eddubrot.  SnE.  Arn.  II,  499.  Auch  bei  den  Griechen  nennt 
Diogenes  Laertios  VIII,  29  die  Augen  'HUov  niilai,-  Vergl.  Lauer,  Sy- 
stem 248. 

2)  Diese  Kirche  scheint  auch  in  einem  deutschen  Märchen  aufzutauchen, 
das  auffallende  Aehnlichkeiten  mit  der  Völundarsage  zeigt.  Das  in  beiden 
genannte  Federhemd,  mit  dem  ein  Fürst  göttlichen  Jungfrauen  zufliegt,  ist 
ein  Schwangewand.  Der  Aufenthalt  der  Schwanjungfrauen  auf  dem  himm- 
lischen Glasberg  =  ViÖblainn  ist  oben  S.  342  nachgewiesen.  Ein  Tischler 
und  ein  Goldschmied,  so    erzählt   das  Märchen,    wetteten,    wer   das   beste 


380 

dem  Kinderspiel  von  Frau  Rose  ist  das  Pressburger  Lied 
ein  alter  Chorreigen,  in  dem  das  Vortreten  oder  Niedersin- 
ken der  Engel  (Elbe)  aus  der  höheren  Lichtregion  in  den 
Himmelsbruunen  dramatisch  dargestellt  wird.  Das  holstei- 
nisch-feroeische  Lied  dagegen  ist  ein  Götterhymnus  mit 
epischem  Eingang,  gehört  also  einer  anderen  Gattung  der 
urgermanischen  Poesie  an. 

Von  dem  Liede  „Regen,  regen,  rüsch!"  sind  uns  lei- 
der in  andern  Landschaften  des  Vaterlandes  nur  Bruch- 
stücke erhalten: 

1. 

Sunne  kumm  wedder 

mit  diner  goldnen  fedder! 

räo;en  bliw  weg 

mit  diner  langen  näse!  ') 

2. 
Lewe  regen  blif  wege 
mit  diner  langen  nese, 
lewe  sunne  kum  wedder 
mit  diner  goldnen  fedder, 
mit  dinen  goldnen  stralen 
vam  himmel  herdalen  ^). 

3. 
Lieber  Regen  geh  weg; 
Liebe  Sonne  komm  wieder 
Mit  deinem  Gefieder, 
Mit  dem  goldenen  Strahl, 
Komm  wieder  herdal  ^). 


Kunststück  machen  könne.  Der  Goldschmied  verfertigt  einen  Fisch,  der  im 
Wasser  schwimmen  kann,  wie  ein  lebendiger;  der  Tischler  macht  ein  Paar 
Flügel,  mit  denen  er  zum  Fenster  hinaus  und  dreimal  um  das  Haus  fliegt. 
Ein  Prinz  fügt  sich  diese  Flügel  an,  steigt  damit  höher  und  höher,  bis  er 
hoch  in  der  Luft  zu  einer  Kirche  kommt.  In  der  Kirche  wohnt  eine 
Königstochter.  Die  tut  die  Fenster  auf,  er  fliegt  hinein,  heiratet  sie  und  wohnt 
mit  ihr  in  der  Kirche.     Pröhle,  Kinder-  und  Volksmärchen  S.  17.  No.  4. 

1)  Hameln  Firm.   HI,   146.     Vergl.  Müller,  Altd.  Religion  S.  160. 

2)  Schmidt,   Bremenser  Kinder-  und  Ammenreime  S.  46. 

3)  Nordheim  Hannover.    Zeitschr.  f.  D.  Myth.  HI,  176.    Vergl.   Schneide- 
win,  Conjectanea   critica.     Göttingen  1839   p.  180:    „Audio   in    ducatu   Bre- 


381 

4. 

SüQning  kurnm  wärrer 
met  diiie  schöne  färrer, 
met  dinen  gollnen  sträl 
beschin  uns  allemal '). 

5. 

Liebe  Sonne  komm  wieder 

Und  scheine  auf  uns  hernieder  ^). 

6. 
Sunne  kumm  widder 
met  dine  blanke  lidder  (Leiter), 
met  dine  blanke  sträl, 
beschin  uns  alltomäl  ^). 

7. 
Zu   Hemschlag  in   Westphalen    rufen    die   Kinder  im 
Frühling,  mit  Hölzchen  oder  Steinchen  spielend: 
Liebe,  liebe  Sonne, 
Komm  wieder  in  mein  Häuschen  *). 

8. 
Wind,  Wind  geh  weg, 
Sonne,  Sonne  komm !  ^). 
In  Holstein  giebt  es  für  den  letzten  Teil  unseres  Lie- 
des  noch  folgende  Version: 

Dar  hangt  de  klokken  an  de  wand, 

bäwen  sitt  Margreten 

lett  dat  water  fleten, 

ünner  sitt  Maria 

mit  dat  lütte  kiud  in'n  schöt  u.  s.  w. 


mensi  cantari  a  pueris  hanc  cantilenam,  similem  q.i).t])uäöi  w«)',';,  quam  auimi 
gratia  appono:  Läwe  regeu  gä  weg  mit  dine  gulle  fedder,  mit  dine  gulle  sträl 
von  himmel  herdäl. 

1)  Kuhn,   Nordd.  Sagen    S.  456.  Camem.     Daraus  Simrock,    Kinderb.' 
139,  519. 

2)  Halberstadt. 

3)  Neudamm  bei  Küstrin   d.  II.  Be3'er. 

4)  Durch  H.  Lehrer  Kulin  in  Hemschlag. 

5)  Weifsenfeis  in  Sachsen. 


382 

Margarete  erscheint  danach  als  Regengöttin.  „Wenns 
St.  Margreten  regnet,  werden  die  Nüsse  faul."  „As  het 
op  St.  Maregriet  regnet,  regnet  het  ok  zes  weken  achter 
een"  ').  „As  zente  Margriet  in  haer  bed  pisse  (vergl.  o. 
S.  146.  Anm.  2)  regend  hed  zes  weken."  In  Tirol  heifst 
Margareta  die  Wetterfrau  ^).  Wie  Müllenhoff*^)  mit  Recht 
bemerkt,  ist  unsere  Variante  verderbt.  In  der  ursprüngli- 
chen Fassung  musste  Margarete  als  Regengöttin  die  un- 
terste Stelle  einnehmen,  die  schöne  Himmelskönigin 
über  ihr  verborgen  im  lichten  Aether  (im  Viöblainn)  sitzen. 
Wir  sehen  also  hier  wieder  das  „Treppchen  höcher" 
des  Kinderspiels  von  Frau  Rose  s.  oben  S.  304  bestätigt. 

Die  heilio;e  Maro-areta  trat  in  der  Volkslegende  an  die 
Stelle  eiuer  heidnischen  Göttin,  nicht  aber  der  Unterwelt- 
göttin Hella,  wie  Wolf*)  darzutun  suchte,  sondern  wahr- 
scheinlicher der  Schicksalsgöttin  Wurth.  In  Schleswig  und 
Holstein  identificiert  man  sie  mit  der  Unionskönigin  Mar- 
gareta von  Dänemark.  Nach  der  Sturlüngasaga  ^)  erschien 
UrSr,  die  älteste  der  drei  Schicksalsjungfrauen  um  das  Jahr 
1232  einem  Manne  Namens  Snebjörn  in  der  Nacht  vor  Jul, 
am  Vorabend  einer  grofsen  Schlacht.  Sie  zeigte  sich  ihm 
als  ein  grofses  dunkeles  Weib  mit  rotem  Angesicht  in 
einem  dunkelblauen  Gewand  und  mit  einem  Gürtel 
von  ineinander  gehakten  Blechen  ").  Sie  sang  ein  Lied; 
„wie  sie  sorglich  dahinfahre  Männer  zum  Tode 
zu  wählen')."  Schnell  flog  sie  wie  ein  schwarzer  Vogel 
über  Höhen  und  Berge  und  liefs  sich  ins  Tal  nieder,  um 
sich  da  zu  verbergen  bis  der  Mond  auf  den  Totenacker 
scheint,   bis   die  Schlacht  beginnen   soll  ^).      Ganz  ähnlich 

1)  Buddingh,  Verhandeling  over  het  Westland  354. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  11,  358.      Tinkhauser,   Beschreibung   der  Diö- 
cese  Brixen  I,  251. 

3)  Nordalbing.  Stud.  IV,  214. 

4)  Beiträge  I,   203. 

5)  Sturlüngasaga  I,  2,   212. 

6)  ]jristelig,    daprlig   ok   raugleit   i    dökkbläm  kyrtli,  stokkabeltli  hafSi 
hon  um  sik. 

7)  Harm[jrungin  for  ek  hingat  heljar  ask  at  velja. 

8)  LiSk  um  hol  ok  haSir  hart  sem  fuglinn  svarti,  kemk  i  dal,  j?ar  er 
dyljumsk,  dänar  akrs  til  mäna. 


383 

erscheint  die  schwarze  Greth  in  Schleswig  stets  in 
schwarzem  Gewände  mit  Perlen  und  Kleinodien  ge- 
schmückt. Einst  verspricht  sie  einigen  Fischern  reichen 
Fang,  wenn  sie  den  besten  Fisch  wieder  ins  Wasser  wer- 
fen wollten.  Sie  fangen  so  viel,  dass  der  Kahn  die  Menge 
der  Fische  kaum  fassen  kann.  Unter  denselben  findet  sich 
einer,  der  Goldmünzen  statt  der  Schuppen,  smaragdene 
Flossen  und  Perlen  auf  der  Nase  trägt.  Da  die  Fischer 
aus  Habsucht  diesen  Fisch  im  Boot  behalten,  verwandeln 
sich  auch  die  anderen  Fische  in  Gold  und  ziehen  durch 
ihre  Schwere  den  Kahn  in  die  Tiefe.  Die  Männer  kom- 
men um').  Die  schwarze  Margret  erscheint  also  hier 
als  Todesvorbotin  ^).  In  der  Nähe  von  Schleswig  liegt 
ein  kleiner  Hügel,  der  Dronningshöi,  in  welchem  ein  König 
begraben  liegen  soll,  den  die  schwarzeMargret  erschlug. 
Sie  führte  mit  ihm  Krieg.  Unter  dem  Scheine  friedlicher 
Gesinnung  liefs  sie  ihn  zu  einer  Unterredung  einladen.  Der 
Fürst  fand  sich  ein.  Sie  bat  ihre  Sturmhaube  fester  bin- 
den zu  dürfen  und  ersuchte  ihn,  damit  sie  inzwischen  sicher 
sein  könne,  sein  Schwert  in  den  Boden  zu  stofsen.  Als  dies 
geschah,  ging  sie  auf  ihn  los  und  hieb  ihm  den  Kopf 
ab^).  Hier  haben  wir  deutlich  die  totenwählende  Nörn. 
—  Zwischen  Itzehoe  und  Hohenwestedt  in  Holstein  liegt 
ein  Sumpf  der  Pay ssener  Pol  (Pfuhl)  genannt,  worin  ein 
Schloss  versunken  ist.  Aus  diesem  steigt  allnächtlich  die 
Payssener  Gre  t  hervor,  welche  verwünscht  ist  umzugehen, 
weil  sie  viele  Menschen,  sogar  ihren  eigenen 
Mann  aus  reiner  Lust  am  Morde  getötet  hat.  Sie 
setzt  sich  zu  Reisenden  hinten  auf  den  Wagen.  Nacht  für 
Nacht  muss  sie  die  Haideblümchen  des  ganzen  Reviers 
zählen'').      Gradeso   lesen  und   zerpflücken  3  Jung- 


1)  Biernatzki,  Schleswigholst.  Volkskalender  I,   1844.  S.  87. 

2)  Da  der  Hauptfang  der  Fischer  am  Dannevirke,  wo  diese  Sage  erzählt 
wird,  in  Brassen  besteht,  deren  Oberkiefer  perlenähnliche  Erhöhungen  hat,  und 
deren  Schuppen  wie  Gold  glänzen,  so  begreift  sich  leicht,  dass  die  Todes- 
bo tschaft  der  alleinige  und  ursprüngliche  Kern  der  Sage  ist. 

3)  MiiUcnhoflF,   Sagen  S.  19.  No.  16,   2. 

4)  MüUenhoff  a.  a.  O.  S.  177.  No.  245. 


_  384_ 

frauen  im  Schloss  zu  Tönningen  in  Schleswig,  in  denen 
wir  unten  deutlich  die  3  Nörnen  nachweisen  werden,  Blu- 
men und  Kränze  ^),  ein  Zug,  durch  welchen  die  bekannte 
Sitte  des  Sternenblumenpflückens  als  Schicksals- 
orakel an  Bedeutung  gewinnt  und  in  seinen  mythischen 
Zusammenhang  rückt  ^).  Mit  dem  Namen  „die  schwarze 
Gret,"  „swatte  Griet,"  „  booze  Margriet"  wird  in 
ganz  Niedersachsen  und  im  Niederland  ein  böses  Gespenst 
bezeichnet '').  Dieser  Name  kann  daher  nicht  von  der 
speciell  nordalbingischen  Dänenkönigin  hergenommen  sein, 
sondern  muss  auf  ältere  Grundlage  zurückgehen.  Er  ist 
wiederum  volksetymologische  ümdeutung  eines  deutschen 
Namens  alts.  Markrid,  ahd.  Markrit,  altn.  MyrkriSr,  Mark- 
riSr  oder  Markriöa,  d.  i.  Waldreiterin'').  Mark  =  altn. 
mörk,  markar  hat  die  Bedeutung  Wald,  Waldgrenze^). 
Von  den  den  Nörnen  sehr  nahe  stehenden  Valkyren  heifst 
es  in  der  Völundarquiöa :  „Meyjar  flugu  sunnan  myrkviS 
igögnum  Alvitr  ünga  orlög  drj^gja."  „Mädchen  flogen  von 
Süden  durch  Myrkviör  (den  Markwald,  Dunkelwald),  Al- 
vitr die  junge  Krieg  zu  treiben;"  sie  kamen  auf  die  Erde. 
Als  ihnen  ihre  Schwanhemden  genommen  sind,  „meyjar 
fystusk  ä  myrkvan  viö  Alvitr  ünga,  orlög  drygja,"  da  sehn- 
ten sich  die  Mädchen  nach  MyrkviSr,  Alvitr  die  junge 
Krieg  zu  treiben.     Dieser  Wald  ist  (hinter   dem   die  Hei- 

1)  MüUenhoff  a.  a.  0.   S.  349.   No.  446. 

2)  Man  zählt  an  den  Blütenblättern  der  Sternblume  ab,  ob  man  geliebt 
wird,  ob  der  oder  jener  noch  lebt  u.  s.  tv.  An  Stelle  dessen  ist  bisweilen 
eine  Lofstmg  mit  Halmen  üblich.  Bekanntlich  sagt  schon  Walther  von  der 
Vogelweide:  Mich  hat  ein  halm  gemachet  vro,  er  gibt,  ich  sül  genäde  vin- 
den.  ich  maz  daz  selbe  kleine  stro,  als  ich  hie  vor  gesach  von  kinden.  nü 
hoeret  unde  merket,  ob  si'z  denne  tuo.  „si  tuet,  si  entiiot,  si  tuot,  si  entuot, 
si  tuot."  swie  dicke  ichz  tete,  so  was  ie  daz  ende  guot:  daz  troestet  mich, 
da  hoeret  ouch  geloube  zuo. 

3)  Wolf,  Beiträge  a.a.O.  Vergl.  das  Margret enschö cklein  bei 
Panzer  11,  305,   12. 

4)  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  506  fgg.  III.  26  fgg-  Vergl.  das  Ap- 
pellativ holtri^i.  HjTuisqu.  27.  Lautlich  ganz  nahe  zu  Markrid  steht  lat. 
margarita,  gr. /LtagyauCrriq,  '«'oraus  unser  T  auf  na  me  Margrete  entsprang.  Ul- 
fila schon  macht  daraus  markreitus.  Vergl.  Myth.^  1169.  Gesch.  d.  D. 
Sprache  233. 

5)  J.  Grimm,  Grenzaltert.  Abhandl.  der  Berl.  Akad.  1843  S.  111.  Vgl. 
myrkviör  und  rairiquibi  bei  Dietmar  von  Merseburg. 


385 

uiat  der  Schwanjungfrauen  =  Glasberg  =  Gimill ")  liegt) 
ist  wol  wieder  die  Wolke,  vergl.  oben  S.  354.  Die  Nör- 
nen,  die  den  Valkyren  in  ihrer  äufseren  Erscheinung  fast 
ganz  gleichen,  werden  an  demselben  Aufenthalte  teilgehabt 
haben  und  man  begreift  leicht,  wie  sehr  ihnen  der  Name 
Markreiterin  zustehen  durfte.  Wir  werden  weiterhin 
die  Verbindung  Holdas  mit  den  Nörnen  und  den  Aufent- 
halt der  letzteren  im  himmlischen  Walde  vollständig 
bestätigt  finden.  Wir  werden  ferner  sehen,  dass  ihnen  eben- 
falls die  Natur  der  Wasser  fr  auen  innewohnt. 

Sehen  wir  nach  dieser  Erläuterung  unser  Bild  noch 
einmal  an,  so  ergiebt  sich,  dass  Maria  =  Holda  oben  in 
ewigem  Lichte  thront,  indess  ihre  Begleiterin  unterhalb  den 
Regen  spendet;  eine  Vorstellung,  welche  sehr  wol  neben 
der  anderen  bestehen  konnte,  dass  Holda  selbst  die  Was- 
ser fliefsen  lässt.  Aber  auch  über  Frau  Sonne  sammt 
ihren  beiden  Töchtern  Goldfeder  und  Goldstrahl  hat 
Holda  nach  der  holsteinischen  Variante  in  Engelland  ihren 
Sitz.  Sie  ist  also  hier  von  Frau  Sonne  geschieden,  wäh- 
rend diese  im  Kinderspiel  von  Frau  Sole  mit  ihr  identifi- 
ciert  wurde. 

Wie  in  der  ebenbesprochenen  Variante  eine  Begleite- 
rin Holdas  (Frikkas,  Gödas  oder  Freyjas)  das  Geschäft  des 
Regnens  übernimmt,  tritt  in  andern  Recensionen  eine  an- 
dere Gesellschafterin  der  Göttin  als  Spenderin  des  Son- 
nenscheins auf,  während  Maria  (Holda)  über  der  Sonne 
in  ewigem  Lichte  sitzt.  Da  die  Sonne  in  unserm  Alter- 
tum von  Urzeiten  her  u.  a.  als  Rad  angeschaut  wurde  ^), 
so  benannte  das  Volk  jene  Begleiterin  Holdas  mit  dem  Na- 
men der  h.  Catharina  von  Alexandrien,  welche  ihrer  Le- 
gende zufolge  von  der  Kirche  mit  dem  Rade  dargestellt 
zu  werden  pflegte. 

1)  Nach  Gylfag.  17  liegt  Gimill  am  südlichen  Ende  des  Himmels. 
In  dem  ihm  entgegengesetzten  Näströnd  sind  dagegen  die  Türen  nordwärts 
gekehrt. 

2)  Fagrahvel  d.  i.  das  schöne  Rad  war  kenning  der  Sonne,  Alvism.  17. 
Skäldskapann.  cap.  75.  vergl.  Myth.^  G64.  586.  587.  Kuhn,  Nordd.  Sagen 
S.  518.  Gebr.  Anra.  142.     Panzer,  Beitrag  II,   538  fgg. 

25 


386 

1. 

Maria  boven  de  krönen 

d'iugelsches  zingen  zoo  schoon 

Maria  boven  all 

d'ingelsches  zingen  all:  „gloria!"  — 

Sinte  Cathelyne 

laet  de  zonne  maer  scbynen 

dat  de  regen  overgaet, 

dat  de  kinderen  te  schoole  gaen!  '). 

2. 
Bim  bam  bare, 

de  klokken  luiden  te  Gend  tegäere 
over  eenen  dooden  man: 
dood  manneke  zoet, 
Jesusken  is  gaen  houtje  rapen, 
om  en  vierken  te  maken. 
Sinte  Cathalyne 
laet  de  zonne  maer  schynen, 
dat  de  regen  overgaet, 
dat  de  kinderen  ter  scholen  gaen; 
wie  zal  ze  leeren? 
onz'  Lieve  Heere; 
wie  zal  ze  vragen? 
onz'  Lieve  Vrouwe; 
wie  zal  ze  kerstenen  doen? 
Pieter  met  zyne  gelapte  schoen, 
Pieter  achter  de  mistpoei  ^). 

3. 
In  Oldenburg   singen   die  Kinder  den  Marienkäfer 
(coccinella)  an: 

Sonne,  Sonne  Kathrins 

lät  den  ragen  öwergän! 

lät  de  kinner  nä  schole  gän! 


1)  Briefl.  Mitteilung  Louis  de  Baeckers.      Die   Mitte   des   Liedes   hat  er 
mitgeteilt  in  s.  Religion  du  Xord  de  la  France  S.  172. 

2)  Gent,  Wodana  Museum  voor  nederduitsche  oudheidskunde  I,  86. 


_^387 

lät  se  göd  wat  leren, 
lat  se  bokstaberen  '). 

4. 
Läwe,  läwe  Trine 
lät  de  sünnke  schine, 
lät  dem  regenke  öwergäne 
dat  de  klene  kinner  kunne  speie  gäne*). 

5. 

In  Danzig; 

Adrian,  Adrian 

lät  den  regen  öwergän, 

lät  de  sunne  schine 

öwer  Sankt  Kathrine^> 


6. 


Kolina,  Kolina! 


lät  seien  skina 

öfver  topp,  öfver  trä, 

öfver  folk,  öfver  fä, 

öfver  alla  sraä  barn,  som  gä  i  skogen  liÜa  och  grata!  *). 


1)  Aufgezeichnet  von  H.  Wagenfeld. 

2)  Simrock,  Kinderb. 2   132,  512. 

3)  St.  Katharinen  ist  die  älteste  Pfarrkirche  der  Altstadt  Danzigs,  um 
1342  gegründet.  Die  Persönlichkeit  der  Heiligen  ist  hier  auf  die  ihr  geweihte 
Kirche  misdeutet.  Vergl.  noch  die  Varr.  „\debär  Langben  (oder  Langnäs) 
lät  den  regen  öwergän,  lät  de  sünne  schine  öwer  alle  tüne."  Danzig  münd- 
lich. —  „Eegenbän  lät  öwergän  un  de  lewe  sünn  upgän!"  Insel  Use- 
dom. Hagens  Germania  V,  2-18.  Zu  Ivleinmetz  bei  Zehdenik  singen  die 
Kinder,  wie  H.  Pracht  mitteilt,  beim  Abklopfen  der  Rinde  von  AVeidenzwei- 
gen:  ,, Klopp,  klopp  Bullcrj;\n,  lät  dat  schwerk  unnerjän,  lät  de  sunne 
schinn  bes  ollen  Roppin  ( Alt-Ruppin).  In  ollen  Roppln  da  danzen  de 
.schwin,  da  fiddelt  de  buk,  dat  geit  man  so  schmuck!"  Hier  scheint  Thu- 
nar-Bullerjän  um  das  Aufhören  des  Gewitters  und  Sonnenscheins  angerufen 
zu  werden.  Vergl.  oben  S.  81,  Anm.  1;  241.  —  Schmidt,  Brem.  Ammenr. 
S.  47 :  schür  regen,  schür  regen  lät  awergän,  lät  üse  lütjen  kinner  nä  schule 
gän  u.  s.  w. 

4)  Vermland  aus  Bökaströms  Resa  1845.  MSCR.  i.  Vitt.  och.  antiqu. 
akad.  samml.,  mitgeteilt  von  Professor  Stephens.  Katharine,  Katharine  lass 
die  Sonne  scheinen  über  Wipfel,  über  Bäume,  über  Menschen,  über  Vieh,  über 
alle  kleinen  Kinder,  die  in  den  Wald  gehen,  kleine  und  grofse!  Vergl.  das 
zweite  Vexirrätsel  vom  Hund  auf  dem  Glasberg  oben  S.  331. 

25* 


388 

Hiemit  vergleiche  man: 

a. 
das  schon  oben  S.  7  angeführte  Lied: 
Blaue,  blaue  Wolken! 
Maria  hat  gemolken 
Sieben  Küh  in  einem  Stall, 
Jungfer  Katharina! 

b. 
Im  Aargau  redet  man  den  Marienkäfer  (coccinella)  an: 
Lieber  Herrgottschäferli 
flüg  über  de  Rhil 

bring  dem  Herrgottsmüeterli 
es  glas  voll  wi. 

Chäferli  flüg,  flüg  über  de  Rhi, 
säg  der  heilig  Sant  Chäteri 
es  sott  morn  schön  wetter  si. 
Der  Käfer  selbst  wird  in  der  Schveeiz  Ann-Kethri- 
neli  genannt '). 

c. 
Sonnche,  Sonnche  scheine! 
Maria!  Kathareine! 
Zu  Frankfurt  in  dem  Boppehaus, 
Da  gucke  drei  Marie  draus; 
Die  an  spinnt  seire, 
Die  anner  dreht  weire, 

Die  dritte  schliefst  's  Himmelche  auf!  ^). 
Dieses  letzte  Lied  handelt  von  den  bei  Holda  weilen- 
den  drei  Schicksalsjungfranen,   den  Nomen,   worüber  wir 
uns  weiterhin  ausführlicher  zu  verbreiten  haben. 

Wir  begegnen  hier  wieder  der  Vorstellung,  dass  die 
Sonne  hinter  dem  Wolkenbrunnen  im  himmlischen  Licht- 
lande verschlossen  ruht.     Hierzu  vergl.  man: 


1)  Rocholz,  Alemannisches  Kinderlied  und  Kinderspiel  S.  94.  No.  188. 

2)  Messel  bei  Dannstadt  d.  H.  Gluck. 


389 

«. 
Heiland  tu  dein  Türle  auf, 
Lass  die  schöne  Sonne  raus, 
Lass  de  Schatte  drohe. 
Den  Heiland  wöHn  wir  lobe!  '). 

ß- 
Es  geht  a  Türle  in'n  Himmel  nei, 

Laufet  Engele  aus  und  ei; 
Betet  für  mich  Tag  und  Nacht, 
Dass  ich  seHg  sterben  mag  ^). 

7- 
Wo  is  denn  der  Himmel? 
dös  will  i  dir  sogn! 
wenns  Nacht  is  und  dunkel, 
da  schaugst  du  ind'  Höach; 
da  sigst  du  viel  Fenstar 
vu  Glitz  und  vu  Guld; 
durch  dö  schaugst  du  eini 
wie  schön  ist's  decht  do; 
lauter  Silber  und  guldig 
und  a  grofses  Fenstar, 
dös  is  halt  die  Tür; 
do  gehst  du  denn  eini 
sigst  Engel  drei   tanzen, 
und  änar  ist  dabi, 
hat  an  Schlüssl  in  der  Hand, 
hobn  Petrus  sie  genannt^). 

8. 
Liebe,  liebe  Sonne, 
Butter  in  die  Tonne! 
Mehl  in  den  Sack! 


1)  Meier,  Kiuderr.  aus  Schwaben  S.  20,  62. 

2)  Meier  a.  a.  O.   18,  53. 
S)  Tirol  d.   J.   V.  Ziiigerle. 


390 

Schliefs  das  Tor  des  Himmels  aufl 
Liebe  Sonne  komm  heraus!^). 

e. 
Renga,  renga  tropfa, 
schö  blüat  da  hopfa, 
schön  blüat  das  himalkraut. 
Liabi  frau  machs  türl  auf 
lafsn  reng  nei 
läfs  raus  'n  sunnaschei  *). 

Ene  dene  Bohneblatt 

Unsre  Küh  sind  alle  satt. 

Mädel  hast  gemolken? 

Sieben  Geifs  und  eine  Kuh. 

Peter  schliefs  die  Tür  zu, 

"Wirf  den  Schlüssel  über  den  Rhein, 

Morgen  solls  gut  "Wetter  sein^). 
Da  in   dem   S.  388.   No.  a.   beigebrachten  Kiuderreim 
die  Bedeutung  der  von  Maria  gemolkenen  sieben  Kühe  als 
der  "Wolken   s.  o.  S.  7   klar  ist,  welche   während  der  7 


1)  Nordheim,  Zeitsclir.  f.  D.  Mytli.  III,   176,  2. 

2)  Altbayern.  Firm.  II,   703. 

3)  Simrock,  Kinderb. ^  182,  752.  Thüringen  aufgezeichnet  von  Richard 
Krell:  One  tone  Wonneblatt.  Unsre  Küh  sind  alle  satt.  Mädchen  hat  ge- 
molken. Peter  schliefst  die  Türe  zu,  wirft  den  Schlüssel  oben- 
rein. Morgen  solls  gut  Wetter  sein.  —  Adrans  in  Tirol  d.  J.  V.  Zin- 
gerle:  Auo  duo  dorenblatt,  unsre  Küh  sind  alle  satt,  die  Geifs  und  eine 
Kuh.  Tmde  schlag  den  Stall  zu,  wirf  den  Schlüssel  über  den  Rain,  morgen 
muss  ein  (gutes)  Wetter  sein.  —  Messel  bei  Darmstadt  d.  H.  Glock:  Ene 
dene  Dinteblatt,  unsere  Küh  sind  satt;  die  Mad  hat  gemolke  sieben  Geise  und 
e  Kuh.  Peter  schliefs  die  Tür  zu,  wirf  die  Schlüssel  übern  Rhein,  morgen 
solls  gut  Wetter  sein.  —  Hemschlag  in  Westphalen  d.  H.  Lehrer  Kuhn:  Ene 
dene  dicke  dacke!  Meine  Finger  müssen  knacken,  's  Mädchen  hat  gemol- 
ken eine  Geifs  und  eine  Kuh.  Peter  schlief's  die  Tür  zu,  wirf  den  Schlüssel 
über  den  Rhein,  moi-gen  wirds  gut  Wetter  sein.  —  Elsass,  Stöber,  Elsäss. 
Volksbüchl.  25,  40:  Äne  däne  Bohneblatt!  Unsri  Küh  sinn  alli  satt.  Mai- 
del  hesch  gemolke?  Siwwe  Gais  un  e  kueh.  Peder  schliefs  de  Diehr 
zue,  wirf  de  Schlissel  iwwer  de  Rhien,  morge  solls  guet  Wedder  sien !  — 
Aargau,  Rocholz,  Alemann.  Kinderl.  I,  S.  112,  225:  Ane  bane  boneblatt,  wie 
mäng  e  chue  isch  nonig  satt?  Siebe  Geifse  und  e  chueh.  Sant  Peter 
schiebt  de  stalltür  zu,  rUeit  de  Schlüssel  über  de  Rhi,  morn  am  morge 
Solls  schön  Wetter  si. 


391 

Wintermonate  den  Himmel  bedecken,  so  leidet  es  keinen 
Zweifel,  dass  auch  in  unserm  Liede  die  7  Geifse  und  eine 
Kuh  dasselbe  Bild  enthalten.  Geifse  sind  nach  S.  63  eben- 
falls Wolkcnsymbole  ').  Wenn  die  Geifse  und  Kühe  ge- 
molken sind,  die  Wolken  abgeregnet  haben,  tritt  schönes 
Wetter  ein.  Im  Aargau  wird  unser  Lied  gesungen,  wenn 
während  des  Regnens  ein  Regenbogen  aufkommt.  Zur  Be- 
stätigung unserer  Deutung  gereicht  auch  das  Lied: 

Sunna,  sunna  scheint  hoafs 

über  alle  zäun  hoafs, 

über  alle  Wolken. 

Mein  vater-)  hat  schon  g'molken 

ein  kuh,  zwo  goafs 

sunna,  sunna  scheint  hoafs  '^). 
Die  Sonne  scheint  heifs,   weil   die   himmlischen  Kühe 
abgemolken    sind,    keine    Regenwolken    den    Himmel    be- 
decken. 

Sunne,  sunne  schein! 

treib  die  wölken  vor  dein, 

hin  affn  gatter spitz, 

wo  Peater  und  Paule  sitzt; 

wo  kein  häne  krät, 

wo  kein  mader  mät, 

wo  kein  ochse  liegt, 

und  keine  blume  blüht. 

oder: 
Sunne,  sunne  schein, 
treib  die  wölken  vor  dein! 
treib  sie  afih  spitz, 
wo  kein  vögele  sitzt. 


1)  Vergl.  noch  ein  Lied,  das  in  Schwaben  beim  Regen  gesungen  wird: 
„Regle,  regle  wuhrc ,  der  Geifsbock  liegt  im  dure  (Turme),  er  hat  ein 
g'stumpets  kitteli  an,  er  krähet  wie  ein  gockelhahn."  Meier,  Kinderr. 
aus  Schwaben  S.  20,   63. 

2)  =  Tlimiar  =  Atli  =  Godgubben  d.  i.  Väterchen  s.  o.  S.  233. 
3J  Uuterinuthal  in  Tirol.     Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   364. 


392 

treib  sie  äff  Roam 
bekimmst  drei  Schüssel  boan; 
eine  mein,  eine  dein,  eine  unsern  bearrn 
ass  er  lass  scheans  weiter  wearn^). 
Die  Gatterspitze,  das  Falltor,  wo  Peter  und  Paul 
sitzen,   steht  hier   der  in   ^  von  Petrus   bewachten  Him- 
melstür gleich,  in  welche  die  Wolken  eingehen,  die  Hira- 
melskühe  hineingetrieben   werden   sollen.      Roam   ist  mis- 
verstanden  aus  roan  d.i.  rain,  wie  aus  folgenden  Versen 
hervorgeht : 

Sonne,  sonne  fürer  (herfür) 

schatte,  schatte  untere! 

es  leg  se  an  a  roanle, 

find  i  a  goldenes  boanle 

dort  oben  auf  jene  glocka 

steand  drei  docka: 

die  erste  spinnt  seiden, 

die  zweite  lernts  geigen, 

die  dritte  ziehts  lädle  auf, 

lässt  die  heilig  sonn  heraus^). 
Hier  ist  vdeder  von  den  drei  Schicksalsjungfrauen  die 
Rede,  den  Begleiterinnen  Holdas,  die  aus  der  Göttin 
Hause  (Gimill)  die  Sonne  heraus,  den  Schatten  aber 
oben  lassen  sollen,  s.  oben  S.  389  No.  cc.  Ebendahin  sol- 
len auch  die  Regenwolken  getrieben,  dort  sollen  sie  ver- 
schlossen werden,  s.  o.  S.  390  fgg.  s.  y.  »/.  Hiemit  fällt 
nun  ein  helles  Licht  auf  die  verbotene  Tür  in  unsern  Mär- 
chen. Hinter  einem  Walde,  heifst  es,  fliefst  ein  Strom, 
weit  hinter  diesem  ein  zweiter  Strom  und  weit  dahinter 
liegt  das  Himmelreich.  In  einem  herrlichen  Garten  voll 
prächtiger  Blumen  steht  hier  das  goldene  Schloss.  Ein 
Prinz  gelangt  dahin  und  erlöst  eine  verwünschte  Königs- 
tochter, die  ihn  nun  in  alle  Zimmer  des  Schlosses  führt. 
Nur  ein  Gartenhäuschen   bleibt   verschlossen,   sie   ver- 


1)  Lesachtal  in  Kärnthen,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  32,   1.   33,  4. 

2)  Meier,  Kindern  aus  Schwaben  S.  21,  66. 


393 

bietet  ihm  den  Eintritt.  Als  er  neugierig  dennoch  eintritt, 
sieht  er  von  hier  aus  die  ganze  Welt,  d.h.  er  befindet 
sich  im  höchsten  Himmel  =  nord.  ViSbläinn.  Das 
goldene  Schloss  mit  dem  verbotenen  Gemach  ist  =  Gimill, 
und  es  ist  klar,  weswegen  wir  die  beiden  goldenen 
Böcke  Thunars  d.  i.  die  Wolken  oben  S.  177  hinter 
der  verbotenen  Tür  in  Holdas  verschlossener  Kam- 
mer finden  konnten  '). 

Die  Wolken  sollen  über  den  Rain  getrieben  werden. 
„Treib  sie  auf  die  Gatterspitze,   treib  sie  auf  den  Rain." 
Am   Tage   der  Sommersonnenwende   warf   oder  wirft 
man  angezündete  Räder  als  Abbilder  der  Sonne,  die  ih- 
ren höchsten  Punkt  erreicht  hat  und  nun  wieder  abnehmen 
soll   bei  Deutschen   und   Franzosen   hoch    in   die   Luft,   so 
dass  sie  einen  Bogen  beschreiben    und  endlich  in  ein  na- 
hes Gewässer  niedertauchen  ^).    Die  dabei  gesungenen  Lie- 
der beginnen  häufig  mit  dem  Spruche: 
Scheib  aus,  scheib  ein, 
flieg  über  den  rain, 
oder  misdeutet  „über  den  Rhein"  ^),  und  wiederum  singen 
die  Kinder  die  Sonne  an: 

Sunue,  sunne  schine 

fär  iwwer  de  Rhine, 

fär  iwwer's  glockehüs 

kumm  ball  widder  in  unser  hüs!  *). 
Das  Wort  rain  bezeichnet  „den  gegen  ein  Moor  oder  ge- 
gen ein  Wasser,  besonders  Flussbett  abhängigen  Rand 
des  höheren  Bodens,  Uferhang" ^),  oder  „einen  schmalen 
mit  Grase  bewachsenen  Strich  Landes,  welcher  zwi- 
schen zweiAeckern  ungepflügt  bleibt  und  zur  Grenze 
dient,   daher   die   Grenze   einer  Dorfflur,   auch   wol 


1)  S.  die  Zeugnisse  über  die  verbotene  Tür  vorläufig  bei  Wolf,  Bei- 
träge I,   23   fgg,    103.     Ploennies,  Kudrun  S.  210. 

2)  S.   Grimm,  Myth.^    586.   587.     Panzer,   Beitrag  II,   538  fgg. 

3)  Meier,   Scliwäb.   Sagen   381,   22.     Vergl.   oben  S.  388,  b;   390,   t- 

4)  Strafsburg  im  Elsass.    Firm.  II,  524  aus  Stöbers  Volksbüchl.  S.  40,  78. 

5)  SchmcUer,  Bair.  AVB.  III,   'J4.     Vergl.    mhd.    bi    des   mers  reine,    an 
eines  Stades  reine. 


394 

jede  Grenze').  Deswegen  heifst  mhd.  ze  reine  angren- 
zend. Wenn  die  Sonne  daher  am  längsten  Tage  über 
den  Rain  fahren  soll,  um  fortan  abwärts  zu  laufen,  so  ist 
damit  offenbar  eine  Grenz  seh  ei  de  an  höchster  Stelle  des 
Himmels  gemeint.  Anders  dagegen,  wenn  es  bei  trübem 
Himmel  heifst,  dass  die  Sonne  über  den  Rain  fahren  soll, 
um  wieder  zu  leuchten,  die  Regenwolken  dagegen  über 
denselben  R a i n ,  der  bei  der  Himmelstür  (Gatterspitze) 
liegt,  sich  entfernen.  Das  elbische  Lichtreich,  Engel- 
land, der  Glasberg  liegt  nach  unseren  Untersuchungen  hin- 
ter dem  Brunnen,  dem  himmlischen  Gewässer.  Wo 
sich  demnach  die  Tür  des  Himmels  Öffnet  ist  ein  Fluss- 
abhang, über  den  die  Sonne  heraustritt,  die  Wolken  hin- 
eingehen. 

Das  goldene  Bein,  die  „drei  Schüssel  boan," 
welche  bei  diesem  Vorgang  erwähnt  werden,  scheinen  ei- 
nen engen  Zusammenhang  mit  den  Beinen  zu  verraten, 
mit  welchen  Engelland  und  der  Glasberg  geöffnet  wer- 
den, doch  liegt  mir  die  Sache  noch  nicht  klar. 

Kloppe,  kloppe  Ringelchen! 

„Da  kommen  zwei  arme  Kingerchen." 

Gebt  en  get  un  löt  se  gön, 

Dann  wird  de  Himmelstür  offenstön. 

Da  kümmt  Maria  Müder 

Mit  dem  güldenen  Bruder, 

Hat  eu  Stöckelche  in  der  Hand, 

Da  drieft  se  de  Wolken  mit  durch  das  Land. 

Wolke,  Wolke  lauf! 

Maria  die  hat  gerufe  in 

Sieben  Küh  und  einen  Strik  (strik,  Euter?) 

Lirum,  larum  hickepick  ^). 


1)  Heinsius,  Volksthütnl.  Wörterb.  d.  D.   Sprache. 

2)  Wiehl,  Kreis  Gummersbach  Regierungsbezirk    Köln.      Vergl.  oben  S. 


326.  Anm.  1. 


395 

Dieses  Lied  giebt  unseren  vorherigen  Untersuchungen 
Bestätigung.  Maria  (Holda)  treibt  mit  ihrem  Stabe  (der 
auch  der  Herodias  s.  o.  S.  59,  so  wie  Frau  Rose,  Sole 
S.  274  No.  4;  278  No.  7.  8;  283  No.  14  zusteht)  die  Wol- 
kenkühe durch  das  Himmel  stör  in  ihr  Lichtreich. 

Wie  alt  unsere  Lieder  sein  müssen,  sieht  man  aus  ih- 
rer weiten  Verbreitung.     Die  catalanischen  Kinder  singen: 

San  Santa  Clara 

fen  fujir  la  nuvolada 

Sant  Agusti  fen  aclari' 

Sant  Oriol  fen  sorti'-l  sol. 

Si  San  Josep  ho  vol,  fara  bon  sol, 

Si  San  Josep  ho  vol,  fara  bon  sol'). 
Bereits  die  Griechen  kannten  einen  Kinderspruch,  der 
Aehnlichkeit  mit  unsern  Sonnenliedern   hatte.     Er  lautete 
oder  es  kamen  darin  die  Worte  vor:    „e^s'/   ^J  ^/''^^'   »i^«," 
„Komm  hervor  liebe  Sonne"  ^). 

Bei  aller  Uebereinstimmung  im  Vorwurf  zeigen  die 
aufserdeutschen  Sonnenlieder  jedoch  bedeutende  Verschie- 
denheiten in  der  Ausführunfr.     In  Italien  verzeichnet  Gal- 


1  )      Heilige,  heilige  Clara 

Mache  fliehn  die  Wolken! 

St.  Augustin  lass  es  sich  aufklären! 

St.  Oriol  lass  die  Sonne  hervorkommen! 

Wenn  St.  Joseph  will,  macht  er  Sonnenschein. 

Wenn  St.  Joseph  es  will,  macht  er  schönen  Sonnenschein. 
Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Mila  y  Fontanal  in  Barcellona.  Andere  Lieder 
sind:  Plou  y  fa  sol.  La  Verge  Maria,  La  Verge  Maria  ha  parit  un  noy. 
„Es  regnet  und  es  scheint  die  Sonne.  Die  Jungfrau  Maria,  die  J.  M.  hat 
ein  Kind  geboren."  —  ,,Plou  y  fa  sol  —  las  brujas  vers"  oder  ,,ballan." 
Es  regnet  und  scheint  die  Sonne,  die  Hexen  striegeln  oder  tanzen. 

2)  PoUux  IX,  7:  »;  äi  »*|f;^'  w  <{>(^'  ^/Itf"  natäid  y.Qorov  i'/ti  riöv 
■jialömv  aiiv  tw  iii(ßorj/iari,  tovto),  onöxav  virpoi;  iii,dt^(iii>,  lov  &iov.  o&fv 
y.al  ScQäziK;  iv  'I'oiriaacaq.  Ei&'  ijXioq  fitv  71  tl&ixav  xolq  nai- 
öioii;,  oTai'  li'/ütaiv  i^e/,'  w  (pik'  ijkic-  —  Eustath.  881,  42  merkt 
zu  II.  XI,  733  über  'HAioi;  q,ak&wv  an:  y.wXdoiov  oiV  rt  na.()0  i/müdtq 
^ILoq  J(wi'i'(Ttös  qp^jffn'  vno  Tiafdoiv  ).t'/in&ni,  Jj/Aotu'  i'iex^i'^'  »  iar^y 
hiTirccky.eiai  xov  tJXiov.  'AQKTioqdirjt;'  ke'iiit;  ok/  wanto  t«  naiüta  f'itx 
0)  (plV  i'ßis  Tjyovv  dräinlnv.  Vergl.  Aristoph.  Nijawi'  fragni.  IV.  Dindorf. 
—  Athenaeus  Deipnosoph.  XIV.  ed.  Casaub.  619,  8  meldet,  dass  ein  dem 
Apollön  zu  Ehren  gesungener  Hymnus  ijdt  €??  'AnökXwa  mdrj  ff iA>;J.ta<; 
heifse,  womit  er  offenbar  unser  Lied  meint. 


396 

liani,  der  Sammler  neapolitanischer  Kinderlieder  einen  Reim, 
der  auf  den  Gassen  Neapels  beim  Regen  gesungen  wird: 

Jesce,  jesce  sole 

scajenta  'mperatore  u.  s.  w. 
d.  i.  „Komm  hervor,  komm  hervor  Sonne!  erwärme 
(unsern)  Kaiser"  '). 

In  den  piemontesischen  Gebirgen  singt  man: 

1. 

Sol  mirasol 

tre  galine  suna  rol 

tre  gai  ant  un  castel, 

preghe  Dio  c'a  fassa  bei  ^). 

2. 
Sol!  Sol! 

büta  fora  el  to  calor 
la  Madona  va  per  fior 
va  eojine  'n  massolin 
per  portelo  a  Gesü  bambin^). 

3. 
Sol!  Sol! 

büta  fora  '1  to  calor 
ven  scandeme 

va  nen  scande  coula  vejassa 
c'ä  l'e  scondiia  dre  d'  la  pojassa  '*). 

1)  S.  Liebrecht,  der  Pentamerone  des  Basile  II,  S.  253.    Den  vollstäudigen 
Text  dieses  Liedes,  sowie  noch  einen  neapolit.  SonnenhjTiinus  s.  weiter  unten. 

2)  Sonne,  "Wundersonne! 
Drei  Hühner  auf  einer  Eiche, 
Drei  Hähne  auf  einer  Burg. 

Bittet  Gott,  dass  es  schön  werde. 

3)  Sonne,  Sonne! 
Verbreite  deine  Wärme. 
Maria  geht  aus  nach  Blumen, 

Sie  geht  ein  Sträufschen  sammeln. 
Um  es  dem  Jesuskind  zu  geben. 

4)  Sonne,   Sonne! 
Verbreite  deine   Glut, 
komme  mich  wärmen, 
Wärme  nicht  das  alte  Weib 
Das  sich  hintemi  Bett  versteckt. 

Mitteilung  des  Herrn  Cavaliere  Costantino  Nigra  in  Turin. 


_  ^97  _ 

So  verlockend  es  ist,  diese  Lieder  mit  Hilfe  der  durch 
unsere  bisherigen  Untersuchungen  in  Deutschland  aufge- 
deckten Bildersprache  zu  deuten,  lassen  wir  das,  bis  uns 
eine  zusammenhängende  Einsicht  in  die  Symbolik  der  ita- 
liänischen  Volkspoesie  gestattet  sein  wird.  Von  den  deutschen 
noch  weiter  ab,  als  die  piemontesischen  Lieder,  die  im- 
merhin auf  germanischem  Grunde  fufsen  könnten,  liegt  fol- 
gender slavischer  Sonnengesang: 

O  scheine,  scheine  Sonne;  o  liebe  Sonne! 

Ich  kann  dir  nicht  scheinen  vor  grofsem  Schmerz. 

Wenn  ich  Morgens  hervorgehe  zanken  mit  einander 

die  Mägde, 
Wenn  ich   Abends   niedergehe,   so    sprechen   Lügen 

die  Hirten, 
Wenn  ich  scheine  in  der  Ebene,  sehe  ich  nur  Waisen, 
Wenn  ich  scheine  in  dem  Tale,  sehe  ich  nur  Bettler'). 
6)  In  französisch  Flandern  singen   die  Kinder: 
Haene  swaene  witte  pleck 
■  wanneer  gaet  gy  over't  waetertche  gaen? 
wilt  gy  wel  voren  liegen?  (?), 
ik  zag  een  mulletje  vliegen 
zeven  boomen  hoosfe. 
de  mullenaer  zaet  daer  bowen 
met  een  knippel  en  zyn  band, 
hy  zmeet  van  daer  naer  In  gell  and. 
(Van  Ingelland  naer  Spanien, 
als  hy  in  Oranien  kwam, 
raed  wat  dat  zy,  dat  hy  daer  vornam?;^). 


1)  P.  J.  Szafarzyka  Slowiaiiski  uarodopis.  Pohl,  übers.  Breslau  1843. 
S.  210.  Zu  erwähnen  ist  noch:  dass  sogar  ein  grönländisclies  Lied  an  unsere 
Sonnenhymneu  anklingt : 

Einer:  Die  liebe  Sonne  kommt  zurück! 
Chor:    Amua  ajah !  ajah!   aha! 
Einer:  Und  bringt  uns  Wetter  schön  und  hell. 
Chor:    Amna  ajah!   ajah!   aha! 
Talvj.  Versuch  einer  geschichtlichen  Charakteristik  des  Volksliedes  S.  115. 

2)  Mitteilung  Louis  de  Baeckers.  Hahn,  Schwan,  Weilsfleck!  wann 
willst  du  übers  Wasser  ziehn?  Willst  du  vorher  noch  lügen?  ('?).  Ich  sah 
(schon)  einen  Käfer  fliegen  sieben  Bäume  hoch.    Der  Müller  safs  da  oben  mit 


398 

Wir  sahen  bereits  oben  S.  371,  dass  der  Marienkä- 
fer und  der  Schmetterling  mit  dem  gleichen  Namen 
Marihöne  belegt  werden.  Wie  der  letztere  in  Deutschland 
Miller  heifst,  wird  der  Käfer  in  mehreren  Gegenden 
Hollands  und  Belgiens  Mulletje  benannt.  So  in  unserra 
Liede,  das  folgenden  Inhalt  hat,  Es  gewittert*).  Der 
Schwan  s.  oben  S.  328  fgg.  und  der  Käfer  s.  o.  S.  354 
fgg.  fliehen  in  das  Engelland,  ihre  Heimat  zurück.  Oben 
sitzt  der  Gott  mit  der  Keule  (des  Blitzes),  Thunar  ^),  und 


einer  Keule  in  der  Hand.     Er  selimiss  von  da  nach  Engelland  (von  Engel- 
land nach  Spanien.     Als  er  nach  Oranien  kam,  rate,  was  er  da  vernahm). 

1)  Sehr  beachtenswert  ist  der  schwäbische  Fluch:  ,,Wenn  dich  nur  ein 
heiligs  siedigs  kreuzmillionendonuerwetter  nach  England  (d.i.  ins  To- 
tenreich) hineinschlug.''     Meier,   Schwab.  Sagen   169,   191. 

2)  Für  die  Auffassung  Thunars  als  Müller  lassen  sich  folgende  Spuren 
namhaft  machen.  Die  älteste  Form  der  Mühle  war  eine  Stampfe  oder 
ein  Mörser  (s.  Beckmann,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Erfindungen  II,  8 
fgg.).  Die  Keule  Thunars,  der  zermalmende  Mjölnir  konnte  daher  sehr 
wol  als  Mörserkeule  aufgefasst  werden,  welche  in  einer  himmlischen  Mühle, 
der  Wolke,  den  Regen  imd  Schnee  stampft,  mahlt.  Bergmann  übersetzt 
in  seinen  Avantures  de  Thor  das  Wort  Mjölnir  gradezu  meünier  und  altii. 
mjöU  d.  i.  das  Zermalmte,  Gemahlene  bezeichnet  den  feinen  mehlartigen  Schnee, 
altnord.  molna  gemahlen  sein,  zerbröckeln,  schwedisch  moln  die  Wolke 
In  Deutschland  sagt  mau  beim  Schneefall:  ,,Es  schlagen  sich  Bäcker  und 
Müller;"  der  Schwabe  spricht,  wenn  recht  grobe  Flocken  kommen:  ,,Das 
kommt  durch  den  groben  Beutel  (wie  das  Mehl  in  der  Mühle),  schneit 
es  aber  fein:  ,,Das  kommt  durch  den  feinen  Beutel,  die  müssen 
viel  Zeit  gehabt  haben,  die  das  hackten."  ,,Der  Schnee  wird 
nämlich  während  des  Sommers  im  Himmel  klein  gehackt."  Meier, 
Schwab.  Sagen  261,  292,  1.  Thors  Mjölnir  ruft  auch  Schnee  hervor,  s.  o. 
S.  141.  142.  Nun  sahen  wir  bereits  oben  S.  273,  dass  mit  dem  Jimgbnin- 
nen,  d.  i.  der  Wolke,  eine  jungmachende  Mühle  verbunden  war.  In  Schwa- 
ben antwortet  man  auf  eine  unberufene  Frage,  z.  B.  wo  man  dies  oder  das 
gekauft  habe:  Zu  Trippstrill  in  der  Pelzmühl,  wo  man  die  alten 
Weiber  mühlt.  Am  Fufse  des  Michelsberges  im  Zabergäu,  der  ehemals 
Gudinsberg  oder  Wudinsberg  hiefs,  liegen  noch  drei  oder  vier  Gehöfte, 
die  den  Namen  Trippstrill  führen,  wo  sich  das  Andenken  der  Mühle,  in 
der  die  alten  Weiber  eine  neue  Haut  bekommen  sollen,  noch  im  Namen  Pelz- 
hof,  für  ein  an  mehreren  Bächen  gelegenes  Gehöft  erhalten  hat.  Meier, 
Schwab.  Sagen  S.  298,  336.  In  Thüringen  lautet  die  Antwort  auf  die  Frage, 
wohin  man  gehe  (oder  woher)  mau  komme:  ,,Nach  (von)  Tripstrill  auf  den 
Federmarkt.  Bechstein,  Deutsches  Sagenbuch  S.  772,  950.  Ueber  den  Na- 
men Tripstrill  s.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  196.  In  der  Sage  vom  Schretel 
und  dem  "Wasserbär,  die,  wie  nun  allgemein  anerkannt  ist,  einen  Kampf  des 
bärgestalteten  Thunars  mit  dem  Dämon  schildert,  ist  der  Schauplatz  des  Strei- 
tes nicht  beziehungslos  eine  Mühle.  Auch  der  starke  Hans  oder  Dreizehn 
des  Märchens,  der  —  wenn  man  auch  Wolfs  unmittelbare  Zusammenstellung 
mit  dem  nordischen  Thörmythus,  Beitr.  I,  95  fgg.  nicht  gelten  lassen  kann 
—  auf  einen  Gewittergott  zurückführt,  kämpft  mit  Teufeln  in  einer  Mühle. 


399 

wirft  dieselbe  über  die  Lande  nach  Engelland,  er  treibt  in 
dieses  Lichtreich   die   Regenwolken,    welche    den   Himmel 


In  der  Zwergen%vohming  schwebt  ein  Mühlstein  über  den  Häuptern;  das 
muss  der  Blitz  sein,  wenn  die  Zwerge  Wolkendämonen  sind.  S.  Kuhn,  Nordd. 
Sagen  S.  321  fgg.  Im  Märchen  von  Machandelböm  fällt  unter  Donner  und 
Blitz  der  bösen  Stiefmutter  ein  Mühlstein  aufs  Haupt,  s.  oben  S.  64.65. 
Nicht  ohne  Grund  wird  gedroht,  dass  eine  Mülile  abbrennen,  vom  Blitz 
getroffen  werden  soll,  welche  mit  rotem  Tuche  gedeckt  ist,  s.  o.  S.  13, 
Anm.  7.  Wir  sahen  o.  S.  221  fgg.  Thors  Berührung  mit  FroSi.  Von  diesem 
heifst  es,  dass  er  eine  Mühle  mit  Namen  Grotti  besafs,  welche  Gold,  Glück, 
Frieden,  ein  Kriegsheer,  kurz  alles  was  der  Müller  wollte,  mahlen  konnte. 
Sie  versank,  vom  Könige  Mysiugr  geraubt,  im  Meer,  wo  sie  fortwährend  Salz 
mahlt  und  daher  ist  die  See  salzig  (Skäldskaparm.  k.  43).  Dieselbe  Ueber- 
lieferung  ohne  FroSis  Namen  hat  sich  in  der  nordischen  Volkssage  erhalten. 
Ein  armer  Mann  ringt  in  der  Hölle  den  Teufeln  eine  Handmühle  ab, 
die  ihm  Essen,  Gold  und  alles  was  er  wünscht  mahlt.  Zuletzt  verkauft 
er  sie  an  einen  Schiffer,  der  auf  dem  Meere  damit  Salz  mahlt,  worauf  die 
Mühle  ins  Meer  sinkt  und  die  ganze  See  versalzt.  Asbjörnsen  und  Moe  über- 
setzt von  Bresemann  II,  182,  20.  Auch  in  Deutschland  ist  die  gleiche  Ueber- 
Üeferung  im  Volksmunde  bewahrt.  S.  Colshorn,  Märchen  und  Sagen  S.  173. 
No.  61.  vergl.  No.  25.  32,  und  unsere  Volkslieder  berichten  noch  von  Müh- 
len, welche  über  Nacht  oder  an  jedem  Morgen  Silber  und  Gold  mahlen 
(s.  z.  B.  Uhland  I,  77J.  Ist  die  Eroberung  der  Mühle  aus  der  Hand  der 
Teufel,  d.  i.  der  alten  Wolkcndämonen,  alt  und  echt,  so  wird  schon  dadurch 
wahrscheinlich,  dass  die  Mühle  Grotti  ursprünglich  die  Wolke  bedeutete, 
■welche  indem  sie  gemahlen,  des  Schnees  oder  Regens  entledigt  wird  Fr  uch  t- 
barkeit  und  Reichtum,  so  wie  das  Sonnengold  spendet;  oder,  wenn 
sie  unablässig  mahlt,  im  himmlischen  Gewässer  aufgeht.  Das  Salz  ge- 
hört dann  dem  Erklärungstrieb  einer  späteren  Zeit  an,  welche  das  Himmels- 
meci,  wie  so  oft  geschah,  auf  das  irdische  Gewässer  übertragen  hatte.  Unsere 
Auffassung  wird  bedeutsam  durch  das  finnische  Epos  unterstützt.  Dieses  er- 
zählt bekanntlich  von  einer  Wünschelniühle  Namens  Sam.po,  welche  auf  der 
einen  Seite  eine  Mehlmülile,  auf  der  andern  eine  Salzmühle,  auf 
der  dritten  eine  Goldmühle  ist,  s.  Kalevala  R.  X,  414  —  416.  Sie 
wird  von  Ilmarinen,  dem  finnischen  Luftgott,  der  den  Himmel  imd  den 
Deckel  der  Luft  (ilman  kansi)  geschmiedet,  auch  Sonne  und  Mond  aus 
Gold  und  Silber  zu  fertigen  versucht  hat,  kunstvoll  gefügt  aus  einer  Schwan- 
feder (joukkosen  sulka)  dem  Kraut  Ackerwolle,  dem  Stück  einer  Spindel 
(värttiuän  muru),  eines  Lammes  Knochen  und  einer  unfruchtbaren  Kuh  Milch. 
Die  böse  Nordlandswirtin  Luohi  schliefst  den  Sampo  ,,in  des  Nordlands  F  el- 
senberg,  in  den  festen  Berg  von  Kupfer."  Später  fängt  sie  Sonne, 
Mond  und  Gestirne  ein  und  verbirgt  sie  in  eben  demselben  Birge,  der  den  Sampo 
barg.  Sechs  Jahre  wird  die  Sonne,  acht  Jahre  der  Mond,  neun  Jahre  der 
Wagen,  zehn  Jahre  das  übrige  Gestirn  am  Himmel  vermisst.  Göttliclie  Hel- 
den befreien  Sonne ,  IMond  und  Sterne  aus  dem  Felsenberg.  Ebendaher  ha- 
ben sie  schon  frülier  den  Sampo  geraubt,  und  sind  damit  ihrer  Heimat  zuge- 
rndert.  Aber  Louhi  folgte  ihnen ,  und  sclilonderte  mit  ihrem  kleinen  Finger 
Sampo  ins  Meer,  so  dass  er  in  Stüclve  brach.  Ein  Teil  dieser  Stücke 
fiel  auf  den  Grund  desOceans  und  davon  rühren  die  Schätze  des 
Meeres  her,  ein  Teil  wird  vom  Sturm  an  den  Strand  von  Kalevala  gewor- 
fen und  begründet  dieses  Landes  Wolstand,  Louhi  behielt  nur  den  bunten 
Deckel  der  Mühle  (kirjokansi),   der  sonst  unzertrennlich  mit  Sampo  verbun- 


400 

verdüstern.  —  Die  misverständliche  Fassuns;  des  Eno-elrei- 
ches  als  Grofsbritannien  veranlasste  die  Fortsetzuno-  „von 
Engelland  nach  Spanien  u.  s.  w." 

7)  Dass  der  Ort,  wohin  die  Wolken  gewiesen  werden 
wirkhch  das  Lichtreich  Engelland  ist,  und  dieses,  als 
Seelenreich  gedacht  wurde,  geht  aus  folgendem  Liede 
hervor. 

1. 

Peterchen  liefs  sich  sein  Pferdchen  beschlagen 
Liefs  es  den  hohen  Berg  hinauftraben. 
Vom  hohen  Berg  ins  tiefe,  tiefe  Tal  '). 
Pferdchen  komm  mir  nicht  zu  Fall. 


den  erscheint.  —  Was  bei  Betrachtung  dieser  Sage  zunächst  unwiderleglich 
in  die  Augen  springt  und  darum  auch  von  J.  Grimm  und  A.  Schiefner  bereits 
anerkannt  wurde,  ist  die  genaue  Uebereinstimmung  mit  der  Froöisage  (s.  J. 
Grimm,  Zeitschr.  f.  Wissensch.  d.  Spr.  I,  29).  Die  Aehulichkeit  ist  so  grofs, 
dass  sie  nur  auf  Entlehnung  ■von  der  einen  oder  anderen  Seite  beruhen  kann. 
Nun  hat  bereits  Schiefner  sehr  wahrscheinlich  gemacht,  dass  der  Name  Sampo 
aus  dem  germanischen  starapa  Stämpfel,  Mörserkeule  entlehnt  ist  (s.  Schief- 
ner, Zur  Sampomythe  im  finnischen  Epos  1850.  Abdruck  aus  Bull,  histor. 
phil  t.  YIII.  No.  5.  S.  2).  Da,  wie  Castren  (über  die  Ursitze  des  finnischen 
Volkes  1849.  S.  6)  urteilt,  „mehrere  Zweige  des  finnischen  Stammes  (Finnen, 
Ehsten  und  Lappen)  während  mehr  als  tausend  Jahren  in  naher  Berührung 
mit  sowol  germanischen  als  auch  slavischen  Nationen  gelebt  haben,  welche 
ihre  Bildung  auf  den  genannten  Stamm  impften  und  zu  einem  nicht  ge- 
ringen Teil  seinen  ursprünglichen  Schöpfungtrieb  unterdrück- 
ten," so  ist  es  von  vorneherein  nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie  wie  den  Na- 
men, so  die  Mythe  vom  Sampo  von  den  Germanen  erhielten,  und  zwar  zu 
einer  Zeit  als  die  Sage  von  dieser  wunderbaren  Mühle  noch  eine  ursprüngli- 
chere und  durchsichtigere  Gestalt  als  die  FroÖisage  in  der  Edda  hatte.  Je- 
ner bunte  Deckel  (kirjokansi),  der  zum  Sampo  gehört,  ist  nach  dem  kla- 
ren Zeugnis  der  Kalevala  selbst  das  Firmament,  das  sternbesäte  Him- 
melsgewölbe (ilman  kansi).  S.  Schiefner,  Zur  Sampomythe  S.  7  und 
Schiefiier,  Me'langes  Busses  1852  II,  S.  230.  Die  Mühle,  deren  Deckel  das 
Firmament  ist,  kann  füglich  nichts  anderes  sein  als  die  Wolke.  Erinnern  wir 
uns  ferner,  dass  Schwan,  Gewebe,  Kuh  germanische  Wolkensyrabole  sind, 
so  mag  daraus  vielleicht  die  Zusammensetzung  des  Sampo  sich  erklären.  Un- 
sere Untersuchungen  haben  ferner  ergeben  dass  Sonne,  Mond  und  Wolke 
nach  altgermanischem  Glauben  vom  Dämon  im  Berg  eingeschlossen  wurden, 
8.  oben  S.  1G8  fgg.,  woraus  Thunar  sie  befreit.  Auch  macht  Schiefner,  Zur 
Sampomythe  S.  8  auf  die  Berührung  von  Louhi  der  Nordlandswirtin  mit  Loki 
aufmerksam,  dessen  Name  altgerm.  Luhha  gelautet  haben  muss.  Vergl.  Sim- 
rock,  Handb.  d.  D.  Myth.  I,  S.  134.  S.  auch  Pröhle,  Kinder-  und  Volks- 
märchen S.  77.   78. 

1)  Zu  diesem  Anfang  vergleiche  man  Schmidt,    Bremenser  Ammenreime 
S.  24.  25. 


401 

Fair  ich  denn,  so  bin  ich  tot, 

Begräbt  man  mich  unter  die  Rosen  rot. 

Es  wachsen  drei  LiHen  wol  auf  dem  Grab, 

Ein  Bauer  bricht  die  Lilien  ab. 

Bauer  lass  die  Lilien  stehn, 

Die  Himmelstür  wird  offengehn. 

Maria  Gottes  Amme 

Kommt  mit  dem  weifsen  Lamme, 

Weist  die   Wolketi  über  Land 

(Von  Brabant)  nach  Engelland, 

(Von  Engelland  nach  Spanien, 

Mit  Aepfeln  und  Kastanien !)  *). 

2. 

Pitterken  let  sik  sin  padschen  (Pferdchen)  beschlön, 

let  et  dem  hoagen  berg  eropgön, 

hoagen  berg  on  depen  dal. 

wenn  ek  fall,  dann  si  ek  doat, 

begrawen  se  mek  onger  de  roasen  roat. 

wenn  de  roasen  fallen, 

sengen  de  nachtigallen. 

koamen  drei  leljen  wal  op  dat  graf, 

büer  brek  de  leljen  af. 

„büer  16t  de  leljen  stön; 

de  hemelsdör  wart  öpen  gedon. 

kömmt  Marien  broder 

met  der  geulen  (goldenen)  möder, 

wist  de  wölken  öwer  et  land 

(von  Brabant)  no  Engelland, 

(von  Engelland  no  Spanien, 

de  äppel  on  de  kastanien)  '^). 

3. 
Pitterken  let  sik  dat  pedken  beschlön 
let  et  den  hüen  berg  herop  gon. 


1)  Simrock,  Kiiulerb.^    36,    148. 

2)  Elbcrfeld  Firm.   I,   425. 

2G 


402 

op  den  hüen  berg  en  int  depe  dal, 
wo  dat  Pitterken  sterben  sali  '). 
sterwt  he  denn,  so  is  he  düt 
begräwen  s'en  onger  de  rüse  rüt, 
stechen  lelgen  wall  up  dat  graf; 
da  körnt  de  bür  on  plökt  se  af. 
bür  löstu  mi  de  lelgen  ston! 
de  heramelsdür  würd  opgedon, 
da  körnt  Maria  möder 
met  eren  jöngsten  bröder, 
de  hat  en  schap  wall  en  de  band, 
de  reit  dornet  no  Broband  ^). 

4. 
Piterken  let  sin  perdschen  beschlon 
let  et  den  bogen  berg  opgön, 
den  bogen  berg,  den  depen  dal, 
Gott  weifs,  wanneh  dat  ik  sterben  sali 
und  wenn  ich  sterb'  so  bin  ich  tot, 
begraben  sie  mich  in  die  grüne  gruft 
und  setzen  drei  liljen  op  dat  graf. 
dann  kommt  de  bür  un  plükt  se  af. 
„bür,  bür  16  mir  die  liljen  stön." 
die  himraelsdür  ward  opengedön, 
do  kömmt  Marien  möder 
mit  dem  goldenen  bröder 
hat  en  stöckelschen  an  der  hangk 
driwt  de  wölken  no  Brobangk. 
de  schlotel  es  tebroken. 
wo  soll  ver  enen  maken? 
van  stenen,  van  benen. 
krüp  derdorch  allene!  ^). 

1)  Diese  Lesart  hat  auch  die  sonst  ganz  unvollständige  Recension  Firm. 
I,   397.     Daraus  Simrock,  Kinderb.^   36,    147. 

2)  Wemelskirchen ,  Leysers  hss.  Nachlass.  Der  Band  aus  dem  ich  diese 
Reime  entnehme,  führt  die  AHfschrift:  „Lieder  und  Reime  aus  alter  Zeit.  Ber- 
lin  1834—35.     Wolfenbüttel  Octbr.  Novbr.    1835. 

3)  Luttringhausen.     Firm.  III,    194.     Vergl.  Barmeu:    Peterchen   let  sik 


403 

5. 

Hans  Pitterken  liet  sin  perdschen  beschlön, 

he  liet  et  den  bogen  berg  herop  gön. 

Den  bögen  berg,  dat  diepe  dal, 

wo  Hans  Pitterken  sterwen  sali. 

Sterwt  be  dann,  dann  is  he  döt, 

begrawen  wi'n  onder  de  rosen  rot. 

Wann  de  rosen  fallen, 

sengen  de  nachtigallen. 

Wenn  de  nachtigallen  sengen, 

sali  Hans  Pitterken  et  graf  rütsprengen '). 
Koberstein  hat  in  seiner  schönen  Abhandlung-  „Üeber 
die  in  Sage  und  Dichtung  gangbare  Vorstellung  vom  Fort- 
leben abgeschiedener  menschlicher  Seelen  in  der  Pflanzen- 
welt" ^)  bewiesen,  dass  nach  dem  Glauben  unseres  Alter- 
turas die  Seelen  Verstorbener  zuweilen  in  Blumen,  zumal 
Lilien,  die  aus  dem  Grabe  bervorwucbsen,  übergingen,  und 
von  hier  aus  in  anderer  Gestalt,  z.  B.  als  Vögel,  den  Weg 
in  höhere  Regionen  fortsetzten.  So  stirbt  nach  unserm  Liede 
Peter.  Seine  Seele  erscheint  als  Lilie  auf  dem  Grabe.  Als 
der  Bauer  diese  abbricht,  eilt  sie  zum  himmlischen  Reiche 
der  Seligen  weiter.  Die  Tür  desselben  öffnet  sich,  die 
Wolken,  welche  den  Himmel  verdecken,  den  Zugang  ver- 
sperren, werden  von  Holda  (Maria)  hinweggeführt  und  ins 


sin  padschen  beschlön,  dat  sali  den  bogen  berg  rop  gon,  den  bogen  berg,  den 
depen  dal.  Gott  wet  wanner  ek  sterwen  sali.  On  wenn  ek  sterw ,  dann  si 
ek  dot,  begi'awen  se  mi  enger  de  rosen  rot.  On  wenn  de  rosen  fallen,  dann 
sengen  de  nachtegallen.  Büer  lät  de  lelgen  stän!  De  hemelsdör  wart  open- 
gedän;  kommt  Maria  moder  mit  dem  goldenen  broder,  het  cn  stöcks- 
ken  an  der  band  on  reist  domet  no  Broband.  —  Crefeld  d.  H.  Greef:  Pit- 
terchen  liefs  sich  sein  Pferdeben  beschlagen,  liefs  es  den  hohen  Berg  hinauf- 
jagen, je  höher  der  Berg,  je  tiefer  das  Tal,  wo  das  Pferdeben  sterben  soll. 
Stirbt  es  denn,  so  ist  es  tot,  begraben  wirs  unter  die  Rosen  rot,  pflanzen  wir 
BlUmlein  auf  das  Grab;  dann  kommen  die  Engel  und  pflücken  sie  ab. 
Rosen  will  ich  tragen  bis  zum  jüngsten  Tage,  bis  da:=s  die  Engelein  kommen 
ze  singen,  will  ich  mit  Freuden  aus  dem  Grabe  springen. 

1)  Meurs  d.  IL  Greef.     Vergl.  Simrock,  Kinderb.-   3G,   147. 

2)  Naumburg   1849;    wi<>der   abgedruckt   IShi    in  Iloffmanus  und  Sclia- 
des  Weimarschem    Jahrbuch  I,  S.  72  —  100.     Vergl.    den    Nachtrag  Keinbold 
Köhlers  ebend.  479—483;   Herrig,  Archiv  f.  das  Studium  der  neueren  Öpra 
chen  XVII.  h.  4.  S.  444;   SiUungsber.  d.   Wien.  Akad.    1856  XX.   S.  94. 

2t)* 


404 

Engellaud  hineinverwiesen.     Ueber   Braband   und    Spanien 
s.  o.  S.  397  '). 

8)  Ein  weiteres   Zeugnis   für  Engelland  als  Seelen- 
reich ist  das  folgende: 

2. 

Achtern  karkhof  stof  dat  sand, 
dö  kern  de  herr  van  Engelland, 
dö  kern  de  jumfer  mit  de  tüten, 
wnll  de  ganze  weit  hesläten  '). 

3. 
Achtern  karkhof  stöf  dat  sand, 
do  kern  de  herr  van  Engelland, 
van  Engelland  na  Braband^). 


1)  In  einem  Jägerliede  bei  Uhland ,  Volkslieder  I,  S.  240  fgg.  Hofl- 
mann,  Scliles.  Volkslieder  S.  194  fgg.  Erk,  Liederhort  S.  25.  No.  96  sind 
ein  paar  genau  mit  iinserm  Liede  übereinstimmende  Strophen.  Ein  von  ei- 
nem Jäger  bedrängtes  Mädchen  sagt: 

7.  Und  sterb'  ich  denn,  so  bin  ich  tot, 
Begräbt  man  mich  unter  die  Rosen  rot. 

8.  Wol  imter  die  Rosen,  wol  unter  den  Klee, 
Darunter  vergeh'  ich  nimmermeh. 

9.  Es  wuchsen  drei  Lilien  wol  auf  dem  Grab, 
Es  kam  ein  Reiter  vroUt's  brechen  ab. 

10.     Ach  Reiter  lass  die  Lilien  stan, 

Es  soU  sie  ein  jimger  frischer  Jäger  han. 
Nach  Kobersteins  richtiger  Bemerkung  (Weimarsch.  Jahrb.  a.  a.  0.  80)  pas- 
sen diese  Verse  jedocli  niclit  in  den  Zusammenhang  des  Jägerliedes.  Sie  feh- 
len darum  auch  in  den  meisten  und  echten  Recensionen.  Ebenso  sind  die 
folgenden  Verse  in  einem  Liede  bei  Erk  (Liederhort  S.  117  No.  348)  nur 
angeschoben: 

Es  wuchsen  drei  Liljen  auf  einem  Grab, 

Es  kam  ein  Bauer  und  brach  sie  ab, 

Er  nahm's  und  steckts  auf  seinen  Hut. 

Er  trägt  ein  freien,   frischen  Mut. 
In  manchen  Reimen  ist  das  eingeschob  eue  Brabant  für  Engelland  allein 
stehen  geblieben.     So  im  Märchen  von  Richilde-Schneewittchen  bei  Musaeus : 

Spiegel  blink,   Spiegel  blank, 

Goldner  Spiegel  an  der  Wand, 

Zeig'  mir  die  schönste  Dirne  in  Braband. 
Vergl.   oben  S.  333. 

2)  Jever,  Thöle  und  Strakerjan,  Aus  dem  Kinderleben  52. 

3)  Dieselben  a.  a.  O.  53.  Vergl.  Schmidt,  Brem.  Ammenr.  S.  62:  Up 
den  karkhof  stufft  dat  sand,  dat  sand  dat  stufft  nä  Engelland, 
von  Engelland  nä  Braband,  von  Braband  nä  Jumfemstand,  Jumfemstand  is 
Ute,   krigst  ent  up   de  snüte. 


405 

o 
O. 

Achtern  kerkhof  stuff  dat  sand 

in  Engelland,  in  Brabant. 

Jüffer  mit  de  tüte, 

Helle  mit  beslüte. 

Erre  berre  botterkerre, 

trurapet,  of  sett!  '). 
Im  Winde  fährt,  wie  wir  oben  S.  269  gesehen  haben, 
die  Seele  zu  den  himmlischen  Regionen  empor.  Bis  zur 
Bestattung  des  Leichnams  umschwebt  sie  den  Körper,  dann 
eilt  sie  dem  Sitze  der  Seligen,  dem  Engelland  entgegen. 
Der  Wind  wirbelt  den  Sand  auf,  der  weithin  stiebt. 
Die  Himmelstür  tut  sich  auf,  und  wird  gleich  darauf  wie- 
der verschlossen.  Durch  diese  übereinstimmenden  Zeug- 
nisse für  Engelland  als  himmlisches  Totenreich 
wird  es  klar,  dass  die  von  Wackernagel,  Zeitschr.  f.  D. 
Altert.  VI,  192  besprochene  Stelle  aus  einem  altdeutschen 
Schwank,  welche  Britannien  als  Seelenland  nennt,  auf 
Verwechseluno;  des  himmlischen  Encjelreiches  mit  dem  Lande 
der  Angelsachsen  beruhe  ^). 


1)  Steinbed  iu  Hannover  d,  Fräulein  E.  Freiin  v.  Dincklage  -  Campe 
auf  Haus  Campe.  Vergl.  oben  S.  348,  3  :  Hinter  der  Kirche  liegt  der  Saud 
ausgestreut  vor  Engelland  u.  s   w. 

2)  Ein  armer  Ritter,  dessen  Mutter  längst  verstorben,  ist  einem  alten 
fremden  Weibe  durch  königliches  Urteil  als  Sohn  zugesprochen.  Als  er  sich 
dem  Urteil  nicht  mehr  entziehen  kann,  spottet  er:  Wol  her  liebiu  muoter 
min,  ir  sult  mir  willekomen  sin.  do  envriesch  ih  solher  maere  nie ,  daz  also 
lange  ein  vrouwe  ie  hin  in  Priten  si  gewesen  und  alsiis  manec  jär  ge- 
nesen, si  sol  ez  dannoch  sagen  me  wie  ez  in  jener  werlte  erge !  —  Der  Dich- 
ter spielt  dabei  auf  eine  Sage  von  einer  aus  dem  Totenreich  wiedergekom- 
menen alten  Frau  an.  Bildet  dieselbe  vielleicht  den  Inhalt  des  folgenden 
KindeiTeims?:  Meine  Mutter  die  Alte  mit  ihrem  stumpfen  Fufs,  ist  sieben 
Jahr  im  Himmel  gewest,  hat  wieder  raufs  gemust.  Ist  das  nicht  ein  Dou- 
ncrweib,  dass  sie  nicht  im  Himmel  blcibtV  Simrock,  Kinderb. ^  97,  24G.  — 
Unsre  alte  Schwiegermutter  ist  ein  alter  Dulder;  ist  7  Jahr  im  Himmel  ge- 
wesen, kömmt  wieder  runter.  Ist  das  nicht  ein  närrisch  Weib,  dass  sie  nicht 
im  Himmel  bleibt.  Arnims  hss.  Sammlung  1808.  —  Varianten  s.  in  Sim- 
rocks  Puppenspiel  von  Faust;  Fiedler,  Kinderr.  aus  Anhalt-Dessau  S.  115, 
238.  Thöle  und  Strakerjan,  Aus  dem  Kindericben  S.  103.  Meier,  Kinderr. 
aus  Schwaben  S.  59,  222.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  410,  5.  Vergl.  das 
Ditmars.  Lied  von  idel  unmogcliken  dingen  bei  Neocorus  (Müllenhoff,  Sagen 
S.  473)  Schal  ik  di  miue  moder  gäven  vor  maget  to  einem  wive,  so  schaltu 
hangen  sövcn  jar  un  wedder  werden  to  live. 


406 

8)  Weniger  deutlich   ist  die  Bedeutung  Engellands 
als  Seelenreiches  in  folgendem  Kinderreira  ausgesprochen: 

1. 

Hüpplepüpp  op  enem  ben 

iek  moch  min  mör  de  gäuse  häün 

op'  me  breen  dike, 

da  quam  de  juffer  Slike  (Schlange) 

un  nam  mi  diän  besten  ganten  (Gansert)  af, 

diän  et  tüsken  dem  troppe  gaf. 

da  quam  min  moer  Engel, 

mit  dem  dicken  prängel 

un  drüggede  (drohte)  mi  so  hart  te  siän, 

da  drügo;ed'  iek  iär  so  wit  te  gän. 

da  laip  iek  bit  na  Wiesel  (Wesel) 

un  koffte  mi  drai  iesel. 

diän  ainen  diän  beret  iek, 

diän  annern,  diän  bestret  (beschritt)  iek 

diän  drüdden  nam  iek  an  de  haut 

un  trock  dämet  nä  Brabant, 

Brabant  was  versluoten; 

de  slüetel  was  tebruoken. 

bu  söffi  diän  nu  wier  mäken? 

met  stenerkes,  met  benerkes, 

met  allerhand  nette  saken, 

wefii  'ne  wier  mäken  '). 

2. 
Ik  moch  mal  min  mäur  de  gäisekes  haün, 
op  dem  bräien  dike, 
da  quam  de  wulf  de  grise^), 
nam  mi  minen  besten  ganten  af, 
diän  et  tüsken  dem  troppe  gaf. 
da  quam  mi  mäur  Bengel  ^) 
met  dem  dicken  rängel  (Prügel), 
da  drüggede  ik  iär  noch  wier  an,  c) 


1)  Woeste,   Volksüberlief.   S.  17,   3. 


407 

da  quam  ik  op  so'n  wieseken, 

da  gengen  da  drei  ieselkes.  d) 

ainen  diän  beräid  ik, 

aiuen  diän  besträid  ik,  e) 

den  anneru  näm  ik  an  de  band 

un  ledd  er  med  nä  Engelland,  f) 

Engelland  was  versluäten, 

de  slüetel  was  tebruäkeng) 

da  sat'n  äld  wiweken  un  schalte  (schälte)  bannen, 

da  sag  ik  iär  se  sol  rai  aine  medgiewen 

dat  dae  se  ok. 

da  näm  ik  iär  aine  af 

da  hacker  (hatte  ich  deren)  drai. 

da  kof  ik  mi  da  en  piärreken  füar; 

dat  piärreken  ledd'  ik  oppet  is, 

dat  is  dat  spläit  (spliss), 

dat  piärreken  dat  gläid. 

de  müggen  da  flüegen 

prrr!  da  gäit  et  biär  '). 

3. 
Schockele  schockele  bone, 
min  vader  geit  nä  Romen 
holt  dick  fette  ferken. 
we  sali  diä  denn  hüen? 
lepen  en  de  rüben. 

kommen  twe  häsken  herangegon 
lepen  en  dat  sommerkörn, 
ein  gingen  sie  op  setteu, 
ein  packte  ik  an  et  hänneken, 
red  domet  no  Brobänueken 


1)  Messerscheidt  briefl.  d.  Woeste.  —  Vorgl.  Deilingliofcn  d.  Wocste: 
a)  da  quam  de  voss  te  sliken.  b)  da.  quam  min  mäur  Lise  med  ainem  hiär- 
keurise.  c)  da  drüggede  ik  iär  so  fser  te  goan.  d)  d&  motten  nii 
drai  ieselkes.  e)  bespräid  ik.  fj  un  ledd'  er  med  nä  Holland,  läien  med 
bedeutet:  Jemanden  leiten,  z.  B.  se  Ict  med  der  kau  nnm  ossen.  g)  da  quam 
ik  an  so'n  huiseken,  da  braid'  ne  frau  en  muiseken.  da  sagd  ik  se  sol  nii'n 
bietlien  medgiewen.     dat  wol  se  da  nit  dauen. 


408 

wo  de  gäle  blümkes  stond, 

wo  de  kenderkes  plöcken  gönd  '). 

4. 

Sehekle,  schekle  böne 

min  moder  gienk  nä  Rone, 

min  möne  (Muhme)  gienk  no  Gelsekirken 

häl  en  dicke  fette  stirken  (taurulus). 

stirke  söl  ek  höen. 

do  gienk  ek  annen  grawen; 

do  säten  twe  hasen. 

einen  näm  ek  anner  hand 

ret  domet  no  Bräband, 

von  Bräband  no  En  gell  and 

von  Engelland  no  Spanien  ^). 

5. 

Et  woren  zwin  hasen 

de  sprongen  in  den  grawen. 

ener,  genk'k  drop  sitten; 

der  anger  an  die  anger  hand. 

do  gengen  sie  no  Brobang, 

Brobang  wor  verschlossen, 

der  schlössel  wor  zerbrochen. 

do  gengen  sie  no  'nem  angern  hüs; 

die  frau,  die  wor  am  weckzoppe  kochen, 

die  katz,  die  wöl  metfressen, 

do  schlög  sie  die  frau  mem  zoppenlöfifel  om  dat  mül  ^). 

6. 
Schocke]  schockel  birken 
die  moder  geng  no  kirken, 
do  safsen  zwen  hasen 
enen  wifsen  un  enen  schwarzen, 
die  genk  domet  no  Brobang, 
Brobang  wor  verschlösse, 
der  schlössel  wor  zerbroche  ^). 


1)  Meurs  d.   H.   Greef. 

2)  Werden,  Leysers  Nachlass. 

3)  Solingen.     Firm.   III,    196. 


409 

Diese,  wie  es  scheint  speciell  Westphalen  angehörige 
Ueberlieferung  ist  in  ihrer  Reinheit  nicht  mehr  erhalten,  so 
dass  es  schwer  wird  ihren  ursprünglichen  Sinn  herauszu- 
erkenneu.  Nur  so  viel  dürfte  klar  sein,  dass  es  sich  hier 
um  einen  Ritt  ins  Eibenreich  Engelland  auf  einem  elbischen 
Tiere  handelt. 

Der  Hase  ist  ein  durchaus  elbisches  Tier.  Die  Bjerg- 
puslinger  und  andere  Elbe  des  Nordens  erscheinen  als  Ha- 
sen ').  Im  Märchen  von  Häsichenbraut  tritt  der  Hase 
ebenso  an  Stelle  von  Zwergen^).  Hasengestaltige  Alraune 
wurden  in  Skandinavien  an  Donnerstagen  belebt,  und  in 
der  Mark  erscheint  ein  Kobold  als  dreibeiniger  Hase  mit 
feurigen  Augen  ^).  Der  Hausgeist  Hödeken  begegnet  ei- 
nem Kuhhirten  als  Hase  *).  Hexen  *),  Zauberer  ^)  und  Teu- 
fel '')  erscheinen  in  dieser  Gestalt.  In  Weifsenfeis  in  Sach- 
sen erzählt  man  folgendes  Märchen.  Ein  Mann  folgte  ei- 
nem dreibeinigen  Hasen  in  ein  grofses  schönes  Haus  meh- 
rere Treppen  hinauf  und  gelangte  schliefslich  in  ein  kleines 
Gemach.  Hier  fand  er  in  einem  grofsen  Buch  geschrieben, 
dass  der  Hase  durch  die  Namensunterschrift  eines  Mannes 
erlöst  werden  könne.  Der  Gesell  tat  es.  Da  ward  der 
Hase  zu  einem  edeln  Ritter,  und  mit  furchtbarem  Knall 
sprang  eine  Türe  auf,  die  zu  grofsen  Schätzen  führte.  — 
Dreibeinige  Hasen  ziehen  in  der  wilden  Jagd  ^)  und  häufig 
begegnet  der  Jäger  solchen  gespenstischen  Wesen,  die  nicht 
geschossen  werden  können  ^).    Frau  H  o  1  d  a  (Isa)  lässt  sich 


1)  Resen,    Atl.  VI,  590.     Thiele,    Danske   folkesagn"  II,    178.     "Wolf, 
Niederläiid.  Sagen  472.  No.  387.     Vergl.   Zeitschr.  f.  D.  Myth.   IV,   144. 

2)  KHM.  m^,   76  fgg. 

3)  Kuhn,  Mark.  Sagen  S.  373,   120. 

4)  Seifart,   Ilildcslieim.   Sagen  S.  184. 

5)  Thiele  a.a.O.  II,   103.   104.   105.      MüUeuhoff,   Sagen  S.  229,    115. 
Baader,  Badische  Sagen  S.  50.  No.  62. 

6)  Firm.   11,   330. 

7)  Thiele  a.  a.  O.  I,  228.  II,  78.    MüllenhofT  a.  a.  O.    141,  191.    Schani- 
bach und  Müller  S.  361.     Sommer  S.  52.  No.  54. 

8)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  289,  324. 

9)  Stöber,    Elsäss.  Volkssagen    S.  318,  247.      Schambach    und  Müller 
a.  a.  0. 


410 

von  Hasen  die  Lichter  vorauftragen  ')  und  Frau  Harke8 
Heerde  besteht  aus  Hasen  ^).  Der  Hase  gilt  aber  auch 
als  eine  umgehende  Seele  ^)  und  nicht  minder  als  see- 
lengeleitender  todverkündender  Geist.  Der  Zaunhase 
beim  Rumannschen  Hause  in  Bösinghausen  lässt  sich  bhk- 
ken,  so  oft  einer  sterben  soll*);  wer  den  dreibeini- 
gen Hasen  sieht,  dem  steht  ein  Unglück  bevor  ^)  und 
überhaupt  galt  es  für  einen  unglückHchen  Angang,  wenn 
ein  Hase  über  den  Weg  lief). 

Wie  mit  dem  Tode  steht  der  Hase  wiederum  mit  der 
Geburt  in  Verbindung.  Im  Hasenteich  bei  Altenbrak 
im  Oberharz,  wo  auch  sieben  weifse  Schlüsseljungfrauen 
erscheinen,  sitzen  die  ungeborenen  Kinder'').  Der 
Bensheimer  Kinderbrunnen  liegt  in  der  Hasengasse  ^). 
Zu  Kisslegg  in  Schwaben  holt  man  die  Kinder  aus  dem 
Hasennest^).  Die  Ostereier,  Symbole  des  Le- 
bens, versteckt  man  in  künstlich  gemachte  Hasennester 
und  sagt  der  Hase  habe  sie  gelegt.  In  Schwaben  setzt 
man  sogar  einen  Hasen  auf  das  Nest '"). 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  84  fgg. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  113.  126,  7.  Auf  einem  Stein  der  Neha- 
lennia  wird  dieser  ein  Hase  zum  Opfer  gebracht. 

3)  Schambach  u.  Müller  S.  191.  208,   1.    Rocholz  Aargausagen  I,  S.  70. 

4)  Harrys,   Sagen  Niedersachsens  S.  62,   54. 

5)  Scharabach  und  MUller  S.  192,  208,   3.   361,  208. 

6)  Dieser  Glaube  ist  weit  über  Deutschland  hinaus  bei  Slaven  und  Kel- 
ten verbreitet.  Nach  Peter  van  den  Broek  beachten  auch  die  Heiden  auf  den 
philippinischen  Inseln  den  Angang  des  Hasen ;  er  gilt  ihnen  aber  als  gutes 
Vorzeichen. 

7)  Pröhle,   Unterharz.   Sagen  S.  11.    12.   No.  35—37. 

8)  Wolf,  Hess.  Sagen  S.  14.  No.  18. 

9)  Mitteilung  des  Stud.  Birlinger  in  Tübingen. 

10)  Meier,  Schwab.  Sagen  S.  892,  65.  Als  elbisches  Tier  wird  der  Hase 
auch  noch  durch  das  sogenannte  Hasenbrod  bezeichnet.  So  nennt  man  hier 
in  der  Mark  das  Geschenk,  das  ein  Reisender  den  Zurückgebliebenen  mit- 
bringt. In  der  Magdeburger  Börde  sagen  die  Bauern,  wenn  sie  ihren  Kindern 
aus  der  Stadt  Gebäck  mitbringen,  ,,das  hab'  ich  dem  Hasen  abgejagt." 
In  Städten  wiederum,  z.  B.  in  Erfurt,  heifst  Landbrod  das  die  Eltern  den 
Kindern  heimbringen  Hasenbrod.  In  Halle  a.  d.  Saale  hiefs  Hasenbrod  ein 
kleineres  Brod,  das  als  Zugabe  ein  gröfseres  begleitete.  Es  soll  durch  diesen 
Namen  das  Gebäck  als  weither,  so  weit  als  der  Hase  laufen  kann  ( aus  dem 
Eibenlande)  herbeigebracht  bezeichnet  werden.  Vgl.  den  Fluch:  Nu  wok  dat 
niegenunniegenzig  wagen  vull  getrampelte  donnerkiils  kämen  un  slaigen  di 
so  deip  inne  är,  as  de  has  in  niegenunniegenzig  jär  loupen  kann.   Firm.  III,  170. 


411 

Auf  den  ersten  Anblick  möchte  es  scheinen,  als  ob 
der  Esel  dasselbe  Recht  habe  als  der  Hase,  für  ein  mythi- 
sches Tier  unseres  Altertums  zu  gelten.  Er  spielt  in  der 
deutschen  Sagenwelt  ziemlich  dieselbe  Rolle  wie  dieser. 
Zu  Frickenhausen  am  Neuffen  in  Württemberg,  dem 
heihgen  Ort  der  Frikka,  wo  der  erste  Storch  genistet  hat, 
sollen  die  Bauern  als  Schutzheiligtum  des  Ortes  einen  höl- 
zernen Esel  in  einem  Keller  verborgen  halten  ').  Esels- 
brunnen erscheinen  mitunter  als  Kinderbrunnen.  Auf  dem 
Hausberge  im  Harz,  wo  Frau  Holle  ihren  Sitz  hat,  liegt 
der  Eselsborn,  in  diesem  befinden  sich  die  Ungebornen. 
Wenn  Kinder  unartig  sind,  sagt  man  ihnen :  „sei  still,  oder 
wir  bringen  dich  wieder  nach  dem  Eselsborn."  Ein  ganz 
kleiner  Knabe  erzählte:  „wenn  die  Kinder  vor  den  Esels- 
brunnen hinträten  und  sprächen:  „„duck!  duck!  duck!"" 
so  kämen  Esel  heraus  und  holten  sie  hinein-).  In  Lauen- 
burg kommen  die  Mädchen  aus  dem  Steinbrunnen,  die  Kna- 
ben aus  dem  Eselsbrunnen  ^;.  Auch  der  Brunosborn 
auf  der  Esels  wiese  zu  Querfurt  scheint  ein  solcher  Kin- 
derbrunnen*). Kobolde  erscheinen  als  Esel.  Die  Bier- 
esel sind  derartige  Geister  in  Eselgestalt  die  das  Bier  aus- 
trinken ^).  Sie  sind  bald  dreibeinig,  bald  vierbeinig,  hocken 
sich  Leuten  auf  den  Rücken,  die  zu  lange  im  Bierhause 
weilen  und  lassen  sich  von  ihnen  umhertragen,  bis  diesel- 
ben umsinken '').  In  der  Schweiz  ziehen  die  jungen  Leute 
in  der  vorletzten  Woche  vor  Weihnachten   mit   einer  ver- 


—  Hasenbrod  heifst  auch  eine  Art  des  Zittergrases,  sonst  Hasenohr,  Ilasen- 
öhrlein,  Ochsenrippe  genannt;  und  Hasenkohl  ist  ein  volkstümlicher  Name 
der  oxalis  acetosella.     Vergl.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  HI,   240. 

1)  Mündlich  von  einem  Frickenhäuser.  Prescher  berichtet  bei  Gräter 
(Iduna  und  Hennode  1816  No.  14.  S.  16):  Beim  Neuft'en  befand  sich  eine 
Esels  wiese.  Diese  Wiese  soll  eine  mitleidige  Frau  dem  Esel,  der  das 
Wasser  auf  die  Festung  trug,  vermacht  haben.  Seit  der  Esel  abgeschafft 
wurde,  erntete  der  Kommandant  das  Heu  für  seine  Pferde. 

2)  Pröhle,  Harzsagen  S.  198.  No.  2. 

3)  Schambach  und  Müller  S.  341,   81. 

4)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  208.  234.  In  Westphalen  bezeichnet  man  die 
uneheliche  Abkunft  mit  der  Redensart:  die  iesel  hiät  'ne  üter  want  slagen. 
Mitteilung  Woestes, 

5)  Chemnitzer,   Rockenphilos.   V,   37. 

6)  Bechstein,  Mythe,   Sage,  Märchen  I,    119. 


412 

mnminten  Gestalt,  die  auf  einem  Schlitten  geführt  wird, 
unter  grofsem  Lärm  von  Dorf  zu  Dorf.  Diese  Gestalt  heifst 
das  Posterii  und  trägt  die  Maske  einer  alten  Hexe  oder 
eines  Esels  ').  Merbitz  erzählt  nach  des  Guillelmus  Pa- 
riensis  summa  de  universo  ^) ,  dass  ein  Jüngling  bei  einer 
sehr  schönen  Jungfrau  zu  schlafen  glaubte.  Sie  war  aber 
eine  Mär  und  er  fand  sich  am  Morgen  in  Gesellschaft  ei- 
nes scheufslichen  Esels '*).  Auf  dem  Rhoengebirge  liegt 
ein  Eselsborn  neben  der  Teufelswand  und  in  der  Nähe 
eines  vom  Bösen  aus  der  Luft  geworfenen  Teufelssteins. 
Auf  dem  Eselsborn  spukt  Lucifer  als  dreibeiniger 
Esel  *).  Hexen  reiten  nach  holsteinischer  Sage  auf  Eseln ^)- 
Aufserdem  spielt  der  Esel  in  vielen  abergläubischen  Vor- 
schriften eine  grofse  Rolle.  Wer  Gründonnerstag  Honig 
zu  essen  unterlässt,  wird  zum  Esel*"')  oder  bekommt  Esels- 
ohren'). Die  erstere  Strafe  trifft  auch  denjenigen,  wel- 
cher am  Gründonnerstag  neunerlei  Kraut  ^),  zu  Weihnach- 
ten Bohnen ")  zu  essen  vergisst,  die  letztere  schändet  die- 
jenigen, welche  zu  Fastnacht  die  Bretzel  verachten  '"). 

Trotz  aller  dieser  Zeugnisse,  welche  dem  Esel  eine 
hohe  Bedeutsamkeit  im  germanischen  Altertum  zuzuweisen 
scheinen  könnten,  haben  wir  wol  entschieden  dafür  zu  halten, 
dass  er  erst  an  die  Stelle  eines  anderen  Tiers  getreten  ist, 
da  er  schwerlich  ein  aus  Asien  mitgebrachtes  Haustier  war. 
Wenigstens  berichtet  Aristoteles,  dass  zu  seiner  Zeit  der 
Esel  den  Skythen  und  Galliern,   wie  wir  vermuten  dürfen 


1)  Mone,  Geschichte  des  Heidentums  im  nördl.  Europa  II,  246. 

2)  Merbitz,  De  infantibus  suppositiis  vulgo  Wechselbälgen  I.  §.  21. 

3)  Invenit  se  postero  die  in  complexu  cadaveris  asinini  tabe  soluti  foe- 
tidissime  jaceutem. 

4)  Bechstein,    Sagen   des  Rhoengebirges   und    des    Grabfeides  S.  79  fgg. 
No.  28. 

5)  MüUcnhofl'  213. 

6)  Bechstein,  Mythe,   Sage,   Märchen  I,    161. 

7)  Morgenblatt   1853,   S.  1235. 

8)  Bechstein,  Mythe,  Sage,  Märchen  I,    161.     Myth.'    GVIII,   9-10. 

9)  Myth.'    LXXVIir,   274.     Kockenphil.    1729  III,   94. 

10)  Schrader,    Quellen    und    Vorarbeiten    für    die    Geschichte    der    Stadt 
Aschersleben   1850   S.  VII. 


413 

auch  den  Germanen  unbekannt  war ').  Die  vom  Lateini- 
sclien  abweichende  Ableitungssylbe  -il  in  goth.  as-il-u-s, 
ahd.  es-il  bex'echtigt  noch  nicht,  das  Wort  für  unentlehnt 
anzusehen,  zumal  da  neben  asinus  die  Verkleinerungsform 
asellus  der  lingua  rustica  und  des  Mönchslateins  mitein- 
zuwirken nicht  unterlassen  haben  wird  -).  Nun  ist  der 
Name  Eselbrunnen,  der  nachweislich  öfter  aus  dem  Um- 
stände entsprang,  dass  Esel  im  Mittelalter  das  Wasser  von 
dem  am  Fufse  des  Schlossberges  gelegenen  Brunnen  zur 
Burg  tragen  mussten  '^) ,  in  anderen  Fällen  aus  „  1 6  dem 
heselinen  bruunen"  (zum  Haselbrunnen)  *)  entstanden. 
Sollte  nicht  durch  volksetymologisches  Misverständnis  aus 
der  Form  heselin,  hesiken,  heselken  der  Esel  sehr 
häufig,  zumal  in  den  Frühlingsgebräuchen  an  die  Stelle  der 
Hasen  getreten  sein?  Beide  Tiere  haben  überdies  die 
langen  Ohren  gemein.  Bekannt  ist  der  Schwank,  wie  schle- 
sische  Bauern  einen  Esel  sahen  und  ihn  für  die  Mutter 
der  Hasen  hielten,  die  ihnen  so  grofsen  Schaden  im  Korn 
anrichteten.  Sie  schlugen  ihn  tot  und  afsen  ihn  auf^). 
Auch  sonst  sehen  wir  in  Sagen  den  Uebergang  des  Hasen 
in  den  Esel  noch  deutlich  genug  vor  sich  gehen.  „Einige 
sagen  das  in  Hohensee  umgehende  Dreibein  sei  ein  drei- 
beiniger Esel,  der  gehe  zwischen  zwölf  und  eins  vom 
Dorf  nach  Hildesheim.  Das  Dreibein  ist  aber  kein  Esel, 
sondern  ein  dreibeiniger  Hase,  man  muss  sich  nur 
überzeugen  und  die  Spuren  genau  ansehen.  „Wenn  einer 
diesem  Hasen  begegnete  ist  es  noch  nie  gut  gegangen ''')." 
Auch  sonst   geht  im   Hildesheimischen   das  Dreibein   bald 


1)  Vergl.  Büffon,  Vierfdfsige  Tiere  I,   68. 

2)  Vergl.  zu  lat.  asinus  neben  goth.  asilus  den  ähulichen  Uebergang  in 
lägel,  legel  aus  lat.  lagena. 

3)  Vergl.  u.   a.  Bechstein,   Sagen  des  Rhoengebirges  S.  178. 

4)  Vergl.  Ziegler,  Illustrium  Germaniae  virorum  historiae  aliquot  siugu- 
lares.  Ingolstad  1562  p.  40;  Kaiserchronik  ed.  Mafsmanu  7151;  Malsmanu, 
Kaiserchronik  III,   816. 

5)  Kirchhoff,  Wendunmut  I,   388. 

6)  Schambach  und  Müller  S.  192.  No.  208,   3. 


414 

als  Hase,  bald  als  Esel  um').  Der  tod verkündende 
Zaunhase  bei  Bösingsbausen  ist  so  grofs  wie  ein 
EseP). 

Hieuach  ergiebt  es  sich,  dass  zum  mindesten  in  unserm 
Liede  der  Hase  die  ursprüngliche  Lesart  ist,  in  No.  3. 
haben  wir  die  den  Uebergang  zu  eselkes  bildende  Ver- 
kleinerungsform häsken,  heskes.  Wahrscheinlich  spielt 
dieselbe  volksetymologische  Verwechselung  bei  den  kinder- 
bergenden Eselsbrunnen  ^) ,  vielleicht  auch  beim  hölzernen 
Esel  zu  Frikkenhausen  mit  ■*). 

Der  Sinn  in  unserm  Liede,  so  weit  er  bis  jetzt  ver- 
ständlich ist,  wäre  somit  dieser.  Ein  Knabe  hütet  die 
Gänse,  deren  eine  ihm  geraubt  wird.  Seine  Mutter  droht 
ihn  darüber  hart  zu  schlagen.  Er  wünscht  darum  zu  ster- 
ben und  entflieht  mit  einem  Hasen  ins  Eibenland. 

10)  Engelland,  der  himmlische  Wohnsitz  der  Seligen 
ist  zugleich  die  Heimat  und  Ausgangsstätte  alles  Lebens. 
So  nimmt  das  Ei  daselbst  seinen  Ursprung.  Ein  bekann- 
tes Volksrätsel  lautet: 


1)  Seifart,   Hildesheimer  Sagen   178,   8. 

2)  Harrys,   Sagen  Niedersaclisens  S.  34,  15. 

3)  Wenn  nicht  die  aphrodisische  Hasel  (s.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  HI, 
S.  95  fgg.)   den  Grund  der  Benennung  und  Sage  abgab. 

4)  In  manche  Volksgebräuche  und  Sagen  kam  der  Esel  als  Abbild  des 
heiligen  Palmesels,  auf  dem  Christus  seinen  Einzug  in  Jerusalem  hielt. 
Vergl.  Schnetzler,  Bad.  Sagen  II,  49.  Panzer  I,  131.  Büsching,  Wöchentl. 
Nachrichten  IV,  193.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  372.  Gebräuche  15.  In  meh- 
reren Orten  wurde  deshalb  am  Eselsfeste  ein  mit  einem  Chorrock  behangener 
Esel  in  Begleitung  der  Geistlichkeit  und  des  Volkes  durch  die  Strafsen  in 
die  Kirche  geführt  und  sowol  dort  um  den  Esel  herum  als  vor  der  Kirchen- 
tür ein  besonderes  Lied  gesungen.  Dondorff,  Geschichte  der  Erfindungen. 
Quedlinburg  Basse  I,  345.  Auf  der  Eselswiese  zu  Erfurt  findet  ein  Jahrmarkt 
statt.  Dabei  werden  jedesmal  Hunderte  von  töhnernen  Eseln  verkauft.  In- 
telligenzblatt der  Stadt  Aschersleben  1852.  No.  10.  Im  deutschen  Mittel- 
alter war  der  Esel  überhaupt  ein  vielgebrauchtes  und  vielbekanntes  Tier. 
Vergl.  Physica  St.  Hildegardis  III,  2.  Du  Cauge  s.  vv.  asinus,  mulus,  burdo. 
In  ITranken  gab  es  eine  Eitterfamilie  Asini  ab  Illesheim,  s.  Biedermann,  In- 
dex z.  Frank.  Rittercanton.  In  Würzburg  befand  sich,  wie  mir  Professor 
Reiiss  mitteilt,  1277  eins  grofse  „curia  asini,  quae  vocatur  zem  esele;" 
(Regesta  rer.  Boic.  IV,  53.  91.  137)  1359  ebendas.  ein  Haus  zum  jungen 
oder  kleinen  Esel,  und  noch  1460  ein  Wirtshaus  zum  Esel.  Im  Co- 
pierbuch  von  Oberried  ist  1397  ein  Eselberg  bei  Schworstadt  genannt  — 
Der  tnmkene  Bieresel  scheint  mir  eine  gelehrte  Vermischung  eines  älteren 
Kobolds  mit  dem  eselreitenden  Silen  zu  sein. 


415 

Es  kommt  ein  Schiff  aus  Engelland, 
Hat  kein  Bügel  und  kein  Band, 
Und  doch  zweierlei  Bier  *). 
In  Luxemburg  ward  Engelland  begreiflicherweise  in  Nie- 
derland verändert: 

Es  kommt  ein  Fässchen  aus  Niederland, 
Hat  weder  Reifen,  noch  eisern  Band, 
Giebt  zweierlei  Trank  doch,  wie  bekannt  ^). 
Vielleicht  hatte  Engelland  einst  auch  in  einer  schwedischen 
Fassung  statt: 

Det  kom  en  tunna  frän  frömmande  land, 
utan  laggar  och  utan  band''). 
Ein  anderes  Rätsel,  dessen  Auflösung  ebenfalls  das  Ei  ist, 
lautet : 


1)  Pommerellen  mündl.  Vergl.  Ostpreufsen  N.  Pr.  Provincialbl.  I.  1846 
S.  396:  Kömmt  e  tonnke  üt  En  gelland,  äne  rand  on  äne  band,  öss  tweier- 
lei  ber  bönne.  i  segg,  wat  suU  dat  sonne.  —  Ebendas.  a.  a.  0.  X.  1850 
288.  192.  Kem  e  tonnke  üt  Engelland,  had  keine  reife,  on  keine  band, 
on  wer  doch  tweerlei  ber  damank.  —  Westholstein  mündl.:  Kern  en  tunn  üt 
Engelland,  har  ken  bügel  un  ken  band  un  doch  tweerlei  ber.  Vergl.  Mül- 
lenhoff,  Sagen  506,   9:   sunder  born  (Boden)  un  sunder  band. 

2)  Steffen,  Sagen  und  Märchen  aus  Luxemburg  S.  47. 

3)  Dybeck ,  Runa  1847  No.  25.  Die  übrigen  Varianten  nehmen  eine 
andere  "Wendung.  Das  Alter  unseres  Rätsels  hat  schon  Müllenhoff,  Zeitschr. 
f.  D.  Myth.  III,  7  dargetan.  Es  kommt  bereits  in  kunstmäfsiger  Skälden- 
bearbeitung  in  der  Getspecki  Hei'öreks  konüngs  vor.  —  Das  Reterbüchlein 
gewährt  die  Form :  ,,Ein  fesslein,  das  ist  wol  gebunden  fast  geheb  on  handt 
unndt  on  band;  hat  auch  kain  raiff."  Vergl.  damit  Oldenburg,  Thöle  und 
Strakerjan,  Aus  dem  Kinderleben  S.  75.  Schwaben,  Meier,  Kinderreime  S. 
77,  299;  Aargau,  Rocholz,  Alemann.  Kinderl.  S.  234,  283;  Mone,  Anzeiger 
1838.  262,  188;  Hagens  Germania  VI,  155.  Baden  in  Niederösterreich:  As 
13  a  fassl  ungebunden,  had  käan  räaf  und  kaani  wundn  und  san  zwäalai  drangl 
drai.  Unser  Rätsel  ist  vielfach  zu  andern  Völkern  übergegangen.  Litauisch 
lautet  es:  Mazh.  baczkele  bh  szulü  ir  be  vidiij  dvcjops  pyvs.  Ein  kleines 
Fässchen  ohne  Dauben  und  Reife,  innen  zweierlei  Bier.  Schleicher,  Sitzungs- 
ber.  d.  Wien.  Akad.  1852  S.  529.  —  Die  Inselschweden  auf  Worms  sagen: 
Eit  fad  ä  tu  las  äöl;  Ein  Fass  hat  zweierlei  Bier.  Die  Ehsteu  entlehnten: 
,,üks  waat  kahtesuggu  öllut  sees,"  Ein  Fass,  zweierlei  Bier  darinnen.  Guts 
leff,  Anweisung  zur  ehstnischcn  Sprache.  Halle  1732  S.  371.  No.  122.  — 
Auch  die  Magyaren  nahmen  das  Rätsel  bei  sich  auf:  Kicsi  hordd,  kdtfe'le  bor 
van  benne,  mindenik  szine't  el  lehet  vtiltoz  tatni.  Ein  kleines  Fass,  zweierlei 
Wein  ist  in  demselben,  die  Farbe  eines  jeden  kann  man  unterscheiden.  Jla- 
gyar  nyelvc'szet  szerkeszti  Hunfalvv  Pal.  1856  S.  365  —  377.  szäz  finn  e's 
szilz  niagyar  noptalany.  100  finnische  und  inag5'arische  Volksrätsel  No.  4. 
vergl.  Magazin  f.  Literatur  d.  Ausl.   1856  No.  90.  S.  864a. 


416__ 

Hümpelken,  pümpelken  sat  op  de  bank, 
hümpelken,  pümpelken  fei  von  de  bank, 
do  is  ken  dokter  in  Engelland, 
de  hümpelken,  pümpelken  kuräre  kann  '). 

Daneben  stehen  die  Passungen: 

1. 
Gigele  Gagele  auf  der  Bank, 
Gigele  Ga2;ele  unter  der  Bank! 
Ist  kein  Doktor  im  ganzen  Land, 
Der's  Gigele  Gagele  wieder  ganz  machen  kann  ^). 

2. 

Lille  trille 

laae  paa  hylde, 

fald  ned  af  hylde; 

ingen  mand 

i  hele  land 

lille  trille  curere  kan  ^). 

3. 
Lille  bylle  laae  paa  hylde, 
hlle   bylle  fald   ned   of  hylde; 
ingen  mand  in  verden  kon 
hjaelpe  lille  bylle  istond  "*). 


1)  Herford.  Firm.  I,  360.  Wesentlich  hiemit  und  besonders  in  der  Les 
art  Engelland  stimmen  die  folgenden  Recensionen  überein:  a)  Grafschaft 
Mark.  Woeste,  Volksüberlieferungen  S.  14,  16.  b)  Ravensberg  mündlich. 
c)  Lippe.  Firm.  I,  271.  Simrock,  Eätselb.  I,  32.  d)  Bremen,  Schmidt,  Am- 
menreime 38.  e)  Göttingen  d.  Herrn  Bibliothekar  Müldener;  nur  dass  für 
hümpelken  pümpelken  in  a)  hüppelken  püppelkeu,  b)  hülterken  pülterken, 
c)  runtzelken  pimtzelken,  d)  etje  papetje,  e)  hümmelchen  bümmelchen  ge- 
sagt wird. 

2)  Tirol  d.  J.  V.  Zingerle.  —  Vergl.  Jugenheim  a.  d.  Bergstrafse  von 
mir  aufgezeichnet:  hüppelche  püppelche  üf  de  bank,  h.  p.  unner  de  bank,  is 
kei  mensch  im  ganze  Land,  der  das  hüppelche  püppelcJie  fangen  kann. 
—  Schwaben,  Meier,  Kinderr.  79,  310:  Wirgele  Wargele  uffer  Bank,  wenn 
es  fällt,  ist  es  krank,  es  ist  kein  Dokter  im  ganzen  Land,  der  dem  Wirgele 
Wargele  helfen  kann. 

3)  Dänemark.     Thiele,  Danske  folkesagn  '    HI,    148. 

4)  Falster  d.  Fräul.  E.  Boeckmann. 


417 

4. 
Lille  trolle 
lag  pä  hölle 
ingen  man  i  detta  lanii 
,  lille  trolle  laeka  (heilen)  kan  '). 

5. 

Bolli  för  äf  skäröi 

allar  gjäröir  sprungu  äf, 

han  vär  hvörki  firi  eystan,  ella  firi  vestan 

iS  bolla  afturboeta  kiindi  '^). 
Das  Ei,  aus  welchem  auf  geheimnisvolle  Weise   ein  neues 
Leben  hervorgeht,  bot  der  Naturbetrachtung  unserer  Alten 
ein  tiefes  Rätsel.   Kunstvoll  gefügt  ohne  Nat  und  Draf), 
ohne   Reife  und   Bänder,    so    dass   man   weder   Anfang 


1)  Westergötland.  Dybeck ,  Ruim  1848  No.  28.  Vergl.  ebendas.  29 
Wenjau:  ille  bille  sto  pä  hille;  ille  bille  för  i  sär,  ingen  man  i  detta 
lann  ille  bille  bigga  kau. 

2)  Fffii-oeer.  Antiquarisk  tidskr.  1849  —  51  S.  317,  16.  Ballen  fiel  von 
der  Bergkluft,  alle  Reifen  sprangen  ab.  Da  war  Niemand  in  Osten  oder 
Westen,  der  Ballen  wieder  ganz  machen  konnte.  Zu  bemerken  ist,  dass  firi 
eystan  ella  firi  vestan  genau  zu  dem  Zuruf  an  den  Marienkäfer: 
,,flyg  oester,  flygvester"  ,,ütm  austen  ader  ütm  wes  te  n  o.  S.  252. 
253  stimmt.  Denselben  Ausdruck  enthält  auch  eine  englische  Variante  des 
Käferliedes,  die  wir  zu  S.  253  aus  Brand,  O1)sen'ations  ed.  EUis  I.  213  nach 
tragen  : 

This  ladyfly  I  fake  from   of  the  grass, 
whose  ppotted  back  might  scarlet  red  siirpass. 
Fly  ladj'bird,  north,   sonth  or  east  or  west, 
fly  where  the  man  is  found,   that  I  love  best. 
Vergl.  noch  den  Brandsegen: 

There  were  three  angels  from  the  east  and  the  west 
one  brought  fire,  and  another  brought  frost, 
and  the  third  it  was  the  holy  ghost, 
out  fire,  in  frost!   in  the  name  of  the  father.  etc. 
Notes  and  queries  1850   S.  258. 

3)  Vergl.  das  Pommerellische  Rätsel  vom  Ei:  „düfferke  uu  düwke 
knitten  sik  en  hiiwke  äne  nät,  äne  drät,  ane  end,  de  dat  rät,  de  is  be- 
hend. Weben  oder  Spinnen  sind  häufig  aphrodisische  Symbole.  —  Tiiöle  und 
Strakerjan  S.  77:  dar  Iccm  cn  schö  üt  de  enge  Ische  stüw,  de  mäkt  enc 
nät  Sünder  nädel  un  drät.  Auflös.  der  Schrittscliuh.  Hier  fliefst  Engel- 
land das  Eibenreich  mit  Engelland  -  Grofsbritannien ,  dem  Lande  der  Fabrik- 
tätigkeit, zusammen.  Gradezu  wird  Enge  Hand  in  der  folgenden  Variante 
aus  Hannover  genannt:  Dar  kuamen  twe  du  wen  van  Engelland  stüwen 
de  neihden  en  nät  sünner  drat.  D.  Fräulein  E.  Freiin  v.  Dinck!!ige-Canii>e. 
Auflös.  schöwel  (Schrittschuh). 

27 


418 

noch  Ende  daran  sieht,  musste  es  ihnen  als  eine  Arbeit 
der  schmiedenden  Elbe  erscheinen  und  in  diesem  Sinne 
sagte  man,  dass  es  in  Engelland,  dem  Eibenreich,  zu  Hause 
sei,  daher  gefahren  komme.  Wir  sahen  bereits  o.  S.  346, 
dass  die  Elbe  auf  Eierschalen  aus  und  nach  ihrer  Hei- 
mat fahren.  Auch  in  Holland  schreibt  man  vor,  die  Eier- 
schalen zu  zerbrechen,  sonst  fahren  die  Hexen  darin  nach 
England  '). 

Ist  das  Ei  zerbrochen,  so  kann  kein  Mensch  es  wie- 
der heilen,  nicht  einmal  die  kunstvoll  schmieden- 
den Geister  (Elbe)  im  Lande  der  Engel-).  Wir  ler- 
nen hier  also  Engelland  als  einen  Ort  kennen,  wo  kost- 
bare, wundersame  Gefäfse  gefertigt  werden,  eine  Tätigkeit, 


1)  Notes  and  queries  III,  387. 

2)  Viele  Varianten  unseres  Rätsels  nehmen  eine  andere  Wendung.  Pom- 
merellen:  Huchel  di  buchel  he  leg  op  de  benk,  huchel  di  buehel  he  leg 
onder  de  benk.  Huchel  di  buchel  hets  genecke  tebröke,  kann  kene  sone 
huchel  di  buchel  me  mäke.  —  England  Ilalliwell,  Nursery-rhynies  S.  92, 
No.  135:  Hump  ty-dumpty  säte  on  a  wall;  humpty-dumpty  liad  a  great 
fall;  threc  score  men  and  three  score  more  cannot  place  humpty-dumpty  as 
before.  —  Kuhländchen.  Meinert,  Fylgie  S.  289,  33.  's  feilt  vo  dar  trepp  onn 
kon's  ka  beinder  meh  beinde.  —  Siebenbirgen  d.  Haitiich:  et  fäel  e  kefken 
vum  däuch  erüef,  et  kangd  cd  niche  biduer  bangyden.  Wat  es  dät?  Vergl. 
Hagens  Germania  VI,  156.  —  Eine  Reihe  anderer  Recensionen  ist  mir  noch 
nicht  verständlich.  Weifsenfeis  in  Sachsen  mündl.  vergl.  Neuvorpommern  Ha- 
gens Gei'mania  V,  252:  Ente  potente  safs  auf  der  Bank,  Ente  potente  fiel 
von  der  Bank,  da  kamen  die  Herren  von  Akel  dörschakel  und  wollten 
Ente  potente  wieder  ganz  machen.  —  Pommerellen:  Hempel  di  pempel  lag 
auf  der  Bank,  Hempel  di  pempel  lag  unter  der  Bank,  kam  ein  Herr  von 
Jlen  Apen  kann  Hempel  di  pempel  nicht  wieder  machen.  —  Pommerellen: 
Hottepotete  ober  der  Bank,  Hottepotete  unter  der  Bank!  da  kam  der  Hot- 
tepotete  und  könnt'  es  nicht  wieder  ganz  machen.  —  Pommerellen:  Ente 
potente  sat  op  de  benk,  Ente  potente  fei  von  de  benk,  da  käme  de  herre 
von  Atepotäte  on  wullen  Ente  potente  wedder  ganss  mäke.  —  Holstein 
mündl. :  Henterpotenter  kam  auf  die  Bank,  Ilenterpotenter  fiel  von  der  Bank, 
da  kamen  5  Herren  von  Uden  von  Aden,  konnten  doch  kein  Henter- 
potenter mehr  machen.  —  Pommerellen:  Endle  labondle  lag  auf  der  Bank, 
Endle  labondle  lag  unter  der  Bank,  da  kam  ein  Herr  von  Labondle  ge- 
gangen; schenkt  Hannchen  ein  Hahneben  und  ein  Hühnchen.  Hahnchen  und 
Hühnchen  gingen  einen  graden  Weg.  Hühnchen  fand  ein  Kornchen,  Hahn- 
chen wollt  es  ihm  nehmen,  da  kam  ein  Herr  von  Labondle  gegangen  wollt 
es  ihm  nicht  lassen.  —  Wer  sind  die  Herren  von  Akel  dörschakel,  Jlen  Apen, 
Hottepotete,  Atepotäte,  Uden  Aden,  Labondle?  —  Die  Besprechungen  unse- 
res Rätsels  N.  Preufs.  Provincialbl.  1840  V,  396  fgg.  Hagens  Germania  V. 
184.3   S.  252  —  254  sind  durchaus  unzureichend. 


419 

welcher  unsere  Elbe  nach  vielfachen  Sagen  im  oder  hin- 
ter dem  Berge  (dem  Wolkenfels)  obzuliegen  pflegen'). 

Das  Ei  musste  unsern  Altvorderen  um  so  mehr  elbisch 
erscheinen,  als  sowol  seine  Gestalt  sie  an  den  buckligen 
Zwerg ^),  als  auch  sein  Hin-  und  Herrollen  an  das  Ko- 
bold- oder  Kopfheisterschiefsen'^)  erinnerte. 

11)  Das  Land  der  Engel  gilt  begreiflicherweise  als 
Inbegriff  aller  Freuden  und  daher  nimmt  die  Redensart: 
„nach  England  fahren"  mitunter  die  abstracte  Bedeutung 
„vergnügt  sein"  an:  ^ 

Wir  haben  ein  Schiffchen  mit  Wein  beladen 

Damit  vrölln  wir  nach  Engelland  faren. 

Lasst  uns  farn,  farn,  farn, 

Lasst  uns  farn  nach  Engelland  zu. 

Der  Wein  ist  aufser  mafsen  gut, 

Er  macht  uns  frischen  und  freien  Mut, 

Lasst  uns  u.  s.  w. 

Frisch  auf  Gesell  lass  umbhergan, 

Das  Gläslein  muss  nit  lang  stillstan! 

Lasst  uns  u,  s.  w. 

Schenk  ein,  schenk  ein  den  kuelen  Wein, 

Das  Guetlein  muss  verschlemmet  sein! 

Lasst  uns  u.  s.  w.  *). 
Vorzüglich  aber  wird  diese  Redeweise  von  der  Früh- 
lings- oder  Sommerfreude  gebraucht.  Die  flandrische 
Jugend  pflegt  besonders  in  Dünkirchen  an  Sommeraben- 
den (zumal  an  den  Festen  d.  h.  Johannes  des  Täufers, 
Petri  und  Pauli)  eine  Krone  von  Rosen  über  den  Weg 


1)  S.  Kuhn,  Zcitschr.  f.  vergl.   Sprachf.  IV,   95   fgg. 

2)  llumpelken,  hüminelken,  hüppelken  bedeutet  bucklig,  vergl.  engl, 
hump;  pürapelken,  bümmelken  sind  Enipliase.  Vergl.  Zeitscbr.  für  vergl. 
Sprachf.  III,  79.  80.  engl,  humpty  =  luinchbauked.  S.  Thoni.  Wright,  Dictio- 
naiy  of  absülcte  and  provincial  English.  London  1857  S.  673.  —  Ilumpty- 
duinpty  „eine  kleine  tölpische  Person."  Kaltschmidt,  Engl.  Wörter- 
buch  s.  V. 

3)  Vergl.:  kann  kene  sone  huchel  di  bucliel  me  müke.  —  Dan.  trille 
bedeutet  Rolle,   Scheibe. 

4)  Uhland,   Volkslieder  580,   220. 

27* 


420_ 

zu  hängen  und  unter  derselben  gegen  Sonnenuntergang 
Reigentänze  aufzuführen.  Jene  Krone  heifst  Roozen- 
hoed').  Zu  Bailleul  singt  man  bei  solcher  Gelegenheit 
folgendes  Tanzlied: 

Ik  zoude  nu  zo  geiren 

naer  Eugelland  gaen  varen, 

al  om  mjn  eerste  wieltje 

van  mynen  nieuwen  wagen. 

Ik  zal  om  een  gaen  zoeken 

van  hier  naer  de  vier  hoeken, 
_  van  hier  overal; 

waer  dat  ik  hem  vinden  zal. 

Komt  hier  myn  proper  maegdetje, 

komt  danst  met  my. 

Ye  zal  myn  eerste  wieltje 

van  mynen  wagen  zyn. 

„Ik  wil  h'en,  "k  wil  eenen  man, 

ik  wil  h'en  eenen  wagenman  -)." 


1)  An  einigen  Orten  führt  sie  den  Namen  Roozenkroon.  „Am  Sonn- 
tag nach  Cathedra  Petri  wird  in  Geeraerdsbergen  in  Belgien  ein  Tanz  unter 
der  Eoozenkroon  gehalten,  die  hoch  über  der  Strafse  schwebt ;  sobald  sich 
ein  bestimmtes  Paar  unter  ihr  befindet,  lässt  man  sie  fallen.  Dann  folgt  ein 
allgemeines  Ballspiel."  Wolf,  Wodana  I,  103.  Wolf,  Beiträge  I,  87.  In 
Hekelghem  bei  Aelst  versammeln  sich  am  St.  Peterstag  die  Bursche  und  Mäd- 
chen des  ganzen  Dorfs  und  machen  zwei  Blumenkränze  den  Roozen  hoed 
und  die  Kroon.  Dann  losen  die  Mädchen  mit  Strohhalmen.  Die  den  läng- 
sten zieht  erhält  den  Roozenhoed,  wird  erste  Königin  und  wählt  sich  ih- 
ren König.  Die  den  zweitlängsten  Halm  behält  erhält  die  Kroon  und  wählt 
sich  gleichfalls  ihren  Genossen.  Abends  ist  Schmaus  und  Tanz  im  Wirtshaus. 
In  Brüssel  werden  an  den  Festtagen  St.  Johannis  des  Täufers,  Petri  und  Pauli 
und  bei  der  grofsen  Kirchweibe  in  den  untern  Stadttheilen  Maien  gepflanzt, 
Kränze,  Kronen  und  Fahnen  in  den  Strafsen  ausgehängt  und  Abends  tanzen 
die  Nachbarn  ,, unter  der  Krone,"  die  inmitten  der  Strafse  schwebt.  Am 
letzten  Kirch  weihtag  zündete  man  unter  der  Krone  ein  Freudenfeuer  an. 
Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  176.  In  Halle  hängt  man  am  Johannismorgen  Kro- 
nen von  Laub  und  Blumen  an  Schnüren  quer  über  die  Strafse,  die  Kinder 
tanzen  darunter,  sperren  den  Vorübergehenden  mit  Blumengewinden  den  Weg 
und  erhalten  dafür  ein  kleines  Geldgeschenk.  Diese  Kronen  sind  in  Thü- 
ringen und  Sachsen  sehr  verbreitet.  Sommer,  Thüring.  Sagen  S.  156.  Die 
Tänze  unter  der  Rosenkrone  hängen  mit  den  deutschen  im  Rosenkranz  zu- 
sammen, worüber  HofFmann,  Horae  belgicae  II,  177.  178.  Vergl.  das  Tan- 
zen unter  dem  Rosenstock  zu  Sachsenburg  und  den  Rosenbaum  von  Für- 
stenwalde bis  Wendisch  Buchholz.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  391.  No.  82.  Auch 
in  Greifswalde  waren  und  sind  zu  Pfingsten  Tänze  unter  g  cid  gezierter 
Blumenkrone  in  Gebrauch.  S.  Greifswalder  Kreis-  und  Wochenblatt  1857 
No.  66.  70.   76. 

2)  De  Coussemaker,   Chants  populaires  des  Flamands  de  France,  recueil- 


421 

Der  Reigen  wird  von  allen  Mitspielern  getanzt  aufser 
einem,  welcher  umhergeht  und  mit  einem  Plumpsack  ein 
Mädchen  aus  dem  Kreise  berührt  und  nötigt,  sich  an  seine 
Seite  zu  begeben  '). 

In  der  Gebend  von  Brüssel  war  folgender  Abzählreim 
üblich:  '^) 

Onder  de  bank 
leit  er  wat  zand; 


lis  et  publies  avec  des  melodies  originales.  Gand  E.  Gysselink  185G  S.  325, 
CHI.  —  Ich  wollte  so  gern  nach  Engellaud  fahren,  um  das  erste  Rädchen 
für  meinen  neuen  Wagen.  Ich  werde  danach  suchen  in  alle  vier  Weltgegen- 
den, von  liier  aus  überall,  bis  dass  ich  es  finde.  Komm  her  mein  wackres 
Mägdelein,  komm  tanz  mit  mir,  du  sollst  das  erste  Rädchen  meines  Wagens 
sein.  „Ich  will  haben,  ich  will  einen  Mann,  ich  will  haben  einen  Wagen- 
mann." 

1)  Ein  ähnliches  Spiel  ist  in  Dünkirchen  zu  Hause,  De  Coussemaker 
a.  a.  0.   324,   CIL: 

Komt  hier  gy  proper  maegdetje, 

komt  danst  met  my. 

gy  zyt  aen't  eerste  koordetje, 

van  mynen  nieuwen  wagen. 

houd  alaen,  wagen,   wagen! 

wat  zal  ik  hier  gaen  zoeken, 

van  achter  in  de  hoeken? 

'k  zal  gaen  zoeken  overal, 

waer  ik  iemand  finden  zal. 
Zu  vergl.  steht  auch  Simrock,  Volkslieder  1851    S.  304,    189: 

Ich  stehe  fürwahr  nicht  aufe. 

Ich  enlasse  dich  nicht  herein, 

Ich  hör'  an  allen  deinen  Reden, 

Dass  Du  mein  Lieb  nicht  bist. 

Hörst  du  an  allen  meinen  Reden, 

Dass  ich  dein  Lieb  nicht  bin. 

So  steck  dir  au  ein  Kerzchen, 

So  siehst  du,  wer  ich  bin. 

Das  Feuerchen  liegt  in  der  Aschen, 

Die  Kerzchen  sind  verbrannt, 

Ade   ihr  Ilonnefer  Jungfern, 

Ich  zieh'  ins  Enge  11  and. 
Dort  lioft't  der  sehnende  Werber  Liebesglück   und  Freude  zu   finden,   doch 
gefällt  ihm  schliefslich   die  Erde  noch  besser  und  er   bleibt. 

2)  Wolf,  Wüdana  Mus.  voor  Nedcrduitsche  oudheidskunde.  Gent  1843 
I,  110.  Unter  der  Bank  liegt  da  etwas  Sand,  trägt  ihn  mit  nach 
Enge  11  and  (von  Engelland  nach  Spanien!)  Aepfcl  von  Oranien,  Birnen 
von  dem  höchsten  Baum.  Wer  das  erste  Spiel  gewinnt,  gewinnt  die  gol- 
dene Doppelkrone.  Die  Krone  steht  gespannt  mit  4  eisernen  Bändern,  woran 
die  stolzen  Kinder  und  die  stolzen  Menschen  hangen  sollen.  Die  goldene 
Krone  dieses  Kinderreims  ist  wol  nichts  anderes,  als  die  mit  Flittergold  verzierte 
Krone  des  vorhergehenden  Liedes.    Zu  dem  Anfang  vergl.  oben  S.  404.  405. 


422 

draegt  Lern  mee  naer  Ingeland, 

(van  Ingeland  uaer  Spanje) 

appelen  (van  Orange)  ') 

peeren  van  den  hoogsten  boom. 

Wie  het  eerste  speleken  heeft 

heeft  de  dubbele  goude  kroon; 

de  kroon  die  staet  gespannen 

met  vier  yzere  bannen 

(waer  dat  de  stoute  kinderen 

en  de  stoute  menschen  daeraen  hangen). 


1)  Ich  kann  nicht  unterlassen  auf  den  merkwürdigen  Umstand  aufmerk- 
sam zu  machen,  dass  die  nun  schon  mehrfach  als  Zusatz  zu  Engelland  beob- 
achteten Worte  „nach  Spanien,  von  Spanien  nach  Oranien  u.  s.  w."  s.  oben 
S.  397  fgg.  400  fgg.  in  einem  italiänischen  Sonnenliede  ein  merkwürdiges 
Analogon  finden: 

Kon  chiovere,  non  chiovere.  Regne  nicht,  regne  nicht, 

ca  voglio  ire  a  movere  Denn  ich  will  bei  Sonnenlicht 

a  movere  lo  grano  Das  Korn  zu  worfeln  fangen  an 

de  masto  Giuliano.  Bei  dem  Meister  Julian. 

Masto  Giuliano  0  Meister  Julian 

prestamo  na  lanza,  Gieb  mir  ne  Lanze  von  der  Wand, 

ea  voglio  ire  N'franza,  Denn  ich  zieh'  ins  Frankenland, 

da  Franza  a  Lombardia,  Von  Frankenland  nach  Lombardia, 

dove  sta  Madamma  Lucia.  Dort  thront  Madamma  Lucia. 

S.  Ferdinande  Galliani  del  dialetto  Napoletano  Napoli  MDCCLXXIX  S.  119. 
Die  heilige  ,,Lucia"  (d.h.  die  am  Tag  Geborene)  vertritt  hier  die  Stelle 
einer  Sonnengöttin  in  Folge  der  Volksetvmologie  von  Lucia  aus  luce  lat. 
lux;  ebenso  wie  das  catalanische  Sonnenlied  aus  gleichem  Grunde  St.  Clara 
(die  Leuchtende)  wählt,  s.  oben  S.  395.  Ich  kann  nicht  umhin  an  dieser 
Stelle  zu  S.  396  der  Vollständigkeit  wegen  den  Test  des  dort  erwähnten 
neapolitanischen  Sonnenliedes  ausführlicher  mitzuteilen:  Jesce  jesce  sole  sca- 
jenta  'mperatore  Scauiello  mio  d'argiento  che  vale  quattociento ;  ciento  cin- 
quanta,  tutta  la  notte  canta,  canta  viola  lo  masto  de  scola ;  o  masto,  o  masto 
mannancene  priesto ;  ca  scienne  masto  Tiesto  co  lanze  e  co  spate ,  da  l'au- 
cielle  accompagnato.  Sona  sona  zampognella,  ca  t'accatto  la  gonnella, 
la  gonnella  de  scarlato;  si  non  suone,  te  rompo  la  capo.  S.  Liebrecht,  Der 
Pentamerone  des  Basile  11.  S.  253.  Zu  oben  S.  397  bemerke  ich,  dass  zum 
Verständnis  der  piemontesischen  Sonnenlieder  schon  der  folgende  Volksreim 
aus  Mailand  ( s.  Cherubini,  Vocabulario  Milanese-Italiano.  Milano  1839  I, 
187)  einen  Beitrag  liefert: 

Pioev,  pioev, 
la  gaijnna  fa  I'oeuv, 
liocca,  fiocca, 
la  gaijnna  la  fa  l'occa. 
d.  i.  Regen,  Regen,  die  Henne  legt  ein  Ei,    Schnee,  Schnee,  die  Henne  sie 
macht  eine  Gans.     Zu  der  schon  mehi-fach  (s.  u.  a.   oben  S.  841)  besproche- 
nen Darstellung    der  Wetterwolke    als  Huhn    vergl.   den    ditniars.  Namen  der 
Vogelmiere   stellaria   media   hoenerswark,    d.  i.    eigeutl.    llühuerwolke. 


423 

Wiederum    lautet   ein    beim    Mail  eben    gebraucbtes 
Tanzlied  in  der  Umgegend  von  Bonn: 

Im  Maien,  im  Maien  die  Vögelein  singen, 

Die  Lämmelein  auf  grün  Haide  springen. 

Sie  springen  und  singen  vor  Herzliebcbens  Tür. 

„Komm  doch  zum  Abendtänzeben  berfür." 

Ein  Abendtänzeben  es  dauert  nicbt  lang. 

Mit  einer  Scbalmeien  in  Engelland. 

Ich  hoffe,  sie  werde  bald  wiederum  kommen. 

Der  lustige  Mai  bringt  fröhlich  den  Sommer. 

Der  fröhliche  Sommer  bringt  frischen  Klee, 

Von  Herzlieb  scheiden  und  das  tut  weh. 

Von  Herzlieb  scheiden  tut  nimmermehr  gut, 

Wer  soll  denn  trösten  den  Mädchen  den  Mut?  u.  s.  w. '). 


S.  MüUenhoffs  Glossar  z.  Quickbom  s.  v.  Zu  meiner  grofsen  Freude  vermag 
ich  nun  auch  zu  dem  faeroeischen  Liede  oben  S.  375  aus  Sv.  Grundtvigs  so 
eben  eingelaufener  zweiter  Sammlung  „Gamle  Dauske  minder  i  folkemunde, 
ny  samling.  Kjcebenhavn  1856  —  57"  S.  154  eine  Variante  aus  Jütland  bei- 
zubringen :  „Böen  om  godt  veir"  (Bitte  um  gutes  Wetter) : 

Mett  ä  Malen, 

di  säd  ä  grasten, 

ä  boj  te  Vorherr,  te  se  sol  matt  sken, 

saa  skcnd  se  sol,   sä  lyst  aä  mkn. 

klar  (für  klaver)  q/;   te  vorherr,  i  guds  engler. 
Margareta  und  Malen,  sie  safsen  auf  dem  Feldstein   und  baten  unsern  lieben 
Herrn,  dass  die  Sonne  möge  scheinen,  so  schien  die  Sonne,    so  leuch- 
tete der  Mond;  klimmt  auf  zu  unsern  Herrn,  ihr  Gottes  Engel. 

Da  wir  einmal  bei  Nachträgen  zu  den  Sonnenliedern  stehen,  merke  ich 
zu  S.  380,  3  noch  einen  englischen  Reim  aus  Halliwell,  Nursery-rhymes  201, 
CCCLVII.  an: 

Rain,  rain  go  away, 
come  again  another  way, 
little  Arthur  wants  to  play. 
1)  Bonn  und  Menzenberg:    Simrock,  Deutsche  Volkslieder  S.  205,  107. 
—  Kesseuich,  Poppeisdorf:    Erk,    Neue    Sammlung  Deutscher  Volkslieder  II, 
Heft  4.  5.  S.  82,   77.     Erk,  Deutscher  Liederhort  309,    140: 

Zu  Maien,   zu  Maien  die  Vögelchen  singen. 

Die  Lauberen  auf  Grünhaide  springen. 

Sie  tanzen,   sie  springen  vor  Herzliebchcns  Tür, 

Da  geht  ein  Abendtänzchen  herfUr. 

Ein  Abendtänzchen,  es  währet  nicht   lang, 

Mit  einer  Sclialmeicn  aus  Engelland. 

Wir  hoffen,  sie  werden  sclion  wiederum  kommen, 

Der  Mai  bringt  uns  den  lustigen  Sommer; 

Den  lustigen  Sommer,  den  gelben  Klee  — 

Herzliebchen  das  Scheiden  und  das  tut  weh. 


424 

Die  Eugel  lassen  bei  Beginn  des  Frühlings  liebliche 
Schalmei  ertönen.  Sie  führen  den  lustigen  Mai,  den  gel- 
ben Klee,  das  grüne  Laub,  den  Vogelsang  wieder  herbei, 
die  verschlossenen  Häuser  tun  sich  auf,  zu  Tanz  und  Spiel 
während  der  ganzen  Sommerzeit  kommen  Bursche  und  Mägd- 
lein hervor,  die  Freude  des  Engellandes  kehrt  bei  ihnen 
wieder  ein,  bis  des  Winters  eisiger  Bann  sie  hinter  den 
Ofen  zurücktreibt. 

Diese  Vorstellungen  haben  einen  tieferen  Hintergrund. 
Das  himmhsche  Lichtreich  wurde  einst  als  wunderherrli- 
cher Garten  gedacht,  woher  der  Blumenschmuck  des 
Sommers  alljährlich  auf  die  Erde  kommt.  Im  oder  un- 
ter dem  Frauhollenteich  am  Weisner  befindet  sich 
Frau  Hollas  unvergleichhcher  Garten,  worin  Blumen 
und  kostbare  Früchte  wachsen').  Nach  dem  Mär- 
chen steigen  Kinder  in  Holdas  Brunnen  hinab.  Unter 
demselben  liegt  eine  bhimige  Wiese,  auf  der  Apfel- 
imd  Birnbäume  voll  reifer  Frucht  stehen  und  zum 
Pflücken  einladen  ^).  Eine  elsässische  Sage  schildert  den 
Kinderborn  als  einen  schönen  steinernen  Brunnen  auf  ei- 
ner Wiese  o;eleg-en.  Daraus  fliefst  Milch  statt  Wasser. 
Ringsum  blühen  grofse  Blumen  die  Honig  in  den 
Kelchen  bergen.  Damit  stillt  die  Mutter  Gottes  die 
elternlosen  d.  i,  die  ungebornen  Kindlein  ^).  Wir  wissen 
bereits  dass  Holdas  Brunnen,  in  welchem  die  Kinderseelen 
weilen,  der  Wolkenbrunnen  ist,  zu  welchem  der  Ma- 
rienkäfer auffliegt  (s.  oben  S.  255.  268),  und  dass  dasselbe 
Local  als  Ber^höle  auf<Tefasst  wurde.  In  Waldminchens 
Berghöle  s.  oben  S.  272.  273  befindet  sich  eine  blu- 
mige   Wiese,    auf   der    die    Kinderseeleu    spielen. 


Herzliebcheu,  das  Scheiden  tut  nimmer  kein  gut, 
Wir  zwei  wir  tragen  einen  falschen  Mut.  u.  s.  w. 
Vergl.  Müllenhoff,  Sagen  S.  480: 

Der  Abendtanz,   der  dauert  nicht  lang, 

Er  dauert  nur  einen  kleineu  Sommer  laug. 

1)  Grimm,  D.   Sagen  S.  7,   4.     Vergl.  Lyncker,  Hess.  Sagen  S.  17,   19. 

2)  KllM.  No.  24.      Vergl.  KHM.    III',    40  fgg.      Müllenhoff,    Sagen  S. 
497   fgg.     Stöber,  Elsäss.  Volksbüchleiu  S.  113,   245. 

3)  Stöber,  Sagen  des  Elsasses  S.  121,   107. 


425 

Sie  pflücken    daselbst   die   schönsten  Blumen  und  winden 
Kränze   und  wenn  sie  hungrig  und  durstig   sind,   kommen 
Waldminchens   Dienerinnen    und   bringen   ihnen    die   beste 
Speise.   —   Ebenso  befindet  sich   in   dem  oben  S.  338  aus 
Colshorn  beigebrachten   Berge    mit  den   Kinderseelen 
ein  goldenes  Schloss  auf  einer  Wiese.  In  einer  Schwei- 
zersage steigt  ein   Schneidersohn   in   die  Hole   einer  ver- 
wünschten Jungfrau  hinab.    Da  hat  er  erstlich  durch  eine 
eiserne  Pforte,  darnach  aus  einem  Gewölbe  in  das  andere, 
endlich  auch  durch  einige  gar  schöne  und  lustige 
grüne  Gärten  gehen  müssen.     In  der  Mitte  steht  ein 
herrliches  Schloss,  darin  weilt  die  Jungfrau  ').    Nach  einer 
Sage  bei  Harrys  -)   sind  die  Wände    in  der  AVohnung  der 
weifsen  Frau  mit  kostbaren  nie  gesehenen  Blumen  bedeckt. 
Dass  die  Wiese  wirklich  im  Lichtreich  (Engelland)  hin- 
ter dem  Wolkengewässer  liegt,  bestätigt  ein  Kinderreim: 
Hoijo  wären  wir  do 
wo  de  engelsches  sengen 
wo  de  schellekes  klengen, 
wo  de  blau  blau  blömkes  stont, 
wo  de  kengerkes  speie  gont^). 
In  einem  Eifler  Liede  s.  o.  S.  351  No.  20  wird  dem  Ma- 
rienkäfer zugerufen   „flieg   ins  Herrgottsgärtchen." 


1)  Grimm,  D.  Sagen  T.  No,  13.  S.  17. 

2)  Volkssagcn  Niedersachsens  II,   62. 

3)  Simrock,  Kinderb.^    86,   291.     Vergl.  Meurs  d.  H.   Grecf: 

Heijo!  wären  wir  do, 

wo  de  engelsches  sengen, 

wo  de  schellekes  klengen, 

■wo  dat  sönnelcen  (die  Sonne)  den  berg  herop  geit, 

wo  dat  klokschen  tien  ure  sleit. 

Dat  klokschen  het  geslagen, 

do  woll  min  müder  mek  dragen, 

do  gonk  ek  laupen. 

do  koamcn  se  mek  all  nägegoan, 

do  kam  ek  an  en  bröksken, 

do  säten  twe  hasen  on  en  kanin, 

do  sali  dat  kenneken  6k  sin. 
Vergl.   das    oben    S.  409   fgg.    erläuterte    Lied.      Das    dem    Hasen    verwandte 
Kaninchen    ist    ebenfalls   häufig   eine    Gestalt,    in    welcher  Seelen  erschei- 
nen.    S.  Wolf,  Niederl.  Sagen   S.  328,   233;    S.  500,   415;    8.508.   426;    S. 
703,  Anm.  415. 


426  _ 

Ein  anderer  Kinderreim  oben  S.  339,  3  zeigt  die  Kinder- 
seelen bei  Frau  Holda  im  Glasberg,  wo  sie  in  einem 
gar  schönen  Garten  voll  herrlicher  Blumen  wei- 
len. Schwäbische  Reime  fordern  den  Maikäfer  gradezu 
auf  Früchte  aus  seiner  himmlischen  Heimat  mitzubringen. 

1. 

Sonnevögele  flieg  aus 

Flieg  in  meines  Vaters  Haus, 

Komm  bald  wieder 

y^Bring  mir  Aepfel  und  Bire!"  '). 

2. 
Maikäfer  flieg  aus, 
Flieg  in  meiner  Ahne  Haus, 
Bring  mir  Aepfel  und  Bire! 
Komm  bald  wieder! ') 

3. 
Maiekäfer  flug,  flug 
In  deiner  lieben  Frauen  Häusle, 
Gibt  dir  Aepfel  und  a  Knäusle, 
Gibt  dir  Aepfel  und  Birel 
Morge  z'  Nacht  wieder  ^). 
Genaue  Einstimmung  zeigt  ein  Lied  an  den  im  himm- 
lischen Kinderbrunnen  der  Holda  heimischen  Storch: 
Stork  ä  stork  ä  stene, 
med  di  lange  bene! 
hvor  hasr  do  vaet  ä  tjene? 
I  min  faders  affildgärd, 
doer  er  bord  ä  baenke 


1)  Meier,  KindeiT.  aus  Schwaben  S.  23,  72. 

2)  Ebendas.  24,  77.  Der  Vater  in  1,  die  Ahne  in  2,  sowie  Vater 
und  Mutter  o.  S.  353.  No.  26  bedeuten  die  Seelen  im  himmlischen  Licht- 
lande, welche  hier,  wie  die  aulken,  ölken  s.  oben  S.  301  als  Geister 
der  Vorfahren  gefasst  sind.  Vergl.  Prölile,  Aus  dem  Harz.  Leipzig  1851 
S.  93:  Ein  Graf  von  Regenstein  bat  den  Ahn  seines  Hauses,  dessen  Geist  im 
Schlossbrunnen  hauste,  um  Nachkommenschaft.  Der  Brunnengeist  ge- 
währte seine  Bitte  und  schenkte  ihm  zwei  Söhne. 

3)  Meier  a.  a.  0.  25,  78.    Vergl.  oben  S.  347  —  352  und  Firm.  I,   526. 


427 

daer  er  mjoe  ä  sksenke 

daer  er,  dreng',  der  kytter  buld 

dser  er  pigger,  der  Spinner  guld; 

hos  ä  hos  ä  heja! 

daer  er  nok  ä  tej  a  '). 


1)  Storch  und  Storch  und  Sterne  mit  den  langen  Beinen,  wo  warst  du 
aus  zu  dienen?  In  meines  Vaters  Apfelgarten.  Da  sind  Tische  und 
Bänke,  da  sind  Mädchen  die  schenken,  da  sind  Bursche,  da  sind 
Jungfrauen,  die  spinnen  Gold.  Sv.  Grundtvig,  Gamle  Danske  minder 
i  folkemunde  II,  S.  147.  148.  Deutlich  ist  hier  in  das  himmlische  Brunnen 
reich  die  Scenerie  der  späteren  ValUiöll  hineingetragen,  die  Bänke  und  Tische, 
an  denen  die  Einheriar  sitzen,  die  metschenkenden  Valkyren.  Goldspin- 
nende Jungfrauen  werden  wir  weiterhin  in  Holdas  Brunnenreich  kennen  ler- 
nen. Vergi.  die  folgenden  Lieder,  welche  alle  von  einem  mythischen  Lande 
handeln: 

Gro  goes  mje  di  ving! 

hwo  vil  du  Swing? 

a'el  Swing  ü  a  mi  fäers  land 

daer  er  hwerken  säen  eller  wand, 

a  vil  ü  i  fremmed  land 

daer  grüer  loeg 

der  galer  gjoeg.  u.  s.  w. 
Grundtvig  a.  a.  0.  306.  —  Die  folgenden  schwedischen  Fassungen  entnehme 
ich  der  hdschr.  Sammlung  von  Stephens  und  Hylten-Cavallius : 

1.      (Vermland  aus  Bokaströms  Resa.) 
GH  gla  glänne 
län  mig  dina  vingar 
viska  fara  ät  Sörmoland 
der  ligger  spädt  barn,  lekar  med  gulläpplet. 

2.     (Finnmarken.) 
Bocken  stod  pä  trunnen 
med  kolblad  i   munnen 
sä  kom  gasen  flygande. 
,,aj !  aj !  hen-  gase, 
hvart  skal  flyge  til  gullfjord; 
dar  växer  löken 
dar  galar  göken 
dar  dansar  smä  fliekar 
dar  dansar  smä  gossar 
dar  dansar  lilleste  —  —  med. 

3.     (Södcrmannland.) 
Gäsa  gäsa  klinga 
läna  mig  diua  vingar. 
hvart  ska'  du  flyga? 
J  i  fr  c  m  m  a  n  d  e  land; 
der  bor  gökcn, 
der  gror  löken, 
der  sjunger  svancn, 
varper  uuder  granen ! 


428 

Entsprechende  Züge  finden  sich  in  Sagen.  In  der  Ge- 
gend von  Münnerstadt  in  Baiern  gingen  einmal  zwei  gute 
Kinder  aus,  Erdbeeren  zu  brechen.  Ermüdet  schhefen  sie 
ein.  Da  kam  ein  blauer  Storch  geflogen,  der  in  der  Gegend 
hauste  und  jedem  ehrlichen  Wandersmann  ein  treuer  Füh- 
rer war,  Spitzbuben  aber  und  Diebe  in  die  Hände  zwackte. 
Der  Storch  legte  dem  einen  Kinde  Goldperlen,  dem 
andern  die  schönsten  Erdbeeren  in  die  Hand').  Der 
Storch  ist  Holdas  Vogel,  der  die  Kinder  bringt,  seine  Gabe 
weist  daher  schon  darauf  hin,  dass  die  Erdbeeren  in  be- 
sonderen Bezüge   zu   dieser  Göttin   standen. 

Nun  bewahrt  Panzer  die  folgende  merkwürdige  Sage. 
Vor  dem  Johannistag  darf  eine  Mutter,  der  schon  Kin- 
der gestorben  sind,  keine  Erdbeeren  essen.  Denn 
an  diesem  Tage  führt  die  liebe  Himmelsmutter  Ma- 
ria die  kleinen  Kindlein  ins  Paradies  in  die  Erd- 
beeren. Kinder,  deren  Mütter  schon  vor  Johannis  von 
der  Frucht  genossen  haben,  gehen  leer  aus.  „Bleibt  zu- 
rück," spricht  Maria,  „euern  Teil  hat  eure  genäschige  Mut- 
ter schon  gegessen"^).  Die  Säligen  Fräulein,  Holdas 
Besfleiterinnen  in  Tirol,  helfen  den  Kindern  Erdbeeren 
und  Heidelbeeren  sammeln,  und  pflücken  so  schnell, 
dass  in  einer  Viertelstunde  alle  Körbchen  mit  der  saftig- 
sten Frucht  gefüllt  sind  ^).  Ein  Mädchen  findet  an  einer 
Stelle,  die  sonst  kahl  und  dürr  war,  die  allerschön steu 
Erdbeeren.  Während  sie  davon  pflückt,  zupft  eine 
weifse  Jungfrau   sie   am   Rock   und  wünscht   erlöst   zu 


deruuder  sittei-  et  litet  barn 

och  leker  med  guldapler. 
Dass  der  Storch  und  der  Maikäfer  als  Tiere  Holdas  auf  gleiche  Weise  ange- 
redet werden,  kommt  auch  sonst  vor,  vgl.  Firm.  II,  419  (Mennniugen)  Moia- 
käfer  fluig  auf,  fluig  in  deiner  üJine  haus.  "Wo  bischt  heint  z'  nacht 
gläaga!  z' Buxe  in  de  schäafa.  Warum  bauscht  m'r  nex  mitbraucht?  Ja  i 
haun  net  an  di  daucht.  Schönmaimk !  Schöumaunk.  —  Meier,  Kinderr.  aus 
Schwaben  28,  91.  Storch,  Storch  Schnibelschnabel  mit  der  langen  heuega- 
bel!  Wo  bist  heut  nacht  glege?  z'  Jesingen  in  de  schäfe.  Warum  hast  mir 
keine  bracht?     J  han  Wäger  uimme  dran  dacht. 

1)  Schöppner,  Bairisches  Sagenbuch  III,   S.  78,    1019. 

2)  Panzer,  Beitrag  zur  D.  Myth.  II,    13.   14. 

3)  Zingerle  KIIM.  Insbruck   1852   S.  59,   10. 


429 

sein  ').  Die  weilse  Frau  vom  Ilsenstein  erscheint  den  Mäd- 
chen in  den  Kronsbeeren  ^).  Im  bairischen  Hochland  soll 
es  lichte  Jungfrauen,  von  den  Einwohnern  Elfen  (?)  oder 
Fräulein  genannt,  gegeben  haben,  welche  die  Kühe  molken 
und  dafür  mit  reichlicher  Milch  segneten,  s.  oben  S.  52. 
Diesen  „Fräulein"  zu  Lieb  banden  die  Hirten  oft  den  Kü- 
hen Körbe  mit  saftigen  Erdbeeren  und  Alpenro- 
sen zwischen  die  Hörner,  damit  dieselben  kämen  und  sich 
daran  erfreuten  ^).  Auf  der  Tafel  des  Zwergkönigs  Hibich 
oder  Gübich,  der  nach  hannoverscher  Ueberlieferuug  im 
Glasberge  wohnt  s.  oben  S.  333,  giebt  es  Erdbeeren 
und  Himbeeren*).  Ein  armes  Mädchen  sucht  am  Hengst- 
berge in  Baiern  Erdbeeren  und  Nüsse  für  seine  kranke 
Mutter,  da  erscheint  ihm  bei  den  Beeren  ein  altes  Mütter- 
chen, das  ganz  und  gar  mit  goldenem  Moose  bekleidet  und 
durch  dessen  Gabe  sich  die  gepflückten  Beeren  und  Nüsse 
sämmtlich  in  Gold  verwandeln  ^). 

Vergewissern  uns  die  angeführten  Ueberlieferungen, 
dass  die  Erdbeeren  zu  Holda  und  den  Eiben  in  einem  en- 
gen mythischen  Verhältnis^  stehen,  so  zeigt  ein  Märchen, 
dass  man  sie  in  Holdas  himmhschem  Lichtreich  heimisch 
dachte.  Ein  armes  Stiefkind  wird  von  seiner  Mutter  mit- 
ten im  Winter  in  einem  papiernen  Kleide  in  den  Wald  ge- 
schickt, um  Erdbeeren  zu  suchen.  Sie  gelangt  an  ein 
kleines   Häuschen,    worin   drei   Zwerge   ( Haulermänner- 


1)  Schambacli  und  Müller,  Niedersächs.   Sagen  S.  87,    115. 

2)  Pröhle,  Uiiterharz.   Sagen  S.  109.  No.  270. 

3)  Schöppner,  Bairisches  Sagenbuch  II,   36,   489. 

4)  Pröhle,  Harzsagen  S.  60.  Ein  Mädchen  soll  für  Arbeiter  aus  der 
Iliinmelpforte  Wasser  holen.  Sic  pflückt  aber  erst  Erdbeeren,  da  kommt 
ein  klein  Männchen  und  fragt,  wer  ihr  die  Erlaubnis  dazu  gegeben.  Sie  sagt 
■\veslialb  sie  gekommen  und  er  führt  sie  nun  in  die  sonst  versclilosseuen  und 
den  Menschen  unnahbaren  Räume  des  untergegangenen  Klosters.  Dort  giebt 
er  ihr  zwei  Flaschen.  Die  Arbeiter  wurden  ganz  davon  berausclit 
und  fielen  in  Schlaf.  Pröhle  Uuteriiarzsagen  S.  85,  200.  Das  Kloster 
ist  Totenaufenthalt,  darum  schläfert  das  Getränk  ein.  Das  Mädchen  gelangt 
dahin,   indem  sie  die  Erdbeeren  pflückt. 

5)  Schöppner  a.  a.  O.  III.  No.  1086.  S.  134.  Auch  chis  wütende  Heer 
erscheint  „in  den  Erdbeeren."  Kuhn,  Mark.  Sagen  S.  175.  Panzer,  Bei- 
trag I,   84,   107. 


430 

cheiij  Hölenmänuchen)  wohnen,  denen  sie  willig  von  ihrer 
schmalen  Wegkost  mitteilt.  Diese  weisen  sie  an,  den 
Schnee  wegzukehren.  Darunter  kommen  die  schön- 
sten reifen  Erdbeeren  zum  Vorschein.  Aufserdem 
schenken  sie  ihm,  dass  es  jeden  Tag  schöner  wer- 
den soll  und  dass  ihm  Goldstücke  aus  dem  Munde 
fallen,  so  oft  es  ein  Wort  spricht,  endlich  dass  ein  Kö- 
nig kommt  und  es  zu  seiner  Gemahlin  erhebt.  Die  böse 
Stiefschwester  tritt  nun  gleichfalls  den  Weg  in  den  Wald 
an  um  ähnliche  Gaben  zu  erwerben.  Da  sie  aber  hart- 
herzigerweise den  Haulemännerchen  nichts  von  ihrem  Mit- 
tagsbrod  mitteilt,  wird  sie  verflucht  jeden  Tag  hässlicher 
zu  werden,  bei  jedem  Wort  eine  Kröte  aus  dem 
Munde  zu  verlieren  und  eines  üblen  Todes  zu  ster- 
ben^). In  Pommerellen  erzählt  man  dies  Märchen  so:  Die 
Frau  schickt  ihr  Stiefkind  mitten  im  Winter  in  den 
Wald  nach  Erdbeeren,  mit  einem  Papierkleid,  Glas- 
schuhen und  einem  Hut  von  Butter  angetan.  Sie  zer- 
stöfst  sich  die  Glasschuhe,  der  Wind  zerreifst  ihr  Kleid 
und  die  Sonne  zerschmilzt  den  Butterhut.  So  kommt  sie 
zu  den  3  Zwergen,  die  sie  mit  einer  Schaufel  den  Schnee 
wegfeö-en  heifsen.  Darunter  kommen  die  Erdbeeren 
zum  Vorschein.  Die  3  Männchen  wünschen  ihr  auf 
einer  Seite  goldene,  auf  der  andern  Seite  silberne 
Haare,  Gold  soll  aus  ihrem  Munde  fallen  und  je- 
desmal ein  Diener  es  aufheben,  endlich  soll  der  König  sie 
heiraten.  Der  bösen  Schwester  schenken  die  Zwerge  auf 
der  einen  Seite  des  Kopfes  Pferdehaar,  auf  der  andern 
Schweineborsten,  Kröten  sollen  aus  ihrem  Munde 
fallen  und  ein  Bettler  sie  heiraten.  In  einer  Harzer  Va- 
riante dieses  Märchens  kommt  die  Stieftochter  zum  Zwer- 
genhaus hinter  den  sieben  Bergen.  Die  Zwerge 
gewähren  ihr,  dass  sie  goldene  Haare  haben  soll  und 
schenken  ihr  einen  Krug  voll  herrlichen  Was- 
sers, den  sie  mit  nach  Hause  bringt.     Später  gelangt  sie 

1)  KIIM.  No.  13. 


431 

in  den  Wald,  wo  Gott  Christus  und  der  heilige  Geist  ihr 
mitten  im  Schnee  einen  Korb  voll  schöner  dicker 
Erdbeeren  pflücken.  Sie  wünschen  ihr,  dass  sie  von 
Gestalt  noch  schöner  werde  und  dass  ihr  bei  jedem 
Worte  Goldklümpchen  aus  dem  Munde  fallen.  Die 
Stiefschwester  kommt  ebenfalls  zu  den  Zwergen,  die  sie 
mit  einem  Kopf  voll  Läuse  begaben;  die  drei  göttlichen 
Personen  schenken  ihr  keine  Erdbeeren,  sondern  wünschen 
ihr  hässliches  Ansehen  und  Hörner  auf  den  Kopf  und 
machen,  dass  das  Haus  bei  jedem  ihrer  Worte  sich  dreht'). 
Nach  schwedischen  Varianten  aus  Upland  und  Ostgoth- 
land  wird  die  Stieftochter  mit  einem  Siebe  zum  Brunnen 
geschickt,  um  Wasser  zu  holen.  Der  Brunnengeist  wünscht 
ihr,  dass  sie  noch  einmal  so  schön  werden  soll,  als 
sie  schon  ist,  dass  ihr  bei  jedem  Wort  ein  Goldring 
aus  dem  Munde  fällt  und  dass  unter  ihren  Tritten 
rote  Rosen  erblühen.  Die  rechte  Tochter  wird  mit  ei- 
nem heilen  Eimer  ebenfalls  zum  Brunnen  geschickt  und 
trägt  wegen  ihrer  Hartherzigkeit  als  Geschenk  davon,  dass 
sie  dreimal  hässlicher  wird,  dass  ihr  eine  Ratte  aus  dem 
Munde  fällt,  wenn  sie  spricht,  und  dass  Unkraut  unter  ih- 
ren Füfsen  wächst  -).  Im  Pentamerone  ^)  erhält  Marziella 
von  einer  Alten  am  Brunnen  die  Gabe,  dass  ihr  Rosen 
undJasmin  aus  demMunde  fallen,  wenn  sie  lacht, 
dass  Perlen  und  Granaten  niederregneu,  wenn  sie  sich 
kämmt,  und  Lilien  und  Veilchen  unter  ihren  Füfsen  auf- 
spriefsen;  der  bösen  Puccia  dagegen  wünscht  dieselbe  alte 
Frau,  dass  ihr  Schaum  von  den  Lippen  trieft,  Läuse  vom 
Kopfe  fallen,  und  dass  Farnkraut  und  Wolfsmilch  unter 
ihren  Tritten  wachsen. 

Sehr  abgeschwächt  ist  das  Märchen  No.  77  bei  Meier. 
Ein  armes  Stiefkind  sucht  im  Walde  Erdbeeren;  da  sitzt 
ein  Engel  und  bettelt  sie  um  etwas  Brod  an.  Sie  erweist 
sich  mildtätig  und  erhält  von  dem  Engel  eine  Schachtel 


1)  Pröhle,  Märchen  für  die  Jugend   13,   5. 

2)  Schwed.  Volkssagon  übers,  von  Obcrleitnor  S.  165   C;   363,   7. 

3)  Le  dose  pizzelle  übers,  von  Liebrecht  II.  S.  84  (IV,   7J. 


432  _ 

mit  Goldstttckon  und  Edelsteinen.  Die  böse  Stief- 
schwester, welche  sich  nun  auch  auf  den  Weg  macht,  fin- 
det in  ihrer  Schachtel  schwarze  Teufelchen.  In  Tirol  er- 
zählt man,  dass  ein  Mädchen  und  ein  Bübchen  unter  den 
Erdbeeren  ein  zerlumptes  Männchen  finden,  das  sie  auffor- 
dert ihm  die  Läuse  abzusuchen.  Brüderchen  weigert  sich, 
die  Schwester  ist  willfährig.  Das  Männchen  schenkt  jedem 
Kinde  eine  Schachtel.  In  des  Mädchens  Schachtel  sind 
lauter  Engel,  aus  des  Knaben  fliegen  boshafte  Teufel  her- 
vor ').  Eine  im  übrigen  übereinstimmende  Variante  aus 
Norddeutschland  ^)  enthält  den  Zug,  dass  die  aus  der 
Schachtel  fliegenden  Teufel  dem  Knaben  das  Genick  ab- 
drehen, die  Engel  aber  in  der  Schachtel  des  Mädchens 
führen  sie  ins  Paradies  und  zeigen  ihr  alle  Herrlichkeit. 
Wiederum  erzählt  eine  Tiroler  üeberlieferung,  dass  Bruder 
und  Schwester  beim  Errföeerewpflücken  einer  schönen 
stolzen  Frau  begegnen,  der  wunderbares  Licht  die  Gestalt 
umfliefst,  und  eine  Krone  auf  dem  Haupte  glänzt,  strah- 
lend wie  die  Sonne,  wenn  sie  am  hellblauen  Himmel  steht. 
Es  ist  die  Mutter  Gottes.  Das  Mädchen  steht  ehrerbietig 
auf,  der  Bruder  isst  trotzig  weiter.  Jenem  schenkt  die 
holde  Frau  ein  goldenes  Kästchen,  diesem  ein  schwar- 
zes. Brüderchen  findet  in  dem  seinigen  zwei  schwarze 
Würmer,  die  immer  länger  und  länger  werden, 
den  Knaben  umwickeln  und  ihn  in  den  dunkeln 
Wald  für  immer  entführen.  Aus  Schwesterchens 
Kasten  entschlüpfen  zwei  Engel,  die  das  Kind  in  ihre 
Mitte  nehmen  und  damit  in  den  hohen  Himmel 
entfliegen.  Ganz  entsprechend  ist  eine  Variante  aus 
Darmstadt  '*).  Auch  hier  erscheint  die  Mutter  Gottes  den 
Kindern  in  den  Erdheeren.  Aus  Brüderchens  Schachtel 
steigt  ein  alter  Grumbus  (Knecht  Ruprecht),  der  es  Mores 
lehrt;  als  das  Mädchen  die  seinige  öffnet,  tanzen  drei  En- 


1)  Zingerle  KHM.  aus  Süddeutschlaud  S.  39   fgg 

2)  Kuhn,   Nordd.   Sagen  No.  9.  S.  335. 
?l)  Zingerle  KHM.    1852   S.  1.  No.  1. 
4)  Fimieuich  II.   S.  45. 


433 

gel  mit  blitzblauen  Augen  und  weifsen  Flügeln  daraus  her- 
vor, die  haben  einen  Kranz  von  Veilchen  gefloch- 
ten, ihm  den  auf  den  Kopf  gesetzt  und  haben  es  dann 
über  die  Regenbogenbrücke  schnurgrade  in  den 
Himmel  geführt!  '). 

Statt  des  Waldes  und  Waldhauses  die,  wie  wir  wis- 
sen s.  oben  S.  268  nur  ein  anderer  Ausdruck  für  die  Wolke 
sind,  oder  statt  der  Scenerie  am  Brunnen  spielt  in  anderen 
Varianten  dieselbe  Bee;ebenheit  gradezu  im  Kinderbrun- 


1)  An  die  eben  mitgeteilten  Varianten  schliefst  sich  einerseits  die  fol- 
gende Erzählung  aus  Gent.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  42.  Wolf,  D.  Märchen 
und  Sagen  S.  155.  No.  33.  Unsere  I.  Frau  begegnet  Jan  und  Mieken  und 
bittet  dieselben  um  ein  Butterbrod.  Das  Mädchen  verweigert  die  Gabe ,  der 
Knabe  aber  schenkt  sein  ganzes.  Da  giebt  Maria  Janken  eine  weifse  Ku- 
gel und  Mieken  eine  schwarze,  denen  sie  folgen  sollen.  Die  erste  führt  zu 
einer  weifsen  Pforte  d.  i.  zum  Himmel,  die  letztere  zu  einem  schwär 
zen  Tor,  d.  i.  zur  Hölle.  —  Andererseits  gehört  hieher  die  an  KHM.  Kin- 
derlegenden No.  5  sich  anschliefsende  Märchenfamilie.  Ein  frommes  verirrtes 
Kind  kommt  Abends  zum  heiligen  Joseph  in  ein  Waldhaus.  Es  koclit 
ein  Mus,  das  es  mit  ihm  teilt,  es  schlägt  aus,  im  einzigen  Bett  des  Alten 
zu  schlafen  und  wählt  ein  Strohlager  für  sich.  Am  Morgen  ist  der  heilige 
Joseph  verschwunden,  hinter  der  Tür  aber  liegt  ein  grofser  Sack  voll 
Gold,  darauf  steht  geschrieben,  er  sei  für  das  gute  Kind  bestimmt.  Der 
zweiten  Schwester,  die  aucli  zum  h.  Joseph  gelangt,  aber  weniger  mildtätig 
ist,  wird  eine  kleinere  Gabe  zu  Teil,  die  dritte  hartherzige  aber  findet  eine 
doppelte  Nase,  und  Schlangen  und  Eidechsen  umringen  ihren 
Weg,  um  sie  totzustechen.  Abgeschwächt  ist  KHM.  No.  169  aus  Als- 
feld im  Hannoverschen.  Zwei  Mädchen,  die  ins  Waldhaus  zu  einem  grauen 
Männchen  gelangen  und  hier  hartherzig  und  unbescheiden  gegen  diesen  und 
seine  Tiere,  ein  Hähnchen,  ein  Hühnchen  und  eine  bunte  Kuli  sich  beneh- 
men, werden  in  den  Keller  gestürzt,  die  dritte  Schwester  füttert  zuvor  die 
Tiere,  versorgt  dann  den  Alten  und  erlöst  auf  diese  Weise  die  ganze  Gesell- 
schaft, welche  ein  verwünschter  Prinz  und  seine  Diener  sind.  —  Weit  besser 
erzählt  man  im  Anhaltischen,  Firm.  H,  227.  Eine  Stieftochter  irrt,  aus  dem 
Elternhause  vertrieben,  im  Walde  umher.  Da  trifft  sie  ein  Hühnchen, 
ein  Hähnchen,  ein  Hündchen,  ein  Kätzchen  und  ein  Mäuschen,  de- 
nen sie  ihre  schmale  Wegkost  teilt  und  Wasser  zum  Trinken  durch  ihre 
Schürze  seiht.  Die  Tiere  führen  sie  in  ein  schmuckes  Wald  haus  und  wei- 
sen ihr  einen  Schrank  voll  schöner  Aepfel  und  Birnen,  wovon  sie  sehr 
bescheiden  geniefst.  Indem  kommt  ein  Männclien  mit  kurzen  Beinen  und 
langem  Bart  in  die  Tür,  das  sich  Benelangman  Benelangbart  nennt. 
Dem  muss  sie  den  Tisch  decken,  mit  ihm  essen  und  sich  dann  ins  Bett  le- 
gen. Aufwachend  findet  sie  sich  in  ihrer  Mutter  Bodenkammer,  aus  ihrem 
Stroh  sack  aber  quellen  Goldstücke  hervor.  Nun  macht  sich  die  böse 
Stiefschwester  auf  den  Weg,  die  sich  geizig  und  unverschämt  erweist.  Auch 
sie  erwacht  am  folgenden  Tag  in  ihrer  Mutter  Bodenkammer  braun  und 
blau  geschlagen  und  aus  dem  Strohsack  dringen  lauter  Kröten, 
Schlangen  und  anderes   Ungeziefer  hervor. 

28 


434 

nen  der  Holda.  Ein  Mädchen  wird  in  den  Brunnen 
hinabgestofsen.  Unter  demselben  gelangt  sie  zu  einer  blu- 
migen Wiese,  worauf  sie  nacheinander  freundlich  und 
bescheiden  einen  Reiserzaun  aufrichtet,  eine  Kuh  melkt,  ei- 
nen Schafbock  von  der  Last  seiner  Wolle  befreit,  einen 
Apfelbaum  abpflückt.  Zuletzt  kommt  sie  zu  einem  Troll- 
weib, und  nimmt  bei  demselben  Dienste.  Von  Vögeln  un- 
terrichtet trägt  sie  hier  in  einem  Siebe  Lehm,  mistet  einen 
Augiasstall  aus  und  melkt  sonst  unnahbare  böse  Kühe,  end- 
lich wäscht  sie  schwarze  Wolle  rein  ').  Das  Trollweib  ist 
zornig  über  das  Gelingen  der  aufgetragenen  Arbeit  und 
entlässt  sie.  Zum  Lohn  erteilt  sie  dem  Mädchen  die  Er- 
laubnis aus  drei  Schreinen  einen  zu  wählen.  Auf  den  Rat 
der  Vögel  lässt  jene  den  roten  und  grünen  Schrank 
stehen  und  wählt  den  blauen.  Das  Trollweib  sendet  ihr 
eine  glühende  Eisenstange-)  nach  und  verfolgt  sie. 
Vom  Apfelbaum,  dem  Bock,  der  Kuh  und  dem  Reiserzaun 
geschützt,  entkommt  sie  aus  dem  Brunnen,  viel  schöner 
und  stattlicher  als  sie  gewesen  war.  Im  blauen 
Schrank  findet  sie  Gold,  Silber  und  die  kostbar- 
sten Sachen.  Nun  begiebt  sich  die  Stiefschwester  auch 
in  den  Brunnen,  hört  nicht  auf  den  Rat  der  Vögel,  voll- 
bringt keine  der  Aufgaben,  wählt  den  roten  Schrein.  Aus 
diesem  aber  wimmelt  Gewürm  und  anderes  Unge- 
ziefer hervor  und  aus  ihrem  Munde  fallen  Schlan- 
gen und  Kröten,  wenn  sie  nur  die  Lippen  auftut ^). 
Bei  den  Romanen  in  der  Bukowina  wird  erzählt,  dass  die 
gute  Tochter,  nachdem  sie  zuvor  eine  schmutzige  Hün- 


1)  Die  schwarze  "Wolle,  welche  reingewaschen  wird,  ist  die  schwarze 
Wolke,  welche  abregnen,  wieder  weifs  werden  soll.  Vergl. :  ,,Hebt  die  Wol- 
ken hoch  empor  und  breitet  sie  dünn  weifs  und  wollicht  über  den  alles 
umwölbenden  Himmel."  Thomson,  Frühling  S.  7.  „Schwerfällig  rollten  die 
AVolken  ihre  wollichte  Welt."  Thomson,  Winter  S.  106.  Von  der  Wol- 
kengöttin Athene  heifst  es  bei  Oppian  Hai.  II,  22  sq.:  (fÜQfrt  t"  dayijaai 
jutilvif  ivat'O-i'i  y.aOTio)  na'/.kd^  inix&oviovs.  idiädlazo.  S.  Lauer,  System 
der  griech.  Myth.  S.  372.' 

2)  Kaum  brauche  ich  daran  zu  erinnern,  dass  die  glühende  Eisenstange 
der  von  der  Wolkenriesin  geschwungene  Blitz  ist,   s.   o.   S.  179  fgg.    199  fgg. 

3)  Asbjömsen  und  Moe  übersetzt  von  Bresemann  I,   S.  100.   No.  15. 


435 

din  von  Ungeziefer  gereinigt,  einen  Baum  von  Raupen  be- 
freit, einen  Brunnen  gekehrt,  einen  zerfallenen  Backofen 
wieder  aufgebaut,  beim  heiligen  Sonntag  Dienste  nimmt 
und  hier  einen  Monat  lang  in  einem  grofsen  Silber- 
becken alle  Vögel  der  Welt  badet.  Zur  Belohnung 
erhält  sie  einen  Koffer,  in  dem  sich  helle  Diamanten, 
Gold  und  Silbersachen  finden.  Die  schlimme  Toch- 
ter nimmt  denselben  Weg,  macht  alles  schlecht  und  trägt 
ebenfalls  einen  Koffer  heim,  aus  welchem  aber  Schlan- 
gen und  Eidechsen  hervorkriechen'). 

Der  Pentamerone  des  Basile  erzählt,  dass  Cecella,  eine 
übelbehandelte  Stieftochter,  in  eine  tiefe  Grube  hinab- 
steigt und  dort  erst  einen  wilden  Mann,  dann  drei  Feen 
antrifft,  die  Haare  von  gesponnenem  Golde  haben.  Diese 
führen  das  Mädchen  in  ein  prachtvolles  Haus  und  lassen 
sich  von  ihm  kämmen.  Cecella  ist  sehr  höflich  und  be- 
scheiden. Aufgefordert  aus  der  kostbaren  Kleiderkammer 
ein  Stück  zu  wählen,  erbittet  sie  sich  einen  zerlumpten 
Frauenrock  und  gefragt,  durch  welche  Tür  sie  aus  dem 
Hause  gehen  wolle,  sagt  sie  „für  mich  ziemt  es  sich  durch 
den  Stall  hinauszutreten."  Sie  erhält  aber  ein  goldgestick- 
tes Gewand  und  wird  durch  ein  aus  massivem  Gold  er- 
bautes Tor,  das  mit  Karfunkeln  besetzt  ist,  hinaus- 
geführt. Von  der  Decke  des  Tors  fallt  ihr  ein  o-oldener  Stern 
auf  die  Stirne.  Nun  steigt  auch  die  hässliche  Grannizia 
in  den  Abgrund,  ist  ebenso  ungezogen  und  unverschämt, 
wie  die  Stiefschwester  sittig.  Sie  wird  über  Misthaufen 
durch  die  Stalltür  hinausgelassen,  von  der  ihr  eine  Esels- 
hode  auf  den  Kopf  fällt,  die  flugs  daran  festklebt  '^).  Eine 
thüringische  Erzählung  giebt  an,  dass  die  schöne  Schwester 

1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  42  fgg. 

2)  Le  tre  fate.  S.  Der  Pentamerone  ed  Liebrecht  I,  396  fgg.  We- 
sentlich hiermit  übereinstimmend  ist  das  nur  bruchstückweise  erhaltene  ca- 
talanische  Märchen  „las  dos  niüas"  s.  Wolf,  Probevi  catalanisclier  Volks- 
poesie S.  51.  Dem  guten  Kinde,  das  sich  beim  Hüten  der  ITerde  gegen  ein 
altes  Weib  artig  bezeigt,  fliegt  ein  goldenes  Steinchen  auf  die  Stirne,  dem 
bösen  Mädchen  wächst  eine  Eselspfotc  an.  Auch  in  Deutschland  ist  diese 
Form  des  Märchens  bekannt.  Sie  steht  bei  Scbambach  und  Müller,  Nieder- 
sächs.  Sagen  S.  277.  No.  11,  B. 

28* 


436 

von  der  hässlichen  m  den  Brunnen  hinabgestofsen  auf  eine 
grüne  Wiese  gelangt,  wo  sie  eine  rote  Kuh  melkt.  Ein 
weifses  Männchen  führt  sie  zu  einer  prächtigen  Stadt,  Auf 
die  Frage  desselben,  ob  sie  durch  das  Pechtor  oder  das 
Goldtor  eingehen  wolle,  wählt  sie  das  erstere,  wird  aber 
durch  letzteres  geführt  wo  alles  von  Gold  trieft  und 
glänzt.  Sie  fühlt  sich  ganz  entzückt,  Angesicht  und 
Kleider  werden  ganz  vergoldet.  Man  führt  sie  nun 
in  einen  herrlichen  Saal.  Eine  Jungfrau  fragt  sie,  wo  sie 
wohnen  will,  im  weifsen  oder  im  schwarzen  Haus,  sie 
spricht  wieder  „im  schwarzen,"  wird  aber  ins  weifse  ge- 
führt. Eine  andere  fragt,  ob  sie  lieber  mit  schönen  Spin- 
nerinnen Goldflachs  spinnen  und  mit  ihnen  essen 
wolle,  oder  mit  Katzen  und  Schlangen.  Das  Mädchen 
erschrickt,  wird  aber  zu  den  Goldspinnerinnen  gebracht, 
isst  mit  ihnen  Schweinebraten  und  trinkt  Bier  und  Met. 
Nachdem  es  ein  herrliches  Leben  eine  Zeitlang  da  geführt, 
wird  es  durch  ein  Goldtor  von  einem  Männchen  wieder 
zurückgebracht  und  langt  mit  Goldkränzen  behängen  wie- 
der zu  Hause  an.  Der  gelbe  Hahn  kräht  ihr  entgegen 
„kikeriki"  und  der  ganze  Hühnerhof  ruft  laut  „da  ist 
die  goldne  Marie,"  Die  hässliche  Schwester  lässt  sich 
nun  auch  in  den  Brunnen  stofsen.  Es  folgt  von  allem  das 
Gegenteil,  ein  schwarzes  Männchen  führt  sie  fort,  sie 
kommt  durchs  Pechtor  in  eine  Nebelwoknung  zu  Schlangen 
und  Kröten,  mit  denen  sie  sich  nicht  satt  essen  darf  und 
Tag  und  Nacht  keine  Ruhe  findet  ').  Ganz  ähnheh  erzählt 
man  in  Bayern.  Als  die  gute  Schwester  durch  das  gol- 
dene Tor  nach  Hause  kommt  ruft  der  Haushahn: 

Kikeriki 

Unsere  goldne  Jungfrau  ist  wieder  hie. 
Die  böse  Schwester  wird  durch  ein  schwarzes  Tor  hin- 
ausgelassen.     Davon  fallt  lauter   Schwefel   und  Pech   auf 


1)  Reynitsch,    Truhten    und   Truhtensteine.      Gotha   1802   S.  128  —  131. 
Vergl.  KHM.  IIP,   S.  42.     Panzer,  Beitrag  I,   190. 


437 

sie  herab,  der  zeitlebens  an  ihr  hängen  bleibt.    Der  Haus- 
hahn kräht  ihr  entgegen: 

Kikeriki, 

Unsere  pechschwarze  Grete  ist  wieder  hie'). 
Warum  der  Haushahn  diese  Worte  ausruft,  wird  aus 
einer  Variante  der  Schwalmgegend  klar.  Die  in  den  Brun- 
nen gefallene  schöne  Schwester^  die  auf  der  Wiese  unter 
demselben  einem  Birnbaum,  einem  Muhkälbchen  und  einem 
Backofen  wolgetan,  kommt  zu  einer  Alten  im  Pfannkuchen- 
häuschen. Sie  laust  dieselbe  bis  sie  einschläft.  Dann  geht 
sie  in  eine  Kammer,  wo  alles  voll  von  goldenen 
Sachen  ist,  zieht  sich  ein  goldenes  Kleid  an  und 
eilt  davon,  vom  Birnbaum,  Backofen  und  Muhkälbchen 
geschützt.  So  kommt  sie  zum  Brunnen  herauf  und  der 
Tag  bricht  an,  da  ruft  der  Hahn  „unser  goldenes  Mädchen 
kommt."  Der  garstigen  Schwester  wird  von  der  Alten  das 
goldene  Kleid  besudelt  und  der  Hahn  kräht  ihr  entgegen 
unser  dreckiges  Mädchen  kommt  ^).  Wichtig  ist  noch 
die  siebenbirgische  Variante.  Das  gute  Mädchen  tritt, 
nachdem  es  einem  Apfelbaum,  einem  Hunde,  einem  Back- 
ofen gefäUig  gewesen,  in  den  Dienst  einer  Hexe,  die  ihm 
die  Schlüssel  des  Hauses  übergiebt,  aber  das  siebente  Zim- 
mer verbietet.  Als  die  Jungfrau  dennoch  dort  eintritt,  ist 
dort  alles  eitel  Gold,  und  sie  selbst  wird  auf  ein- 
mal ganz  goldig.  Das  Mädchen  entflieht,  vor  ihr  ist 
lichter  Tag  und  hinter  ihr  dunkle  Nacht.  Als  sie 
zu  Hause  ankommt  singt  die  Hausschwalbe  vom  Dach: 
Litum,  titum  tärchen, 
et  sätzt  e  güldig  frächen 
eangderm  fenster  en  lacht. 
Als  die  böse  Stiefschwester  denselben  Weg  nimmt  und 
ebenfalls  goldig  geworden  entflieht,  ist  vor  ihr  dunkle 
Nacht,  hinter  ihr  lichter  Tag.    Die  Hexe  kratzt  ihi 


1)  Panzer,  Beitrag  I,    125   fgg. 

2)  KIIM.  IIP,   40. 


438 

alles  Gold  wieder  ab  und  macht  ihr  blutige  Furchen  am 
ganzen  Leib.  Der  Haushahn  singt  nun: 
Litum,  titum  tarcheu, 
et  sätzt  e  bleadig  frächen 
eangderm  fenster  en  schroat  *). 
In  den  verschiedenen  hier  angeführten  Varianten  un- 
seres Märchens  wird  Holdas  Seeleureich  entweder  durch 
die  Wiese  unter  dem  Brunnen,  einen  Anger  neben 
dem  Brunnen,  einen  tiefen  Abgrund  oder  eine  Wald- 
lichtung dargestellt.  Dass  im  Totensitz  der  Göttin  Zwerge, 
wilde  Männchen  und  Weibchen,  oder  drei  Feen,  drei  Gold- 
spinnerinneu  u.  s.  w.  auftreten,  erklärt  sich  durch  Holdas 
Verbindung  mit  den  Eiben,  d.  i.  den  Seelen  die  bei  ihr 
weilen;  dass  die  drei  spinnenden  Schicksalsgöttinnen  eben- 
falls bei  Holda  im  Brunnen  ihren  Aufenthalt  haben,  ver- 
mögen wir  weiterhin  überzeuofend  nachzuweisen.  Der  üm- 
stand,  dass  Holda  selbst  einmal  als  gütiges  Wesen,  ein  an- 
dermal als  Hexe,  Trollweib  u.  s.  w.  auftritt,  findet  seine 
Erklärung  darin,  dass  sie  bald  in  ihrer  sommerlichen  güti- 
gen Natur,  bald  als  im  Winter  vom  Dämon  gefesselte 
Wasserfrau,  als  Gemahhn  des  Dämons,  als  Däsapatni  ge- 
dacht ist,  vergl.  oben  S.  177.  178.  Dies  vorausgesetzt  er- 
klärt sich  unser  Märchen  ganz  einfach.  In  Holdas  Toten- 
sitz gelangen  zwei  Seelen,  eine  gute  und  eine  böse, 
welche  alsbald  in  den  ihrem  ethischen  Charakter  entspre- 
chenden Naturerscheinungen  zu  wirken  beginnen.  Die  gute 
gelangt  in  das  himmlische  Lichtreich  hinter  dem  Wol- 
kengewässer, die  verbotene  Kammer^)  s.  oben  S.  392 
fü^or.  und  wird  daselbst  allo-olden,  um  fortan  im  Element 
des  Sonnenscheins  als  Sonnenstrahl  durch  das  Goldtor, 
aus  welchem  nach  unsern  Liedern  oben  S.  389  fgg-^)  die 
Sonne  herausgelassen  wird,  zu  neuem  Wirken  in  die  Natur 
zu   treten.      Diese    Vorstellung    besagt    denn   auch  die  An- 

1)  Haltrich,   Siebenbirg.  Märclieu  S.  100.  Xo.  34. 

2)  Dass  die  verbotene  Kammer  der  Aufenthalt  der  Gestirne  ist,  geht 
aus  dem  Märchen  bei  Asbjönisen  und  Moe  No.  8  hervor,  wo  aus  der  ver- 
botenen Tür  Sonne,  Mond  und  Sterne   entschlüpfen. 

3)  Vergl.   oben  S.  266. 


439 

gäbe,  dass  der  goldenen  Jungfrau  Goldstücke,  Gold- 
klürapcheu,  Goldringe,  Perlen  u,  s.  w.  aus  dem  Munde 
fallen  und  dass  Rosen  unter  ihren  Püfsen  aufspriefsen. 
Wie  wir  gesehen  haben,  geschieht  ihr  Heraustritt  aus  dem 
Himmelstor  in  der  Frühstunde,  wann  die  ersten  Morgen- 
strahlen erscheinen.  Oben  S.  378  wiesen  wir  an  der  ags. 
Formel  „J^a  com  engla  sweg  dyne  on  dägred"  da  geschah 
von  den  Engeln  Geräusch,  Tönen  bei  Tagesanbruch'), 
eine  Erinnerung  daran  auf,  dass  die  Elbe  den  Sonnenauf- 
gang veranlassen,  dass  das  Licht  der  Gestirne  der  Wieder- 
schein des  höheren  und  ursprünglichen  Lichts  des  Liosälfar 
ist.  Nun  sagt  noch  das  landläufige  Sprichwort  „Morgen- 
stunde hat  Gold  im  Munde."  Im  siebenbirgischeu 
Märchen  s.  oben  S.  437  heifst  es  ausdrücklich,  dass  die 
goldene  Jungfrau  lacht.  So  lacht  die  Morgenröte,  Myth.- 
708.  1055  und  wie  die  griech.  Eos  mit  Rosenfingern 
((jodoSdxTvXog)  in  die  Wolken  greift,  lacht  unsere  Eibin 
Rosen,  oder,  was  dasselbe  besagen  will,  diese  Blumen 
spriefsen  unter  ihren  Tritten  auf  ^).  Sprechen  wir  die  auf- 
gefundenen Anschauungen  mit  nordischen  Namen  aus,  so 
gelangt  die  Seele  der  guten  Schwester  nach  Gimill,  wo 
sie  mit  den  Lichtalfen  d.  i.  den  Geistern  der  Gerechten 
vereint  den  Himmelsgestirnen  Licht  erteilt. 

Genau  entsprechend  entrollt  uns  nun  „die  von  Schlan- 
gen und  Kröten  erfüllte  Nebelwohnung,"  der 
dunkle  Wald  mit  allem  Ungeziefer,  wohin  die  böse 
Schwester  durch  das  Pechtor  oder  schwarze  Tor  ver- 
wiesen wird,  das  Bild  von  Naströnd,  s.  oben  S.  322.  325. 
Sind  die  Goldklumpen  und  Rosen,  welche  der  goldenen 
Jungfrau  von  den  Lippen  spriefsen,  Sonnenstrahlen 
und  im  Morgenrot  prangende  Wölkchen,  so  sind  die 
Kröten    und    Schlangen,    welche    dem    „dreckigen 


1)  Den  Aufgang  der  Sonne  dachte  man  sich  mit  Geriiuscli  verbunden. 
Myth.2   703.  707. 

2)  Schon  J.  Grimm  spricht  INIyth.^  1054  die  Vermutung  aus,  dass  der 
in  manchen  Spuren  erhaltene  Mythus  von  Männern  und  Frauen,  denen  beim 
Lachen  Rosen  aus  dem  Munde  fallen,  sieh  auf  altdeutsche  Lichtwesen  bezo- 
gen haben  müsse.      Vergl.   oben  S.  liO,   Anm.  4. 


440 

Mädchen  aus  dem  Munde  fallen,"  Hagel  und  Regen 
(vergl.  über  die  Auffassung  des  Regens  als  Schlange  oben 
S.  82),  sie  selbst  erscheint  deshalb  auch  mit  Schmutz  oder 
Pech  überschüttet,  sobald  sie  das  Himmelstor  verlässt. 
Diese  Wahrnehmung  bestätigt  unsere  oben  S.  325  ausge- 
sprochene Ansicht,  dass  Näströnd  ursprünglich  gleich  Gi- 
mill  ein  eoelestischer  Seelenaufeuthalt  gewesen  sei.  Der 
Seele  des  Ungerechten  ist  es  bestimmt,  in  den  Schrecken 
der  Natur  ihre  Wirksamkeit  zu  entfalten.  Vei'gl.  oben 
S.  167.  190.  207.  Mithin  ergiebt  es  sich,  dass  mehrere 
Varianten  unseres  Märchens  mit  vollständigem  Recht  an 
die  Stelle  des  Goldtors  den  Himmel,  an  die  Stelle  des 
Pechtors  die  Hölle  setzen.  Es  wird  hier  ausdrücklich 
anerkannt,  dass  die  Erzählung  den  Eintritt  eines  guten  und 
eines  bösen  Geistes  in  das  Seelenreich  zum  Inhalt  hat,  aber 
erst  durch  spätere  Verderbnis  (um  nämlich  Lohn  und  Strafe 
in  der  Ewigkeit  zu  motivieren)  ist  der  vorausgehende  Gang 
zu  den  Erdbeeren,  bei  denen  Frau  Holda  (Maria) 
den  Kindern  erscheint,  in  das  dem  Tode  vorherge- 
hende Erdenleben  verlegt.  Wie  uns  KHM.  13  zeigt,  wach- 
sen die  Erdbeeren  in  Holdas  (himmlischem)  Rei- 
che selbst,  dort  wo  den  Seelen  Lohn  und  Strafe  erteilt 
wird,  und  deshalb  erscheint  die  leuchtende  Frau  auch 
„in  den  Beeren."  Die  Grundgestalt  der  in  Rede  stehen- 
den Recensionen  unseres  Märchens  war  folgende.  Zwei 
Seelen  heben  sich  auf  den  Weg  zum  himmlischen  Wolken- 
brunnen und  suchen  den  lichten  Garten  hinter  demsel- 
ben, wo  die  wundersamen  Früchte  wachsen.  Es  ist 
Winter;  die  Wolke,  die  das  Lichtland  der  Seligen,  den 
Himmels  garten  verdeckt,  ist  eingefroren.  Aber  die  ge- 
rechte Seele  dringt  durch,  erlangt  den  Genuss  der  himm- 
lischen Frucht. 

Den  Beweis  dafür,  dass  die  unter  dem  Schnee 
blühenden  Erdbeeren  Früchte  in  dem  vom  Winter- 
dämon eingeschlossenen  himmlischen  Seelenreich  sind,  bie- 
tet uns  eine  Sage  bei  Saxo.  König  Haddiug  sitzt  zur 
Winterzeit  beim  Mahle.     Da  taucht  neben  dem  Herde  ein 


441 

Weib  vom  Kopf  bis  auf  die  Hüften  aus  dem  Boden  her- 
vor, welches  grünende  Kräuter  in  der  Hand  trägt.  Der 
König,  welcher  zu  wissen  wünscht,  woher  sie  in  dieser 
Jahreszeit  die  grünen  Pflanzen  genommen,  folgt  ihr  nun 
zu  jenem  Orte,  wohin  er  selbst  nach  seinem  Tode 
cfelanfiren  soll.  Zunächst  wandern  sie  in  dichtem  Nebel 
auf  einem  Fufssteige,  der  durch  stätiges  Betreten  schon 
ganz  abgenutzt  ist,  an  vornehmen  Männern  in  Purpurklei- 
dern vorbei  und  gelangen  dann  zu  sonnigen  Wiesen^  die 
von  grünenden  Kräutern  erfüllt  sind.  Dahinter  schiefst  ein 
Strom  reifsend  dahin,  der  in  seinem  Lauf  Wurfgeschosse 
verschiedener  Art  mit  sich  fortführt.  Ihn  überwölbt  eine 
Brücke,  hinter  welcher  2  Heere  mit  einander  kämpfen.  Es 
sind  gestorbene  Helden,  die  täglich  den  Streit  des  Lebens 
erneuen.  Endlich  gelangen  die  Wanderer  zu  einer  Mauer, 
welche  das  Weib  nicht  überspringen  kann.  Sie  reifst  ei- 
nem Hahne  den  Kopf  ab  und  wirft  ihn  hinüber,  sogleich 
kräht  es  so  laut,  dass  man  einsieht,  das  Tier  sei  wieder 
lebendig  geworden  '). 


1)  Saxo,  Gram.  lib.  I.  ed.  P,  E.  Müller  I,  p.  51.  Apud  quam  diver- 
sante  Hadingo  mirum  dictu  prodigium  incidit.  Siquidem  coenante  eo,  foemina 
cicutarum  gerula  propter  foculum  humo  caput  extulisse  conspecta,  por- 
rc'ctoque  sinu  percunctari  visa,  qua  mundi  parte  tarn  recentia  gramina  brumali 
tein2>ore  fuissent  exorta.  Cujus  cognoscendi  cupidum  regem,  proprio  obvolu- 
tum  amiculo,  refuga  secum  sub  terras  abduxit:  credo  diis  infernalibus  ita 
destinantibus,  ut  in  ea  loca  vivus  adduceretur,  quae  morienti  pe- 
tenda  fuerant.  Primum  igitur  vapidae  cujusdam  caliginis  nubilum  pene- 
trantes perque  callem  diutuniis  adesum  meatibus  incedentes,  quosdam  prae- 
textatos,  amictosque  ostro  proceres  conspicantur:  quibus  praetcritis  loca  de- 
mum  aprica  subeunt,  quae  delata  a  foemina  gramina  protule- 
runt.  Progressique  praecipitis  lapsus  ac  liventis  aquae  fiuvium  diversi 
gcneris  tel  a  rapido  volum  ine  d  etorquentem,  eundemque  ponte  meabilem 
factum  offendunt.  Quo  pertransito  binas  acies  mutuis  viribus  concur- 
rere  contemplantur,  quarum  conditionem  a  foemina  percunctantc  Hadingo 
,.hi  sunt,"  inquit,  „qui  ferro  in  necem  acti,  cladis  suae  speciem 
continuo  protestantur  exemplo,  praesentique  spectaculo  prae- 
teritae  vitac  faciniis  acmulantur."  Prodeuntibus  murus  aditu  transcen- 
suque  difficilis  obsistebat,  quem  foemina  nequicquam  transilire  conata,  cum  ne 
corrugati  corporis  exilitate  proliceret,  galli  caput,  quem  secum  forte  defe- 
rebat,  abrupt  um  ultra  mocnium  septa  jactavit,  statimquc  redi  vi- 
vus ales  resunipti  fidem  spiraculi  claro  testabatur  oceentu.  Mit  Saxos 
Bericht  vergleiche  man  die  heutige  jütische  Sage  (Grundtvig,  Gamle  Danske 
Minder  i  fullvemunde  I,  p.  6  fgg.):  Zwei  Freunde  verabreden  jede  Weihnacht 
zusammenzukommen ,    ob    lebend    oder    tot.      Der    eine  stirbt.     Als  die  Weih- 


442 

Obwol  Saxo  den  Schauplatz  seiner  Erzählung  in  die 
Unterwelt  verlegt,  wird  auf  den  ersten  Anblick  klar,  dass 
hier  ursprünglich  von  dem  himmlischen  Seelenreich  die 
Rede  war.  Denn  die  ganze  Scenerie  giebt  sich  als  eine 
mit  der  eddischen  Anschauung  übereinstimmende  Schilde- 
rung von  Oöins  himmlischem  Totensitz  VallhöU  zu  er- 
kennen, wobei  die  Volkssage  nur  einige  ältere,  über  den 
Eddenglauben  hinaufreichende  Züge  bewahrt  hat.  Die  un- 
übersteigliche  Mauer  bezeichnet  die  gegen  die  Angriffe  der 
Riesen  mit  unangreifbarer  Brustwehr  umschlossene  Burg 
Asgarör  ').  Diese  Mauer  heifst  Valgrind  ( Schlachttodgit- 
ter). Davor  treiben  in  hoher  Luft  die  Einheriar  ihre  Kampf- 
spiele -).  Der  mit  Geschossen  aller  Art  erfüllte  Strom  ist 
Thund  (Panzer)  oder  Valglaumir  (Kampftodtöner).  Diese 
ganze  Scene  schildert  uns  Grimnismal  str.  21 — 23: 
])ytr  ]?und  Es  tönt  Thund 

unir  |?iöövitnis  Vergnügt  ist  Thiödvitnirs 

fiskr  flöSi  i;  Fisch  in  der  Flut; 

ärstraumr  j'ikkir  Der  Stromfall  dünkt 

ofmikill  Zu  schrecklich 

valglaumi  at  vaSa.         Um  durch  Valglaumir  zu  waten  ^). 


nachtsnacht  kommt,  besucht  er  wirklich  in  seliger  Lichtgestalt  den  überleben- 
den Freund  und  fordert  diesen  dann  auf,  ihn  zu  begleiten.  Das  Grab  öffnet 
sich,  sie  steigen  durch  dasselbe  in  die  Tiefe  und  gelangen  zu  zwei  Wegen, 
einem  schmalen  aber  grünen  und  einem  breiten  aber  sandigen,  von  de- 
nen der  erstere  zum  Himmel,  der  andere  zur  Hölle  führt.  (Von  diesen  We- 
gen ist  der  zweite  christl.  Zusatz).  Sie  verfolgen  den  grünen  Weg  und  ge- 
langen bald  zu  einem  grofseu  Wasser,  über  das  viele  weifse  Vögel  fliegen, 
die  Seelen  der  ungetauften  Kinder,  wie  der  Tote  erklärt.  Weiterhin  sehen 
die  Freunde  zwei  Kühe,  welche  sehr  mager  sind,  obgleich  sie  im  schönsten 
Grase  stehen.  Das  sind  ein  paar  Eheleute ,  die  auf  Erden  hn  Wohlstande 
aber  geizig  lebten.  Dagegen  begegnen  ihnen  zwei  andere  fette  und  flinke 
Kühe  auf  dürrem  und  kümmerlichem  Grase.  Das  sind  ein  paar  Eheleute,  die 
im  Leben  sehr  arm  waren,  aber  in  grofser  Liebe  und  Eintracht  mit  einander 
umgingen.  Bald  darauf  kommen  die  zwei  zur  Pforte  des  Himmelreichs.  Da 
soll  der  Lebende  eine  Weile  auf  seinen  Freund  warten,  der  inzwischen  hin- 
eingeht. Als  der  Tote  wiederkehrt  glaubt  der  andere  zwei  Stunden  gewar- 
tet zu  haben,  es  sind  aber  zweihundert  Jahre  gewesen.  Vergl.  Müllenhofl^, 
Sagen  S.  172   „De  Kulengraver. '• 

1)  Gylfag.   42.     Hinter  dieser  Brustwehr  fängt  sich  Hrüugnir. 

2)  Gylfag.   41. 

3)  Thiöövituir  Volkswolf  ist  ObinQ;    sein    Fisch    der    Speer,    der  in  der 


443 

Valgriud  heitir  Valgrind  heifst  das  Gitter 

er  stendr  velli  ä,  Das  auf  dem  Walle  steht, 

heilög  fyr  helgum  durum       Heilig  vor  heil'gen  Türen; 
förn  er  su  grind,  Alt  ist  das  Gitter, 

en  ]>at  fair  vitu.  Doch  Wenige  wissen  das, 

hve  hon  er  i  las  um  lo-      Wie    es    ins  Schloss   ge- 

kin,  vvorfen  ist, 

fimm  hundraö  dura  Fünfhundert  Türen 

ok  um  fjörum  togum  Und  viermal  zehn 

sva  hygg  ek  at  Vallhöllu 

Vera:  Wähn  ich  in  Vallhöll: 

ätta  huudru'S  einherja  Achthundert  Einher]  ar 

ganga  senn  or  eiuum  durum  Gehn  aus  je  einer, 
|);i  er  ]?eir  fara   viö   vitni     Wenn    es  dem  Wolf  zu  weh- 
at  vega.  ren  gilt. 

Die  Brücke,  welche  Saxo  erwähnt,  weist  Helgaqu.  Hun- 
düigsbana  II,  47  auf.  Der  tote  Helgi  sagt  zu  Sigrün  als 
die  Frühstunde  ihn  mahnt  wieder  nach  Vallhöll  zurück- 
zukehren: Zeit  ist  dass  ich  reite  die  roten  Wege,  das  Koss 
lasse  treten  die  Luftsteige,  westlich  soll  ich  sein  vor 
AVindhelms  (d.  i.  des  Himmels)  Brücke,  ehe  Sajgofnir 
d;is  Siegervolk  (die  Einheriar)  weckt.  Auch  ein  grünes 
Gefild,  löavöllr  nennt  die  poetische  Edda  neben  Asgarö 


Flut  spielt.  Die  Pfeile  oder  Speere,  die  der  Fluss  mit  sich  fortführt,  schlic- 
fseu  sich  eng  an  die  Grimnism.  9  gegebene  Schilderung  vom  inneren  Vall- 
höll. Der  Fufsboden  ist  hier  mit  Spiefsen  ausgelegt,  das  Dach  mit  goldenen 
Schildern  gedeckt,  auf  den  Bänken  liegen  Panzer.  Vergl.  nocli  Skäldskaparni. 
c.  49  SnE.  I,  420:  Lagväpu  eru  vel  kennd  til  orma  eöa  fiska.  Der  Vö- 
lu:'pä  -10   erwähnte  Fluss  SliÖr  in  der  Welt  der  ungerechten  Seelen: 

Ä  fellr  austan  Ein  Strom  fliefst  ostwärts 

um  eitrdala  Durch  Eitertäler 

saurum  ok  sveröum.  Mit  Schlamm  und  Schwertern 

SliSr  heitir  su  Der  Sli'ör   heifst 

ist  nur  das  einfache  Seitenstück  zu  Tliund  in  Asgarö-  Dieser  hiefs  viel- 
leicht auch  SliÖr,  wenigstens  zählt  Grimnismäl  28  unter  den  Strömen  bei 
Vallhöll  einen  Fluss  dieses  Namens  auf,  während  hier  Thund  nicht  genannt 
ist.  Auf  die  Einzelheiten  in  Saxos  Schilderung  des  Stromes  hat  mau  kein 
Gewicht  zu  legen ,  da  er  fast  wörtlich  den  Marcianus  Capella  I,  p.  6  aus- 
schreibt: Primus  diffusioris  ac  prollxi  ambitus  liventis  aquac  volumin c 
nebuloso  atque  algidis  adraodum  pigrisque  cursibus  hacsitabat  .  .  .  Tertius 
rubeo  igue  rutilantes  festinataque  rapidilate  praecipitcs  fragososque  cursus  an- 
heia  sulphureus  celeritate  detorquebat. 


444 

gelegen.  Nicht  aber  in  eddischer  Mythologie  bezeugt  und 
•wol  älter  als  diese  ist  der  Zug,  dass  der  über  die  Mauer 
geworfene  tote  Hahn  wieder  lebendig  wird.  Was  vom 
Tiere  geglaubt  wurde,  galt  doch  wol  auch  vom  Menschen. 
Wir  haben  hier  meiner  Ansicht  nach  ein  weiteres  wenn- 
gleich nicht  entscheidendes  Zeugnis  dafür,  dass  im  himm- 
lischen Totenreich  nach  alt  germanischem  Glauben  die  Wie- 
derbelebung, d.  h.  zunächst  Verjüngung  der  Seele  behufs 
der  Rückkehr  in  ein  abermaliges  menschliches  Dasein  s.  o. 
S.  269  fgg.  erfolgte.  Der  zweite  Punkt,  in  welchem  die  Volks- 
sage bei  Saxo  einen  älteren  Zug  als  die  Eddenmythologie 
bewahrt,  ist  der  Glaube,  dass  im  himmlischen  Seelen- 
reich während  des  Winters  Pflanzen  grünen  und 
blühen. 

Dass  die  Seelen  auf  einer  Wiese  sich  aufhalten,  wird 
auch  sonst  in  unsern  Sagen  berichtet.  Auf  dem  Weber- 
bache bei  Trier  wohnten  zwei  Schwestern,  welche  viel  Al- 
mosen einnahmen.  Die  eine  starb  und  nach  einiger  Zeit 
sah  die  noch  lebende  die  verstorbene  Schwester  auf  ei- 
ner Wiese  Blumen  pflücken.  Als  sie  dieselbe  nun 
fragte,  warum  sie  da  gehe,  erwiederte  jene:  Ich  muss  so 
lange  Blumen  abbrechen,  bis  alle  Almosen  verbetet  sind, 
welche  ich  erhalten.  Die  Blumen  aber  sind  glühend  heifs'). 
Weitere  Zeugnisse  hat  J.  Grimm,  Myth.'^  781.  782  beige- 
bracht -).  Schon  Wilhelm  Müller  machte  den  Versuch, 
mehrere  der  besprochenen  Vorstellungen  auf  eine  Grund- 
anschauung zurückzuführen''):  „Bemerkenswert  —  sagt  er 
von  den  Vorstellungen  über  Seelenaufenthalte  redend  —  ist 
es,  dass  man  sich  auf  dem  Grunde  des  Wassers  schöne 
Gärten  denkt.     Noch  verbreiteter  ist  die  Sage,  dass  unter 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  I,   S.  192,    10. 

2j  Dieselben  haben  jedoch  grofsenteLls  nur  seciindären  Wert  und  lassen 
sich  ebensowol,  ja  mit  noch  gröfserer  Wahrscheinlichkeit  auf  das  biblische 
Paradies,  als  auf  einen  heidnischen  Seelenaufenthalt  zuückführen.  Zu  tadeln 
ist  es  daher,  -wenn  sowol  W.  Müller  als  Hocker,  Die  Stammsagen  der  Ho- 
henzoUeru  und  Weifen  S.  3i  und  Andere  dieselben  als  unmittelbare  Zeug- 
nisse gebrauchen. 

3)  Altdeutsche  Religion  S.  399. 


445 

dem  Wasser  grüne  Wiesen  befindlich  sind,  auf  welchen  die 
Seelen  sich  aufhalten  und  diese  werden  auch  für  sich  als 
die  Wohnorte  der  Abgeschiedenen  dargestellt.  In  einem 
mittelhochdeutschen  Gedicht  heifst  es ,  dass  dem  Selbst- 
mörder diese  Wiese  versperrt  ist ') ,  wonach  sie  also  als 
ein  abgesonderter  Teil  der  Unterwelt  erscheint.  Diese  An- 
sicht bestätigt  Saxo,  welcher  gleichfalls  eine  grüne  Wiese 
als  einen  Teil  der  Unterwelt  kennt,  und  das  scheint  die 
ursprüngliche  Vorstellung  zu  sein,  wie  ja  auch  nach  Ho- 
mer die  Asphodeloswiese  neben  der  eigentlichen  Unterwelt 
liegt.  Keltische  Vorstellungen  berühren  sich  hier  wieder 
mit  den  deutschen,  wenigstens  wird  auch  im  Wigalois  eine 
unzugängliche  Wiese  erwähnt,  auf  welcher  ein  gequälter 
Geist  haust.  Wenn  nun  unser  Volk  Wiesen,  welche  au 
feuchten  und  sumpfigen  Orten  liegen,  gern  Totenwiesen 
nennt  und  von  manchen  derselben  erzählt,  dass  Geister  auf 
denselben  spuken,  so  zeigt  das  wieder  wie  geneigt  man  war 
für  den  altheidnischen  Glauben  allenthalben  locale  An- 
knüpfungen zu  suchen."  Bei  Müllers  Ansicht,  welche  die 
Seelenwiese  in  ein  unterweltliches  Reich  verlegt, 
bleibt  es  unerklärlich,  weshalb  die  Sage  dieselbe  bald  im 
Berge,  bald  unter  dem  Wasser  liegen  lässt;  während 
jede  Schwierigkeit  sich  hebt,  sobald  man  in  dem  Berg 
wie  dem  Brunnen,  dem  Meer  oder  dem  Fluss  die  das 
himmlische  Lichtreich  verdeckende  Wolkenschicht  oder  das 
himmlische  Gewässer  erkennt.  Zu  demselben  Ergebnis  führte 
uns  die  genauere  Untersuchung  mehrerer  einzelner  Ueber- 
lieferungen  in  Uebereinstimmung  mit  einigen  unmittelbnren 
Zeugnissen. 

Zur  weiteren  Bestätigung  gereicht  es,  dass  das  Innere 
des  Berges,  in  welchen  Helden  entrückt  sind  —  der  Wolke 
also  s.  oben  S.  2G5  —  ebenfalls  von  blühenden  Gärten  und 
Gewächsen  erfüllt  ist.  Kaiser  Friedrich  der  Rothbart  sitzt 
im  Kiffiiäuser.  Unten  im  Berg  ist's  herrlich  und  alles 
strahlt  von  Gold  und  Edelgestein,  und  ob's  auch  eine  un- 

1)  Mytb.2    782. 


446 

terirdische  Hole  ist,  so  ist's  doch  hell  darin,  wie  am 
sonnigteu  Tage;  die  prächtigsten  Bäume  und 
Sträucher  stehen  da  und  durch  dies  Paradies  fliefst  ein 
Bach,  wenn  man  aus  dem  eine  Hand  voll  Schlamm  nimmt, 
so  wird  er  sogleich  Gold  ').  Nach  anderer  Sage  wohnt 
Kaiser  Friedrich  in  emer  grundlosen  Berghöle  bei 
Kaiserslautern.  Ein  Mann,  der  sich  einmal  dort  hinabliefs, 
kam  auf  einen  weiten  Wiesen  plan,  da  safs  der  Kaiser 
von  vielen  Herren  umgeben  auf  einem  güldenen  Stuhl  '^). 
Auch  im  Unterberg  oder  Wunderberg  bei  Salzburg,  worin 
Kaiser  Karl  verzaubert  sitzt,  befinden  sich  herrliche  Gär- 
ten und  Wiesen '^).  In  einem  Berg  bei  Lauenburg  zeigte 
sich  eine  tiefe  Kluft.  Man  liefs  zwei  Missetäter  hinab, 
die  kamen  im  Berge  zu  einem  schönen  Garten,  darin 
stand  ein  Baum  mit  lieblich  weifser  Blüte.  Ein 
Kind  führte  sie  über  einen  weiten  Wiesen  plan  zu  einem 
Schloss,  wo  mancherlei  Seitenspiel  erklang  und  ein  Kö- 
nig auf  silbernem  Stuhle  safs*).  Eine  weifse  Jungfrau 
führt  einen  Burschen  in  den  Thurnberg  bei  Durlach.  Da 
sitzen  viele  Ritter  und  Frauen  um  eine  reichbedeckte  Ta- 
fel ohne  zu  essen  und  zu  trinken.  Dabei  ist  ein  schöner 
Garten,  der  mit  den  mannigfaltigsten  Blumen  und 
Baum  fruchten  prangt.  Sieben  Tage,  die  der  Bursche 
daselbst  zugebracht  zu  haben  vermeint,  sind  sieben  Jahre^). 
Noch  muss  ich  zweier  Sagen  gedenken,  die  uns  sehr  le- 
bendig das  Totenreich  mit  einem  fruchtbaren  Gar- 
ten ausgestattet  zeigen.  In  einen  Berg  bei  Wertheim 
ist  durch  Verwünschung  ein  Schloss  versunken.  Ein 
Schäfer  sinkt  durch  einen  Schacht  in  die  Tiefe  dieses  Ber- 
ges und  gelangt  zuerst  zu  einer  hellen  leeren  Stube.  Von 
hier  führt  ihn  eine  alte  Frau  in  mehrere  prächtige  Ge- 
mächer voll  von  Totenköpfen  und  Totengerippen, 


1)  Kuhn,    Nordd.   Sagen    S.  217.  No.  247,   1. 

2)  Georg   Draud,    Fürstliche    Tischreden    I.      Grimm,   Deutsche  Sagen  I, 
S82,   295. 

3)  Grimm,  D.   Sagen  I,   S.  32.   33.  No.  27.   28. 

4)  Grimm  a.  a.  0.  I,   380,   291. 

5)  Baader,   Badische  Sagen  S.  199,   215. 


■447 

endlich  in  einen  schönen  Garten,  worin  sie  ihn  allein  lässt. 
Nach  7  Tagen  findet  er  sich  aus  dem  Berge  heraus,  da  ist 
er  aber  7  Jahre  darin  gewesen  ').  Ein  gottloser  Pfarrer 
fallt  durch  ein  Loch  in  der  Erde  zur  Hölle  hinab  und 
gelangt  auf  einen  grünen  Platz,  der  vor  der  Hölle  liegt. 
Da  jagt  ein  stummer  Jäger  immerfort  nach  ei- 
nem Stück  Wild,  ein  Mädchen  steht  splitterfasernackt 
am  Brunnen  und  wäscht  schweigend  in  einem  fort,  stumme 
Musikanten  und  stumme  Tänzer  sind  in  ewigem  Spiel  und 
Tanz  begriffen.  Alle  zur  Strafe,  weil  sie  im  irdischen  Le- 
ben diese  Verrichtungen  am  Sonntag  getrieben  haben  ^). 
Auch  GuSmunds  Seelensitz  Odäinsakr  Unsterblichkeits- 
wiese im  Lande  Glaesisvellr  Glanz  fei  der  s.  oben  S.  335 
weist  herrliche  Früchte  auf:  Adhuc  Guthmundus  col- 
laudatis  sui  horti  deliciis  eo  regem  percipiendo- 
rum  fructuum  gratia  perducere  laborabat,  blandimentis 
nisus,  illecebrisque  gulae,  cautelae  coustantiam  elidere  cu- 
piens.  Wer  von  den  Früchten  des  Gartens  genoss,  verfiel 
den  Toten  3). 

Noch  weitere  Beweise  für  unsere  Ansicht  bietet  der 
wunderliche  Garten  mit  Goldauen  und  silbernen  Bäu- 
men, der  sich  auf  dem  Glasberge  befindet,  so  wie  wir, 
da  die  Zwerge  Seeleu  sind,  auch  nicht  anstehen  können, 
die  in  oder  bei  den  Bergen  der  Zwerge  liegenden  Gär- 
ten als  Zeugnisse  für  dieselbe  Vorstellung  in  Anspruch  zu 
nehmen,  eine  Ansicht,  bei  der  wir  uns  der  Beistimmung 
des  Meisters  W.  Grimm  zu  erfreuen  haben.  Nach  Bör- 
ner  *)  leben  die  Heimchen  in  einer  weiten  B  e  r  g  h  ö  1  e , 
die  von  einem  Karfunkel  tageshell  erleuchtet 
eine  grofse  Wiese  in  sich  birgt,  auf  welcher  Bäume 
von  Silber  mit  Blüten  von  Edelsteinen  erglänzen,  Di- 
steln und  Gräser  aus  Krystallen  gebildet  wuchern.    Eine 


1)  Baader  a.  a.  O.  S.  405.  Ueber  mehrere  weitere  Keiiuzcichen  davon, 
dass  der  Schäfer  sich  hier  iu  dem  Totenreich  befindet  s.  Wilh.  Müller,  Nie- 
ders.   Sagen  S.  399. 

2)  Prölile,  Kinder-  und  Volksmärchen  No.  25.   S.  78  fgg. 

3J  Saxo  Gram.  VIII.   ed.  Klotz  S.  249.     Vergl.  oben  S.  309.   310. 
4J  Sagen  des  Orlagaus  S.  53. 


448 

in  diesen  Zwergenberg  verlockte  Jungfrau   musste  daselbst 
goldene  Schafe  hüten  ^). 

E.  M.  Arndt  ^)  hat  in  seiner  Jugend  von  dem  alten  Hin- 
rich  Vierk  gehört,  dass  in  den  neun  Bergen  bei  Rambin 
auf  Rügen  die  Zwerge  unter  der  Erde  wohnen.  Ihr  Wohn- 
sitz ist  das  Innere  eines  grofsen  Berges,  der  durchsich- 
tig von  Anfang  bis  Ende  ist,  und  eigentlich  rings 
mit  Glas  bewachsen.  Innerhalb  desselben  wohnt  je- 
der Zwerg  wieder  in  einem  gläsernen  Häuschen. 
Erleuchtet  wird  dieser  Ort  durch  einen  an  der  Decke  hän- 
genden grofsen  Krystall  oder  Diamant.  In  dem 
Bero-e  sind  die  schönsten  Fluren  undFelder,  auf 
denen  Reben  mit  auserlesenen  Früchten  und 
wunderliebliche  Blumen  prangen,  aber  kein  Korn 
wächst.  Auf  den  Bäumen  wiegen  sich  schim- 
mernde lieblich  singende  Vögel.  In  diesen  Berg 
gelangt  ein  Knabe,  der  sich  einer  Zwergmütze  mit  silber- 
nen Glöckchen  bemächtigt  ^).  Die  weitere  Erzählung  bei 
Börner  wie  bei   Arndt  ist   nicht  ganz  ohne  apocryphe  und 


1)  Diese  Schafe  sind  nicht  verschieden  von  dem  goldenen  Widder,  s. 
oben  S.  63.  176  fgg.,  es  sind  Wolken.  Wie  Thunar  mit  den  Böcken, 
Freyja  mit  Katzen  s.  o.  S.  81.  197.  271.  288,  fährt  Maria  nach  einer  Schwei- 
zersage sammt  dem  Christkind  über  das  Solothumer  Juragebirge  in  einem 
Wagen,  der  von  einem  Lamme  gezogen  wird.  Auf  dem  Portal  der  klei- 
nen Klosterkirche  von  Schönthal  ist  diese  Begebenheit,  die  sich  im  Jahre 
1130  ereignet  haben  soll,  in  Stein  ausgehauen.  Hanhart,  Schweizer  Gesch. 
I,  158.  Rocliolz ,  Aargausagen  I,  S.  218.  Maria  erscheint  hier  ebenso  als 
Wolken-  und  Gewittergöttin  =  Holda,  wie  in  folgendem  Kinderreira  aus  Ti- 
»ol,   den  ich  Zingerles  Mitteilung  verdanke: 

Es  donnert  und  blitzt; 

Im  Himmel  droben  sitzt 

Die  Mutter  des  Herrn 

Hat  goldene  Kern, 

Hat  goldene  Kugeln. 

Sie  glitzen  und  blitzen, 

Die  Engel  tun  lachen, 

Die  Kugeln  tun  fallen. 

Die  Mutter  Gottes  tut  suchen, 

Die  "Waben  tun  fluchen. 

Geh  schnell  fort, 

Sonst  trifft  sie  dich  tot. 

2)  Märchen  und  Jugenderinuerungen.     Berlin   1818   S.  155  fgg. 

3)  Kocholz,   Sagen  aus  dem  Aargau  I,  S.  269.  No.  184  (13). 


449 

unechte  Zusätze.  Die  Richtigkeit  der  hier  ausgezogenen 
Angaben  erpi'obt  sich  jedoch  durch  andere  übereinstim- 
mende Sagen.  Bei  Wolf,  D.  M.  S.  No.  13.  S.  67.  68  ge- 
lammt ein  Knabe  ebenfalls  durch  ein  den  Zwergen  abefenom- 
menes  Mützchen  in  deren  Berg;  hier  erglänzen  die  Wände 
von  lauter  Karfunkelstein  und  in  der  Mitte  steht  ein 
prächtiger  Leuchter  aus  einem  Edelstein  gemacht.  Bei 
Hylten-Cavallius  und  Stephens  übersetzt  von  Oberleitner 
S.  124  fgg.  No.  VI,  macht  ein  Hirtenjunge  auf  gleiche 
Weise  durch  ein  den  Elfen  geraubtes  Mützchen  mit  gol- 
dener Klingel  sein  Glück.  Rocholz  erzählt,  dass  eine  Dienst- 
raagd  zu  Unterirdischen  als  Gevatterin  gebeten  wurde. 
Sie  gelangte  auf  eine  weite,  helle  Wiese,  auf  der  eine  Menge 
zierlicher  Häuschen  stand.  Ein  jedes  schien  ganz  von 
Glas,  denn  von  einer  Wand  zur  andern  war  al- 
les durchsichtig  und  die  Lichtlein,  die  darin 
brannten,  leuchteten  selbst  durch  das  Dach  hin- 
aus. Zwischen  diesen  Häusern  stand  eine  ebenso  glän- 
zend erhellte  Krystallkirche ').  Auch  ein  Mädchen 
zu  Barneize  im  Hannoverschen  wird  von  den  Unterirdi- 
schen zu  Gevatter  gebeten.  Als  der  bestimmte  Tag  ge- 
kommen ist,  wird  sie  abgeholt  und  unter  einem  Apfel- 
baum, der  auf  dem  Hofe  steht,  eine  schöne  breite  Treppe 
hinuntergeführt.  Als  sie  unten  angekommen,  treten  sie 
in  einen  grofsen,  schönen  Garten;  da  scheint  die 
Sonne  fast  noch  schöner  als  auf  der  Erde,  die 
Bäume  blühen  prächtig  und  hängen  voller 
Früchte,  dass  es  nur  so  glitzert.  Das  Mädchen  er- 
hält eine  Schürze  voll  Aepfel,  die  sind,  als  sie  auf  die 
Oberwelt  zurückkehrte,  golden  gewesen  -). 

Ein  älteres  sicheres  Zeugnis  seewährt  uns  die  deutsche 
Heldensage  vom  Zwergkönig  Luarin.  „Im  wilden  Tanne 
zu  Tyrol"  hat  derselbe  einen  „zarten  und  schönen  Ro- 
sengarten gepflanzt."     Dietrich  und  seine  Gesellen  rei- 


1)  Rocholz,  Sagen  aus  dem  Aargau  I,  S.  269.  No.  184  (13). 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  261.  No.  293. 

29 


450 

ten  dahin,   um   der   geraubten   Jungfi-au   Similt   nach- 
zuspüren : 

Do  kämen  die  helde  kuon 

üf  einen  anger  gruon 

zeime  garten  minnikKch. 

do  wären  die  parten  rieh 

von  golde  unt  von  gesteine. 

mit  eime  vademe  kleine 

was  der  garte  akimbevangen. 

swemme  solde  nicht  belangen 

daz  er  sech  in  an! 

er  rauest  et  al  sin  tiüre  län, 

sus  schoenheit  an  dem  garten  läk! 

die  rosen  gäben  suezen  smäk 

unde  lieplichen  schin  '). 

Dieser  Rosengarten  liegt  freilich  nicht  im  Berge,  aber 
offenbar  war  das  in  der  älteren  Gestalt  der  Sage  der  Fall. 
Es  erscheint  nämlich  im  Luarin  noch  zweimal  ein  solcher 
Lustaufenthalt  mit  der  Zwergenwohnung  verbunden,  einmal 
in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Zwergenberges,  das 
zweite  mal  in  demselben  selbst.  Die  Helden  haben  die 
Umheguug  des  Rosengartens  durchbrochen  und  Luarin  be- 
siegt, nun  steht  ihnen  der  Zugang  zu  des  Zwerges  Woh- 
nung offen.     Er  führt  sie  dahin: 

An  dem  morgen  vruo 

kämen  si  dem  berge  zuo. 

do  vor  stuont  ein  plan, 

der  was  wunniklich  getan 

as  ich  in  jehen  wil, 

do  stuonden  boeume  vil 

mer  als  man  sagen  kän, 

die  wären  lieplich  getan 


1)  Luarin  ed.  Ettraüller  v.  346  fgg.  Vergl.  die  Recension  bei  Nyerup. 
Bymbolae  ad  literaturam  Teutonicam  antiquiorem.  Havniae  1787  S.  4:  Mit 
gold  %Tid  mit  edelm  gestein  domit  biet  Laurein  der  dein  die  rosen  schon  be- 
hangen —  —  —  Die  rosen  gaben  suessen  smack  pey  der  nacht  vnd  auch 
den  tack. 


451 

unde  gäben  suezen  smäk 
beidiu  naht  unde  tak. 
swaz  vogelsanges  man  haben  sol 
des  was  der  plan  rehte  vol 
unt  was  ein  michel  wunder 
iewelher  sank  besunder. 
do  horte  man  suezes  singen 
üz  kein  schön  erklingen 
daz  ez  under  einander  hal  'J. 
Noch   eines  anderen  Zwergenberges   wird  Erwähnung 
getan.     Die  Helden  halten  Rast  bei  Luarins  Neffen: 
Do  giengens  in  den  berk 
do  sähen  si  manigen  twerk, 
unde  horten  maniger  hande  schal 
in  dem  berge  uberal, 
vil  manige  selten  suez  erklangen 
vil  raange  vogel  lieplich  sangen^). 
Wie  der  von  Arndt  beschriebene  Berg  auf  Rügen  und 
der  andere  im  Orlagau  nach  Börners  Mitteilung,  ist  auch 
dieser  Zwergensitz  von  einem  Karfunkel  erleuchtet: 
Do  der  berk  was  üfgetän 
do  sähen  seh  in  si  dar  gän 
liebte  reht  as  der  täk. 
von  gesteine,  sus  inne  läk 
scheinez  verren  durchten  walt; 
do  was  froeude  manechvalt. 
do  sprach  der  herre  Dietrich 
„deist  varwe  minniklich, 
michne  triugent  die  sinne  min 
sa  git  karfunkel  den  scbin, 
der  vil  an  dem  berke  stät^)." 
Bei  Caspar  von  der  Roen,  der  in   seinem  Laurin   die  Ab- 
kürzung   einer    anderen    älteren  Recension   des   Gedichtes 


1)  Luarin  ed.  Ettmüller  1509  fgg. 

2)  U37  fgg. 

3)  1409  fgg. 

29 


452 

giebt '),  liegt  der  Karfunkel  im  Garten  selbst^).  Zwar 
kennt  schon  die  Copenhagener  Recension  des  Luarin,  die 
nach  Lachmanns  Urteil  ^)  auf  ein  Gedicht  des  zwölften 
Jahrhunderts  zurückweist,  die  Trennung  des  Berges  und 
des  Rosengartens;  diese  Trennung  reicht  jedoch  schwer- 
lich über  das  12.  Jahrhundert,  d.  h.  die  Zeit  hinauf,  in  wel- 
cher die  alte  tirolische  Zwergraythe  von  einem  Jungfrauen- 
räuber Luaran,  dem  die  gefangene  Frau  durch  einen  Hel- 
den wieder  abgewonnen  wird,  an  die  Dietrichssage  geknüpft 
ward  *).  Der  Kampf  mit  dem  Zwerge  Luarin  wird  niira- 
lich  doppelt  begangen,  einmal  im  Eosengarten,  zum  zwei- 
tenmale  im  Berge.  Es  ist  klar,  dass  in  der  ursprüngli- 
chen Sage  nur  von  einem  Kampfe  in   dem  innerhalb  des 

1)  S.  Gervinus,  Literaturgescliiclite  II,  S.  85.  86. 

2)  Der  gart  der  ist  mit  lenge 
eyner  meille  lanck 

vnd  vber  zwerg  eyner  halben 

sprich  ich  on  allen  Avanck, 

es  ist  auch  in  dem  garten 

altzait  lichter  tag, 

das  macht  der  carfunkel 

der  altzait  drjne  lag. 

Wer  ist  ein  meil  vom  garten 

der  smekt  die  rossen  gut; 

er  hot  in  also  zarten 

gezogen  vnd  behut, 

mer  den  vierhundert  jaren 

ist  alt,   des  der  garten  ist, 

er  hot  in  laug  gezogen 

ich  weis  selb  nit  die  frist. 

es  get  wol  vmb  den  garden 

ein  mauer  acht  claffter  lanck 

vnd  auch  ein  gülden  pfarden 

es  sol  niemahlz  sein  wauck 

ich  gleichs  dem  paradeisse 

mit  wun  vnd  freuden  vil, 

wer  er  jn  todes  weisse 

er  wurd  gesunt  on  zil. 
Caspar  v.  d.  Roens  Laimn  bei  Hagen  und  Primisser,  Heldenbuch  II,  S.  161, 
11.  12.  13.  Als  die  Helden  zum  Garten  gelangen  v.  44:  Do  ging  her  aus 
dem  garden  ein  minnicklicher  smack,  do  mit  ein  schein  so  zarden  gleich  als 
der  lichte  tack.  v.  45 :  Von  dem  süssen  gesmake  gewimnen  sie  grofs  kraft, 
er  was  so  sus  vnd  starcke  wol  von  der  rosen  macht,  der  sie  solt  ane  sehen 
must  al  sein  trauren  lan  vnd  von  den  edeln  steynen  so  ward  geziert  der  plan. 
8)  Ueber  Singen  und  Sagen 

4)  S.  Müllenhoff,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VII,  531.  Laurin  ed.  O.  Schade  S.  X. 
üeber  die  zwischen  Bergen  liegenden  Rosengärten  der  Zwerge,  die  im 
Tirol.   Volksmunde  fortleben  s.  V.  Alpenburg,  Myth.  u.  Sag.  Tyrols  S.  12G  fgg. 


453 

Berffes  belea;enen  liosengrarten  die  Rede  war.  Auch  der 
Skandinavischen  Volkssage  sind  die  Gärten  der  Elbe  un- 
verloren. Eine  Jungfrau  „Stolz  Margreth,"  die  acht  Jahre 
bei  dem  Bergkönig  im  Felsen  geweilt  und  ihm  Kinder 
geboren  hat,  antwortet  ihrer  Mutter  auf  die  Frage: 

Und  wo,  wo  warst  du  die  lange  Zeit? 

„Ich  war  so  lang  auf  der  blumigen  Haid  ')." 
In  vielen  Gegenden  von  Schweden  weifs  das  Volk  von 
verzauberten  Elfengärten  zu  erzählen.  Die  Stellen, 
wo  es  dergleichen  geben  soll,  werden  näher  bezeichnet  und 
es  wird  immer  Jemand  namhaft  gemacht,  der  in  diese  Gär- 
ten eingeführt  worden,  dort  unter  Bäumen  von  her- 
licherem Grün,  als  er  je  zuvor  gesehen,  umher- 
gewandelt ist.  Auch  hat  er  Früchte  gekostet,  die 
ihres  gleichen  auf  der  ganzen  Erde  nicht  haben, 
aber  wenn  man  später  den  Ort  wieder  aufsucht,  hat  man 
den  Garten  nirgend  finden  können.  Als  Stellen  dieser  Art 
werden  besonders  eine  kleine  Holzung  im  westgotläudischen 
Kirchspiel  Berg,  sowie  eine  kleine  Holzung  in  Altana  in 
Westmannland,  der  Frauensteig  genannt,  aufgeführt^). 
Mehrere  Sagen  berichten,  dass  ein  Ritter  zu  seiner  Braut 
reitend  beim  Elfenhügel  betört  wird,  der  Tochter  des  El- 
fenkönigs die  Hand  zu  reichen.  So  wird  er  ins  Elfenland 
fortgezogen  und  dort  in  unbeschreiblich  schönen  Sälen  und 
nie  zuvor  geschauten  Blumengärten  am  Arm  der 
Elfenmaid  zwischen  Rosen  und  Lilien  umhergeführt. 
Nachdem  die  kurze  Frist  einer  Stunde,  wie  er  geglaubt, 
dahingeschwunden  ist',  macht  er  sich  auf  den  Heimweg  zu 
seiner  Braut.  Er  ist  aber  40  Jahre,  oder  mehr  bei  den 
Slfen  d.  i.  den  Toten  gewesen  ^). 

Dass  die  Wohnung  der  weifsen  Frau  oder  der  Zwerge 
wunderbar  erleuchtet  ist,  wird  durch  vielfache  Sagen  be- 


1)  Sclnvedische  Volkslieder  der  Vorzeit  übers,  von  R.  Warrens  1857 
S.  44.     Der  Bergkönig. 

2)  Afzelius,  Volkssagen  und  Volkslieder  Schwedens  übers,  von  Ungewit- 
ter  II,   300.     Solche  Elfengärtcn  heifscn  elfträdgärdar. 

.3)  Afzelius  a.  a.  0.  iJ,  297.  Zu  oben  S.  429  vergl.  dass  auch  die  Erd- 
weibchen d.  i.  Zwerginnen  den  Kindern  Erdbeeren  pflücken.  S.  Rocholz, 
Aargausagen  l,  S.  273.  No.  185  (4). 


454 

zeugt.  Am  Zusammenfluss  von  Aare  und  Rhein  wohnten 
Zwerge  im  Berg.  Hier  befanden  sich  Säle  voll  Pracht, 
goldene  Leuchter  standen  darin,  auf  deren  je- 
dem acht  Kerzen  auf  einmal  brannten,  die  Wände 
waren  non  Glas  und  warfen  den  Glanz  der  Lichter  zu- 
rück').  Die  Hole  des  Zwergkönigs  Gübich,  der  ja  auch 
im  Glasberg  wohnt  s.  oben  S.  333  hat  Wände  von  bhtzen- 
dem  Stufenerz,  die  Decke  ist  von  einem  Stück 
Schwerspat,  weifs  wie  der  Schnee  und  von  der 
Decke  herab  hängt  ein  m-ofser  Kronleuchter  ccanz  von 
Krystallen  und  Edelgestein,  gröfser  als  im  Goslarschen  Zehn- 
ten. In  der  Mitte  steht  ein  Tisch  von  Glaskopf-). 
Im  Hüggel  bei  Osnabrück,  der  Bergwohnung  eines  schmie- 
denden Zwergkönigs,  leuchtet  von  der  Wölbung  der 
Decke  und  aus  den  Seitenwänden  wunderbares 
Licht  ^).  In  dem  aus  Armesünderkuochen  gebauten 
Hause  des  Teufels,  der  darin  12  Bursche  gefangen  hält,  ist 
es  Nachts  so  hell  wie  am  Tage;  das  rührt  von  einem 
grofsen  Karfunkelstein  an  der  Decke  her,  den  der 
Teufel  gestohlen  hat '').  Dieses  Haus  des  Teufels  ist 
unverkennbar  gleich  der  Zwergwohnung  ein  Seelenaufent- 
halt.  Der  Berg,  in  welchem  die  Jungfrau  von  Tegernfel- 
den  mit  den  Seelen  wohnt  s.  oben  S.  273,  Anm.  3  enthält 
zuerst  ein  sehr  geräumiges  Gewölke,  durch  dessen 
Decke  Sterne  hereinschimmern,  dann  einen  grofsen 
Saal,  dessen  Gröfse  durch  manches  Hundert  Spiegelkerzen 
sich  ganz  endlos  macht,  ein  zweiter  Saal  ist  ebenfalls  ker- 
zenhell erleuchtet,  der  dritte,  in  welchem  die  Seelen  der 
ungebornen  Kinder  weilen,  wie  mit  einem  milchigen 
körperlichen  Licht  erhellt^).  Im  Brunnen  der  St. 
Kunibertskirche  in  Köln""'),  worin  die  ungebornen  Kindersee- 
len bei  der  Mutter  Gottes  sitzen,  ist  es  nicht  dunkel,  son- 


1)  Pvocholz,   Sagen  des  Aargaus  I,   S.  280.   No.  194  (13). 

2)  Harrys,  Sagen  Niedersachsens   I,   S.  92. 

3)  Wolf,  Deutsche  Hausmärchen  S.  145  fgg. 

4)  Harrys  a.  a.  O.  ü,  S.  44. 

5)  Rocholz,  Sagen  des  Aargaus  I,  S.  235. 

6)  Wolf,  Beiträge  I,   163. 


455 

dern  tageshell.  In  der  Berghöle  beim  Stöckl,  worin 
die  Kinderseelen  um  eine  weifse  Frau  herumsitzen,  herrscht 
ein  wunderbares  Licht  '). 

Mustern  wir  nunmehr  die  beigebrachten  Zwergsagen, 
so  finden  wir  folgende  vier  Angaben  vereinigt:  1)  Die  Fel- 
senwohnung der  Zwerge  ist  der  Glasberg,  in  welchem 
wir  bereits  oben  S.  334  fgg.  das  leuchtende  Himmelsge- 
wölbe erkannten-).  2)  Dieser  Berg  ist  von  wunderba- 
rem Licht  erfüllt,  ebenso  wie  der  Brunnen  oder  die  Berg- 
höle der  weifsen  Frau.  Auch  von  den  Bergen  in  welche 
Könige  mit  ihrem  Heer  verwünscht  sind  erzählt  man,  dass 
sie  sonnenhell  durch  einen  Karfunkel  erleuchtet  wer- 
den'*), 3)  In  diesem  lichterfüllten  Glasberg  befinden  sich 
blumenreiche  Auen.  4)  Der  Zwergensitz  ist  Seelen- 
aufenthalt. Da  nun  Glasberg,  Berg  und  Brunnen  der 
weifsen  Frau  auch  an  und  für  sich  und  in  Ueberlieferun- 
gen,  die  der  Zwerge  nicht  erwähnen,  als  himmlische 
Orte  und  als  Seelen  wohn  sitze  genugsam  bezeugt  sind, 
und  in  ihnen  allen  ein  blühender  Garten  sich  findet, 
gelangen  wir  zu  dem,  soweit  ein  Inductionsbeweis  überhaupt 
Kraft  hat,  sicheren  Schluss,  dass  unsere  Altvorderen  hin- 
ter dem  Wolkenbrunnen,  vom  Wolkenberge  bedeckt,  ein  himm- 
lisches Seelenreich  gelegen  tocUmten,  das  von  wunderbarem 
Lichte  erfüllt  sei.  Li  diesem  Lichtreich  blühen  die  herr- 
lichsten Gewächse,  reifen  die  schönsten  Früchte. 

Was  nun  jenes  wunderbare  Licht  in  Holdas  Seelen- 
reich betrifft,  so  hat  es  offenbaren  Zusammenhang  damit, 
dass  von  der  Göttin  wunderbarer  Glanz  ausstrahlt; 
wo  sie  geht  und  steht,  ist  es  glockenhell  in  der 
dunkelsten  Nacht.  Als  Frau  Hulli  einst  einem  Verirrten 
heimleuchtet  ist  es  so  hell  im  Walde,   dass   man  das 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  I,  463.     Vergl.  oben  S.  25G. 

2)  Vergl.  obcu  S.  332;  die  Sagen  aus  Arndt  und  Rodiolz  oben  S.  448 
und  449;  sowie  S.  454. 

3)  Baader,  Badischc  Sagen  S.  218,  225.  Auch  Hulda  und  die  Säligen 
Fräulein  in  Tirol  wohnen  in  Krystallgrotten,  die  von  Gärten  voll  Wun- 
derblumen, ewiggrünen  Hügeln  und  Hainen  umgeben  sind.  Alpen- 
burg, Mythen  und  Sagen  S.  4  fgg.  19.  Ihre  Holen  gleichen  grünen  Lauben 
a.  a.  0.  S.  7.    In  denselben  befinden  sich  milderhellte  gi-üue  Rasenplätze  S.  22. 


456 

kleinste  Steinchen  sehen  kann').  Wie  Frau  Holda 
sind  die  bei  ihr  weilenden  Seelen  Lichter -).  Das  Hardt- 
männle  bei  Meier  ^)  ist  mit  Rundhnt  und  Grünrock  beklei- 
det, dennoch  ist  es  selbst  ein  Licht  und  körperlich 
so  durchsichtig,  dass  man  ihm  alle  Rippen  im 
Leibe  zählen  kann.  Auch  Luarin  hat  solchen  Glanz. 
Bei  Caspar  von  der  Roen  meint  Wittig  als  er  ihn  daher 
reiten  sieht,  es  sei  ein  Engel,  Dietrich  hält  ihn  für  St. 
Michael. 

Das  zwerck  ist  an  der  lenge 

dreyer  spane  lanck 

vnd  reit  in  eytel  golde 

do  von  so  süssen  clanck, 

wen  es  dorther  thut  reiden 

er  leucht  recht  als  der  mon, 

wol  einer  meyllen  weite 

sieht  man  in  glesten  schon''). 

In  der  krön  lag  ein  karfunckel 

vnd  mancher  edler  stein; 

die  nacht  war  nie  so  dunkel 

pey  im  war  sunenschein  ^). 
Der  Karfunkelstein  ist  hier  wie  im  Berge  nur  ein  spä- 
terer Erklärungsversuch  des  wunderbaren  Lichts,  das  der 
Körper  des  Zwergkönigs,  die  Wand  des  Glasberges  aus- 
strahlt*^). Ein  solch  wunderbares  Licht  umgiebt  auch  die 
nordischen   Huldren ').      Wir   sind   hiemit   wieder  bei   den 

1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  23.  27. 

2)  Vergl.  oben  S.  310,  Anm.  3. 

3)  Schwab.   Sagen  S.  349.  No.  99. 

4)  Laurin  str.  25. 

5)  Laurin  str.  58.  In  der  Bearbeitung  bei  Nj-erup  syrabolae  S.  6:  Sein 
ross  wass  zu  einer  Seiten  vech  (bunt)  und  zu  der  andern  als  ein  rech, 
darauff  ein  deck  guidein,  die  gab  in  dem  wald  Hechten  schein  von 
dem  gestein  alz  der  Hecht  tag.  —  S.  7 :  Sein  heim  der  was  guidein ,  darin 
so  lag  manig  rubein  vnd  auch  darzu  der  karfunkel,  die  nacht  was  nie  so 
tvTikel,  erleuchtet  als  der  tagk  von  dem  gestein  daz  an  dem  heim 
lagk.  Vergl.  in  der  Copenhagener  Fortsetzung  des  Luarin  Nyerup  a.  a.  O. 
S.  66   fgg.   die  Beschreibung  der  Waflen  des  Zwergkönigs  Walberan. 

6)  Uebrigens  heifst  der  Bergkrvstall  noiT.  dvajrgstein  Petersen,  Nord. 
Myth.  109. 

7)  Og  huu  var  saa  deilig  og  saa  fiin.  at  det  skinnede  af  hende. 
Asbjömsen,  HuldreeventjT  S.  47. 


457 

Liösalfar  im  himmlischen  Lichtlande  Viöbläinn  angelangt, 
deren  Glanz  die  Sonne  überstrahlt,  s.  oben  S.  322  fgg.  377 
fgg.  und  erachten  nunmehr  diese  nordische  Vorstellung  auch 
im  südnrermanischen  Heidentum  nacho-ewiesen.  Das  hohe 
Altertum  der  eben  erläuterten  Vorstellungen  wird  nun  auch 
dadurch  erwiesen,  dass  sie  genau  übereinstimmend  bei  den 
stammverwandten  Kelten  sich  wiederfinden,  die,  wie  wir 
gesehen  haben,  den  ganzen  Eibenglauben  mit  den  Germa- 
nen teilen.  Unter  dem  Wasser  liegt  nach  irischem  Glau- 
ben ein  von  Elfen  bewohntes  Gebiet  „das  Land  der 
Jugend"  genannt,  weil  darin  Niemand  altert,  also 
ein  Totenreich.  Dort  scheint  die  Sonne,  Wiesen 
grünen.  Bäume  blühen,  Felder  und  W^älder  wech- 
seln mit  einander  ab.  Leute,  welche  viele  Jahre  dort  zu- 
brachten, glaubten  nur  einen  Augenblick  dagewe- 
sen zu  sein.  An  gewissen  Tagen  bei  aufgehender 
Sonne  ziehen  die  Elfen  tanzend  über  die  Oberfläche  des 
Wassers,  das  unter  ihren  Fülsen  nicht  weicht  (vergl.  das 
Pressburger  Regenlied  oben  S.  379)  ^).  An  der  Grenze 
von  Brecknockshire  in  Wales  wohnen  die  guten  Elfen 
(tjlwyth  teg)  in  einem  See,  der  von  einem  Berge 
rings  umschlossen  ist  (sieh  das  vom  Wolkenberge 
umschlossene  Wolkengewässer).  Mitten  im  Berge  öfiFnete 
sich  am  ersten  Mai  eine  Tür,  die  durch  einen  dun- 
keln Gang  unter  dem  See  hindurchführt.  Auf  einer  In- 
sel mitten  im  See  befindet  sich  ein  Garten  voll  der 
schönsten  Früchte  und  Blumen,  von  denen  die  gu- 
ten Feen  ihren  Lieblingen  anbieten.  Sie  machen  her- 
liche Musik  und  ofl:enbareu  die  Geheimnisse  der  Zu- 
kunft^). Schon  Gervasius  von  Tilbury  erzählt  im  13ten 
Jahrhundert^),  bei  dem  Schlosse  Pech  (the  Castle  in  Peak 
in  Derbyshirc)   sei  eine   tiefe   dunkele   Hole.      Dort  hinein 


1)  Grimm,  Irische  Elfenmärcheu  S.  XVIII. 

2)  San  Marte,  Beiträge  zur  Brctonisclien  Iltldcnsage  S.  104.  Davies 
on  the  philosophy  and  rites  of  the  British  Druids.  —  Keyghthley,  M^-tholo- 
gie  der  Feen  übers,  von  0.  L.  B.  Wolf  II,  228.  Hocker,  Die  Stammsagen 
der  "llohenzollem  und  Weifen  S.  89. 

3)  Otia  imperialia  ed.  Liehrecht  S.  24,  XLV.  ed.  Leibnitz  p.  975. 


458 

verlor  sich  eine  Sau.  Der  Hirte,  die  Schelte  seines  Herrn 
fürchtend,  wagt  ihr  nachzugehen  und  gelangt,  nachdem  er 
im  Berge  lange  durch  einen  dunkeln  Gang  fortge- 
wandert ist,  in  einen  glanzerfüllten  Ort  auf  eine 
weite  Wiesenfläche  (tandem  ab  opacis  in  lucidum 
locum  obvenit,  solutum  in  spatiosam  camporum  planitiem). 
Dort  sind  viele  Ackerbauer  beschäftigt  reife  Kornfrüchte 
einzuernten.  Er  findet  hier  auch  das  verlorene  Schwein 
und  kehrt  mit  ihm  auf  die  Oberwelt  zurück.  Als  er  hier 
ankommt,  ist  auf  der  Erde  Winter.  —  Giraldus  Cambren- 
sis  berichtet '),  dass  ein  gewisser  Elidor,  der  später  Pres- 
byter wurde,  als  Knabe  einmal  um  die  Schule  lief  und  sich 
vor  dem  strengen  Praeceptor  in  dem  Geklüft  eines 
Flussufers  verbarg.  Da  erscheinen  ihm  zwei  kleine  Berg- 
männchen und  fordern  ihn  auf  mitzukommen  (si  nobiscum 
venire  volueris,  in  terram  ludis  et  deliciis  plenam  te  duce- 
mus).  Er  folgt  ihnen  auf  einem  dunkeln  unterirdi- 
schen Wege  in  ein  wunderherliches  Land  voller 
Flüsse^  Wiesen,  Wälder  und  Felder  (in  terram 
pulcherrimam ,  fluviis  et  pratis  silvis  et  planis  distinctissi- 
mam).  Dort  scheint  jedoch  die  Sonne  nicht.  Die  Leute 
darin  sind  äufserst  klein  von  Wuchs,  gelb  von  Farbe  und 
tragen  langes  über  die  Schultern  herabwallendes  Haar. 
Aehnliches  weifs  Wilhelm  von  Newsbury  mitzuteilen  ^), 
vielleicht  aber  nicht  aus  keltischer,  sondern  aus  sächsischer 
Ueberlieferung.  In  Ostangeln  liegen  gewisse  tiefe  Gräben, 
welche  den  ags.  Namen  Vulfpyttas  (Vulfputes)  d.  i.  Wolfs- 
bruuuen  führten.  In  der  Nähe  derselben  waren  Arbeiter 
bei  der  Aernte,  da  fanden  sich  zwei  der  Unterirdischen 
ein,  welche  auf  wunderbare  Weise  aus  ilirer  Heimat  ent- 
führt waren.  Sie  waren  am  ganzen  Körper  grün.  In 
ihrem  Vaterlande,  erzählten  sie,  gebe  es  Wiesen  und 
Viehweiden,  die  Sonne  scheine  daselbst  nicht  (sol  apud 
nostrates  non  oritur),  sie  lebten  in  ewiger  Dämmerung,  aber 


1)  Itinerar.  Cambr.  I,  8.     Liebreclit,  Gervasius  von  Tilbury  S.  119. 

2)  Guillelm.   Neubrigeusis   ler.    angl.   11.  V.   ap.  rer.  Brit.  Script,  vetust. 
Heidelberg.  1587  I,  27.     Liebrecht,  Gervasius  S.  118. 


459 

in  ihrer  immittelbaren  Nähe,  nur  durch  einen  Strom 
von  ihnen  getrennt  liege  ein  glanzerfülltes  Land 
(terra  lucida)..  Wenn  in  den  beiden  letzten  Sagen  das  El- 
feureich  sonnenlos  ist,  kennen  es  viele  andere  als  licht  und 
hell.  So  wird  im  altenglischen  Roman  von  Orfeo  und 
Heurodis  das  F  a  i  r  y  1  a  n  d  als  ein  unterirdisches  Land  voll 
gr unerwiesen  geschildert,  das  in  sommerlichem  Lichte 
ausgebreitet  liegt: 

When  he  was  in  the  röche  y-go 

wele  thre  mile  other  mo 

he  came  into  a  fair  cuntray 

as  bright  soonne  summersday 

smooth  and  piain  and  alle  grene 

hill  no  dale  nas  none  y-seen. 

amiddle  the  lond  a  castel  he  seigh 

rieh  and  real  wonderhigh. 

all  the  utmoste  wall 

was  clear  and  shiue  of  cristal^). 
Bekannt  ist,  dass  der  altbrittische  Nationalglaube  auf  einer 
Insel  ein  Elysium  gelegen  dachte,  welches  von  wunder- 
baren Früchten  und  blühenden  Gewächsen  erfüllt 
war  und  deshalb  den  Namen  Avallach  (Avallon)  d.  i. 
Apfelinsel  führte,  zugleich  aber  auch  als  Glasberg  ge- 
dacht zu  sein  scheint,  denn  ein  anderer  Name  desselben 
war  Ynisvitrin  oder  Ynisgutrin  (Glasinsel),  in  engl. 
Uebersetzung   Glast onbury,    Glastimbery    (ags.  Glä- 


1)  Keightley,  Mythologie  der  Feen  und  Elfen  übers,  von  0.  L.  B.  Woll' 
I,  94  fgg.  Als  er  vrur  in  den  Felsen  gegangen  wol  drei  Meilen  oder  mehr, 
kam  er  in  ein  schönes  Land,  so  hell  wie  die  Sonne  am  Sommer- 
tag, schön  und  eben  imd  ganz  grün,  weder  Hügel  noch  Tal  war  da  zu 
sehen.  Mitten  im  Lande  sah  er  eine  Burg,  reich  und  königlich  und  wuu- 
dcrhoch;  alle  die  äufsersten  Mauern  waren  klar  und  schienen  vou 
Kry stall.  Weiterhin  heifst  es:  Es  war  immer  hell  da;  denn  wenn  es  dunkel 
oder  Nacht  werden  sollte,  gaben  die  reichen  Steine  Licht,  so  hell  wie 
die  Sonne  am  Mittag.  Der  Fain-king  zeigt  Heurodis  in  seinem  Keich  Fel- 
der, Blumen  und  "Wälder.  Vergl.  die  Bcschreibmig  von  Plutos  Reich  in 
Chaucers   raarchantes  tale : 

—  —  —  for  to  teil 

the  beautce  of  the  gardin  and  the  well 

that  stood  under  a  laurer  alway  grcne 

ful  often  time  he  Pluto,  and  his  queno 

Proserpina  and  alle  his  faerie 

disporten  hem,  and  maken  melodie 

about  that  well  and  daunced,  as  nien  told. 


460 

senburuh).  Dieses  Elysiura,  wo  die  Seeleu  der  verstor- 
benen Helden  von  gütigen  Feen  aufgenommen  wurden,  lo- 
calisierte  man  in  Glastonia,  Glastonbury  (auch  Glessoburg 
genannt),  ags.  Glästingaburh  in  einem  Orte,  an  den 
sich  uralte  Sagen  knüpften,  welche  darauf  hindeuten,  dass 
hier  ein  Hauptsitz  der  Druiden  war  '  \  Die  Wichtigkeit 
dieses  Ortes  für  das  brittische  Heidentum  veranlasste  an 
demselben  schon  frühe  eine  klösterliche  Niederlassung,  wel- 
che von  der  Lebende  bis  ins  2te  Jahrhundert  n.  Chr.  hin- 
aufgerückt  wird,  und  bald  bildete  sich  dort  ein  Mittelpunkt 
kirchlichen  Lebens  -).  Die  Legende  hielt  an  der  sagenhaf- 
ten Bedeutsamkeit  des  wirklichen  Ortes  Glastonbury  als 
Toteninsel  fest,  indess  anderseits  die  Volkssage  das  ur- 
sprüngliche mythische  Avallach  weiter  ausschmückte.  Wäh- 
rend nach  ersterer  Arthur,  der  Hauptheld  der  Britten,  in 
Glastonbury  begraben  liegt,  ist  er  nach  der  Volkssage 
entweder  mit  seinem  Heere  in  den  Berg  entrückt^), 
von  wo  aus  er  im  wütenden  Heer  umzieht  *),  oder  von  der 
Fee  Morgane  auf  die  mythische  Insel  Avallach,  Avallon 
entführt,  wo  er  in  ewiger  Jugend  lebt,  um  einst  zur  Ret- 
tuns: des  Vaterlandes  wiederkehren  zu  können.  Der  Pseudo- 
gildas  beschreibt  dieses  Eiland: 

Cingitur  oceano  memorabilis  insula,  nullis 
desolata  bonis;  non  für,  uon  praedo,  nee  hostis 
insidiatur  ibi,  nee  vis  nee  bruma,  nee  aestas 


1)  So  sollte  nach  Wilhelm  von  Malmesbuiy  (De  autiquit.  eccles.  Gla- 
ston, ap.  Gale  I,  p.  290  fgg.)  ein  gewisser  Glasteing  (vergl.  den  Namen 
Glästingaburh)  einer  verlorenen  Sau  durch  -weite  Landschaften  nachgefolgt 
sein  auf  dem  Wege  der  noch  Sugewege  genannt  werde,  bis  er  sie  in  Gla- 
stonbury unter  einem  Apfelbaum  ihre  Ferkel  säugend  fand.  Das  Schwein 
ist  in  der  mysterieusen  Sprache  der  Barden  eine  Bezeichnung  des  national- 
wälschen  Priestertums.  San  Marte  Gotfried  von  Monmouth  S.  423.  Vergl. 
übrigens   oben  S.  458   die  Sage  aus  Gervasius  von  Tilbury. 

2)  S.  darüber  San  Marte  Gotfried  von  Monmouth  S.  275.  421. 

3)  Myth.2  913.  San  Marte  Gotfried  von  Monmouth  S.  428.  Kuhn, 
Nordd.  Sagen  S.  495.  Ausdrücklich  heifst  in  Leydens  Scenes  of  infancy 
(Walter  Scott,  Wawerley  Appendix  I.  Thomas  the  rhjnner)  Arturs  Halle  im 
Berge  Fairyland.     Vergl.  Dunlop  ed:  Liebrecht  Anm.   169  und  S.  541a. 

4)  Myth.^  895.  Ueber  Arthurs  chace  vergl.  noch  Dunlop,  Geschichte 
der  Prosaroraane  ed.  Liebrecht  S.  98.   170. 


461 

immoderata  furit;  pax  et  coucordia,  pubes 
ver  manet  aetemuni,  nee  flos  nee  lilia  desnnt 
nee  rosae,  nee  violae,  flores  et  poma  siib  una 
fronde  gerit  pomus,  habitant  sine  labe  cruoris 
semper  ibi  juvenes  cum  virgine,  nullasenectus 
nuUaque  vis  morbi,  nullus  dolor,  omnia  plena 
laetitiae. 
Der  Verfasser   der   vita   Merlini  lässt  nach  Arthurs  Ent- 
rückung auf  das  Apfeleiland  den  weisen  Taliesin  dasselbe 
preisen  : 

Insula  pomorum,  quae  Fortunata  vocatur 
ex  re  nomen  habet,  quia  per  se  singula  profert: 
non  opus  est  illi  sulcantibus  arva  colonis; 
omnis  abest  cultus,  nisi  quem  natura  ministrat. 
nitro  foecundus  segetes  producit  et  uvas 
nataque  poma  suis  praetonso  gerraine  silvis; 
omnia  gignit  humus  vice  graminis  ultro  redundans. 
annis  centenis  aut  ultra  vivitur  illic. 
Nach  dem  Roman  Ogier  le  Danois  gelangt  Ogier  zur  Mor- 
gue  la  faye  (Fee  Morgane),  die  ihn  schon  bei  der  Geburt 
zu  ihrem    Geliebten  erkoren.     Auf  einer   Seefahrt   Schiff- 
bruch erleidend,  gelangt  er  m i  tt e n  i m  M e  e  r  zum  Schlosse 
Avalon.      Dieses  liegt  auf  einer  Insel   und  ist  ganz  aus 
leuchtendem  Magnetstein  gebaut.   Durch  eine  Halle 
tritt  Ogier  hinein  und  kommt,  nachdem  er  mehrere  fin- 
stere Gänge  durchschritten  und  die  hütenden  Tiere 
getötet,  in  einen  Obstgarten  „tantbel  et  tantplai- 
sant,  que  cestoit  ung  petit   paradis  ä   veoir."     In 
diesem  Elysium  befinden  sich  bei  der  Fee  Morgue,  Artur, 
Auberon  und  Mallambron  (ung  luiton  de  mer).     Hier  in 
der  Nähe  liegt  auch  das  Paradies,  wohin  Enoch  und  Elias 
durch  einen  Feuerstrahl  entrückt  sind.     Ogier  verliert  alle 
Erinnerung  an  sein  früheres  Dasein  und  lebt  in  ewiger  Ju- 
gend   zweihundert  Jahre   in    diesem  Totenlande, 
ehe  er  auf  die  Erde  zurückkehrt ').  —  Im  Lai  d'Ywenec 


1)  Keightley,   Mythologie   der  Feen  jimd   Elfen   übersetzt   von   O.  L.  B. 
Wolf  I,  85  fgg. 


462 

folgt  die  schöne  Gemahlin  des  alten  Avoez  von  Caerwent 
sor  Doglaz  ihrem  geliebten  Elfkönig  in  das  Fairyland. 
Sie  gelangt  zuerst  zu  einem  Hügel,  in  dem  eine  Tür 
sich  öffnet.  Sie  geht  lange  durch  einen  dunkeln 
Gang  im  Berge  fort.  Endlich  tritt  sie  aus  demselben 
heraus  auf  eine  grofse  Wiese,  die  zu  einer  breiten  Ebene 
mit  Mooren,  Wald  und  Haide  sich  erweitert.  Sie  fin- 
det eine  Stadt  und  ein  prächtiges  Schloss.  Dort  weilt 
ihr  Geliebter,  der  Elfkönig.  Er  liegt  verwundet  im  Bette. 
Die  Pfosten  desselben  sind  von  edelm  Metall,  die  Kerzen 
und  Leuchter,  tcelche  Tag  und  Nacht  brennen,  sind  mehr 
als  alles  Gold  einer  Stadt  wert: 

Les  cierges  e  li  chandelier 

qui  nuit  e  jur  sunt  alume 

valent  tut  Tor  dune  cite  ^). 
Osschin  (Ossian;,  der  Sohn  des  Fionn  Mac  Cumhal  (Fin- 
gal)  hörte,  dass  ein  Kornfeld  Nachts  immer  zertreten  werde. 
Viele  hatten  dabei  gewacht,  ohne  den  Schadenstifter  zu 
entdecken.  Da  bleibt  Osschin  eines  Abends  auf  dem  Felde 
zurück.  Er  hört  in  der  Stille  der  Nacht  ein  Rauschen  im 
Korn  und  gewahrt  ein  weifs es  Füllen  ohne  Makel.  Das 
Ross  flieht,  Osschin  verfolgt  es  und  fasst  es  endlich  bei 
der  Mähne.  Da  tut  die  Erde  sich  auf,  Ross  und  Ver- 
folorer  versinken  und  befinden  sich  bald  in  einem  schö- 
nen  weiten  Wiesenland.  Es  ist  das  Land  ewigen 
Lenzes  und  unverwelklicher  Jugend  Tir-na-Oige 
(Land  der  Jugend).  Hier  wird  das  Füllen  zu  einer  weifsen 
glänzenden  Juno-frau,  die  Osschin  willkommen  heifst  und 
ihn  bald  die  Erde  vergessen  macht.  Als  der  Held  ein 
Jahr,  wie  er  meint,  hier  zugebracht,  sehnt  er  sich  zur 
Oberwelt  zurück.  Da  ist  er  aber  dreihundert  Jahre 
bei  den  Toten  gewesen^).     Ein  Pachter  in  Strathspey  in 


1)  Keightley  a.  a.  0.  II,  237  fgg. 

2)  K.  V.  K.  Erin  I,  S.  162  fgg.  Diese  Sage  ist  im  Eingange  mit  fol- 
genden Märchen  eins:  1)  Bechstein,  Märchenbuch  S.  65  Der  Hirsedieb.  2)  As- 
bjömsen  und  Moe  übers,  von  Bresemann  U,  189—202  Die  Princessin  vom 
gläsernen  Berge.      3)  KtDI.  III 3,    99   Märchen   vom  Dummling.     4)  KHM. 


463 

der  Nachbarschaft  von  Cairngorm  in  Schottland  zog  mit 
seiner  Familie  und  seinem  Vieh  in  den  Wald  von  Glena- 
von,  der  als  ein  Sitz  der  Elfen  bekannt  ist.  Zwei  von  sei- 
nen Söhnen,  die  in  einer  Nacht  ausgingen  ein  paar  verlo- 
rene Schafe  zu  suchen,  kamen  zu  einem  Elfen hügel 
(shian)  von  grofsem  Umfang.  Zu  ihrem  Erstaunen  strömte 
das  glänzendste  Licht  aus  unzähligen  Spalten 
im  Felsen,  die  das  schärfste  Auge  niemals  daran  entdeckt 
hatte  •). 

Gegenüber  bedeutender  Uebereinstimmung  mit  den 
deutschen  Sagen  treten  doch  auch  eigentümhche  Züge  in 
der  keltischen  Tradition  hervor,  so  das  ausdrückliche  Her- 
vorheben des  Zuges,  dass  man  durch  einen  langen  dun- 
keln Gang  wandeln  muss,  ehe  man  ins  Fairyland  gelangt. 
Aus  der  Uebereinstimmung  dieser  Art  erhellt  aber,  dass 
die  Vorstellung  über  die  Trennung  der  Kelten  und  Ger- 
manen von  einander  hinaufreicht  und  dass  wir  ganz  richti<>- 
die  Nordische  Mythe  von  Gimill  in  Viöbläinn  (=  Glasberg 
und  Engelland)  als  eine  der  voreddischen  Zeit  angehörige 
in  Anspruch  genommen  haben. 

Den  nordischen  ViSbläinn  fanden  wir  im  deutschen 
Engelland  wieder.  Auch  dieses  mythische  Reich  ist  von 
blühenden  Gewächsen  erfüllt.  Ein  Zaubersegen  gegen 
die  Zahnrose  lautet: 

Kam  eine  Jungfer  aus  Engelland 

Eine  Kose  trug  sie  in  ihrer  Hand, 

Bis  die  Sonne  unterging 

Die  sieben  und  siebenzigste  Zahnrose  verschwand*^). 
Undeutlicher  weil  verderbt  ist  der  folgende  Kinderreim: 


No.  57  Der  goldene  Vogel.  5)  Molbcch,  Udvalgte  eventyr  och  fortällinger 
No.  49.  Myth.*  1216.  6)  Sommer  96,  4  Der  dumme  Wirrschopf.  7)  Schott, 
Wallachische  Märchen  253,  26  Das  goldene  Meermädchen.  8)  Stier,  Unga- 
rische Sagen  und  Märchen  S.  91,  14  Aschenbrödel.  9)  Woycicki,  Polnische 
Sagen  119,  6  Die  drei  Brüder.  In  diesen  Ueberlicferungen  gelangt  der  Jüng- 
ling, welcher  im  Saatfeld  oder  Obstgarten  wachend  das  diebische  Pferd  oder 
einen  diebischen  Vogel  ergreift,  zum  Glasberg  oder  zum  goldenen  ScJdoss. 

1)  Grimm,  Irische  Elfeumärchen  S.  XXII. 

2)  Kuhn,  A.  d.  Mark.     Zeitschr.  f.  D.  Altert.  IV,  390. 


464 

1. 

Kam  ein  Schiffchen  von  Engelland 

War   beladen   mit  Hirschlemirschle ,  Kirschlemirschle, 

Grispelgraspelgrien 
(Da  kam  der  König  von  Zerin 
Fragt  nach  Hirschlemirschle,    Grispelgraspelgrien,  la- 

teinawär  -). 

2. 

Es  kommt  ein  Schiff  von  Engelland 

Es  ist  beladen  mit  Lirum  Lamm  Kalimarum 

Krismus  Krasmus  Krimm 

Es  safsen  zwei  schwäbische  Weiber  darin, 

Die  eine  hiefs  Biebe 

Die  andere  hiefs  Biebele. 

Da  sprach  Frau  Biebe  zur  Frau  Biebele 

Ob  Lirum  Lamm  Kalimarum 

Krismus  Krasmus  Krimm 

Gut  lateinisch  war  ^). 

3. 
Es  kam  ein  Schiff  von  Neuem  an, 
Das  Schiff,  das  war  geladen 
Mit  Hirs  und  Mirs  und  Dinkelmirs 
Mit  Grischbes  Graschbes  Groll 
Da  kam  die  Frau  Brigidian 
Und  fragt  ob  Hirs  und  Mirs  und  Dinkelmirs 
Und  Grischbes  Graschbes  Groll 
Auch  gut  französisch  war  ^). 

4. 
Hier  ist  der  Schlüssel  zum  Schiff 
Mit  Hirsemirse,  Dintenmirse,  Kritzekratzckrull. 
Da  kam  der  König  von  Serin 
Und  sprach: 
Ist  Hirsemirse,  Dintenmirse, Kritzekratzckrull  schon  da?*) 

1)  Pommerelleu  mündl.     Var.  Kam  ein  Schiffchen  von  der  Wartenburg. 

2)  Berlin  d.   H.  Reinicke. 

3)  Frankfurt  a.  M.  mündlich. 

4)  Thöle   und  Strakerjan,   Aus  dem  Kinderleben  S.  68.     Var.:   Da  war 


465 

Das  volle  Verständnis  dieses  Liedes,  das  sich  bei  genaue- 
rer Einsicht  als  eine  neue  schwankhafte  Umarbeitung  eines 
ernsten  älteren  ergiebt,  bleibt  mir  verschlossen.  Nur  so 
viel  ist  deutlich.  Die  ersten  Zeilen  enthalten  den  Sinn: 
„Es  kam  ein  Schiff  von  Engelland,  das  war  beladen  mit 
Hirse  (ahd.  hirsi)  und  Dinkel  (triticum  spelta)  und  krau- 
sem Grün(??)  ')."  In  welchem  Bezüge  zu  diesem  Schiff  die 
Frau  Brigidian  (=  Breide?)  oder  Bibia  und  Bibeli  in  der 
ursprünglichen  Dichtung  standen,  ist  nicht  mehr  zu  ermit- 
teln. Wir  werden  weiterhin  sehen,  dass  andere  deutsche 
Lieder  ein  mythisches  Wesen  Bibia  binka  kennen,  welches 
in  Schweden  den  Namen  Bibelibinke  führt.  Die  Frage 
ob  „Hirse(mirse)  und  Dinkel(mirse)  und  crisp(-el 
craspel)  Grün"  lateinisch  sei,  gehört  der  schwankhaflen 
Umbildung  an,  welche  aus  dem  durch  Emphase  und  nichts- 
sacfende  Reim  Wörter  unverständlich  gewordenen  alten  Liede 
einen  Scherz  machte.  Die  Sprache  macht  höchst  wahr- 
scheinlich, dass  unser  Lied  in  Süddeutschland  seinen  Ur- 
sprung nahm,  wo  (zumal  in  Schwaben)  Dinkel  ein  Haupt- 
erzeugnis des  Ackerbaus  ist.  Einfuhr  von  Korn  und  Früch- 
ten findet  aus  Grofsbritannien  nach  Deutschland  keineswe- 
ges  statt,  am  allerwenigsten  von  dem  nur  in  Süddeutsch- 
land veredelten  und  gebauten,  in  Norddeutschland  allein 
wildwachsenden  Dinkel,  ebenso  wenig  werden  Hirse  und 


ein  kleiner  Mann,  der  kam  auf  der  Apotheke   an    und  fragte,  ob  Hirsemirse, 
Dintenmirse,   KritzekratzekruU  auch  gut  lateinisch  wäre. 

1)  Hirse  No.  4.  hirs  3.  hirscli-le  1;  -mirse  4.  3.  mirsch-le  1.  ist  Em- 
phase, und  dieses  blofs  zur  Verstäriiung  von  Hirse  gebildete  Wort  ist  in  Kirsclile- 
mirschle  1 ;  Diukelmirs  3  ;  Dintenmirse  4  des  Glcicliklangs  wegen  wiederholt, 
ohne  dass  damit  eine  Bedeutung  verbimden  wäre.  —  Dinkel  3;  daraus  Din- 
ten  4  volksetymologisch  enstanden,  durch  den  in  den  Mundarten  niclit  unbe- 
zeugten  Uebergang  von  k  in  t.  Vergl.  piwik  =  piwit  Kiebitz;  smacken  = 
schmatzen;  tobold  =  Kobold;  tuArk  =  Kork;  twärsack  =  Quersack ;  twiärk 
=  quärk;  krätling  Bretzel  =  Kr^kling ;  Kartoffel  aus  tartufola  von  tartufo 
(bianco)  gebildet.  S.  Woeste,  Zeitschrift  für  vergl.  Sprachf.  IV,  18G.  — 
Kirschle-mirschle  1.  ist  durch  das  Bedürfnis  des  Reims  zu  Hirschle-mirschle 
hervorgerufen.  Bei  Krispel-kraspel  möchte  ich  an  lat.  crispus  denken;  Kris- 
jnus  Krasmus  zeigt  den  häufigen  Uebergang  von  p  zu  m-  Vergl.  "Woeste 
a.  a.  O.  184  -grien  ist  die  Pommerellische  Form  für  nhd.  gruen,  ahd.  kruoni, 
mhd.  grueue. 

30 


466 

Dinkel  von  Deutschland  nach  England  ausgeführt.  Da 
mithin  ein  aus  Engelland  kommendes  Schiff,  mit  diesen 
Früchten  beladen,  nicht  auf  Grofsbritannien  bezogen  wer- 
den kann,  werden  wir  auch  in  vorliegendem  Kinderreim 
das  himmlische  Reich  der  Engel  zu  verstehen  haben,  aus 
welchem  (im  Frühling)  der  Pflanzenreichthum  der  Erde  zu- 
geführt wird.  Auffallend  erinnert  an  unser  Lied  eine  An- 
gabe, welche  Agobard,  ein  Franke  oder  Burgunde,  der  von 
816  bis  zu  seinem  Ende  840  als  Bischof  zu  Lyon  wirkte, 
in  seinem  unter  Ludwigs  des  Frommen  Regierung  bald 
nach  Karls  des  Grofsen  Tode  geschriebenem  Werk:  „Con- 
tra insulsam  vulgi  opinionem  de  grandine  et  tonitruis"  über 
einen  Volkglauben  seiner  Zeit  macht.  Er  behauptet  viele 
Leute  zu  kennen,  welche  an  ein  Land  mit  Namen  Ma- 
gonia  glauben,  woher  Wolken  schiffe  kommen.  Aul 
diesen  Wolkenschiffen  werde  das  vom  Hagel  zerschlagene 
Getreide,  sowie  Früchte  aller  Art  aufgenommen  und  in 
jenes  mythische  Land  fortgeführt.  Die  Luftschiffer  spen- 
den den  Zauberern,  welche  das  Wetter  angestiftet  haben, 
für  den  Empfang  der  Früchte  Belohnung  ').  Es  lässt  sich 
nicht  mehr  herausfinden,  ob  diese  Ueberlieferung  keltisch 
oder  germanisch  sei  ^),  Da  wir  aber  gesehen  haben,  dass 
die  keltischen  und  germanischen  Vorstellungen  über  das  Ei- 
benreich dieselben  waren,  werden  wir  darin  zum  mindesten 
ein  treffendes  Analogon  zu  dem  aus  Engelland  kommenden 
Schiff  erblicken  dürfen.  Der  ursprüngliche  Sinn  der  Mythe 
von  Magonia  scheint  mir  dieser  zu  sein.  Aus  einem 
himmlischen  Lande  kommt  der  Getreidesegen, 
kommt  der  Pflanzenreichthum  jederArt  zur  Erde, 


1)  S.  Agobardi  opp.  ed.  Baluze  1666.  8".  I,  145:  Plerosque  autem 
vidimus  et  audivimiis  tanta  dementia  obrutos,  tanta  stultitia  alienatos,  ut  cre- 
dant  et  dicant  quandara  esse  regionem  quae  dicatur  Magonia  ex  qua  na- 
ves  veniant  in  nubibus,  in  quibus  fruges,  quae  grandinibus  deci- 
dunt  et  tempestatibus  pereunt  vehantur  in  eaudem  regionem,  ipsis  vi- 
delicet  nautis  aereis  dantibus  pretia  tempestiariis  et  accipientibus  frumenta 
vel  ceteras  fruges.   — 

2)  Wir  werden  diese  Frage  in  der  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  einer  besonde- 
ren Erörterung  unterwerfen. 


__j467 

hier  vernichtet  kehrt  er  zu  seiner  ursprüngli- 
chen Heimat  zurück;  die  Tempestiarii  sind  als  Ver- 
mittler erst  in  junger  Zeit  eingeschoben. 

Dass  ein  derartiger  Glaube  bei  den  Germanen  vor- 
handen war,  wage  ich  aus  folgenden  Zügen  zu  folgern. 
Wir  wissen  bereits,  s.  S.  429  fgg. ,  dass  in  Holdas  Seelen- 
reich Blüten  und  Früchte  sich  finden,  wenn  auf  Erden 
der  Winter  wütet.  Hier  noch  einige  weitere  Zeugnisse. 
Bauersleute  setzen  ihr  fünfjähriges  Kind  im  Walde  nieder, 
während  sie  Holz  lesen.  Nachher  können  sie  es  nicht  fin- 
den, bis  es  mit  Blumen  und  Beere?i  gelaufen  kommt,  die 
ihm  die  weifse  Jungfer  in  ihrem  Garten  gegeben.  Da 
machen  sich  die  Eitern  auf  und  gehen  auch  zu  dem 
Garten,  der  in  voller  Blüte  steht,  da  doch  noch 
kalte  Jahreszeit  ist.  Das  Kind  wünscht  sich  alle  Tage 
zu  der  Jungfrau  und  stirbt.  Es  ist  die  ins  Totenland  ge- 
langte  Seele').  In  der  Christnacht,  da  alles  voll 
Schnee  liegt,  trifil  ein  Fuhrmann  die  weifse  Jung- 
frau mit  einem  Sommerhute  bekleidet,  wie  ausgebrei- 
tete Flachsbollen  mit   dem  Rechen  umwendet^).      Alle 


1)  Bechstein,  Thüringische  Sagen  IV,  '221.  Xo.  39.  Vergl.  Schmitz, 
Sagen  des  Eifellandes  I.  1843  S.  43.  Hocker,  Moselsagen  No.  51.  Hocker, 
Die  Stamnisagen  der  IlohenzoUern  und  Weifen  S.  27. 

2)  Mone,  Anzeiger  f.  Kunde  der  D.  Vorzeit  V,  175.  Baader,  Badische 
Sagen  261,  277.  Sehr  oft  erscheint  die  weifse  Frau  auf  diese  Weise  Flachs- 
bollen oder  Waizenkörner  sonnend,  s.  Myth.^  912  fgg.,  ebenso  Citronen 
oder  Quitten  Baader  a.  a.  0.  S.  203,  215.  Nicht  minder  Bohnen  Baader 
a.a.O.  244,  255.  Haselnüsse  Baader  a.a.O.  387,  450.  Die  Urschel 
im  Urschelberge  bei  Pfullingen  leiht  aus  ihrem  Berge  (dem  Elbenaufenthalt) 
den  Bauern  Korn  zur  Aussaat  und  verlangt  dasselbe  erst  nach  der 
Aernte  wieder.  Meier,  Schwab.  Sagen  No.  5 ,  4.  7.  Der  Teufel  (wilde 
Jäger)  sagt  zum  General  Luxemburg:  Du  hast  mich  gejagt  durch  Wasser  und 
Wind  und  ich  habe  dir  im  Winter  reife  Kirschen  und  grüne  Pflau- 
men bringen  müssen,  jetzt  ists  vorbei.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  p.  477, 
Anm.  66.  Erinnert  werden  darf  noch  an  ein  nordisches  Zeugnis.  In  der 
durchweg  mythischen  Saga  von  Ketill  Hoeng  wird  von  einem  Fruchtbar- 
keitshügel (ärhaugr)  erzählt,  auf  welchem  die  Einwohner  von  Gestrika- 
land  in  Schweden  um  gute  Aernte  (til  ärs)  opferten.  Auf  diesem  Hü- 
gel haftete  kein  Schnee,  er  war  W'inter  und  Sommer  grün.  (Ke- 
tils-Hxngssaga  cap.  5.  Fornmannasög  IL).  Da  Freyr  Argud  ist,  und  ihm 
y-äx'  Ho/Tjt'  til  ärs  geopfert  wurde,  wird  dieser  Hügel  ein  Abbild  des  himm- 
lischen Berges  sein,  welcher  das  Land  der  Lichtalfen  verdeckte,  das  die  Göt- 
ter im  Anfang  der  Zeiten  Freir  zum  Zahngebinde  schenkten.     Grimnism.  5. 

30* 


468__ 

sieben  Jahre,  d.  h.  nach  den  sieben  Wintermonaten  erscheint 
auf  dem  Frankenstein  eine  Aveifsgekleidete  Jungfrau.  Die- 
selbe giebt  einem  Burschen  in  ihrer  Hole  eine  Hand  voll 
Kirschen').  Diese  Blüten  und  Früchte  in  Holdas  Berge 
haben  aber  zugleich  Bezug  auf  den  irdischen  Pflanzenwachs- 
tum. Nach  hessischen  Hexenacten ')  fuhr  ein  gewisser  Thiel 
jährlich  viermal,  nämlich  alle  Fronfasten,  in  den  Venus- 
berg zu  Frau  Holda.  Dort  sieht  er  den  ganzen  Korn- 
und  Fruchtwachstum  des  Jahres  vorgebildet.  „Dieses 
jähr  erzeige  sich  zimblich  mit  frucht,  obfs  und 
gewachsen;  allein  der  wein  würde  nicht  so  gut, 
als  vorm  Jahr,  das  hette  er  auch  im  berg  gese- 
sehen;  man  müste  aber  Gott  darumb  anrufen, 
sonst  würde  man  des  segens  verlustig,  und  wer' 
die  ax  dem  bäum  an  die  wurzel  gelegt."  Halten  wir 
hiemit  folgende  Züge  zusammen.  Nach  der  oben  S.  457 
beigebrachten  Sage  aus  Gervasius  von  Tilbury  findet  im 
Eibenreich  die  Aernte  statt,  während  auf  Erden  "Win- 
terzeit herscht.  Gervasius  bemerkt:  „Mira  res:  a  mes- 
sibus  subterraneis  veniens^  hyemalia  frigora  videt  in 
nostro  hemisphaerio  perseverare  quod  utique  solis  absen- 
tiae  (die  Sonne  weilt  von  der  Erde  verschwunden  im  Ei- 
benreich) ac  vicariae  praesentiae  merito  adscribendum  duxi. 
Stimmt  mit  dieser  Ueberlieferung  überein,  dass  in  Holdas 
Brunnenreich  zur  Winterzeit  (unter  dem  Schnee) 
reife  Erdbeeren  wachsen  s.  o.  S.  429  fgg.,  so  zeigt  die 
oben  S.  428  angeführte,  wenngleich  nicht  klar  deutbare, 
Sage,  wonach  der  Genuss  der  irdischen  Frucht  von 
Seiten  der  Mütter  den  verstorbenen  Kindern  die  himm- 
lische Erdbeer  frucht  im  Paradiese  entzieht,  dass  ein 
Zusammenhang  und  ein  Wechselverhältnis  zwi- 
schen dem  himmlischen  und  irdischen  Pflanzen- 
wach  st  um  angenommen  wurde.  Maria  (Holda),  die  Ge- 
berin der  himmlischen  Frucht,   lässt  nach  anderen  Sagen 


1)  Bechstein,  Thüring.  Sagen  IV,   144. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  275. 


469 

mitten  im  Winter  dreiAehren  unter  dem  Schnee 
hervorwachsen.  In  der  Christnacht  sollen  dem  Volksglau- 
ben nach  die  Apfelbäume  mitten  im  Schnee  blühen 
undFrüchte  treiben  und  der  Hopfen  treibt  ebenfalls  in 
der  Weihnachtsnacht  zwischen  11  und  12  fingerlange 
saftige  Schosse  unter  dem  Schnee  hervor').  Die 
Christnacht  ist  an  die  Stelle  der  alten  Wintersonnen- 
wende getreten,  in  welcher,  wie  wir  im  nächsten  Abschnitt 
erweisen  werden,  das  himmlische  Seelenreich  offen  gedacht 
wurde  und  seine  Wunder,  die  Prototype  aller  Wesen  und 
Dinge  schauen  liefs.  Das  wiederkehrende  Licht  der  Sonne 
gab  dem  von  der  Wintertrauer  gedrückten  Gemüt  die  Ge- 
währ des  wiederkehrenden  Frühlings.  Das  von  den  Dä- 
monen bis  dahin  verschlossen  gehaltene  Lichtreich  tat  sich 
auf  und  zeigte  dem  Menschen  den  für  ihn  aufbewahr- 
ten Pflanzenwachstum.  Bei  Wertheim  grünt  es  in 
der  Christnacht  mitten  im  Schnee  und  es  zeigen  sich 
Schätze,  die  schnell  versinken  ^),  mit  dem  himmlischen  Gar- 
ten wird  das  Sonnengold  o.  S.  149  fgg.  sichtbar.  In  Schwe- 
den sieht  man  zu  Weihnachten  auf  dem  Wintereise 
Zwerge  mit  Garben  und  Sicheln  in  voller  Arbeit 
und  schliefst  aus  der  Gröfse  der  Garben  auf  die 
Ergiebigkeit  der  künftigen  Aernte'^).  Wie  alt  diese 
Anschauungen  sind,  ergiebt  die  oben  S.  440  erläuterte  Sage 


1)  Die  Belege  für  diese  weitverbreitete  Sage  s.  Ephemer,  acad.  uat.  cu- 
rios.  II.  d.  1,  872;  Acta  acad.  nat.  cur.  1737,  276;  Mone  imd  Aufsess,  An- 
zeiger f.  Kunde  der  Deutsclien  Vorzeit  III,  10;  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  I,  106; 
Pfeiffers  Germania  II,  233.  Man  scliränkte  die  Sage  später  auf  einzelne 
Bäume  ein  und  einige  Exemplare  erlangten  dadurch  Bcrühmtlicit,  dass  man 
als  historische  Tatsache  anführte,  von  ihnen  seien  in  der  Weihnacht  wirklich 
Früchte  gebrochen  und  dem  Laudesherrn  übersandt  worden.  Ein  solcher  Baum 
stand  bei  Tribur  am  Khcin,  ein  anderer  bei  Gera,  zwei  im  Stift  Würzburg. 
Die  Aepfel  dieser  Bäume  nennt  man  Dräutleinsäpfel,  den  Baum  Dräut3- 
apfelbaum.  Vergl.  Prätorius ,  Weihnachtfratzen  S.  49.  llappcl  relat.  cur. 
I,  00.  Mone,  Anzeiger  f.  Kunde  d.  D.  Vorzeit  VIII,  180.  Wolf,  Hessische 
Sagen  134,  214.  Pauli,  Schimpf  und  Ernst  1535,  No.  535.  Berckenmeyer, 
Cur.  antiq.  I,  513.  554.  620.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  I,  404,  132.  Baader, 
Badische  Sagen  S.  47,  57. 

2)  Mone,  Anzeiger  VIII,   181. 

3)  Dybeck,  Runa  IV,  82.  Haupt,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  IV,  501).  Vergl. 
Pfeiffers  Germania  II,  233. 


470 

bei  Saxo,  wo  mitten  im  Winter  dem  Haddins  blü- 
hende  Kräuter  aus  dem  Seelenreich  von  einer  Eibin  cre- 
bracht  werden. 

Ziehen  wir  aus  dem  vorhandenen  Material  den  freilich 
noch  nicht  ganz  gesicherten,  aber  doch  höchst  wahrschein- 
lichen Schluss  „itn  Winter  geht  der  Pßanzenreichthum  ins 
Eibenreich  und  kehrt  von  hier  im  Frühling  zur  Erde  zu- 
rück.'^ 

Die  weifse  Jungfrau,  welche  zu  Osterburg  er- 
scheint, trägt  eine  Rose  oder  Lilie  in  ihrer  Hand  (vergl. 
oben  S.  463  den  Segen  gegen  die  Zahnrose).  In  ihrer 
Hole  steht  schon  zu  Ostern^  wo  draufsen  noch  alles  im 
Schnee  liegt,  ein  blühender  Rosen-  oder  Lilien- 
busch, oder  in  der  Hole  auf  einem  grünen  Platze 
blühen  drei  Lilien').  Im  Schlossgewölbe  von  Wolfarts- 
weier  erscheint  alle  sieben  Jahre  (d.  i.  nach  den  7  Winter- 
monaten im  Frühling),  „wann  die  Maiblumen  blü- 
hen," eine  weifse  schatzhütende  Jungfrau,  in  der  Hand 
trägt  sie  einen  Straufs  Maiblumen^).  Im  Frühling 
eines  Schaltjahres  triflFt  ein  Mädchen  an  der  verfallenen 
auf  einem  Hügel  im  Walde  liegenden  Barbarakirche 
bei  Langensteinbach  eine  weifse  Schlüsseljungfrau 
mit  grünen  Schuhen,   die  hat   einen  Straufs   blauer 


1)  Pröhle,  Harzsagen  S.  160.  162.  Xo.  I  —  III.  Ham's,  Niedersächs. 
Sagen  II,  S.  58.  No.  23.  Die  Blume  in  der  Hand  der  weifsen  Fj'au  wird  an- 
derseits zugleich  als  eine  hellstrahlende  Kerze  bezeichnet.  („Die  Kerze 
ist  eine  Blume  gewesen").  Dies  giebt  ims  einigen  Aufschluss  darüber,  worin 
neben  dem  unsem  alten  unlösbaren  Problem,  wohin  das  Pflanzengrün  den 
Winter  über  verschwinde,  die  Anschauung  des  Himmels  als  Garten  Anhalt 
gefunden  hat.  Man  fasste  himmlische  Naturerscheinungen  als  Blumen  auf. 
Dass  die  rote  Blume,  mit  welcher  der  Schatzberg  geöffnet  wird,  der  Blitz 
sei,  war  schon  oben  S.  153  berührt.  In  der  Sieggegend  beobachten  die  Land- 
leute bei  sonst  heiterem  Wetter  ein  leichtes  Wolkengchilde,  das  sie  Ilim- 
melsblume,  Himmelsrose  oder  Hildenrose  nennen  (über  Hilde  s.  oben 
S.  294).  Es  verspricht  ihnen  nach  anhaltender  Dün-e  Regen.  Montanus, 
Die  Deutschen  Volksfeste  S.  38.  In  Schwaben  sagt  man  von  den  weifsen 
Wölkchen  (Schäfchen)  „der  Himmel  blüht."  Meier,  Schwab.  Sagen.  Die 
Kerze  =  Blume  in  der  Hand  der  Osterrodcr  Jungfrau  könnte  jedoch  auch 
Zusammenhang  mit  der  seelischen  Natur  der  Elbe  haben,  vergl.  oben 
S.  456,  Anm.  3  die  Sage  aus  Meier. 

2)  Mone,  Anzeiger  VIII,  304.     Baader,  Badische  Sagen  S.  209,  220. 


471 

Blumen  in  der  Hand  ^).  FrauHulda  sah  man  oft  auf 
einem  Felsen  in  Franken  sitzen,  wann  die  Reben  blüh- 
ten und  mit  ihrem  Dufte  Berg  und  Tal  erfüllten'^).  Die 
weifse  Frau  zu  Tegernfelden  s.  o.  S.  273,  Aum.  3  kommt 
im  Frühling,  wenn  die  Bäume  ausschlagen,  aus 
dem  Berg  hervor,  streift  mit  ihrer  Hand  den  Blüten- 
staub von  den  Weidenkätzchen  und  streut  sie  in  den  Bach, 
der  vorbeifliefst.  Dann  beginnt  sie  heilkräftige  Kräu- 
ter zu  pflanzen.  Das  Kuchenblümlein  (auemona  pul- 
satilla)  wächst  unter  ihrer  Hand,  sie  setzt  manches 
Hundert  E  n g el  s  ü  fs  c h  e n  von  besonderer  Kraft  und  Würze. 
Damit  stillt  sie  die  grofse  Schaar  von  Kindern  (Seelen  der 
Ungebornen) ,  die  bei  ihr  im  Berge  weilen  ^).  Nach  den 
angeführten  Sagen  erscheint  die  weifse  Frau,  Frau  Holda 
(Perahta,  Frikka,  Gode  u.  s.  w.)  im  Frühling,  weil  dann 
die  Wiuterdämonen ,  die  sie  bisher  gefangen  hielten,  von 
ihr  abzulassen  gezwungen  sind.  Sie  öÖhet  dann  ihren 
himmlischen  Garten.  Ist  es  nun  auf  der  einen  Seite  klar, 
dass  die  Blumen,  aus  deren  honigreichen  Kelchen  die  müt- 
terliche Göttin  die  Ki n der se eleu  labt,  die  Früchte,  mit 
denen  sie  sie  nährt,  im  himmlischen  Lichtreich  wachsen 
müssen,  so  zeigt  auf  der  andern  Seite  die  Schilderung,  wie 
die  weifse  Frau  im  Frühling  aus  dem  Berge  kom- 
mend Blumen  pflanzt,  dass  man  sich  in  der  Tat  die 
irdischen  Gewächse  als  Ausfluss  des  Eibenreichs  dachte. 
Wir  sahen  vorhin,  dass  die  weifse  Frau  im  Winter 
Flachsknollen  in  ihrer  Plöle  ausbreitet,  Holda  und  ihre 
Begleiterinnen  (in  Tirol  die  Säligen  Fräulein)  werden  als 
Beschützerinnen  des  irdischen  Flachsbaus  vorzugs- 
weise verehrt  *). 

Der  hier   versuchte  Beweis  wird  durch  folgende  An- 
gaben unterstützt.    Perahta  (Bertha)  ackert  und  pflügt 


1)  Mono,  Anzeiger  V,   321. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.   I,   27,  VI. 

3)  Rocliolz,  Sagen  des  Aargaus  I,   221.   247. 

4)  Myth.^  247,  ebenso  in  der  ganzen  Mittelinark  Frau  Hölleru.  Vergl. 
über  Tirol  Hammerle,  Neue  Erinnerungen  aus  den  Bergen  Tirols  1854 
S.  8.  14.  19. 


472 

mit  ihrem  Pfluge  unter  der  Erde,  wenn  die  Men- 
schen oben  pflügen  und  ackern;  sie  streut,  wenn 
der  Landmann  seine  Felder  besät,  den  besten  Sa- 
men zugleich  mit  aus.  Auf  ihr  Gebot  müssen  die 
Heimchen  die  Felder  und  Fluren  der  Menschen 
bewässern,  und  wenn  es  zu  trocken  wird,  die 
QuellenausderTiefe  zu  den  Wurzeln  derBäume 
und  Früchte  leiten^;.  Im  Zwergloch  bei  Hildesheim 
schmiedeten  die  Zwerge  unter  der  Erde  Gold  und  Silber. 
Von  der  Hitze  ihrer  unterirdischen  Schmiede  wuchs  das 
Korn  oben  so,  dass  es  eine  Pracht  zu  sehen  war. 
Es  sollen  bisweilen  goldene  und  silberne  Körner 
in  den  Aehren  gewesen  sein.  Seit  die  Zwerge 
fort  sind,  wächst  das  Korn  dort  nicht  mehr  so 
gut-).  In  der  Gegend  des  Wohldenberges  sah  es  vor  der 
Ankuft  der  Zwerge  traurig  aus.  Da  kamen  die  Zwerge, 
leiteten  Wasseradern  dahin,  erwärmten  durch 
ihre  unterirdischen  Feuer  den  Boden  und  mach- 
ten die  Erde  fruchtbar^).  Der  Tanz  der  Schwei- 
zer Bergmännlein  auf  den  Matten  zeigt  ein  gesegnetes 
Jahr  an  *). 

Der  Inhalt  der  so  eben  zusammengestellten  Sagen  ist 
kein  anderer,  als  dass  die  Zwerge  (als  gute  Wesen  aufge- 
fasst),  also  bei  Holda  im  Glasberg  weilende  Seeleu,  Gei- 
ster der  gestorbenen  Voreltern,  in  Hervorbringung  des 
Pflanzenwachstums  wirksam  sind.  Da  die  Zwerge  als 
schmiedende  Wesen  galten,  so  lag  es  nahe,  die  erstere  Tä- 
tigkeit mit  der  letzteren  zu  verbinden.  Wie  die  Sonne  als 
Zwergenarbeit  galt  (erfiöi  dverganna  s.  o.  S.  378,  Anm.  7), 
so  glaubte  man,  dass  die  himmlischen  Künstler  die  Pflan- 
zen schmieden  und  sie  mit  himmlischem  Kegeuwasser  — 
die  Zwerge  sind  ja  Wolkendämonen  —  befruchten.  Von 
Frau  Holda  heifst  es  in  Franken,  dass  sie  frommen  Mäd- 


1)  Börner,  Sagen  aus  dem   Orlagau.  S  115. 

2)  Schambach  und  Müller,  Niedersächs.  Sagen  S.  116,   140,  13. 

3)  Colshorn,  Märchen  imd  Sagen    118. 

4)  Grimm,  Deutsche  Sagen  I,  387,  298. 


473 

eben  bei  der  Feldarbeit  bilft').  Dasselbe  gilt  in  Tirol 
von  Frau  Hulda  und  den  Säligen  Fräulein,  ibren  Beglei- 
terinnen. Von  den  Zwergen  wird  vielfach  berichtet,  dass 
sie  den  Menschen  in  den  Verrichtungen  des  Ackerbaues 
und  namentlich  in  der  Aernte  beistehen.  Oft  gewahrt  man 
sie  in  den  Wipfeln  der  Obstbäume  sich  wiegen  und  mit 
einer  reifen  Frucht  fällt  wol  auch  ein  Zwerglein  herab. 
Da  wir  nun  Holda  als  die  Wasserfrau  und  die  Zwerge 
ebenfalls  als  ursprünglich  himmlische  Wesen  kennen  und 
noch  weiter  nachweisen  werden,  so  ist  es  klar,  dass  die 
Grundlage  dieser  Sagen  in  der  Ueberzeugung  wurzelt,  dass 
diese  Wesen  durch  ihre  Wirksamkeit  das  Wachsen  und 
Reifen  der  Gewächse  förderten.  Es  ist  eben  nur  eine  nie- 
dere Darstellung  ein  und  derselben  Idee,  wie  bereits  W. 
Müller  ausgesprochen  hat  -).  Dieselben  Zwerge  also,  wel- 
che wir  vorhin  oben  S.  469  im  Winter  das  Getreide  im 
himmlischen  Lichtreich  ziehen  und  einärnten  sahen ,  brin- 
gen es  auch  auf  Erden  zur  Ileife. 

Wie  neben  der  Vorstellung,  dass  die  Zwerge  die  Sonne 
geschmiedet  haben  ^),  die  andere  herläuft,  dass  die  Son- 
nenstrahlen lichte  Elbe  selbst  sind,  s.  o.  S.  378.  438,  was 
das  S.  423  angeführte  Dänische  Sonnenlied  noch  bestimm- 
ter ausspricht,  indem  es  die  Elfen  (Engel),  damit  die  Sonne 
scheinen  könne,  zu  unserm  1.  Herrgott  emporzuklimmen; 
so  mag  auch  neben  dem  Glauben,  dass  die  Pflanzen  kunst- 
volle Zwergenarbeit  seien,  die  andere  gewaltet  haben,  dass 
die  Gewächse  Elbe  selbst,  mit  dem  grünenden  Gewände 
zeitweihg  umkleidete  Seelen  sind.  Wir  zeigten  bereits  oben 
S.  439,  dass  sich  die  Seelen  :=  Elbe  in  andern  elementa- 
ren Erscheinungen  wirksam  zeigen,  sie  spenden  den  Regen 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  I,  23. 

2)  W.  Müller,  Altdeutsche  Religion  S.  337.  Unrecht  aber  hat  der  ge- 
schätzte Gelehrte,  wenn  er  als  eine  Veririung  bezeichnet,  dass  bei  anderen 
Gelegenheiten  die  Zwerge  diebischer  Weise  die  Frucht  von  den  Feldern  steh- 
len, die  Körner  für  sicli  einsannneln.  Sie  sind  hier  von  ihrer  bösen  verderb- 
lichen Seite  als  Winterdämonen  aufgefasst,  die  den  rflanzenreichtum  den  Men- 
schen wieder  nehmen  und  in   ilir  (himmlisches)  Kcicli  entführen. 

3)  Vergl.  im  Finnischen  Epos  den  llmariueu,  der  Souuc  und  Mond 
schmiedet. 


474 

und  Schnee  ^),  sie  verursachen  Wind,  von  ihnen  gehen  die 
Sonnenstrahlen  und  der  Glanz  aller  Gestirne  aus  ^),  Es 
darf  daher  nicht  befremden,  sie  auch  in  der  organischen 
Natur  ihre  Tätigkeit  entfalten  zu  sehen. 

Für  diese  Behauptung  kann  ich  folgende  Gründe  auf- 
weisen. Zunächst  sind  die  Elbe  Seelen,  Seelen  aber  er- 
scheinen als  Blumen  oder  Bäume,  s.  oben  S.  403.  Ebenso 
nehmen  auch  Elbe  Pflanzengestalt  au.  Auf  dem  Kirchhofe 
von  Store -Heddinge  in  Seeland  finden  sich  Ueberbleibsel 
eines  Eichenwaldes.  Das  sind,  sagt  der  gemeine  Mann, 
des  Elfenkönigs  Soldaten,  bei  Tage  sind  sie  Bäume,  bei 
Nacht  tapfere  Krieger.  Im  Walde  bei  Rugaard  auf  der- 
selben Insel  ist  ein  Baum,  aus  dem  in  der  Nacht  ein  gan- 
zes Elfenvolk  wird,  das  lebendig  herumläuft.  An  einem 
andern  Orte  wächst  ein  Hollunderbaum  in  einem  Pacht- 
hofe, der  sehr  oft  in  der  Dämmerung  spatzieren  geht  und 
durchs  Fenster  guckt,  wenn  die  Kinder  allein  im  Zimmer 
sind  ^).  Die  Buche  Maren  im  Nidloese  Wald  bricht  allen 
Holzdieben  in  ihrem  Bezirk  Arm  und  Beine.  Ein  Bauer, 
der  sich  mit  einer  Elfmaid  (ellepige)  verlobt  hat,  umarmt 
statt  seiner  lieblichen  Braut  einen  Eichstamm  *).  Bei  Gun- 
dalskol  stand  in  alten  Tagen  eine  Eiche,  darin  hat  ein 
Bjaergmand  200  Jahre  gewohnt,  ist  aber  vertrieben  worden, 
als  die  vielen  Kirchenglocken  ins  Land  kamen  ^).  Ein 
Knecht  in  Södermanuland  war  im  BegriiF  einen  Wachol- 
der umzuhauen,  als  eine  Stimme  erscholl:  „hau  den  Wa- 
cholder nicht."  Er  kehrte  sich  nicht  an  die  Warnung,  da 
rief  es  noch  einmal:  „ich  sage  dir,  hau  den  Baum  nicht 
ab."      Nach   anderer   Erzählung  floss    beim   zweiten   Hieb 


1)  Vergl.  Wenn  es  schneit,  so  schiitteu  die  Engel  ihr  Bett  aus. 

2)  Hierauf  weist  u.  a.  auch  der  Ghiube  des  hessischen  Landvolkes,  dass 
die  Sternschnuppen  Gehülfen  des  bösen  Feindes  sind.  Ruft  man  sie  an 
oder  beschimpft  sie,  so  werden  sie  wild  und  M'erfen  mit  faulen  Käsen.  Wenn 
Jemand  in  demselben  Augenblick,  wann  die  Sternschnuppen  fallen,  einen 
Wunsch  hegt,   geht  er  in  Erfüllung.     "Wolf,  Hessische  Sagen  S.  137,   219. 

3)  S.  Keightley,  Mythologie  der  Feen  und  Elfen  übers,  von  0.  L.  B. 
Wolf  I,   S.  172,  nach  Thiele,   Danske  folkesagii. 

4)  Petersen,  Nord.  Mythologie   108. 

5)  Grundtvig,  Gamle  Danslie  minder  I,  S.  59. 


_  475 

Blut  aus  der  Wurzel,  der  Mann  begann  bald  darauf  zu 
siechen  und  starb  ').  Im  Hollunderbaum  (sambucus  nigra) 
wohnt  nach  dänischem  Glauben  die  Hyldemoer,  man  darf 
ihn  nicht  umhauen,  ohne  plötzlich  dem  Tode  zu  verfallen, 
ja  nicht  einmal  etwas  davon  zu  brechen  war  erlaubt,  ohne 
dreimal  zuvor  zu  sprechen:  „O  Hyldemoer,  lass  mich  et- 
was von  deiner  Erle  nehmen  und  ich  will  dich  dafür  etwas 
von  meiner  nehmen  lassen  ^)."  Ganz  ebenso  dachte  man 
sich  in  Deutschland  die  Bäume  als  belebte  Wesen.  Mit 
der  „Frau  Hasel"  führen  unsere  Volksheder  Gespräche; 
die  Eiche,  der  Wacholder,  die  Fichte  und  andere  Bäume 
werden  ebenfalls  „Frau"  angeredet.  Auch  bei  uns  galt 
ein  ähnliches  Gebet  an  den  Hollunder,  wie  im  Norden: 
Frau  Ellhorn,  gieb  mir  was  von  deinem  Holz,  dann  will 
ich  dir  von  meinem  auch  was  geben,  wann  es  wächst  im 
Walde'')."  Aehnhche  Beispiele  sind  Myth.^  617  fgg.  zu- 
sammengestellt. Ein  Bauer  will  aus  einem  Kirschbäum- 
chen eine  Flegelrute  machen.  Als  er  hineinschnei- 
det, ruft  es  aus  ihr:  „au  weh!"  Ebenso  beim  zwei- 
tenmal, worauf  der  Bauer  sich  mit  Grauen  davonmacht. 
Am  folgenden  Tage  ist  das  Bäumchen  verschwun- 
den. Dasselbe  wird  von  einer  Birke  erzählt,  aus  der  es 
beim  Einschneiden  „o  Jesus"  ruft,  und  die  später  nicht 
wieder  zu  finden  ist  ■*).  Die  Nixjungfrau  erscheint  in  der 
Gestalt  der  Wasserblume  Nymphaea,  die  davon  Nix- 
blume,  Näckblad,  Muhme,  Mummel  und,  wie  die 
Nixen  den  Schwanjungfrauen  gleichstehen,  Swannebloom 
Schwanblume  genannt  ist.  Eine  thüringische  Sage  kennt 
eine  feurige  Kuh,  die  sich  in  einen  Birkenbaum  und 
dann  in  ein  altes  Weib  verwandelt^).  Die  Kamillen- 
blumen (matricariae)    heifsen   auch   Heermännchen   und 


1)  Afzelius,  Svenska  sagohäfder  II,   147. 

2)  Keightlcy  a.  a.  O. 

3)  Arnkicl,   Cimbrische  lleidcnrcligion  I,   179. 

4)  Baader,  Badische  Sagen  S.  172,   184. 

5)  Bechstein,  Sagenschatz  des  Thüringer  Landes  I,   126. 


476 

sind  verwunschene  Soldaten  ').  Man  könnte  wohl  zweifeln, 
ob  Shakespeares  Elfennamen  Peaseblossom  (Erbsenblüte) 
lind  Mustardsead  (Senfsame),  welche  auf  die  Vorstellung 
hinweisen,  dass  man  sich  die  Elfen  pflanzengestaltig  dachte, 
aus  dem  Volksmunde  geschöpft  sind  ^),  aber  auch  die  heu- 
tige Volks  Überlieferung  der  Fläminge  weifs  davon,  dass 
nicht  allein  die  Wasserbollen  in  lischleeren  Weihern,  son- 
dern auch  die  Tröpfchen,  welche  sich  an  schattigen  Orten 
in  den  Blumen  finden,  von  Elfen  bewohnt  sind,  und  ge- 
wisse Kräuter  Elfenblatt  und  Tooveressenkruyd,  mit  denen 
die  gleichen  Vorstellungen  einst  verbunden  gewesen  sein 
werden,  darf  man  nicht  abschneiden  ^).  Da  die  Hexensa- 
gen grofsentheils  auf  Elbensagen  beruhen,  weisen  die  von 
Grimm  bereits  beigebrachten  Hexennamen  dieselbe  Spur: 
Grünlaub,  Grünewald,  Lindenlaub,  Lindenzweig,  Eichen- 
laub, Birnbaum,  Birnbäumchen,  liautenstrauch,  Buchsbaum, 
Hölderlin,  Hurlebusch  u.  s.  w.  *).  Eine  Gräfin  soll  den 
Namen  des  Zwergs  Purzinigeli  raten.  Sie  sagt  Tanne, 
Fichte,  Föhre  u.  s.  w.  ^).  Ich  weifs  nicht,  wie  begründet 
die  Angabe  in  Arndts  Märchen  und  Jugenderinnerungen 
sein  mag,  dass  die  Elbe,  wenn  sie  alt  werden,  sich  in 
Bäume  und  Sträucher  verkriechen  und  so  verwachsen. 
Sieht  man  einen  auffallenden  Knorren  '^),  oder  hört  wunder- 
bare Klänge,  Aechzer  und  Seufzer,  von  denen  Niemand 
weifs,  woher  sie  kommen,  so  sei  das  der  Elf  im  Baume. 
Bestätigend  zu  den  hier  beigebrachten  Angaben  tritt  nun 
der  durchgehende  Zug  der  Sagen,  dass  die  Elbe  aller  Art 
grün  gekleidet  sind,  oder  wenigstens  ein  grünes  Kleidungs- 


1)  Schmalfufs,  Die  Deutschen  in  Bölimen.  Trag  1851  S.  102.  Rocholz, 
Aargauische  Sagen  S.  359. 

2)  Ich  bin  augenblicklich  nicht  in  der  Lage,  William  Bell,  Shakespeares 
Puck  and  his  folkslore,  London  1822  und  James  Prichard  Halliwell,  Illustra- 
tions  of  the  fairy  mythology  of  a  midsummernightsdream ,  London  1845, 
nachzusehen. 

3)  Emancipation   1837,  No.  163. 

4)  Myth.2    1016. 

5)  Zingerlc  KHM.   S.  228.  No.  36. 

6)  Es  stimmt  dies  damit,  dass  die  Unformen  an  den  Bäumen  von  Ma- 
ren herrühren.     Wolf,  Beiträge  II,  271. 


477 

stuck  an  sich  tragen.  Zunächst  erscheinen  die  weifsen 
Frauen  mit  grünen  Schuhen'),  oder  auch  ganz  in  grün 
gekleidet  ^),  dieselbe  Tracht  finden  wir  bei  den  Nordischen 
Huldre^).  Andere  Geister  dieser  Art  tragen  eine  grüne 
Schürze*).  Grün  wiederum  sind  sowol  die  Gewänder 
von  Nixen  ^),  Zwergen")  und  Hauskobolden  ^)  als 
auch  der  Geister  in  der  wilden  Jagd  und  des  wilden  Jä- 
o-ers  selbst^),  ja  ein  Hauskobold  hat  ein  grünes  Gesicht 
und  grüne  Hände  ^).  Auf  Rügen  giebt  es  vier  verschie- 
dene Arten  von  Unterirdischen  grise,  schwarze,  grüne  und 
weifse  '"). 

Wenn  nun  auch  die  grüne  Farbe  der  Nixe  —  wie 
Wolf  mit  Recht  bemerkt  —  daraus  sich  erklären  möchte, 
dass  die  Farbe  des  AYassers  grün  ist,  so  wie  die  grüne 
Kleidung  der  wilden  Jagd  aus  dem  grünen  Anzug  der  Jä- 
ger, so  heischt  doch  diese  Farbe  bei  den  andern  Eiben 
eine  andere  Erklärung.  In  Bezug  auf  die  grüne  Kleidung 
der  weifsen  Frauen  spricht  sich  Wolf")  folgendermafsen 
aus:  „Ich  glaube  mich  nicht  zu  täuschen,  wenn  ich  in  die- 
sen Zügen  eine  Personification  der  Pflanzen  sehe.  Der  mit 
grünem  oder  gelbem  Pantoffel  bekleidete  Fufs  ist  die  Wur- 
zel, die  in  der  grünen,  oder  mit  welken  gelben  Kräutern 
bedeckten  Erde  wnirzelt.      Sehr  richtig  stehen  neben   den 


1)  Baader,  Badische   Sagen.     Kulin,   Märkisclie  Sagen    S.  2üG.     Stöber, 
Elsäss.  Sagen  S.  21. 

2)  Wolf,  Beiträge  II,  240.  252.    Thiele,  Danske  folkesagn  I,  109.    Som- 
mer, Thüring.  Sagen  17,   12.     Brand,  Populär  antiquitae  ed.  EUis  II,  279. 

3)  Faye,  Norske  sagn  S.  42. 

4)  Kocholz,  Aargausagen  I,  214. 

5)  Grimm,    D.   Sagen   I,  No.  52.      Thiele,    Danske   folkesagn   II,  289. 
Wolf,  Beiträge  II,   282. 

6)  Roeholz  Aargausagen  I,   S.  359.     "Wolf,  Beiträge    II.    kap.    Zwerge. 
So  Grundvig,  Gamle  Danske  i  folkenumde  II,  S.  74. 

7)  Roeholz  a.  a.  0. 

8)  Roeholz  a.  a.  0.  I,  213.      Schon  0' inn  erseheint   ,,i  heklu  granni" 
in  grünem  Mantel.     Fornaldarsög.  I,  324.     Vergl.  den  Grönjette. 

9)  Wolf,  Niederl.  Sagen  570,  474. 

10)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  142,  3,  1.  Auch  die  keltischen  Sagen  ken- 
nen die  grüne  Tracht  der  Elfen.  S.  Walter  Scott,  Älinstralsy  II,  152.  154. 
160.  164.  Grimm,  Irische  Elfenmärchen  S.  XX.  XXXVII.  Das  wilde  Ilccr 
fährt  grüngekleidet  auf  der  Insel  Man  daher.  Waldron,  Works  p.  132.  Iri- 
sche Elfenm.  LXXXIV. 
11)  Beiträge  II,  240. 


478 

Goldpantoffeln  die  gelben  Haare,  denn,  wenn  die  Kräuter 
welken,  welkt  auch  der  ganze  Baum  und  sein  Laub  wird 
gelb.  Wenn  die  Eibin,  welche  die  Pflanze  bewohnt,  diese 
verlävSSt,  tritt  sie  in  ihrer  göttlichen  Klarheit  d.  h.  weifs 
auf,  das  Haupt  mit  goldenem  Stirnband  geschmückt  oder 
von  weifsen  Schleiern  umwallt.  Nur  durch  diese  Annahme 
erklärt  sich  der  Zug  in  der  Sage  vom  wilden  Jäger, 
der  eine  Menschenlende  herabwirft,  woran  noch  ein  grü- 
ner Schuh  sitzt'),  so  wie  jene  andere  die  uns  denselben 
schildert,  wie  er  die  Moosweibchen  mit  ihren  gel- 
ben Haaren  vor  sich  auf  dem  Pferde  hält,  so 
dass  sie  von  beiden  Seiten  herabhangen.  So  sind  denn 
diese  Moosweibchen  nichts  anderes,  als  den  weifsen  ver- 
wandte Waldweibchen  und  auch  die  Waldweibchen  und 
wilden  Weibchen  fallen  mit  ihnen  zusammen."  Die  von 
Wolf  erwähnten  Moosweibchen  oder  Waldweibchen  ^)  und 
Lohjungfern  sind  nun  allerdings  Pflanzengenien.  Die 
Moosleute  sind  Geister  klein  von  Gestalt  und  ganz  in 
Moos  gekleidet.  So  oft  ein  Mensch  ein  Bäumchen 
auf  dem  Stamme  driebt,  dass  der  Bast  abspringt, 
muss  ein  Waldweibchen  sterben,  und  deshalb  war- 
nen sie  auch  die  Landleute  „schäl  keinen  Baum."  Sie 
stehen  unter  der  Herrschaft  einer  Königin,  welche  die 
Buschgrofsmutter  heifst.  Der  einzige  Schutz  der  Moos- 
weibchen gegen  den  wilden  Jäger  sind  Baumstämme, 
die  mit  einem  Kreuz  bezeichnet  wurden.  Auch 
schon  Müllenhoff  sprach  aus,  dass  die  Moosweibchen  und 
Moosmännchen  Baumelbe,  Personificationen  des  Blättergrüns 
seien  ^),  Wolf  trennt  die  vom  wilden  Jäger  gejagten  Loh- 
jungfern und  Bairischen  Waldweibchen  von  den  Thüringi- 
schen Moosleuten,  erstere  weisen  nach  ihm  im  allgemeinen 
auf  Waldfrauen,  auf  Genien  der  Bäume  hin,  die  letzteren 
gelten  ihm  als  Geister  der  mehr  am  Boden  haftenden  klei- 


1)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  478,  76. 

2)  Vergl.  über  diese  Menzel  Odin  S.  212,   6. 

3)  Sagen  Vorrede  S.  XL  VI,   XL  VII. 


479  _ 

nereii  Pflanzen  ').  Diese  Auffassung  ist  jedenfalls  zu  ein- 
seitig; mit  ihr  ist  das  Wesen  der  Moosleute,  wilden  Weib- 
chen und  weifsen  Frauen  keineswegs  erschöpft.  Die  Moos- 
weibchen helfen  den  Menschen  in  der  Küche  und  bei  der 
Aernte,  ara  liebsten  aber  beschäftigen  sie  sich  am  Ofen 
mit  dem  Unterhalten  des  Feuers,  dem  Brodbacken  u.  dgl.^). 
Sie  lassen  sich  ihren  zerbrochenen  Schubkarren  wieder 
ganz  machen  und  verwandeln  die  abgefallenen  Späne  in 
Gold  ^),  grade  wie  Frau  Bertha,  Holda,  Göde  ihren  Wa- 
gen verkeilen,  dass  die  goldenen  Spähne  (die  Blitzfunken) 
davon  fliegen,  s,  oben  S.  '~84,  Anm.  2.  297.  Wenn  wir 
nun  in  diesem  Wagen  bereits  a.  a.  O.  die  Wolke  erkann- 
ten, wird  der  Schubkarren  der  Moosweibchen  nichts  ande- 
res sein.  Dass  dieselben  überhaupt  den  alten  Wasserfrauen 
gleichstanden,  geht  daraus  hervor,  dass  die  Jagd  Wuotans 
auf  sie  sonst  von  einer  einzelnen  Frau  erzählt  wird,  wel- 
che längst  als  die  Frikka,  Holda  oder  Freyja  bekannte 
Göttin,  die  alte  Wasserfrau  erkannt  ist  *).  Besonders  glei- 
chen den  Thüringischen  Moosweibchen  mit  ihrer  Königin 
der  Buschgrofsmutter  die  Säligen  Fräulein  in  Tirol  unter 
der  Herrschaft  der  Hui  da.  Diese  helfen  auch  den  Men- 
schen bei  der  Aernte  und  den  häuslichen  Verrichtungen  ^). 
Auch  sie  werden  von  Wuotan  verfolgt,  nach  der  jetzigen 
Sage  von  einem  wilden  Mann,  der  bei  schönem  Wetter 
einen  Mantel  trägt,  um  wie  er  sagt,  bei  schlechtem  tun 
zu  können  Avas  er  wolle.  Wenn  er  eines  Stocks  benötigt 
ist,  reifst  er  (der  entwurzelnde  Sturmgott)  einen  Baum- 
stamm aus  und  der  Baum  mit  den  Wurzeln  dient  ihm  als 
Staggel.  Auch  Hui  da  und  die  Säligen  Fräulein  finden 
nur  dann  Schutz  auf  ihrer  Flucht,  wenn  sie  einen 
Baumstamm  erwischen,  in  welchem  ein  Kreuz 
eingehauen  ist^).    Offenbar  aber  sind  die  Säligen  Fräu- 


1)  Beiträge  II,   142. 

2)  Börner,  Sagen  des  Orlagaus  S.  189  fgg. 

3)  Bömer  a.  a.  O.  S.  205  fgg. 

4)  S.  oben  S.  290.   291. 

5)  S.  Hammerle,  Neue  Erinnerungen  aus  den  Bergen  Tirols  S.  21. 

6)  Firm.  II,  S.  669. 


480 

lein  himmlische  Wesen.  Sie,  die  den  Flachsbau  fördern, 
ziehen  singend  in  den  Lüften  einher').  Was  von  den 
Saugen  Fräulein  gilt,  wird  auch  auf  die  Moosweibchen 
Anwendung  haben.  Wiederum  steht  den  Säligen  Fräulein 
die  im  Berge  (der  Wolke)  wohnende  Schwäbische  Ur- 
schel  mit  ihren  Nachtfräulein  gleich,  die  auch  ein  grünes 
Gewand  trägt.  Auch  die  andern  weifsen  Frauen,  die 
grüne  Kleidung  tragen,  geben  sich  als  Wasserfrauen  deut- 
lich zu  erkennen.  So  wohnt  die  grüne  Jungfer  auf  dem 
Hausberge  bei  Eisleben  im  verwünschten  Schloss  im 
Berge  (der  Wolke)  und  erscheint  nur  alle  7  Jahre.  Sie 
trägt  ein  grofses  Schlüsselbund  -}.  Ebenso  wohnt  die  weifse 
Frau  von  der  Barbarakirche  (Baader  S.  164,  184)  die  ei- 
nen grünen  Schuh  trägt,  in  der  unterirdischen  Hole  bei 
ihren  Schätzen,  welche  eine  Kröte  und  ein  schwarzer  Hund 
hüten.  Dasselbe  Ergebnis  liefern  die  andern  Sagen,  in  de- 
nen die  weifse  Frau  grün  bekleidet  erscheint.  Der  grüne 
Schuh  an  einer  Menschenlende,  die  aus  der  wilden  Jagd 
herabfällt,   s.    oben   S.  478   gehört  keinem   andern  Wesen 


1)  Hamnierle  a.  a.  0.  S.  20.  —  Firm.  II,  G69  wird  von  einem  Säligen 
Fräulein  erzählt,  das  sich  mit  einem  Menschen  vermählt  nnd  mit  ihm  Kin- 
der zeugt,  aber  mit  denselben  augenblicklich  und  für  immer  verschwindet, 
als  er  ihre  Herkunft  offenbar  macht.  Sie  giebt  sich  damit  also  als 
Mare,  als  Bewohnerin  des  himmlischen  Lichtre Ichs,  wohin  sie 
wieder  zurückkehrt,  kund.  —  Eine  andere  Sage  (Hammerle  S.  8  fgg.) 
berichtet,  dass  die  Säligen  Fräulein  am  Ausgang  einer  Berghöle  im  Mond- 
schein auf  bemoosten  Steinen  lagen  und  liebliche  Lieder  sangen.  Ein  Hirte 
findet  sich  jeden  Abend  bei  ihnen  ein  mid  lauscht  ihrem  lieblichen  Gesang. 
Seine  Fiau  folgt  ihm  einst  aus  Eifersucht  und  schneidet  dem  einen  Fräulein 
die  goldenen  Haarflechten  ab.  Das  Fräulein  giebt  dem  Hirten  nun  ei- 
nen Gürtel  für  seine  Frau,  der,  um  eine  Zaunsäule  gespannt,  dieselbe  sofort 
zerreifst.  Hier  haben  wir  zunächst  dieselbe  Sage,  welche  von  den  wilden 
Weibern  im  Unterberg  (Grimm,  D.  Sagen  I,  65)  berichtet,  dass  ein  Bauer 
sich  in  eine  wilde  Frau  ihrer  schönen  Haare  wegen  verliebte  und  sich 
allnächtlich  bei  ihrer  Lagerstätte  einfand,  ohne  jedoch  eine  Untreue  gegen 
sein  Weib  zu  begehen.  Dieses  folgt  ihm  einmal  und  findet  ihn  bei  der  wil- 
den Frau  schlafend.  Da  sagt  die  Bäuerin:  „O  Gott  behüte  deine  schönen 
Haare,  was  tut  ihr  da  miteinander."  Diese  wilden  Weiber  im  Unterberg 
rauben  Kinder,  welche  später  in  grünem  Gewände  auf  den  Felsen  sitzend  ge- 
sehen werden.  Die  Gürtelgeschichte  wird  sonst  von  Drüten,  Maren  und  Zwer- 
gen erzählt. 

2)  Sommer  S.  17,  12. 


481 

als  der  Bergjungfer,  der  Wolkengöttin,  der  Wasserfrau'). 
Durchaus  nicht  anders  stellt  sich  die  Sache,  wenn  wir  die 
andern  grüngekleideten  Mythenwesen  ins  Auge  fassen.  Im 
Pilatusberge  hausen  Erdmännchen  d.  h.  Zwerge,  welche 
grüne  Röcke  tragen.  Als  Wolkenwesen  aber  oder  in  der 
Wolke  hausende  Winde  geben  sie  sich  durch  folgendes 
zu  erkennen:  1)  tragen  sie  Hüte  mit  der  roten  Blitzfarbe 
und  haben  Gänsefüfse.  Die  Gans,  die  dem  Schwan 
mythisch  gleichsteht,  ist  Symbol  der  Wolke;  2)  wohnen 
sie  in  der  Berghöle;  3)  locken  sie  Abends  um  die 
Betglockenzeit  die  Kühe  an  sich  und  fahren  mit 
ihnen  durch  die  Luft  und  schicken  sie  erst  nach 
3  Tagen  ausgemolken  wieder  zurück.  Vergl.  oben 
S.  50.  51.  Gegen  ein  tägliches  Milchopfer  melken  sie  täg- 
lich die  Heerde  und  segnen  überhaupt  den  Viehstand,  s. 
oben  S.  52  fgg.  ^). 

Das  Hardsmännli  bei  Meier  No.  99  ist  ein  durchsich- 
tiges Licht,  als  Seele,  und  dabei  doch  grün  gekleidet. 
Wenn  der  wilde  Jäger  in  Moos  gekleidet  auftritt '^),  so 
kann  das  nicht  auf  die  grüne  Jägerkleidung  gedeutet 
werden. 

Finden  wir  mithin,  dass  Moosweibchen  nach  einigen 
Sagen  himmlische  Wasserfrauen  sind,  nach  anderen  in  der- 
selben Gegend  als  Pflanzengenien  auftreten,  so  sind  wir 
—  denke  ich  —  wol  berechtigt,  in  ihnen  Seelen  zu  sehen, 
welche  zuweilen  in  den  coelestischen  Erscheinungen  des 
Regens  und  Windes  walten,  zu  Zeiten  zur  Erde  herabge- 
stiegen einen  Pflanzenleib  ausfüllen.  Wenn  die  weifsen 
Frauen,  Zwerge  und  ähnliche  Wesen,  die  ja  auch  Seelen 
sind,  gerade  in  denjenigen  Ueberlieferungcn,  welche  sie  als 


1)  Mit  Recht  trennt  Wolf,  Beiträge  II,  142  fgg.  die  von  Wuotan  ge- 
jagten Moosweibchen  und  die  gejagte  einzchie  Frau  als  zwei  besondere  Sa- 
genfamilien, aber  beide  sind  für  xniserc  Betrachtung  d.  h.  in  ihrem  Ursprünge 
nur  eins.  Die  letztere  ist  die  Wasserfrau  als  Göttin  aufgefasst,  die  crstcren 
stellen  die  Wasserfrauen  in   ihrer  Vielheit  als  Eibinnen  dar. 

2)  Rocholz,  Sagen  des  Aargaus  S.  325  fgg.  231,  I.  (50). 

3)  Ilammerlc  a.  a.  0.  S.  20. 

31 


482 

Wind-  oder  Wolkengeister  (Wasserfrauen  u.  s.  w.)  schil- 
dern, grüne  Kleidung  trugen,  so  möchte  ich  darin  eine 
Erinnerung  der  Sage  daran  sehen,  dass  auch  ihnen  es  zu- 
stand, zu  Zeiten  in  Pflanzengestalt  zu  erscheinen.  Die  See- 
len der  Abgeschiedenen,  die  Elbe  haben  ihre  Wirksamkeit 
in  allen  Lebensäufserungen  der  Natur. 

Vielleicht  darf  man  auch  in  der  Edda  eine  Spur  die- 
ser Vorstellungen  erkennen.  Es  ist  mehrfach  von  iviöjur 
Waldgeistern  (d.  i.  die  im  Baume  oder  Holze  leben)  die 
Rede,  im  dunkeln  Liede  Hrafnagaldr  OSins  1.  heifst  es: 
elr  i  vis  ja  aldir  bera  „es  nährt  (oder  mehrt)  die  ividie, 
die  Zeiten  gebären."  Ganz  richtig,  wie  mir  scheint,  fasst 
Petersen  ')  ividja  als  „den  friigtbare  natur"  auf,  die  Elbe 
sind,  wie  schon  ihr  Name  s.  oben  S.  46,  Anm.  4  besagt, 
die  nährenden,  und  darum  auch  in  den  Pflanzen  wirksa- 
men Lebensgeister.     Nun  sagt  die  Vala  '^) : 

Niu  man  ek  heima, 

niu  iviöi, 

mjötviö  moeran 

fyr  mold  neSan  ^). 
Also  in  jeder  der  neun  Welten  befindet  sich  ein  Wald, 
der  als  Aufenthalt  der  iviöjur  gedacht  sein  muss,  da  die 
For  iviör  nur  aus  iviöja  geschlossen  scheint ").  Offenbar 
liegt  uns  hier  eine  Vervielfältigung  des  irdischen  und  himm- 
lischen Pflanzenwaldes  nach  der  eddischen  Neunzahl  der 
Welten  vor.  Dieselben  Geister,  welche  im  irdischen  Baume 
leben,  bewohnen  den  himmlischen  Pflanzenwald,  wie  die 
Huldre,  weifsen  Frauen,  Zwerge  u.  s.  w.  im  himmlischen 
Aufenthalt  das  grüne  Kleid  beibehalten. 

Noch  dunkler  als  das  eben  dargelegte  Verhältnis  der 


1)  Nordisk  mythologi   S.  103. 

2)  Völuspä  2. 

3)  Neun  Welten  weifs  ich  —  neun  iviör  (Innenwälder),  —  den  ruhm- 
reichen Mittelstamm  (die  Esche  Yggdrasill,  den  Weltbaum)  auf  dem  Grunde 
nieden. 

4)  Die  Form  ivi'Sr  hat  sprachliche  Schwierigkeit  und  deshalb  setzt  der 
Schreiber  des  Cod.  Aniamagn.  das  sprachlich  gefügigere,  aber  hier  sinnlose 
viSjur. 


483__ 

Elbe  =  Seelen  zur  Pflanzenwelt,  das  ich  keineswegs 
als  bereits  erwiesen,  sondern  nur  vermutungsweise  aufge- 
stellt wissen  will,  ist  dasjenige  der  Elbe  zur  Tierwelt. 
Kommt  der  irdische  Pflanzenwachstum  aus  dem  himmli- 
schen Lichtreich,  so  werden  wir  vermuten  dürfen,  dass  da- 
selbst die  irdischen  Kräuter  vorgebildet  sind,  dort  ihre  Pro- 
totype  haben.  Ob  auch  die  Tiere?  Wie  ich  in  Wolfs 
Beiträgen  II.  im  Capitel  über  die  Seelen  ausgeführt  habe, 
können  die  Seelen  die  mannichfaltigsten  Tiergestalten  an- 
nehmen. Von  mehreren  derselben  wissen  wir  nun  bereits, 
dass  sie  in  Engelland,  dem  himmlischen  Lichtreiche,  zu 
Hause  sind.  Ich  nenne  den  Schwan,  den  Hasen  —  der 
nur  eine  andere  Gestalt  des  Hundes  der  wilden 
Jagd,  eine  Personification  des  Windes  und  da- 
rum psychopomp  ist  —  den  Marienkäfer  u.  s.  w.;  vom 
Storch  werden  wir  weiterhin  reden.  Vom  Bock  sagt  ein 
pommerellisches  Rätsel:  Es  kommt  ein  Männchen  aus  En- 
gelland, hat'n  beschlagenen  Backenbart '). 

Weiteres  Material  zur  Entscheidung  der  oben  ange- 
führten Frage  scheint  ein  von  mir  bereits  Zeitschr.  f.  D. 
Myth.  III,  225  fgg.  398  teilweise  besprochenes  Lied  zu 
gewähren.  Ich  habe  dasselbe  an  ersterem  Orte  irrtümlich, 
in  Folge  einseitiger  Berücksichtigung  der  holsteinischen 
Variante,  als  Tierhochzeit  bezeichnet. 

1. 

Hott  hott  habermann 

treck  din  vader  sin  stäweln  an, 

sett  di  up  dat  beste  pert, 

bistu  hundert  daler  wert. 

he  red'  bet  hier,  he  red'  bot  dar, 

he  red'  wul  hen  na  Franken. 

un  as  he  hen  nä  Franken  kern 

da  muss  he  sin  Verwunderung  sen. 


1)  Iliezu  vergl.  man  Ir.  Elfenmärchcn  S.  XL.  ,,Dic  Ziegen  sind  die 
Frexmde  der  Elfen,  sie  stehen  mit  denselben  in  gutem  Vernehmen  und  sollen 
mehr  wissen,  als  man  dem  Anschein  nach  glauben  möchte." 

31* 


484 

dar  set  de  ko  bit  für  im  spunn 
dat  kalf  leg  in  de  weg  iin  sung. 
de  katt,  de  wusch  de  schötteln  üt 
de  hund,  de  knaed  de  botter  üt, 
de  fleddermüs,  de  fagg  dat  hüs, 
de  swölken  mit  a^r  spitze  snüt, 
de  swölken  drögen  den  dreck  herüt. 
un  achter  de  gröte  schün 
da  döschten  dre  kapün  u.  s.  w.  '). 

2. 

Kikeriki,  du  grote  hän, 

wann  wiltu  üt  to  denen  gän? 

un  as  ik  üt  to  denen  ging, 

sach  ik  en  grotet  wuuner  an. 

Bälam  leg  inne  weg  un  sung, 

bükü  set  ant  für  un  spunn, 

de  müskatt'n  karrn  de  botter. 

Fleddermüs 

fägd  dat  hüs, 

de  brummers  häln  de  koi  to  hüs, 

de  flegen  schull'n  se  melken. 

Achter  in  de  schüne 

do  stunnen  dre  kapüne.  u.  s.  w.  ^). 

3. 
Kikeriki  du  rode  hän, 
len  mi  din  vergüldten  sporn, 
ik  will  därmit  na  Thomas  gän. 
Un  as  ik  vor  Thomas  döre  kam 


1)  MUllenhofF,  Sagen  S.  475  fgg.  Iliezu  vergl.  Schmidt,  Bremenser  Kin- 
der- und  Ammenreime  S.  10,  3:  Ik  guug  mal  hen  na  Grambke,  da  kek  ik 
uuner  de  planke,  un  as  ik  in  dat  bürlius  kam,  da  seg  ik  mit  verwundrung 
an:  de  ko ,  de  sat  bit  für  un  spunt,  dat  kalf  lag  inner  wegen  un  sung,  de 
katte  karm  de  botter,  de  hund,  de  wusch  de  schottein.  De  fleddermüs,  de 
fegd'  dat  hüs,  de  swalke  drog  den  stof  herüt  met  eren  langen  flegeln.  Sunt 
dat  nig  dikke  lägen? 

2)  Friedrichstadt  in  Schleswig  miindl.  Die  Fortsetzung  Zeitschr.  f.  D. 
Mjth.  UI,  226.  1 


485 

dö  seg  ik'n  egen  verwundrung  an; 

de  kö,  de  set  bit  für  im  spunn 

dat  kalf  leg  inne  weg  un  sung 

de  katte  wusch  de  schötteln, 

de  hund,  de  drög  se  af. 

de  fleddermüs 

de  fegt  dat  hüs, 

de  swälken  drögen't  müU  hennüt, 

un  för  de  gröte  döre 

da  stunden  so  grote  kapünhäns  före, 

de  fungen  an  to  schreien: 

van  hier  an 

van  dar  an, 

haben  wTint  de  rike  mann, 

de  let  üs  allens  wassen, 

god  ha  wer  un  göd  flassen^). 

4. 

Hop  hop  hop  habermann! 
tu  dm  perd  de  spören  an, 
ri  därmit  nä  Amsterdam, 
van  Amsterdam  nä  Spanien 
(van  Spanien  na  Oranien). 
Un  as  ik  nä  Oranien  kam 
do  sog  ik  'n  grötet  wunder  an. 
de  ko,  de  set  bit  für  un  spunn, 
de  kalf,  de  leg  in  de  weg  un  sung. 
de  katte  wusch  de  schötteln. 
de  fleddermüs,  de  fasgt  dat  hüs, 
de  swälken  drögen't  müU  hennüt, 
de  kreien  smükken  de  wanden 
mit  rötsideneu  banden, 
un  baben  stund  de  brüt, 
de  har'n  gröten  bürrock  an, 
dar  hungcn  wol  düsend  klokken  an. 
de  klokken  fungen  an  to  klingen. 


1)  Oldenburg  Thölc  und  Strakerjan,  Aus  dem  Kinderlcbeu  S.  86. 


486 

lewe  engeis  fungen  an  to  singen: 

hierhen,  darben 

bäben  wänt  de  rike  mann, 

rike  mann  to  pere; 

üse  lewe  here, 

let  wassen 

göd  körn  un  god  flassen, 

göd  körn  un  göd  linsät 

(froken  es  dat  nig'n  göden  hüsrät)  '). 

5. 
Kikeriki!  säd  de  han, 
trock  sek  blanke  steweln  an, 
he  gonk  ut  to  frigen 
en  dat  land  Marigen, 
un  as  he  wedder  na  hüse  kam 
mäkt  de  hund  dat  bett, 
de  katte  wascht  de  schötel  up, 
de  müs,  de  faegt  dat  hus, 
de  spärling  drög  den  dreck  üt, 
he  flog  wol  öwer  de  wide  se, 
he  fung  e  feschke, 
win  en  de  kann, 
röp  üt,  röp  üt!  ^). 


1)  Thöle  und  Strakerjan  a.  a.  0.  S.  87,  daraus  Firm.  I,  231.  Vergl, 
Bochum  (Grafsch.  Mark)  d.  "Woeste:  Kükerükü  siet  use  Mn,  hiät  twäi  gülne 
spuaren  an,  hä  geng  ok  wual  näm  dynien  un  wul  sin  geld  verswymen  (ver- 
smimeln,  durchbringen);  de  kau  de  sät  bim  für  un  span,  de  katte  käimde 
bueter,  dat  kalf  lag  in  der  waig'  un  sang,  de  rüe  wosk  de  schüetel,  de  pliaer- 
müs  da  kiärde  't  hüs,  de  mügge  drang  den  dreck  herüt  op  den  baiden  flU- 
gels.  —  Iserlohn :  Kückelekük  sag'  uese  häne,  da  räit  'e  de  fair  spuären  räne, 
un  räit  dämed  nä  Amsterdam.  Te  Amsterdam  was  nUms  te  hius, 
as  katten  un  ruiens  alläine.  De  katte  wosch  de  bueter,  de  ruie  käirde  't 
hius  iut,  de  pliaermüs  smäit  den  drek  heriut,  et  kähveken  sät  fiiärm  fuir  un  span. 

2)  Pommerellen  mündl.  Die  beiden  ersten  Zeilen  auch:  De  grote  tipp- 
hän  de  ging  met  blanke  sporen.  Die  dritte  und  vierte  Zeile  auch:  he  gonk 
op  de  frige  en  det  land  Marige.  Vergl.  Simrock,  Kinderb. ^  154,  624:  Ki- 
keriki du  rode  hän,  o  len  mi  doch  din  sparen!  ik  well  üt  to  frien  gän, 
dat  sali  nich  lange  waren!  Meklenburg  d.  Cand.  Latendorf  in  Neustrelitz: 
Kürekükü  het  unser  hän.  Kum  wi  will'n  hen  frigen  gän.  As  wi  vor  kü- 
küriikii  kemen  segen  wi'n  groten  wunder  an.  u.  s.  w.  —  Barmen  d.  Woeste: 
Kückelükü  federhän,  tüh  dine  geülnen  spörkes  an,  gang  üt  freien  en  de 
häwerdeien!  as  ek  en  de  häwerdcien  kom,  da  woar  u.  s.  w. 


487 

6. 

Ist  sie  tot,  so  bleibt  sie  tot, 
Wir  wolln  sie  begraben  unter  die  Rosen  rot. 
Wir  wolln  sie  begraben  vor  die  Kirchentür, 
Dann  beten  die  Geistlichen  alle  Sonntag  dafür. 
Wir  wolln  sie  begraben  unterm  Rosenstrauch, 
Dann  wächst  eine  schöne  Blume  darauf. 
Dann  kommt  ein  Ritter  schön  und  gut, 
Und  steckt  die  Blume  an  seinen  Hut. 

Als  nun  der  Ritter  nach  Stolzenburg  kam. 
Da  safs  die  Kuh  beim  Feuer  und  spann; 
Die  Katz  wusch  die  Schüsseln; 
Die  Fledermaus  kehrt  das  Haus; 
Die  Schwalbe  Avarf  den  Dreck  heraus. 
Anne  Marie  safs  hinter  der  Trapp 
Und  füttert  das  Kind  mit  Zuckerpapp, 
Met  Nateln  •). 

7. 
There  was  a  wee  yowe 
hippin  frae  knowe  to  knowe, 
it  lookit  up  to  the  mune  (moon) 
and  saw  mae  ferlies  na  fyfteen. 
it  took  a  fit  in  ilka  band 
and  hippit  awa'  to  Airland, 
fra  Airland  to  Aberdeen. 
and  when  the  yowe  came  home  again, 
the  gudeman  was  outbye  herdin  the  kye 
the  swine  were  in  the  spence  (innerroom),   ma- 

kin  the  wej, 
the  gudewife  was  butt  an'  ben,  tinklin  the  keys 
and  lookiu  over  lasses,  makin  at  the  checse, 
the  cat  in  the  ashehole,  makin  at  the  brose  — 
down  feil  a  cinner  and  burnt  the  cat's  nose, 
and  it  cried:  yeowe,  jcowe,  jeowe!  ^). 


1)  Münstersche  Goschichteu  uud  Sagen  S.  213. 

2)  Chambers,  Populär  rhymca  of  Scotlaud  S.  45. 


488_ 

Dass  dieses  Lied  kein  Spottgedicht,  ergiebt  sogleich 
der  eruste  altertümliche  Ton,  iu  welchem  es  gehalten  ist, 
nur  die  schottische  Variante  spielt  ins  Scherzhafte  über. 
Da  aber  noch  zu  wenige  Varianten  vorliegen,  um  mit  Si- 
cherheit den  echten  Bestand  des  ursprünglichen  Liedes 
herauserkennen  zu  können,  wage  ich  es  nicht  mit  Bestimmt- 
heit für  mythisch  zu  nehmen,  kann  aber  nicht  unterlassen 
die  Aufmerksamkeit  auf  folgende  Dinge  hinzulenken.  Das 
Land,  wo  die  wunderliche  Wirtschaft  sich  befinden  soll, 
wird  in  I.  Franken  genannt,  was  in  dem  neapolitanischen 
Liede  oben  S.  422  unserm  „von  Enge  11  and  nach  Spanien, 
von  Spanien  nach  Oranien"  gleichsteht.  Diese  letztere 
Lesart  ist  nun  offenbar  für  4.  anzunehmen,  da  Amsterdam 
durch  die  Erinnerung  an  ein  anderes  Lied  hineingekommen 
ist').  Entsprechend  hat  7.  die  Wendung:  to  Airland, 
fra  Airland  to  Aberdeen.  Sehr  beachtenswert  und 
mit  Engelland  ganz  gleichbedeutend  ist  in  5.:  „dat  land 
Marigen,"  d.  h.  Marieuland.  Maria  tritt  nun  auch  in  4. 
auf,  denn  keine  andere  als  sie  ist  die  Braut  ^) ,  und  in  6. 
wird  sie  ausdrücklich  genannt.  Auf  ein  himmlisches  Reich 
weist  auch  die  Türe  des  h.  „Thomas"  in  3.  In  diesem 
Lande  ^)  nun  wohnt  —  wenn  die  darauf  bezügliche  Stelle 
zum  alten  Bestände  des  Liedes  gehört,   was   ich   vorläufig 


1)  Vergl.  Sirarock,  Kiuderb.^    30,    12G. 

Zuck,  zuck  Habermann, 

Treck  diu  Vader  sin   Stebeln  an ; 

Rüd  damit  nach  Amsterdam, 

Von  Amsterdam  nach  Sachsen, 

Wo  die  kleinen  Kinder  auf  den  Bäumen  wachsen.    Und  oft  ähnlich. 

2)  Vergl.  iu  einem  holsteinischen  imd  ebenso  iu  einem  altmärk.  Liede: 
Maria  ging  die  Trepp  hinan,  Hatt'n  roten  Rock  an,  Die  Glocken  fiugeu  au 
zu  klingen,  Maria  fing  au  zu  singen.  —  Simrock,  Volkl.  144,  71:  Maria  hob 
ihr  Röcklein  auf,  Sie  trat  wol  in  das  tiefe  Meer.  Als  sie  wol  iu  die  Mitte 
kam,  Da  fingen  alle  Gottes  Glöckleiu  zu  läuten  au.  Maria  trat 
auf  einen  Stein,  Da  ging  dem  Schiffsmaun  das  Herz  entzwei.  —  Tirol  d.  J. 
V.  Zingerle:  Oben  im  Himmel,  sein  viele  Englein;  sie  sitzen  auf  Stühle  imd 
singe  und  spiele;  imd  die  Mutter  vou  Gott  hat  die  Glocken  in  der 
Hand,  und  schüttelt  die  Haare.  Die  Engel  tun  tanzen  und  der  Vater  von 
Gott  hat  an  goldanau  Wagen.  Die  Engel  tun  ziehen,  die  Lampclu  tun  klin- 
gen,  die   Hirteu   tun  singen. 

3)  Ueber  das  mythische  St.  Thomaslaud  =  dem  Paradiese  s.  Menzel, 
Odin  S.  314. 


noch  nicht  entscheiden  kann  —  hoch  oben  (vergl.  die  stu- 
fenweise Anordnung  der  Sitze  bei  Frau  Gode-Hrösa  oben 
S.  304)  der  reiche  Mann,  der  gutes  Korn  und  gu- 
ten Flachs  wachsen  lässt,  siehe  oben  No.  3.  und  4. 
Während  mehrere  andere  Ausdrücke  unseres  Liedes  auf 
Redactionen  im  Mittelalter  und  dem  Beginn  der  Neuzeit 
(etwa  das  IGte  Jahrhundert)  hinweisen  '),  möchte  ich  hier 
eine  noch  ganz  heidnische  Formel  vermuten.  Denn  genau 
so  wird  Freyr  als  Arguö  und  Fegjafi  (Aerntegott  und 
Reichtumspender)  ^)  bezeichnet.  Er  waltet  über  dem  Wachs- 
tum der  Ackerfelder  (hann  rxör  fyrir  avexti  jaröar)  und 
zugleich  überdemReichtum  der  Menschen  (feswli  manna)^); 
dieses  letztere  aber  nur  darum,  weil  er  selbst  reich  ist. 
Auch  sein  Vater  Njörör  heifst  Fegjafandi  guö  und  wird 
vorzugsweise  reich  (auöigr)  genannt.  Auöigr,  sem 
Njörör  war  sjorichwörtliche  Redensart  ^).  Er  ist  so  reich 
und  schatzglücklich  (svä  auöigr  ok  fesnell),  dass  er 
allen,  die  ihn  anrufen,  Landbesitz  und  fahrendes  Gut  ge- 
ben kann  ^).     Frau  Holda,    die  deutsch -heidnische  Göttin, 


1)  Dass  der  Hahn  in  ein  fremdes  Land  zieht,  wird  in  No.  2  durch 
den  dem  Lehns-  und  Gefolgswesen  entnommenen  Ausdruck:  „wann  wultu  iit 
to  denen  gän"  ausgedrückt.  Vergl.  oben  S.  42G:  „livor  hier  du  v;i;t  a  tjene" 
vom  Storch.  Der  rote  mit  Glocken  besetzte  Rock  ist  eine  Tracht,  welche 
im  löten  Jahrhundert  sehr  beliebt  war,  mit  dem  IGten  aber  alhnälig  ver- 
schwindet. Die  Scliellcnkleidung  ist  freilich  uralt,  und  im  Orient  sehr  früh 
nachweisbar.  Zeitig  kam  sie  zu  den  nordeuropäischen  Völkern;  Kruse  will 
Spuren  davon  sogar  in  Livisehen  Gräbern  gefunden  haben.  Kruse,  Anastasis 
der  "Waräger  Reval  1841  S.  C.  9.  44.  u.  s.  w.  Im  Jaiire  1103  gab  ein  päbst- 
liches  Breve  den  Mönchen  von  St.  Ambrosius  zu  Mailand  die  Erlaubnis  ,,fe- 
rendi  tintinnabula  in  cappis."  Vereinzelt  kommen  die  Glocken  an  Ritterklei- 
dungen vor.  Ein  allgemeiner  Schmuck  wurde  im  löten  Jahrhundert  das  rote 
Kleid  mit  vielen  Glöekchen.  Im  IGten  schränkte  sich  aber  diese  Tracht  auf 
die  Tänzer  und  Narren  ein,  dagegen  wurde  sie  nun  in  abenteuerlicher  und 
keiner  historischen  Wirklichkeit  entsprechenden  Weise  als  aUfränkische  Tracht 
auf  den  Porträts  der  Vorfahren  angewandt.  S.  Schcil)le,  ,,Dic  gute  alte  Zeit." 
(Kloster  VI.)  S.  Ö4  Igg.  90  fgg.  Rosenkranz.  Neue  Zeitschr.  für  die  Ge- 
schichte der  german.   Völker.     Halle   1822  I,    11  fgg. 

2)  Skäldskaparm.   cap.  7. 

3)  Gylfaginnmg  21. 

4)  Vatiisdiclasaga  202. 

5)  Gylfag.  23.  Vergl.  GriOtbjorn  gceddan  hafa  Freyr  ok  NjörÖr  at  Jjar- 
aüi.     Egilssaga  671. 


490 

spendet  vorzugsweise  den  Flachs.  Ist  nun  Freyr  Herr 
von  Liösälfaheimr,  das  unserm  Holdasitz  „Engellaud"  ent- 
spricht, so  wird  wahrscheinlich ,  dass  ein  dem  nordischen 
Freyr  bei  uns  entsprechender  Gott,  ein  Genosse  der  Holda, 
den  oben  beschriebenen  Platz  einnahm. 

Die  Maren  sind  zugleich  himmlische  Kühe  und  spin- 
nende Wasserfrauen,  s.  oben  S.  78  fgg.  Wir  fanden 
die  Herrgottskühlein,  dieLadycow  die  den  Maren  gleich- 
steht s.  oben  S.  245.  353.  366  fgg.  spinnend,  s.  oben  S. 
350,  No.  18.  350,  No.  17.  18.  Die  Kinderseelen  bei  Frau 
Göde,  Hrösa,  Holda  haben  Schafgestalt.  Der  Marien- 
käfer wird  aufgefordert,  seine  (Wolken-;Kühe  zu  melken 
s.  oben  S.  251.  356,  wie  die  andererseits  den  Maren  gleich- 
stehenden Geister  des  wilden  Heeres  (Maruts)  dies  tun. 
Halten  wir  dazu  die  Angaben:  „de  ko,  de  sat  bit  für  un 
spunn;"  „dat  kalf  leg  inne  weg  un  sung  (Var.  dat  bä- 
lamm  leg  inne  weg  u.  s.w.)');"  „de  brummers  hälu  de 
koi  to  hüs,  de  liegen  schulin  se  melken;"  so  ergiebt  sich, 


1)  Kalb  und  Lamm  stehen  sich  mythisch  gleich  als  Gestalt  von  See- 
len. Wie  die  Seelen  bei  Frau  Rose-Göde  u.  s.  vr.  teils  als  Hunde,  teils  als 
Schafe,  teils  als  Hühner  auftreten,  sehen  wir  die  beiden  erstem  Gestalten 
in  folgender  Sage  wechseln,  die  wir  zugleich  dazu  benutzen,  den  S.  299  ver- 
sprochenen Nachweis  der  Lammgestalt  der  Seelen  nachzuholen.  Ein  Mann 
aus  Eppiugen  findet  im  Walde  ein  blockendes  Kalb,  das  er  mit  nach 
Hause  nimmt  und  in  seinen  Stall  sperrt.  Als  er  wieder  nach  dem  Kalbe 
sieht,  steht  eine  hochbetagte  Frau  in  altertümlicher  Tracht  da,  die  sagt:  ,, Schon 
über  hundert  Jahie  schwebe  ich  als  verwünschter  Geist  zwischen  Himmel  und 
Erde,  ohne  erlöst  zu  werden.  Manchmal  nehme  ich  die  Gestalt  eines  Hun- 
des, manchmal  die  eines  Schafes,  mitunter  die  eines  Kalbes  an.  Weil 
ich  in  dein  Haus  gebracht  worden  bin,  gehe  ich  nicht  mehr  hinaus,  will  mich 
aber  mit  jedem  Winkel  begnügen."  Die  arme  Seele  wurde  in  einen  Kasten 
verwiesen.  Baader,  Bad.  Sagen  280,  298.  Vergl.  192,  208  wo  berichtet 
wird,  dass  urselige  Geister  die  Gestalt  von  Kühen,  Schafen,  Schweinen 
und  Ratten  annehmen.  In  Freiburg  spuckt  die  Seele  eines  Studenten  (Baa- 
der a.  a.  O.  48,  58),  zu  Heilbronn  der  Geist  eines  Metzgers  (a.  a.  0.  274, 
293),  zu  Augsburg  das  Gespenst  einer  Hebamme  (Schöppner  HI,  238,  1228), 
zu  München  die  Seele  einer  Hausfrau  als  Kalb.  Die  letztere  wird  in  eine 
Fla-sche  gebannt  (Schöppner  III,  226,  1212).  Besonders  oft  führen  die  so- 
genannten Stadt-  oder  Dorftiere,  Spuckgeister  die  auf  den  Strafsen  der  Stadt, 
beim  Dorfe  oder  an  Kirchen  ihr  Wesen  treiben,  die  Gestalt  von  Schafen 
Kälbern.  Als  Kalb:  Stöber  a.a.O.  36,  24.  86,  67.  124,  110.  344,280. 
430,320.  Schambach  u.  Müller,  Niedersächs.  Sagen  196,214,3.  Grundtvig, 
Gamle,  Danske  minder  II,  255,  422  B.  Als  Schaf:  Stöber  a.a.O.  225, 
173.     Als  weifse  Lämmer:    Stöber  a.a.O.  228,   176.    309,  240.      Wolf, 


491 

dass  unser  Lied  nicht  ganz  ohne  mythische  Analogie  in 
unserer  Volkspoesie  dastelit.  Auf  die  Frage  selbst,  zu  de- 
ren Lösung  es  vielleicht  geeignet  sein  dürfte,  kommen  wir 
wieder  zurück. 

12)  Ein  fränkisches  Sprichwort  sagt:  „Wer  Him- 
mel und  Hölle  zugleich  sehen  will,  der  reise  nach 
Engelland  ^)."  Ob  dieses  Sprichwort  mythische  Bedeutung 
hat  oder  nicht,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Wäre  er- 
steres  der  Fall,  so  dürfte  es  etwa  mit  den  auf  den  folgen- 
den Blättern  zu  entwickelnden  Vorstellungen  in  Zusammen- 
hang stehen. 

Wir  haben  das  S.  328  mitgeteilte  Lied  bisjetzt  nur 
teilweise  erläutert.  Wir  teilen  zunächst  noch  ein  paar  wich- 
tige Varianten  mit  und  schreiten  dann  zur  Untersuchung 
der  noch  ungedeuteten  Züge. 

War  well  met  no  Angland  gön? 

Ängland  es  verschlösse, 

der  seh  lössei  es  zerb  röche. 

Wanneh  krigge  mer  ne  neue  Schlössel? 

wan  dat  köönche  (Körnchen)  rief  es, 

wann  de  müll  stief  es, 

wann  de  bäcker  backe  kann, 

wann  da  brau  er  braue  kann. 

Lischen  op  da  plante  (Gras) 

löfs  dat  pöppchen  danze! 


Niederläud.  Sagen  647,  551.  Als  graues  Schaf  aiieli  GniiuUvig,  Ganile 
Daiiske  minder  11,  253,  421  A.  256,  422  B.  Als  weifses  Lamm  cbeudas. 
S.  254.  Diese  Schafe  und  Kälber  der  Dänischen  Sagen  (die  Kirkcvarsler 
d.  h.  omina  ad  ecclesiam  accepta  hcifsen),  sind  Todesvorzeichen.  Sic 
zeigen  den  Zusammenliang  der  deutsclicn  Spuclitiere,  Dorfticre  mit  den  Folge- 
geistern (s.  oben  S.  307).  Bald  in  Gestalt  eines  Kalbes,  bald  in  Gestalt 
zweier  weifscn  Lämmer  erscheint  das  Spucktier  Stöber  225,  173.  Audi 
Zwerge,  d.  i.  Seelen,  haben  Schafges talt,  Seifart,  llildesheim.  Sagen  36, 
25.  Wie  eine  Ileerde  Schafe  trappeln  sie  bei  ihrem  Abzug  über  die  Biücke. 
Ein  Zwerg  bei  Ilocholz  heilst  selbst  Lämmli. 

1)  Reynitscli,  Trübten  und  Truhtensteine,  Gotlia  1802  S.  124.  Der 
Verfasser  setzt  hinzu:  ,,Die  Alten  glaubten  die  Hölle  nördlich  in  Britannien. 
Das  obige  Sprücliwort  wird  zwar  jetzt  vom  licutigcn  Wolleben  gesagt,  ist 
aber  eine  alte  Saga." 


492 

danz,  daüz  lingekiddel! 

morge  kütt  der  spillmann  widder!  '). 
Fragen  wir  nun  zunächst  „Was  bedeutet  das  Ver- 
schlossen sein  des  Engellandes?  Nach  dem  vorhan- 
denen Material  werden  wir  diese  Frage  dahin  beantworten 
müssen,  dass  man  das  himmlische  Lichtreich,  in  welchem 
die  Seelen  wohnen,  nicht  allezeit  offen,  sondern  auf  ver- 
schiedene Weise  zu  Zeiten  verschlossen  wähnte.  Zunächst 
waren  es  die  Dämonen  des  Winters  (s.  oben  S.  184  fgg.)? 
welche  die  Göttin  Holda  sammt  den  Seelen  gefangen  hiel- 
ten, das  himmlische  Lichtreich  verschlossen.  Im  Frühling 
ward  die  Göttin  befreit.  Dieser  Vorgang  ist  wiederum  in 
einem  Kinderspiel  erhalten,  das  ich  in  weiter  Verbreitung 
nachzuweisen  vermag: 

1. 

Ein  Mädchen  kauert  sich  auf  die  Erde,  zieht  ihr 
Oberkleid  in  die  Höhe  und  über  dem  Kopf  zusammen. 
Die  mitspielenden  Kinder,  bis  auf  eins,  das  herumgeht,  ste- 
hen um  sie  und  halten  den  Rock  fest.  Das  umherge- 
hende fragt: 

Ringel  ringel  tale  ringen, 
Wer  sitzt  in  diesem  Turm  drinnen? 
„Königs,  Königs  Töchterlein." 
Darf  man  sie  auch  anschauen? 
„Nein,  der  Turm  ist  viel  zu  hoch. 
Man  muss  einen  Stein  abhauen." 
Nun    schlägt    das    herumgehende    Kind    eine    der    Hände 
herab  und  diese  lässt  den  Rock  los.    Dann  beginnt  Frage 
und  Antwort  von  Neuem.     Sind   alle  Steine  gefallen,   so 


1)  Köln  Firm.  I,  460.  Vergl.  Rusekranz  Wacklewanz,  wer  well  mett 
110  Engellaud  fare?  Eiigelland  es  geschlosse,  der  schlössel  es  zer- 
broche.  Wann  krigge  mer  ne  neue  schlössel?  wann  dat  könche 
rif  es,  wann  dat  müll  stif  es,  wann  de  bäcker  backe  kann,  wann 
de  brauer  braue  kann.  Liesgen  hiuger  de  plaugen,  leet  de  pöpclier  danze. 
Köln  d.  Hocker.  —  Krone  kraue  wicklefane,  we  well  inet  no  Holland  fare? 
Holland  es  geschlosse,  de  schlössel  es  zerbreche,  wanne  kriege 
mer  ne  neue?  wenn  dat  könsche  rip  es,  wenn  de  niöle  pip  es,  wemi  de 
poppe  danze  op  de  gröue  schanze,  tiisken!  Bilk;  Leysers  Nachlass. 


^93 

läuft  das  Königstöchterlein  nach  und  welches  erhascht  wird, 
muss  in  den  Turm  '). 

2. 

Zink  zink  Tellerlein, 

Da  sitzt  des  Königs  Töchterlein 

In  einem  hohen,  tiefen  Turm, 

Wer's  will  sehen  muss  die  Stange  brechen'^). 

3. 
Ring  ring  tale  ring. 
Wer  sitzt  denn  hier  in  diesem  Ding? 
„Eine  kleine  Königin, 
Ward  so  fest  gemauret." 
Die  Mauern  wolln  wir  stechen. 
Die  Steine  wolln  wir  brechen. 
Hand  weg,  Hand  weg!  ^). 

4. 
Kling  klang:  gloria. 
Wer  sitzt  an  diesem  doria? 
Da  sitzt  ne  Königstochter  drin. 
Kann  man  sie  nicht  zu  sehn  kriegn? 
Nein!  der  Turm  ist  viel  zu  hoch. 
Das  schadt  nicht,  das  bädt  nicht. 
Mauern  muss  man  brechen. 
Steine  muss  man  stechen  ■*). 


1)  Wundcrhorn  1808  III,  87;  daraus  Grimm,  KHM.  II,  1819,  XVI. 
Simrock,  Kinderb.  =*  201,  831.  Fast  gleichlautend  im  Elsass:  Stöbor,  Elsäss. 
Volksbüchl.  32,  58.  Im  Aargau:  Rocliolz,  Alemann.  Kinderlied  II,  410,  28. 
Düsseldorf:  d.  Lehrer  Engels.  —  Var.:  Ting  tang  torian  —  Ein  schönes, 
schönes  Töchterlein.  Yergl.  Simrock,  Kiuderb.'^  202,  832.  Pfullingen.  Meier, 
Kinderr.  aus  Schwaben  S.  103,   375. 

2)  Grimm,  KIIRI.  II.   1819  S.  XVI. 

3)  "Weifsenfeis  d.  IL  Niese.  Vergl.  Alttöplitz  bei  Potsdam:  Kattun  kat- 
tun  in  diesem  Ring;  es  sitzt  ne  Königstochter  drin.  Die  Mauern  kann 
man  brechen,  die  Steine  kann  man  stechen.  Scliädt  niclit,  brädt  nicht.  Jung- 
fer komm  und  folge  mich. 

4)  Holstein  mündlich.  Vergl.  Siegen:  Kling  klang:  gloria.  Wer  sitzt 
in  diesem  doria?  Eine  kleine  Königstochter,  die  man  nicht  zu  sehen  kriegt. 
Steine  wolln  wir  brechen;  morgen  woUn  wir  stechen.  Ilänsclien  mit  dem 
roten   Rock,   fass  dich  hinten    an   meinen   Rock.     VergL  MüllenhotF,   Sagen 


494 

5. 
Ringel  ringel  Dorne, 
Wer  sitzt  in  diesem  Korne? 
„Da  sitzt  ne  schöne  Jungfer  drin, 
Die  kann  man  nicht  zu  sehn  kriegn. " 
Das  Tor  ist  geschlossen, 
Der  Schlüssel  ist  zerbrochen. 
Schöne  Jungfer  komm  heraus, 
Und  such  dir  einen  andern  aus '). 

6. 

Ringel  ringel  Dornau, 

Wer  sitzt  in  diesem  Kornau? 

Da  sitzt  ne  schöne  Jungfer  drin. 

Man  kann  sie  nicht  zu  sehn  kriegn. 

Das  schadt  nicht,  das  badt  nicht. 

Da  kommt  der  rote  Fuhrmann, 

Schöne  Jungfrau  fass  mich  an  ^). 

7. 
Wer  sitt  in  dissen  bögen  trön? 
„dar  sitt  en  königsdochter  in" 
kann  ik  se  nich  to  sen  krisrn? 


S.  395.  Vergl.  aus  dem  Oldenburgischen  d.  Frl.  E.  v.  DIncklage-Campe  Kling 
klang:  gloria!  Wer  sitzt  in  diesem  toria?  „Das  ist  ne  Frau  von  Königin." 
Kann  ich  sie  wol  zu  sehn  kriegn?  „Ach  nein,  ach  nein,  das  kann  nicht  sein, 
es  ist  ne  grofse  Mauer  drum."  Die  Mauer  will  ich  brechen,  die  Steine  will 
ich  stechen.  „Einen  Stein,  doch  ja  nicht  mehr."  Göttingen  d.  II.  Biblio- 
thekar Müldener:  lOing  klang:  gloria!  Wer  sitzt  in  diesem  doria?  Eine 
kleine  Königin,  die  man  nicht  zu  sehn  kriegt.  Die  sitzt  in  festen  Mauern. 
Die  Mauern  wolln  wir  brechen,  Steine  woUn  wir  stechen.  Salzfisch,  Schmalz- 
fiscli,   komm  raus  und  friss  mich. 

1)  Berlin  mündl. ;  fast  ebenso  d.  HH.  Mathias  und  E.  Grimm;  Trebbin 
d.  H.  Lackowitz ;  Joachimstal. 

2)  Simrock,  Kinderb. ^  202,  883.  Weifsenfeis  in  Sachsen  d.  H.  Grofse. 
Fiedler,  Kinderreime  aus  Anhalt-Dessau  65,  91.  Vergl.  Berlin:  Ringel  rin- 
gel dorne ,  wer  sitzt  in  diesem  Korne  ?  Königs,  Königs  Töchterlein.  Nein, 
nein  das  ist  sie  nicht,  ist  die  feste  Mauer.  Mauer  willst  du  brechen.  Cou- 
sinchen willst  du  stechen,  komm  hinter  mir,  komm  hinter  mir;  er  mein  Alter 
folge  mir.  Aehnlich  Hagens  Germania  I,  304.  In  Hemer  (Grafsch.  Mark) 
nach  Woestes  briefl.  Mitteilung:  Hori  katori,  wer  sitzt  in  diesem  dori?  Eine 
schöne  Königsjungfer,  kann  man  nicht  zu  sehen  kriegen.  Mauern  muss  man 
brechen.  Steine  muss  man  stechen.     Königsjungfer  folg  mir  nach. 


495 

„se  is  so  fast  vermüret" 

de  miir,  de  will  nich  bräken 

de  sten  de  will  nich  (lies:  ik)  stäken. 

enen  sten  bräk  ik  iit. 

„beide  ögen  fallt  di  üt." 

Nä,  ncä! 

schät  nich,  bat  nich. 

sten  un  ben  verlat  mi. 

kling,  klang  kloria 

kumm  un  folg  mi  achternä  '). 

8. 

Wer  sitt  up  dissen  bogen  tron? 

„da  sitt  en  königsdochter  in." 

kann  ik  se  nich  mal  to  sen  krign? 

„nä  raöder  na!" 

ik  will  di  6k  gäwen  twe  pär  schö. 

„nä  moder  nä!" 

ik  will  di  ök  gäwen  en  gollncn  ring. 

„nä  moder  nä!" 

ik  will  di  6k  gäwen  'ne  sulwerne  kutschen! 

„nä  moder  nä!" 

ik  will  dl  ök  gäwen  'ne  goUne  kutschen! 

„nä  moder  nä!" 

ik  will  di  6k  gäwen  de  halwe  weit. 

„nä  moder  nä!" 

ik  will  di  6k  gäwen  de  gansse  weit. 

„ja  moder  ja!" 

De  müren  will  wi  bräken, 

de  stene  will  wi  verstäken. 

Ann  Margrete,  Graurock! 

de  d6t  de  kummt,  de  d6t  de  kummt. 
Die  Verhüllte   steigt  nun    herab    von   ihrem  Sitz  und  jagt 
hinter  den  andern  her,  um  sie  zu  fangen  ^). 


1)  Holstein:  MüUenhofl',   Sagen  485,  5.     Vcrgl.  Simrock,   Kinderb.'  157, 
438.  —  Oldenburg:  Thöle  und  Strakerjan,  Aus  dem  Kinderleben  S.  40. 

2)  Schmidt,  Bremenser  Ammenrcimc  S.  64,  2. 


496 

9. 

Sitzt  eine  Frau  im  Häusle 

Spinnt  so  zarte  Seide, 

Zart,  zart  wie  ein  Haar, 

Hat  gesponnen  sieben  Jahr, 

Kann  man  sie  auch  sehen? 

Nein,  der  Turm  ist  viel  zu  hoch, 

Man  muss  einen  Stein  abhauen. 
Die  Königstochter  im  Turm  macht  während  des  Spiels  die 
Gebärde  des  Spinnens  '). 

10. 

Sitzt  e  Frau  im  Gartehaus 

Mit  sieben  kleinen  Kinderlein. 

"Was  möcht  sie  gern,  was  möcht  sie  gern? 

Ein  Gläsle  voller  kühlen  Wein, 

Und  e  Stängele  Pretzel  drein. 

Zart,  zart  wie  ein  Haar, 

Hat  gesponnen  sieben  Jahr. 

Kann  man  sie  auch  schauen? 

Nein,  der  Turm  ist  viel  zu  hoch, 

Man  muss  'neu  Stein  abhauen^). 
Neben  dem  gewöhnlichen  Schlüsse,  dass  das  zidetzt  vom 
Turm  entfernte  Kind  die  Königstochter  vorstellen  muss, 
wird  in  Tübingen  auch  so  gespielt.  Sind  alle  Hände  ab- 
geschlagen, so  fassen  sich  die  Kinder  hinten  am  Rock  an 
und  rufen:  Darf  man  den  blutigen  Mann  sehen?  „In  einer 
halben  Stunde."  Später  fragen  sie  wieder.  „In  einer  Vier- 
telstunde." Endlich  heifst  es  „in  einer  Minute."  Der  Ober- 
rock fällt;  die  Kinder  rufen: 

Blutiger  Ma, 
reg  mi  nit  a. 
Inzwischen  fängt  die  Eingetürmte  eine  andere. 


1)  Meier,  Kinderreime  aus  Schwaben  S.  102,  375. 

2)  Meier  a.  a.  0.   103. 


497 

11. 

Wer  wohnt  in  diesem  Döruelein? 

„'s  Königs,  's  Königs  Töchterlein." 

Darf  man  sie  auch  beschauen? 

„O  ja,  man  muss  eine  Hand  abhauen." 

Der  Münsterturm  ist  noch  so  hoch, 

Me  muefs  ne  Hand  abbreche  lo. 
Sind  alle  Hände  abgeschlagen,   so  wird  die  Königstochter 
gefragt:      Was  witt  lieber  Wasser  oder  Wy? 

„Wy" 

So  schlage  -  n  -  alli  zämmi  dry. 
Alle  springen  fort,   das  aus  der  Mitte  ihnen  nach.     Wel- 
ches gefangen  wird,  muss  in  die  Mitte  *). 

12. 

Tink  tank  Türmelein, 

Was  sitzt  in  diesem  Türmelein? 
Prinzessin;   „Eine  schöne  Prinzessin." 

Wasessensiegern? 
Prinzessin:    „Zucker,  Rosinen  und  Mandelkern." 

Was  trinken  sie  gern? 
Prinzessin:    „Wein." 

Kann  man  sie  nicht  sehen? 

„Ach  nein,  ach  nein,  ach  ach  nein!" 

Der  Turm  ist  gar  zu  hoch. 

„Mau  muss  die  Steine  brechen." 
Dannn  wird  der  Turm  umgeworfen,  und  alle  Kinder, 
welche  ihn  (nämlich  den  Oberrock  über  dem  Kopfe  der 
Prinzessin)  hielten,  aufser  dem  Sprecher  laufen  davon  und 
verstecken  sich.  Der  Sprecher  tritt  hinzu  und  bricht 
Steine,  indem  er  mit  den  Händen  auf  den  Turm  losschlägt. 
Dann  erlöst  er  die  Prinzessin,  welche  nun  die  Kin- 
der suchen  muss  ^). 


1)  Basler,  Kinderreime  1857  S.  27,  72.  Vergl.  Weimar  d.  K.  Köhler: 
Kling  klang  gloria!  wer  sitzt  in  diesem  toria?  ,,e3  ist  iJcs  Königs  Töchtcr- 
lein."  Was  trinkt  sie  gern?  ,,ein  Gläschen  Wein."  Was  isst  sie  gern? 
,,'nen  Kuchen  fein."  Der  Turm,  der  Turm  ist  viel  zu  hoch,  es  muss  ein  an- 
drer gebauet  sein. 

2)  Ilcmschlag  in  Westphalcn  d.  Lehrer  Kuhn. 

32 


498 

13. 

Die  Jungfer  sitzt  im  Kreis 

Mit  sieben  junge  Maus. 

AVas  isst  sie  gern?  was  trinkt  sie  gern? 

Ein  Gläschen  Wein,  ein  Butterbrod! 

Stein,  Bein  mit  der  Hand  herab!  '). 

14. 

Sat  en  mäksken  en  de  mür 

sponn  so  fine  slde, 

so  fin  as  en  här, 

so  grof  as  en  bar. 

drop  sat  se  sewen  jär. 

as  de  sewen  jär  cm  weren 

wurd  se  schulten  dochter, 

wurd  är  kröne  flochten. 

thymejän  mairän 

schulten  dochter  hingerau! 
Nach  diesen  Worten  tritt  eins  der,  mitspielenden 
Kinder  aus  dem  Kreise  heraus  und  stellt  sich  hinter  die 
Sprecherin.  Beide  beginnen  nun  den  Umgang  und  Ge- 
san"-  von  Neuem,  bis  der  ganze  Kreis  aufgelöst  und  Schul- 
ten Dochter  allein  dasitzt.  Da  ruft  mit  einmal  eins  von 
den  Kindern:  „Ach  schulten  dochter  es  geschtorwe" 
und  bittet  zum  Begräbnis.  „Gü  mechte  doch  tom  begräft- 
nis  käme  on  gebackne  lüs  on  flog  metbrenge.  Gü  motte 
awerst  en  schwärt  kled  anhewwe.  De  kent  hett,  hangt 
en  annert  innen  rök  on  morge  es  et  schwärt  '^)." 

15. 

Teng  tang  tellerang 
de  rosen  fallen  au. 
do  sot  en  königsdochter 
op  eren  goUnen  stöl 
de  hadd  de  här  geflochte. 


1)  TLüiingeu,  aufgez.  von  Kichard  Krell. 

2)  Pomraerelleu  mündlich. 


499 

All  wen  ek  schlön 

de  sali  achteran  gön. 
Bei  den  letzten  Worten  lässt  eins  der  haltenden  Kinder 
das  Oberkleid  der  Königstochter  los  und  folgt  dem  umher- 
gehenden. So  geht  es  fort.  Sitzt  zuletzt  die  Königstoch- 
ter allein  im  Turm,  so  lüftet  die  Führerin  des  Zuges  den 
Turm  ein  wenig,  guckt  hinein  und  sagt:  „Die  Frau  ist 
halb  krank,"  nach  einer  Weile  „die  Frau  ist  ganz  krank," 
darauf  „die  Frau  ist  halb  tot,"  „die  Frau  ist  ganz  tot." 
Dann  treten  die  übrigen  Kinder  herzu  und  singen  „a  bom- 
belam ,  a  bombelam"  ').  Die  Königstochter  aber  springt 
auf  und  erhascht  eins  '^). 

16. 
Ein  Mädchen  sitzt  im  Kreise.  Die  andern,  bis  auf 
eins,  heben  das  Oberkleid  der  Sitzenden  in  die  Höhe  und 
halten  es  mit  beiden  Händen  gefasst.  Die  Ueberschiefsende 
geht  um  den  Kreis  und  fragt:  „Tink,  tiuk  tällering  —  wer 
ist  die  Schönste  in  diesem  Kring?"  —  Die  andern:  „Der 
König  und  sein  Töchterlein,  die  wollten  sich  gebre- 
chen mit  Steinchen  mit  Beinchen."  (Besser  in  Iser- 
lohn: „Dem  Könige  sein  Töchterlein").  —  Die  Fragerin: 
„Eine  Hand  davon!"  (In  Iserlohn:  „Eine  Hand  muss  abl"). 
Bei  dem  letzten  Worte  schlägt  sie  dem  nächsten  Mädchen 
auf  die  Hand,  die  dann  loslässt.  So  geht  es  herum,  bis 
alle  eine  Hand  frei  haben.  Bei  einem  zweiten  Umofanofe 
wird  jede  auf  die  andere  Hand  geschlagen.  Sobald  ein 
Mädchen  ganz  los  ist,  fasst  es  die  Fragerin  hinten  an,  zieht 
mit  ihr  weiter  und  stimmt  in  ihren  Sang  ein.  Sind  alle 
frei,  so  muss  die  Königstochter  die  Hände  falten  und  es 
wird  ihr  das  Oberkleid  ganz  über  den  Kopf  gezogen.  Sie 
stellt  so  die  scheinbar  Tote  vor.  Eine  aus  dem  Kreise 
fängt  an  zu  läuten,  worauf  eine  andere  geht  um  den  Doc- 
ter  zu  holen.    Der  Docter  kommt  und  fragt,  was  die  schein- 


1)  Diese  Worte  „a  l)onibelain,  a  bombelam"  bezeichnen  das  Läuten  der 
Sterbeglocke.  Vergl.  ein  anderes  Kinderspiel  aus  Meurs  Firm.  I,  .S98:  Abom- 
bt'lam.    „Wat  bedüt  dat  lüen?"    Aue  nian  es  dOt.    Vergl.  u.  S.  510,  Anm.  1. 

2)  Meurs  d.  II.  Grecf. 

32* 


500 

bar  Tote  gegessen  habe.  Der  Umstand  antwortet :  „Ileifse 
Dickemilch  und  kaUen  Pfannkuchen."  —  Der  Docter: 
«Dann  soll  sie  "wol  tot  sein!"  Er  sieht  sie  sich  an  und 
sacrt:  „Sie  ist  tot!"  Nun  wird  der  Läuterin  gesagt:  „Höre 
nur  auf  mit  läuten!  die  Königstochter  ist  tot,"  Der  Um- 
stand legt  die  Tote  auf  die  Erde,  hockt  ringsmum  nieder 
und  hält  die  Hände  vor's  Gesicht.  Aber  die  Tote  erhebt 
sich,  schlägt  jeder  auf  die  Hand  und  legt  sich  wieder  hin. 
Nun  stehn  alle  auf  und  rufen:  „Sie  ist  wieder  lebendig  ge- 
worden!" Dann  laufen  sie  davon.  Die  Königstochter 
springt  auf  und  läuft  ihnen  nach.  Wer  zuerst  von  ihr  ge- 
hascht wird,  muss  in  einem  neuen  Spiel  ihre  Stelle  ver- 
treten '). 

17. 

„0ns  liewe  vrouwke  van  boven." 

wie  staet  er  hier  an  mynen  toren? 

„mag  ik  er  eenen  steen  aftrekken?" 

eene  steen  kan  my  niet  letten. 

„mag  ik  er  dan  wel  twee  aftrekken?" 

twee  is  veel  te  veel 

rydt  er  al  met  eenen  door! 
Dies  wird  so  lange  wiederholt,   bis  unsere  1.  Frau  einwil- 
ligt, dass  zwei  Steine  abgebrochen  werden^). 

18. 
"Wien  is  er  al  onder  de  torre 

„Tlogier,  Rogier! 

fransch  schabelierl" 
De  steentjes  zyn  al't  hoogeu, 

Rogier,  Rogier  u.  s.  w. 
„'k  zal  een  steentje  aftrekken, 

Rogier  u.  s.  w." 
Zy  zyn  nog  veele  't  hoogen, 

Rogier  u.  s.  w.  °). 


1)  Deilinghofen  in  Westphalen,  briefl.  d.  Woeste. 

2)  Wodana  II,  218,   17. 

3)  L.  de  Baecker,  De  la  religion    du   nord  de  la  Fr.ince    avant  le  cLri- 
stianisme  S.  162.     Vergl.  unten  No.  22. 


501 

19. 
Den  jomfrii  er  i  kloster  sat 
ring  rang,  faldri  faldra  roede  roser! 
Ritter:   hvad  er  der  i  det  kloster  at  se? 

ring  rang!  falder  i  saug,  falla  de  roedeste  roser I 
„det  er  en  jomfru  saa  fin  og  skjoen, 
ring,  rang  u.  s.  w.* 
og  kan  vi  ej  faa  den  jomfru  at  se? 
„der  er  so  stierk  en  mur  omkring." 
saa  ville  vi  br^kke  en  sten  eller  to. 
„en  sten  eller  to  kan  ej  forslaa." 
saa  ville  vi  brcekke  den  halve  mur. 
„den  halve  mur  kan  ej  forslaa!'' 
saa  ville  vi  brrekke  det  halve  kloster. 
„det  halve  kloster  kan  ej  forslaa." 
saa  ville  vi  braskke  det  hele  kloster, 
„nu  har  vi  faaet  den  jomfru  at  se." 
ring,  rang!  falder  i  sang,  falla  de  roedeste  roser! 
Bei  der  vorletzten  Strophe  v^^irft  die  Jungfrau  das  verhül- 
lende Obergewand  zurück  und  die  letzte   wird  von  Allen 
gesungen. 

20. 
Den  jomfru  er  i  kloster  sat, 
den  ridder  hau  gaar  udenfor. 
og  hvor  skal  han  den  jomfru  faa? 
og  han  ma  bryde  en  sten  eller  to. 
en  sten  eller  to  vil  ej  forslaa. 
ja  saa  maa  hele  muren  gaa^). 

21. 
Her  er  saa  deilig  en  jomfru  at  sce! 
ring,  rang!  falderirang,  faldcri  roede  roaer! 
„den  jomfru  vil  jeg  have  at  sce!" 
ring  u.  s.  w. 


1)  Sv.  Grundtvig,  Gamle  Daiiskc  mludei-  i  Iblkciuuude.     Zweite  iSaiuiu 
hing  S.  301,  444.   aus  Kopenhagen. 

2)  Giundtvig  a.  a.  0.    aua  Jütlaud. 


502 

den  jomfru  er  bag  klosterets  mur. 
„om  jeg  skal  bryde  en  sten  eller  to!'' 
en  sten  eller  to  kan  ei  forslaae. 
„om  jeg  skal  bryde  den  halve  mur." 
den  halve  mur  kan  ei  forslaae. 
„om  jeg  skal  bryde  den  hele  mur." 
den  hele  mur  er  alt  for  tyk  '). 

22. 
Une  jeune  fille  se  met  a  genoux,  plusieurs  autres  l'eu- 
tourent  et  elevent  sa  robe  au-dessus  de  sa  tete  ce  qui  forme 
une  espece  de  tour.   Une  autre  enfant  representant  le  franc 
cavalier  s'avance  en  chantant: 

Oü  est  la  Marguerite? 

ho  gai!  ho  gai!  ho  gai! 

oü  est  la  Marguerite? 

ho  gai!  franc  cavaher. 
Le  groupe  lui  repond: 

•  eile  est  dans  son  chäteau 

ho  gai!  ho  gai!  ho  gai! 

eile  est  dans  son  chateau. 

ho  gai!  franc  cavalier. 
Le  cavalier: 

Ne  peut-on  pas  la  voir?  etc. 

„les  murs  en  sont  trop  hauts." 

j'en  abattrai  un'  pierre.  etc. 
Ici  le  cavalier  enmene  une  jeune  fille  du  groupe: 

„Une  pierre  ne  suffit  pas" 

j'en  abattrai  deux  pierres. 
11  enmene  encore  une  autre  personne  du  groupe: 

„Deux  pierres  ne  suffis'nt  pas" 

j'en  abattrai  trois  pierres. 
Meme  jeu    et  raeme  reponse   se   continuc  jusqu'a  ce  que 
l'on  ait  enmene  toutes  les  jeunes  fiUes,  qui  tenaient  en  l'air 
la  robe  de  la  Marguerite,   Celle  qui  reste  la  dernitre  la 


1)  Fünen  d.  Frau  Doctor  Bieraatzki. 


503 

tient    a   eile  seule    et  fermee  au-dessiis  de   la  tete   de  la 

jeune  fille. 

Le  cavaller  sans  chauter: 

Qu'est-ce  qu'il  y   a  la  dedans, 

„un  petit  paquet  de  linge  ä  blanchir." 

je  vais   chercher  nion  petit  coutean  pour  le  couper. 

La  jeune  fille  lache  sa  robe,  qui  lalsse  a  decouvert  la  Mar- 

guerite  celle-ci  se  leve  et  s'enfuit,  les  jeunes  filles  courent 

apres  eile  et  le  jeu  finit  '). 

23. 
Unter  uusern  Kinderspielen,  schreibt  mir  Mila  y  Fon- 
tanal in  Barcelona,  ist  das  folgende  hauptsächlich  bei  Mäd- 
chen in  Gebrauch.  Sie  wählen  eine,  welche  die  Rolle  der 
Alten  übernimmt.  Man  lässt  sie  niederhocken,  nimmt  ihr 
den  Rock  oder  das  Kleid  in  Art  einer  Glocke  oder  eines 
Wittwengewandes  über  dem  Kopf  zusammen,  das  die  Spiel- 
gcnossinnen  mit  den  Händen  festhalten,  aufser  einer,  wel 
che  herumgeht  und  singt: 

La  vella,  vella  sorda 

quan  fila  may  se  torba. 

son  marit  es  mort! 

fiqueu-lo  al  clot. 

si  per  cas  no  hi  cap, 

fallen -li  lo  cap, 

si  par  cas  no  hi  entra 

talleu-li  lo  ventre. 

da  hon  son  aquestis  hombres 

que  pasan  per  a  qui? 

son  dotcc  comptes 

la  gent  de  mal  viatje. 

posa  la  plancha  al  foc, 

posa-li  ben  pisada 

echa  y  armilla 

brodada  de  seda  .  .  .  '^). 


1)  Du  Mersan  Chausons  et  roiules  cnfantiues.     Paris  184G  p.  20  ftcg. 

2)  Die  alte,  taube  Frau   —   Verwirrt   sicli    nie  beim    Spinnen.  - 


504 

Nach  und  nach  lässt  eins  der  Mädchen  nach  dem  andern 
die  Glocke  los.  Sie  gehen  dazu  über,  eine  Runde  zu  bil- 
den und  singen,  in  die  Hände  klatschend,  das  obige  Lied, 
bis  die  Alte  allein  bleibt. 

Von  den  mitgeteilten  Fassungen  unseres  Kinderspieles 
ist  vorerst  zu  bemerken,  dass  in  No.  8.  der  Passus  von 
„ik  will  di  6k  gäwen  twe  pär  scho"  bis  „ik  will 
di  6k  gäwen  de  gansse  weit,"  so  wie  in  No.  5.  die 
Worte  „das  Tor  das  ist  geschlossen,  der  Schlüs- 
sel ist  zebrochen"  eingeschoben  scheinen,  das  erstere 
aus  dem  S.  274.  275  aufgezeichneten  Chorreigen,  die  an- 
deren aus  dem  S.  328  besprochenen  Kinderreim,  was  um 
so  leichter  geschehen  konnte,  da  es  sich  hier  wesentlich 
um  dieselbe  Anschauunsc  wie  dort  handelt.  Eine  solche 
Einschiebung,  so  wahrscheinlich  sie  auf  den  ersten  Blick 
sein  möchte,  fand  jedoch  in  No.  9.  10.  11.  12.  13.  14., 
die  einige  Züge  mehr  als  die  übrigen  Fassungen  enthalten, 
nicht  statt.  Denn  die  Angabe  des  schwäbischen  Liedes 
No.  9.  „spinnt  so  zarte  Seide,  zart  zart  wie  ein  Haar,  hat 
gesponnen  sieben  Jahr,"  wird  durch  das  westpreufsische 
No.  14.  und  das  catalanische  No.  23.  als  wirklich  zum  Be- 
stände des  Textes  gehörig  bezeugt,  durch  No.  9.  aber  ist 
die  Fassung  No.  10.  und  durch  diese  sind  wieder  11.  12. 
und  13.  als  echt  gewährleistet.  Dass  die  zahlreichen  an- 
deren Recensionen  nichts  von  den  hier  genannten  Zügen 
wissen,  ist  kein  Gegenbeweis,  da  auch  die  Fassungen  8. 
10.  14.  15.  16.  23.  gemeinschaftlich,  wenngleich  in  unter 
sich  abweichenden  Formeln,  vom  Tode  der  Königstochter 
berichten,  ohne  dass  die  anderen  Spieltexte  davon  zu  sa- 
gen haben. 


Ihr  Mann  ist  tot!  —  Leg  ihn  in  die  Gi'ube.  —  Wenn  diese  ihn  etwa  nicht 
fasst,  —  Sclilage  ihm  den  Kopf  ab;    —   Wenn  er  da  etwa  nicht  hineingeht, 

—  Durchliaue  ihm  den  Bauch.  —  Von  wo  sind  diese  Leute,  —  Die  hier 
durchgehen?  —  Es  sind  zwölf  Grafen,  —  Leute  bösen  Weges.  —  Lege  das 
Schwert  (?)  ins  Feuer,   —  Leg  es  wol  gelegt,   —   Wirf  dahin  den  Waftenrock, 

—  Genäht  mit  Seide  ...  Vielleicht  stammt  dieses  Lied  aus  Castilien,  we- 
nigstens gehören  die  Worte  ,,aquestris  hombres,"  ,,per  a  qui,"  „echa"  dem 
castilianischen  Dialect  an. 


_  505 

Gehen  wir  nun  zu  dem  Inhalt  des  Spieles  über,  so 
sehen  wir  eine  Königstochter  mit  7  Kindern  spinnend  im 
Turme  eingeschlossen  sitzen.  Die  dänischen  Varianten  19. 
20.  21.  nennen  diesen  Turm  ein  Kloster,  und  dieselbe 
Auffassung  findet  in  No.  4  statt,  denn  wie  bereits  Pastor 
Schnitze  richtig  erkannt  hat '),  wird  in  den  Worten  „kling 
klang:  gloria"  der  klösterliche  Gesang  „gloria  in  excel- 
sis"  gemeint.  Da  aus  dem  Mittelalter  viele  Erzählungen 
darüber  umgehen,  wie  ein  Ritter  seine  gefangene  Geliebte 
aus  dem  Kloster  befreit,  war  es  sehr  natürlich  und  lag  es 
sehr  nahe,  die  eingeschlossene  Königstochter  als  eine  ge- 
zwungene Nonne  zu  betrachten.  Dass  diese  Auffassung 
aber  eine  späte  und  unberechtigte  ist,  sehen  wir  aus  dem 
einstimmigen  Zeugnis  der  andern  Versionen.  In  Schwaben 
und  Westphalen  heifst  unser  Spiel  „Prinzessin  erlö- 
sen." Die  Erlösung  ist  bekanntlich  ein  technischer  Aus- 
druck unserer  Mythologie.  Er  wird  von  der  Befreiung 
der  weifsen  Frau  gebraucht,  welche  nach  zahlreichen 
Sagen  im  Berge  oder  in  einer  in  den  Berg  versun- 
kenen Burg  verwünscht  sitzt  bei  ungeheuren  Schätzen. 
Alle  sieben  Jahre  öffnen  sich  Berg  oder  Burg  und  die 
Jungfrau  tritt  hervor  an  das  Tageslicht.  Wir  wissen  be- 
reits, dass  diese  weifse  Frau  die  unter  dem  Namen  Ilolda, 
Perahta,  Fria  u.  s.  w.  verehrte  Göttin,  die  alte  Wasser- 
frau ist,  dass  der  Turm  oder  das  Schloss  in  welchem 
sie  weilt,  die  Wolke  bedeutet,  welche  entweder  regenlos 
am  Himmel  hängt,  oder  von  den  Dämonen  des  Winters 
in  Bann  gehalten  wird  ^).  Wir  sahen  ferner  dass  für  diese 
Wolkenburg  gradezu  in  der  deutschen  Sage  der  Ausdruck 
Turm  (witte  törn,  grummeltörn)  gebraucht  wird.  Zu  Ilcr- 
meskeil  an  der  Mosel  sitzt  Frau  Ilolla  spinnend  im 
Berge  ^).  Am  Main  triift  der  krumme  Jacob  Frau  Hulli 
im  Walde,  wie  sie  das  Spinnrad  tritt  und  dazu  in  einem 


1)  In  den  llarudiscu,  Magilcburgor  Correspoiuk'iit    1856   No.  2C1  —  ü-1. 
2G6  — 69. 

2)  S.  oben  S.  186.     Zcitscliv.  1".  D.  Mvtli.  III,  377  fgg. 

3)  Zcitschr.  f.  D.  Myth.  I,   l'J4,   17. 


506 

fort  mit  dem  Kopfe  nickt ').  Wenn  sie  ausgeht,  trägt  sie 
immer  ihren  Spinnrocken  als  Gehstock  mit  sich-).  So 
sitzt  die  Göttin  nach  unserm  Kinderspiel  die  sieben  Win- 
termonate hindurch  (das  bedeuten  die  sieben  Jahre)  in 
der  winterlichen  Wolkenburg  No.  9.  14.  auf  gol- 
denem Stuhl.  Eine  niederländische  Sage  bewahrt  uns 
diese  mythische  Vorstellung  sehr  klar.  „De  oude  hoof," 
ein  Turm  in  Lieuwaarden  soll  auf  einem  Stückchen 
Land  oder  einem  Kohlblatt  auf  dem  Wasser  d  ah  er- 
geschwommen sein.  In  ihm  safs  eine  alte  Frau  und 
spann.  Als  die  Einwohner  den  Tnrm  antreiben  sahen, 
banden  sie  ihn  mit  einem  Drätchen  an  den  Platz  fest,  wo 
er  nun  steht  ^).  Der  schwimmende  Turm  ist  nichts  anderes 
als  eine  Localisierung  der  im  Himmelsmeer  treibenden 
Wolke. 

Bei  der  Göttin  befinden  sich  die  Seelen  „sieben  kleine 
Kinderlein"  No.  10.  oder  sieben  Mäuse  No.  13.  (vergl. 
oben  S.  79,  Anm.  6)  ■*).  Die  Zahl  sieben  ist  für  eine  un- 
bestimmte Menge  hier  eingetreten,  weil  sie  die  sieben 
Wintermouate  vom  Dämon  gefangen  gehalten  werden.  Dass 
die  hier  genannten  Kinder  wirklich  Seelen  sind,  ergiebt 
sich  nach  S.  309  —  314  aus  den  Fragen  „Was  möcht  sie 
gern?  ein  Gläsle  voller  süfsen  Wein  und  ein  Stängele  Pre- 
tzel  drein."  No.  10.  —  Was  witt  lieber  Wasser  oder  Wy? 
11.  Was  isst  sie  gern,  was  trinkt  sie  gern?  13,  wofür  12 
noch  das  richtigere  Was  essen  sie  gern?  was  trinken 
sie  (die  Kinder)  gern?  bewahrt  hat.  Der  Teil  unseres 
Spiels,  von  dem  hier  die  Rede  ist,  kommt  auch  für  sich 
als  Rinscelreihen  vor: 

«. 
Ringe  ränge  Rosenkranz 
Die  Frau  die  safs  im  Klingel 
Mit  den  sieben  Kinderlein 


1)  Herrlein,  Sagen  des  Spessarts  S.  180. 

2)  Herrlein  a.  a.  O.   181.   182. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  37. 

4)  Oder  ist  dieses  „maus"  vielleicht  ein  blofses  Eeimwort  zu  Kreis? 


507 

llätt  so  gern  ein  Gläschen  Wein, 
Auch  ein  wenig  Zückerchen  drein. 
Juchei,  Lina,  Juchei!^). 

.  '^' 
Ringe,  ringe,  Reihe, 

Sind  der  Kinder  dreie, 

Sitzen  auf  dem  Holderbusch 

Rufen  Alle:  musch,  musch,  musch! 

Setzt  euch  nieder. 

Es  sitzt  ne  Frau  im  Gartenhaus 

Mit  sieben  kleinen  Kinderlein. 

Was  essens  gern? 

Fischelein. 

Was  triuken's  gern? 

Roten  Wein. 

Setzt  euch  nieder!  '*). 
In  dies(3m  zweiten  Liede  sind  die  ersten  4  Zeilen,  welche 
gewöhnlich  allein  und  ohne  Fortsetzung  vorkommen  ^)  und 
überdies  gar  keinen  begrifflichen  Zusammenhang  mit  dem 
angeschobenen  Reim  verraten,  abzutrennen.  Was  nach  Ab- 
lösung derselben  und  des  Refrains  in  der  letzten  Zeile  von 
ß.  übrig  bleibt,  scheint  ein  Bruchstück  der  Recension  No. 
10.  oben  S.  496,  worin  die  Befreiung  der  Göttin  ausgelas- 
sen und  der  Leich  zu  einem  gewöhnlichen  Ringeltanz  um- 
gestaltet ist.  Aus  ß.  lernen  wir  nun,  dass  die  Frage  we- 
gen des  Essens  und  Trinkens  sich  auf  die  Kinder  bezieht, 
ich  glaube,  dass  dieselbe  nichts  anderes  ausdrücken  soll, 
als  dass  die  Gefährten .  der  Göttin  nach  menschlicher  Ge- 
burt verlangende  Seelen  sind  '•). 


1)  Wielil,  Kreis  Gummersbach,  Regierungsbezirk  Köln. 

2)  Gräter,  Bragur  III,  17^0,  245.  Rocholz,  Liederiiebel.  Esslingen 
1841,  8.  S.  4!)  aus  Jean  Pauls  Flegcljahrcn.  Wundcrhorn  III,  544.  Grimm, 
KIIM.  1819  II,  XV.  Simroek,  Kinderb.^  200,  827.  Erk ,  Volkslieder  Heft 
2G,   366.     Wielil,   Kr.   Gummersbach. 

3)  Z.  B.  Thöle  inid  Strakerjan  36;  Fiedler  69,  99;  Pommerellcu  mündl.; 
Tirol  d.  Zingerle;  Baaden  in  Nicdcrösterreich  d.  Wurtli;  Züreli  d.  Runge. 
Schwaben,  Meier,   Kinderr.   Ü7,   367.     Göttingen  d.  Bibliolliekar  Miildener. 

4)  Sollte  das   Iblgeudc    seholtischc  Kindersi>icl  (Chambers  iiopular   rhy- 


508 

In  No.  14.  15.  16.  wird  ausgeaialt,  dass  die  Göttin 
gestorben  ist,  aber  bei  Oeffnung  des  Turmes  wieder  auf- 
lebt. In  No.  10.  ist  dieser  Zug  in  eine  blofse  Verwun- 
dung abgeschwächt  und  in  Folge  dessen  zugleich  die  Göt- 
tin zum  Helden  gemacht  (blutger  ma  reg  mi  nit  a).  Wir 
verdanken  Wilhelm  Müllers  vielfachen  Nachweisungen  die 
Kenntnis  davon,  dass  die  milden  Götter  und  Göttinnen, 
welche  des  Sommers  Ilerlichkeit  spendeten,  im  Winter  in 
das  Totenreich  verzaubert  gedacht  wurden,  dass  man  so- 
gar annahm,  sie  seien  gestorben  und  sie  mit  den  symboli- 
schen Attributen  der  Toten  ausstattete  ').  Zu  diesen  At- 
tributen gehört  auch  die  Taubheit  s.  oben  S.  304,  wel- 
che uns  in  unserm  Spiel  No.  23.  entgegentritt.  Eine  sehr 
merkwürdige  Bestätigung  unserer  Deutung  bietet  eine 
schwäbische  Form  des  Spiels.  In  Bühlertann  heifst  es 
„der  blutige  Hund."  Sind  alle  Hände  abgeschlagen, 
so  wird  der  Rock  der  Eingetürmten  oben  zusammengebim- 
den  und  man  sagt  ihr  „sie  solle  sich  waschen  und 
kämmen."  Darnach  wird  der  Rock  losgebunden  und 
während  alle  vor  dem  blutigen  Hunde '^)  fliehen,  sucht 


mes  of  Scotland  65)  mit  uusem  Liedern  zusammenhängen?     Ein  Kind  steht 
im  Kreise,  die  andern  tanzen  herum  und  singen: 

Here  is  a  poor  widow  from  Babylon, 

with  six  poor  children  all  alone. 

one  can  bake,  on  can  brew 

one  can  shape  and  one  can  sew, 

one  can  sit  at  the  fire  an  spin 

one  can  bake  a  cake  for  the  king. 

Come  choose  you  east,  come  choose  you  west  (vgl.  o.  S.  417) 

come  choose  the  one  that  you  love  best. 
Dann  wählt  das  Kind  in  der  Mitte  eins  aus  dem  Kreise  und  singt: 

I  choose  the  fairest,  that  I  do  see, 

(Janie  Hamilton)  ye'll  come  to  me.  u.  s.  w. 
Das  Spiel  läuft  auf  eine  blofse  Liebesgeschichte   hinaus.      Hat   es  nicht  aber 
etwa  ältere  Grundlage? 

1)  W.  Müller,  Nibelungensage. 

2)  Der  Skalde  Hiälti  verglich  spottend  Freyja  mit  einem  Hunde   (Fom- 
mannasög.  II,  207: 

Vil  ek  eigi  gog  geyja 
grey  })ikkir  mer  Freyja, 
a;  muu  auuat  tveggja 
Obiuu  grey  eöa  Frej'ja. 
Hund  war   freilich    bei   den   Nordgermanen   wie  bei   den  Helleuen  ein   böses 


509 

sie  eine  andere  zu  fangen').  Das  Ungekämmtsein, 
Schmutz  und  Entstellung  am  Körper  ist  ein  symbolischer 
Ausdruck,  der  die  Toten  bezeichnet^).  Der  Zug,  dass 
die  Eingemauerte  gestorben  ist,  kehrt  auch  noch  in  ei- 
ner bisher  nicht  berührten  schwäbischen  Variante  ^)  wieder, 
welche  die  Eigentümlichkeit  hat,  dass  sie  dem  im  Turm 
eingeschlossenen  Mädchen,  das  von  „seinen  Kindern" 
umgeben  ist,  einen  ofienbar  alten  Namen  giebt,  auffallender- 
weise aber  den  Mannsnamen  „Graf  Rucker."  Rucker 
ist  die  heutige  Form  des  ahd.  Hruodger,  dem  ein  Fem. 
Hruodgera  zur  Seite  gestanden  haben  wird'*).  Als  die- 
ser letztere  Name  später  zu  Ruckere  wurde,  trat  eine  nahe- 
liegende Verwechselung  mit  dem  Masc.  Ruthere-Ruckere  ^) 
ein  und  er  wurde  zu  Rucker;  Erinnerungen  der  Helden- 
sage an  den  Markgrafen  Rüdiger  mögen  die  Umgestaltung 
in  einen  Mann  und  Grafen  befördert  haben.  Hruod-gera 
stellt  sich  nun  zu  Hruod-peraht  =  Wodan,  wie  Berthold, 
Hildebertha,  Friggaholda  zu  Bertha  und  Holda  und  ist 
der  Hruodsa  neben  Hruodso  oben  S.  285  fgg.  vollständig 
analog.  Der  Ausdruck:  „de  dot  de  kumt"  in  No.  8  be- 
zeichnet Holda-Hruodgera  entweder  auch  als  die  im  Win- 
ter gestorbene  sommerliche  Göttin,  oder  er  weist  dar- 
auf hin,  dass  sie  die  Seelen  der  Sterbenden  wieder  zu  sich 
heranzieht,  selbst  als  Todesgottheit  waltet,  siehe  oben  S. 
263  fgg. 

Durch  einen  Helden,   ursprünglich   einen  Gott  —  sei 
es    nun    Thunar    oder    bei   Sachsen    vielleicht   Freä  -  Fro, 


Schimpfwort,  aber  sollte  nicht  vielleicht  dennoch  eine  alte  Mythe  vorhanden 
gewesen  sein,  welche  Oöinn  dem  Stunngott,  Frcyja  der  an  der  Spitze  des  wil- 
den Heers  einherzielienden  Göttin  die  Gestalt  des  Hundes,  des  Windsymbols 
s.  oben  S.  217  beilegte?  Diese  Gestalt  könnte  auch  der  deutschen  Göttin 
zugestanden  haben,  deren  Begleiter  als  Hunde  dalierfahren  s.  oben  S.  302. 

1)  Meier,  Kinderreime  S.  105. 

2)  S.  Schambach   und   Müller,    Niedersächs.    Sagen    399.    400.      Vcrgl. 
396  —  99.     Simrock,  der  gute  Gcrliard  und   die  dankbaren  Toten  S.  157  fgg. 

3)  Meier  a.  a.  0.  S.  138.   139.  No.  428. 

4)  Vergl.   die  Namen:   Adalgaria,  Autgaria,  Hartgaria,   Ilildigcra,  Tcut- 
garia,  Waltcaria,  Wandelgaria  und  den  einfachen  Namen  Gera. 

6)  W.  Grimm,  Heldensage  171,  313. 


510 

bei  einigen  Stämmen  vielleicht  selbst  Wodan  —  wird  die 
gefangene  Göttin  befreit,  die  Winterburg  des  Riesen  zer- 
brochen. Der  rote  Fuhrmann  in  No.  6.  könnte  Thunar 
den  Fahrenden,  Okul^örr  s.  oben  S.  121  bezeichnen.  Das 
catalanische  Spiel  hat  hierüber  einige  alte  Züge  bewahrt, 
welche  den  andern  Varianten  verloren  sind.  Offenbar  ist 
das  Lied  unvollständig.  Es  fehlen  nämlich  die  Verse,  wel- 
che vom  Umsturz  der  Mauer,  vom  Abbrechen  der 
Steine  handeln,  so  dass  diese  Handlung,  welche  über- 
einstimmend mit  den  deutschen  Recensionen  vor  sich  geht, 
ohne  begleitenden  Text  bleibt.  Offenbar  ist  oder  war  die- 
ser Zug  auch  im  Text  ausgedrückt.  Dafür  lernen  wir, 
dass  der  Gemahl  der  tauben  alten  Frau  (der  Winterriese, 
der  die  Göttin  zu  seinem  Weibe,  zur  Däsapatni  gemacht 
hat)  nun,  da  der  Befreier  in  den  Turm  eindringt,  tot  hin- 
sinkt *).  Sein  Leichnam  soll  in  eine  Grube  geworfen  wer- 
den und,  wenn  er  da  (wegen  seiner  Riesengestalt)  nicht 
hineingeht,  zuerst  um  den  Kopf  gekürzt,  dann  mitten  durch 
zerstückt  werden.  Gegen  diese  Auffassung  des  Toten  als 
des  vom  Gotte  gefällten  Winterriesen  liefert  der  barcelo- 
nische  Frühlingsgebrauch  keinen  Gegenbeweis,  dem  zufolge 
zu  Mitfasteu  der  Winter  unter  dem  Bilde  eines  alten 
Weibes  entzwei  gesägt  wird ^).  Denn  dieser  Gebrauch 
stammt,  wie  Grimm  bemerkt,  wahrscheinlich  aus  romani- 
scher Tradition,  während  die  Vorstellungen  in  uuserm  Liede 
germanischeu  Ursprungs  sind,  vielmehr  bietet  das  Entzwei- 
sägen der  Alten,  das  auch  slavischen  Stämmen  bekannt 
ist,   eine  vollgiltige  Analogie   zur  Zerstückelung  des  Win- 


1)  Dieser  Zug  ist  in  einem  deutschen  Spiel  selbständig  ausgebildet. 
^Yoeste,  Yolksüberlief.  S.  10,  3  aus  Iserlohn:  Ein  Mädchen  sitzt  und  spinnt. 
Frau,  Frau  bat  spinn  i  so  flitich?  ,,Iek  spinn  minem  mann  en  güll- 
nen  rock.''  Bä  es  u'e  mann?  „Imme  kükenstall."  Bat  daiit  hai  do?  ,,Hai 
föert  de  küken."  Söffi  der  man  hengon^''  ,.Ne,  ne!"  Ah  barümme  nit? 
,,No  dann  gätt  men!  it  mäut  se  awwer  nicht  jaggeli!"  Seh!  Seh!  —  Frau, 
Frau  se  lütt.  ,,Bat  bedütt't?"  Umann  es  dot.  ,,Bai  hiätt  dat  don?" 
lek!  lek!  lek!  —  Nun  springt  das  Spinnmütterchen  auf  und  verfolgt  die 
Kinder.     Vergl.  Firm.  I,  397  Meurs. 

2)  Myth.*   742. 


terriesen!  *)  Die  zwölf  Grafen,  welche  nach  dem  spani- 
schen Liede  die  Befreiung  ausüben,  scheinen  durch  die 
12  Paladine  der  Komantik  veranlasst;  es  war  natürlich, 
den  Retter  und  sein  Gefolge  als  die  Krone  der  Ritterschaft 
aufzufassen  '^).  Die  letzten  Zeilen  zeigen  grofse  Dunkelheit. 
Bedeuten  sie,  wenn  sie  überhaupt  kein  müfsiges  Anschieb- 
sei sind,  der  Kampf  sei  nun  vorüber,  der  Waflfenrock  könne 
ausgezogen  werden?  ^). 

Dass  unser  Lied  wirklich  mythische  Grundlage  hat, 
erhärtet  sich  durch  den  durchaus  abweichenden  Ton  und 
den  Mangel  aller  altertümlichen  Züge  in  ähnlichen  Spie- 
leu, welche  eine  blofse  menschliche  Kampfscene  aus  der 
Zeit  des  Mittelalters  zur  Darstellung  bringen.  Ich  hebe 
in  der  Anmerkung  einige  romanische  Beispiele  aus  *). 


1)  Vergl.  oben  S.  77.  89.  163.  202  den  Zug,  dass  der  Dämon  mit  zer- 
brochener Schulter,   grade  durch  den  Eücken  gehauen  zusammensinkt. 

2)  Nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  ist,  ob  der  Ausdruck  ,,la  gent 
de  mal  viatje"  bedeutet:  ,, Leute  die  einen  schlechten  Weg  gehabt  liaben" 
oder  ,, Leute  die  auf  bösem  Wege  wandeln"  (dei-en  Weg  durch  Verwüstung 
bezeichnet  ist?  furchtbare  Helden V). 

3)  Plancha  bedeutet  im  heutigen  Catalanischen  auch  das  Bügeleisen  (fer 
a  repasser).  Sollte  es  der  Sinn  etwa  dieser  sein:  „Lege  das  Bügeleisen  ins 
Feuer,  glätte  das  (im  Kampf)  zersauste  'Wams? 

4)  Du  Mersan  rondes  enfantines  S.  37:  ,,la  tour,  prends  gardo." 
Deux  jeunes  filles  figurcnt  la  tour;  elles  se  tiennent  par  les  mains.  Le  duc 
est  assis,  son  fils  est  pres  de  lui;  il  est  cntoure  de  ses  gardes.  Le  colonel 
et  le  capitaine  promenent  devant  la  tour,  en  chantant:  „la  tour  prends  gardc 
de  te  laisser  abattro."  La  tour:  ,,Nous  n'avons  garde,  nous  n'avons  garde,  do 
nou3  laisser  abattre."  Le  colonel:  ,,J'irai  rae  plaindre  an  duque  de  Bour- 
bon."  La  tour:  Va  t'en  te  plaindre  au  duque  de  Bourbon.  Le  colonel  et 
le  capitaine:  „Mon  duc,  mon  prince,  je  viens  me  plaindre  h  vous."  Le 
duc;  Mon  capitaine,  mon  colonel,  que  nie  demandez  vous?  ,,Un  de  vos  gar- 
des pour  abattre  la  tour."  ,,Allez  mon  garde  pour  abattre  la  tour."  Le 
garde  se  Joint  aux  deux  officicrs,  qu'il  suit  e  l'on  raarche  aiitour  de  la  tour 
cn  chantant:  La  tour  prends  garde  de  te  laisser  abattre.  La  tour:  Nous 
n'avons  garde  de  nous  laisser  abattre.  —  Le  meme  jeu  recommencc  cn  de- 
niandant  deux,  trois,  quatre,  six  gardes  selon  le  uombre  de  joueurs.  On  con- 
tinue  la  marche  et  (juand  le  duc  n'a  plus  de  gardes  h,  donner  on  revient  ii 
lui.  ,,Votre  eher  fisse  pour  abattre  la  tour."  ,,Je  vais  moi-mcme  pour  abat- 
tre la  tour."  Le  duc  se  met  h.  la  tcte  de  ses  gardes,  il  cherchc  h,  pe'netror 
dans  la  tour,  en  forfant  les  deux  jeinics  filles  h  separer  leurs  bras;  chacunc 
cssayc  l'une  aprös  l'autre;  et  cclle  (jui  parvicnt  ii  abattre  la  tour  est  procla- 
mde  Duc  h,  la  place  de  l'autre.  —  Eher,  doch  kaum  wahrschcinlidi  dürfte 
dem   folgenden   Spiel   eine   mythische  Erinnerung,    und   zwar   dieselbe  wie  in 


512 

Auf  die  während  der  7  Wintermouate  in  der  Wolke 
gefangen  gehaltene  Göttin,  welche  die  voranstehenden  Lie- 
der nachweisen,  bezieht  sich  auch  ein  anderer  nicht  so  voll- 
ständig erhaltener  Chorreigen.  Am  Johannistag  werden 
im  oberharzischen  Bergdorfe  Lerbach  von  den  Kindern 
kleine  Tannenbäume  ausgeschmückt.  Diese  drehen  sie  von 
der  Linken  zur  Rechten  (wie  die  Sonne  geht)  und  singen 
dazu:  „o  Tannenbaum,  o  Tannenbaum,  du  bist  ein  edles 
Reis"  oder  auch  „die  Jungfer  hat  sich  rumgedreht. " 
In  den  Harzer  Bergstädten,  wo  der  Johannistag 
noch  kirchlich  begangen  wird,  schmückt  man  grofse  Tan- 
nenbäume mit  bemalten  Eiern  und  Blumen  und  führt  um 
sie  einen  Tanz  auf,  dessen  begleitender  Text  so  gesun- 
gen wird: 

Die  Jungfer  hat  sich  umgedreht 

So  rar 

Wie  ein  Haar, 

So  klein 

Hühnerlein; 

Dreifsig,  vierzig,  fünfzig  Jahr 

Die  Jungfer  wandt'  sich  um. 
Nur  junge  Mädchen  sind  Teilnehmerinnen  des  Tanzes,  wel- 
che oft  auch  beim  Spielen  die  Namen  der  einzelnen  Spie- 
lerinnen nennen: 


„la  Marguerite"  s.  oben  S.  502  zu  Grunde  liegen.  Du  Mersan  a.  a.  0.  S.  11 
,,L e  beau  cbäteau."  Les  jeunes  fiUcs  forment  deux  rondes  vis-h-vis  Tun 
de  l'autre  et  chantent  en  dansant.  Ou  cede  une  jeune  personne  qui  va  re- 
joindre  le  premier  rond  et  le  jeu  continue  jusqu'ä  ce,  qu'il  ne  reste  plus  qu'unc 
seule  personne  du  deuxieme  rond.  Quand  la  derniere  jeune  personne  est  re- 
ete'e  seule,  le  graud  rond  l'entoure  et  le  jeu  finit.  1er  rond:  Ab  mon  beau 
cbäteau  nia  tant'  tire  lire,  lire!  Ab  mon  beau  cbäteau  ma  tant'  tire  lire,  lo! 
—  2me  rond:  Le  notrc  est  plus  beau,  ma  tant'  etc.  ,,Nous  le  detruirons 
ma  tant'  etc."  La  quelle  prendrezvous?  ma  tant'  etc.  ,, Celle  que  voici!  ma 
tant'  etc.  (montrant  une  jeune  fille)."  Que  lui  donnrez-vous?  ma  tant'  etc. 
,,De  jolis  bijoux."  Nous  en  voulons  bien  ma  tant'  etc.  —  Dasselbe  Spiel 
wird  in  Piemont  nach  der  Mitteilung  des  Ilerni  C.  Nigi'a  mit  folgenden  'Wor- 
ten begleitet:  Me  castel  l'e  bei.  Lantantirolirolena.  Lantantirolirola!  :,:  ,,rme 
Vb  'ncor  pi  bei."  Noi  lo  piglieruma.  „Noi  lo  guamaruma."  Noi  lo  bruse- 
ruma!  ,,Noi  lo  difrenduma.  Cosa  vastu  cercand  autoru  al  me  castel?"  Vado 
cercand,  vado  cercand  madama  pülisera  (ich  suche,  ich  suche  die  Frau  Floh) 
,,la  troverai  pas,  la  troverai  pa,  l'ö  morta  sota  tera."  La  troverb  ben, 
la  troverö  ben  Yh  custa  la  pi  bela. 


513    _ 

(Emilie)  hat  sich  umgedreht, 

Der  Liebste  hat  den  Krauz  bescheert. 

Wir  treten  auf  die  Kette; 

Kette  klingelt  hell  und  klar; 

Es  sind  gewesen  sieben  Jahr, 

Sieben  Jahr  sind  'rum 

Die  (Jette)  dreht  sich  'rum  ^). 
Der  Text  dieses  Tanzes  ist  sehr  verdorben,  in  reinerer  und 
besserer  Gestalt  lernen  wir  ihn  in  weiter  Verbreitung  durch 
alle  deutschen  Gaue  kennen,  aber  abgelöst  von  dem  Feste, 
zu  dessen  Verherlichung  er  ursprünglich  gehörte.  Wir  he- 
ben aus  der  reichen  Fülle  des  vorliegenden  Materials  nur 
die  wichtigsten  Varianten  aus: 

1. 

Ringel  ringel  Rosenkranz, 
Fuchsschwanz, 
Safs  auf  einer  Weide, 
Spann  so   klare  Seide, 
So  klar  wie  ein  Haar; 
Spann  wol  über  sieben  Jahr. 
Sieben  Jahr  gesponnen. 
Sieben  Jahr  sind  um  und  um. 
Alte  Hex'  dreh'  dich  um  ^). 


Spann  an,  spann  an  gröne  side, 

gröne  side  was  so  rar, 

spann  an  öwer  sewen  jär. 

sewen  jär  un  de  warn  um, 

da  kerd  sik  mamsell  Drüksken  um. 

Drüksken  hat  sik  umekert, 

korante,  matante,  matante!  ^) 

1)  Pröhle,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  81. 

2)  Leipzig  d.  Dr.  Hildebrand. 

3)  Münsterschc  Geschichten  und  Sagen  265,  8. 

33 


514 

3. 
Kres  kres  Kessel 
Morgen  wird  es  besser, 
Morgen  kommt  die  schöne  Braut, 
Die  so  schöne  spinnen  kann, 
Sitzt  auf  de  Weide, 
Spinnt  en  Fähnchen  Seide. 
Grüne  Seide  hats'  gesponnen, 
Jumfer  (Lieschen)  dreh'  dich  rum 
Kikeriki!  '). 

4. 
Rohe  rohe  Seide 
Spinnt  ein  Fädchen  Seide, 
So  klar 
Wie  ein  Haar, 
Da  vergingen  sieben  Jahr. 
Sieben  Jahr  sind  um  und  um, 
Jungfer  N.  N.  dreht  sich  um. 
Weil  sie  sich  hat  umgedreht, 
Hat  ihr  Liebster  ihr  'neu  Kranz  bescheert, 
Von  lauter  grünen  Blättern. 
Ei  wie  wird  der  Bräutgam  lachen, 
Wenn  Fräulein  N.  N.  wird  Hochzeit  machen  ^). 

5. 
Ringel  ringel  Rosenkranz, 
Fuchsschwanz. 
Wir  treten  auf  die  Kette. 
Die  Kett'  ist  klar 
Wie  ein  Haar, 
Sieben  Jahr  sind  umme. 
(Häuschen,  Gretchen)  dreht  sich  rumme, 
(Häuschen)  hat  sich  rumgedreht. 
Der  Braut  ist  nun  ein  Kranz  beschert*^). 


1)  Fiedler,  KindeiT.  aus  Anhalt-Dessau  S.  66- 

2)  Jüterbogk. 

3)  Fiedler  a.  a.  0.  63,   90.     In  Reppichau  lautet  der  Reim:  Ringel  rin 


515 

6. 
Wir  gehen  um  die  Kette, 
Spiefsglasglätte. 
Die  Kette  soll  sich  schlingen. 
Welches  ist  die  schönste  Jungfer 
Unter  diesem  Ringelein? 
Jungfer  N.  N.  kehr  sich  um, 
Kehr  sich  dreimal  um  und  um, 
Bis  die  Juno-frau  wiederkommt 
Aus  der  Erden,  aus  der  Erden. 
Morgen  wird  es  besser  werden  '). 

7. 
Ek  hebb  en  spölken  gesponnen, 
ek  hebb  en  häspelschen  gewonnen, 
ek  sät  all  op  enem  fasten  drät, 
wo  ek  söwen  jär  op  sat, 
de  söwen  jär,  de  sind  all  öm, 
do  dreit  sik  N.  N.  öm. 
N.  N.  hätt  sik  ummedreit, 
dat  hätt  ärr  vader  on  möder  lert. 
von  Isaak,  von  Isaak, 
von  lüter  klären  Isaak  ^). 

8. 

(Die  Mitspielenden  gehen  im  Kreise  umher  die  Hände  aufhebend  und  drehen 
sich  mehrere  Male  um.) 

Was  wollen  wir  denn  machen, 
Dass  wir  alle  lachen? 

Kommen    wir   alle    so   so    (die  Hand  herauf.) 


gel  Rosenkranz ,  Fuchsschwanz.  Wir  treten  auf  die  Kette ,  dtiss  die  Kette 
klingen  soll,  klar  klar  wie  ein  Haar;  hat  golebet  sieben  Jahr.  Sieben  Jahr 
sind  umme.  N.  N.  dreht  sich  imime,  N.  N.  hat  sich  umgedreht;  ihr  Liebster 
hat  se  'n  Kranz  bescheert  von  de  grüne  Weide.  In  Zehmitz:  Wir  treten 
auf  de  Kette,  dass  de  Kette  klang.  Da  kam  ue  schöne  Dame,  die  so 
schöne  sang.  Was  wird  Musjöli  (Jungfer)  N.  N.  sagen,  wer  er  (sie)  wollte 
gebeten  sein?     Drehen  Sie  sich  um,  sein  Sie  nicht  so  sehre  dumm. 

1)  Meier,  Kinderr.  aus  Schwaben  106,  379. 

2)  Meurs.     Häspelchen  soll  ein  Weisbrod  bedeuten. 

33* 


516 

Sieben  Jahr  gesponnen, 

Sieben  Jahr  gewonnen, 

Sieben  Jahr  die  "Wolken  herum, 

Dann  dreht  sich  dieser  und  der  herum  '). 

9. 

Feder  blüht  auf  meinem  Hut, 

Hält  ich  gern,  das  war  mir  gut. 

Jungfer  die  soll  tanzen 

In  ihrem  grünen  Kranze, 

Jungfer  die  soll  stille  stehn. 

Bis  dass  der  Kreis  herum  soll  gehu. 

Dreht  auf  den  Schlüssel, 

Bis  dass  es  klingt. 

Welches  ist  die  feinste  Magd, 

Die  so  singt. 

Jungfer  N.  N.  erst  genannt, 

Hat  den  Schlüssel  in  der  Hand. 

Spring  einmal  um  und  drum  ^). 

10. 

Spinde  spinde  a  noegle  garn 

saa  fiint,  saa  fiint  som  sejlgarn. 

for  (Anna)  ville  vi  bukke 

for  (Anna)  ville  vi  neje 

for  (Anna)  ville  vi  svinge. 
Dieses  dänische  Spiel  wird  so  ausgeführt.  Die  Mitspieler 
stellen  sich  in  einen  Kreis  und  singen  umhertanzend  die 
obigen  Verse.  Wessen  Name  darin  genannt  wird,  muss 
sich  so  herumdrehen,  dass  er  dem  bisherigen  Nachbar  zur 
Rechten  die  linke  und  dem  zur  Linken  die  rechte  Hand 
giebt,  somit  dem  Kreise  den  Rücken  zukehrt.  Wenn  sich 
alle  umgedreht  haben,  wird  das  Lied  noch  einmal  gesun- 
gen mit  der  Veränderung,  dass  statt  des  Namens  eines 
einzelnen  Mitspielers  die  Worte  „for  os  alle"  (für  uns  alle) 


1)  Elberfeld  und  Barmen  aufgez.   1843  d.  Iloffmann  v.  Fallersleben. 

2)  Salchendorf  bei   Siegen  d.   Lehrer  Siebel. 


517 

eintreten,  und  alle  Kinder  auf  einmal  sich  umdrehen,  so 
dass  sie  wie  zu  Anfang  des  Spieles  stehen  *), 

Dieselbe  Spielweise  hat  dnrchgehends  in  den  deutschen 
Reigen  statt,  die  wir  vorhin  anführten,  nur  dass  der  Kreis, 
wie  er  sich  allmählich  von  innen  nach  aufsen  kehrt,  auch 
erst  allmählich  in  die  frühere  Stellung  zurückkehrt. 

Die  Harzer  Sitte  beweist  uns,  dass  wir  es  hier  mit 
einem  auf  den  Sommer  oder  den  Frühling:  bezüglichen 
Liede  zu  tun  haben.  Ursprünglich  wurde  unser  Chorrei- 
gen gewiss  beim  Frühlingsanfang  gesungen.  Wie  aber 
u.  a.  der  Eintritt  Thunars  in  die  nur  alle  7  Jahre  geöff- 
nete Schatzhöle,  den  Wolkenberg  s.  oben  S.  153,  in  man- 
chen Sagen  aus  einem  Grunde,  den  wir  gleich  wahrneh- 
men werden,  auf  den  Mittsommer  (den  Johannistag)  ver- 
legt wird  -),  so  unser  Lied.  Sehe  ich  recht,  so  stellt  das- 
selbe denjenigen  Vorgang  dar,  den  wir  S.  419  fgg.  zu 
schildern  suchten.  Während  der  7  Wintermonate 
verweilen  die  Elbe  oder  Seelen  im  himmlischen  Lichtreich, 
gleich  Holda  spinnend.  Sie  führen  dann  gleichsam  den 
nach  innen  geschlossenen  Reigen.  Sind  diese  7  Monate 
herum,  so  treten  sie  in  die  Aufsenwelt  hervor,  um  das  Blät- 
tergrün zu  wirken  ^).  Nur  anders  ausgedrückt  ist  diese  Vor- 
stellung, wenn  —  wie  es  nach  unserm  Liede  scheint  — 
der  Frühlingsgott  (Thunar?)  sie  bräutlich  empföngt  und  ih- 
nen den  grünen  Kranz  aufs  Haupt  drückt. 

Zum  vollen  Beweise  des  eben  Gesagten  dient  eine 
noch  nicht  angeführte  Aargauer  Variante  unseres  Reigen- 
tanzes. Zur  Zeit  des  Frühlings  schlingen  die  Kinder  die 
Hohlstengel  des  Löwenzahns  (taraxacum  pratense)  zu  einer 
ebenso  langen  Kette  zusammen,  als  der  Kreis  zum  Ringel- 
reihen grofs  werden  soll.  Diese  Kette  muss  so  im  Spiel- 
kreise gehalten  werden,  dass  sie  während  des  gleichzeitigen 

1)  Falster  d.  Fräulein  E.  Boekmann.  Spiniii?,  spinne  ein  Knäuel  Garn, 
so  fein,  so  fein  wie  Segelgarn.  Vor  (Anna)  wolln  wir  uns  verbeugen,  vor 
(Anna)  wolln  wir  uns  verneigen,  vor  (Anna)  wolln  wir  uns  schwingen. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,   384. 

3)  Diese  Auffassung  erklärt  auch,  weshalb  man  im  Harz  die  Tannenbaum' 
dien  umdreht  und  dabei  sagt:  „die  Jungfer  hat  sich  umgedreht"  s.  o.  S.  512. 


518 

Kindertanzes   einen    inneren  Ring  bildet.      Der   Text  zum 
Ringtauz  lautet: 

Trettet  zue,  trettet  zue, 

sparet  nit  die  nüe  schueh! 

trettet  üf  das  chettemli, 

dass  es  sol  erchlingle. 

wer  die  schönste  jumfre  sig 

i  dem  stanze  ringle. 

Ein  tag  rise, 

zweu  tag  ise  (Var.  spiefse,  schlifse), 

drei  tag  rumpedipum, 

(Ida,  Ida)  kehr  dich  um! 

(Ida)  hat  sich  ummeg'kehrt 

hat  der  chatz  den  schwänz  üszerrt. 

Siebe  jör  g'spumie 

acht  jör  sunne 

nünmol  rumpedipum, 

eher  dich  no-ne-mölen  um, 

bis  (der  Fritzli)  zue  der  chumt. 
Sobald  eins  der  Mitspielenden  mit  Namen  aufgerufen 
wird,  tritt  es  in  die  Mitte  des  Kreises  und  tanzt  da  Solo, 
bis  ein  zweites  und  dann  ein  drittes  auf  gleiche  Weise  ge- 
nannt ist,  die  dann  zusammen  im  Kreise  einen  inneren 
Reihn  bilden.  Schliefslich  gehen  sie  durch  die  gehobenen 
Arme  des  äufseren  Kreises  hindurch,  ziehen  diesen  nach 
sich  und  stellen  dadurch  die  ursprüngliche  eine  Kette  wie- 
der her  ^).  Nächst  dem  tatsächhchen  Erweis,  dass  das 
Lied  wirklich  als  Chorreigen  beim  Frühlingsempfaug  diente, 
treten  uns  noch  mehrere  Bezüge  auf  den  Frühlingsanfang 
deutlich  entgegen.  Nach  Wintereis,  Schnee  und  Ha- 
gelschlossen  (rise,  ise  und  schlifse) ,  nach  dem  sieben- 
monatlicheu  Spinnen  der  Göttin  und  ihrer  Gefährten,  dreht 
der  Kreis  sich  um  und  es  folgt  längere  Zeit  Sonne  (8 
Jahr   Sonne).      Der   Löwenzahn,    aus   welchem    die    beim 


1)  Kocholz,  Alemann.  Kinderlied  u.  Kinderspiel  I,  174,  288.  II,  467,  94. 


519 

Aargauer  Tanze  gebrauchte  Kette  geflochten  ist,  heifst  wie 
solsequium ,  heliotropium  aargauisch  Sunnewirbel  d.  i.  Son- 
nenwende, und  hat  somit  in  unserm  Chorreigen  seinen 
richtigen  symbolischen  Platz. 

Neben  der  bisher  erläuterten  Vorstellung,  dass  das 
Lichtreich  (Engelland}  durch  die  Winterdämonen  ver- 
schlossen sei,  läuft  aber  im  Volksglauben  noch  eine  andere 
her,  welche  ich  hier  nur  andeuten,  nicht  ausführlich  erör- 
tern kann. 

Gewöhnlich  ist  das  Lichtreich  verborgen,  zumal 
keinem  menschlichen  Auge  der  Blick  in  dasselbe  gestattet, 
aber  zu  gewissen  Zeiten  öffnet  es  sich  und  lässt  seine  Her- 
lichkeit  schauen,  die  Menschen  daran  Teil  nehmen.  Solch 
eine  Zeit  heifst  Wunschstunde.  Saemund  der  Weise 
(Saemundur  hinn  fröSi)  sagte,  dass  eine  Wunschstunde 
(öskastund)  an  jedem  Tage  wäre,  aber  nie  länger  als 
einen  Augenblick  (augnabragö)  und  könnten  die  Menschen 
sich  dann  wünschen,  was  sie  wollten.  Andere  sagen,  die 
Wunschstunde  kehre  nur  jeden  siebenten  Tag  wieder, 
nämlich  am  Laugadagr  (Sonnabend).  Einst  safs  Saemund 
in  seiner  Badstube  bei  seinen  Dienstmägden.  Da  saffte 
er:  „Wolauf  Mädchen  jetzt  ist  Wunschstunde,  wünscht 
euch,  was  ihr  wollt."     Da  rief  die  eine: 

Eina  vild'  jeg  eiga  mjer 

oskina  svo  goöa, 

aS  jeg  setti  synina  sjö 

meö  Sffimund'  hinum  fröSa!  ^) 
„Og  daeir,  ])egar  ]iü  f^eöir  hinn  siöasta"^),  rief  Saemund 
über  diesen  Wunsch  erzürnt.  So  geschah  es.  Saemund 
ehelichte  später  die  Magd  und  zeugte  mit  ihr  sieben  Söhne, 
beim  siebenten  starb  sie  in  den  Geburtswehen  ^).  —  Nach 
den  meisten  Sagen  tritt  eine  solche  Wunschstunde  jedoch 
nur  selten  ein,  nämlich  am  Sommer-  und  Wintersol- 


1)  Eines  wollt  ich  haben   zu  gutem  Wunsche,    dass   ich    hätte   sieben 
Söhn'  mit  Saemund  dem  Weisen. 

2)  Und  stirb,  wenn  du  den  siebenten  gebierst. 

3)  Islensk  Ecfintyri  S.  44. 


520      • 

stiz  und  beim  Frühlings-  und  Herbstanfang.  Wie 
wir  oben  S.  468  sahen,  ist  Frau  Holdas  Berg  nur  viermal 
im  Jahre  geöffnet^  nämlich  alle  Fronfasten.  —  Schwäbischer 
Volksglaube  sagt,  wenn  man  sich  in  der  Neujahrsnacht, 
die  das  Wintersolstitz  vertritt,  auf  eine  Kreuzstrafse  stelle, 
so  sehe  man  den  Himmel  offen  und  erfahre,  was  im 
kommenden  Jahre  sich  zutragen  werde  '). 

Derselbe  Gedanke  ist  darin  ausgedrückt,  dass  am 
Christtag  (oder  Sylvester),  am  Johannistag,  zu  Michaelis 
und  am  ersten  Mai  (oder  im  März)  die  Schatzhölen, 
die  BeriTwohnungen  der  weifsen  Frauen  offen 
stehen,  die  versunkenen  Städte  aus  dem  Wasser  (dem 
Himmelsmeer)  emporsteigen  u.  s.  w. 

Die  üebereinstimmung  der  Gebräuche  am  Frühlings- 
und Herbstanfang,  sowie  bei  der  Sommersonnenwende  zeigt 
uns,  dass  im  Wesentlichen  dieselben  Anschauungen  an 
diese  Tage  sich  knüpften,  wie  an  das  Mittwinterfest.  Da 
an  diesem  jedoch  die  Vorstellungen  am  reichlichsten  und 
deutlichsten  hafteteten,  begnügen  wir  uns,  hierüber  das  Er- 
srebnis  unserer  Untersuchuno;  mitzuteilen,  den  Versuch  des 
Beweises  auf  spätere  Gelegenheit  versparend.  Die  Ge- 
bräuche, welche  vom  Landvolk  in  Nord-  und  Südgerma- 
nien um  die  Weihnachtzeit  (am  St.  Andreastag  Nov.  31. 
St.  Nicolas  Dec.  6;  St.  Thomas  Dec.  21;  Christtag  Dec.  24; 
Stephanstag,  Sylvester  bis  zu  dem  heil.  Dreikönigstage) 
geübt  wurden  und  werden,  der  Aberglaube  welcher  von 
dieser  Zeit  umgeht,  trägt  die  Spuren  sehr  verschiedener 
Zeiten,  heidnischer  wie  christlicher,  an  sich. 

Die  älteste  Vorstellung,  welche  von  späteren  heidni- 
schen Anschauungen  sehr  in  den  Hintergrund  gedrängt 
wurde,  scheint  mir  diese  zu  sein.  In  den  letzten  Wochen 
vor  dem  Wintersolstiz,  wenn  immer  dunklere  Nacht  über 
die  Erde  hereinbricht  und  sie  ewig  zu  begraben  droht, 
dachte  man  sich  das  Lichtreich  der  Seligen  (Liösalfaheimr, 
Engelland)  vollständig  geschlossen.      Das  Herz    versank   in 


1)  Meier,   Schwäbische  Sagen  468.   221. 


521 

düstere  Trauer,  bis  die  Wiederkehr  des  Lichtes  im  Win- 
tersolstiz  aufs  neue  den  Himmel  zu  erschliefsen  schien,  und 
12  oder  21  Tage  lang  geweihten  Blicken  seine  Herlichkei- 
ten   zeigte,   ihnen    den    Vorschmack   und    die    Gewähr   des 
wiederkehrenden  Frühlings   bot.      Drei   Wochen   vor  dem 
Mittwinterfest  ')  begann  die  lange  Nacht.    Dann  zogen  un- 
gestört die  unseligen  Geister  (Jölevretter)  durchs  Land,  die 
Trolle  (s.  o.  S.  190  fgg.  205)   kamen   von  den  Bergen  und 
hatten  gröfsere  Macht  zu  zaubern,  als  sonst.     Man  durfte 
Wolf,  Fuchs,  Maus   und   andere  Tiere   nicht   bei  rechtem 
Namen  nennen,  weil  Hexen  oder  böse  Geister  in  ihrer  Ge- 
stalt zu   vermuten   waren.     In  Norwegen   zogen   um   diese 
Zeit  Jünglinge  (Jolasveinar)    mit   geschwärzten    Gesichtern 
und  Tierhäuten   durch   das   Land,   welche   diese   unsehgen 
Geister  darstellten,  selbst  in  Berlin   hat   sich   eine  Erinne- 
rung an  dieselben   in    den   sogenannten  Waldteufeln  er- 
halten^}.     Mit  dem   21.  oder  22.  December  jedoch    (Söl- 
hvörf)  öffnete  sich  das  Lichtreich  der   seligen  Geister  der 
Liosälfar  wieder  und   es   begann   ein  Fest,    dessen   älteste 
Feier  Freyr,  dem  Herrn  des  Lichtlandes  Liosälfa- 
heimr'')    galt.      Nun    steigen    die    seligen    Geister   wieder 
zur  Erde  herab,  der  unterbrochene  Verkehr  mit  den  Men- 
schen ist  wieder  eröffnet.     Der  Volksglaube  drückt  diesen 
Gedanken    so    aus.      Zu  Weihnachten    und    Neujahr 
(beide  vertreten  den  altheidnischen  Jahresanfang  am  Mitt- 
wintertagej  sindZichtage  (flyttadagar)  derAlfen,  dann 
wechseln  diese  ihren  Wohnsitz   und   kommen    in   die  Häu- 
ser der  Menschen.     Man  setzte  ihnen  daher  in  Nord-  wie 
Südgermanien  in    der  Neujahrs-  oder  Weihnachtsnacht  ei- 
nen gedeckten  Tisch  mit  Speise  hin,  und  brachte  ihnen  ein 
Opfer  Alfablöt  oder  Englöl  dar.   Das  auf  diese  Weise  geöff- 
nete Lichtreich  liefs  während  „der  sogenannten   12  Nächte 


1)  Drei  Wochen  vor  dem  Wintcrsolstiz  am  2.  December  begann  im  Nor- 
den das  Julfasten,  drei  Wochen  vor  dem  clnnstl.  Weihnaclitsfest  zeigt  St.  Ki- 
eolas  Dec.   6   den  Beginn   der  heil.  Festzeit  an. 

-i)  S.  Kuhn,  Nordd^  Sagen  405,   134. 

3)  Grimnism.  5. 


522 

oder  so  lanjxe  der  Julfriede  währte  (drei  Wochen  vom 
21.  Dec.  ab)  seine  Wunder,  die  Prototype  aller  Wesen 
und  Begebenheiten  schauen.  Wer  sich  nüchtern  auf  einen 
Kreuzweg  begab  (das  Abbild  des  von  der  Sonne  durch- 
kreuzten Himmelsrains  s.  oben  S.  393),  wo  er  kein  mensch- 
liches Licht  sah,  keinen  Hahn  krähen  hörte,  sah  die  Be- 
gebenheiten des  künftigen  Jahres  (ärsgang)  im  Bilde  an 
sich  vorüberziehen.  Wer  in  einen  Brunnen  schaute,  ein 
Abbild  des  himmlischen  Brunnens,  in  welchem  die  Seelen 
weilen,  sah  darin  die  Seele  seines  zukünftigen  Ehegemahl, 
dasselbe  geschah,  wenn  ein  Mädchen  um  Christnachtmitter- 
nacht nackend  einen  Kreuzweg  mit  dem  Besen  kehrte,  und 
auf  sehr  mannigfaltige  andere  Weise  hervorgerufen.  Die 
Gewächse  im  himmlischen  Lichtreich  wurden  sichtbar'). 
Tat  sich  im  Wintersolstiz  das  Lichtreich  auf,  um  die 
himmlische  Fortdauer  des  Pflanzenreichtums  zu  zeigen,  so 
öffnete  es  sich  am  Aequinoctialtage  des  Herbstes,  um  die 
auf  Erden  erblichene  Sommerherlichkeit  in  sich  aufzuneh- 
men. Deshalb  antwortet  das  Kinderlied  oben  S.  491  auf 
die  Frage  „Wann  ein  neuer  Schlüssel  zum  verschlossenen 
Engelland  da  sein  werde,"  „Im  Herbst,  wann  das  Korn 
reif  ist  wenn  der  Bäcker  backen  kann  und  der 
Bräuer  brauen  kann." 

Diese  Antwort   stimmt  genau   mit   den  Worten  über- 
ein, welche  der  abziehende  Storch  von  sich  sagt: 

Adebar  langben 

wenn  wult  du  üt  to  lande  ten? 

wenn  de  rogge  riepet, 

wenn  de  pogge  piepet, 

wenn  de  gäle  beren 

in  de  böme  glären  (glänzen), 

wenn  de  rode  appeln 

in  de  kästen  klappern 

will  laugeben 

to  lande  ten  *). 


1)  Vergl.  im  Allgemeinen  W.  Menzel.  Die  Somienwende  im  altd.  Volks 
glauben.     PfeiflFers  Germania  II,   228  —  239. 

2)  Vergl.  Stork  stork  sehnibel  schnabel,  wenn  du  wilt  inn  himmel 
fahre,  heint  oder  moam,  bring'n  sack  voll  koam!  Wenn  der  rogge  reift, 
wenn  der  müller  pfeift  u.  s.  w.     Firm.  II,  418  aus  Memmingen. 


523 

Im  Herbst  verlässt  der  Storch  unsere  Gegend,  nach 
dem  ursprünglichen  Volksglauben  die  Erde  und  kehrt  in 
seine  Heimat  (to  lande)  zurück,  ins  Eibenland,  Holdas 
Lichtreich,  wo  er  sein  Federgewand  abstreift  und  Men- 
schengestalt führt.  Ein  Reisender,  welcher  in  ein  fer- 
nes Südland  gelangte,  wurde,  wie  in  mehreren  Gegenden 
berichtet  wird;,  hier  von  einem  Manne  ')  sehr  freundlich 
aufgenommen,  der  ihn  als  alten  Bekannten  begrüfste  und 
ihm  erzählte,  er  sei  der  Storch,  der  jährlich  Sommers  auf 
seinem  Dache  zu  nisten  pflege.  Der  Storch,  Holdas  Tier, 
gehört  zu  den  Eiben,  von  denen  wir  S.  483  fgg.  gespro- 
chen haben. 

Aus  den  vorhergehenden  Ausführungen  und  Andeu- 
tungen wird  immerhin  so  viel  ersichtlich  sein,  als  zur  Er- 
klärung der  Formel  „Engelland  ist  geschlossen"  oben 
S.  491  nötig  ist.  Erachtete  man  das  himmlische  Seelen- 
reich zu  gewissen  Zeiten  im  Jahre  geweihteren  menschli- 
chen Augen  geöflPnet,  glaubte  man ,  dass  zu  diesen  Zeiten 
besonders  die  Seligen  (Liösalfar)  auf  die  Erde  herabstie- 
gen, mit  den  Menschen  verkehrten,  so  musste  andererseits 
gerade  nun  auch  der  Eingang  in  das  himmlische  Land 
die  serino;ste  Schwierio;keit  darbieten. 

Blicken  wir  noch  einmal  auf  die  Zeugnisse  über  En- 
gelland zurück,  so  müssen  wir  uns  gestehen,  dass  dieser 
mythische  Name,  wie  verbreitet  auch  einzelne  ihn  enthal- 
tende Formeln  und  Lieder  sein  mögen,  seinen  eigentlichen 
Sitz  im  westlichen  Teil  von  Niedersachseu,  in 
Westphalen  und  den  angränzendeu  oder  von  doi't  aus  co- 
lonisierten  Landschaften  (z.  B.  in  Pommerellen,  das  seine 
Ansiedler  vorzugsweise  aus  der  Cölner  Gegend  empfing) 
habe.  Unsere  Untersuchung  ergab  aber  ferner,  dass  die 
Anschauungen,  welche  in  der  Volkspoesie  mit  dem  Namen 
Engelland  sich  verbinden  in  ganz  Deutschland,  sowie  bei 
den  nordgermanischen  Stämmen  nachweisbar  sind,  und  dass 
dieselben    einen    engen    Zusammenhang    mit   Vorstellungen 


1)  Auch  die  Araber  glauben,  der  Storcli  sei  vordem  ein  Marabu  (Priester) 
gewesen,  den  Allah  um  seiner  Sünde  willen  verwandelt  liabe.  Vergl.  Kennie, 
Baukunst  S.  133,    Sommer,  Tasehenb.  z.  Verbreit,  geogr.  Kenntnisse  XXI,  49. 


524 

verraten,  welche,  insoweit  sie  dem  skandinavischen  Norden 
angehören,  mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  als  bereits  vor- 
eddisch  betrachtet  werden  müssen. 

§.   5.     Holda  und  die  Nornen. 

Bisher  lernten  wir  das  himmlische  Seelenreich  vor- 
zugsweise als  den  Sitz  Holdas  mid  der  Elbe  kennen;  eine 
Anzahl  teilweise  weitverbreiteter  Kinderlieder  erweitert  un- 
sere Kenntnis  auf  sehr  vollkommene  Weise  '). 

1. 

Sonnche  Sonnche  scheine 

Maria!  Kathareine! 

Zu  Frankfurt  in  dem  Boppehaus, 

Da  gucke  drei  Mareie  draus. 

Die  an  spinnt  Seire  (Seide), 

Die  anner  wickelt  Weire  (Weide), 

Die  dritte  schliefst  den  Himmel  auf. 

Da  guckt  die  liebe  Sonn'  heraus^). 

2. 

Rite  rite  Ross! 

Zu  Babel  liegt  ein  Schloss, 


1)  Die  mythische  Bedeutung  des  nachstehenden  Liedes  hat  bereits  J. 
Grimm,  Myth.^  388  erkannt.  Ausfülirlicher  handelten  darüber  Rocholz,  Ale- 
mannisches Kinderlied  I,  138-149  und  J.  "\Y.  Wolf,  Beiträge  II,  178—186. 
Als  ich  Ostern  1853  "Wolf  zuerst  kennen  lernte,  brachte  ich  denjenigen  Teil 
meiner  gegenwärtigen  Arbeit,  welcher  über  die  Nomen  handelt,  zum  gröfsten 
TeU.  ausgearbeitet  mit.  Er  hatte  schon  1852  der  Friedensgesellschaft  in  Dan- 
zig  vorgelegen.  Auch  Wolf  hatte  sich  damals  vorzugsweise  mit  diesem  Teil 
der  Mythologie  beschäftigt.  Als  ich  den  Freund  1854  kurz  vor  seiner  Krank- 
heit auf  längere  Zeit  wiedersah,  hatte  er  seine  Erläuterungen  zum  Druck  be- 
fördert, ich  meine  neugew-onnenen  und  etwas  veränderten  Anschauungen  neu 
zu  Papier  gebracht.  Ich  hatte  die  Freude,  ihn  in  den  Hauptsachen  von  der 
Wahrscheinlichkeit  meiner  Deutung  zu  überzeugen. 

2)  Messel  bei  Darmstadt  d.  Lehrer  Gluck  s.  oben  S.  388.  Vergl.  Ber- 
lin und  Umgegend  mündlich  und  Hagens  Germania  VIII,  226:  Dreie  sechse 
neune!  Im  Garten  steht  ne  Scheune,  im  Garten  steht  ein  Hinterhaus  (Hüh- 
nerhaus), da  sehen  drei  goldne  (Yar.  alle)  Engel  (Var.  die  lieben  Puppen) 
heraus.  Der  (die)  eine  spinnt  Seide,  der  (die)  andere  spinnt  Kreide  (spielt 
mit  Kreide;  spinnt  Wolle),  der  (die)  dritte  schliefst  den  Himmel  auf,  da 
schaut  die  liebe  Sonne  heraus,  da  sehen  alle  Engel  (die  lieben  Engel,  die 
lieben  Puppen)  heraus. 


525 

In  Rom;  da  liegt  ein  Glocken  haus, 

Da  gucken  drei  schöne  Nonnen  heraus. 

Die  eine  spinnet  Seide, 

Die  andere  spinnet  Kreide, 

Die  dritte  schliefst  den  Himmel  auf, 

Lässt  ein  Bischen  Sonn'  heraus 

Anne  Marieke  bleibt  drinnen  '). 

3. 

Kling  klang  Glöckchen! 

Im  Garten  steht  ein  Döckcheu, 

Im  Garten  steht  ein  Hühnerhaus, 

Sehn  drei  seidne  Döckchen  heraus. 

Eins  spinnt  Seiden, 

Eins  flicht  "Weiden, 

Eins  schliefst  den  Himmel  auf; 

Lässt  ein  Bischen  Sonn  heraus. 

Daraus  Maria  spinne 

Ein  Röcklein  für  ihr  Kindelein 

Ei  so  fein!  ei  so  fein!  ^). 

4. 

Dreie  sechse  neune! 

Im  Garten  steht  ne  Scheune, 

Im  Garten  steht  ein  Hinterhaus, 

Da  sehen  drei  goldne  Mädchen  heraus. 

Die  eine  spinnt  Seide, 

Die  andere  karrt  Steine, 


1)  Aus  Magdeburg  d.  Dr.  Janicke. 

2)  Wunderhorn  1808  III.  Anh.  S.  71;  daraus  Simrock  KB.«  27,  171. 
Vergl.  Weimar  d.  Eeinh.  Köliler:  Liebe,  liebe  Sonne,  scheine  auf  die 
Tonne,  scheine  auf  das  Glockenhaus,  guckten  drei  alte  Jungfern  her- 
aiis.  Die  eine  die  spann  Seide;  die  andere  die  arbeitte;  die  dritte  schloss 
den  Himmel  auf,  licfs  ein  bischen  Sonne  raus,  liefs  ein  bis- 
chen drinne,  dass  die  heilige  Maria  konnte  spinne.  Ebendas. :  Scheine 
liebe  Sonne!  drei  Döckchen  auf  der  Wonne!  eins  spann  Seiden,  eins 
drehte  Weiden,  das  dritte  schloss  den  Himmel  auf,  liefs  ein  bischen 
Sonne  raus,  liefs  ein  bischen  drinne,   dass  die  liebe  Maria  konnte  s]}inne. 


526 

Die  dritte  schliefst  den  Himmel  auf, 
Da  guckt  Mutter  Maria  heraus  ^). 

5. 

S'  sünneli  schint, 

s'  vögeli  grint, 

s'  hocket  unterm  lädeli, 

s'  spinnt  e  side  fädeli, 

s'  spinnt  en  lange  fade, 

er  langet  bis  go  Bade, 

von  Züri  bis  üf  Hauestei, 

von  Hauestei  bis  vdederum  hei. 

z  Rom  ist  es  guldigs  hüs, 

lueget  drei  Mar  ei  e  drüs. 

die  eint  spinnt  side, 

die  andere  floride, 

die  dritt  schnätzlet  chride, 

die  viert  spinnt  haberstrau, 

die  feuft  isch  eusi  liebi  frau 

(sie  sitzt  ennet  a  der  wand, 

hat  e  aepfel  i  der  hand). 

sie  goht  durh-ab  zum  sunnehüs 

und  16t  die  heilig  sunne  üs 

und  löt  de  schatten  ine 

für  ihre  liebe  chline, 

und  wemm-mers  g'hört  singe 

chömmt  alli  engel  z'  springe  ^). 


1)  Berlin  d.  H.  Klitzing.  Vergl.  Berlin  mündl. :  Drei  Engel  sitzen 
im  Garten;  einer  zieht  die  Leine,  einer  spielt  die  Geige,  einer  schliefst 
den  Himmel  auf,  da  kommt  Mutter  Maria  heraus.  Ebendas. :  Auf  dem 
Hofe  (im  Garten)  steht  ne  Scheune,  im  Hofe  steht  ein  Hlihnerhaus 
(Taubenhaus,  Bilderhaus,  Schilderhaus),  da  gucken  drei  goldne  Püpplein 
heraus.  Die  eine  schabt  Kreide,  die  andere  spinnt  Weide,  die  dritte 
schliefst  den  Himmel  auf,  da  sieht  Mutter  Maria  mit  Jesus  her- 
aus. Aehnlich  vielfach  in  Berlin,  Weifsenfeis  in  Sachsen  d.  Semin.  Lorbeer; 
Genthin  d.  H.  Reinicke;  Leipzig  d.  Dr.  Hildebrand.  Varr.  da  schaut  der  hei' 
lige  Petrus  heraus ;  da  schaut  Louise  zum  Fenster  hinaus ;  die  di-itte  guckt 
zum  Himmel  hinauf,  da  gingen  sie  alle  die  Trepp  hinauf. 

2)  Rocholz,  Alemann.  Banderlied  S.  139,   273. 


527^ 

6. 
Reite  reite  Rössle 
z'  Bade  steht  en  Schlössle, 
z'  Bade  steht  en  Wirtshaus, 
Gucket  vier  Marien  raus. 
Die  ein'  spinnt  Seide, 
Die  ander'  spinnt  Reiste, 
Die  dritt  spinnt  Haberstraii, 
Die  viert  sait:  bliüt  di  Gott,  mei  liebe  Fraul^) 

7. 

Sonne  Sonne  fürer  I 

Schatte  Schatte  untere! 

Es  leg  se  an  a  Roanle 

Find  i  a  goldenes  Boanle. 

Dort  oben  auf  jene  Glocka 

Steand  drei  Docka: 

Die  erste  spinnt  Seiden, 

Die  zvreite  lernts  Geigen, 

Die  dritte  ziehts  Lädle  auf. 

Las  st  die  heilig  Sonne  rauf, 

Die  vierte  spinnt  Haberstrauh, 

Trost  se  Gott  und  unser  liebe  Frau !  ^) 

8. 
Ride  ride  ressle! 
z'  Basel  steht  e  schlessle, 
z'  Rom  steht  e  Glockehüs; 
s'  luege  scheue  jumfre  drüs. 
eine  spinnt  side, 
d'  andre  spinnt  wide, 
d'  dridde,  die  spinnts  klore  guld, 
d'  vier  de  isch  mi'm  häwele  hold^). 


1)  Wurmlingen.  E.Meier,  Kiuderr.  aus  Schwaben  5,  14.  Gönningen, 
a.  d.  Schwab.  Alp.  aufgez.  von  mir.  Var.  Zu  Stuttgart  steht  es  Schlüssle,  zu 
Stuttgart  steht  e  Guckehaus,  die  dritte  spinnt  llaberstrau,  bhuet  di  Gott 
mei  liebe  Frau. 

2)  Ebendaher.     Meier  21,  66. 

3)  Vom  Oberrhein.    Stöber,  Elsass.  Volksbüchlein  30,   52,  daraus  Firm. 


528 

9. 
Rite  rite  rössli! 
z'  Bade  stoht  e  schlössli, 
z'  Klingnau  e  brünneli 
z'  Kaiserstuel  e  sünneli^ 
z'  Freiewil  e  chäpeli, 
d'  maidli  traget  schäpeli, 
d'  bube  traget  male, 
der  güggel  chunt  go  cbraije: 
güggehü, 

z'  morge-n-am  drü 
chömmt  dreie  Mareie 
die  eint  spinnt  side, 
die  ander  scbnäflet  chride, 
die  dritt  schnidet  haberstrau, 
bliüet  mer  gott  mis  chindli  au!  '). 

10. 

Sonne  Sonne  scheine! 

Fahr  über  Kheine, 

Fahr  übers  Glockehaus, 

Gucken  drei  schöne  Puppen  heraus. 

Eine,  die  spinnt  Seide, 

Die  andere  wickelt  Weiden, 

Die  dritte  geht  ans  Brünnchen 

Findt  ein  goldig  Kindchen^ 

Wer  Solls  heben? 

Die  Tochter  aus  dem  Löwen. 

Wer  soll  die  Windeln  waschen? 

Die  alte  Schneppertäschen  ^). 


II,   512.      Simrock,  Kinderb. ^    48,    173  mit  Varr.  drei  schöne  Jungfern,   wik- 
kelt  Weide. 

1)  Aargau.     Rocholz,  Alemann.  Kinderlied   140,   274. 

2)  Wuuderliom  1808  III.  Anh.  S.  70.  Daraus  Dichtungen  aus  der  Kin- 
derwelt. Hamburg  1815  S.  74.  Simrock,  KB.^  46,  169.  Vergl.  Messen 
bei  Darmstadt  d.  Lehrer  Gluck:  Reiter  Reiter  Rösschen,  dort  unten  steht  ein 
Schlösschen.  Da  sitzen  drei  Jungfrauen  drin.  Die  eine  die  spinnt 
Seide,  die  andere  ivickelt  Weide,  die  dritte  geht  zum  Brunne,  hat  e 
Kind  gefunne.     Wie   solls   heifse?     Wie   die  junge  Geifse.     Wer  soUs  hebe? 


^29 

11. 

Stork  Stork  Steine, 

Mit  de  lange  Beine, 

Mit  de  korze  Knie, 

Jung  fr  au  Marie 

Hat  e  Kind  gefnnne 

In  dem  kleinen  Brunne. 

Wer  Solls  hebe? 

Der  Petter  mit  der  Gese. 

Wer  soll  die  Winnel  wasche? 

Die  Mad  mit  der  Plapperdäsclie  '), 

12. 

Stork  Stork  Stane, 

Fligk  iber  Hane, 

Fligk  ibers  Bäckerhaus 

Gucke  drei  Boppe  raus. 

D'  an  spinnt  Seide, 

Die  anner  wickelt  Weide, 

Die  dritt'  giht  oiCn  Brunne 

Hot  e  Kindchc  funne. 

Wie  Solls  haafse? 

„Hockele  Hockele  Gaase." 

Wer  Solls  hebe? 

„Der  Bäcker  oder  der  Peter." 

Wer  soll  die  Winuele  wasche 

„s'  Kathche  mit  der  Lappentäsche." 

Stork!  Stork!  Stork!-). 


Der  Mann  mit  dem  Löwe.  Wer  soll  die  Windeln  wasche?  Die  Frau  mit 
der  Lappctasclie.  —  Darnistadt.  A\'olf',  Beiträge  II,  179,  5:  Zu  Darmstadt 
steht  ein  schönes  Haus,  da  schauen  drei  alte  Jungfern  licraus.  Die 
eine  spi  nnt  S  cide ,  die  andere  wickelt  Weide,  die  dritte  .iteht  am  Bnin- 
nen  hat   ein  Kindchvn  funnen.      Wie  Solls  heilsen?  u.  s.  w. 

1)  Dict7.enbach  in  der  Wetterau.  Zeitschr.  f.  D.  Mylh.  I,  475.  Pom- 
merellen  niilndl.:  Storli  Stork  Steine,  mit  de  lange  Beine,  mit  de  körte  Knie. 
Jungfrau  Marie  hat  'n  Kind  gefunden,   war  in   Gold  gebunden. 

2)  Aisbach  a.  d.  Bergstrafse  Firm.  II,  34.  Wolf,  Beiträge  II,  180,  7. 
—  Jugenheim  an  der  Bergstrafse  von  mir  aufgez. :  Storch  Storch  Steine,  flieg 
über  Uhcine,  flieg  übers  Bäckcrhaus,  gucke  drei  Puppe  raus,  die  ein' 
spinnt  Seide,   die  andere  dreht  Weide,   die  dritte  f/eht  zum  Bi-nnne  hat  e 

34 


530 

13. 
Storch  Storch  Stane 
Mit  de  lange  Bane, 
Flieg  hinein  ins  Bäckerhaus, 
Da  schauen  drei  alte  Jungfern  heraus. 
Die  eine  spinnt  Seide, 
Die  andere  flicht  Weide, 
Die  dritte  hatn  roten  Rock 
Wie  des  Schneiders  Geisbock  '). 

14. 

Stork  Stork  Schnibelschnabel 

Mit  der  langen  Ofengabel, 

Willst  du  lernen  Silber  tragen? 

Wenn  die  Rogge  reife. 

So  gange  wir  ge  pfeife. 

Im  Unterland  is  au  e  Haus 

Gucket  alte  Frauen  raus  u.  s.  w.  ^). 

15. 
Storch  Storch  Schnibelschnabl 
Mit  der  lange  Heugabi 
Fheo-t  übers  Glockähaus, 
Gucket  drei  Fräule  raus. 
Die  oin  spinnt  Seidn, 
Die  oin  spinnt  Kreidn, 
Die  oin  spinnt  Blitzblä, 
Hol  mi  da  der  Guckuck  a. 

16. 
Der  Reiter  reift  a  Rössle, 
In  Stuttgart  steht  a  Schlössle, 
In  Stuttgart  steht  a  Guckehaus, 
Gucket  drei  schöne  Jungfere  raus. 


Kvndche  funne.  Wer  solls  taife?  Der  PfaiTer  mit  de  Seife  Wer  solls 
hebe?  Der  Peter  und  die  Käthe.  Wer  soll  die  Windlen  ^väsehe.^  Die  Ka- 
the  mit  der  Lappetäsche. 

1)  Michelstadt  im   Odenwald.      Wolf,  Beitr.   II,    180,    6. 

2)  Meier,  Kindern  aus  Schwaben  29,   05. 

3)  Buchau  in  Schwaben  d.  Stud.   Birlingcr. 


531 

Die  ein'  spinnt  Seide, 

Die  ander  wickelt  Weide, 

Die  dritte  spinnt  en  rode  Rock 

Für  den  liebe  Herregott'). 
Besser  lautet  in  einem  sonst  genau  übereinstimmenden  Liede 
der  Schluss: 

Die  anner  wickelt  Weide, 

Die  dritte  spinnt  e  rode  Rock 

For  unsere  lieive  (Karel  u.  s.  w.)  Bock  -). 

17. 

1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9 

Zu  Hamburg  steht  ne  Scbeun, 

Zu  Hamburg  steht  ein  Haus, 

Sehn  drei  alte  Jungfern  heraus. 

Die  eine  macht  Kreide, 

Die  zweite  näht  Seide, 

Die  dritte  näht  Hemde; 

Mir  eins,  dir  eins,  dem  besoffiien  Schneider  keins  ^). 

18. 
Rite  rite  rössli, 
ze  Bade  stöt  e  schlössli, 
ze  Bade  stöt  e  güldi  hüs, 
es  lüeged  drei  Mareie  drüs, 
die  eint  spinnt  side, 
die  ander  schnätzelt  chride, 
die  dritt  schuit  haberstrau 
bhüet  mer  Gott  mis  chindli  au  *). 


1)  Meier,  Märchen  aus  Schwaben  S.  294,  87.  Meier,  Kiiulcrreimc  aus 
Schwaben   5,    15:   Var.   steht  e  rotes  lTnvs\   spinnt  Weide. 

2)  ]\Iittelsaar.  Firm.  II,  555.  In  Stuttgart  lautet  nach  Wolfs  Aufzeich- 
nung Beitr.  II,  179,  3  der  Schluss:  Die  dritte  spinnt  e  Rock  für  unsere  alte. 
Lumpendock. 

3)  Pommerellen    mündlich;    Wolf,   der  Beiträge  II,    181,    It   dieses  Lied 

nach  meinen  Collectaneen  mitteilt,  nennt  irrtümlich  Hamburg  als  Fundort. 

Berlin  d.  H.  Krause:  1-9  Wie  hoch  steht  die  Schcun?  Wie  hoch  steht 
das  Haus?  Da  schauen  drei  Jungfrauen  zum  Fenster  hinaus.  Die  erste 
spinnt  Heide,  die  zweite  wickelt  Seide,  die  dritte  jiäkt  Ilemdchen:  für 
mich  eins,  für  dich  eins  und  für  den  falschen  Juden  auch  eins. 

4)  Aus  der  Schweiz,    Myth.^    388;    daraus  KB.^    48,    174.      Ebenso    in 

34* 


532 

19. 

Ritta  i-itta  rössle 
z'  Bladez  ist  a  sclilössle, 
z'  Kenzig  ist  a  glockehus, 
es  luegen  drei  poppa  drus, 
die  erst  spinnt  sida 
die  zwoat  glorifigat, 
die  dritt  tuts  töarle  üf 
und  lots  hälig  sünneli  üs^. 
Fassen  wir  die  vorstehenden  Lieder  näher  ins  Auge, 
so  zeigt  sich  uns  zunächst  ein  inniger  Zusammenhang  mit 
den  oben   S.  389  384  fgg.    aufgeführten   Sprüchen.      Dort 
oben     wo   der  Eingang  in  das   himmlische   Lichtland  ist, 
am  Himmelsram  (s.  oben  S.  392.  393)^-)  liegt  ein  golde- 
nes   Haus    oder     Schloss.      In    diesem    wohnen    drei 
schöne  oder  drei  alte  Jungfrauen,   die   auch   als   die 
drei  Marien  bezeichnet  werden  No.  1.  5.  9.  18.     Bemer- 
kenswert ist  No.  2  die  Variante:  drei  schöne  Nonnen. 
Die  Verrichtungen  der  beiden   ersten  Jungfrauen  sind 
iu  den  meisten  Fassungen  gleichbleibend.     Die  eine  spinnt 
oder  näht  Seide  No.  1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  9.  10.  12.  13 
15   16.  17.  18.  19;  die  andere  wickelt  1.  10.  12.  16;  flicht 
3-'  dreht  3.  Anm.  2.    12.  Anm.  2;   oder   spinnt  4.  Anm.  1 
Weide;  oder  wie  andere  Varianten  sagen  die  vom  fernsten 


Zürch  d.  H.  Euuge  und  AppenzeU  Firm.  II,  G65.  Var.:  die  ander  schnatzet 
Zt  die  dritt  sinnnt  hallrstran  bhüet  mer  Gott  mis  buehU  au  Zurch  ci 
rV  Zin^^erle:  Ritta  ritta  rössle,  dort  oba  steht  a  schlössle,  dort  oba  steht 
a'gülde^  hus,  da  luigen  drei  maideli  drus,  die  eine  «P^^^*  l^^"^^^^ '  "^^/^ 
:.!it  schnitzlet  kreide,  die  ^n"  röstet  haberstrau;  o  V^^^^^ 
mei  schätzli  au.  -  Elsass,  Stöber,  \olksbuchlem  oO,  ^l'/'^^f  ^^^^^  ^ 
ross,  ze  Basel  steht  e  schloss,  -  ^-d  steht  eherrehus  gucke  d  ex  s ehern 
jungfre  'rus,  d'  ein  spinnt  seide,  d' ander  draid  ^-eide ,  d  dritt  schniea 
hawwerstro,  's  hindd  macht  es  au  eso. 

U  Rankwil  in  Vorarlberg.  Vonbun,  Vorarlberg.  Sagen  I80O  b.  6b.  — 
Graubi^ndten  d.  H  Hitz:  Rite  rite  rössli,  z'  Bade  steht  e  schlossli;  dort 
itgfdrUungfraue  üs,  dy  aini  spinnt  side,  die  -^re  schabet  chr.de 
die  dritte  cät  ins  -loo-^ähüs  und  lät  de  helig  sunnan  us^^ar..  Die 
tut  g^tlndlnleUei; holet  MuskateUer;  Muskateller,  suefser  Wem,  morge 
wemmer  lustig  sein. 

2)  Aus  diesem  Worte  ist  Rom  in  No.  3.  5.  dmch  die  Form  roau  wahr- 
scheinlich rolksetymologisch  entstanden. 


533 

Osten  und  Norden  des  deutschen  Landes  bis  zum  äufser- 
sten  Süden  verbreitet  sind  '),  sie  spinnt  2.  8.  15,  schabt 
4  Anm.  1.  19  Anm.  1.  schnäflet  9.  schnätzelt  18.  schnitzelt 
18  Anm.  4.  macht  17.  Kreide^  Reiste  6.  oder  Hede  17  Anm. 
3.  —  Die  Tätigkeit  der  dritten  wird  jedoch  sehr  verschie- 
den angegeben.  Sie  spinnt  entweder  einen  roten  Rock  13. 
16,  oder  ein  Hemd  17,  oder  sie  spinnt  Haferstroh  5.  6.  18, 
oder  sie  spinnt  das  klare  Gold  8.  Sie  schliefst  den  Him- 
mel auf,  da  guckt  die  heilige  Sonne  heraus  1.  2.  3.  Sie 
tuts  Türlein  auf  19,  schliefst  das  Lädle  auf  7,  und  lässt 
die  heilige  Sonne  oder  etwas  Sonne  heraus.  Endlich  sa- 
gen No.  10.  12,  dass  die  dritte  an  den  Brunnen  geht  und 
ein  Kind  findet.  Die  Bedeutung  dieses  Zuges  wird  durch 
die  damit  verbundene  Fortsetzung  klar.  Das  Kind  ist  eine 
in  menschlichen  Körper  eintretende  Seele,  der  Brunnen 
ist  Hol  das  Kinderbrunnen.  Deshalb  wird  gefragt: 
„Wer  soll  das  Kind  (aus  der  Taufe)  lieben?'^  Die  Ant- 
wort lautet:  „Der  Pate  und  die  Göthe'^  (Gode  d.i.  Pa- 
tin, was  in  „  der  Peter  und  die  Käthe  "  „  die  Tochter  aus 
dem  Löwen"  u.  s.  w.  entstellt  ist).  „Wer  soll  die  Win- 
deln waschen?"  In  No.  11  tritt  Holda  (Maria)  als  Fin- 
derin des  Kindes  ein,  in  einem  anderen  Spruche  ihr  hei- 
liges Tier  die  Katze. 

er. 

Hop  hop  heserlman 

unsa  kaz  had  schtiferln  an 

rennt  dämid  af  HoWabrunn 

findt  a  kindl  in  da  simn. 

„wiä  sulls  hoafsn?" 

Kizl  oda  Goafs'l. 

„wear  soll's  heb'n?" 

d'  Sofferl  mid  da  reb'n. 

„wear  soll  d'  windl  wäsch'n?" 

d'  Wabcrl  niid  da  blaudadäschn  '). 

1)  Wolf  hat  somit  entpc'liii'den  Unrecht,    wenn    er  diese  Lesart  Beitriii^c 
11,  183  blofs  für  sehAveizerisch  liält  mul  sie  darum  als  Verderbnis  venverfen  will. 

2)  Oestcn-eich.   Volkslieder  von  Ziska  uud  SehoUkv.    Pcsth  1811)   S.  l-', 


534 

ß- 
Hist  host  Edelmann, 

Die  Katz  legt  die  Stiefel  an, 

Springt  in  den  Brunnen. 

Hat  ein  Kindlein  funnen. 

Wie  Solls  heifsen? 

Endle  Bendle  Geusen. 

Wer  soll  die  Windeln  waschen? 

Drei  alte  Plaudertaschen'). 

Y- 
Hopp  hopp  Edelmann!" 
D'  Katz  hat  Stiefel  an. 
Reitet  übern  Bronua, 
Hat  a  Kindle  gfunna; 
Wie  Solls  heifse? 
Böckle  oder  Gaisle. 
Wer  soll  d'   Windle  wasche? 
D'   Amme  mit  der  schmotzige  Tasche-). 

d. 

Eins  zwei  drei 

Meiner  Mueter  Gschwei, 

Hat  es  Chindli  gfunde, 

Häts  in  Plunder  blinde. 

Wie  muefs  es  heifsen? 

Gitzi  oder  Gaifsen. 

Wer  muefs  de  Windle  waschen? 

S'  Buebli  mit  der  Lumpetäschen  ^). 


2;  daraus  teilweise  KHM.  III.''  268.  Bei  Pressburg  lautet  das  Lied:  Hopp 
liopp  Hoselmann ,  d'  Katz  hat  die  Stiefeln  an ,  reit  damit  nach  Hollabrnnn ; 
Hollabrunn  is  Kiritä.   —  Hollabrunn  ist  ein  Marktflecken  in  Unteröstreich. 

1)  Simrock,  KB.*  47,  170.  Oberrhein.  Stöber,  Elsäss.  Vollcsbüchl.  26, 
43:  Hist  hood  Edelmann,  d'  Katz  leit  d'  Stiefel  an,  springt  in  den  Brunne, 
hat  e  Kind  gefunde.  Wie  solls  heifse?  d'  Mäcker  mit  der  Gaise.  Wer 
soll  d'  Windle  wasche?  du  du  alte  Lumbedäsche. 

2)  Meier,  Kinderr.   aus  Schwaben  4,    11. 

S)  Aargau.  Rocholz,  Alemann.  Kinderlied  I,  129,  263.  Elsass ;  Stö- 
ber, Volksbüchlein  26,  42:  Eins  zwei  drei.  Mienre  Mueder  G'schwei,  het  emol 
e  Kindeigfunde;  wie  solls  heifse?  Zucker  uff  de  Gaise.  Wer  solls  he  wwe? 


535 

s. 
De  Mad  geht  uf  de  Brunne, 
Hat  e  Kindche  funne. 
Wie  Solls  heilse? 
Zickel  oder  Geifse. 
Wer  soll  de  Winnie  wasche? 
Unser  alti  Schlapperdäsche '). 

Hopp  hopp  Habermann, 

Zieh  dem  Bäcker  die  Stiefel  an. 

Reil't  er  nach  dem  Brunnen, 

Findt  ern  kleinen  Jungen. 

Wie  soll  er  heifsen? 

Eduard  von  Preul'sen. 

Wer  soll  die  Windeln  waschen? 

(Clara)  mit  der  Rumpeltaschen  ^). 

V' 
Eins  zwei  drei, 
Hicke  hacke  hei, 
Hicke  hacke  Hornsporn; 
Zwanzig  Kinder  sind  verlorn. 
Wie  solln  sie  heifsen? 
Karl  oder  Weifsen. 
Wer  soll  die  Windeln  waschen? 
Geh  du  alte  Plappertasche  ^). 

Fliädermiis  wo  is  diu  hüs? 
bäwen  up  dat  rathüs. 


Der    Schnioder    iinn    der   Wewwer.     Wer  soll  d'  Wiiidle  wäsclm?    Unsri  aldi 
lüinkelbuiikelkuiikcldäsclie. 

1)  Mittclsaar.     Firm.  II,   55G. 

2)  Berlin  mündl. ;  Sanssouci  d.  II.  Schulz:  Hopp,  hopp,  hopp,  hopp 
llabcrmaun,  zieh  dem  Bauer  die  Hosen  an,  dass  der  Bauer  reiten  kann ;  reift 
er  übern  Brunnen,  find't  er'n  kleinen  Jungen.  Wie  soll  das  Kindleiu 
heifsen?     Es  ist  der  Prinz  von  Preulsen. 

3)  Pommerellen  mündl. 


^36 

wat  makst  du  dar? 

ik  kämme  min  här, 

wel  morgen  met  kindken  nä  kerke  gän. 

wu  sali  dat  kindken  heiten? 

Anne  Marie  Margreiten, 

well  sali  dat  kindken  waren? 

de  appel  (lies:  apen)  im  de  baren. 

well  sali  dat  kindken  weigen? 

de  müggen  und  de  fleigen. 

well  sali  dat  kindken  begräwen! 

de  köster  on  de  räwen  ^).  . 

i. 

Ilirz  hirz  hörn, 

de  kö  de  legen  em  körn. 

wu  es  da  der  hirte? 

döscher  zweie  birke. 

wat  mächt  he  dou? 

junge,  junge  höndcher  (Hunde). 

wie  sünn  die  da  heifse? 

knöppcl  of  der  geifsel. 

wer  sali  se  da  hewe, 

de  knewel  darnewe. 

wer  sali  se  da  trou?  (tragen) 

der  wou  (wagen). 

wer  soll  se  da  schleppe? 

der  äte  (Grofsvater)  -). 
Es  entsteht  nun  die  Frage,  ob  in  No.  10.  12.  die  Stelle 
„geht  zum  Brunnen"  u.  s.  w.  ursprünglich  oder  erst 
aus  dem  so  eben  aufgeführten  selbständigen  Liede,  von 
welchem  oben  S.  529  No.  1 1  die  ursprünglichere  Fassung 
sein  mag,  herübergenommen  ist.  Wir  dürften  das  erstere, 
d.  h.  die  Verbindung  der  drei  alten  Jungfrauen  mit  dem 
Kinder brunnen  unbedingt  bejahen,  wenn  in  No.  12.  13. 
15  die  Erwähnung   des    kin  der  bringenden  Storches, 


1)  Münstersche   Gescliichten  und  Sagen  228,   2. 

2)  Salchcndoif  bei  Siegen  d.  Lehrer  Siebel. 


537 

der  die  Seelen  aus  Holdas  Born  holt,  unzweifelhaft  echt 
wäre.  Aber  auch  hier  macht  die  Wiederholung  der  For- 
mel „flieg  übers  Back  er  haus,  gucken  drei  Jungfrauen 
heraus"  den  Gedanken  rege,  dass  zwei  verschiedene  Lieder 
nämlich  „zu  —  steht  ein  goldig  Hans,  da  gucken 
drei  Puppen  heraus"  und  Storch  Storch  Steine, 
flieg  übers  Bäckerhaus,  hol  mir'n  warmen  Weak 
heraus"  ')  ungehörig  mit  einander  vermischt  sind,  wie 
bereits  J.  W.  Wolf  annahm.  Gleichwol  machen  No.  14.  15 
diese  Annahme  zweifelhaft  und  No.  9  scheint  wiederum  un- 
abhängig den  Brunnen  zu  bestätigen.  Man  sieht  die 
Acten  sind  noch  nicht  spruchreif,  die  Varianten  liegen 
noch  nicht  in  genügender  Anzahl  vor,  um  aus  ihnen  über 
den  ursprünglichen  Text  ein  sicheres  Urteil  zu  fällen. 

Die  fraglichen  Stellen  enthalten  —  fiills  sie  sich  be- 
währen sollten  —  den  Sinn:  Drei  Jungfrauen  wohnen 
dort  oben,  wo  das  himmlische  Lichtreich  sich  öffnet  und 
der  Kinderbora  liegt,  s.  oben  S.  255.  379,  wo  der  Storch 
seine  Heimat  hat.  Die  eine  von  ihnen  schreitet  zum  Brun- 
nen und  holt  eine  Kinderseele  hervor,  die  zum  Eintritt  in 
menschliches  Dasein  bestimmt  ist.  Da  nun  die  Tätigkeit 
der  dritten  Jungfrau  als  Türschliefserin  des  Himmels  un- 
bedenklich echt  ist,  so  möchte  ich  auch  die  Variante  „die 
dritte  geht  zum  Brunnen  u.  s.  w."  für  alt  halten. 

Die  drei  Jungfrauen  stünden  demnach  in  einer  engen 
Beziehung  zu  dem  neugcbornen  Kinde.  Dieselbe  Beziehung 
auf  das  neu  ins  Leben  tretende  Kind  zeigen  die  Formeln 
„die  viert'  isch  mim  bäwele  holdNo.  8."  „tröst  se 
Gott  und  unser  liebe  Frau  No.  7."  „bhuet  mer 
Gott  mis  chindli  au  No.  9.   18." 

Für  das  Glück  oder  das  Leben  des  Kindes  wird  beim 
Nahen,  bei  der  Wirksamkeit  der  Jungfrauen  gefürchtet, 
offenbar  haben  sie  das  Schicksal  desselben  zu  bestimmen. 


1)  S.  u.  a.  Simrock  KH.^  146,  586.  147,  588.  Mcicr,  Kindcir.  aus 
Schwaben  29,  93  und  nielirfacli.  Doch  könnte  möglichenvei.se  auch  unige- 
kcnrt  dieser  Reim  aus  der  Formel  hervorgegangen  sein,  welche  den  Anfang 
von  No.  15  bildet. 


538      • 

Schon  Grimai  erkannte  in  ihnen  die  drei  Schicks alsjung- 
frauen  der  germanischen  Mythologie. 

Diese  Deutung  bestätigt  sich  zunächst  durch  die  Be- 
trachtunix  der  weiteren  Züfje  unseres  Liedes.  Die  zweite 
Jungfrau  spinnt  (dreht  oder  flicht)  Weide.  Dieses  Wort 
ist  offenbar  eine  volksetymologische  schriftdeutsche  Umdeu- 
tung  von  Schweiz,  wid,  gemeinobd.  wide,  mhd.  wide,  ahd. 
widi,  nd.  wede  von  goth.  vijjan  fesseln,  wozu  altn.  vidja  Fes- 
sel, vadr  Strick  gehören').  Wide  bezeichnet  ein  aus 
Baumgerten  geflochtenes  oder  gedrehtes  Seil,  das  zum  Hen- 
ken diente  -).  Unser  einfaches  Altertum  drehte  statt  des 
hänfenen  Strickes  Zweige  von  frischem,  zähem  Eichen- 
oder Weideiiholz  ^).  Mithin  haben  die  Worte  „die  dritte 
dreht  Weiden^'  den  Sinn  „sie  windet  Fesseln"  oder  „das 
Todesseil."  Bekannt  ist,  dass  die  poetische  Sprache  des 
MA. ,  höchst  wahrscheinlich  auf  Grund  althergebrachter 
Formeln,  dem  Tode  Bande,  Seil  und  Stricke  beilegte'*). 
—  Der  Ausdruck  „  die  dritte  spinnt  Kreide "  ist  dunkel. 
Ich  vermute,  dass  er  ursprünglich  lautete  „  die  dritte  ruft 
Kreiden.'^  Das  veraltete  Kreide  mhd.  kride  ^)  heifst  Feld- 
geschrei, Kriegsruf,  Loosung,  Parole.  Diese  Formel  wäre, 
falls  unsere  Ansicht  richtig  ist,  an  die  Stelle  eines  gleich- 
bedeutenden älteren  in  der  ursprünglichen  unzweifelhaft 
alliterierenden  Fassung  des  Liedes  getreten. 

Nicht  minder  schwierig  ist  die  Erklärung  des  „Ha- 
ferstrohspinnens" in  No.  6.  7.  9.  18. 


1)  Grimm,    Gram.  U,   26. 

2)  RA.  683.  684.  Doch  kommt  wide  auch  in  der  abgeleiteten  Bedeu- 
timg Gespinnst  vor.  Vergl.  u.  a.  Renner  4847:  Ein  gitik  mensch  tuot  als 
diu  spinne  diu  nach  iemeilichem  gewinne  ir  gewide  spinnet  iiz  irm  libe. 

3)  Da  besonders  Weidengerten  zu  diesen  Stricken  verwandt  wurden, 
dürfte  doch  vielleicht  an  wide  (salix)  zu  denken  sein,  so  dass  zu  übersetzen 
wäre  „saligna  vimina  flectit." 

4)  Myth.2   805.     Panzer,  Beitrag  I,   353. 

5)  Ein  aus  ital.  grida,  prov.  crit  Geschrei  entlehntes  Wort,  über  dessen 
Fortleben  s.  Schmeller,  Bair.  WB.  II,  387.  Schmid,  Schwab,  idiot.  s.  v. 
kreyden.  Ich  sehe,  dass  auch  Kocholz ,  Alemann.  Kinderl.  I,  148  dasselbe 
Wort  zur  Erklärung  heranzieht,  aber  mehrere  nicht  dahingehörige  damit  ver- 
mischt. 


539 

Indessen  bieten  sich  mir  folgende  Anhaltspunkte.  Im 
Volksliede  „von  idel  unmogehken  dingen,"  das  sehr  viele 
mythische  Bestandteile  enthält  (s.  oben  S.  322.  405,  Anm. 
2)  heifst  es: 

Ik  wet  mi  ene  schöne  magd, 

de  minem  harten  wol  behagt; 

ik  n?eme  se  gern  to  wiwe, 

konde  se  mi  von  haferstroh 

spinnen  de  Jtlene  (zierliche)  side  '). 

Wie  in  demselben  Liede  u.  a.  die  Bedingung  gestellt 
wird:  „so  schast  do  mi  de  glasenborg  mit  enem  perd  up- 
riden,"  welche  Forderung  einer,  sehr  vielen  Märchen  ge- 
meinsamen, Legende  entnommen  ist,  so  findet  auch  das 
Spinnen  des  Haferstrohs  im  Märchen  seine  Verwirk- 
lichung. Eine  Müllerstochter  soll  drei  Kammern  voll  Stroh 
zu  Gold  spinnen  und  wenn  sie  das  kann  dem  König  hei- 
raten. Der  Zwerg  Rumpelstilzchen  hilft  ihr  und  sie  ge- 
winnt den  König  ^).  Dieselbe  Geschichte  wird  von  frü 
Freen  mit  dem  groten  düme  d.  i.  der  Göttin  Frikka 
erzählt.  Diese  spinnt  für  ein  Mädchen  Roggen stroh  zu 
Gold^).  Das  Mädchen  wird  dadurch  die  Gemahlin  des 
Königs.  Endlich  knüpft  sich  dieselbe  Erzählung  an  drei 
alte  Jungfrauen,  die  drei  Schicksalsgöttinnen,  wie  wir  wei- 
terhin zu  erweisen   versuchen   werden,   welche   als  Gegen- 


1)  ■\Viinderhom  11,  407.  Vcrgl.  Eik,  Liederliort  385,  152:  So  sollst 
du  mir  von  Haferstroh  wol  spinnen  die  feinste  Seide.  Vergl.  eben- 
das.  336,  153.  Simroclv,  Volksl.  567,  366.  Ich  vvelfs  ein  braunes  Mägde- 
lein, das  nahm  ich  geril  zum  Weibe,  doch  sollt'  es  mir  von  Haferstroh 
erst  spinnen  klare  Seide.  Das  Lied  findet  sich  auch  bei  Slaven  viel- 
fach wieder,  dass  es  aber  hier  nur  entlehnt  ist,  geht  aus  dea  starken  Ab- 
schwächungen  der  slav.  Varr.  hervor.  Am  treusten  blieb  eine  slavonische 
Bearbeitung  bei  Celakowsky  Slowansk(?  närodny  pjsne.  W.  Praze  1822  —  27 
I,  68,  Avo  die  Geliebte  aus  Maienregen  Seide  und  aus  der  Haferälire  Zwirn 
spinnen  soll.  Weit  abweichender  ist  z.  B.  das  lausitzische  Lied  bei  Haupt 
und  Schmaler  T,  178  CLI,  17:  Da  dyrbis  ty  wot  wosancy  rjanu  denku  zidu 
pzazö  ,,musst  du  mir  von  Pferdehaaren  Seide  spinnen  weich  und  fein." 

2)  KHM.  No.  55. 

3)  Pröhle,  Unterharz.  Sagen  S.  210.  211  in  zwei  A^'arianten.  Die  erste 
vermischt  frü  Freen  mit  dem  Zwerg  Punipcrnelle.  Eine  gleichartige  Vermi- 
schung geschah  bei  MüUenhoH'  S.  409   VIH.  „fru  Kumpeiitrunipen." 


540 

gäbe  für  ihre  Leistung  sich  ausbedingen  zur  Hochzeit 
eingeladen  zu  werden  ').  Es  scheint  nach  diesen  Zeug- 
nissen das  Haferspinnen  in  einer,  noch  nicht  klar  zu  durch- 
schauenden Beziehung  zur  Hochzeit  und  dem  Eheleben  zu 
stehen.  Die  drei  Schicksalsjungfrauen,  die  Göttin 
Fria  (Frikka)  oder  ein  Zwerg  spinnen  das  Schicksal  der 
Ehe,  Gold  aus  Stroh  ^). 

Fassen  wir  nunmehr  die  Angaben  unserer  Lieder  noch 
einmal  zusammen.  Am  Himmelstor  beim  Kinderbrunnen 
der  Holda  wohnen  drei  Jungfrauen,  deren  eine  Seidenfäden, 
die  andere  Todesbande  spinnt,  die  -dritte  ein  Gewebe 
(Hemd,  roten  Rock  u.  s.  w.)  webt,  oder  aus  Haferstroh  Fä- 
den zieht,  die  das  Schicksal  der  Ehe  zu  bestimmen  schei- 
nen. Nach  anderen  Fassuno-en  öffnet  die  eine  der  Jung- 
frauen  den  Zugang  zum  himmlischen  Lichtreich  und  — 
wenn  wir  einzelnen  Varianten  Glauben  schenken  dürfen  — 
holt  sie  aus  Holdas  Brunnen  eine  Kinderseele,  um  sie 
in  menschlichen  Körper  eintreten  zu  lassen.  Auf  das 
Schicksal  dieses  Kindes  wirken  die  vorhin  genannten 
Tätigkeiten  ein. 

Ob  in  unserm  Liede  die  Wendungen  „Maria!  Katha- 
reine  No.  1;  Anne  Mar ieke  bleibt  drinnen  No.  2;  daraus 
Maria  spinne  ein  Röcklein  für  ihr  Kindelein  No.  3;  da 
guckt  Mutter  Maria  heraus  No.  4  noch  auf  das  Dasein  ei- 
ner vierten,  von  den  drei  Jungfrauen  verschiedenen  Göttin 
im  urspiniglichen  Texte  schliefsen  lassen,  wage  ich  noch 
nicht  zu  unterscheiden.  Dafür  sprechen  könnte  das  Her- 
vorheben einer  vierten  „die  feuft^)  isch  eusi  liebi  frau" 
No.  5;  „die  viert'  sait:  bhuet  di  gott,  mei  liebe  frau'* 
No.  6;  „die  vierte  spinnt  Haberstrauh"  No.  7;  „die  vierde 


1)  KHM.  Ko.  14. 

2)  Keinen  Zusammenhang  liiemit  hat  es,  dass  auf  Grund  verschiedener 
Anschauungen  das  Hafer stroh  iu  unsern  Volksliedern  als  aphrodisisches  Sym- 
bol vorkommt,  z.  B.  Simrock,  Volksl.  310,  194.  Meier,  Kinderreime  aus 
Schwaben  64,  244.  Simrock,  KB.^  158,  G22.  Vergl.  Finn.  I,  55,  wo 
reifes  Gersten  stroh  als  Bild  der  mannbaren  Jungfrau  verwandt  ist. 

3)  Lies:  ,,die  viert,"  denn  „die  andere  floride"  ist  müfsiges  Ein- 
schiebsel. 


541 

isch  mim  bäwele  hold"  No.  8.  An  letzterer  Stelle  tritt  bei 
Simrock  KB.^  48,  170  die  vierte  auf,  obgleich  vorher 
nur  von  drei  schönen  Jungfern  die  Rede  ist.  Doch  weifs 
ich  nicht,  wie  weit  auf  die  Echtheit  dieses  Textes  Ver- 
lass  ist.  Diese  vierte  ist,  im  Fall  weiteres  Material  sie 
als  echt  bestätigt,  die  Göttin  Hol  da,  in  deren  Gesellschaft 
die  drei  Schicksalsjungfrauen  erscheinen. 

Um  die  Richtigkeit  unserer  Deutung  zu  erproben,  um 
genauere  Einsicht  in  einzelne  Angaben  unseres  Liedes  zu 
erlangen  und  schliefslich  eine  Kritik  des  Textes  versuchen 
zu  können,  wird  es  nötig  sein,  die  nordischen  wie  die  deut- 
schen Mythen  von  den  Schicksalsjungfrauen  im  Zusam- 
menhang zu  betrachten,  und  mit  unserm  Hymnus  zu  ver- 
gleichen. 

§.   6.     Die  Nordischen  Schicksalsjungfrauen. 
A.     Die  Nurnen  als  Wasserfrauen  (Apas). 

Unter  der  Weltesche  Yggdrasill  quillt  ein  Brunnen^ 
Uröarbrunnr.     Völuspä  1 9 : 

Ask  veit  ek  standa 

heitir  Yggdrasill 

har  baömr  ausinn 

hvita  auri: 

])aöan  koma  döggvar 

J?a3rs  i  dala  falla 

stendr  a3  yfir  groenn 

UrSar  brunni  '). 
Aus  einen  Saal  neben  diesem  Brunnen  kommen    drei 


1)  „Eine  Esche  weifs  ich  stehn,  heifst  Yggdrasill,  ein  Ilochbaum  benetzt 
mit  weifseiu  Nebel.  Von  da  konunen  die  Taue,  die  in  die  Täler  fallen;  im- 
mergrün steht  er  (der  BaumJ  über  Urös  15  runncn."  Die  Kecension  der 
Völuspä,  welclie  der  Verfasser  von  Gylfaginning  benutzte,  trägt  in  unserem 
Verse  die  Spuren  einer  neueren  nach  Art  der  Skäldenpoesie  umgearbeiteten 
Eecension:  Ask  veit  ek  ausinn,  heitir  Yggdrasils,  här  baÖmr  heilagr  hvila 
auri;  Jjaöan  koma  döggvar,  er  i  dali  falla,  stendr  bann  ;u  yfir  grunn  IVÖar 
brunni  Gylfag.  XVI.  —  Die  Trennung  von  ask  und  Yggdrasils  (der  Genitiv 
hat  in  der  Volkspoesie  nur  bei  der  Nebeneinanderstellung  des  Namens  und 
des  Appellativs  z.  B.  Fenris  ülfr,  Yggdrasils  askr  GeltungJ  von  ausinn  und 
hvita  auri  ist  der  Kunstpoesie    geniUfs. 


542 

Jungfrauen,  die  das  Schicksal  der  Menschen  bestimmen. 
Vöhispä  20: 

]iaSau  koma  raeyjar 

margs  vitandi 

j^rjär  or  j^eim  sal  '), 

er  und  ]>olli  stendr  -) : 

])asr  log  lögSu, 

]>xr  lif  kuru, 

alda  börnum 

orlög  seggja  ^). 
Der  Verfasser  von  Gylfagiamng  umschreibt  diese  Stelle 
der  Völuspa  so :  „Viele  schöne  Stätten  sind  im  Himmel  und 
waltet  über  ihnen  allen  göttlicher  Schutz.  Da  steht  ein 
schöner  Saal  unter  der  Esche  bei  dem  Brunnen  und  aus 
dem  Saal  kommen  drei  Mädchen,  die  so  heifsen:  ürSr, 
VerSandi,  Skuld;  diese  Mädchen  schajBfen  den  Menschen 
das  Lebensalter-  dieselben  nennen  wir  Nomen"  ^).  Auch 
wird  erzählt,  dass  die  Nörnen,  welche  am  Uröarbrunnen 
wohnen,  täglich  Wasser  aus  dem  Brunnen  nehmen  und 
dazu  den  Dünger,  der  um  den  Brunnen  liegt,  und  spren- 
o-en  es  über  die  Esche,  damit  ihre  Zweige  nicht  verdorren 
oder  verfaulen.  Das  Wasser  ist  so  heihg,  das  Alles  was 
in  den  Brunnen  kommt,  so  weifs  wird  wie  die  Haut,  die 
inwendig  in  der  Eierschale  liegt.  Den  Tau,  der  von  der 
Esche  auf  die  Erde  fällt,  nennt  mau  Honigfall  (hunängfall); 


1)  So  liest  Cod.  Amamagn.,  Cod.  Reg.  dagegen  sse  d.  i.  See.  Erstere 
Lesart  vdrA  auch  durch  Gylfag.  15  bezeugt.  Dagegen  passt  saer  See  kei- 
neswegs zum  Prädicat  stendr  im  folgenden  Halbvers;  es  ist,  wie  man  deut- 
lich sieht  dadurch  in  den  Text  gekommen,  dass  man  [)aSan  (von  dorther, 
von  dem  Baume  Yggdrasill  und  seiner  Umgebung  her)  einseitig  auf  den  zu- 
letztgenannteu  UrSarbruunr  bezog.  Mithin  hat  Petersen,  Nordisk  Mythologi 
S.  135   Um-echt,  wenn  er  See  für  die  richtige  Lesart  erklärt. 

2)  Hier  sind  durch  spätere  Hand  die  Verse  eingeschoben:  „Urg  hetu 
eiua,  aSra  YerSandi  —  skäru  a  skiSi  —  Skuld  ena  ]>riSju."  Die  Einschie- 
bunn-  geht  schon  daraus  hervor,  dass  durch  sie  der  fomyröalag  gestört  wird. 
Wir  kommen  auf  das  Einschiebsel  wieder  zurück. 

3)  Von  da  kommen  Mädchen  vielwissende,  drei  aus  dem  Saal,  der  imter 
dem  Baume  steht.  Sie  legten  das  Weltgesetz,  koren  das  Leben,  bestimmen 
den  Zeitenkindern  das  Schicksal. 

4)  Gylfag.   15. 


543 

davon  ernähren  sich  die  Bienen  ^).  Auch  nähren  sich  zwei 
Vögel  in  Urös  Brunnen,  die  heifsen  Schwäne  und  von  ih- 
nen kommt  das  Vogelgeschlecht  dieses  Namens  '). 

Fassen  wir  nunmehr  die  hier  zusammengestellten  My- 
then näher  ins  Auge,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Nornen  zu- 
nächst himmlische  Naturgottheiten,  Wasserfrauen,  Apas 
sind. 

Die  Esche  Yggdrasill  ist  längst  als  ein  Bild  des  Luft- 
himmels erklärt,  der  über  unsern  Häuptern  sich  ausspannt  ^). 
Dieser  Baum,  sagt  Gylfaginning,  ist  aller  Bäume  gröfster. 
Seine  Zwei2;e  überbreiteu  die  2;anze  Welt  und  rasen  über 
den  Himmel  *)  empor.  Drei  Wurzeln  halten  ihn  aufrecht. 
Die  eine  reicht  zu  den  Äsen,  darunter  Yiep-t  der  heilige 
Uröarbrunnen,  die  zweite  Wurzel  reicht  zu  den  Hrim- 
thursen,  darunter  liegt  der  Brunnen  des  weisen  Miuiir 
oder  Mimi,  nach  welchem  der  Baum  auch  Mimameiör  heifst, 
und  die  di'itte  Wurzel  erhebt  sich  über  Niflheimr.  Unter 
dieser  Wurzel  dehnt  sich  der  Brunnen  Hvero-elmir  aus, 
in  welchem  eine  Unzahl  schcufslicher  Wurme  liegen,  zu- 
mal der  Drache  Nidhöggr,  die  unablässig  die  Esche  be- 
nagen. 

Der  Uröarbrunnen  ist  ein  himmlischer.  Gylfag.  15 
sagt  ausdrücklich:  „Die  dritte  Wurzel  der  Esche  erhebt  sich 
im  Himmel  (l'ri?!ja  rot  asksins  stendr  ä  himni),  dahin 
reiten  die  übrigen  Äsen  zu  ihrer  neben  dem  Uröarborn  an 


1)  Die  Bedeutung  dieses  Zuges  in  der  germanischen  Mythologie  werden 
wir  gleich  erweisen.  Hier  ist  nur  auf  einen  ähnlichen  Glauben  im  klassi- 
schen Altertum  aufmerksam  zu  machen.  Man  meinte  alles  Ernstes  der  Ho- 
nig falle  durch  die  Luft  als  ein  Tau  vom  Himmel  auf  die  Erde,  wo  beson- 
ders von  Eichen,  Linden  und  Rohrblüten  die  Bienen  ihn  fix  und  fertig  ein- 
schlürften  und  dami  mit  dem  Munde  wieder  ausspieen,  während  die  Blumen 
ihnen  nur  das  Wachs  lieferten.  Im  goldenen  Zeitalter  bedurfte  es  der  Bie- 
nen nicht  einmal,  denn  so  reichlich  waren  die  Eichen  mit  Honig  betaut,  dass 
er  heruntertroft".     Vergl.  Ovid,  Metam  I,    112: 

Flumina  jam  lactis,  jam  flumina  nectaris  ibant, 
Flavaqnc  de  viridi  stillabant  ilice  mella. 
Vergl.  Voss  zu  Virgils  Georg.  IV,    1. 

2)  Gylfag.   17. 

3)  Gräter,  Nord.  Blumen  S.  55.      Idunna  und  Hermode   ISIG   No.  22. 

4)  Limar  hans  drclfast  yllr  heun   allan   ok  standa  vür  himni. 


der  Esche  Yggdrasill  gelegenen  Geriehtstatt  über  die 
Brücke  Bifröst  d.  h.  den  Regenbogen  hinauf,  Thörr 
aber  watet  um  ebendahin  zu  gelangen  durch  die  Gewitter- 
güsse (heilög  vötn  Körmt,  Ürmt  und  beide  Kerlög)  ').  Das 
Wasser  dieses  Uröarbrunnens  kann  mithin  wieder  nichts 
anderes  als  das  himmlische  Gewässer  sein.  Die  auf  dem- 
selben schwimmenden  Schwäne  erinnerten  schon  frühere 
Forscher  an  die  seh  wangestalteten  Valkyren,  in  denen 
Wolkenfrauen,  Apas  zu  erkennen  sind.  Wenn  es  heifst,  dass 
das  Wasser  des  Uröarbrunnens  so  heilig  ist,  dass  es  alles 
verjüngt  und  verklärt,  so  ist  das  deutlich  dieselbe  Eigen- 
schaft, welche  dem  Jungbrunnen  der  löunn  zusteht  (s.  oben 
S.  196.  273).  Der  letztere  wird  mithin  dem  UrSarbrunnen 
identisch  sein.  Diesen  Schluss  bestätigt  die  Edda  selbst. 
Hrafnagaldr  Oöins  erzählt  nämlich,  dass  Urbr,  die  älteste 
Nörne,  von  welcher  der  UrSarbrunnr  den  Namen  trägt,  den 
Trank  Oörscrir  bewachen  sollte,  auf  der  Esche  Ygg- 
drasill Wipfel  sitzend.  Aber  sie  sank  von  der 
Esche  herab^)  in  die  Unterwelt  zu  Hei,  der  To- 
teno-öttin,  deren  Reich  unter  der  dritten  Wurzel 
liest.  Da  haften  nimmer  der  Erdeugrund  und  Himmels- 
strahlen,  unaufhörlich  ergiefsen  sich  die  Ströme 
der  Luft^);  denn  Baldr  der  Gott  der  Unschuld  ist  dem 
Tode  nahe,  der  Weltuntergang  steht  bevor.  Für  UrSr 
wird  nun  im  Verfolg  des  Liedes  iSuun  die  prüfende  Jung- 
frau (dis  forvitin ) '') ,  der  Tränke  Ausgeberin  (veiga  selja) 
eiuo-eführt.  Sie  ist  die  in  die  Unterwelt  hinabgesunkene 
Urör;  Heimdallr,  der  weiseste  der  Äsen  ist  an  sie  abge- 
sandt, sie  nach  dem  durch   so  drohende  Vorzeichen  ange- 


1)  Gylfag.  15.  Tergl.  Uhland,  Mythus  von  Thorr  S.  23.  Oben  S.  147. 
182.     Zeitschr.   f.  D.  Myth.  II,   298. 

2)  Dvelr  i  dölum  dis  forvitin  Yggdrasils  frä  aski  hnigin. 

3)  Stendr  asva  strind  ne  rögull,  lopti  meÖ  Isevi  linnir  ei  straumi. 
Hrafnag.  üBins  5. 

4)  Forvitinn  bedeutet  eigentlich  neugierig,  aber  auch  forschend.  Vergl. 
das  davon  abgeleitete  fortvitnast  nachforschen,  nachgrübeln.  Dass  fon-itin 
für  forvitra  vorauswissend,  vorschauer.d  stehe,  wie  Simrock  zu  glauben  scheint, 
wcifs  ich  durch  keine  Parallelstellc  zu  belegen. 


545 

deuteten  Geschick  zu  befragen,  indess  Oöinn  auf  seinem 
Hochsitz  Hliöskiälf,  von  dem  aus  er  alles  sieht  und  hört, 
nach  Entfernung  jedes  Zeugen  ängstlich  herablauscht: 

Fragte  der  Weise  (Heimdallr) 

Die  Wärterin  des  Tranks, 

Ob  der  Asensöhne, 

Und  ihres  Gesindes, 

Des  Himmels,  der  Hölle, 

Des  Heims  der  Erde 

Urzeit,  Alter, 

Endziel  sie  wisse '). 
Die  Nörne,  die  aller  Wesen  Schicksal  von  der  Ge- 
burt bis  zum  Tode  voraus  weifs  und  vorher  verkündet, 
schweigt  aber,  durch  dies  Schweigen  der  ganzen  Welt  das 
entsetzlichste  Unheil  vorhersagend,  Zähren  entrollen  ihren 
Augen. 

Der  Brunnen  Mimirs,  welcher  unter  der  zweiten  Wur- 
zel der  Esche  Yofccdrasill  liesrt,  ist  wiederum  nichts  ande- 
res,  als  ein  Bild  des  himmlischen  Wolkengewässers.  Oöinn, 
heifst  es,  hat  darin  sein  Auge  als  Pfand  verborgen,  aber 
jeden  Morgen  trinkt  Mimir  Met  aus  Alvaters  (C)öins)  Pfand. 
Schon  längst  hat  man  in  diesem  Auge  das  Weltauge,  die 
Sonne  erkannt^).    Oöinn  selbst,  der  ursprüngliche  Sturm- 


1)  Hrafnagaldr  Ööins  11.  Frä  enn  vitri  veiga  selju  banda  burSa  ok 
braiita  sinna  (d.  h.  der  Einheriar,  die  in  der  Götterdäiniueriing  sowie  die 
ganze  Welt  luitergelien  sollen)  bK'ruis,  heljar,  heims  ef  vissi  ärtiÖ,  ivü, 
aldrtila. 

2)  S.  Petersen,  Nordisk  Mythologi  S.  170.  Koj'ser,  Nordmandenes  re- 
ligionsforfatning  i  hedendommen  S.  26.  J.  Grimm,  Mytli.^  G65.  W.  Mül- 
ler, Altd.  Religion  S.  184.  lieber  die  Auffassung  der  Sonne  als  Auge 
vergl.  oben  S.  142.  378  und  W.  Grimm,  Die  Sage  von  Polypheni.  Berlin 
1857  S.  27.  —  Hrafnagaldr  Ögins  5  setzt  die  oben  S.  544  angeführte  Be- 
schreibung der  dem  Weltuntergang  vorausgehenden  Zeiclien  fort:  ,, Moerum 
dylsk  i  Minus  brunni  visa  (vissa  oder  vissa)  vera.  Es  verbirgt  sich  im  mä- 
ren Mimirbrunnon  der  Menschen  Ilersclierin  (oder  der  Mens('lien  Sicherheit), 
was  N.  M.  rcterscn  bereits  a.  a.  0.  richtig  dahin  deutet  ,,die  Sonne  verbirgt 
sich  für  immer  in  Mimirs  Brunnen."  Dass  diese  Auffassung  des  üöinsauges 
die  richtige  sei,  geht  auch  noch  aus  folgender  Erwägung  hervor.  Wir  wis- 
sen, dass  das  himmlische  Gewässer  im  irdischen  Brunnen  häufig  locali- 
siert  wurde.  Eine  solche  Localisierung  kann  es  nur  sein,  wenn  der  Schwei- 
zer Volksglaube  sagt,    man  solle  nicht   in  das  rinnende  AVasser  sehen, 

35 


546 

gott  erscheint  hier  als  Himmelsgott  im  Allgemeinen,  wie 
in  der  Mythe  von  Hligskiälf  und  der  langobardischen  von 
Wodan,  der  durch  ein  Fenster  zur  Erde  sieht.  Der  Brun- 
nen, in  welchem  die  Sonne  verborgen  ruht,  lässt  keine  an- 
dere Deutung  als  auf  das  Wolkengewässer  oder  das 
Meer  zu.  Dass  aber  das  erstere  gemeint  sei,  erhellt  aus 
dem  nordischen  Dichtergebrauch  der  Wörter  hreggmi- 
m  i  r  und  m  i  m  i  r  für  Himmel,  sowie  aus  dem  klaren  Zu- 
sammenhang der  obigen  Mythe. 

Vergegenwärtigen  wir  uns,  dass  nach  unseren  früheren 
Untersuchungen  Hrimthursenland ,  wo  der  Mimirbrunnen 
liegen  soll,  in  der  Wolkenregion  zu  suchen  ist;  dass  die 
Riesen  als  böse  Himmelsdämonen  die  Himmelsgewäs- 
ser gefangen  nehmend  das  Sonnenlicht  bald  mit  finsterer 
Wolke  verdunkeln,  bald  mit  den  Schatten  der  Nacht  ver- 
decken, oder  (als  Hrimthursen)  mit  winterlicher  Dun- 
kelheit trüben^),  s.  oben  S.  168 — 213,  so  ergiebt  es  sich, 


■weil  man  da  in  Gottes  Auge  schaue.  Tobler,  Appenzell  309 b.  Myth.^ 
133.  Im  Mölltal  in  Kärnten  sagt  man  nach  einer  Mitteilung  von  Mathias 
Leser  den  Kindern,  sie  dürften  nicht  mit  dem  Stein  in  den  Brunnen  wer- 
fen, denn  darin  sei  Gottes  Auge.  Schlägt  schon  hier  UebereinstimmuDg 
der  deutschen  und  nordischen  Ueberlieferung  durch,  so  bricht  eine  solche  noch 
in  andern  Zügen  hervor.  Aus  der  obigen  Mimirmythe  entspross  die  sinnbild- 
liche DarsteUnng  Ogins  als  einäugig,  wofür  Mjth. *  133  zahlreiche  Beläge 
gesammelt  sind.  Die  Einäugigkeit  scheint  nun  auch  von  Wodan  durch  den 
Eingang  und  die  Einkleidung  einer  ganzen  Reihe  siebenbirgischer  Märchen 
bezeugt  zu  werden,  deren  Kern  übrigens  selbständig  und  unabhängig  von  die- 
sen Wodansmythen  ist.  S.  Schuster,  Wodan,  ein  Beitrag  zur  Deutschen  My- 
thologie 1856  S.  16  fgg.  Aus  der  Uebereinstimmung  der  deutschen  und  nor- 
dischen Sage  folgt  aber,  dass  05ins-W6dans  Einäugigkeit  über  die  Zeit  der 
Trennung  der  Nord-  und  Südgermanen  zurückreicht  und  daher  natursymbo- 
lische Deutung  In  Anspruch  zu  nehmen  berechtigt  ist.  W.  Grimm  a.  a.  O. 
legt  dar,  dass  die  Mythe  von  Hligskiälf  und  dem  durch  ein  Himmelsfenster 
schauenden  Wodan  nur  ein  anderer  Ausdruck  für  die  Auffassung  der  Sonne 
als  Auge  des  Höchsten,   des  Himmelsgottes  ist. 

1)  Gervasius  von  Tilbury  erzählt  I,  5  (ed.  Liebrecht  S.  1)  wahrschein- 
lich nach  Comestors  (f  1178)  Historia  evangelica  cap.  7:  Sunt  qui  dicant 
st  eil  am  magorum  suo  completo  ministerio  in  puteum  cecidisse  Bethlehe- 
miticum  et  illic  eam  intro  videri  autumant.  Ausführlicher  berichtet 
davon  bereits  Gregor  von  Tours,  Mirac.  I,  1  (s.  Liebrecht  Gervasius  S.  53). 
Geht  diese  Fabel  weit  über  Gregors  Zeit  hinauf  oder  hat  sie  sich  damals  un- 
ter germanischem  Einfluss  gebildet?  Wäre  das  letztere  der  Fall,  so  könnte 
die  Sage  bedeuten,  dass  man  in  der  heiligen  Weihnacht,  wo  auch  die  Mäd- 
chen ihren  Geliebten  im  Brunnen,  dem  Abbild  des  himmlischen  Ge- 
wässers, schauen  s.  oben  S.  522,  die  wiederkehrende  Sonne  in  neuem  Glänze 
leuchten  sieht. 


547 

dass  die  ursprüngliche  Naturbedeutung  unseres  Mythus  der 
Raub  des  himmhschen  Weltauges  durch  einen  ebenfalls 
himmlischen  Dämon  ist.  Dieser  Gedanke  erscheint  in  ver- 
schiedenen Formen  und  wird  mehrfach  auch  so  ausgedrückt, 
dass  Kiesen  und  Zwerge  das  Sonnenauge  auf  ihrem  Kör- 
per, an  ihrer  Stlrne  tragen ;  ein  lichter  Gott  reifst  es  ihnen 
aus,  die  gefangene  Sonne  befreiend  '). 

OflPenbar   hat   erst   eine  spätere  >  Zeit   in   den  Mythus 
vom   Raube   des  08insauo;es   ethische  Motive    hineinsretra 
gen,  welche  bereits  Keyser  scharfsinnig  blofsgelegt  hat  ^). 

Sind  diese  unsere  Auseinandersetzungen  richtig,  so  ist 
Mimirs  Brunnen  im  Grunde  mit  dem  Uröarbrunnr  eins  und 
nur  insofern  von  ihm  verschieden,  als  er  das  vom  Dämon 
bewachte  Wolkengewässer  bedeutet.  Eine  Angabe  der 
Snorraedda  befestigt  unsere  Erklärung.  In  H od d mimirs 
Holz  (Hoddmimis  hollt)  sollen,  nur  von  Tau  lebend,  die 
beiden  Menschen  geborgen  werden,  welche  nach  der  Göt- 
terdämmerung die  neue  Erde  zu  bevölkern  bestimmt  sind. 
Hoddmimir  d.  h.  Hort-Mimir  ist  kein  anderer  als  unser 
Mimir,  der  den  Schatz  des  Sonnengoldes  s.  oben  S.  149 
fgg.  bewacht;  sein  Holz  ist  die  Esche  Yggdrasill.  Von 
hier  nehmen  aus  Urös  =  Iguns  =  Holdas  Brunnen  oder 
dem  Baume  selbst,  wie  wir  nachweisen  werden,  die  Men- 


1)  S.  W.  Grimm,  Die  Sago  von  Polyphem  1.  c.  Der  die  Winterburij 
bauende  Jötunn  s.  oben  S.  184  fordert  vom  heiligen  Lorenz  oder  Esborn  Snare 
eins  seiner  Augen  s.  Menzel,  Odin  S.  21,  ursprünglich  vom  höchsten  Gotte. 
In  der  ältesten  Mythengestalt  raubte  er  das  A^tge  wirklich.  Das  Welt- 
auge, die  Sonne  ist  also  Winters  in  Jotungewalt.  Daher  wird  auch  in  deut- 
schen Frühlingsliedcrn  gesungen:   „Stecht  dem  Winter  die  Augen  .aus." 

2)  NordmaMidenes  religionsforfatning  1.  c.  ,,Die  Riesen  sind  älter  als 
die  Äsen  und  schauen  deshalb  tiefer  in  der  Vergangenheit  Dunkel.  Sie  ha- 
ben der  Äsen  und  der  Welt  Entstehung  gesehen  und  scliauen  in  deren  Zu- 
kunft. Um  beides  müssen  die  Äsen  bei  ihnen  Kunde  erfragen.  Der  Ilim- 
melsgott  OÖinn  selbst  sucht  Kunde  der  Vergangenheit  bei  dem  Riesen  Mi- 
mir (d.  h.  dem  kundigen)  und  dies  gesclüeht  in  den  Stunden  der  Nacht 
wenn  die  Sonne,  des  Himmels  Auge,  vom  Erdenrund  in  die  Welt  der  Riesen 
hinabgesunken  ist.  Da  erspäht  Oöinn  der  Tiefe  Heimlichkeiten  und  sein  Awa 
ist  zum  Pfand  gesetzt  fiir  den  Trank  den  er  aus  dem  Brunnen  der  Kund- 
schaft erhält.  Aber  in  der  Morgenröte  Glanz  steigt  die  Sonne  wieder  hervor 
aus  der  Welt  der  Jötune,  da  trinkt  der  Weisheit  Wächter  aus  goldenem  Honi 
den  klaren  Met,  der  aus  O'Siiis  Pfände  strömt.  Himmel  und  Unterwelt  tei- 
len sich  gegenseitig  ihre  Weisheit  mit." 

35* 


548 

sehen  ihren  Ursprung,  von  hier  soll  auch  die  Schöpfung 
des  neuen  Geschlechts  ausgehen  ').  Auch  der  dritte  Brun- 
nen unter  der  Esche  Yggdrasill,  Hvergehnir  ist  ursprüng- 
lich mit  den  beiden  andern,  dem  ürSarbrunnr  uud  Mimir- 
brunnr  identisch  und  nur  eine  weitere  Differenzierung.  In 
dem  grofsen  Abgrunde,  der  am  Aufiiug  der  Zeiten  war, 
erzählt  Gylfaginuing  4,  in  Giunüngagap  bildete  sich  am 
nördlichen  Ende  die  Nebelwelt  Niflheimr,  in  deren  Mitte 
ein  Brunnen  Hvergelmir  d.i.  der  rauschende  Kessel  ent- 
stand. Aus  ihm  ergossen  sich  zwölf  Ströme,  Elivägar  d.  h. 
die  fremden  Wogen  genannt,  aus  welchen  der  Urstoff  alles 
Seins  entspross.  üeber  Niflheimr  erhebt  sich  nun  die  dritte 
Wurzel  des  Baumes  Yggdrasill  und  an  ihr  nagt  beständig 
der  Drache  Niöhöggr  von  unten  auf^).  Diesen  Drachen 
Niöhöggr  lernten  war  aber  bereits  oben  S.  322  als  den 
Giftwurm  kennen,  der  in  Niflheims  Wasserhölle  (Näströnd) 
die  Leichname  der  Meineidigen  und  hinterlistigen  Mörder 
aussaugt.  Wir  sehen  hier  also  wiederum  einen  Brunnen 
vor  uns,  aus  dem  das  Leben  seinen  Anfang  nimmt,  und 
wohin  die  Toten  zurückkehren.  Wir  haben  nun  schon  oben 
S.  167.  190.  207.  325.  439  gezeigt,  dass  die  Wasserhölle 
ursprünglich  ein  coelestischer  Aufenthalt  war.  Falls 
raeine  und  Zachers  Deutung'')  des  Orentil-Örvandill  als 
Lichtwesen,  als  Feuerfunke  richtig  ist,  so  ergiebt  die 
Mythe,  dass  Thörr  den  Örvandill  über  die  Eisströme  der 
Elivägar  trägt,  auch  für  diese  die  Bedeutung  des  im 
Winter  von  den  Hrimthursen  eingefrorenen  Wolkenge- 
wässers. Die  cosmogonische  Mythe,  dass  aus  Hvergel- 
mir und  den  Eliviigur  der  Ürstoff  der  Welt  strömte,  be- 
sagte mithin  anfänglich  nichts  anderes,  als  dass  im  Norden 
herabströmende  Regengüsse,  die  zu  Eis  erstarrten,  die  erste 


1)  Mit  dein  hier  gefundenen  Resultat,  dass  Mimirs  Braunen  =  Holdas 
Kinderbrunnen  ist,  stimmt  auch,  dass  die  deutsche  Sage  Mimi  als  Herscher 
der  Elbe  =  Seelen  kennt.  Vergl.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  lY, 
98  fgg. 

2)  Vergl.   Simrock,  Handb.   d.  D.  Myth.  S.  14.   15. 

3)  Grimnism.   35.      Gylfag.  15.    16. 

4)  Zacher,  Das  Gothische  Runenalphabet  34  fgg.  Zeitschr.  f.  D.  Myth. 
IL  316  fgg.     Vergl.  oben  S.  170.  224. 


549 

feste  Materie  im  Chaos  schufen.  Dass  die  eddische  Cos- 
mogonie  das  Himmelsgewölbe  erst  später  aus  "Vmirs  des 
Urriesen  Schädel  entstehen  lässt,  ist  kein  Gegenbeweis, 
denn  die  eddische  Mythologie  bietet  hier  wie  überall  die 
systematische  Ordnung  verschiedener  sich  ursprünglich  wi- 
dersprechender Anschauungen  und  Vorstellungen,  die  ne- 
beneinander herliefen.  Diese  Systematisierung,  vielleicht 
jedoch  schon  eine  frühere  Zeit  hat  Hvergelmir  in  die  Tiefe 
unter  die  Erdscheibe  oder  nördlich  neben  diese  verlegt '). 
In  diesen  drei  Brunnen  zeigt  sich  nicht  allein  eine 
gleiche  Grundanschauung,  sondern  zwischen  dem  Uröar- 
born  und  Hvergelmir  waltet  auch  ein  strenger  Paralelis- 
mus,  der  ihre  ursprüngliche  Einheit  weiter  beweist.  Hver- 
gelmir liegt  nördlich  (vergl.  oben  S.  322),  der  UrÖarbrunnr 
sein  Gegensatz  südlich,  wie  aus  einer  Strophe  Eilifs  GuS- 
rünarsonr  von  Christus  hervorgeht; 

Setbergs  kveöa  sitja 

su'6r  at  Uröarbrunni 

svä  hefir  ramr  konüngr  remöan 

ßoms  banda  sik  löndum  ^). 


1 )  Dass  unter  der  dritten  Wurzel  der  Eselie  die  unseligen  wohnen,  sagt 
Grimnismäl  31  in  einer  anderen  Form:  „Drei  Wurzeln  strecken  sieh  nach 
dreien  Seiten  unter  der  Esclie  Ypgdrasill.  Hei  wohnt  unter  einer,  Ilriintlnir- 
sen  unter  der  anderen,  aher  unter  der  dritten  die  Menschen."  Mit  Unrecht 
schliefst  Simrock,  Handbuch  S.  38.  39  aus  dieser  Stelle,  dass  Gjdfaginning  15 
nur  misverstiiudlicli  Ur'ös  Brunnen  im  Himmel  liegen  und  die  dritte  Wurzel 
bei  den  Äsen  liegen  lässt.  Wenn  der  Verfasser  von  Gylfaginning  auch  Grim- 
nismäl kannte  und  benutzte,  so  lag  ihm  hier  doch  eine  andere  Quelle  vor, 
wie  die  abweichende  Nennung  der  Äsen  und  Hvergelmirs  für  die  jNIenschen 
und  llel  in  jenem  Liede  lehrt  imd  wir  haben  keinen  Grund  die  Meldung  die- 
ser anderen  Quelle  anzufecliten.  Wenn  Simrock  meint,  dass,  falls  die  dritte 
AVurzel  zum  Himmel  reichte,  oder  der  Brunnen  selbst  im  Hinnnel  lüge,  die 
Götter  nicht  über  die  Asgard  und  Mi'ögard  verbindende  Brücke  Bifröst,  den 
Regenbogen  zu  reiten  braucliten,  so  bedenkt  er  nicht,  dass  bei  aller  Svste- 
matisierung  die  Vorstellungen  einer  jeden  Mytliologie  nie  in  strengem  logi- 
schen Zusannnenliang  stehen  und  dass  der  Regenbogen  nur  die  Götterstrafse 
überliaupt  bezeichnet,  ohne  dass  der  Weg  auf  ihr  notwendig  immer  zur 
Erde  führen  niüsste.  Warum  aber,  wie  derselbe  Gelehrte  a.  a.  O.  S.  34  be- 
merkt, keine  Wurzel  Yggdrasils  zu  den  Äsen  reichen  kann,  da  die  Zweige 
über  den  Himmel  liinaufreichen  sollen  sehe  ich  niclit  ein,  da  die  Wurzel  sehr 
wol  im  Äsenliimmel  haftend  gedaclit  sein  kann,  während  die  Aeste  über  dem- 
selbe.i  sicli  teilen  (ok  standa  yjir  himni). 

2)  Skitldskaparm.  cap.  52.     SuE.  Arn.  I,  446. 


_550 

Südlich  liegt  auch  GimilP),  dem  nördlichen  Nä- 
strönd-Hvero-elmir  entoreoreno-esetzt  und  wir  werden  hier- 
nach  eine  nahe  Beziehung  von  Gimill  zum  Schicksalsbrun- 
nen vermuten  dürfen.  Hieraus  folgt,  dass  der  Brunnen  der 
UrS  dasselbe  im  guten,  wie  Hvergelmir  im  bösen  Sinne 
ist;  Mimirs  Quelle  aber,  die  wie  das  ganze  Riesenland  eben- 
falls nördlich  gedacht  ist,  fällt  noch  näher  mit  Hvergelmir 
zusammen  und  ist  nur  durch  Modification  der  Auffassung 
von  diesem  verschieden. 

Wenn  den  vorstehenden  Untersuchungen  zufolge  die 
Esche  Ygordrasill  über  dem  Wolkenf^ewässer  sich  erhebt, 
so  weisen  auch  noch  weitere  Züge  ihr  die  Naturbedeutung 
eines  Wolkensebildes  zu.  Heimdalls  lauttönendes  Hörn 
(hljöS)  ist  unter  dem  äthergewohnten  heiligen  Baume  ver- 
borgen : 

Veit  hon  Heimdallar 

hljöö  um  fölgit 

undir  heiövönum 

helgum  baSmi  -)- 
In  Heimdallr  haben  w4r  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  H,  309 
fgg.;  ni,  117;  oben  S.  115.  125,  Anm.  4  einen  Gewitter- 
gott, in  seinem  „  Ton, "  dem  Schall   des  Gjallarhorns   den 
Donnerhall  nachgewiesen.    Dieses  Hörn  ist  in  der  Wolke 
verborgen,    dort   wo    die    Sonne   in   Mimirs  Brunnen   ruht. 
Denn  dieselbe  31ste  Strophe  des  Völuspä,  fährt  fort: 
A  ser  hon  ausask 
aurgum  fossi 
af  veSi  ValföSrs  ^). 
und  Gylfaginning    15    berichtet,    dass  Mimir    täglich   von 
dem  Brunnen  unter  der  Esche,   worin  Weisheit  und  Ver- 
stand  verborgen   ist,   aus   dem  Gjallarhorn    trinkt.    — 
Der  Mittelstamm  (oder  Schicksalsbaum  mjötuSr  aus 


1)  Gylfag.   17. 

2)  Weifs  sie  (die  Vala)  Heimdalls    —    Laut   verborgen    —    Unter    dem 
äthergewohnten  —   Heiligen  Baume.     Yöluspä  31. 

3)  Einen  Strom  sielit  sie  sich  ergiefseu  —  Mit  schäumeudem  Strudel  — 
Aus  Walvaters  Pfand. 


r)5i 

uijötvi^r)  entzündet  sich  beim  Gjallarhorn  wenn  Heiiu- 
dallr  einst  laut  in  der  Luft  (a  lopti)  sein  Hörn  zum  Be- 
ginne des  Weltgerichts  bläst');  d.h.  die  Wolke  hallt  von 
donnerndem  Gewittergetöse  wieder,  furchtbares  Unwetter 
verkündet  das  Hereinbrechen  des  jüngsten  Tages. 

In  Yggdrasils  Krone  sitzt  ein  Aar,  der  viele  Dinge 
weifs.  Im  Adler  haben  wir  bereits  mit  ühland  ein  nord- 
germanisches Bild  des  Windes  erkannt. 

Simrock  hat  entschieden  Recht,  wenn  er  a.  a.  O.  S.  36 
lehrt:  Yggdrasils  über  Vallhöll  reichender  Wipfel  wird  Gyl- 
fag.  39  als  ein  selbständiger  Baum  aufgefasst").  „Die  Ziege, 
welche  Heiörün  heifst,  steht  oben  in  Vallhöll  und  weidet 
in  dem  Laube  des  vielberühmten  Baumes  (er  mjök  er  nafn- 
fra^gd)  Leraör.  Aus  ihren  Eutern  rinnt  Met,  welcher  täg- 
lich eine  Schale  von  solcher  Gröfse  füllt,  dass  alle  Einher- 
jar  sich  davon  sättigen  können.  Noch  merkwürdiger  ist 
der  Hirsch  Eikthyrnir,  der  auf  Vallhölls  Dache  steht  und 
desselben  Baumes  Zweige  abweidet,  und  von  seinem  Ge- 
hörn fallen  soviel  Tropfen  herab,  dass  sie  nach  Hvergelmir 
fliefsen  und  daraus  folgende  Ströme  entspringen:  Siö,  Viö, 
Sekin,  Ekin,  Svöl,  Gunn|?rö,  Fjörm,  Fimbulj^ul,  Gipul,  Gö- 
pul,  Gömul,  Gelrvimul:  diese  strömen  um  der  Äsen  Wohn- 
sitze nieder.  Noch  werden  die  folgenden  genannt:  ]'yn, 
Vin,  fjöll,  Böll,  Gräö,  Gunn]>räinn,  Nyt,  Naut,  Nönn,  Ilrönu, 
Vina,  Vegsvinn,  |)jöönuma  ^). 

Die  Ziege  Heiörün  ist  schon  oben  S.  64,  Anm.  1  als 
der  Wolkenkuh  identisch  nachgewiesen;  auch  der  Hirsch 
Eikthyrnir  giebt  sich  deutlich  als  ein  Bild  der  Wolke, 
von  dem  die  Regenflüsse  ausströmen,  zu  erkennen*). 


1)  Völuppä  47. 

2)  Es  geht  das  nämlich  aus  dem  Znsammenhang  in  Grimnlsmäl  hervor, 
woraus  hier  der  Verfasser  von  Gylfaginniiig  entlehnt. 

3)  Gylfag.  39.  Grimnism.  20 — 29  wird  noch  gesagt,  dass  von  diesen 
Flüssen  alle  Wasser  kommen  (])aöan  eiga  vötn  öU  vega).  Die  erste  Abtei- 
lung bis  Geirvimul  ,,liverfa  um  liodd  goSa"  schlingen  sich  um  der  Götter 
Hürde,  die  anderen  „falla  gununum  u;er  en  Mla  til  Heljar  he'öan"  fallen  den 
Blenschen  näher  und  strömen  von  da  in  die  Unterwelt. 

4)  Wenn  daneben   auch  ein  Sonne  nhirsch   in   der  germanischeu  My- 


552 

Den  Namen  Yggdrasill  erklärt  man  OSins  Träger  aus 
OSins  Beinamen  Yggr  und  drasill  Träger  oder  Ross  und 
erinnert,  da  in  alten  Formeln  für  hangen  der  Ausdruck 
„am  Galgen  reiten"  gebraucht  wird'),  an  die  Angabe 
des  Havamal,  dass  ÖSinn  neun  Tage  sich  selber  geweiht 
am  windigen  Baume,  der  Esche  Yggdrasill  hing  und 
Eunenlieder  erdachte.  Diese  Mythe  vergleicht  sich  trefiend 
mit  der  hellenischen  von  Hera,  der  Wolkengöttin,  die  Zeus 
mit  den  Gewitterhämmern  (äxuovsg)  an  den  Füfsen  zum 
Himmel  hinausgehängt  hat.  "Wir  sahen  schon  öfter  oben 
S.  95.  271,  dass  Wodan  mit  dem  wilden  Heer  zeitweilig 
im  Kinderbrunnen,  d.  i.  der  am  Himmel  hängeuden  Wolke 
seinen  Aufenthalt  hat.  Das  Haugen  Oöins  am  windigen 
Baume  ist,  vv^eun  unter  diesem  ein  Wolkengebilde  zu 
verstehen  ist,  nur  ein  anderer  Ausdruck  für  dieselbe  Vor- 
stellung. Kommt  der  Tau,  der  in  die  Täler  fällt,  eben- 
falls von  der  Esche  Yggdrasill  d.  h.  der  Wolke,  so  weist 
die  Angabe,  dass  von  diesem  Tau  die  Bienen  sich  nähren, 
nicht  minder  auf  ein  Wolkengebilde  hin.  Wir  haben 
oben  S.  371  Bienenschiff  (byskip)  als  poetische  Bezeich- 
nuno: der  Wolke  kennen  a:elernt. 

Nach  Sonneuunteriranof  bildet  sich  häutig  ein  Wolken- 
gebilde,  das  einem  Baume  mit  ausgebreiteten  Aesten  gleicht. 
Zu  Tilleda  am  Kifhäuser  und  zu  Bartelfelde  am  Harz 
nennt  man  dasselbe  Wetter  bäum  und  sagt,  danach  re- 
giere sich  das  Wetter;  wohin  die  Spitzen  gehen,  dahin 
werde  sich  der  Yv'ind  wenden.  In  der  Uck-^rmark  nennt 
man  dieses  Wolkengebilde  den  Abrahams  bäum,  an  an- 
dern Orten  Adamsbaum.  Man  sagt  „der  Abrahams- 
baum blüht,  es  wird  regnen."  Blüht  er  nach  Mittag  zu, 
so  giebt  es  gutes  Wetter,  nach  Mitternacht,   so   giebt  es 


thologie  anerkannt  -vrerden  muss,  s.  Simrock,  Bertha  die  Spiunerin  S.  77  fgg. 
Zacher,  Das  gotlnsche  Runenalphabet  S.  87  fgg.,  so  haben  wir  darin  ein  neues 
Beispiel  für  das  oben  S.  37  fgg.  Anm.  6  beobachtete  Zusammentreffen  der 
Licht-  und  Wolkensymbole. 

1)  Einen  dürren  Baum  soltu  reiten.  Wehner  ed.  Schilter  222b.  |?ät 
bis  byre  ride  giong  on  galgan.  Beow.  182.  Ridend  svesajj  hälej>  in  ho|>- 
man.  Beow.  183.    KA.  41. 


553_ 

Regen  ').  Aus  Skandinavien  sind  mir  dergleichen  Aus- 
drücke noch  nicht  bekannt  geworden,  gleichwol  stimme  ich 
mit  A.  Kuhn  a.  a.  O.  S.  324  darin  überein,  dass  eine  der- 
artige Anschauung,  ein  aus  dem  Wolkenbrunnen  (UrSar- 
brunnr,  Mimisbrunnr,  Hvergelmir)  sich  erhebender  Adams- 
baum die  Naturgrundlage  der  Yggdrasillmythe  gebildet 
habe.  Da  mit  diesem  Baume,  wie  wir  noch  weiter  sehen 
werden,  die  Bedeutung  eines  Lebensbaumes  schon  früh  ver- 
knüpft war,  so  war  mit  der  irdischen  Localisierung  von 
Mimisbrunnr  und  der  unterirdischen  von  Hvergelmir  die 
Erweiterung  der  Yggdrasillmythe  zum  Sinnbilde  des  Vv  elt- 
gebäudes  schon  gewissermafsen  gegeben. 

Hiemit  sollen  weitere  philosopische  und  ethi- 
sche Ideen,  welche  zur  Bildung  dieses  Mythus 
mitwirkten,  und  in  der  Eddenlehre  die  Natur- 
bedeutung vollständig  überwuchern,  keineswegs 
abgeleugnet  werden^;. 

Die  Göttinnen,  welche  in  so  enger  Verbindung  mitB  au  m 
und  Brunnen  stehen,  müssen  aufser  oder  vielmehr  vor 
der  ethischen  Idee,  welche  durch  sie  personificiert  ist,  eben- 
falls eine  Naturbedeutung,  sie  müssen  eine  nahe  Beziehung 


1)  Kuhn  und  Schwartz,  Nordd.  Sagen  S.  455,   412. 

2)  Kuhn  und  Weber  vergleichen  Ind.  Studien  I,  397  mit  Yggdrasill  den 
indischen  Feigenbaum  Ilpa,  der  am  alterlosen  Strome  steht  und 
durch  seineu  Anblicli  jung  macht.  Dieser  Baum  trägt  alle  Früchte 
der  Welt.  Er  hat  seine  Wurzel  nach  oben  mul  die  Zweige  nach  unten  ge- 
richtet. Honig  oder  Soma  tröpfelt  von  seinen  Zweigen  und  wunderbare  Vö- 
gel sitzen  auf  denselben.  Dieser  Baum  heifst  aucli  a^.vattha  d.  i.  Rossstand, 
Pferdestätte  (s.  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  4G8)  wie  der  Baum,  in  wel- 
chem Agni,  das  Gewitterfeuer  sich,  die  Gemeinschaft  der  Götter  fliehend,  in 
Rossgestalt  barg.  Diesen  A9vattha-  oder  Feigenbaum  hat  Kuhn  bereits  gleich 
dem  ^oiifoc;  in  der  Sage  des  Demeter- Frinys  als  die  Wolke  gedeutet  luid 
mit  dem  Vogelbeerb  anm,  der  Thorr  rettet  (Thors  björgj,  s.  oben  S.  14. 
21  zusammengestellt  (Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  4G7.  Zeitscln-.  f.  D. 
Mytli.  III,  3'.)0).  Der  Baum  Ilpa  wird  eine  diesem  acvattlia  ähnliche  Katur- 
bedeutung liaben.  Die  Zusammenstellung  des  A9vatthabanmes,  in  dem  Agni 
sich  verbirgt,  mit  dem  Vogelbeerbaum  befestigt  sich  durch  eine  von  Kuhn 
aufgefundene  Vedenstelle,  voiiach  man  die  Kühe  dreimnl  mit  der  Rute  des 
a(]vntthn  schbuj ,  um  sie  milchreich  zti  machen.  Das  Kälberquieken  s.  oben 
S.  19  ist  also  bereits  urindogermanische  Sitte,  imd  —  da  Blilz-  und  Wol- 
kensymbole begreiflicherweise  leicht  wechseln  —  wird  die  zu  diesem  Belnif 
benutzte  A^vattiiarute  ein  Symbol  des  göttlichen  Vajra  sein,  wie  die  Vogel- 
beerrutc  ein  Abbild  von  Thunars  ülitzhammer  ist. 


554 

zum  himmlischen  Gewässer  gehabt  haben.  Diese  Natur- 
bedeutung  leuchtet  nun  auch  im  Eddeuglauben  aus  aller 
Verdunkelung  ihres  ursprünglichen  Mythus  hervor.  Im  er- 
sten Liede  von  Helgi  Hundmgstöter  wird  das  Erscheinen 
der  Schicksalsjuugfrauen  so  beschrieben:  Ein  Zeitpunkt  war 
vor  Alters,  da  Aare  sangen,  heilige  Wasser  ran- 
nen von  Himmelsbergen,  da  hatte  den  Helgi,  den 
mutstarken  Borghildr  geboren  in  Brälundr.  Nacht  ward 
in  der  Burg,  Nornen  kamen,  die  dem  Edihng  das  Al- 
ter bestimmten,  sie  hiefsen  den  Fürsten  hochberühmt  wer- 
den und  als  der  Herscher  besten  gelten.  Sie  schnürten 
da  mit  Kraft  die  Schicksalsfäden,  davon  brachen  die  Bur- 
gen in  Brälundr  ').  Ausbreiteten  sie  das  goldene  Band  und 
mitten  nnter  dem  Mondessaal  festigten  sie  es. 

Unter  Windbrausen  und  Gewittersturm  (denn  das  be- 
deuten die  singenden  Aare  und  heiligen  Wasser,  die  von 
Himmelsbergen  rinnen,  s.  oben  S.  182)  wird  Helgi  gebo- 
ren; der  Aufruhr  der  Natur  zeigt  des  Helden  weltbewe- 
gende Gröfse  vorbedeutend  an.  Als  es  Nacht  wird,  nahen 
die  Nornen;  so  stark  schnüren  sie  im  Gewittersturm  die 
vorbedeutenden  Schicksalsfäden,  dass  davon  Burgen  zusam- 
menbrechen. Das  schicksalkündende  Unwetter  ist  also  der 
Göttinnen  Werk,  sie  haben  Blitz,  Donner,  Regen  und  Wind 
erregt,  um  dem  Volke  ihres  Schützlings  einstige  Macht 
schon- jetzt  im  Bilde  vor  Augen  zu  führen.  Spricht  schon 
dieser  Zug  den  Schicksalsjungfrauen  Gewalt  über  die  Ele- 
mente zu,  so  geht  ihre  Naturbedeutung  noch  mehr  aus  dem 
Zuge  hervor,  dass  sie  ihr  goldenes  Seil  unter  dem  Mondes- 
saal d.h.  am  Himmelsgewölbe  befestigen.  Dieser  An- 
gabe  tritt  eine   andere   aus   der  Eyrbyggjasaga  zur  Seite, 


1)  Der  Verderbnis  in  den  Worten:  „{>ä  er  borgir  braut  i  Brälundi"  ist 
mit  Siclierlieit  nicht  abzuhelfen,  da  ein  Femininum  |)ätta  für  Jiattr  im  vor- 
hergehenden Verse  sonst  nicht  zu  belegen,  die  Verschreibung  von  brutu  in 
braut  aber  schwer  annehmbar  ist.  Die  Zusammensetzung  borgir  -  braut 
für  borgar  -  braut ,  oder  borgbraut  ist  grammatisch  imzulässig.  Unerhört 
endlich  wäre  es,  dass  beim  JMasc.  wie  oft  beim  Neutr.  Plur.  das  Verbum  im 
Sing,  stünde.  Der  Sinn  der  Stelle  ist  jedoch  in  jedem  Falle  klar  und  ge- 
sichert. 


555 

um  den  Nörnen  die  Herrschaft  über  die  Naturpbünomene 
am  Himmel  zuzusprechen.  Zu  Froöä  auf  Island  war  in 
einem  Gehöft  eine  grofse  Heizstube  (elldaskäli).  Darin 
pflegten  die  Hausleute  Abends  vor  dem  Nachtmahl  um 
das  Feuer  zu  sitzen.  Eines  Abends  zeigte  sich  an  der 
Bretterwand  des  Hauses  (ä  veggj'ili)  ein  Halbmond  (tüngl 
hälfr),  so  dass  alle  ihn  sahen,  die  im  Hause  waren.  Der 
ging  rückwärts  und  von  der  Sonne  abgekehrt  um  das  Plans 
und  verschwand  nicht,  so  lange  die  Leute  am  Feuer  sa- 
fsen.  Auf  die  Frage,  was  das  zu  bedeuten  habe,  sagte  ei- 
ner der  Anwesenden,  Thori,  das  sei  ein  Uröarmäni  (Mond 
der  UrSr)  „und,"  fügte  er  hinzu,  „ein  allgemeines  Sterben 
(mandauöi)  wird  statthaben."  Die  ganze  Woche  zeigte 
sich  der  ürSarmond  Abend  für  Abend  und  bald  darauf 
starb  der  gröfste  Teil  der  Hausbewohner'). 

Fördern  diese  Züo-e  unsere  Untersuchuno-en  nur  so- 
weit,  um  die  Wirksamkeit  der  Nörnen  in  himmlischen  Na- 
turscheinungen  zu  erkennen,  so  lässt  sich  aus  andern  My- 
thenresten noch  mit  Sicherheit  ihre  Stelle  im  älteren  Na- 
turkultus erkennen.  Die  bisher  namhaft  gemachten  Edden- 
stellen wissen  nur  von  drei  Schicksalsjungfrauen.  AVir 
haben  aber  noch  Zeugnisse  dafür  erhalten,  dass  die  Drei- 
zahl eine  Einschränkung  aus  einer  gröfseren  Mehrzahl  ist. 
In  einer  ojäenbar  eingeschobenen  Strophe  in  Fafnismul  13 
heifst  es: 

Hverjar  'ro  J^oer  nornir, 

er  nauSo-öufflar  'ro 

ok  kjösa  moeSr  frä  mögum? 

„Sundrbornar  mjök 

hygg  ek  at  nornir  se, 

eiguö  ]>cev  rett  saman ; 

sumar  eru  askungar, 

sumar  älfkungar 

sumar  doetr  Dvalins"  -). 


1)  Eyrbyggjasaga  cd.  Tliorkeliii.   Ilavn   1787   caii.  LH.  S.  368  fgg. 

2)  Welches  sind  die  Nörnen    —    Die   notlösend  hcifscu   Und  Mütter 

niügeu  entbinden?  —  „Verschiedueu  Gesclilecüts  —  Wähn'  ich  die  Nöraeu," 


556 

Der  Verfasser  von  Gylfaginning  giebt  folgende  Inter- 
pretation dieser  Stelle:  ürör,  VerSandi,  Skuld,  diese  Mäd- 
chen bestimmen  den  Menschen  die  Lebenszeit  (skapa  mön- 
num  aldr),  sie  nennen  wir  Nörnen.  Aber  es  giebt  noch 
mehrere  Nörnen,  die  welche  zu  jedem  Menschen  kommen, 
der  geboren  wird,  um  ihm  die  Lebenszeit  zu  bestimmen 
(at  skapa  aldr)  und  sind  diese  vom  Göttergeschlecht,  an- 
dere vom  Alfengeschlecht,  noch  andere  vom  Zwergenstamm. 
Da  sprach  Gängleri  „Wenn  die  Nörnen  über  der  Menschen 
Schicksale  walten,  so  teilen  sie  ihnen  erstaunlich  ungleich 
zu,  denn  einige  Menschen  leben  glücklich  und  im  Wol- 
stande,  die  andern  geniefsen  weniger  Glück  und  Ruhm, 
einige  erreichen  eine  lange,  andere  eine  kurze  Lebenszeit. 
Här  sagte:  Gute  Nörnen  und  von  gutem  Geschlechte  (vel 
aettaSar)  stammende  bestimmen  eine  gute  Lebenszeit  (skapa 
gööan  aldr),  geraten  aber  Menschen  in  Unglück,  so  wal- 
ten üble  Nörnen  (illar  nörnir)  darüber." 

Von  einem  Unterschied  zwischen  den  drei  Nörnen 
Urör,  VerSandi  und  Skuld  und  den  andern  ist  hier  nichts 
zu  gevi^ahren,  sie  alle  bestimmen  der  Menschen  Lebenszeit 
(skapa  mönnum  aldr).  Aus  unserer  Stelle  geht  aber  her- 
vor, dass  neben  dem  Glauben  an  die  drei  Schicksalsjung- 
frauen eine  andere  Vorstellung  herlief,  wonach  diese  meh- 
rere waren  und  eine  ganze  Klasse  mythischer  Wesen  um- 
fassten;  Götter,  Zwerge  und  Alfen  haben  ihre  eigenen 
Schicksalsgöttinnen.  Die  guten  Nörnen  (gööar  nörnir), 
welche  nach  dem  Schluss  der  eben  angezogenen  Stelle  den 
Übeln  Nörnen  (Ijötar  nörnir)  entgegenstehen,  könnten  nur 
eine  andere  ethische  Auffassung  derselben  Wesen  sein; 
wenn  die  Schicksalsgöttinncn  Glück  bescheereu  sind  sie 
gute  Nörnen,  wo  sie  Unglück  verhängen  üble.  Aber  der 
Zusatz  „velsettaöar  zeigt,  dass  auch  hier  von  einer  ganzen 
Götterschar  die  Rede  ist,  welche  ihrem  Begriife  nach  in 
das  Wesen   der   Schutzgeister   (fylgjar,  hamingjar),   zumal 


—  Nicht  haben  sie  eiue  Abkunft.  —  Einige    sind    vom  Äsenstamm,    —   Ei- 
nige ÄU'engeschlechtes,   —  Einige  Zwergeutöchter. 


557 

der  Völker-  oder  Familienschutzgeister  (kynfylgjar,  ^ttar- 
fylgjar)  hinüberstreift.  Es  entsteht  nun  die  naheHegeude 
Frage,  ob  diese  Mehrzahl  nicht  eine  späte  Erweiterung, 
die  Dreizahl  das  Ursprüngliche  sei.  Diese  Frage  löst  sich 
zu  Gunsten  der  Mehrheit,  sobald  wir  ins  Auge  fassen,  dass 
in  allen  concreten  Sagenzügen  die  Nörnen  mit  den  Wesen 
der  grofsen  Götterschar  der  Valkyren  zusammenstimmen  ^). 
Die  Valkyren  sind  göttliche  Mädchen,  ebenso  schön 
als  furchtbar.  Sie  kredenzen  in  Vallhöll  den  gefallenen 
Helden  den  Met.  In  Schwangewand  fliegen  sie  über 
Meer  und  Land,  und  baden  in  stillen  Seen,  oder  sie  rei- 
ten durch  die  Luft  auf  Wolkenrossen,  von  deren 
Mähnen  Tau  in  die  Täler  und  Hagel  in  den  Wald 
fällt,  daher  wird  die  Erde  fruchtbar-).  Sie  ziehen, 
von  Oöinn  ausgesandt,  in  die  Schlacht,  um  den  Käuipferu 
beizustehen  und  auszuwählen,  wer  zu  OSinn  zu  Gaste  kom- 
men solle,  d.  h.  wer  zu  sterben  bestimmt  sei.  Der  Ver- 
fasser von  Gylfaginning  sagt  cap.  36  von  ihnen:  Oöinn 
sendet  sie  zu  jeder  Schlacht,  ihrem  Urteil  unterliegt  es, 
ob  ein  Mann  dem  Tode  geweiht  sei  und  sie  bestimmen 
den  Sieg  i]>ver  sendir  Oöinn  til  hverrar  orostu,  ji^r  kjösa 
feigö  ä  menn,  ok  räöa  sigri).  Sehr  schön  ist  in  dem  auf 
Eirikr  Blöööx  im  lOten  Jahrhundert  gedichteten  Eiriksmäl 
beschrieben,  wie  die  Valkyren  zum  Empfonge  dieses  Kö- 
nigs in  Vallhöll  die  Bänke  bestreuen,  die  Gefafse  scheuern 
und  Wein  bringen  müssen,  während  Sigmundr  und  Sinfjötli 
dem  Helden  entge":eno:ehen.  Nach  dem  Eiriksmäl  ist  etwa 
20  Jahre  später  von  Eyvindr  Skäldaspillir  das  Häkonar- 
mäl  auf  Häkon  den  Guten  von  Norwegen  gedichtet,  der 
gegen  die  Söhne  des  Eirikr  Bloööx  um  951  fiel.  Da  se- 
hen wir  Gündul  und  Skögul  mitten  im  heifsen  Kampfe. 
Göndul  spricht,  gestützt  auf  den  Speerschaft  und  der  Kö- 
nig vernimmt,  was  die  göttlichen  Mädchen  von  des  Rosses 


1)  Ueber  ihre  ethische  Verwandscliaft   s.  bereits  Frauer,    Die  Walkvrien 
der  skandinav.-german.  Götter-  «ml  Heldensage.     Weimar   1846   S.  3G  fgg. 

2)  Helgaquiöa  lijörvarössonar  28:  Marir  hristusk,  stöö  al"  mönum  {)eirra 
dögg  i  djüpa  dali,   hagl  i  hava  viön,  }?aÖaii  kenir  me')  öldum  är. 


558 

Rücken  reden,  wo  sie  sorgenvoll  sitzen  mit  dem  Helm  auf 
dem  Haupt  und  den  Schild  in   der  Hand.     Dann  geleiten 
sie  ihn  nach  Vallhöll  *).     Adler  und  Raben,  die  Tiere, 
welche  Oöinn  begleiten,  nach  dem  Blute  der  Erschlagenen 
lechzend,    heifsen   auch    der   Valkyrien   VögeP).     Das 
Schicksal  der  kommenden  Schlacht  verkünden   die  Valky- 
ren  voraus,  indem  sie  ein  blutrotes  Gewebe  weben.   Nach 
der  Njalssaga  sah  am  Tage  der  Schlacht  von  Dublin  1014 
ein  Mann  auf  Katanes  zwölf  Jungfrauen  zu  einer  Kammer 
reiten  und  dort  verschwinden.     Er  guckte  durch  ein  Fen- 
ster in  das  Gemach  und  gewahrte  da,  dass  die  Frauen  ein 
Gewebe  aufgeführt  hatten;  Menschenhäupter  hingen  statt 
der  Gewichte  herab,  und  Gedärme  dienten   statt   des  Zet- 
tels und  Einschlags,   ein  Schwert   vertrat  das  Schlagbrett, 
ein  Pfeil  den  Weberkamm.     Dazu  sangen  die  Jungfrauen: 
Weit  ist  geworfen  —  zum  Beginn  der  Schlacht  — 
Des  Webstocks  Aufzugwolke,  es  regnet  Blut; 
Schon  ist  über  die  Gere  das  graue  Gewebe 
Der  Krieger  gespannt,  das  die  Freundinnen  füllen 
Mit  des  Schlachtenwerks  blutrotem  Einschlag. 


AVir  weben,  wir  weben   das  Gewebe   der  Schlacht  (vef 

darraSar) 
Das  der  junge  König  vor  sich  hat; 
Fern  sollen  wir  gehen  und  in  die  Schlachtreihen  stürzen, 
Wo  unsre  Freunde  die  Waffen  wechseln''). 

Von  einem  ähnlichen  Gewebe  träumt  Ingibjörg,  der 
Gattin  Pälnis  in  Vorahnung  kommenden  Kampfes.  Das 
Gewebe  ist  grau.  Ein  Gewichtstein  fällt  herab,  Ingi- 
björg hebt  es  auf  und  siehe   da  es  ist  ein  Menschenhaupt, 


1)  S.  Eiriksinäl  bei  Snom  Ileimskringla  Iläkonar  Gögasaga  cap.  30.  32. 

33.    Fagrskinna   edd.    Muuch    og  Uuger   1847    S.  32.     Frauer,  Walkyrien 

1846  S.  7  fgg. 

2)  S.  HelgaquiSa  Ilmidingsbana  II,   G.] 

3)  Saga  af  Njali,  Kaupmamiahöfn  1772  S.  27G  fgg.    Frauer,  WalkjTien 
S.  12  fgg. 


^59^ 

das  Haupt  Königs  Haraldr  Gormssonr ').  Da  in  den  alten 
eddischeu  Volksliedern  die  Valkyren  niemals  in  so  grauen- 
hafter Weise  wie  hier  auftreten,  müssen  wir  als  Zutat  der 
getrübten  Sage  des  Uten  Jahrhunderts  die  Menschenhäup- 
ter und  Gedärme  aus  diesen  Schilderungen  entfernen,  dann 
bleibt  als  alte  und  echte  Grundlage  der  Sage  stehn,  dass 
die  Valkyren  ein  Gewebe  verfertigen,  an  welches  das 
Schicksal  der  Schlacht  geknüpft  ist.  Der  schauerliche  Val- 
kyriengesang  in  der  Njälssaga,  aus  dem  wir  oben  zwei  Stro- 
phen anführten,  ist  etwa  im  Anfang  des  Uten  Jahrh.  ent- 
standen, am  Ende  dieses  Jahrhunderts  bereits  in  die  Saga 
verwebt  ^),  ein  bedeutend  früheres  Denkmal  aber,  das  spä- 
testens im  9ten  Jahrhundert  gedichtete  Volkslied  Völun- 
darquiöa  erzählt  noch  ganz  einfach,  wie  c?A'ei  Valkyren 
im  Begriff  in  die  Schlacht  zu  fahren  (nach  Able- 
gung ihrer  Schwanhemden,  wie  die  prosaische  Einleitung 
sagt)  am  Wasser  rasteten  und  kostbares  Leinen 
spannen  (dyrt  lin  spunnu): 

Meyjar  flugu  sunnan 

Myrkviö    igögnum, 

Alvitr  unga, 

orlög  drygja; 

]>ser  ä  sasvarströnd 

settusk  at  hvilask, 

drosir  suörcenar 

dyrt  lin  spunnu  ^). 
Aus  dieser  Stelle  geht  zugleich  hervor,  dass  die  Val- 
kyren ihren  Wohnsitz,  ihre  Heimat   in  einem  Walde  ha- 
ben  (myrkvigr  s.  oben   S.  384.    385),    sowie   dass   dieser 
Wohnsitz  im  Süden  liegt''). 


1)  J6msvikingasaf';a.   Kaupmannahöfu   1824  S.  13. 

2)  S.  Rosselet  „Isländische  Literatur"  bei  Ersch  und  Gruber  Sect.  2. 
XXXI,  S.  300. 

3)  Völundarqu.  1.  Müdclien  flogen  von  Süden  durcli  den  Dnnkcl- 
wald,  Alvitr  die  junge  Scliicksal  auszuführen,  am  Secstrande  safsen  sie  und 
nüiten,  die  südliclien  Jungfrauen  spannen  kostbares  Linnen. 

4)  Auch  IlclgaquiÖa  Iluudingsbana  I,  IC  heifsen  Valkyren  disir  su'Ör«- 
nar  südliche  Götterfrauen. 


560 

Die  Nörnen  haben  mit  den  Valkyren  das  Feld  des 
Scbicksalwirkens  gemein.  Heifst  es  von  jenen  orlög 
seggja'),  sie  sagen  den  Schicksalsspruch,  so  wird  von 
diesen  der  Ausdruck  orlög  drygja  gebraucht,  d.  h.  sie 
führen  den  Schicksalsspruch  aus,  insoweit  er  den  Krieg 
betrifi't.  Hierin  liegt  nun  allerdings  ein  in  der  klassischen 
Zeit  des  germanischen  Heidentums  wolgefühlter  Unter- 
schied; die  Nörnen  bestimmen  wer  sterben  soll,  die  Val- 
kyren geben  dem  Urteil  Wirklichkeit,  sie  erspähen,  wer 
dem  Tode  durch  höhere  Fügung  geweiht  sei  (kiösa  feigS 
A,  menn)  und  führen  die  Gefallenen  zu  Oöins  Sitz.  Aber 
selbst  in  der  vollen  Blüte  des  Heidentums  ist  der  Unter- 
schied nicht  consequent  und  klar  gezogen.  Während  in 
den  angeführten  technischen  Ausdrücken  die  von  uns  be- 
zeichnete Grenze  gezogen  würd,  sehen  wir  in  der  Sage  die 
Valkyren  nach  eigenem  Ermessen  in  den  Kampf  eingreifen 
und  entscheiden,  die  Helden  zum  Tode  bestimmen,  wofür 
o-erade  die  ältesten  heldensaglicheu  Volkslieder  in  der  so- 
o-enannten  älteren  Edda  den  ausreichenden  Beweis  liefern. 
Andererseits  sind  die  Nörnen  von  der  Ausführung  der  Schick- 
sale im  Kriege  keineswegs  ausgeschlossen.  Von  der  Nörne 
Urör  wird  gesagt,  dass  sie  zum  Schlachtfeld  fahre  heljar 
ask  at  velja  (die  Esche  der  Hei,  d.  h.  den  zum  Tode 
bestimmten  Helden  zu  wählen)  s.  oben  S.  382,  Anm.  7. 
Völuspji  24  führt  unter  den  Valkyren  Skuld  auf: 

Sä  hon  valkjriar 

vitt  um  komnar, 

görvar  at  riöa 

til  Go8}nööar. 

Skuld  helt  skildi, 

en  Skögul  öunur, 

Gunnr,  Hildr,  Göndul 

ok  Geirskögul  *). 


1)  Völuspä  19. 

2)  Sie  (die  Vala)  sah  Vallc;_vncn  weither  kommen,  bereit  zu  reiten  zum 
Volke  der  Götter,  Skuld  hielt  den  Scliild ,  Göndul  war  die  andere,  Gunnr 
Hildr,   Göndul  und   Geirskögul. 


^561 

Gleich  darauf  wird  geschildert,  wie  der  erste  Kampf 
(fölkvig)  in  der  Welt  entbrannte.  Gylfaginning  36  bemerkt: 
GuSr  und  Rota  und  die  jüngste  Nörn,  welche  Skuld 
heifst,  reiten  jedesmal  aus,  Todeswahl  zu  halten  (at  kjosa 
val)  und  über  den  Kampf  zu  entscheiden  (ok  räöa  vigum). 
Wie  Adler  und  Rabe  der  Valkyren  Vögel,  heifsen  die 
Wölfe  der  Nörnen  Grauhunde: 
Ekki  hygg  ek  okr  vera 
ülfa  doemi 

at  vit  mynim  själfir  um  sakask 
sem  grey  nörna, 
l^ar  er  grägug  eru 
i  auön  um  alin  '). 
Diese  Auffassung  der  Wölfe  bestätigt  eine  andere  Stelle: 
}>at  er  iö  |;riSja 
ef  l^ü  l^jöta  heyrir 
Ulf  und  asklimum, 
heilla  auöit  verSr  ]?er 
af  hjälmstöfum 
ef  ]>ü  ser  ]?ä  fyrri  fara  ^). 
Auch  eine  Erzählung  bei  Saxo  zeigt,  wie  der  Volks- 
glaube keine  strenge  Unterscheidunor  von  Nörnen  und  Val- 

o  o  o 

kyren  zu  machen  wusste.  Hother  hat  beschlossen  den 
Baldr,  der  gleich  ihm  um  die  Hand  der  schönen  Nanna 
buhlt,  aus  dem  Wege  zu  räumen.  Auf  der  Jagd  verirrt 
er  sich  und  gelangt  in  die  Wohnung  von  Waldjung- 
frauen (silvestrium  verginum  conclave;  vergl.  Myrkviör 
und  die  Kammer  oben  S.  558,  Anm.  3).  Von  ihnen  mit 
Namen  angeredet,  fragt  er  wer  sie  seien.  Sie  antworteten, 
durch  ihre   Leitung   und  Aufsicht   werde   vorzüg- 

1)  Hamdism.  30:  Nicht  ziumt  uns  beiden  nach  der  Wölfe  Beispiel  uns 
selbst  grimm  zu  sein,  wie  der  Nörnen  Grauhunde,  die  geiräl'sig  sich 
fristen  im  öden  Forst.  —  Helganui'Sa  Ilundingsb.  I,  13  heifsen  die  Wölfe 
„ÖSins  Grauhunde"  Viörisgrey.  Bei  den  luselschweden  auf  Worms  heifst  der 
Wolf  noch  jetzt  gä  grahunn  alter  Grauhund.  Russwuini,  Eibofolke  II.  §.  359, 
2.   S.  200. 

2)  Sigurgarqu.  11,  22.  Das  ist  der  dritte  (gute  Angang)  wenn  unter 
der  Esche  (dem  irdischen  Abbilde  Yggdrasils)  du  den  Wolf  liörst  heulen; 
über  Ilelmträger  hast  du  Sieg  zu  hoffen,   siehst  du  ihu  vorwärts  faliren. 

36 


562 

lieh  das  Geschick  des  Krieges  bestimmt  (suis  diicti- 
bns  auspiciisque  maxime  bellorum  fortunam  gubernari).  Oft 
wohnten  sie  ungesehen  den  Schlachten  bei  und 
verschafften  durch  heimliche  Hilfe  ihren  Freun- 
den den  Sieg  (optatos  successus).  Denn  sie  vermöch- 
ten Glück  und  Unglück  nach  Willkür  auszutei- 
len (conciliare  prospera,  adversa  infligere  posse  pro  libitu), 
vrobei  sie  anführten,  wie  (durch  ihre  Fügung)  Baldr  beim 
Anblick  der  badenden  Nanna  in  Liebeswut  ent- 
brannt sei.  Sie  warnten  ihn,  Baldr  mit  Waffen  anzu- 
greifen, da  er  ein  Halbgott  sei.  Als  Hother  dies  vernom- 
men, verschwand  das  Haus  mit  den  Jungfrauen  und  er 
fand  sich  unter  freiem  Himmel  ').  Wie  Frauer  ganz  rich- 
tig bemerkt"),  spricht  in  dieser  Schilderung  der  Zug,  dass 
die  Jungfrauen  au  Baldrs  Liebeswut  Schuld  sind,  dass  sie 
Glück  und  Unglück  nach  Gefallen  austeilen,  dass  sie  Hö- 
ther  vor  dem  Kampf  mit  Baldr  warnen,  Nörnencharakter 
an,  während  die  Lenkung  des  Krieges,  das  unsichtbare 
Erscheinen  an  der  Seite  der  Krieger  mehr  den  Valkyren 
gemäfs  ist. 

Wenn  man  selbst  geneigt  sein  möchte,  in  allen  diesen 
Zügen  eine  spätere  Vermischung  von  Nornen  und  Valky- 
ren zu  sehen,  die  der  ursprünglichen  Mythe  fremd  war,  — 
und  für  einige  der  beigebrachten  Zeugnisse  ist  eine  solche 
Syncrasie  wol  unzweifelhaft  anzunehmen  — ,  so  geht  dar- 
aus doch  mit  Sicherheit  hervor,  wie  beide  Götterkatego- 
rien der  Idee  nach  so  nahe  zusammenfallen ,  dass  sie  füg- 
hch  als  Differenzierungen  einer  Uridee  betrachtet  werden 
dürfen.  Viel  gewichtiger  ist  aber  die  Uebereinstimmung 
in  folgenden  Punkten:  1)  Die  Valkyren  wohnen  im  himm- 
lischen Walde  MyrkviSr,  die  Nöruen  unter  dem  Wolken- 
baume Yggdrasill;  beide  liegen  südwärts  s.  oben  S.  549. 
559.  2)  Die  Valkyren  tragen  Seh wanhemdeu,  baden  sich 
in  Seen  und  rasten  am  Gestade,  die  Nornen  wohnen 


1)  Saxo  ed.  Klotz  III,  S.  54. 
'2)  A.  a.  ().   S.  38. 


563 

am  Brunnen,  dem  sie  nach  einer  Lesart  in  Strophe  19  der 
Vökispa  sogar  entsteigen.  Auf  ihrem  Brunnen  schwimmen 
Schwäne.  Wie  die  Valkyren  im  Vogelgewand  durch  die 
Luft  fliegen,  fliegt  die  Nörne  UrSr  wie  ein  schwarzer  Vo- 
gel (sem  fuglinn  svarti)  am  Vorabend  einer  Schlacht  über 
Land  und  Meer,  s.  oben  S.  382.  3)  Die  Valkyren  verfer- 
tigen ein  Gewebe  (spunnu  lin),  an  welches  sich  das  Schick, 
sal  der  Schlacht  knüpft,  die  Nörnen  spinnen  die  Fäden, 
an  die  das  Geschick  des  ganzen  Lebens  gebunden  ist. 
Diese  Uebereinstimmung  wird  noch  zutrefiender,  wenn  wir 
weiterhin  bei  Vergleichung  oberdeutscher  und  angelsächsi- 
scher Ueberlieferung  sehen,  dass  hier  das  Gespinnst  der 
Nörnen  kein  blol'ses  Seil,  sondern  ein  Mnrkliches  Gewebe 
ist,  mithin  der  Unterschied,  den  die  nordische  Sage  hier 
wieder  zwischen  Nörnen  und  Valkyren  macht,  auf  Rech- 
nung der  DijÖferenzierung  zu  setzen  ist.  4)  Wie  die  Val- 
kyren OSinn  und  den  Einheriar  das  Trinkhorn  reichen,  be- 
wacht die  Nörne  Urör  den  Göttertrank  Oörccrir  ^),  der  mit 
dem  Urgarbrunnen  ursprünglich  identisch  ist "). 

Die  soeben  zusammengestellten  Züge  ergeben  sich  bei 
unbefangener  Betrachtung  als  selbständige  Entwickelungen 
ein  und  derselben  Grundform.  Sie  lehren  uns,  dass  Nör- 
nen und  Valkyren  ursprünglich  dieselben  Wesen  waren, 
und  dass  es  gelingen  muss  die  Grundbedeutung  jener  zu 
erkennen,  sobald  die  Urgestalt  dieser  uns  klar  vor  Augen 
liegt.  Unter  den  Valkyrennamen  begegnet  uns  Mist  Ne- 
beP)    und    die    Wolke    heilst    der    Mist    Ross    (Mistar 


1)  Die  Identität  ÖJSroerirs  mit  dem  Uröarbrunm-  suchte  bereits  Simrock 
Edda''^  395  aus  liävam.  Str.  141  darzutuu.  Es  folgtaber  aus  dieser  Stelle  nicht  not- 
wendig. Dass  Oöroerir  ebenfalls  nichts  anderes  als  das  Woll<engewässer  bedeute, 
geht  aber  aus  der  Mythe  hervor,  dass  der  Trank  OÖrocrir  vom  Riesen  Sut- 
tüngr  in  einen  Berg  (den  Wollcenfels)  verschlossen  wurde,  woraus  der  Gott 
Oöinn  ihn  befreite,  den  Dämon  überlistend,  indem  er  die  Hilfe  der  Kiesen 
maid  Gunnlög  (Däsapatni-Devapatni  s.   oben  S.  193,  Anm.  1)   anrief. 

2)  Wie  die  Xörne  Urgr  auf  der  Esche  Yggdrasill  sitzt  s.  oben  S.  5  44 
heifst  es  von  einer  Valkyre  ,,das3  sie  von  Hugins  Baum  d.  i.  aus  der  Wolke 
oder  der  Luft  zu  den  Helden  gesprochen  habe.  Helgaqu.  Hundingsbana  I, 
53.     ]}1  kvag   [?at  Sigrün  särvitr  fluga  at  hölda  sker  af  hugins  barri. 

3)  Helgaqu.  Ilundingsb.   I,   4G.      Grimnism.   30. 

36* 


564 

raarr) ').  Den  Rossen  anderer  Valkyren  trieft  Tau  aus 
den  Mähnen,  der  in  die  Täler  fällt,  und  ein  fruchtbares 
Jahr  erzeugt.  Da  wir  nun  die  Rosse  längst  als  Symbole 
der  Wolken  kennen  s.  oben  S.  37fgg. ,  so  ist  zunächst 
klar,  dass  die  Reitpferde  der  Valkyren  die  Wolken  sind. 
Wie  aber  die  Apvinen,  Diosküren,  Gandharven,  Kentauren 
und  ähnliche  Wesen  ursprünglich  selbst  Rosse  waren,  spä- 
ter als  Reiter  dargestellt  wurden,  leidet  es  keinen  Zweifel, 
dass  auch  die  Valkyren  anfänglich  als  Wolkengöttinnen 
selbst,  d.  h.  himmlische  Wasserfrauen  (Apas)  galten.  Dar- 
um vermögen  sie  durch  Luft  und  Meer  zu  fahren, 
darum  bricht,  wo  sie  daherkommen,  männerverderbendes 
Unwetter  aus,  so  dass  Blitze  züngeln  und  Stralen  in  die 
am  Gestade  liegenden  SchiflPe  schlagen  ').  Nun  erklärt  sich 
auch  die  Schwangestalt  der  Jungfrauen,  und  warum  sie 
im  (himmlischen)  Wasser  baden,  s.  oben  S.  38  fgg.  Weil 
hinter  der  Wolke  das  himmlische  Licht  verborgen  ruht 
(weshalb  Wolkensymbole  mit  Lichtsymbolen  in  fortwähren- 
dem Tausch  stehen,  s.  oben  S.  37 — 41)  fasste  man  die 
Göttinnen,  sobald  sie  aus  der  Wolke  als  selbständige  Per- 
sönlichkeiten heraustraten,  als  Lichtwesen  auf,  wie  wir  das- 
selbe bei  den  Mären  und  anderen  Wesen  unserer  Mytho- 
logie beobachten.  Danach  ist  die  folgende  Darstellung  der 
Valkyren  zu  beurteilen.  Als  Helgi  nach  der  Schlacht  ge- 
gen die  Hundingssöhne  auf  der  Wahlstatt  ausruht,  bricht 
ein  Licht  über  dem  Berge  Logatjöll  hervor,  und  aus  dem 
Lichte  kam  Wetterleuchten,  Helme  erglänzten  auf  der  Him- 
melsaue (Himinväugr)  und  Jungfrauen  erschienen  mit  blut- 
bespritzten Panzern  und  Speeren,  von  denen  Strahlen  nie- 
derleuchteten. Diese  Grundbedeutung  der  Valky rensage 
vorausgesetzt,  erklärt  sich  die  weitere  Entwickelung  auf 
die  einfachste  Weise.  Als  himmlische  Wasserfrauen  (De- 
vapatnis)   standen   sie  mit   dem  erst  später  zum  Himmels- 


1)  Helgaqu.  Hundiugsb.  I,   46. 

2)  Helgaqu.  Hundingsb.  II.  ed.  Muuch  S.  91. 

3)  Helgaqu.  Hundingsb.  I,    15. 


565 

gott  und  Götterkönig  erweiterten  Sturmgott  üöinn ,  dem 
Anführer  des  wilden  Heeres  in  enger  Verbindung.  Er 
kehrte  mit  den  Seelen  in  der  Wolke,  dem  himmlischen 
Kinderbrunnen  ein  s.  oben  S.  95.  271  und  erlabte  sich 
sammt  seinen  Geistern  am  Wolkengewässer  s.  oben  S.  64. 
Der  Sturm  jagt  die  Wolken  vor  sich  her,  die  Wasser- 
frauen ziehen  an  der  Spitze  des  wilden  Heers  durch  die 
Luft  s.  oben  S.  261  fgg.  271.  287  fgg.  291.  Diese  Vor- 
stellung nahm  bei  vorschreitendem  Anthropomorphismus  die 
folgenden  vier  Gestalten  an:  1)  Die  himmlischen  Wasser- 
frauen sind  (Vsins  Gefährtinnen.  2)  Sie  reichen  den  See- 
len den  Trank  des  himmhschen  Gewässers.  3)  Sie  em- 
pfangen den  aus  dem  dahinsterbenden  Körper  als  Lufthauch 
entfliehenden  Geist  bei  sich  und  führen  ihn,  durch  das 
Himmelsmeer  dahinziehend,  in  das  hinter  dem  Wolkenge- 
wässer liegende  lichte  Seelenreich.  4)  Sie  führen  Oöins 
Geisterschar  an,  wenn  sie  auszieht. 

Die  ethische  Entwickelung  der  Mythologie  schritt  wei- 
ter, die  Wasserjungfrauen  gestalteten  sich  in  immer  höhe- 
rem Grade  zu  freien,  nach  menschlicher  Weise  handeln- 
den Persönlichkeiten.  Der  gewaltige  Umschwung  aller 
Verhältnisse,  welchen  der  Beginn  der  Völkerwanderung  in 
der  ganzen  germanischen  Welt  hervorrief,  richtete  das  Sin- 
nen und  Trachten  des  Volkes  vorzugsweise  auf  den  Krieg') 
und  gestaltete  danach  unbewusst  auch  die  Religion  um. 
Nun  stellte  man  sich  ÖSinn  nach  Art  irdischer  Könige  als 
Heerführer  mit  einer  Gefolgschaft  vor,  sein  Seelengeleite 
wurde  auf  eine  kriegerische  Heldenschar  eingeschränkt,  die 
Geister  des  wilden  Heers  verengten  sich  zu  den  Einheriar, 
des  Gottes  Seelensitz,  nach  menschlicher  Weise  als  Halle 
gedacht,  gestaltete  sich  zu  VallhöU  und  die  Wasserfrauen, 
Oöins  Gefährtinnen,  empfingen  und  bewirteten  nur  in  der 
Schlacht  gefallene  Kämpfer.     Das  Heer,  an  dessen  Spitze 


1)  Diesen  Process  hat  sehr  schön  II.  Riickert  dargelegt  in  seiner  „Kul- 
turgeschichte des  Deutschen  Volkes  in  der  Zeit  des  Uebergangs  aus  dem  Hei- 
dentum ins  Cln-istentuni.  Leipzig  1853.  Ud.  I."  Das  Urteil  über  die  reli- 
gieuse  Entwickelung  ist  jedoch  verfehlt  und  berulit  auf  mangelnder  Sadikenntnis. 


566 

sie  auszogen,  ist  ein  Kriegsheer  geworden.   Nur  ein  Schritt 
in  der  dichterisch  weiterschaffenden  Volksphantasie  darüber 
hinaus,  und  die  frei  beweghchen  Seelenempfängerinnen  stie- 
gen zur  Erde  hinab   und  nahmen   den  dem  Leichnam  sich 
entringenden  Geist  schon    auf  dem  Schlachtfelde   selbst  in 
ihre  schützenden  Arme  auf.    Musste  es  da  nicht  scheinen, 
als   ob   sie  selbst  den  töthchen  Ausgang   des  Krieges  her- 
beigeführt, das  Schicksal  der  Schlacht  gelenkt  hatten?   Die 
Wasserfrauen    wurden   Valkyrien,   Valmeyjar.      Zu    den 
vielfachen  Bildern,  unter  denen  man  die  Wolke  erschaute 
gehörte  das  Gewebe,  sämmtliche  Wasserfrauen  sind  Spin- 
nerinnen ').      Das  Gewebe  der  Valkyren  machte  die  allge- 
meine Entwickelung    des  Mythus  dieser  Göttinnen  mit,  es 
trat  in  Beziehung   zum   Kriege.      AllmähUch   genügte  die 
Einfachheit   der   alten  Göttergestalten   nicht  mehr  und  der 
Widerspruch   zwischen   ihnen   und  der  Wirklichkeit  wurde 
offenbar.     Der  Volksgeist  selbst  begann   an  ihnen  zu  deu- 
ten.   Demselben  Gesetze,  welches  die  Geschichte  der  Spra- 
che fast  durchgehends  aufzeigt,  folgten  die  mythischen  Ge- 
bilde,   das  Concrete  wurde   zur  Abstraction.      So  geschah 
es,  dass  man  bald  in  den  Valkyren  nichts  anders  als  Per- 
sonificationen   des  Krieges  selbst  und  einzelner  Situationen 
in  demselben  erschaute.   Wie  diese  Metamorphose  allmählig 
sich  vollzog,  sehen  wir  deutlich  an  den  Namen^  welche  die  nor- 
dischen Lieder  den  Valkyren  beilegen.  Geirdriful  Speere  wer- 
fend, Geirörul  die  Lanzennährende,  Hiälm]>rimul  die  unter  dem 
Helme  Tönende (?),  Hiörj^rimul  mit  dem  Schwert  Tönende(?), 
Skögul  die  Hochragende,  die  im  Kampf  Vorstehende,  Vor- 
dringende;, Geirskögul    die  mit  dem  Speer  Hervorragende, 
Göndul  die  Zauberische  sind  noch  dichterische  Benennun- 
gen leibhafter   Gestalten;   Her^ötur   Heeresfessel,    Thryma 
(aus  jTumia)   die   Donnernde,   Tosende  neigen  schon  zur 
Abstraction  hin  ,•  Hrist  Erschütterung,  Guör,  Gunnr,  Hildr 
Kampf,  Randgriö  Wut  der  Schilde,  Skeggöld  Beilaltcr  stel- 
len Personificationen  des  Krieges   selbst  dar.      So   erschei- 


1)  Vergl.  Lauer,   System  der  griech.  Mythologie   371  fgg. 


567 

nen  die  Valkyrlen  gröfstenteils  in  den  mythologischen  Göt- 
terliedern  der  sogenannten  älteren  Edda,  die  hei  den  sag- 
liche d  weisen  sie  in  ihrer  alten  concreten  Gestalt,  wel- 
che noch  deutlich  die  Naturgrundlage  erkennen  lässt,  auf, 
wenngleich  andererseits  auch  schon  mitten  in  die  Men- 
schenwelt hinabgezogen  und  als  menschliche  Jungfrauen 
aufgefasst  ')•  Das  ist  eben  das  Wesen  der  Heldensage, 
dass  sie  die  Götter,  die  schon  zum  vollen  Anthropomor- 
phismus^  zur  freien  Beweglichkeit  menschlichen  Charakters 
gediehen  sind,  nun  wirklich  in  den  Kreis  der  Menschheit 
herabzieht,  sie  von  irdischen  Müttern  gebären  und  selbst 
dem  Tode  verfallen  lässt.  Dabei  aber  nimmt  sie  eine  Reihe 
alter  aus  der  Naturgrundlage  herstammender  Züge  in  die 
Schilderung  ihrer  Persönlichkeiten  auf,  welche  nun  festge- 
bannt und  versteinert  die  Kunde  früherer  Sagenperioden 
auf  die  Nachwelt  weitertragen,  indess  dieselben  Götter, 
insoweit  sie  unvermenschlicht  im  lebendigen,  sich  fortent- 
wickelnden Religionsbewusstsein  fortdauern,  allem  Wechsel 
und  jeder  Veränderung  der  Weltanschauung  des  Volkes 
unterworfen  sind  und  je  mehr  und  mehr  alle  Züge  aussto- 
fsen,  die  an  ihre  ursprüngliche  Naturgebundenheit  er- 
innern ^). 

Nunmehr  ist  es  auch  klar,  weswegen  die  Valkyren  in 
so  hohem   Grade  mit    der    krieggerüsteten   Göttin  Freyja 
(Valfreyja,  Hildr)  sich  berühren,  der  die  Hälfte  der  Gefal 
lencn  gehört,  die  den  Äsen  den  Met  einschenkt  und  deren 


1)  S.  das  Tatsäclilielie  über  diesen  Unterschied  bei  Fraiier  u.  a.  O.  51 
fgg.     Petersen,  Nordisk  Mythologi  237  i'gg. 

2)  Vergl.  über  diesen  Entwickclungsproeess  Steintlials  Auf'sat;^  „^ur  ^'ci- 
gleichenden  Mythologie."  Wissenschaftliche  Beilage  zur  Leipziger  Zeitung 
1857  No.  50  —  55.  Die  Anfänge  der  abstracten  Auffassung  unserer  Göttin- 
nen fallen  schon  dem  5ten  oder  Gten  Jahrhundert  zu,  wie  die  Uebereinstim- 
mung  des  Namens  Hilde  bei  Südgernianen  und  Nordgennanen  beweist,  wo- 
von weiter  unten.  Die  Vollendung  dieses  Vorgangs  vollzog  sich  jedoch  au- 
gensclieinlich  in  jener  Zeit,  als  zum  zweitenmale  und  in  erhöhtem  Mal'se  die 
nordgermanische  Welt  eine  kriegerische  Erregung  ergriff;  da  im  Anfange  des 
Sten  Jahrhunderts  der  Beginn  der  Vikingerzüge  alle  Furien  krieggewohnten 
Lebens  entfesselte  laid  durch  Berülirung  und  Bekaiuitschaft  mit  den  Schätzen 
und  der  Kultur  des  Südens  die  normannische  Weltanschauung  uneiuUicii  er- 
weitert wurde. 


568 

Vogel  der  Schwan  ist,  dass  sie  als  reine  Vervielfältigungen 
derselben  erscheinen.  Wir  lernten  auch  in  Freyja  die  alte 
Wasser  fr  au  kennen  s.  oben  S.  288  fgg.  Sie  gehörte 
ursprünglich  ebenfalls  zu  der  Schar,  aus  der  sie  als  ein- 
zelne Göttin,  die  Valkyre  als  Glied  einer  Genossenschaft 
heraustrat. 

Gerade  diejenigen  Züge,  welche  auf  die  Naturgrund- 
lage der  Valkyren  hinweisen,  hat  der  Mythus  derselben 
mit  den  Nörnen  gemein.  Wir  gelangen  dadurch  zu  dem 
Schluss:  Auch  die  l^drnen  waren  anfänglich  in  der  Schar 
der   Wasserfrauen  mit  einbegriffen. 

Dieses  Ergebnis  vermögen  wir  noch  auf  anderem  Wege 
durch  Analogie  zu  bekräftigen.  In  ganz  später  nach- 
eddischer  Zeit  werden  Zauberweiber  und  Völen  mit  dem 
Namen  der  Nornen  belegt.  So  heifst  es  in  einer  Verwün- 
schungsformel : 

Troll  ok  älfar 

ok  töfranornir, 

büar  bergrisar 

brenni  ];inar  hallir, 

hestar  troöi  ]?ik, 

hati  ])ik  Hrim|>ussar 

sträinn  stängi  J'ik, 

stofnar  ängri  J^ik, 

nema  J>ü  vilja  miun  gjörir  '). 
In  der  Nornagestsaga  wird  eine  Sage  von  wirklichen 
Nörnen  erzählt,  diese  aber  als  menschliche  Zauberfrauen 
dargestellt.  Sie  heifsen  dem  Verfasser  Nörnir,  völvur 
und  „späkonur,  er  späöu  mönnum  aldr."  Die  Verwechse- 
luno; der  Nörnen  mit  den  Völen  und  Zauberweibern  wäre 
nicht  möglich  gewesen,  wenn  beide  nicht  in  der  Tat  eine 
innere    oder    äufsere    Verwandschaft   mit    einander    gehabt 


1)  HerraiiÖs  og  Bosissaga  (saec.  XIV)  k.  5.  Fornaldarsög  III,  205. 
TroUe  und  Alfen  und  Zaubernomen,  nachbarliche  Bergriesen  sollen  deine  Hal- 
len verbrennen,  hassen  sollen  dich  die  Hrim]?ursen,  Rosse  dich  treten.  Das 
Stroh  steche  dich ,  Baumstubbeu  ängstigen  dich ,  wenn  du  meinen  Willen 
nicht  tust. 


569 

hätten.  Man  glaubte,  dass  Zauberweiber  (Völen)  im  Lande 
umherfahreud,  dem  Kinde  sein  künftiges  Schicksal  nicht 
sowol  bestimmten,  als  weissagten.  Die  Edden  lehren  uns 
die  Vökir  als  göttliche  von  Riesen  entsprossene  d.  h.  ur- 
alte und  verderbliche  Frauen  kennen,  die  von  aller  Ver- 
gangenheit Kunde  haben,  von  der  Zukunft  weifsagen  und 
durch  Zauber  den  Naturkräften  gebieten.  Sie  unterschei- 
den sich  mithin  von  den  Nörnen  nur  dadurch,  dass  jene 
das  Geschick  bestimmen,  sie  es  verkünden.  Von  den  Nör- 
nen giebt  uns  Gylfaginning  die  Definition  „Nornir  eru  ]'£er, 
er  nau]?  skapa."  Nörnen  sind  die,  welche  die  Lebens- 
not bestimmen;  von  den  Völur  heifst  es:  Völur  heita 
]i:ier,  sem  vil  spä  d.  i.  Völen  heifsen  die  welche  Leid  vor- 
hersagen. 

Von  älterer  Naturbedeutung  der  Völur  ist  uns  in  den 
Eddaliedern  nur  eine  Spur  erhalten,  sie  sollen  nach  Hyn- 
dluljöö  32  von  Viöölfr  d.  h.  Waldwolf  stammen,  der  sei- 
nem Namen  nach  ein  Waldgeist  war.  Dieser  Zug  weist 
ihnen  sogleich  auch  Verwandschaft  mit  den  Valkyrien  an  ') 
und  lässt  uns  vermuten,  dass  auch  sie  aus  der  Schar  der 
Wasserfrauen  sich  losgelöst  haben.  Die  vergleichende  My- 
thologie gewährt  uns  die  sichere  Bestätigung  dieser  An- 
nahme. Der  Name  Vala,  Valva  oder  Völva  (diese  drei 
Formen  sind  gebräuchhch)  entspricht  dem  walachischen 
Vilva.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  der  Walache  die 
Wolkenwelt  belebende  Geister,  welche  in  Gestalt  eines 
Lindwurms  (wie  die  deutschen  weifsen  Frauen  als  Dä- 
sapatnis)  in  Wolkenhorden  durch  die  Luft  fahren  und  ent- 


1)  Wie  die  Völur  späkonur,  wurden  die  Valkyren  in  jüngerer  Zeit  mit 
dem  gleiclibedeutenden  Ausdruck  spädisir  benannt.  Von  Sigmundr  wird 
Völsüngasaga  cap.  XI.  Fornaldarsög.  I,  144  gesagt:  en  svä  hlifgu  honum 
lians  spädisir,  at  hann  varö  ekki  särr  ok  engi  kunni  töl  hversu  margr 
nia'ör  fcl  fyrir  honum,  hann  haf'öi  bäöir  hcn'ör  blo'ögar  til  axlar.  —  Äsmundr 
Kappabani  träumte,  dass  eine  kanipfgerüstete  Frau  bei  ihm  stand  imd 
sprach:  Ilvat  veit  ottabragö  f>itt,  |hi  ert  :\!tlaör  at  vera  forgängsmaör  an- 
nara,  en  ^u  ottast  11  incnn,  ver  erum  spädisir  jjinar  ok  skulum  per  vöni 
vuitta  moti  mönnum  |)cim  er  ])u  ätt  vi'JS  at  reyna.  Fomaldarsög.  II,  484. 
Weiteres  über  die  Verwaudschaft  der  Völen  und  Valkyren  s.  bei  Wcinhold, 
Die  Deutschen  Frauen  S.  60. 


570 

weder  segensreiche  Witteruncr,  oder  verheerende  Regengüsse 
schicken.  Jedem  Land,  jedem  König  ist  eine  Vilva  zuge- 
teilt. Sie  führen  in  der  hohen  Luft  Kämpfe  auf,  deren 
Ausocano;  für  das  unter  ihrer  Obhut  stehende  Land  über 
die  Witterung  entscheidet  ').  In  anderer  Gestalt^  als  licht- 
weifses  Mädchen  mit  schwarzen  Locken,  tritt  dasselbe  We- 
sen bei  den  Serben  unter  dem  Namen  Vila,  bei  den  Illy- 
riern  als  Willa  auf.  Die  südslavische  Willa  ist  Ländern, 
Bergen,  Schlössern  vorgesetzt.  Sie  ruft  aus  den  Bergen 
die  Helden  an  -).  Die  Vila  der  Serben  bewahrt  sehr  treu 
die  ursprüngliche  Natur  der  Wasserfrau.  Sie  wohnt  in  der 
Wolke: 

Türmt  'nen  Turm  die  weifse  Vila 
Nicht  im  Himmel,  nicht  auf  Erden 
Auf  dem  Berge,  in  den  Wolken. 
In  den  Turm  baut  sie  drei  Tore; 
Eins  der  Tore  ganz  von  Golde, 
L^nd  ein  zweites  Tor  von  Scharlach. 
Wo  sie  baut  das  Tor  von  Golde, 
Will  das  Söhnchen  sie  vermählen, 
W^o  sie  baut  das  Tor  von  Perlen, 
Will  die  Tochter  sie  verloben; 
Wo  sie  baut  das  Tor  von  Scharlach^ 
Will  die  Vila  selber  sitzen. 
Sitzen  will  sie  da,  zuschauen 
Wie  der  Blitz  spielt  mit  dem  Donner 
Und  lieb  Schwester  mit  zwei  Brüdern, 
Und  die  Braut  mit  ihren  Führern. 
Blitz  besiegt  im  Spiel  den  Donner, 
Liebe  Schwester  beide  Brüder 
Und  die  Braut  die  Hochzeitführer "). 
Oft  wird  die  Vala  Wolkensammlerin  genannt.    So 
sagt  im  Liede  „Serbische  Mädchensitte "  das  Mädchen: 


1)  Schott,  Walachisclie  Märchen  S.  296. 

2)  Anton,   Versuch    über  die  alten  Slaven  II.   S.  52. 

3)  Talvj,   Vülk'flieder  der  Serben  II,   03. 


571 

„Weder  bin  ich  klug,  noch  albern, 
Auch  die  Vila  nicht,  die  Wolken  sammelt, 
Bin  ein  Mädchen,  darum  seh'  ich  vor  mich"  ^). 
Beim  Kampfe  Markos  mit  Mussa  redet  die  Vila 
aus  den  Wolken-).  Wie  die  Valkyren  wohnt  sie  nach 
anderer  Form  desselben  Mythus  aber  auch  im  tiefen  Walde 
und  auf  Berggipfeln  und  wird  daher  gern  „die  Vila  des 
grünen  Waldgebirgs"  genannt.  Wie  die  Völen  wei- 
fsagt  sie  und  ist  heilkundig.  Sie  nimmt,  gleich  den  Val- 
kyren die  Seele  zu  sich.  Ein  von  der  Mutter  durch  un- 
vorsichtige Reden  dem  Teufel  übergebenes  Kind  wird  von 
den  Vilen  geholt.  „Die  Vilen  sollen  dich  holen"  ist  land- 
läufiger Fluch.  „Welche  Vilen  haben  dich  besie- 
get?" heifst:  Welches  Todes  bist  du  gestorben.  Aus  der 
Wolke  schiefsen  sie  tötliche  Geschosse  auf  die  Menschen 
und  lieben  es  zu  Kampf  und  Mord  anzureizen ;  sie  nehmen 
sich  aber  auch  einzelner  Helden  an  und  schliefsen  mit  ih- 
nen Blutbrüderschaft.  Sie  erscheinen  einzeln  unter  beson- 
deren Namen  ^).  Den  nordischen  Völen  legt  die  Sage 
schlangengezäumte  Wölfe  bei,  auf  denen  sie  reiten,  die  Vila 
jagt  auf  schlangengezäumten  Hirschen  daher.  Der  Gedanke, 
welcher  aus  den  Wasserfrauen  die  weissagenden  Vilen  und 
Völen  schuf,  ist  die  Vorstellung  des  plätschernden  Regens 
und  lauten  Donnerhalls  als  Rede^). 

Wir  sehen,  dass  die  Mythe  von  den  slavischen  Vilen 
fast  denselben  Entwickelungsgang  durchgemacht  hat,  den 
wir  bei  den  Valkyren  nachwiesen  und  bei  den  Nomen 
wahrscheinlich  fanden,  wir  sehen  ferner,  dass  die  Sage  von 
den  Völen,  die  mit  den  Nörnen  auf  das  engste  sich  be- 
rühren, demselben  Bildungsgesetze  folgte,   und  finden  da- 


1)  Talvj  a.  a.  0.  4. 

2)  Talvj   a.  a.  O.  235. 

S)  Schwenck,  Slavische  Mythologie  S.  255  fgg. 

4)  Vergl.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,  162.  Auch  die  indisclien 
Apas  heilsen  in  den  Veden  oft  Göttinnen  der  Rede,  väc.  Rigv.  I,  61,  8 
wird  von  ihnen  gesagt:  ,,Ihni  ja,  dem  Indra  webten  die  Frauen,  die  Göt- 
tcrgemahlinnen  (Devapatnis)  einen  Lobgesaug  in  der  Ahischlacht."  Vergl.  oben 
«.  115  Thors  Bartruf. 


572 

durch  unsere  Ansicht  neu  bekräftigt,  dass  auch  die  Nörne7i 
einst   Wasserfrauen  waren. 

Wir  wiesen  schon  oben  S.  557  darauf  hin,  dass  die 
Nörnen  auch  mit  den  Folgegeistern  Fylgjen  oder  Haming- 
jeu,  besonders  den  Geschlechts-  oder  Familienfylgjen  (set- 
tarfylgjur  kynfylgjur)  ')  in  naher  Verwandschaft  stehen.  Die 
Fylgjen  s.  oben  S.  306  fgg.  sind  Schutzgeister,  die  teils 
den  einzelnen  Menschen  von  der  Stunde  der  Geburt  an 
durchs  ganze  Leben  begleiten,  teils  ganzen  Geschlechtern 
und  Familien  zur  Seite  stehen.  Sie  erscheinen  bald  ein- 
zeln bald  in  Scharen.  Berühren  sie  sich  schon  in  diesen 
Zügen  mit  den  Völvur,  sowie  den  slavischen  Vilven  und 
Wilen,  so  wird  die  üebereinstimmung  noch  gröfser,  wenn 
wir  uns  erinnern,  dass  die  Fylgje  in  der  Glückshaube 
ihren  anfänglichen  Sitz  hat,  s.  oben  a.  a.  O.  die  Vila  Kin- 
der, die  mit  Glückshäubchen  geboren  werden,  zu  sich  nimmt. 
Auch  in  die  Valkyren  rinnen  die  Fylgjen  unmerklich  über. 
Oft  heifst  es,  dass  Kämpfer  ihren  mächtigen  Fylgjen 
den  Sieg  verdankten.  Dem  Glümr  erscheint  die  Hamingja 
seines  Grofsvaters  Vigfüss  behelmt  als  Valkyrie  und  bie- 
tet ihm  ihre  Folgschaft  an.  Er  nennt  sie,  ihre  Erschei- 
nung beschreibend,  felliguör  darniederstreckende  Val- 
kyre  -).  Utsteinn,  ein  Gefolgsmann  Königs  Hälfr,  wünscht 
den  Kampf  mit  Ulfr,  weil  er  hofft,  dass  seine  Disen  ihm 
behelmt  zur  Seite  stehen  würden,  Ulfr  dagegen  spricht  die 
Erwartung  aus,  dass  alle  Disen  der  Hälfsrecken  gestorben 
seien  ^).  Wie  Nörnen  und  Valkyren  verkündigen  die  Fylg- 
jen oft  die  Ereignisse  der  Zukunft  vorher;  auch  sie  sind 
in  das  Leben  des  Menschen  eingreifende  Schicksalsmächte. 
Gisli  Sürssonr  hatte  zwei  Fylgjen,  die  eine  war  gut,  die  an- 
dere böse,  welche  ihn  beide  verschieden  berieten.  Die  gute 
führte  ihn  zu  einer  Halle,  wo  seine  toten  Verwandten  um 


1)  S.  über  diese  besonders  Job.  Erici,  Observationum  ad  extiquitates 
septentrioiialium  pertincntium  specimen  Havniae  1766.  Observ.  11.  De  geuiis 
tutelaribus  S.  175  fgg. 

2)  Viga  Glünissaga  cap.  9.      I&lcndingasög.  HI,   345. 

3)  Hälfssaga  cd.   Björn  S.  27. 


573 

Feuer  safsen  und  offenbarte  ihm  die  Jahre  seines  Lebens, 
die  er  noch  haben  werde,  wenn  er  ihr  folge  Die  böse 
reizte  ihn  zu  Streit  auf  und  übergoss  ihn  mit  Bhit,  um  ihn 
zum  Kampfe  zu  weihen  (s.  oben  S.  311).  Wir  werden  se- 
hen, dass  ebenso  die  Nornen  zu  todesgefährlichem  Kampf 
antreiben.  —  Noch  deutlicher  geht  die  Verwandschaft  der 
Fylgjen  mit  den  Nornen  aus  folgender  Ueberlieferung  her- 
vor. Als  das  Christentum  durch  König  Olaf  den  Heiligen 
srofse  Ausbreituno-  in  Norwegen  fand,  hörte  ein  cjewisser 
Thidrandr  auf  seinem  Hof  von  Norden  her  Rossegestampf 
und  siehe  da  kamen  neun  Weiber  schwarzgekleidet  auf 
schwarzen  Pferden  dahergeritten,  gezogene  Schwerter  in 
den  Händen,  die  ihn  angriffen  und  zur  Verteidigung  nö- 
tigten. Von  Süden  her  eilten  neun  weifsgekleidete  Frauen 
auf  weifsen  Rossen  ihm  zu  Hilfe,  aber  er  fiel  verwundet 
zu  Boden,  starb  und  ward  nach  Heidensitte  im  Hügel  bei- 
gesetzt. Seine  Freunde  schlössen,  dass  die  neun  schwar- 
zen Frauen  die  bösen  Fylgjen  gewesen  seien,  welche  ihn 
vor  Einführung  des  Christentums  noch  an  sich  zu  reifseu 
und  nach  Vallhöll  zu  führen  trachteten,  die  weifsen  such- 
ten ihn  davor  zu  schützen,  erreichten  aber  ihr  Ziel  nicht '). 
Ein  Volkslied  in  der  älteren  Edda  bezeichnet  die  Nornen 
geradezu  als  Hamingjen.  Vafthrüönir  wird  nämlich  von 
Oöinn  gefragt: 

Hverjar  'ro  ]>xr  meyjar 

er  liga  mar  yfir 

froögeSjaÖar  fara? 

Der  Riese  antwortet: 

jjrjär  ])jööar  falla  |'orp  yfir 
meyja  Mögjjrasis 
hamingjur   einar 
J?eirra  i  heimi  eru 
\>6  J'aer  meö  jötnum  alask  '^). 


1)  Olafs  Trvggvasonars.  II,  cap.  57. 

2)  Vafj^riVSnism.   48.   46.       „Welclie    sind    die    Mäddien,    diu    über    der 
Tränke  Meer  weisheitsvoll  üiliren?"      „Urei    der  Maide  Mög|jrasirs    über   des 


574 

Der  Tränke  Meer  (liöa  mar)  ist,  wie  ich  mit  Finn 
Magnussen  und  Petersen  annehme,  das  himmlische  Gewäs- 
ser der  UrSarborn.  Unsere  Stelle  besao^t  deutlich:  Un- 
terMögl'rasirs  Jungfrauen  sind  drei  die  vorzüglichsten  (oder 
einzigen)  Schützerinnen  der  Menschen.  Diese  drei  Mäd- 
chen sind  die  Nörnen  am  Uröarborn,  die  aber  der  Ver- 
fasser des  Vafj'rüdnismäl  noch  als  einer  gröfseren  Schar 
angehörig  zu  nennen  scheint ').  —  Wie  Valkyren  und  Vö- 
len  werden  die  Fylgjnr  eine  Naturgrundlage  gehabt  haben. 
In  der  Tat  sahen  wir  oben  S.  306,  Anm.  2  ihre  Identität 
mit  den  Maren.  Sie  sind  Seelen,  die  als  Lufthauch  in 
die  Wolke  eintretend,  nun  selbst  Wolkengestalt  führten, 
Wasserfrauen  wurden  (vergl.  oben  S.  89)  ^).  Die  Wolken, 
welche  die  Seelen  der  Toten  nach  dem  Glauben  des  Al- 
tertums in  sich  bargen,  und  am  Himmel  hinwandelnd 
die  Wanderung  des  Menschen  auf  Erden  als  treue  Gefähr- 
tinnen begleiteten,  gaben  in  Verbindung  mit  dem  Gefühl 
der  Hilfsbedürftigkeit  gegenüber  den  Mächten  der  Natur 
und  des  Menschheitslebens  und  mit  dem  Herzensbedürfnis, 
die  abgeschiedenen  Lieben  auch  über  das  Grab  hinaus  sich 
vereinigt  zu  wissen,  die  Veranlassung  zur  Entstehung  des 
Fylgienglaubens.  Wir  sehen  also  auch  hier  aus  den 
Wasserfrauen  den  Nörnen  verwandte  Schicksals- 
mächte sich  hervorbilden;  ja  die  Sage  von  Thidrandr, 
die  durch  verschiedene  andere  nordische  Ueberlieferungen, 
sowie  den  Eingang  des  althochdeutschen  Gedichtes  Muspilli 
sich  ihrem  Kerne  nach  als  alt  erweist,  zeigt  dass  noch  die 
spätere  Zeit  ganze  Genossenschaften  göttlicher,  schicksal- 
wirkender Frauen  Elemente  des  Nörnen-,  Valkyren-  und 
Hamingjenglaubens  ungeschieden  in  sich  vereinigten. 

Volkes  Wohnsitz  schweben,   die  einzigen  Hamingjen  derer  die  in  der  Welt 
sind,  wenn  auch  bei  Riesen  auferzogen. 

1)  Doch  ist  diese  Auffassung  nicht  unumgänglich  geboten.  —  Durch  Er- 
ziehung der  Nomen  bei  den  Riesen  ist  eine  Erinnerung  an  ihre  in  jüngerer 
Zeit  fast  ganz  vergessene  elementare  Bedeutung  ausgedrückt.  Zugleich 
soll  damit  ihr  hohes  Alter  gekennzeichnet  werden.  Von  Mög]?rasir  (,,nach 
Kindern  verlangend?")  ist  sonst  nichts  bekannt. 

2)  Vergl.  Atlam.  26:  ,,Konur  hugöak  daugnr  koma  i  nott  hingat,  vx- 
rit  vart  bünar,  vildi  jjik  kjosa,  bygi  ])er  brälliga  til  bekkja  sinna,  ek 
kveö  aflima  orönar   per  disir." 


575 

Icli  schliefse  diesen  Abschnittt  mit  einer  indischen 
Analogie.  Aus  dem  (hiramhschen)  Milchmeer  s.  oben  S.  97 
stieg  sammt  den  Wasserfrauen,  den  Apsarasen  die  Göttin 
Cri  oder  Lakshmi  hervor,  die  Gemahlinn  Vishnus,  der  in 
den  Veden  anfangs  noch  Sonnengott  ist,  welcher  auf  dem 
Vogel  Garudha  (der  Wolke)  s.  oben  S.  38  reitet;  später 
zum  Herrn  des  himmlischen  Gewässers  und  der  Luft 
sich  erweitert,  in  der  Epenzeit  Gott  des  bewegten  Lebens 
in  jeder  Bedeutung  des  Wortes  wird  ').  Als  Lakshmi  einst 
die  Erde  verliefs,  verschmachteten  alle  Menschen  und  Tiere 
vor  Hunger  und  Durst,  alle  Teiche  und  Brunnen 
trockneten  aus  und  alle  Bodenfrüchte  verdorrten'^). 
Durch  die  junge  Sage  sieht  man  noch  deutlich  die  Natur- 
grundlage der  Wasserfrau  hindurch;  ebenso  lässt  sich  die- 
selbe in  dem  Zuge  erkennen,  dass  der  Lakshmi  die  Kuh, 
die  irdische  Vertreterin  des  Wolkentieres,  heilig  und  das 
Erntefest  geweiht  war.  Lakshmi  von  W^urzel  laksh  = 
raksh  behüten,  bewachen  ^)  bedeutet  ursprünglich  die  Be- 
wachende, Bewahrende,  dann  Glück.  Wir  gewahren,  wie 
die  zeugende  Naturkraft  des  himmlischen  Elements  die  Ideen 
des  Keichtums,  der  Fruchtbarkeit,  der  Liebe,  der  Ehe,  der 
Huld  weckten,  die  in  Lakshmi  vereinigt  sind.  Der  Athai'- 
vaveda  VH,  11  lehrt  uns  neben  der  Göttin  Lakshmi,  die 
sachlich  unserer  Freyja,  Frigg,  Holda  sich  vergleicht,  eine 
Schar  von  Lakshmis  erkennen,  welche  auffallend  den  Fylg- 
jen  ähneln:  „Flieg  hinweg  von  hier,  unheilvolle  Lakshmi, 
geh  zu  Grund,  von  hier  aus  fliege  dorthin,  mit  eisernen 
Haken  hängen  wir  dich  an  unsern  Feind.  Die  Lakshmi 
die,  mich  zu  verderben  wünschend,  unfreundlich  auf  mich 
sprang,  wie  eine  Schlange  (vandanä)  auf  den  Baum,  die  o 
Savitar  entferne  von  hier  anderswohin,  als  nach  uns,  Gold- 
handiger,  Heil  uns  spendend.  Hundert  undeineLakshmi 
sind    zugleich    mit   dem    Körper    des   Sterblichen    bei 


1)  S.  Wuttke,  Geschichte  des  Heidentums  II,  S.  270  fgg. 

2)  Padmapuränam    kap.  9.      Uttarakhandam.      S.  AVolllicini,    Altindische 
Mytliologie  S.  82. 

3)  Von   laksh    kommt   laksliana    das    Zeichen,    ursprünglich    das   Bewah- 
rende; von  raksh  räkshasa  vor  dem  man  sich  zu  hüten  hat,   Kiese,   Dämon. 


576 

der  Geburt  geboren;  die  unheilvollsten  entsenden  wir  von 
hier,  die  heilvolleu  gewähre  uns  Jatavedas  (Agni).  Diese 
hier  trennte  ich,  wie  auf  der  Tenne  die  getrennten  Kühe, 
verweilen  mögen  die  reinen  Lakshmis,  die  unheilvollen  (Pä- 
pis)  habe  ich  vernichtet." 

B.     Die  Noruen  als  Güttinuen  des  Todes,  der  Geburt  und  der  Heirat. 

Valkyren,  Völen,  Nornen  und  vielleicht  auch  die  Fylg- 
jen  bildeten  ursprünglich  eine  Schar,  die  der  Wasser- 
frauen. Aus  der  Vorstellung,  dass  die  Seele  im  Augen- 
blick, wo  sie  dem  Körper  enteilt  in  der  Wolke,  dem 
himmlischen  Gewässer  Aufnahme  findet,  erzeugte  sich  der 
Gedanke,  dass  die  darin  weilenden  und  webenden  göttli- 
chen Frauen  auf  das  Leben  des  Menschen  unmittelbaren 
Einfluss  üben.  In  dem  Tode,  der  das  endliche  Ziel  aller 
Entwickelung  ist,  tritt  das  Eingreifen  des  Schicksals  am 
Entschiedensten  hervor  und  je  mehr  der  Naturmensch  vor 
diesem  Freudenmörder  ein  natürliches  Grauen  empfindet, 
desto  lebendiger  greift  gerade  hier  zuerst  das  Bewusstsein 
einer  höheren  auf  sein  Dasein  einwirkenden  Macht  Platz. 
Verschiedene  andere  natürliche  Ideenverbindungen  und  psy- 
chologische Motive  wirkten  dahin  jene  Vorstellung  zu  be- 
festigen und  in  den  schicksalwirkenden  Wasserfrauen  eine 
Scheidung  eintreten  zu  lassen.  Die  Eddenreligion  grenzte 
die  einzelnen  Gruppen  scharf  und  bestimmt  gegeneinander 
ab,  dem  verfallenden  Heidentum  blieb  es  aufbehalten,  sie 
wieder  zu  mischen.  In  den  niederen  Schichten  des  Volks- 
glaubens war  ihre  Trennung  nie  vollständig  vollzogen. 

Während  der  Valkyrensage  vorzugsweise  die  seelen- 
bergende Tätigkeit  der  Wasserfrau,  den  Völen  der  prophe- 
tische Erguss  rar  sehenden  Regens  zu  Grunde  lag,  bildete 
sich  die  Nörnenraythologie  aus  einem  neuen  Moment  der 
Wolkennatur.  Die  schwarze  dunkele  Gewitter- 
wolke erschien  als  Bild  des  Todes. 

Unserem  Geschlechte  einoreboren  und  tief  in  der  Ei- 
SCenheit  menschlicher  Art  begründet  ist  das  Streben,  in 
der  Natur  Abbilder  geistiger  Wahrnehmungen   zu  suchen. 


577 

Noch  heute  entlehnen  wir  zum  gröfsten  Teile  die  Bezeich- 
nungen abstracter  Begriffe  aus  der  sinnlichen  Aufsenwelt. 
Die  primitive  Menschheit  war  so  mit  der  Natur  verwach- 
sen, sie  empfand  dieselbe  so  unmittelbar,  „dass  ihr  keine 
ethische  Empfindung  ohne  Anlehnung  an  ein  Naturobject 
blieb,  während  wiederum  die  Naturempfindung  zu  einer 
ethischen  sich  verklärte  ')."  Oft  reichte  ein  einzelner,  so- 
gar ganz  unwesentlicher  Vergleichungspunkt  hin,  um  die 
Combination  herbeizuführen.  Mit  ewigen  Schatten  um- 
florte der  Tod  das  Auge,  welches  so  hell  in  die  Welt  hin- 
ausschaute, in  die  dunkele  Hügelkammer  bargen  die  Nach- 
gebliebenen die  Asche  der  abgeschiedenen  Verwandten, 
schwarz  war  die  Farbe  der  Nacht  in  welche  des  Todes 
Zwilhngsbruder,  der  Schlaf,  auch  die  Mächtigsten  auf  das 
Lager  niederzwingt^);  in  der  Finsternis,  wenn  das  leben- 
dige heitere  Licht  des  Tages  erloschen  ist,  wirkte  das  Ge- 
fühl der  Hilflosigkeit,  das  die  Quelle  aller  Religion  ist,  in 
der  Seele  am  ergreifendsten,  so  ergreifend,  dass  nur  die 
Schrecken  des  Sterbelagers  diese  Wirkung  überbieten.  So 
musste  Nacht  und  schwarzes  Dunkel  überall,  wo  es 
erscheint,  die  empfängliche  Seele  au  die  Finsternisse  des 
Todes  gemahnen.  Plötzlich  und  als  allgemeines  Naturge- 
setz unbegriffen  trat  das  Ende  des  Lebens,  die  Vernich- 
tung ein.  Die  schwarze  Gewitterwolke,  die  Verderben 
drohend  eine  Zeitlang  über  den  Häuptern  hinzieht,  dann 
mit  einem  Male  vernichtend  sich  entladet,   verschmolz  auf 


1)  S.  die  schöne  Auseinantlersetzung  von  Lauer,  System  der  griech.  My- 
thologie S.  20  —  49.  Vergl.  Otfr.  ]Müller,  Prolegomena  zu  einer  wissenscliaftl. 
Mythologie  S.  258:  „Symbol  ist  ein  äufseres,  siclitbares  Zeichen,  an  welches 
sich  eine  geistige  Regung,  Gefülü  oder  Gedanke  l^nüpft.  Diese  Anknüpfung 
des  Gedankens  an  das  Zeichen  war,  wo  sie  stattfand,  dem  Volke  natürlich 
und  notwendig  und  sie  geschah  unwillkürlich  und  in  diesem  geglaub- 
ten realen  Zusammenhang  des  Bezeichneten  und  des  Zeichens  hat  das  Sym- 
bol sein  AVesen."  —  Ebendas.  269:  Die  Natur  M'ird  in  durchaus  enger  Ver- 
bindung mit  dem  Menschen  erfasst  und  die  geistigen  Principe  beider  als  iden- 
tisch und  homogen ;  ja  der  Mensch  erscheint  wie  in  echter  Identitätsphiloso- 
phie oft  nur  als  ein  besonderer  abhängiger  Naturgeist.  Es  geht  daraus  eine 
dämonische  Betrachtung  der  Natur  und  des  ganzen  Lebens  hen'or,  die  (hirch  die 
überwiegende  Auflilärung  verdrängt,  später  nur  noch  als  Aberglauben  fortbesteht. 

2)  Vergl.  Beow.  2746  vom  toten  Draclien:  ,,nu  se  wjTm  ligeö,  swe- 
feo  säre  wund."     Nun  der  Wurm  daliegt,   schläft  totA\'und. 

37 


578 

diese  Weise  den  Naturmenschen  unwillkürlich  mit  dem  Ge- 
danken an  den  unvorhergesehen  eintretenden  nächtigen 
Tod;  vergeblich  auf  Erden  nach  einer  wirkenden  Ursache 
umblickend,  fand  er  dieselbe  in  den  in  der  Wolke  weben- 
den göttlichen  Frauen. 

Eine  willkommene  Bestätigung  unserer  Entvnckelung 
gewährt  eine  indische  Analogie.  Skr.  käla  heifst  schwarz, 
blauschwarz,  das  davon  abgeleitete  Femininum  kälä  bedeu- 
tet sowol  die  Nacht,  als  eine  schwarz  aufziehende  Wol- 
kenmasse. Kala  auch  ist  ein  Beiname  des  Totenffot- 
tes  und  der  seelengeleitende  Hund  dieses  Gottes  heifst 
wiederum  ^yama  schwarz  ').  Im  Rigveda  kommt  kala 
nur  einmal  vor  und  hat  hier  die  abgeleitete  Bedeutung 
Zeitpunkt,  Zeit;  AV.  ly,  53.  54  lesen  wir  es  in  Liedern, 
welche  von  Macht  und  Wesen  der  Zeit  handeln,  deren 
Begriff  hier  an  den  der  Weltordnung  oder  des  Schick- 
sals streift.  Mit  käla,  wozu  gr.  xrj?ug,  y.yjlldog  Schmutz- 
fleck, y.ij?udu'(oj  schmutzig  sein,  y.tj'/.ag  y.ij'/.üöog  Wind  und 
Regen  ankündigende  Wolke  zu  gehören  scheint,  hängt 
nach  Bopps  ^)  und  Leo  Meyers^)  Urteil  y/jo  die  Todes- 
göttin ,  y.r]oci  schaden  zusammen  *).  Die  Keren  sind  bei 
Homer  eine  Schar  von  Todesgöttinnen  ^) ,  Göttinnen  des 
Sterbens,  besonders  des  gewaltsamen  Todes.  Wir  können 
sie  unsern  Valkyreu  vergleichen  '^) ,  ohne  dass  beide  histo- 


1)  S.  Weber,  Ind.  Studien  II,   295  fgg. 

2)  Gloss.  Sanscr.   71. 

3)  Zeitschr.  f.  vergl.   Sprachf.  V,   375. 

4)  Doch  ist  freilich  diese  Ableitung  nicht  gang  unbedenklich,  da  bei  den 
einsylbigen  Wörtern  im  Griechischen  häutig  Abfall  eines  Endconsonanten  oder 
Zusammenziehung  stattfand.  In  Bezug  auf  letzteres  vergl.  yfjo,  xiao  =  skr. 
kayat  Part,  von  ki  denken,  y.xiao  =  kshayat  von  kshi  besitzen;  für  erste- 
res  sind  /.ir^v  =  i.ir,vq,  XV"  ^^  /J^''^  (vergl.  mens-is,  ans-er  Gans)  Belege.  So 
dürfte  xrjo,  zj/oo:,-  von  krit  schneiden  mit  zeud.  kerent  zaubern,  skr.  kritya 
Zauber  kommen,  und  mit  xfur-o-uo-q  herzzerschneidend  (aus  xagr  mit  Suff. 
^o,  ma  wie  oaü.-i-iio-q)  zusammenhangen.  Kr^o  wäre  dann  die  Schneidende, 
Tötende. 

5)  II.  XII,   325: 

titTcriq  /'*?  Kfjoeq  icfiaiäaiv  ß-ancvoio 

(.tvoiai,  ok;  ovx  loti  q:vyili'y  (Iootov^   ovo     vnalv^ui. 

6)  Dieser  Vergleich  ist  schon  mehrfach  ausgesprochen  z.  B.  von  Preller, 
Griech.  Myth.  I,  525. 


579 

risch  identisch  sind.  Sie  erscheinen  mit  Eris  und  Kydoi- 
mos  auf  dem  Schlachtfeld,  in  blutgetränktem  Ge- 
wände, die  Verwundeten  und  Sterbenden  herum- 
zerrend ^).  Jedem,  der  gewaltsamen  Todes  sterben  soll, 
ist  bei  der  Geburt  schon  eine  eigene  Ker  zugeteilt, 
die  ihn  zur  bestimmten  Zeit  ereilt  ^).  Unter  den  Beiwör- 
tern der  Ker  (y.ay.i],  öAo?;  u.  s.  w.)  ist  fiilaiva  die 
Schwarze  das  gebräuchlichste  und  ebenso  heifst  der 
Tod  dunkeP).  Aus  der  Nacht  sind  diese  unheilvollen 
Göttinnen  geboren,  wie  man  zu  Hesiods  Tagen  dichtete  *). 
Neben  der  Ker  erscheint  bei  Homer  eine  andere  Schick- 
salsgöttin Moira  bis  auf  zwei  Stellen^)  stets  in  der  Ein- 
zahl. Das  Wort  Molga  ist  entstanden  aus  Möoia  von 
Wurzel  «o(),  mar,  skr.  mr  töten  *'),  bedeutet  also  die  Tö- 
tende. Allmählich  und  zwar  bereits  in  vorhomerischer 
Zeit  vergafs  man  diese  bestimmte  Bedeutung  des  Wortes 
und  aus  der  gewaltigsten  Kundgebung  des  Geschickes,  dem 
Tode  entspross  die  Bedeutung  des  Geschickes  im  Allge- 
meinen, geradeso  wie  auch  fiögog  Tod,  und  zwar  gewalt- 
samer Tod  bei  Homer  bereits  den  Sinn  „Geschick,  Le- 
bensloos"  hat,  das  den  Menschen  durch  sein  ganzes  Erden- 
dasein begleitet  und  ihm  schon  bei  der  Geburt  zugeteilt 
ist.  Aus  diesem  Grunde  bedürfen  sowol  Molga  wie  fxogog 
der  Ergänzung  durch  ein  daneben  gestelltes  ß'ccvatoq  (&d- 
vaTog  'Aal  Molga  xgaTanj;  ß^ävavog  ts  fA.6gog  te).    Die  alte 


1)  II.  XVIII,  535-540. 

2)  II.  XXIII,  79. 

3)  II.  XVI,   687:   •^  t   av   vniy.q'vye   Kijgu  xaz?})'  fnXavoq  ^avctTOto. 

4)  Hesiod.  tlieog.  211: 

JVv^  ö   irixs   ari'yfQÖv  xf   Moqov  y.al  Krjoct  fiiXaivai- 
y.at   Qär uTOv. 

5)  Od.  VII,    197: 

ciffff«   Ol   ytlcia  KaiaxXwO-K;  T{  ßuQflai' 
yfiio/ih'c)   riiaavTü   iJrw^  ort  fdv  Ttxf   layitiQ. 
II,  XXIV,   49:   tP.t^kJi'  yao  Moi^ai.  &ti(t6v  -O-iaav  a,v-&()wnoi,aiv. 

6)  S.  Ahrens,  Griechische  Formenlehre  des  homerischen  und  attischen 
Dialects  §.  157.  S.  185  durch  Epenthesis,  wie  -Ktva)  aus  Ttrtw,  ualvouai, 
aus  ^uvioficu,  afidrwv  aus  äfifviuv,  xfigo)  aus  x(qi,i,),  (U)T(iQa  aus  <)nriQia, 
Xc(q(oi'  aus  xffjio)}',  fitlaiva  ;ius  /itkavta  u.  s.  w.  entspringt.  Vergl.  Curtius, 
Griech.  Schulgrammatik  §.  55.  S.  17. 

37* 


580 

sinnliche  und  persönliche  Bedeutung  der  Moira  bricht  aber 
nicht  allein  in  den  Beiwörtern  y.oaTcui],  olovi  u.  s.  w.  her- 
vor, sondern  noch  mehr  in  den  Schilderungen,  wie  sie  selbst 
in  den  Kampf  hinabschreitet,  dicht  an  den  Menschen 
herantritt'),  ihn  würgt  und  tötet-);  ihn  mit  Händen  er- 
fasst  und  zu  Boden  reifst '^j,  ihn  packt  und  mit  Finster- 
nis s  seine  Augen  umhüllt^),  ihn  mit  Banden  fesselt, 
so  dass  er  in  freier  Ausführung  seiner  Entschlüsse  behin- 
dert wird  ^).  Wie  die  Nöru,  spinnt  oder  webt  die  Moira 
das  Geschick  "),  dieselbe  Tätigkeit  wird  aber  in  einer  über- 
wiesenden  Mehrzahl  von  Stellen  den  Göttern  im  Allsemei- 
nen  zugeschrieben').  Wenn  es  erlaubt  ist,  dieses  Weben 
und  Spinnen   auf  alte   Naturanschauung    zurückzuführen. 


1)  n.  XXIV,    131.  XVI,   852: 

a).).ä  Tot  riöri 

äy/t  7iaQfaTrjy.ev  -d-afuzoc;  y.al  MoTga  xQaTanj. 

2)  II.  XVI,   849:   äX).a  fif  Molo'   oAojJ  y.al  jitjzovq  f'y.iavsv  vvoq. 

3)  Odyss.  II,   100.  HI,   238: 

fii;   oTf   xiv  fiiv 

MnTo     ol.nii   y.aS-ü.Jiat  TavtiXfyio:;  &ai'äTOio. 
Vergl.  Sophocl.  Ajax.   511:   ftoloa  xov  (jvaavTa  y.u&iO.f. 

4)  IL   V,   83: 

Tov  di  xctr     oact 

l'XXuße   nooqA'(}(n;   &at'aToq  y.al  ]\Iinnct  y.oaTCCirj. 
II.   XII,    116:    7ioo(T&Bv   '/au    iiiv   Moloa  (Victwi'I'ho?  ai.t(piy.alvipiv 
l'yXit   länuivrioq   ayavov  Atv/.a).ldao. 

5)  II.  XXII,   5:  ^Ey.xoon   d    ar'xnv   iiflvai,  oXoti  Molo     ineärjffif. 
Od.   in,   269:   d).V   ozf   dtj   iiiv   MoToa   &f(j)v  iTtiSrjrri   dafxiirai. 
Od.  XI,   294:   y_<x).i7i7j   ()s   \)-iov  y.aia   Molo     inidr^nfv. 

Analog  legt  die  vedische  imd  epische  Mythe  der  Inder  dem  Todesgott  Yama 
Stricke  und  Seile  bei,  mit  denen  er  und  seine  Boten  den  Menschen  fes- 
seln; Band  und  Seil  schrieben  auch  altdeutsche  Dichter  dem  Tode  zu. 

6)  II.  XXIV,  209: 

Tol   öw<;  no&i   Moloa  yoarai^ 

ylviOidvü)   inirviGt   kifio,   6t?   ftiv  riy.ov   uvxi]. 

Od.  VU,   197:   äaaa  oi  Aiaci  xaiay.Xm&e^  it  ßaQilai, 

yfivouivo)   vtjaai'TO   ).lv<j>,   oxi   uiv  xf'y.i  f.tt]XT](). 

n.  XX,   127:   ßffff«  Ol  Alaci 

yeivofiii'd)  infvriai  ).iio) 

7)  Od.  III,   208:   iney./.waav  &fol  oXßov. 

Od.  VIII,   579:   &(ol  iniy.luaavio   oXf&oov  diO-Qwnoiq. 
Od.  XI,   139:   xä  fxiv  ä,Q  nov  intx/.waav  &(ot  avxol. 
Od.  XVI,   64:  o»?  ydo  6i  i-nixXoiatv  xayt  datficav. 
Od.   IV,   208:    o)xt    KoQvluiv    oXßov    inixXo'iafi    yafj,iorxC  xt    yino- 
liiroi  xt. 


581 

so  ergiebt  sich  auch  die  Moira,  aus  einer  gröfseren  Schar 
hervorgetreten,  differenziert.  Wir  dürfen  um  so  eher  ver- 
muten, dass  auch  sie  aus  der  Genossenschaft  der  Wasser- 
frauen ausgeschieden  ist,  als  die  ihr  nahe  verwandten, 
schwangestalteten  (y.vy.vuuo()(foi)  Grsden^),  Erynuien '^j  und 
Gorgonen  ^)  aus  Göttinnen  der  Wolke  entsprungen  sind. 

In  homerischer  Zeit  hat  die  ganze  Götterwelt  schon 
einen  überwiegend  ethischen  Charakter  angenommen,  es 
zeigt  sich  das  Streben,  die  gediegenen  plastischen  Gestal- 
ten des  Volkso-laubens  zu  verflüchtigen  und  zu  vergeisti- 
gen  ■*).  Dieses  Streben  hat  denn  auch  die  Moira  bereits 
in  den  Kreis  der  Abstractionen  hineingezogen  und  jene 
früheren,  die  volle  Leibhaftigkeit  persönlicher  Auffassung 
au  sich  tragenden  Formeln  abgeschwächt.  Man  hatte  nun 
den  Tod  als  Naturnotwendigkeit,  als  Ausfluss  eines  allge- 
meinen Schicksals  erkannt,  und  ein  unpersönliches  (.iolQa 
und  cdoa  im  subjectiven  Sinne  des  einem  Jeden  zugefalle- 
nen Lebenslooses  vertritt  häufig   den  Platz  der  lebendigen 


1)  S.  Panofka,  Perseus  und  die  Grata  S.  217.  Auch  die  Graia  er- 
scheint ursprünglich  in  der  Einzahl.  S.  Panofka,  Verlegene  Äh-then  1839 
T.  I,  1.  Das  eine  Auge  der  Graien,  das  Weltauge  (s.  W.  Grimm,  Sage  von 
Polyphem  S.  28),  die  Sonne  kehrt  auch  bei  drei  alten  Weibern  in  einem 
norwegischen  Märchen  wieder.  S.  Asbjürusen  und  Moe  übersetzt  von  Brese- 
mann  No.  2J.  Lillekort  S.  162. 

2)  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  I,   454. 

3)  a.  a.  O.  I,  460. 

4)  Dem  Jib(;  rooc;  (Jtö?  f(f/d>.ntn  rö)jf(a  II.  XVII,  409)  wird  ein  tä- 
tiges Eingreifen  zugeschrieben.  Keben  (k'r  älteren  Vorstellung,  dass  der  Göt- 
terstaat auf  menschliche  Weise  sich  gliederte,  so  dass  Zeus  den  König  (/Ja- 
(TtAfi'is')  ,  die  eigentlichen  Olymposbewohner  {d(ol  OlvfiTiini,)  die  aristokra- 
tische ßoflri  der  Geronten  (bei  Homer  ,9d)y.0i;,  s.  Od.  V,  3.  II.  VIII,  439. 
Hesiod.  theog.  802)  die  Versammlungen  sämmtlicher  Götter  auch  der  Nnn- 
phen  und  Wassergottheiten  die  Volksversammlung  {dymia  s.  II.  XX,  3.  VIII, 
2)  darstellten  (vergl.  Teuftel,  Zur  Einleitung  in  den  Homer  S.  20  fgg.),  tut 
sich  eine  monotheistische  Richtung  hei-\'or,  welche  die  Wirksamkeit  der  ver- 
schiedenen Götter  vielfach  als  Ausfluss  von  der  des  Zeus,  als  in  seinem  Auf- 
trag und  Namen  erfolgt  anschaut  (s.  Nägelsbach,  Homerische  Theologie  S.  108). 
Daneben  läuft  der  pandämonistische  Zug,  überall  da  wo  die  Reflexion  in  ei- 
ner Reihe  mannigfaltiger  Erscheinungen  ein  einheitliches  Gesetz  erkannte.  In 
diesem  Allgemeinen  einen  neuen  Gott  zu  erkennen,  der  jenes  Einzelne  entwe- 
der schafl'e  oder  selbst  der  Geist  desselben  sei.  So  traten  neben  die  alten 
Vülksgötter  abstrakte  Personificationen  wie  Dciraos,  Phobos,  Kydoimos,  Alke, 
Aisä,  Enyo,  Eris  u.  s.  w.  (s.  Nitsch,  Zur  Odyssee  I,  S.  XIII  — XV.  Nägels- 
bach a.  a.  0.  S.  89  fgg.). 


582 

Göttin  ').  Die  nur  in  zwei  Stellen  bewahrte  Mehrzahl  der 
tötenden  (uoioai)  oder  spinnenden  (y.ccTcr/JM&eg)  Frauen 
gehört  noch  einer  älteren  Schicht  des  Volksglaubens  an. 
Der  letztere,  der  aus  einzelnen  Sagen  vorzüglich  aber  durch 
den  Kultus  zu  unserer  Kunde  gelangt,  hielt  auch  später 
an  der  Persönlichkeit  der  Moiren  fest.  Hesiod  weifs,  dass 
sie  sammt  den  Keren  aus  der  Nacht  geboren  seien.  Ihre 
Zahl  ist  bei  ihm  schon  auf  drei  beschränkt,  sie  heifsen 
Klöthö  (die  Spinnerin),  Lachesis  (Lofsung)  und  Atropos 
(die  Unabwendbare).  Der  dritte  Name  Atropos  drückt 
die  unausweichliche  Notwendigkeit  der  Schicksalsbeschlüsse, 
namentlich  in  der  Stunde  des  Todes  aus,  ist  also  nur  ein 
anderer  Ausdruck  für  Moira  im  ursprünglichen  Sinne  des 
Wortes.  Diesen  Sinn  scheint  das  Volk  in  einzelnen  Gauen 
noch  lange  durchgefühlt  zu  haben-).  Von  dem  Act,  in 
welchem  das  Schicksal  am  gewaltigsten  eingreift,  dem  Ende 
des  Lebens,  richtete  sich  der  Blick  naturgemäfs  auf  den 
Anfang  des  irdischen  Daseins  und  neben  Atropos  trat 
Klöthö  die  Spinnerin,  welche  schon  bei  der  Geburt  jedem 
Menschen  das  Geschick  vorausbestimmt.  Beginn  und  Auf- 
hören, das  erkannte  man,  lag  in  einer  Hand;  nun  entfal- 
tete sich  in  Wiege  und  Grab,  Geburt  und  Tod,  nicht  mehr 
im  Tode  allein  die  Wirksamkeit  der  Moiren.  Diese  Stufe 
der  reliofieusen  Entwickeluug  bewahrte  u.  a.  der  Kultus  in 
Delphi,  denn  hier  liefs  man  nur  zwei  Moiren  gelten.  Mit 
Eileithyia  Aphrodite  Urania,  und  anderen  Geburtsgöttin- 
nen vereint,  dachte  sich  der  Volksglaube  die  Moiren  bei 
Entbindungen    angerufen^).      Bekannt    ist    die    schöne. 


1)  Die  Auffassung  und  Stellung  der  Mooia  im  homerischen  Gottesbe- 
wusstsein,  die  auseinanderzusetzen  hier  nicht  der  Ort  ist,  erörtert  Teuffei 
a.  a.  0. 

2)  Unter  Xeugriechen  gelten  Mira,  Tichi  und  Kisiko  (j;  Mofgä,  fj 
Tvyr  tÖ  PoiI.iy.ö)  als  die  drei  Parzen.  S.  Eulambios  6  duaoavzoi;  t/iot 
TapotJa  Ti;i;  dfa'/e,r,i&fCar,i  'E'ilado^  Petersburg  18  i3  p.  XXVU,  woher 
die  Wörter  ^luzaoj;;,  zw/.oo^^txo;,  y.aln^oujo:;  glücklich,  xay.Ofioiooq,  y.axo- 
qCCiy.oq,  unglücklich  (s.  Sanders,  Volksleben'  der  Xeugriechen  144)  kommen. 
Neugriech.  öi^tzo,  ital.  rischio  Geschick  stammt  von  oqitw-  Vergl.  Ad.  El- 
lison, Versuch  einer  Polyglotte  der  europ.  Poesie  I,  271.  D.  Sanders,  Ueber 
das  deutsche  WB.  II,   126. 

3)  S.  Preller,  Griech.  Myth.  I,  330.     Panofka,  Ueber  Venusidole  1843 


583 

seit  Phrynichos  von  den  Tragikern  oft  bearbeitete  Legende 
von  Meleager,  dem  Sohn  der  Althaia.  Als  der  Säugling 
am  siebenten  Tage  nach  alter  Sitte  um  das  Feuer 
der  Hestia  getragen  wurde  und  Namen  erhielt, 
traten  die  Moiren  zur  Mutter  und  sprachen:  „Dann  wird 
dein  Kind  sterben,  wenn  jenes  auf  dem  Heerde  brennende 
Scheit  von  der  Flamme  verzehrt  ist."  Athaia  entreifst  den 
Scheit  der  Flamme  und  legt  ihn  in  eine  Lade;  nach  Jah- 
ren, über  den  Sohn  erzürnt,  zündet  sie  ihn  an,  und  der 
kräftige  Jüngling  stirbt  plötzlichen  Todes. 

Der  dritte  wichtigste  Augenblick  im  Leben  des  Men- 
schen ist  der  Zeitpunkt,  wann  er  zur  Gründung  eines  ei- 
genen Herdes  schreitet.  Er  bildet  die  Mitte  zwischen 
Geburt  und  Tod  und  reihte  sich  sehr  bald  unwillkürlich 
diesen  Momenten  ein.  Die  Moiren  finden  wir  daher  auch 
bei  Hochzeiten  zugegen  und  die  Bräute  pflegten  der 
Hera  relsia^  der  Artemis  und  den  Moiren  zu  opfern'). 
Aus  der  Wirkung  in  diesen  drei  Hauptmomenten  des 
menschlichen  Lebens  entwickelte  sich  meiner  Ansicht  nach 
die  Dreizahl  der  Moiren.  Der  Name  Lachesis  freilich 
gehört  einer  anderen  Gedankenreihe  an;  man  stellte  sich 
vor,  dass  Zeus  oder  die  Moiren  der  Menschen  Schick- 
sal durch  Lofsung  bestimmen*^);  ursprünglich  eriofste  wol 
jeder  der  Götter,  wer  seiner  Gewalt  zufallen  sollte  ^).  Die 
weitere  Entwickekmg  des  Moirentheologems  gehört  nicht 
an  diesen  Ort. 

Wie    die    hellenische    Schicksalsgöttin    vom    Endiger 


S.  319.  Die  Albanesen  glauben,  dass  am  dritten  Tage  nach  der  Geburt  drei 
unsiclitbare  Frauen  (i^aitif)  am  Bette  des  Kindes  schicksalbestiunnend  er- 
scheinen. Dem  Ausspruch  der  letzten  stinnnen  die  andern  bei.  Jedes  dem 
Kinde  zustol'sende  Ereignis  wird  auf  diese  Satzung  bezogen,  indem  man  .sagt: 
So  haben  es  die  Fatiten  geschrieben,  d.  h.  festgesetzt.  Hahn,  Albanes. 
Studien   148.     Hier  waltet  Eintluss  römischen  Glaubens. 

1)  S.   Preller  a.  a.  O.      O.  Müller,   Trolegomena  S.  137. 

2)  Vergl.   die  Wagschalen  II.  VHI,   G9  fgg.     11.  XXH,   209  fgg. 

3)  S.  II.  XXIII,  79:  äX).'  fftf  fih'  Ki]n  aiitpt/avf  aii'yiiitj,  tlTifo  kä/t 
yiLvoftfvov  Till).  ,,Mich  hat  die  fmelitbarc  Ker  versclilungen,  die  mich  bei 
meiner  Geburt  zu  ihrem  Anteil  eriofste."  Geradeso  wie  man  bei  Erbteilungen 
das  Leos  (xA^/ont;)  warf,  wird  ).cty/aifi-i'  oft  von  den  Göttern  gebraucht,  diu 
(gleichsam  bei  Verteilung  der  Erde),  ein  Land,  eine  Stadt,  u.  s.  w.  als  Au- 
teil erlangt  haben. 


584 

aller  Dinge  dem  Tode  ausging,  so  auch  die  römische.  Der 
Römer  nannte  seine  Parze  ursprünglich  Morta  die  Tö- 
tende'). In  des  Livius  Andronicus  Odyssee  stand  der 
Vers: 

Quando  dies  adveniet,  quem  praefata  Morta  est  ^) 
und  Caesellius  Vindex  führte  in  seinen  Commentarii  anti- 
quarum  lectionum  Nona,  Decuma,  Morta  als  die  drei 
Schicksalsgöttinnen  auf.  Nona  und  Decima  werden  auch 
von  Varro  als  Parzen  bezeugt  ^).  Diese  beiden  Göttinnen 
fallen  begrifflich  zusammen,  sie  sind  nach  den  Monaten  der 
Geburt  benannt. 

Gehört  nach  den  vorherigen  Untersuchungen  die  Drei- 
zahl  der  Parzen  und  Moiren,  ja  ihre  Auffassung  als 
Göttinnen  des  Schicksals  im  Allgemeinen  einer  verhältnis- 
mäfsig  jungen  Zeit  an,  so  dürfte  der  Glaube  an  die  tö- 
tenden Wolkenfrauen  schon  in  die  gemeinsame  indo- 
germanische Urzeit  hinaufreichen.  Die  Westarier  kennen 
einen  in  Scharen  auftretenden  weiblichen  Dämon  Na^us 
d.  h.  die  Tötende,  der  mit  den  Drukhs  (das  sind  die 
indischen  Druhj-us  s.  oben  S.  155  fgg.)  eng  verbunden  ist. 
Er  bringt  Lebenden  den  Tod  oder  wirft  sich  auf  die  Leich- 
name verstorbener  Menschen.  Dasselbe  Wesen  scheinen 
aber  auch  die  Altrussen  gekannt  zu  haben,  denn  Nestor 
erzählt,    dass   die  Einwohner   von   Polotsk   (PleskowJ   von 


1)  Mortus,  a,  um  ist  das  eigentliclie  Part.  Perf.  zu  mori,  das  in  der 
Sprache  der  Urbanität  durch  das  erweiterte  Adjectiv  mort-u-us  (wie  an- 
nuus  von  annus)  vertreten  wurde,  aber,  wie  franz.  mort,  ital.  morto  zeigen, 
in  der  Volkssprache  lebendig  war.  Ursprünglich  hat  mori  sowol  die  transi- 
tive Bedeutung  töten,  wie  die  intransitive  sterben;  vergl.  provenc.  morir 
sterben  und  töten.  Das  Suffix  tu,  skr.  ta,  goth.  ])a,  j?u  hat  nicht  immer 
passive,  sondern  oft  auch  active  Bedeutung.  Vergl.  skr.  näthita  anflehend 
und  angefleht;  lat.  cautus  der  vorgesehen  hat,  ausus  u.  s.  w.  Aus  der  Be- 
deutung ,, getötet  habend"  entwickelte  sich  der  Sinn  tötlich,  wie  in  immen- 
sus,  contemptus,  acceptus  (=  gratus)  aus  dem  Begrifi"  wiederholten  Leidens 
der  natürliche  Uebergang  in  den  Zustand  dauernder  Eigenschaft  stattfand. 
Vergl.  invictus,  indomitus ,  infectus,  incorruptus,  inexhaustus,  inaccessus,  in- 
comprehensus,   gr.  aTOfmoi;  biegsam  u.  s.  w. 

2)  üebersetzung  von  Homers:  ti<;  ori  xiv  fnv  Molo  oIotj  y.a9-iX>,(Si 
TavtiXtyfoq  Ä^aiaroio.     Vgl.  oben  S.  580,  Anm.  3. 

3)  GeUius  N.  A.  III,   16. 


585 

den  Nawje   d.  h.  die  Tötenden  durch  nächtlichen  Alp- 
ritt getötet  wurden. 

Von  demselben  Wortstamm,  welcher  den  Bildungen 
na^us,  nawje  zu  Grunde  liegt,  leitet  sich  das  nordische 
nörn  ab.  Es  ist  die  Wurzel  NAK  (skr,  na^,  lat.  nec-are), 
wovon  lat.  nec-s;  nee -esse,  griech.  vt/.v-g^  vsx-Qog,  goth. 
nahv-s,  altn.  när,  lith.  nahwi  sterben,  nahwe  tod,  nahwigs 
tötlich,  slav.  nawiti  morden.  Nach  vielen  verunglückten 
Versuchen  ')  wurde  von  J.  Grimm  die  richtige  Etymologie 
gefunden-).  Wie  das  goth.  (Subst.?  Adject.?)  viduv-airns; 
ahd.  dio-rna  (aus  diu-arna);  altn,  j^erna;  goth.  eis-arn;  ahd. 
isarn;  ags.  bläc-ern  (atramentarium),  cweart-ern  (custodia), 
heal-ern  (anla),  holm-ern  (navis),  hord-ern  (gazophylacium), 
medo-ern  (apotheca  mulsi),  l'ryd-ern  (turmarum  statio),  win- 
ern  (cellarium)  ist  von  einem  verlorenen  Substantiv  des  in 
goth.  naus  Plur.  naveis,  altn.  när  Plur.  näir  erhaltenen 
Stammes  NAHV,  welches  Tod  bedeutete,  die  Form 
NAHVARNS  goth.  NAVAIRNS,  d.  h.  die  Tötende 
abgeleitet.  Die  älteste  nordische  Lautuno;  musste  naurn 
sein,  indem  der  Vocal  der  Ableitungssylbe  mit  dem  Stamm- 
vocal  verschmolz.  Gothisch  au  verdichtet  sich  nun  im 
Altnordischen  entweder  zu  6  oder  ä;  für  ersteres  zeugen 
die  Beispiele:  goth.  dau  (mortuus  est),  mavi  (virgo),  goth. 
FLAUS,  ags.  fleä  (pulex),  laug  (meutitus  est),  smaug  (ir- 
repsit),  sau-il  (sol)  =  altn.  dö,  moer,  flö,  16,  smö,  söl. 
Der  Uebergang  in  a  ist  im  Ganzen  häufiger,  mitunter  sind 


1)  Eülis,  Edda  138  deutete  norn  =  die  Rettende  aus  goth.  nasjan,  ags. 
nerjan;  Holmboe  Ordbog  S.  2(54  =  die  Leitende  aus  einer  sehr  fraglichen 
Wurzel  nr,  die  leiten  bedeuten  soll.  Petersen,  Nordisk  Mythologi  140  = 
die  Einengende  oder  die  Zusammenknüpfende  aus  niörva  oder  snir- 
fan.  Weinhold,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VI,  461  die  Wassergeborne  aus 
skr.  nira,  nära  Wasser.  Munch,  Die  nord.-genn.  Völker,  übers,  von  Claussen 
S.  218  =  die  Gedrängte,  Enge  aus  njörunn,  njarunn  =  ags.  nearu. 
J.  Grimm  dachte  Myth.^  1213  einen  Augenblick  an  ahd.  noran,  mhd.  norn, 
Part,  von  niosan  ( stenuitare )  wegen  der  wcilsagenden  Kraft  des  Niesons. 
Selig  Cassel  tischt,  Weiniarsches  Jahrbuch  II,  380,  Anni.  36  die  directc  Ab- 
leitung aus  Moloa  niit  Uebergang  des  m  in  n  auf.  Statt  Aurinia  (d.  h. 
Alb-rüna)  will  er  Norinia  oder  Naurinia  =  Norn  bei  Tacitus  lesen  (!I!j. 
2)  Diphthonge  nach  ausgefallenen  Consonanten  S.  189. 


586 

beide  Formen  vorhanden  z.  B.  16  (coma)  neben  lä  ^).  Es 
darf  daher  nicht  Wunder  nehmen,  neben  nörn  demselben 
Stamm  a- lautend  in  nar  zu  begegnen.  Sehr  schön  hat 
MüUenhofF-)  die  gothische  Form  in  dem  Volksnamen  der 
Naharnavali,  dessen  Schreibung  in  den  Handschriften 
schwankt,  aufzuweisen  versucht;  er  stellt  den  letzteren  in 
Navarnahali  =  goth.  Navairnehaleis  (d.  i.  qui  dearum  fa- 
talium  tutela  gaudent  vgl.  altn.  halr  =  helid  vir  fortis)  wie- 
der her.  Ich  vermag  Grimms  Deutung  durch  eine  nordi- 
sche Analogie  über  allen  Zweifel  zu  erheben.  Wie  nörn, 
Gen.  nörnar,  Plur.  nörnir  ist  das  Fem.  förn.  Gen.  förnar, 
Plur.  förnir  Opfergabe,  Opfertier  gebildet.  Dieses  Wort 
führt  wie  nörn  auf  Wurzel  NAK,  skr.  na^,  goth.  NAHV, 
so  auf  PAK,  skr.  pa9,  goth.  FAH V  weiden  zurück,  wovon 
skr.  pa^u,  lat.  pecu,  goth.  faihu,  ahd.  vihu  „das  weidende 
Tier"  sich  ableiten.  Faihu,  vihu  gingen  aus  älterem  fahu 
hervor,  zu  welchem  förn  =  goth.  fahvairns,  favairns  sich 
verhält  wie  goth.  aiz  zu  eisarn. 

Die  tötenden  Göttinnen  der  schwarzen  Gewitter- 
wolke, die  Nörnen,  stehen  auch  nach  nordischem  Glauben 
in  unverkennbarer  Beziehung  zur  schwarzen  Nacht. 
Während  der  Nacht  treten  sie  an  Helgis  Wiege  s.  oben 
S.  554.  Mit  Absicht  ist  in  dem  Bericht  darüber  das  Him- 
melsgewölbe mänasalr  (Mondessaal)  genannt'');  auch  in 
der  Sturlüno-asacca  flieort  Urör  als  schwarzer  Vogel  zur 
Nachtzeit  daher,  wo  der  Mond  auf  das  Totenfeld  scheint 
s.  oben  S.  382.  Sie  oflPenbart  durch  den  Mond  (üröar- 
mäni)  künftige  Seuche  s.  oben  S.  555. 

Wie  die  Nörnen  zur  Erde  niedersteigen,  um  Mord 
und  Tod  zu  veranlassen,  ist  öfter  geschildert.  S.  oben 
S.  560  fgg.  SigurSarqu.  24,  wo  zu  bemerken  ist,  dass  die 
Nörnen  oft  allgemein  göttliche  Jungfrauen  disir  genannt 
werden: 


1)  S.   Grimm,   Gram.  I.^    457. 

2)  De  poesi  chorica  S.  8,  Anm.  1.    Ihm  stimmt  J.   Grimm,   G.  D.  D.  S. 
S.  715  bei. 

3)  Es  hätte  sonst  ebensowol  der  Ausdi-uck  solar  hüs,  gruud,  land  ver- 
wandt werden  können,  vergl.  oben  S.  327. 


587 

J'at  er  fär  mikit 

ef  l'ü  foeti  drepr, 

]7ars  ]>ü  at  vigi  vegr; 

tälardisir  standa 

j'er  ä  tvoer  hliöar 

ok  vilja  ]?ik  säran  sjä  ^). 
Die  Schicksalsfrauen  reizen  Sörli  und  Hamdir 
auf  ihren  Bruder  Erp  zu  töten  ^).  —  SigurS  durch 
Grimhilds  Zaubertrank  seiner  früheren  Geliebten  vergessen, 
hat  dem  Gunnar  die  Brynhilldr  erworben  und  ruht  nun  in 
jenes  Gestalt,  durch  ein  Schwert  geschieden,  neben  ihr. 
Aber  zwischen  ihnen  her  gingen  grimme  Nornen 
(gengu  j^ess  ä  milli  grimmar  üröir,  SigurSarqu.  III,  5). 
Aus  den  Folgen  dieser  Nacht  sollte  das  ganze  entsetzliche 
Geschick,  der  vollständige  Untergang  des  Völsüngen-  und 
Budlüngengeschlechts  sowie  der  Giukünge  hervorgehn.  An 
des  schlafenden  Atli  Bette  treten  Nornen,  um  ihm  in  wei- 
fsagendem Bilde  seinen  und  seiner  Söhne  Tod  zu  zeigen  ^). 
Auch  der  Germane  wird  zunächst  die  Geburt  als  Aus- 
fluss  ein  und  derselben  Macht,  welche  den  Tod  verhängte, 
empfunden  und  von  da  aus  erst  die  Idee  des  Schicksals 
weitergebildet  haben.  Daher  weifs  die  Sage  auch  vor- 
züglich noch  davon  zu  berichten,  dass  Nornen  sich  um 
den  Neugebornen  bekümmern.  Zunächst  bestimmen  sie, 
vrelche  Seele  in  menschlichen  Körper  eintreten 
soll.     Völuspä  20:  „J'ajr  lif  kuru  alda  börnum"  "*).    Dann 


1)  Grofse  Gefahr  ist  das,  mit  dem  Fufs  anzustofsen,  wenn  du  zum  Kampf 
dich  anschickst,  trügende  Nöriicu  stehen  dir  zu  beiden  Seiten  und  wollen 
dich  verwundet  sehn. 

2)  Hamdism.   29:  hvöttumk  at  disir. 

3)  Guörünarqu.  II,   37—41. 

4)  Den  Nomen  werden  an  dieser  Stelle  drei  Verrichtungen  zugeschrie- 
ben :  ]>a;r  log  lögöu ,  {joer  lif  kuru  alda  börnum ,  orlög  seggja.  Sie  schufen 
zuerst  die  Weltordnung,  das  allgemeine  Geschick  aller  Wesen,  dann  koren 
sie  den  Menschenkindern  das  Leben,  endlich  bestimmen  sie  fort  und  fort  den 
Lebenden  ihre  Einzelgeschicke.  Das  Bestimmen  des  Lebens  und  die  Bestim- 
mung der  Schicksale  während  des  Lebens  fallen  also  niclit  zusammen.  Ver- 
fügen, richten  kann  man  nur  über  etwas  Vorliandenes.  Nach  unseren  bishe- 
rigen Ergebnissen  über  den  Eintriit  der  Seelen  aus  dem  Seelenbrunnen  in 
menschlichen  Körper  wird  daher  für  die  ältere  Zeit  die  Lebenskiesung  in  der 


588 

stehen  sie  notlösend  den  Müttern  zur  Seite.  Aufser  der 
sclion  oben  S.  555  angeführten  Stelle  Fafnism.  12.  13  ist 
hier  noch  zu  erwähnen  die  Vorschrift  in  Sigrdrifum.  9: 

Bjargrünar  skaltu  kunna 

ef  ])ü  bjarga  vilt 

ok  leysa  kind  frä  konum; 

ä  löfa  jjffir  skal  rista 

ok  of  liSu  spenna, 

ok  biöja  ])ä  disir  duga*), 
Da  die  geburtshelfenden  Nomen  als  holde  Mächte 
erscheinen  mussten  (vergl.  oben  S.  573  hamingjar  einar), 
so  sind  sie  es  ohne  Zweifel,  welche  neben  Frigg  und  Frcyja 
als  „  hollar  vtettir "  bei  Entbindungen  angerufen  wurden, 
wie  in  Oddrüuargrätr  10  (s.  o.  S.  295,  Anm.  1).  Auf  den 
Faeroeer  heifst  noch  heute  die  erste  Mahlzeit,  welche  eine 
Frau  nach  der  Entbindung  geniefst,  Nörnagreytur  d.i. 
Nörneugrütze  ■-);  wahrscheinlich  opferte  sie  davon  den 
Schicksalsjungfrauen  für  ihren  gnädigen  Beistand  in  den 
Wehen. 

Erst  nach  der  Geburt  bestimmen  die  Schicksalsjung- 
frauen dem  Kinde  die  Dauer  seines  Lebens  und  den  Cha- 
rakter desselben.  Borghildr  hat  den  jungen  Helgi  geboren; 
Nacht  wird  in  der  Burg,  eines  Tages  alt  ist  der  Säugling, 
eh  die  Nörnen  schicksalschaffend  erscheinen,  s.  oben  S.  554. 
Sie  bestimmen  seine  künftigen  Eigenschaften  und  sein 
Lebensfflück. 


oben  angegebenen  Weise  aufzufassen  sein.  Nur  in  soweit  ist  mit  dem  blo- 
fsen  Geschenk  des  Lebens  das  Geschick  desselben  bestimmt,  als  das  letztere 
durch  die  natürlichen  körperlichen  Verhältnisse  u.  s.  w.  bedingt  wird.  Vergl. 
Oegisdrecka  48,  wo  Loki  zu  Heimdallr  (dem  Gewittergott)  sagt:  ]>er  var  i 
ärdaga  iÖ  Ijota  lif  um  lagit,  aurgu  baki  pü.  munt  x  vera.  «Dir  ward  in 
Urzeit  dies  leide  Leben  bestimmt,  mit  nassem  (schäumendem)  Rücken  musst 
du  immer  dastehn." 

1)  „Hilfrunen  sollst  du  kennen ,  wenn  du  helfen  willst  und  lösen  Kin- 
der von  Frauen.  In  die  flache  Hand  soU  man  die  ritzen  und  um  die  Ge- 
lenke spannen  und  flehn,  dass  die  Disen  beistehen. "  Wenn  Sigurör  ormr  i 
auga  im  Begriff  die  Heerfahrt  gegen  Eysteinn  von  Upsal  zu  rüsten,  sich  da- 
bei vermisst,  ihn  der  Krone  zu  berauben  ,,ef  disir  duga,"  so  ist  ungewiss, 
ob  Valkyren  oder  Xomen  gemeint  sind,  wahrscheinlich  die  ersteren. 

2)  Antiquarisk  tidskrift   1849—51    308,  a. 


589 

Wie  ich  vermute  wähnte  man,  dass  dies  in  dem  Au- 
genblick, oder  wenigstens  um  die  Zeit  geschah,  wenn  das 
Kind  durch  die  Wasserbesprengung  in  die  Menschheit  wirk- 
lich eintrat,  s.  oben  S.  310  fgg.  Denn  von  da  an  war  es 
erst  fähig,  Menschengeschick  zu  erfüllen  ').  Den  Beweis  für 
meine  Ansicht  glaube  ich  in  einer  Reihe  abergläubischer 
Meinungen  und  Gebräuche  finden  zu  dürfen.  Die  Insel- 
schweden auf  Worms  sagen,  die  Gevattern  müssen  wäh- 
rend der  Taufhandlung  den  Pastor  oder  das  Kind  anse- 
hen, denn  wenn  sie  sich  umsehen  sieht  das  Kind  Gespen- 
ster und  bleibt  geistersichtig-);  durch  das  Umsehen  he- 
ben die  Gevattern  die  Wirkung  der  Taufe  und  des  Nör- 
nengesanges  auf  und  das  Kind  behält  seelische  Natur,  vergl. 
oben  S.  313.  Was  man  dem  Kinde  während  der  Taufe 
anwünscht,  erfüllt  sich.  Wir  werden  davon  zahlreiche  Bei- 
spiele aus  Deutschland  beibringen.  Auf  Falster  setzt  der 
Vater  bei  der  Fahrt  zur  Tanfe  das  Kind  auf  das  eine  Ross, 
damit  es  furchtlos  wird;  die  Mutter  wirft  auf  dem  Wege 
einen  mitgebrachten  Kuchen  dem  ersten  Armen  zu,  damit  das 
Kleine  mildtätig  werde,  die  Patin  muss  dem  Prediger  rasch 
antworten ,  damit  das  Kind  schnell  lesen  lerne  u.  s.  w.  ^). 
Wenn  das  Kind  zum  erstenmal  gebadet  wird,  legt  man 
Geld  in  das  Wasser,  so  wird  das  Kind  reich.  Ein  Beu- 
tel mit  Pfennigen  ausgenäht,  wird  ihm  auch  um  den  Hals 
gehängt  ■*). 

Wir  sehen  hier  während  der  Taufe,  die  an  die  Stelle 
der  älteren  heidnischen  Wasserbesprengung  trat,  ebenso 
wie  auch  das  erste  Bad  des  Kindes  dieselbe  vertritt,  dem 
Kinde  künftige  Eigenschaften  mitgeteilt  und   sein  Le- 


1)  So  sind  Askr  und  Embbla  sclii  cksalslos  (örlöglausar),  ehe 
Oöinn  ihnen  Seele  (önd),  Hojnir  und  Loöurr  Leben,  Blut,  bl  übende  Farbe 
und  menschliche  Geberde  (vergl.  oben  S.  301) )  gegeben  haben.  Vö- 
luspä   17.   18. 

2)  Russwurm,  Eibofolke  II.  §.  G71.  S.  6G.  Vergl.  Kreutzwald  -  Boec- 
1er  S.  23. 

3)  Sv.   Grundtvig,   Gamle  danske  minder  i  folkcmunde  II,   S.  108. 

4)  Erik  Fernow,  Beskrifning  öfver  Wärmeland.  Götheborg  1773  p.  253 
fgg.     Myth.'    CIX,    19. 


590 

bensglück  vorausbestimmt').  Dies  aber  gewährten 
nach  heidnischem  Glauben,  wie  wir  aus  dem  Helgihed  ab- 
nehmen können  die  Nörnen.  Auch  hier  folgt  der  Schick- 
salsbestlmmuug  durch  die  drei  Jungfrauen  unmittelbar  der 
Act  der  Namengebung,  von  dem,  wie  wir  wissen,  die  Was- 
serbesprengung  einen  unerlässlichen  Teil  bildete.  Es  heifst 
nämlich.  Helgaqu.  Hundingsb.  I,  6.  7,  nachdem  der  Nör- 
nenbesuch  geschildert  ist,  dass  der  König  selbst  aus  dem 
Schlachtlärm  kam,  um  dem  jungen  Fürsten  edeln  Lauch 
zu  bringen  (själfr  gekk  visi  or  vigj^rimu,  üngum  foera  itr- 


1)  Wenn  Simrocks  Uebersetzung  richtig  wäre,  "würde  Hävam.  159  be- 
reits ein  eddisches  Beispiel  solches  Aberglaubens  bieten.  Es  ist  die  Rede 
von  Runenliedem,  welche  OÖinn  weifs:  bat  kann  ek  j^rettanda,  ef  ek  skal 
|)egn  üngan  verpa  vatni  ä,  mimaS  hann  falla,  hott  hann  i  fölk  komi,  hnigra 
sä  halr  fyr  hjörum.  „Dies  dreizehnte  kann  ich,  soll  ich  einen  jungen  Degen 
in's  Wasser  werfen  (bei  Simrock:  soll  ich  ein  Degenkind  in  die  Taufe  tau- 
chen), nicht  wird  er  fallen,  wenn  er  auch  gegen  eine  Kriegsschar  kämpft, 
nicht  beugt  sich  der  Held  vor  Schwertern."  Der  Ausdruck  verpa  vatni  ä 
kann  nicht  wol  von  der  heidnischen  Taufe  gebraucht  sein,  da  diese  in  Was- 
serbegiefsung  (ausa  vatni)  bestand,  entgegengesetzt  der  christlichen  Taufe,  die 
in  älterer  Zeit  wenigstens  im  Norden  noch  im  Flusse  geschah.  So  wurden 
die  Isländer  in  der  heifsen  Quelle  zu  Laugardal  getauft.  Ich  glaube  viel- 
mehr, dass  sich  unsere  Strophe  auf  die  im  Norden,  soviel  ich  weifs,  sonst 
nicht  erwähnte  Sitte  bezieht,  die  neugebomen  Kinder  in  kaltes  Wasser  zu 
tauchen,  um  sie  kräftig  zu  machen.  Dass  diese  Sitte  bei  den  Südgermanen 
bestand,  bezeugt  Galen  in  seinem  Buch  über  Erhaltung  der  Gesundheit:  ,,Wer 
unter  uns  möchte  es  ertragen,  das  neugeborne  Kind,  das  von  Mutterleibe 
noch  warm  ist  zum  Flusse  zu  tragen  {inl  rä  tÜiv  nnxa^iMv  q)iofi,v 
öfi'Kara)  und,  wie  die  Germanen  tun  sollen,  in  das  kalte  Wasser  gleich 
glühendem  Stahl  zu  tauchen,  sowol  um  ihre  natürliche  Kraft  zu  erproben,  als 
auch  um  den  Körper  abzuhärten?"  —  Otto  Sperling,  De  Baptismo  ethnicorum 
Havniae  1700  S.  146  erzählt,  dass  er  einen  Holsteiner  kannte,  welcher  nach 
Sitte  der  Altvorderen  sein  neugebomes  Kind  mit  Schnee  wusch;  und  SchefFer, 
Lapponia  cap.  26  berichtet  von  den  Lappen:  Infantes  recens  natos  abluunt 
prius  aqua  frigida,  vel  nive,  ac  tum  demum  immittunt  calidae.  Auch  bei 
den  Nordgermanen  wird  diese  Sitte  bekannt  gewesen  sein,  welche  Aristoteles 
Polit.  VII,  cap.  17  den  Galliern  beimisst.  Sie  scheint  nach  Strabos  Aussage 
Geogr.  1.  III.  (vergl.  Sidon.  Apollin.  panegyr.  Anthem.  Cons.  dict.  cann.  2, 
35  fgg.)  noch  bei  andern  Naturvölkern  Nord-  und  Mitteleuropas  verbreitet 
gewesen  zu  sein,  hat  aber  nichts  zu  tun  mit  dem  wol  nur  keltischen  Ordale, 
die  Echtheit  des  Kindes  dadurch  zu  erforschen,  ob  es  in  fliefsendes  Wasser 
(die  meisten  Berichterstatter  nennen  den  Rhein)  geworfen  oben  schwimmt  oder 
untersinkt.  Nach  meiner  Auffassung  ist  mithin  die  obige  Stelle  so  zu  ver- 
stehen: „Ich  (OÖinn)  weifs  ein  Runenlied,  das  bei  dem  ersten  der  Abhärtung 
wegen  vorgenommenen  Flussbade  des  Kindes,  dasselbe  furchtlos  und  stichfest 
macht."  Mit  Wasser  besprengen,  begiefsen  würde  „vatni  verpa"  lauten  ohne 
Präp.     Vergl.  Beow.   2790:  Hine  eft  ongan  wäteres  weorpan. 


591 

lauk  grami).     Er   nannte   ihn  Helgi  und  schenkte  ihm  ein 
Schwert  und  viele  Güter  zur  Namengabe  '). 

Saxo  erzählt:  Mos  erat  antiquis  super  futuris  libero- 
rum  eventibus  parcarum  oracula  consultare.  Quo  ritu  Frid- 
levus  Olavi  filii  fortunam  exploraturus  nuncupatis  solemni- 
ter  votis,  deorum  aedes  precabundus  accedit,  ubi  introspecto 
sacello  ternas  sedes  totidem  nymphis  occupari  cognoscit. 
Prima  indulgentioris  animi  liberalem  puero  formam 
uberemque  humani  favoris  copiam  erogabat.  Eidem 
secunda  beneficii  loco  excellentiam  liberalitatis  con- 
donavit.  Tertia  vero  protervioris  ingenii  invidentioris- 
que   studii  femina   sororum   indulgentiam   aspernata  con- 


1)  Der  herliche  Lauch,  den  Sigmundr  seinem  Sohne  bringt,  ist  ein 
Kreuz  der  Ausleger.  Die  annehmbarste  Erlilärung  hat  bis  jetzt  Kassmann 
gegeben),  der  (Heldensage  S.  76)  darin  das  reine  Kraut  (chrenecrüda)  er- 
kennen will,  welches  nach  altdeutschem  Recht  bei  Uebergabe  von  Grundstük- 
ken  als  Symbol  dargereicht  wurde,  RA.  110  fgg.  Aber  abgesehen  davon, 
dass  in  Skandinavien  bei  dieser  Handlung  nur  ein  ganzes  grasbewachsenes 
Rasenstück  angewandt  zu  sein  scheint,  RA.  116;  kommt  Sigmundr  keines- 
wegs mit  der  unmittelbaren  Absicht  nach  Hause,  den  Sohn  zu  beschenken, 
sondern  ihn  durch  Kniesetzung  als  den  seinigen  anzuerkennen,  mit  Wasser 
zu  begiefsen  und  mit  Namen  zu  begaben;  die  Sclienkung  der  Grundstücke 
folgt  erst  in  zweiter  Linie.  Weit  eher  dürfen  wir  dalier  in  den  Worten  ,,foera 
itrlauk"  eine  mit  der  Wasserbesprengung  unmittelbar  zusammenhängende  Sitte 
vermuten.  Vielleicht  helfen  folgende  Winke  auf  die  Spur.  Der  Lauch  diente 
im  skandinavischen  Norden  zur  Vertreibung  von  Zauber.  Nach  Sigrdrifum. 
8  schützt  es  vor  Gefahr  heimlicher  Giftmischung,  wenn  man  bei  der  Einseg- 
nung des  Tranks  Lauch  in  den  Met  wirft.  Wahrscheinlich  von  Schwe- 
den wenn  nicht  von  Russen  übernommen  war  die  von  Forselius  saec.  XVIL 
berichtete  ehstnische  Sitte ,  den  Kindern  vor  der  Taufe  Brod,  Geld  und 
Knoblauch  in  die  Windeln  zu  binden,  teils  in  der  Absicht  um  sie  da- 
durch vor  Zauberei  zu  sichern,  teils  in  dem  Glauben,  dass  es  ihnen  dann  an 
jenen  Dingen  im  ganzen  Leben  nicht  mangeln  werde.  S.  Kreutzwald-Boec- 
1er  S.  20.  Die  Annahme  der  Entlehnung  wird  niclit  allein  dadurch  unter- 
stützt, dass  nach  Kreutzwalds  Untersuchungen  den  Ehsten  der  Gebrauch  des 
Knoblauchs  als  Schutzmittel  nicht  bekannt  ist  (sie  wenden  assa  foetida ,  wie 
sonst,  so  auch  beim  Kinde  an),  sondern  noch  mehr  durch  das  Einbinden 
des  Geldes  und  Brodes  in  die  Windel.  Dies  letztere  wird  freilich  unter 
den  Ehsten  noch  heute  geübt.  Es  ist  aber  eine  uralt  germanisch -slavische 
Sitte,  die  bei  den  Inselschwedcn  (Kusswurm,  Eibofolke  H.  §.  2.  72.  S.  67) 
so  wie  bei  den  Böhmen  (s.  llanus,  Uebor  die  altertümliche  Sitte  der  Ange- 
binde. Prag  1855  S.  20)  bis  auf  diesen  Tag  iu  Geltung  steht  und  durch  die 
Benennungen  des  Patengeschenks  in  den  oberdeutschen  Dialeeten  Strick,  Hel- 
seta,  Würgete,  Angebinde  (s.  J.  Grimm,  Ueber  Schenken  und  Geben  S.  184) 
wie  wir  weiterhin  sehen  werden,   mit  dem   Schicksalsseil    in  Verbindung  tritt. 


592 

sensum  ideoque  earum  donis  officere  cupieus  futuris  pueri 
moribus  parsiraonii  crimen  adfixit '). 

Norna-Gestr  erzählt  von  seiner  Jugend,  dass  sein  Va- 
ter Groenmgr  völvur  zu  sich  ladete,  „er  kallaSar  voru  spä- 
konur  ok  spaöu  mönnum  aldr  (var.  lect.  örlög)."  Sie 
kamen  mit  grofsem  Gefolge,  um  dem  jungen  Gestr  sein 
Schicksal  vorauszusagen  (ok  skyldu  j^air  spä  mer  örlaga; 
l'aer  skyldu  tala  um  mitt  mal).  Das  Kind  lag  in  der 
Wiege,  daneben  brannten  zwei  Kerzen  (offenbar  zur  Ab- 
wehr der  Alfen,  damit  sie  keinen  Wechselbalg  bringen 
sollten).  Die  Frauen  verhiefsen  dem  Knaben,  er  solle  ein 
Glückskind  werden  und  mehr  im  Lande  gelten,  als  andre 
seiner  Verwandten,  Voreltern  und  Häuptlinge.  Die  jüng- 
ste Nörn  war  zu  wenig  beachtet  worden,  auch  gab  es 
da  Raufbolde,  die  sie  von  ihrem  Sitze  stiefsen.  Hierüber 
wurde  sie  zornig  und  hiefs  die  andern  ihren  guten  Wün- 
schen Einhalt  tun  „ich  aber  bestimme  ihm,  dass  er  nicht 
länger  leben  soll,  als  die  neben  ihm  angezündete  Kerze 
brennt  (]>viat  ek  skapa  honum  ]?at,  at  hann  skal  eigi  lifa 
lengr,  en  kerti  ]>at  brennr,  er  tendrat  hiä  sveininum)."  Da 
ergriff  die  ältere  Völva  das  Licht,  leschte  es  aus  und  gab 
es  der  Mutter  mit  der  Anweisung,  es  nicht  eher  wieder 
anzuzünden,  bis  der  Sohn  den  letzten  Tag  des  Lebens  zu 
sehen  wünsche.  Der  Knabe  erhielt  von  dieser  Begeben- 
heit den  Namen  Nornagestr  Nörnengast;  er  lebte  300 
Jahre;  dann  zündete  er  die  Kerze  an  und  gab  sich  so  den 
Tod  *). 

Offenbar  liegt  dieser  Erzählung  eine  ältere  Sage  von 
den  wirklichen  göttlichen  Nörnen  zu  Grunde,  die  dem 
Kinde  den  Gang  seines  Lebens  bestimmen,  nicht  blofs 
vorhersagen;  eine  Sage  welche  der  Meleagerlegende  s.  o. 
S.  583  sehr  ähnlich,  aber  gewiss  echt  germanisch  ist,  da 
unserem  Altertum  die  Auffassuno;  des  Lebens  als  brennen- 


1)  Saxo,  Histor.  Dan.  VI,    102. 

2)  Nörnagestssaga  cap.  12. 


593 

des  Licht  geläufig  war').  Die  jüngere  Tradition,  welche 
die  Nornen  mit  Wahrsagerinnen  vermischt,  versteht  diese 
Symbolik  nicht  mehr  und  deutet  die  Lebenskerze  auf  das 
zur  Abwehr  der  Elbe  angezündete  Licht '-).  Die  Gaben 
der  Nomen  stimmen  mit  denen  im  Helgiliede  überein,  Macht, 
Ruhm  und  Glück  in  allen  Unternehmungen,  daneben  stek- 
ken sie  dem  Leben  die  Grenze.  Wie  dem  Helgi  Ruhm 
und  edeles  Aussehen  beschert  wird,  teilen  die  Jungfrauen  in 
der  obigen  Sage  aus  Saxo  dem  Olaf  eine  edle  Entwicklung 
des  Körpers,  Edelsinn  und  Gunst  bei  den  Menschen,  da- 
neben aber  das  Laster  des  Geizes  zu.  Die  Schicksalbe- 
stimmung an  der  Wiege  (nach  der  Geburt,  bei  der  Dica- 
tion)  bezog  sich  mithin  wesentlich  auf  die  innere  und  äu- 
fsere  Entwickelung  des  jungen  Menschen  selbst,  und  ist 
vom  Verhäusren  einer  Schickung:  während  des  Lebens  ver- 
schieden. 

Bei  Saxo,  wie  in  der  Nornagestssaga  tritt  neben  den 
guten  eine  böse  Norn  auf,  welche  die  wolwollenden  Be- 
stimmungen jener  einschränkt  oder  zunichte  macht.  Ein 
solcher  Gegensatz  war  durch  sich  selbst  gegeben,  sobald 
neben  den  c-rausamen  Todesgöttinnen  den  Nomen /car' 
k^o'/J]v^  die  milden  Spenderinnen  des  Lebens,  die  Schick- 
salsgöttinnen der  Geburt  sich  entwickelt  hatten.  Ich  denke 
mir  die  Genesis  der  in  diesem  Abschnitt  dargelegten  Vor- 
Stellungen  etwa  in  folgender  Art.  Man  wird  ursprüng- 
lich die  Einheit  der  im  Tode  und  der  bei  der  Geburt 
sich  äufsernden  Schicksalsmacht  nicht  in  der  Weise  em- 
pfunden haben,  dass  man  ein  und  dieselbe  Persönlichkeit 
mit  beiden  Wirkungen  betraut  dachte.  Neben  die  tö- 
tenden Göttinnen  der  schwarzen  Wolke,  der  Nacht, 
traten  die  geburt fördernden  Wasserfrauen  der  wei- 
fsen  AVolke,  die  mit  Tag  und  Licht  sich  berührt;  aber 
beide  Scharen  wurden  als  eine  Einheit  erfasst.      So  er- 


1)  S.  KHM.  No.  44.  Pröhle  KVM.  No.  13.  KUM.'  III.  S.  69  fgg. 
Oben  S.  310,  Anm.  3.  Panzer,  Beitrag  I.  S.  308.  Zeitschr.  f.  D.  Altert  VI. 
380  fgg. 

2)  Vergl.  oben  S.  318,  Anm.  3. 

38 


594 

klärt  sich,  wie  der  Verfasser  von  Gylfaginning  noch  spät 
davon  Kunde  haben  konnte,  dass  die  notlösenden  Nor 
nen  eine  besondere  Abteilung  bildeten.  Nach  und  nach 
verengte  sich  auf  jeder  Seite  die  Genossenschaft  zu  einer 
einzelnen  Person;  es  gab  nun  nur  eine  Nörne  der  Geburt 
und  eine  des  Todes;  neben  sie  stellte  das  Volksbewusst- 
sein  —  wie  ich  vermute  —  eine  dritte  Norne  der  Heirat 
(wofür  ich  freilich  aus  nordischen  Quellen  für  jetzt  kein 
Beispiel  beizubringen  vermag);  und  dann  erst,  nachdem  die 
Dreiheit  sich  herausgebildet  hatte,  überkamen  alle  Nomen 
die  Macht  über  das  Schicksal  im  Allgemeinen. 

0.    Die  Nuriien  als  Urteilerinnen  beim  Göttergericht. 

Mit  der  Ausbildung  der  altgermanischen  Staats-  und 
Rechtsverhältnisse  zu  derjenigen  Stufe,  auf  welcher  wir  das 
Leben  unserer  Vorväter  zu  Tacitus  Zeit  erblicken,  ging  die 
allmählich  wachsende  staatliche  Organisation  von  Asgarö 
Hand  in  Hand.  Wödan-OSinn  wurde  der  allwaltende  Her- 
scher des  Götterstaats,  der  sich  ganz  als  Abbild  des  mensch- 
lichen formte.  Wie  sich  unter  den  Gaufürsten  das  Volk 
zum  Dinge  versammelte,  um  seine  gemeinschaftlichen  An- 
gelegenheiten zu  beraten,  so  die  Götter  „l^ä  gengu  regln 
öll  ä  rökstöla  ok  um  |?at  gsettusk"  ^).  Nur  darin  unter- 
scheidet sich  die  Götterversammlung  von  dem  menschlichen 
Dingre,  dass  dort  auch  die  Frauen  Sitz  und  Stimme  ha- 
ben;  hier  dem  Weibe  jeder  Zutritt,  jede  Rechtshandlung 
versagt  ist.  Vergl.  Senn  väru  jesir  allir  ä  l'ingi,  ok  äsyn- 
jur  allir  ä  mäli,  ok  um  ]?at  reöu  rikar  tifar,  hve  |?eir  Hlör- 
riSa  hamar  um  soetti  ^).  Einer  ähnlichen  Erscheinung  be- 
gegneten wir  oben  S.  581,  Anm.  4  bei  Homer. 


1)  Völuspä  6.  9.  27.  29.  Da  gingen  die  ratenden  Mächte  auf  die  Ver- 
sammlungsstühle und  hatten  Acht  darauf  (darum  bekümmerten  sie  sich).  Das 
dunkele  rök  in  rökstoU  stelle  ich  zu  goth.  rikan,  ciuhfi^i';  doch  dürfte  rök- 
stoll  vielleicht  Herscherstuhl  bedeuten,  wenn  man  lat.  reg-ere,  reg-s  neben 
skr.  räjan,  goth.  reiks,  altn.  rikr  erwägt.  Vergl.  altn.  rökr  (goth.  KAKUS 
=  riquis),  skr.  rajas. 

2)  Thrymsqu.  14.  Zugleich  kamen  die  Äsen  alle  zum  Dinge,  und  die 
Äsynjen  alle  zur  Gerichtsstatt,    und  darüber  berieten  die  mächtigen  Himmels- 


595 

Sobald  man  anfing  eine  höhere  einheitliche  Weltord- 
nung zu  glauben,  sobald  man  in  den  Göttern  die  Stützen 
oder  Tragebalken  des  Weltgebäudes  (goth.  anzeis,  ahd. 
ensi,  alts.  Es,  altn.  Aesir)  die  Bande,  welche  das  All  in  sei- 
nen Fugen  zusammenhalten  (altn.  höpt,  bönd),  die  bera- 
tenden Mächte,  die  alle  Dinge  voraus  bedenken  (altn.  regin, 
rögn;  bliSregin,  holl  regin;  uppregin,  ginregin;  alts.  reganu), 
die  Abmessenden  erkannte,  welche  allem  Werdenden  natür- 
liche Grenze  und  Ebenmais  setzen  (mjötudr,  mjötudar  (?) 
ags.  metod,  meotud,  PI.  metödas  (?);  alts.  metod,  meto- 
dös  (?)  musste  der  Beratung  der  Götter  alles  Leben  und 
Entstehen  auf  Erden  und  im  Himmel  unterlie<2:en.  So  sehen 
wir  in  der  Völuspä  nicht  allein  den  Krieg  gegen  die  Va- 
nen,  und  die  Tötung  des  jötunischen  Baumeisters  Gegen- 
stand der  Besprechung  in  der  Ratversammlung  der  Äsen 
bilden,  sondern  auch  die  Schöpfung  der  Nacht  und  des 
Tages,  die  Ordnung  der  Gestirnbahnen  u.  s.  w.;  und  wie  wir 
oben  S.  583.  vermuten  durften,  dass  die  Olympier  darum 
lofsten,  welche  Personen  oder  Verrichtungen  ihrer  Macht 
anheim  fielen,  wird  im  Dinge  der  nordischen  Götter  bestimmt 
„hverr  skyldi  dverga  dröttir  skepja."     Völuspä  9. 

Im  Vordergründe  stand  die  Lenkunsr  des  Menschen- 
lebens.  Hatte  der  Germane  sich  bis  dahin  vor  allgewalti- 
gen  Göttermächten  gebeugt,  die  nach  individuellem  Gutdün- 
ken über  ihn  verfügten,  so  sah  er  jetzt  in  der  Willkür  Ord- 
nung; nach  Urteil  und  Recht  und  unter  Zustimmung  der 
ganzen  Göttergemeinde  wurde  dem  Menschen  das  Schick- 
sal zugeteilt.  Bei  dieser  Vorbestimmung  nahm  die  Götter- 
versammlung ganz  das  Verfahren  einer  wirklichen  Gerichts- 
verhandlung an. 

Im  altgermanischen  Gerichtswesen  besteht  ein  strenger 
Unterschied   zwischen   dem   Richter  und   dem  Urteiler 


mächte,  wie  .«ie  dem  Illorri'cSi  den  Hammer  verschafften.  Dieselbe  Formel 
kehrt  Vegtamsqu.  1 ,  nur  pHegen  hier  die  lichten  Götter  darum  Rat,  „wie 
Baldr  habe  so  schwere  Träume."  —  l^ing  und  mal  sind  hier,  wie  ich  wol 
nicht  erst  zu  erwähnen  brauche ,  gleichbedeutend  und  nur  des  epischen  Pa- 
rallelismus wegen  nebeneinandergestellt. 

38* 


596 

oder  Schöffen.  Der  Richter  stellt  das  Gericht  an,  und 
hat  die  Leitung  des  ganzen  Verfahrens.  Er  legt  den  Tat- 
bestand vor  oder  stellt  ihn  durch  Zeugenverhör  fest.  Dann 
erst  fragt  er  den  Urteiler.  Diesem  liegt  es  ob,  zu  ant- 
worten, den  richtigen  Spruch  zu  ermitteln  und  zu  bezeu- 
gen, was  nach  altheiligem  Brauche  der  Väter  im  einzelnen 
Falle  als  Recht  zu  betrachten,  zu  tvm  oder  zu  lassen  erfor- 
derlich sei.  Dies  Amt  des  Urteilers  hiefs  tuom,  altn.  dömr, 
altfr.  döm,  ags.  döm  '),  goth.  döms,  ein  Wort,  das  ursprüng- 
lich das  Gerichtsvverk  überhaupt  bezeichnet.  Antwortete 
der  Urteiler  auf  die  Frage  des  Richters  ohne  weiteres,  so 
sagte  er  das  Urteil  (kveöa,  segja);  war  der  Rechts- 
brauch umständlicher,  so  legte  er  es  ausführlicher  dar,  er 
wies  es  (visa).  Hatte  man  aus  mehreren  Rechtssitten  zu 
wählen,  so  wurde  die  passende  gekoren  (kjösa).  War 
der  Handel  verwickelt,  oder  es  stand  dem  Urteiler  kein 
Präcedenzfall  vor  Augen,  so  musste  das  Urteil  erst  gefun- 
den, oder  neu  geset  zt  (setja)  oder  gelegt  werden  (leggja). 
Bald  wurden  diese  Formeln  alle  synonym  gebraucht  für  die 
Tätigkeit  des  Urteilers  überhaupt;  in  diesem  allgemeinen 
Sinne  hiefs  ein  Urteil  zu  stände  bringen  gemeinhin  altn. 
skapa,  altd,  skephan,  goth,  skapjan,  wovon  scabinus,  altd. 
scepho  Schöffe.  Was  der  Schöffe  geschaffen  hat  legt,  oder 
setzt  (d.  i.  sanctioniert)  der  Richter  (setja,  leggja)  und  diese 
gelegten  oder  gesetzten  Urteile  (log)  bildeten  das  Recht, 
die  Satzung  (goth.  bi-lageins,  bei  Jornandes  bellagi- 
nes).  Richter  war  der  Fürst,  auf  Island  der  Godhi.  Den 
Ort  der  Gerichtshandluug  beschatteten  häufig  heilige 
Bäume  -). 

Vom  Ding  der  Götter  über  menschliches  Schicksal  bie- 
tet die  Gautrekssaga  ein  Beispiel.  OSinn  erzieht  in  der  Ge- 
stalt eines  Greises,  der  sich  Hrosshärsgrani  nennt,  den 
Starka^r.  Einst  in  der  Nacht  weckt  er  den  Zögling.  Sie 
rudern  zu  einer  kleinen  Insel  und  gehen  zu  einem  Gereute 


1)  Dazu  goth.  domjan,  altn.  doema,  ags.  deman,  altfr.  dema,  ahd.  tuomjan. 

2)  RA.    749  fgg.   794  fgg. 


597 

im  "Wald.  Da  war  eine  grofse  Menge  Volks  zum  Dinge 
versammelt  (i  rjöörinu  war  fjölmenui  mikit  ok  var  ]^ar  |)ing 
sett).  Elf  Männer  safsen  auf  Stühlen,  der  zwölfte  Stuhl 
war  leer.  Hrossharsgrani  setzte  sich  auf  denselben  und 
alle  begrüfsten  ihn  als  Ööinn  (heilsuöu  allir  üöni).  Er 
sprach,  die  Schöffen  (döm-endr)  sollten  Starkaös  Schick- 
sal bestimmen  (doema  örlög  Starkags).  Da  ergriff  Thörr 
das  Wort  und  sprach;  „ Älfhildr,  Starkaös  Grofsmutter, 
wählte  ihrem  Sohne  zum  Vater  lieber  einen  hundweisen 
Jötunn  als  Äsathörr,  darum  schaffe  (skapa  ek)  ich  das  dem 
Starkaör,  dass  er  niemals  Sohn  noch  Tochter  haben  soll 
und  so  sein  Geschlecht  beendigen,  üöinn  sprach,  ich  schaffe 
ihm  (]?at  skapa  ek  hon  um),  dass  er  drei  Menschen- 
alter leben  soll.  Thörr  schafft  ihm,  dass  er  in  jedem  der- 
selben ein  Nidingswcrk  (eine  Schandtat)  vollbringe,  ööinn 
verleiht  ihm  das  beste  Waffenwerk  und  Gewand,  Thörr 
versagt  ihm  Land  und  Grundbesitz.  Oöinn  teilt  ihm  flih- 
rende  Habe  im  Ueberfluss  zu.  Thörr  legt  ihm  auf  (}?att 
legg  ek  ä  hann),  dass  er  niemals  glaube  genug  zu  ha- 
ben. Oöinn  verleiht  ihm  Sieg  und  Geschicklichkeit  in  jedem 
Kampfe,  Thörr,  dass  er  in  jedem  eine  unheilbare  Wunde 
davon  trage.  Oöinn  schenkt  ihm  Dichtergabe,  so  dass  er 
gleich  fertig  dichte  und  spreche;  Thörr  urteilt,  dass  er  seine 
eigenen  Lieder  vergessen  solle.  Oöinn  schafft  ihm,  dass  er 
bei  den  vornehmsten  und  besten  Männern  angesehen  sei. 
Thörr  spricht  „verhasst  sein  soll  er  dem  gesammten  Volke." 
Alle  Urteiler  aber  bestätigen  das  Gesagte  durch  ihren 
Spruch  (]?ä  dcemdu  dömendr  alt  j^etta  a  hendr  Starkaöi,  er 
J)eir  höföu  ummielt). 

Auffallend  ist  bei  dieser  Erzählung,  dass  Oöinn  so- 
wol  als  Richter,  wie  als  Urteiler  auftritt;  und  dass  die 
Götter  nicht  als  freiwaltende,  ül^er  das  All  gebietende  Po- 
tenzen erscheinen,  vielmehr  in  ihren  Urteilssprüchen  über 
die  enore  Grenze  nicht  hinausgehen,  welche  ihrer  besonde- 
ren  Macht  durch  den  Mythus  gesteckt  wird.  Sie  sprechen 
nur  das  zu,  was  sie  selbst  auszuführen,  zu  verleiben, 
zu  hindern  im  Stande  sind. 


598 

Nach  mehreren  Liedern  kommen  die  Götter  unter  der 
Esche  Yggdrasill,  als  heiligem  Gerichtsbaum  zum  Dinge 
zusammen.     So  heifst  es  in  Grimnism.  29: 

Körmt  ok  Örmt 

ok  Kerlaugar  tvaer 

])asr  skal  ]?6rr  vaöa 

hverjan  dag, 

er  hann  doema  ferr 

at  aski  Yggdr asils '). 
Der  Verfasser  von  Gylfaginning  antwortet  auf  die  Frage 
„wo  liegt  die  Hauptstätte  oder  das  Heiligtum  (höfuSsta- 
Srinn  eSa  helgistaSrinn  goSanna)  der  Götter?"  „bei  der  Esche 
Yggdrasill;  da  halten  die  Götter  täglich  Gericht  (|?ar  skulu 
guSin  eiga  döma  sina  hvern  dag)."  Etwas  weiterhin  be- 
richtet derselbe  Schreiber:  Unter  der  dritten  Wurzel  der 
Esche,  die  im  Himmel  sich  erhebt,  liegt  der  üi'öarbrunnen ; 
da  haben  die  Götter  ihre  Dingstatt  (l?ar  eigu  guöin  dom- 
staS  sinn  ^).  Diese  Angaben  der  jüngeren  Edda  haben  au- 
genscheinlich keine  andere  Autorität  als  die  obige  Strophe 
des  Grimnismal.  Aus  anderen  Liedern  aber  geht  deut- 
lich hervor,  dass  an  jenem  Orte  ein  Göttergericht  gedacht 
wurde,  bei  dem  die  Götter  als  Richter,  die  Nornen  als  Urtei- 
lerinnen fungierten,  illr  er  norna  dömr  Hervarars.  cap.  20  ^). 
In  Thiodolfs  Ynglingatal ")  heifst  es  von  Hälfdanr  hinn 
mildi:  „nörna  döms  of  notit  haföi,  d.  h.  er  hatte  der  Nor- 
nen Urteil  abgenutzt.  Fafnir  spricht  zu  Sigurör: 
Norna  döm  ]>u  munt 
fyr  neisum  hafa, 

1)  Körmt  und  Örmt  und  beide  Kerlög  muss  Thorr  jeden  Tag  durch- 
waten, wenn  er  ausfährt  bei  der  Esche  Yggdrasill  Gericht  zu  halten.  —  Au- 
fser  dieser  Stelle  vergl.  man  Loddfafnism.  1  (Hävam.  111),  wo  davon  die 
Rede  ist,  dass  am  Üi'öarbrunnen  ein  hularstol  steht  d.  h.  wie  Keyser,  Nord- 
msendenes  religionsfoifatning  i  hedendommen  S.  59  aus  Hävam.  79.  135. 
VafjjrüSnism.  9  schliefst,  ein  Stuhl  von  dem  aus  die  Godhen  öffentlich  den 
alten  Glauben  zu  lehren  pflegten.  Von  diesem  Stuhle  aus  hört  man  von 
Göttergerichten  und  Runensitzung  (of  rünar  heyrda  ck  doema  ok  regindöma, 
ne  um  risting  J^ög'öu). 

2)  Gylfag.    ib. 

3)  Fornaldarsög.  I,   508. 

4)  Ynglingas.   cap.  52. 


599 

ok  ösvinns  apa; 
i  vatni  |^ü  druknar 
ef  1  vindi  roer; 
alt  er  feigs  foraS  '). 
Aber  nicht  allein  der  allgemeingehaltene  Ausdruck  norna 
domr  findet  sich,  sondern  von  der  Tätigkeit  derselben  wer- 
den alle  jene  technischen  Ausdrücke  gebraucht,  welche  das 
Geschäft  des  Urteilers  bezeichnen: 

Nörnir  öölingi  aldr  um  skopu.  Helgaqu.  Hundings- 
bana  I,  2.  Nörnir  heita  ]>xy  ernauSskapa  Skäldskaparm. 
c.  75  Sn.  c.  Havu.  I,  557.  Goöar  nörnir  skapa  göSan 
aldr.  Gylfag.  XV.  Ljötar  nörnir  sköpu  oss  langa  ]>rä.  Si- 
guröarqu.  III,  7.  Aumlig  nörn  sköp  oss  i  ärdaga,  at  ek 
skylda  i  vatni  vaöa.  Siguröarqu.  II,  2.  fyr  sköp  um  nörna 
Fafnism.  44.  ef  okr  göö  um  sköp  geröi  veröa.  SigurSarqu. 
III,  56.  vinnat  skjöldüngar  sköpum  Helgaqu.  Hundingsb. 
II,  27.   sköp  Nörna.  Krakum.  24.  Fornaldars.  I,  308. 

Nörnir  log  lögöu.  Völuspä  20.  orlög  segja.  Vö- 
luspä  20.  kveld  lifir  maSr  ekki  eptir  kviö  nörna.  Ham- 
dism.  31.  Uröar  orS  Fjölsvinnsmäl  47. 

Visa  nörnir.  Hrafnag.  ÖS.  1.  ]>sdv  lif  kuru  alda  bör- 
num.  Völuspä  20.  Die  Findung  des  Urteils  geschah  in 
zweifelhaften  Fällen  durch  Lofsen  mit  heiligen  Runenstäb- 
chen, eine  Handlung,  welche  eine  schöne  Untersuchung 
Müllenhoffs  ^)  uns  umständlicher  kennen  lehrt.  Die  älteste 
zu  Tacitus  Zeit  gebräuchliche  Weise  war  diese.  Ein  Ei- 
chen- oder  Buchenzweig  ward  in  Stäbchen  zerlegt,  diese 
jede  für  sich  mit  einer  Rune  gemerkt,  und  dann  wie  sie 
fielen  auf  ein  weifses  Tuch  hinpfestreut.  Hiervon  wurden 
unter  Gebet  an  die  Götter  drei,  jedes  für  sich  und  eins 
nach  dem  anderen  aufgenommen  und  nach  dem  darauf  ein- 
geritzten  Zeichen  erklärt.  Aehnliche  im  Norden  gebräuch- 
liche Weisen  der  Lofsung  mit  Runenstäbchen  legt  Müllen- 
hoff  a.  a.  O.  dar.     Ein   solches  Lofsstäbcheu  hiefs  teinn, 


1)  Fafnism.   11. 

2)  Zur  Runenlehre  1852  S.  28  fgg. 


600 

oder  rünakafli.  Der  technische  Ausdruck  für  die  Zube- 
reitung dieses  Lofszweiges,  das  Zurechtschneiden  des  Hol- 
zes, wodurch  es  zum  Kefli  oder  Runenstäbchen  wird,  und 
das  Ausschneiden  der  Rune  daran,  ist  skera  ein  Wort, 
welches  auch  sonst  gewöhnlich  von  der  Formgebung  ge- 
braucht wird  (z.  B,  skera  örvar,  skera  cros)  ').  Auf  diese 
Tätigkeit  bezieht  sich  die  bereits  oben  S.  542  erwähnte 
Einschiebung  in  Völuspä  20,  wo  von  den  Nomen  gesagt 
wird: 

UrS  hetu  eina, 

aSra  VerSandi 

—  skaru  a  skiöi  —  ') 

Skuld  ena  jjriöju. 
Vergangenheit  hiefs  man  die  eine,  die  andere  Gegenwart  — 
diese  schnitzten  am  Lofszein  —  Zukunft  nannte  man  die 
dritte.  Es  ist  ein  feiner  Gedanke,  der  dem  Interpolator 
alle  Ehre  macht,  dass  Verfjanjrenheit  und  Gej^enwart  die 
Lebenslofse  zuschneiden,  die  die  Zukunft  aufzunehmen  be- 
stimmt ist;  mit  anderen  Worten,  dass  aus  den  Taten  der 
Vergangenheit  und  Gegenwart  die  Geschicke  der  Zukunft 
hervorgehen.  Die  durch  gemeinschaftliche  Tätigkeit  des 
Richters  (Goöi,  Jarl  u.  s.  w.)  und  ürteilers  (lögsögumaör^) 


1)  Vergl.  die  späteren  Formeln:  iaek  will  skjoerse  ok  skiptfe,  lot  min 
witse,  ok  fathserni  mina  ratha  d.  h.  ich  will  schneiden  und  schlichten,  mein 
Lofs  wissen  und  meines  väterlichen  Erbes  mächtig  sein.  Haben  bei  Erbtei- 
lungen die  Brüder  Gut  an  mehreren  Orten,  so  sollen  die  väterlichen  und  müt- 
terlichen Verwandten  möglichst  gleiche  Teile  machen,  sodann  ,,3eghu  möther- 
nis  frsendger  lot  skiajrre  ok  fsethajrnia  skjöti  halda  ok  mothaernis  fraendser  lot 
up  takse  (sollen  die  mütterlichen  Verwandten  Lofs  schneiden,  die  väter- 
lichen im  Schofse  halten,  und  die  mütterlichen  Lofs  aufnehmen).  S.  Homej'er, 
Üeber  das  germ.  Lofsen.     Berlin   1854  S.  2-1.  25. 

2)  SkiÖ ,  Sachs,  skid ,  ags.  scead  bedeutet  gespaltenes  Holz,  ist  mithin 
ein  durchaus  zutreffender  Ausdruck  für  das  sonst  gebräuchlichere  teinn. 

3)  Vergl.  Lag  skulu  vera  skipaS  ok  satt  allmenni  til  styrsl.  Up- 
landsl.  form.  —  Das  richterliche  Verhalten  der  Äsen  zum  Urteil  der  Kör- 
nen, zur  SchicksalbestimmuDg  erhellt  mit  einiger  Deutlichkeit  aus  Vö- 
luspä 63: 

|)ä  kemr  hinn  riki 
at  regindömi 
öäugr  ofan, 
sä  er  öllu  raeJSr: 
eemr  bann  doma 


601 

U.S.W.)  zu  Stande  gebrachte  Satzung  heifst  lag  plus  log  (aus 
lagu)  „das  Gelegte,"  das  hiervon  mit  der  Verstärkungs- 
sylbe  ur-ör-  (Gram.  II,  787.)  abgeleitete  plur.  örlög  ist 
terrainus  des  Schicksals,  des  höheren  durch  die  Götter 
rechtskräftig  geraachten  Ausspruchs  der  Nomen.  Frauen 
sind  bei  allen  deutschen  Völkern  von  gerichtlichen  Hand- 
lungen ausgeschlossen^);  wie  kam  es,  dass  man  ihnen  das 
Urteileramt  am  Göttergericht  anvertraute?  Es  ist  klar, 
dass  die  Nomen,  was  ja  auch  der  Gesammtname  bestätigt, 
schon  Lenkerinnen  des  Schicksals  waren,  ehe  man  die  gött- 
liche Weltregierunsr  nach  Art  der  menschlichen  Rechts- 
und  Staatsverhältnisse  geregelt  dachte.  Als  dies  später  ge- 
schah, vermochte  man  die  Nomen  nicht  zu  beseitigen,  sie 
wurden  in  die  neue  Ordnung  mit  eingereiht.  Ohne  Beach- 
tung des  Widerspruchs  zu  den  menschlichen  Verhältnissen, 
liefs  man  Asynjen  und  Nornen  am  Göttergericht  teilnehmen. 
Bei  Ausbildung  seiner  mythischen  Vorstelhing  verfährt  der 
Volksgeist  niemals  mit  Consequenz,  in  unserem  Falle  durfte 
man  um  so  weniger  Anstand  nehmen  Göttinnen  am  Ge- 
schäft der  Männer  teilnehmen  zu  lassen,  da  die  Sage  ihnen 
bereits  im  Kampfe  eine  der  männlichen  durchaus  eben- 
bürtige Stellung  anwies  (vgl.  Valfreyja,  die  Valkyrien  etc.). 


ok  sakar  leggr, 

vesküp  setr, 

pau  er  vera  skolu. 
Da  kommt  der  Mächtige  zum  Göttergericht,  der  Starke  von  oben,  der 
Alles  beherscht.  Er  bietPt  Gericht  (ordnet  die  Thinge  an)  und  legt  Ecchts- 
händel  bei  und  sanctioniert  heilige  TJrteilsspriiclie,  die  währen  sollen.  —  Der 
christliche  Gott,  auf  den  sich  diese  Strophe  bezieht,  wird  darin  als  Erbe 
der  heidnischen  in  Ragrarök  getöteten  Götter  dargestellt;  seine  Welt- 
regierung nach  Art  eines  Gerichts  gedacht,  dem  er  als  fürstlielier  Richter 
vorsteht.  Diese  Vorstellung  ist  augenscheinlich  den  heidnischen  Göttorver- 
hältnissen  und  zwar  dem  schickfalbestimmenden  Göttergericht  entnommen. 
Auch  dass  Snorri  die  Äsen  zu  Godhen  in  Upsala  macht,  dürfte  auf  euiie- 
meristischer  Auslegung  des  Umstandes  beruhen,  dass  sie  als  Richter  den  ur- 
teilenden Nomen  zur  Seite  standen.  Vergl.  Gu'örünarqn.  II,  3  vom  Fürsten 
eakar  doema. 

1)  S.  Weinhold,  Die  deutschen  Frauen. 


602 


D.     Die  Nörnen  als  Göttinnen  der  dreigeteilten  Zeit. 

Ein  weiterer  Fortschritt  in  der  Mythologie  der  Nör- 
nen vollzog  sich  in  einer  noch  späteren  Periode,  Man 
fasste  die  schicksalbestimmenden  Mächte  als  Personificatio- 
nen  der  in  Vergangenheit,  Gegenwart,  Zukunft 
dreigeteilten  Zeit.  Die  drei  Nörnen  heifsen  danach  UrÖr, 
VerSandi,  Skuld  ').  Unter  ihnen  tritt  besonders  UrSr,  die 
Vergangenheit  (eigentlich  die  gewordene;  von  veröa  wer- 
den aus  dem  plur.  praeter,  uröum  gebildet)  hervor.  Nach 
derselben  heifst  das  heilige  Wasser  unter  dem  Baume  Ygg- 
drasill  Uröarbrunuen,  ein  Ort  auf  Island  führte  nicht  min- 
der den  Namen  Uröarvatn -).  In  der  Sturlüngasaga  s. 
oben  S.  382  und  im  Hrafnag.  OSins  s.  oben  S.  544  er- 
scheint Urör  allein,  ohne  VerSandi  und  Skuld.  Als  Per- 
sonification  der  Vergangenheit  macht  sich  Urör  jedoch  nur 
in  wenigen  Stellen  geltend.  Grimhildr  mischt  der  Guörün 
einen  Trank,  der  sie  Siegfrieds  vergessen  machen  soll; 
dieser  Vergessenheitstrank  ist  gekräftigt  mit  der  Macht  der 
Vergangenheit  ( U r  8  a  r  magni)  '*).  Eine  Mutter,  Gröa  über- 
liefert ihrem  Sohne  die  Kunde  schützender  Runenlieder: 

]>ann  gel  ek  ]>er  annan 

ef  ]>ii  ärna  skalt 

viljalauss  ä  vegum; 

UrSar  lokur  haldi  }er 

öllum  megum, 

er  l^ü  ä  sraän  ser  *). 
Die  Erinnerung   an  eine   in  Genuss    und   unter  Edeln  ver- 
lebte Verlan o-enheit  soll  das  Herz  bewahren  und  schützen, 
wenn  es  unter  ungünstigen  Verhältnissen  und  niedriger  Um- 
gebung: dem  Schlechten  anheimzufallen  in  Gefahr  ist.    Gull- 


1)  Völ.   20,  vergl.  oben  S.  542. 

2)  Landnämab   189. 

3)  Gugrünarqu.  II,  21. 

4)  Grogaldr  7.  Dies  zweite  Lied  singe  ich  dir  —  wenn  du  irren  wirst 
wonnelos  auf  den  Wegen,  sollen  der  ürg  Riegel  auf  allen  Seiten  dich  schüt- 
zen, wo   du  auf  Niedriges  (Schlechtes)  schaust. 


603 

rönd,  Gjükis  Tochter  wirft  der  Brynhildr  vor:  UrSr  ö6- 
linga  hefir  ]>\\  sd  veriö;  rekr  ]>ik  alda  hverr  illrar  skepnu  ^). 
Gewöhnlich  jedoch  haftet  am  Namen  Urör  nur  der  Be- 
griff der  Schicksalsmacht  überhaupt  und  es  werden  damit 
selbst  Vorstellungen  verbunden,  welche  sich  auf  die  Zukunft 
beziehen.  So  heifst  der  todverkündende  Mond  in  der  Eyr- 
byggjasaga  s.  oben  S.  555  UrSarmäni.  Als  SigurSr  und 
Brynhildr  beisammen  ruhn,  schreiten  grimme  Nornen;  die- 
selben werden  mit  dem  Gesammtnamen  Uröir  bezeichnet 
„gengu  ]?ess  ä  milli  grimmar  Uröir."  Vgl.  oben  S.  587. 
Wenn  hier  Urör  als  Appelativum  ganz  an  die  Stelle  von 
Nörn  tritt,  so  liegt  der  Gedanke  zu  Grunde,  dass  das  Ge- 
schick überhaupt  voraus  bestimmt,  geworden  ist,  wenn  es 
sich  auch  etwa  erst  in  der  Zukunft  erfüllen  soll.  Vergl. 
Fjölsvinnsm.  47:  Uröar  oi'öi  kveSr  engi  maör,  ]?ött  )?at  se 
vis  löst  lagit.  Wir  sehen  hier  mithin  schon  im  Ansatz, 
aber  nicht  durchgeführt  Urör,  PI.  Uröir  zum  Gattungsna- 
men der  Nornen  erwachsen. 

Während  UrSr  so  bedeutsam  hervortritt,  wird  Ver- 
gandi  die  Gegenwart  (die  werdende  fem.  part.  praes.  v. 
veröa)  nie  einzeln  genannt.  Dagegen  zeigt  sich  Skuld  (die 
werden  sollende  part.  praet.  von  skula),  die  Zukunft  als  selb- 
ständige Persönlichkeit,  wenngleich  sie  nicht  so  tief  in  das 
Volksbewusstsein  eingedrungen  zu  sein  scheint,  wie  Urör. 
Der  Verfasser  von  Gylfaginning  berichtet,  dass  Skuld, 
der  Nornen  jüngste  täglich  zum  Schlachtfeld  reite,  um  To- 
deswahl zu  halten  (vergl.  oben  S.  56 J).  In  der  späteren 
Heldensage  ist  Skuld  zu  einer  menschlichen,  zauberkundi- 
gen Fürstin  geworden.  Sie  ist  die  Tochter  Helgis.  Die- 
ser hörte  Nachts  ein  Seufzen  und  lieis  ein  halberstarrtes 
Wesen  ein,  das  bald  die  Gestalt  eines  ^\''eibes  in  seidenem 
Gewände  annahm.  Die  Alfkona  verschwand  am  Morgen 
und  liefs  sich  auch  nicht  wieder  sehen ;  nach  3  Jahren  aber 
sandte   sie    dem  Helgi   eine  Tochter  Skuld.     Erwachsen, 


1)  GuSrünarqu.  I,  2-1. 


_   604_ 

macht  diese  mit  einem  grofsen  Heere  ihrem  Stiefbruder 
Hrolfr  Kraki  das  Dänenreich  streitig.  Zu  der  Kriegsschar, 
die  Skuld  zum  letzten  entscheidenden  Schlafe  c:e<]cen  Hrolfr 
ausrüstet,  stofsen  Alfen  und  Nomen. 

Aus  der  Betrachtung  der  Körnen  als  Personificationen 
der  dreigeteilten  Zeit  floss  ein  Unterschied  derselben  hin- 
sichtlich des  Alters.  UrSr,  die  Vergangenheit  galt  als  die 
älteste,  VerSandi,  als  die  jüngere,  Skuld,  die  Zukunft,  als 
die  jüngste  Schicksalsjungfrau.  Die  eben  angeführte 
Stelle  Gylfag.  36  und  die  oben  S.  592  besprochene  Sage 
von  NornaiTest  bieten  dafür  Belenje.  Aus  dieser  Betrach- 
tung  floss  aber  noch  eine  andere  Vorstellung.  Sobald  man 
das  Schicksal  nicht  allein,  wie  ursprünglich,  im  Tode,  son- 
dern auch  in  glücklichen  Ereignissen  des  Lebens  gewaltig 
fühlte,  musste  eine  Scheidung  unter  den  Nornen  in  gute 
und  böse  eintreten.  „Gute  Körnen,"  sagt  Gylfag.  15, 
„und  von  gutem  Geschlecht  entsprungene  verschaffen  gute 
Lebenszeit,  wo  aber  Menschen  in  Unglück  geraten,  da  wal- 
ten böse  Nörnen  (illar  nörnir)."  Nun  eine  spätere  Zeit  die 
Sciiicksalsjungfrauen  auf  die  Dreizahl  beschränkte  und  als 
Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  auffasste,  übertrug 
man  Neid  und  Misgunst  auf  die  ungewisse  Zukunft,  sie  allein 
konnte  noch  schaden.  So  übt  die  jüngste  Nörn  in  der 
Nörnagestsaga  hemmenden  Einfluss  auf  das  Geschenk  der 
andern,  und  die  dritte  Schwester  bei  Saxo  s.  oben  S.  591 
gewährt  dem  jungen  Olaf  üble  Eigenschaften. 

Die  Umwandlungc  der  aus  Göttinnen  der  dunkelen  Ge- 
witterwolke  erstandenen  Todes-  dann  Schicksalsjungfrauen 
in  Personificationen  der  Zeit  lag  teilweise  schon  in  jener 
Naturo-rundlacce  begründet.  Wir  sahen  oben  S.  578  wie 
käla  schwarz  sowol  zur  Bezeichnung  der  dunkelen  Wolke, 
wie  der  Nacht  und  der  Zeit  verwandt  wird.  Wir  sahen 
ferner,  s.  oben  S.  555.  586,  dass  der  ursprüngliche  Begriff 
der  Nörnen  als  Göttinnen  der  schwarzen  Wolke  in  den  von 
Beherscherinneu  der  dunkeln  Nacht  unmerklich  übergeht. 
Von  hier  aus  war  der  Uebergang  in  den  Begriff  der  Zeit  leicht. 


_  605 

Kuhn  ')  hat  auf  eine  hiermit  zusammenhängende  Vorstel- 
lung aufmerksam  gemacht,  von  welcher  die  Auffassung  der 
Schicksalsgöttinnen  als  Zeitgöttinuen  ihren  Ausgang  genom- 
men haben  könnte.  Er  glaubt  nämlich,  —  auf  eine,  wie 
wir  sehen  werden,  unrichtige  Beobachtung  gestützt  und 
darum  irrig  —  dass  die  deutschen  Schicksalsjungfrauen  von 
der  Naturanschauung  der  Morgenröte  ausgegangen  seien. 
Die  Göttin  des  Frührots  bei  den  vedischen  Indern,  die 
Ushas,  wird  als  wiederkehrende  Erscheinung  häufig  als  Glied 
einer  Mehrheit  aufgefasst.  „Ushas  folgt  dem  Pfade  der 
dahingegangenen,  sie  die  erste  der  zukünftigen  unendlichen. 
Rigv.  I,  113,  8."  „Die  Morgenröte  leuchtete  auf,  das  Ab- 
bild der  gegangenen  die  erste  der  ewigkommenden."  Rigv. 
I,  114,  15.  —  Sie  gehen  dahin  und  kommen  wieder. 
Risv.  123,  12.  Aus  einer  solchen  Auffassunaj  der  schon 
personificierten  Morgenröte  meint  Kuhn,  gestaltete  sich  die 
Betrachtung  derselben  als  Zeitgöttin  und  die  doppelte  Drei- 
teilung in  „gestern,  heute,  morgen"  und  „Morgen,  Mittag, 
Abend."  Ferner  sei  die  Nacht  als  Schwester  der  Morgen- 
röte gedacht.  So  bildete  sich  eine  dritte  Dreiheit  „Abend, 
Nacht,  Morgen."  Aus  dem  Begriffe  der  Zeit,  der  sich 
auf  diese  Weise  mit  den  aus  der  Morgenröte  erwachsenen 
mythischen  Frauengestalten  verband,  sei  nun  zunächst  die 
Idee  des  Schicksals  erwachsen,  und  dieses  naturgemäfs  in 
die  Dreiheit  „Vergangenheit,  Gegenwart,  Zukunlt  gespal- 
ten." Was  Kuhn  nach  Analogie  der  indischen  Vorstellun- 
gen für  die  deutsche  Göttin  de;"  Morgenröte  annimmt, 
dürfte  (wir  haben  freilich  keinen  Beweis  dafür,  dass  dem 
wirklich  so  war)  viel  wahrscheinlicher  von  der  Nacht  an- 
zunehmen sein.  Nach  Nächten,  nicht  nach  Tagen  zähl- 
ten unsere  Alten:  Nee  dierum  numerum,  ut  nos,  sed  noc- 
tium  computant;  sie  constituunt,  sie  condicunt,  nox  ducere 
diem  videtur,  berichtet  schon  Tacitus  Germ.  XI;  die  Nord- 
germanen besafsen  dieselbe  Zählung.    An  die  Nacht  knüpfte 


1)  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  III,  499  fgg. 


606 

sich  mithin  der  Begriff  der  Zeit;  die  Wiederkehr  der  Nächte 
mochte  den  Gedanken  „der  Vergangenheit,  Gegenwart  und 
Zukunft"  rege  machen.  Wenn  auf  diese  Weise  schon  die 
Naturgrundlage  der  germanischen  Schicksalsjungfrauen  die 
Entfaltung  des  Begriffs  der  dreigeteilten  Zeit  zum  min- 
desten  bejjÜDStigste,  so  kam  nach  voller  AusbilduDgf  des 
Schicksalsbegriffes  noch  ein  Moment  hinzu.  Die  Natur- 
notwendigkeit, die  über  dem  Leben  der  Menschen  und  der 
Welt  waltet,  vollzieht  sich  in  der  Zeit  nach  ihrer  dreifa- 
chen Beziehung  in  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft; 
die  Zeit  ist  es,  die  jeder  Lebensfrage  Entscheidung  bringt. 
Die  Reflexion  heftete  sich  an  die  lebendigen  Göttergestal- 
ten der  Nörnen  und  drohte  sie  in  blofse  Abstraction  auf- 
zulösen ^) ;  aber  der  Anthropomorphismus  war  im  Volks- 
glauben noch  zu  mächtig  und  durch  die  Abstraction  brach 
die  concrete  Persönlichkeit  der  Schicksalsjungfrauen  wieder 
lebendis:  hervor. 


§.  7.     Die  südgermanischen  Schicksalsgöttinnen. 
A.    Als  GöttinueD  der  dreigetheilteu  Zeit. 

Im  Wesentlichen  hatte  sich  auf  deutschem  Boden  der 
Glaube  an  die  Schicksalsjungfrauen  ganz  in  derselben  Weise 
entwickelt,  wie  im  verwandten  Norden.  J.  Grimm  hat  be- 
reits an  reichlichen  Beispielen  erwiesen,  dafs  der  Name 
für  die  südgermauische  Nörn,  ags.  Wyrd,  sächs.  Wurth, 
WurS,  ahd.  WÜKD  war-),  ein  Wort,  das  jenem  nord. 
Urör  o-enau  entspricht,  woraus  hervorgeht,  dass  jene  dritte 
Entwickelungsstufe  des  Nornentheologems,  die  Auffassung 
der  Schicksalsgöttinnen  als  Personificationen  der  Zeit  auch 
im    südiTermanischen  Keligionsbewusstsein   eingetreten  war. 


1)  Dieses  Bestreben  ging  so  weit,  dass  selbst  der  Urgarbrunnen  als  Bild 
des  Blutbades  aufgefasst  wurde.  Der  Skalde  Körmakr  schildert  (Skäldskap. 
k.  49.  SnE.  I,  428)  wie  eine  Schlacht  heftig  entbrannte.  Der  König  der 
Kährer  des  Wolfes  schritt,  das  tönende  Feuer  OÖins  (das  Schwert)  vor  sich 
hertragend,  den  Seinen  mutig  voran.  Da  kam  Urbr  zum  Brunnen  (körnst 
Urgr  at  brunni). 

2)  Myth.2    377. 


^07 

Wir  werden  dafür  weiterhin  noch  andere  Spuren  nam- 
haft machen  können.  Bei  oberdeutschen  Stämmen  ist  ein 
persönliches  Wurd  nicht  nachzuweisen,  aber  eine  althoch- 
deutsche Glosse  bei  Graff  I,  992  gewährt  wurt  fatum, 
woraus  das  einstio;e  Dasein  der  Person  wahrscheinlich  wird. 

Veröandi  und  Skuld  begegnen  in  südgermanischen 
Quellen  nicht  als  persönliche  Wesen,  wir  sahen  aber  be- 
reits oben  S.  603,  dass  auch  im  Norden  Urör  den  Ansatz 
gemacht  hatte,  die  Schwestern  zurückzudrängen  und  zur 
Bezeichnung  aller  Nornen  zu  erwachsen. 

B.     Die  Schicksalsgöttiunen  als  Urteilerinnen  beim  Göltergericht. 

Wie  im  Norden  wurden  bei  Südgermanen  die  Schick- 
sale der  Menschen  als  Vollziehungen  nach  Recht  und  Ge- 
setz im  Göttergericht  gefällter  Urteile  gedacht.  Denn  auch 
dem  Altsachsen  heifsen  die  Schicksale  giscapu.  Godes 
giscapu  Helj.  10,  17.  16,  19.  thiu  berhtun  giscapu  Helj. 
11,  16.  23,  17.  thiu  helagon  giscapu  Helj.  124,  9.  Gleich- 
bedeutend ist  der  Plur.  regino  giscapu,  regano  gis- 
capu Helj.  79,  13.  103,  3  Götterurteil,  Tod.  Dieser  Aus- 
druck ist  noch  ganz  heidnisch,  regan  sind  die  Götter  = 
altn.  regin  s.  oben  S.  595,  Gott  als  der  alles  abmessende 
Schöpfer  heifst  alts.  metöd,  ags.  metöd,  altn.  mjötuör;  da- 
her die  Ausdrücke  für  das  Schicksal  alts.  metöd 6  gis- 
capu der  Götter  Urteile  Helj.  66,  19.  147,  11.  (a.  1.  o. 
var.  lect.  metud  giscapu),  metödigisceft  Helj.  67,  11.  ags. 
metodsceaft  Schicksal,  Tod  (aedm.  104,  31.  Beöw.  ed. 
Grein  1055  und  öfter).  Da  alts.  scapan,  ags.  sceapan,  scep- 
pan,  ahd.  scafan  öfter  den  generellen  Sinn  ordinäre,  desti- 
nare,  decernere  als  den  speciellen  gerichtlichen  gewährt  ^) ; 
so  geben  die  aufgeführten  Formeln  allein  keinen  Beweis 
für  unsere  Ansicht;  und  um  deswillen  ist  auch  auf  die  ahd. 
Glossen   scephenta    parca,   creatrix -)    scefentun   parcae, 


1)  Vcrgl.  Sachs,  scepeno  (judex,   d.h.  Urteiler,    Schöffe,    nd.   Schöppe) 
EA.  77G. 

2)  Zwetl.   Gl.    128a.      Grimm,   Giam.  II,   342. 


608 

fata  *);  gascaft,  fatum;  kascaftlih  fatale^);  cascaftliho 
Adv.  fatale^);  steffara  parca  *)  kein  besonderes  Gewicht 
zu  leo-en.  Denn  einmal  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  diese  Aus- 
drücke schon  dem  Heidentum  angehörten,  oder  von  den 
Glossatoren  erfunden  wurden;  hatte  aber  das  erstere  statt, 
so  ist  wiederum  nicht  zu  entscheiden,  ob  die  Bedeutung 
die  „Bestimmende"  im  Allgemeinen  oder  die  „Urteilende" 
im  Besonderen  dem  Worte  scephenta  zu  Grunde  liegt  ^). 
Weiter  führt  uns  die  Bemerkung,  dass  der  dem  altn.  or- 
lö,"-  d.  h.  Urgesetz  entsprechende  Ausdruck  auch  in  den 
übriaen  Dialecten  für  das  Schicksal  verwandt  wird:  ahd. 
urlac,  ags.  orläg,  alts.  orlag,  orlcgi.  Zur  vollen  Gewiss- 
heit aber  erheben  uns  die  folgenden  Formeln:  loetaö  hilde- 
bord  her  on  bidan  wudu  wälsceaftas  Wy rda  gefdnges"). 
Wyrda  ge])ingu  Cädm.  250,  4.  Ags.  wyrdgescap,  wyrd- 
scipe  Schicksal.  Wyrda  gesceaft  Schicksal,  der  Nör- 
nen  Bestimmung.  Wyrdgesceapum  zufällig.  —  Helj.  C,  13: 
Bed  aftar  thiu  that  wif  wurdigiscapu.  Helj.  103,  7: 
tho  quämun  ok  wurdegiscapu  themu  odagan  man,  or- 
lag h  u  i  1  e. 

Wie  dem  Urteiler  das  Teilen  zustand  (fries.  dela, 
dema  and  dela),  heifst  es  vom  Schicksalsspruch  Helj.  15, 
17:  Tho  gifragn  ic,  that  iru  thar  sorga  gistöd,  that  sie 
thiu  mikila  mäht  metodes  tedelda  wred  wurdigiscapu. 
Auch  die  Weisung  des  Urteils  begegnet  uns  beim  Schick- 
sal. Helj.  14,  13:  im  habda  gewisid  waldandes  craft 
lano-a   hwila.      Das   Bezeichnen   des   heiligen  Lofszeins  mit 


1)  Gloss.  Salamonis  Prager  Handschrift;  die  Prüflinger  Handschrift  die- 
ser Glossen  bietet  scephenten,  parcae  fata.  Vergl.  Schm.  a.  527  schefentun 
parcae,   fata.      GrafF  VI,   454. 

2)  Reichenauer,  Gloss.  z.  Bib.  in  Carlsruhe  cod.  86.  GrafF  VI,  451. 
Vergl.  scaft'unga  tem.  lex. 

3)  Gloss.  in  Gregor,  honi.  Cod.  Tegerns. 

4)  Gloss.  in  Persii  satyr.  Graff  VI,  662.  Vergl.  Zeitschr.  f.  vergl. 
Sprachf.  I,   133. 

5)  Für  letzteres  entscheidet  sich  Grimm,  RA.  750.  Vergl.  eö-scefil  le- 
gislator;  ewasceffinä  scribae ;  easceffarä  legum  conditores;  fränk.  scabinus 
(f.  scapinus)  judex,  arbiter  (Schöffen). 

6)  Beow.  ed.  Grein.  398.  Lasst  erwarten  hier  eure  Kampfschilde  und 
des  Waldes  Schlachtschäfte  der  Nornen  Gericht. 


609 

der  Rune  hiefs  merken,  das  Runenzeichen  marce,  sächs. 
gimerki^).  Daher  wohl  schreiben  sich  Formeln  wie  Helj. 
4,  13:  so  habed  im  wurdgiscapu  metod  gimarcod. 
Helj.  149,  13:  Ac  it  habad  waldand  god  alomahtig  fader 
an  odar  gimarcod;  Helj.  18,  10:  so  ic  wet,  that  it  he- 
lag  drohtin  marcoda  mahtig  selbo.  Helj.  45,  14:  buta 
so  it  the  helago  god  gemarcode  mahtig.  Cädm.  Gen. 
ed.  Grein  791:  }>u  Eve  häfst  yfele  gemearcod  uncer  sjl- 
fra  siö. 

Merkwürdig  ist  eine  Stelle  aus  Vintlers  Blume  der 
Tugend  (gedichtet  1414),  welche  bereits  J.  Grimm,  Myth.^ 
379  anmerkte,  Zingerle  neuerdings  aus  der  Insbrucker  Hand- 
schrift vollständiger  und  richtiger  mitteilte  ^) : 

Und  ist  des  üngelauben  so  viel. 

Das  ich  es  nicht  gesagen  kau. 

So  haben  etleich  Leut  den  Wan, 

Das  sew  mainen,  unser  Leben, 

Das  uns  das  die  Gaclischepfen  (geben) 

Und  das  sew  uns  hie  regieren. 

Auch  sprechen  etleich  Dieren  (Dirnen) 

Sew  ertailen  dem  Menschen  hie  auf  Erden. 
Ob  diese  Vorstellung,  welche  zu  Vintlers  Zeit  Volks- 
glaube gewesen  zu  sein  scheint,  in  der  Tat  aus  deutschem 
Heidentum  übrig  und  die  Benennung  Gächschepfen  d.  h. 
die  jähen,  raschen  Urteiler  als  eine  Bestätigung  für  die 
ahd.  Glosse  scephenta  zu  betrachten  ist,  bedarf  noch 
weiterer  Untersuchuuof. 


C.     Die  Schicksalsjungfrauen  als  Göttinnen  des  Todes,  der  Geburt 
uud  der  Heirat. 

Weiter  ins  Altertum  zurückschreitend,  finden  wir  den 
Begriff  der  Schicksalsgöttinnen  als  tötende  Wesen  auch 
den  Südgermanen  zustehen.  Freilich  der  Name  Norn  ist 
nicht  mehr  nachzuweisen  —  wenn  wir  eine  s.  oben  S.  bSii 


1)  Vgl.  Helj.   7,    13:  -wordgimerkuin  writaii. 

2)  Pfeiffers  Germania  I,   238. 

39 


610 

angeführte  unsichere  Spur  abrechnen.  —  Die  Sache  aber 
wird  durch  eine  nicht  unbeträchtHche  Reihe  alter  Formeln 
hinlänglich  bezeugt,  welche  die  Schicksalsgöttin  schildern, 
wie  sie  blutgierig  in  den  Kampf  schreitet  und  die  Helden 
tötet,  wie  sie  dicht  an  den  Menschen  herantritt,  ergreift 
und  in  den  Tod  dahinreifst. 

Him  was  Wyrd  ungemete  neäh,  seo  J)one  gomelan  gre- 
tan  sceolde,  secean  sävle  hord,  sundur  gedaelan  lif  viö  lice. 
Beöw.  Gr.  2420.  Die  Schicksalso-öttin  war  ungemessen 
nah,  welche  dem  Alten  entgegenschreiten  sollte^  suchen  der 
Seele  Hort,  sonderteilen  das  Leben  vom  Leibe.  Thiu 
Wurdh  is  at  hcmdim  Helj.  141,  9.  146,  2  die  Nörn  steht 
vor  ihm,  Thiu  Wurth  nähida  thuo  Helj.  163,  16  die 
Nörn  nahte.  Wyrd  wälgrira,  die  schlachtgrimme  Norn 
Cädm.  61,  12.  Hine  Wyrd  fornam  Beöw.  Gr.  1205. 
Ina  iru  Wurth  benam  märi  metodo  gescapu  Helj.  66,  18. 
Die  eft  Wurth  farnimid  Helj.  111,14.  AntthatWurd 
fornam  Herodes  thana  cuning,  that  he  forlet  eldeo  barn, 
mödag  mannö  dröm  Helj.  23,  7.  Bis  Wurth  fortriss  Herodes 
den  König,  dass  er  verliefs  der  Zeiten  Kinder,  er  der  Stolze 
der  Menschen  Leben.  Wyrd  forsveöp  ealle  mine  magas 
to  metodsceafte  Beöw.  Gr.  799:  Wurth  riss  dahin  alle 
meine  Verwandten  nach  Schicksalsspruch.  Us  seö  Wyrd 
scyöed  heard  and  hetegrim  Andr.  1561:  Wyrd  verletzt  uns 
hart  und  hassgrimm  —  hie  seö  Wyrd  besväc  forleölc  and 
forlaerde  Andr.  613:  Das  Geschick  täuschte,  verführte.  — 
In  die  eben  beigebrachten,  ursprünglich  ganz  persönlichen 
Formeln  traten  als  Wyrd,  Wurth  zum  unpersönlichen  Schick- 
sal erblasste  andere  synonyme  Abstracta  ein,  Tod,  Schlacht 
u.  dsl.  Daher  lesen  wir:  DeäS  was  uno-emete  neäh  Beöw. 
50453.  Död  is  at  hendi  Helj.  92,  2.  er  hat  den  tot  an 
der  haut  Reinh.  1480.  se  ]?e  hine  deäS  nimeSBeöw.  Gr. 
440.  thena  död  fornam  Helj.  67,  20.  mec  deäö  nimeb 
Beöw.  Gr.  1481.  wig  ealle  fornam  Beöw.  Gr.  1080.  güS 
fornam  Beöw.  1123.  hine  svylt  fornam  Beöw.  Gr.  1436. 
oöSe  güö  nimeS  feorhbealu  frecne  freän  eowerne  Beöw. 
Gr.  537.     inan  wie  furmara  Hildebrandsl. 


__61J 

Dem  Zeugnis  solcher  Formeln  treten  lebendige  Sagen- 
züge erläuternd  an  die  Seite.  Bekannt  ist  das  schöne  Mär- 
chen vom  Dornröschen.  Einem  König,  so  wird  erzählt, 
wird  ein  Töchterchen  geboren.  Zwölf  weise  Frauen 
sind  zur  Feier  dieses  glücklichen  Ereignisses  eingeladen, 
jeder  wird  ein  goldener  Teller  vorgesetzt.  Sie 
beschenken  das  Kind  mit  ihren  Wundergaben, 
Tugend,  Schönheit,  Reichtum  u.  s.  w.,  als  die  drei- 
zehnte, die  nicht  geladen  ist,  zürnend  hereintritt  und  den 
Fluch  ausspricht,  sie  solle  sich  in  ihrem  fünfzehnten  Jahre 
an  einer  Spindel  zu  Tode  stechen.  Die  zwölfte  mildert  den 
Tod  in  einen  hundertjährigen  Schlaf.  Der  König  verbietet 
alle  Spinnräder.  Als  aber  die  Königstochter  15  Jahre  alt 
ist,  findet  sie  in  einem  verfallenen  Turm  eine  alte  Frau, 
die  spann  mit  ihrer  Spindel  Flachs.  Das  Mädchen  sticht 
sich  mit  der  Spindel  in  den  Finger.  Sogleich  fällt  sie  sammt 
dem  ganzen  Schlossgesinde  in  tiefen  Schlaf.  Kings  umher 
wächst  eine  feste,  dichte  Dornhecke,  die  das  Ganze  ein- 
schliefst. Nach  hundert  Jahren  bahnt  sich  ein  Königssohn 
den  Weg  durch  diesen  Hag,  und  weckt  Dornröschen  und 
mit  ihr  ihr  ganzes  Hofgesinde  durch  seinen  Kuss  zu  neuem 
Leben.  Das  Schloss  ist  damit  gleichfalls  entzaubert '). 
Ganz  ähnlich  ist  die  französische  Erzählung  bei  Perrault. 
Zur  Taufe  der  kleinen  Königstochter  sind  die  Feen  des 
Landes,  sieben  an  der  Zahl,  als  Gevatterinnen  gebeten  au- 
fser  einer  uralten,  die  nicht  geladen  war,  weil  sie  seit  50 
Jahren  ihren  Turm  nicht  verlassen  hatte  und  für  gestor- 
ben galt.  Jeder  der  Feen  wird  goldenes  Geschirr  vor- 
gesetzt. Während  des  Gastmahls  erscheint  die  Alte,  sie 
ist  erzürnt,  da  man  ihr  kein  goldenes  Geschirr  vorzusetzen 
vermag.  Sechs  Feen  begaben  das  Kind  mit  guten 
Gaben,  die  Alte  spricht  aus,  die  Königstochter  werde 
sich  mit  einer  Spindel  in  die  Hand  stechen  und  daran  ster- 
ben. Da  tritt  die  siebente  der  jungen  Feen  hervor  und 
erklärt,  nicht  sterben  solle  sie,   nur  in  tiefen  Schlaf  fallen. 

1)  KHM.  No.  50. 

39* 


612 

Die  Prophezeiung  erfüllt  sich;  die  Königstochter  stirjit 
sich  an  der  Spitidel  und  versinkt  in  Zauberschlaf,  um  das 
Schloss  wächst  dichter  Wald,  wovon  die  Jungfrau  den  Na- 
men 5,1a  belle  au  bois  dormant"  erhält.  Nach  100  Jahren 
dringt  ein  König  durch  den  Hag  und  erlöst  die  Prinzessin, 
die  von  ihm  zwei  Kinder  Aurore  und  Jour  gebiert.  Im 
Pentamerone  wird  V,  5  unter  dem  Namen  Talia  dieselbe 
Sao:e  berichtet.  Die  Weisen  und  Wahrsager  (sacciente 
e  nnevine)  verkünden  bei  der  Geburt  der  Talia,  das  neu- 
gehorne  Kind  icerde  sich  einst  an  einer  Flachsagen  zu  Tode 
stechen.  Es  soll  nun  kein  Flachs  ins  Schloss  gelassen  wer- 
den. Eines  Tages  aber  sieht  Talia  eine  spinnende  Alte 
vorübergehen  und  beim  Ergreifen  des  Kockens  stöfst  sie 
sich  eineAgen  unter  den  Fingernagel  und  sinkt  tot 
zu  Boden.  Der  Vater  lässt  sie  unter  einem  Tronhim- 
mel  auf  einem  Sessel  niedersetzen  und  dann  das  Schloss 
verschliefsen.  Ein  König  dringt  von  einem  Falken  ge- 
leitet in  das  Schloss  und  geniefst  die  Liebe  der  Schlafen- 
den. Nach  neun  Monaten  gebiert  sie  zwei  Zwillinge  Luna 
und  Sole.  Feen  legen  ihr  die  Kinder  an  die  Brust.  Als 
diese  einst  die  Mutterbrust  nicht  finden  können,  fassen  sie 
die  Finger  und  saugen  und  ziehen  so  den  Flachsagen 
heraus,  worauf  Talia    aus  ihrem  Schlafe  erwacht. 

Die  Grundlage  dieses  Märchens  ist  die  bereits  oben 
S.  505  fgg.  erläuterte  Mythe,  dass  eine  himmlische  Göttin,  die 
Wasserfrau,  (? )  die  das  Licht  der  Sonne  in  ihrem  Schofse 
hält,  Mutter  von  Morgenröte  und  Tag,  von  Mond  und 
Sonne,  die  Nachts  oder  Winters  vom  Dämon  getötet 
oder  in  Schlaf  versenkt  wird,  bis  ein  lichter  Gott  die 
Umzäunung,  in  welcher  sie  gefangen  gehalten  wird,  durch- 
bricht und  sie  zu  neuem  Leben  erweckt.  Als  man  vom  Dä- 
mon kein  lebendiges  Bewusstsein  mehr  hatte,  und  die  ganze 
Sage  in  das  Gebiet  der  Menschheit  hinabsank,  musste  der 
Zauberschlaf  oder  Tod  anders  motiviert  werden  und  dies 
geschah,  indem  man  sich  vorstellte,  dass  ein  böses  göttli- 
ches Zauberweib  die  Jungfrau  mit  spitzem  Nagel  (Spin- 
del, Dorn)  in  die  Hand  oder  ins  Haupt  gestochen. 


613 

Im  wesentlichen  Grunde  ist  diese  Sage  von  Dornrös- 
chen mit  der  von  Brynhilldr  eins,  wie  bereits  die  Grimms  ') 
erkannten.  Auch  diese  Sage  wusste  ursprünglich  nur,  dass 
die  Göttin  in  der  flammenden  Wolke  eingeschlossen  in  Zau- 
berschlaf oder  Tode  ruht,  bei  Sigufrit  sie,  den  Drachen  er- 
legend, befreit.  Zur  Heldensage  herabgesunken  bedurfte 
aber  auch  sie  für  den  Zauberschlaf  eines  Anlasses  und  die- 
ser wurde  in  der  Annahme  gefunden,  dass  Oöinn  die  Schild- 
maid Brynhilldr  mit  dem  Schlafdorn  (svefn]?orn)  gesto- 
chen habe.  Diesen  Schlaf  dorn  kennen  auch  andere  nor- 
dische Ueberlieferuno;en.  Nach  der  Göng-u-Hrölfssaffa  ruht 
der  tapfere  Hrölfr  an  der  Seite  der  schönen  Königstochter 
IngigerSr.  Ein  gewisser  Vilhjälmr,  der  ihn  so  sieht,  ent- 
brennt in  Neid  und  stöfst  ihm  den  Schlafdorn  ins  Haupt 
(stakk  Hrolfi  svefu])orn).  Ingigerör  will  ihn  wecken.  „Ich 
wecke  ihn,  ruft  Vilhjälmr"  und  schlägt  ihm  beide  Füfse  ab. 
Dann  ergreift  er  die  Königstochter  und  zieht  mit  ihr  von  dan- 
nen.  Hrölfr  liegt  bis  zum  Abend,  wie  tot.  Da  beugt  sich  sein 
treues  Ross  Dulcifal  über  ihn,  beschnuppert  ihn  und  zieht 
so  den  Schlafdorn  heraus.  Der  Held  erwacht,  ergreift  sein 
Schwert  Hreggviöarnautr,  kriecht  aufs  Ross  und  jagt  dem 
Räuber  nach  -).  Helgi  Hälfdanarson  von  Dänemark  trinkt 
mit  der  Königin  Olöf  von  Saxland  Brautlauf.  Sie  wünscht 
die  Verbindung  nicht  und  sticht  ihn,  als  er  trunken  im 
Schlafe  liegt  mit  einem  Schlafdorn  (stingr  honum  svefuj^orn), 
schabt  ihm  alles  Haar  ab  und  legt  ihn  in  einen  Leder- 
sack "}.  Diesen  schickt  sie  auf  Hrölfs  Schiff.  Seine  Leute 
öffnen  neugierig  den  Sack,  und  dabei  fliegt  der  Schlafdoru 
heraus  (hrytr  svä  burta  svefnjwrninn),  der  König  erwacht  *). 
Auch  in  Deutschland  ist  der  Schlafdorn  bekannt  (auch  ab- 
gesehen von  der  Benennung  der  wilden  Auswüchse  des 
Rosenstrauches,    Schlafapfel,    Schlafkunz    und    dem 


1)  KHM.  III, ^  85.  J.  Grimm  bei  Liebrecht,  Pentamerone  des  Ba- 
sile  I,  XII. 

2)  Fornaldarsög.  III,   303-306. 

3)  Auf  Schiften  hatte  man  Ledersiickc  (hü^iföt),  die  als  Betten  dienten 
und  worin  gewöhnlich  zwei  zusammen  schliefen.  Wcinhold,  Altnord.  Leben 
S.  234. 

4)  Fornaldarsög.  I,   IG. 


614 

Aberglauben,  dass  Schlafende  nicht  erwachen,  wenn  man 
ihnen  denselben  unter  das  Kopf  küssen  legt.  Myth.-  1157. 
Auf  diesen  Auswüchsen  der  Dorn  rose  soll  Maria  die  Win- 
deln Christi  getrocknet  haben).  Nichts  anders  ist  nämlich 
der  giftige  Kamm,  den  die  alte  böse  Königin  Snewittken 
ins  Haar  steckt,  worauf  sie  tot  hinsinkt  KHM.  53.  Im 
walachischen  Märchen  „der  Zauberspiegel,"  das  unserm  Sne- 
wittken entspricht  erfolgt  die  Tötung  noch  deuthcher  durch 
eine  Blume,  welche  die  böse  alte  Mutter  der  schönen 
Jungfrau  ins  Haar  steckt').  Mandschiferu  (Eisenfresser) 
wird  von  einer  bösen  Hexe,  welche  ihm  die  erlöste  Prin- 
zessin misgönnt,  mit  einer  verzauberten  Nadel  in  den 
Kopf  gestochen,  worauf  er  tot  hinsinkt^).  Nichts  an- 
ders bedeutet  es,  wenn  eine  böse  Zigeunerin  der  Ungebo- 
renen, Niegesehenen  eine  Zaubernadel  in  den  Kopf 
stöfst,  und  diese  darauf  in  eine  Taube  verwandelt  wird. 
Die  Taube  ist  die  Seele  der  Getöteten  ^).  Derselbe  Zug 
kehrt  in  Tirol  wieder.  Eine  Hexe  drückt  der  schönen 
Pomeranzenjungfrau  eine  Zaubernadel  in  den  Kopf, 
worauf  sie  eine  Taube  wird.  Die  Taube  sucht  bei  ihrem 
Bräutigam  Schutz,  der  die  Nadel  auf  dem  Kopfe  findet, 
herauszieht  und  so  die  Verwandlung  löst  *).  Auch  bei 
Magyaren  wird  erzählt,  dass  drei  Königstöchter  in  ein  Rie- 
senhaus  gerieten.  Die  jüngste  verspricht  die  Riesin  zu 
putzen.  Anstatt  sie  aber  zu  kämmen,  schlägt  die  flinke 
Kleine  der  Frau  mit  einer  eisernen  Klammer  auf  den 
Kopf,  so  dass  sie  tot  hinstürzt^). 

Während  nach  Sigrdrifumal  ÖSinn  als  Todgott  und 
Schlachtenherscher  die  Valkyre  mit  dem  Svefn]?orn  sticht, 
weisen  die  anderen  von   uns   angeführten  Ueberheferungen 


1)  Schott  105. 

2)  Schott  a.  a.  O.  220. 

3)  Schott  a.  a,  O.   251. 

4)  Zingerle,  KHM.  59  No.  11  „vorn  reichen  Grafensohn."  Bei  Wolf 
(Deutsche  Hausm.  S.  23)  senkt  ein  altes  Weibchen,  das  vor  einem 
Waldhaus  spinnend  sitzt,  einen  Soldaten  in  Zauberschlaf,  indem  es  ihm 
den  Zopf  aufsteckt. 

5)  Stier,  Magyarische  Märchen  S.  41.  Anklänge  gewährt  auch  ein  Fin- 
nisches Märchen  vom  Wetehinen.  S.  Schiefner,  Mj'thengehalt  der  Finnischen 
Märchen  S.  609. 


615 

den  tötenden  Nagel  (Nadel,  Spindel,  Flacbsagen,  Dorn 
u.  s.  w.)  einer  alten  Frau  zu.  Eine  unbefangene  Betrach- 
tung muss  dartun,  dass  die  Schicksalsgöttin  gemeint 
ist,  welche  mit  eigener  Hand  den  Menschen  tötet. 
Denn  offenbar  ist  die  alte  spinnende  Frau,  welche 
Dornröschen  die  Spindel  in  die  Hand  treibt  dieselbe, 
welche  ihr  bei  der  Geburt  Unglück  weifsagt,  bestimmt. 
Wir  werden  sehen,  dass  auch  die  12  goldenen  Teller, 
die  den  weifsen  Frauen  vorgesetzt  werden,  sie  als  Schick- 
salsgöttinnen bestätigen.  Der  Schlafdorn,  oder  Tötungs- 
nagel war  vielleicht  ursprünglich  ein  Speer,  oder  eine 
andere  spitze  Waffe,  womit  die  Schicksalsgöttin  eigen- 
händig den  zum  Tode  Bestimmten  niederstreckte.  Diese 
Vorstellung  ergiebt  sich  auch  durch  die  folgende  Unter- 
suchung als  ein  wahrscheinliches  Erbteil  der  südgermani- 
schen, wie  der  nordgermanischen  Stämme  aus  jener  Zeit, 
welche  der  Auffassung  der  Nornen  als  Urteilerinneu  am 
Göttergericht  voranging. 

Weifse  Flecke  an  den  Nägeln  bedeuten  nach  west- 
preufsischem  Volksglauben  Glück.  Man  sagt  „die  Nägel 
blühen."  In  Tirol  nennt  man  dieselbe  Erscheinung  „Na- 
gelblüh" und  glaubt,  dieselbe  zeige  Glück  und  Frucht- 
barkeit an').  In  Baiern  heifst  es,  wer  weifse  Flecke  au 
den  Nägeln  hat  (nicht  allein  unter  Kindern,  sondern  auch 
unter  erwachsenen  Leuten),  dem  blüht  Glück  oder  eine 
Freude^).  In  der  Wetterau  scheint  diese  Verheifsung 
auf  die  Kinder  als  die  einzigen  Gläubigen  eingeschränkt  zu 
sein  ^).  In  Holstein  verbietet  man,  solche  Nägel  abzuschnei- 
den, auf  denen  weifse  „Sterne"  oder  „Blomen"  sich  fin- 
den, denn  an  sie  knüpft  sich  eine  glückliche  Zukunft, 
besonders  wenn  sie  auf  einem  Nagel  der  linken  Hand  sicht- 
bar  werden").     Dagegen   galt   es   im    17.  Jahrhundert   als 


1)  V.  Alpenburg,  Mythen  und  Sagen  Tirols  S.  372. 

2)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  100.  Die  Ausdrücke  sind  von  der  land- 
läufigen Redensart  hergenommen:  „Das  Glück  blüht."  Der  Sinn  des  Volks- 
glaubens ist  nur  „Nagelflecke  bedeuten  Glück." 

.3)  Wolf,  Beiträge' I,   206,    10. 

4)  Schütze,   Schleswigholst.  Idiotie.   II,    HG.     Müadl. 


616 

Todesvorzeichen  gelbe  Flecken  (yellow  specldes) 
auf  den  Nägeln  zu  haben  *).  Ebenso  sagt  Christoph  Männ- 
ling  ^)  „grofse  Herren  meinen  an  der  veränderten  Farbe 
der  Perlen  und  Corallen  ihren  Lebenszustand  zu  pro- 
biren,  wie  auch  an  den  Nägeln."  Hiermit  stimmt  die 
Sitte  der  Kinder  in  Ypern  überein,  welche  an  den  weifsen 
Flecken  auf  den  Nägeln  abzählen,  wieviel  Lügen,  oder 
Todsünden  sie  begangen  haben  ^).  Auch  rheinischer 
Glaube  ist  es:  „wer  weifse  Flecken  an  den  Nägeln  hat, 
lügt,  jeder  Flecken  ist  eine  Lüge*).  Die  Todsünde  über- 
haupt und  die  Lüge  als  einzelner  Fall,  sind  hier  als  Ur- 
sache an  die  Stelle  der  Wirkung,  des  Todes  getreten.  In 
Bunzlau  sagt  man,  wer  weifse  Flecken  auf  den  Nägeln  hat 
bleibt  in  seinem  Vaterlande  ^).  In  einigen  Gegenden  Pom- 
merellens  unterscheidet  man  zwischen  den  Nägeln  der  rech- 
ten und  linken  Hand.  Weifse  Flecken  auf  der  ersteren 
bedeuten  Glück,  auf  der  letzteren  Unglück.  Werden  die 
Nägel  gelb,  so  stellt  sich  nach  dem  Glauben  benachbarter 
Gegenden  bald  Not  oder  Sorge  ein'').  Männling  sagt^): 
„So  müssen  auch  die  Nägel  an  den  Fingern  Propheten  ab- 
geben. So  viel  weifse  Pünktlein  daran  anzutreffen,  so  viel 
Glück,  wo  aber  lauter  weifses,  so  ist  es  der  sichtbare 
Tod,  der  vor  der  Türe  steht."  Nach  Burton  ^)  sind  schwarze 
Flecken  auf  den  Nägeln  ein  schlechtes  Vorzeichen.  Weifse 
Flecke  auf  den  Nägeln  dagegen  heifsen  in  England  „Gifts" 
Gaben  und  bedeuten  Glück  ^).  Aus  allen  diesen  Volksan- 
schauungen geht  hervor,  dass  man  auf  dem  Nagel  ein  ge- 


1)  Melton,  Astrologaster  6.     Brand,   Populär  antiquities  III,  177.    Wolf, 
Beiträge  I,   246. 

2)  Denckwürdige  Curiositäten    derer    sowol    in-    als    ausländischer    aber- 
gläubischer Albertäten.     Frankfurt  und  Leipzig  1713   S.  337. 

3)  Wolfs  Papiere. 

4)  Wolf,  Beiträge  I,   290,   475. 

5)  Myth.«    CLVII,    1070. 

6)  Mündl. 

7)  a.  a.  O.   230. 

8)  Melancholy  ed.    1621  p.  214. 

9)  British  Apollo  fol.  London   1708   I,  No.  17.    Brand  a,  a.  0.   III,   178. 


617 

heimes  Zeichen  erblickte,   welches  über   das  zukünftige 
Schicksal  Auskunft  gab. 

Nah  verwandt  diesem  Glauben  ist  die  Volksmeinung- 
bei  Danzig,  dass  gelbe  Flecke  an  den  Fingern  Tod 
bedeuten.  Diese  Meinung  herscht  auch  in  England.  Bei 
Reed  heifst  es  '): 

When  yellow  spots  do  on  your  hands  appear 
be  certain,  then  you  of  a  corse  shall  hear! 
Bei  Worms  sagt  man :  Gelbe  Flecken  am  Fino;er  bedeuten 
Zank.  Sind  sie  so  grofs,  dass  man  sie  mit  einem  Finger 
nicht  bedecken  kann,  so  wird  der  Streit  von  Belang:  d.  h. 
es  stirbt  einer-).  Derselbe  Glaube  herscht  in  der  Wet- 
terau  ^).  In  Frankfurt  a.  M.  *) ,  sowie  am  Niederrhein  ^) 
sagt  man:  gelbe  Flecken  an  der  Hand  bedeuten  Verdruss. 
Noch  weiter  vom  Nagel  ab  liegen  die  dänischen  „död- 
ningskneb,  dödningsknib,  dödningspletter,"  To- 
desvorzeichen. So  heifsen  blaue  Flecken,  die  man  mitun- 
ter Morgens  am  Körper  findet.  Sie  sagen  baldigen  Tod 
eines  Freundes  oder  Verwandten  voraus  '^).  In  Belgien  wie- 
derum nennt  man  doodsneepen  schwarze  Flecke  auf  der 
Haut  Todkranker.  Am  Niederrhein  heifsen  blaue 
Male  von  irgend  einem  Stofs,  den  man  vergessen,  Geister- 
pitsche.    Sie  deuten  auf  den  Tod  eines  Freundes  oder 


1)  Old  plays  VI,   357. 

2)  Myth.'    LXXXIX,   53G. 

3)  Wolf,  Beiträge  I,   240,   478. 

4)  Wolfs  Papiere. 

5)  Wolf,  Beiträge  I,   240,   476. 

6)  Myth.'  CXV,  144.  Docdningsknseb  nennt  sie  Holberg  im  Peter  Paar 
I.  4.  Ausg.  1772  S.  71.  Die  alten  Aerzte  sahen  sie  für  Scorbutflecken  an. 
„Quaeri  solet,  an  lividae  istae  corporis  maculae ,  quas  nostro  idiomate  doed- 
ningsknib  appellari  audinius ,  mortem  amicorum  portendant.  Saepissime 
quidem  contigit  ut,  et  hae  oculos,  et  fama  de  amicis  defunctis  aures  nobis 
simul  feriant,  non  tarnen  ideo  certissima  ex  illis  praesagia  desnmere  licet, 
optimi  sane  machaones  ejusmodi  maculas  scorbuticas  ut  plurimas  esse  obser- 
vaverunt.  Probatis  itaque  artificibus  in  sua  arte  credendum  est.  Sixt.  Aspacli, 
Dissertat.  de  variis  superstitionibus  Havn.  1677.  40.  p.  7.  Aucli  Olivarius 
(Dissertat.  de  superstitionibus  quibusdam  vulgaribus  Danorum  circa  moritu- 
ros.  Havn.  1740.  4".  I,  p.  6.  §.1)  bekämpft  die  prophetische  Bedeutung  der 
Docdningepletter. 


618 

eines  Nachbarn').  Unter  den  Vorzeichen,  welche  Bar- 
ton Holiday  in  seiner  raxvoyafiia  sig.  E.  b.  aufzählt,  heifst 
es  auch:  that  a  yellow  death-mould  may  be  never 
appear  upon  your  hand  or  any  part  of  your  body." 

So  viel  ich  bis  jetzt  sehen  kann,  ist  jener  Glaube  an 
die  Vorbedeutsamkeit  der  Näscelflecken  aus  dem  Volksoflau- 
ben  des  Mittelalters  in  die  Chiromantiken  des  16.  und  17. 
Jahrhunderts  übergegangen.  Die  Chiromantiker  schöpfen 
gröfstenteils  aus  den  alten  Physiognomikern  Melampus,  Po- 
lemo,  Adamantius.  Beim  Adamantius  findet  sich  die  fol- 
gende Stelle^):  üvv/sg  Til.arkeq  Xe.vy.oi  v7i6^av&oi  ivcfvovg 
civdoog'  OL  Sä  orevoi  y.cu  Tioouvjxeig  y.cd  y.VQTol  üvaia&i^rov 
yctl  ß-riQiüSovg.  Beim  Polemo  ^) :  ovv/Eg  nlateig  ?^svxoi 
vn6S,av&oi  eicfvi]  S}]}.ov6t  ävdna,  oi  Ök  orevoi  y.cd  TiQOurj- 
y.Big  y.cu  y.vQZOi  ävccio&}]Tov  y.cu  Oi^olmSi]  ävÖQa  öijuaivov- 
(jiv  oi  öe  öcftödga  oy.ohol  äonaya  S^Xovaiv  ärdga'  fiiXQol 
Ticcvv  bw/sg  {.lilaveg  TiavovQyov  ävöga  öiiuaivovGLV ,  oi 
Sk  CTOoyyvXcu  ovv/sg  Tichw  f.ioiyovg  ävdoag  Gi'juah'ovaiv. 
An  diese  Stelle  scheint  in  unsern  älteren  Chiromantiken 
der  oben  berührte  Volkso-laube  von  den  Nagelflecken  an- 
geschlossen  *).  Vergl.  Chiromantia  in  certi  autoris  ed. 
Rousseus  Noriberg.  MDLX:  Ungues  lati,  longi,  tenues 
et  albi  ac  splendide  subrubentes  signum  est  ingenii  optimi 
ac  bonitatis,  oblongi  autem  et  angusti,  soliditatem  et  firmi- 
tatera  denotant.  Inflexi  vero  hominem  impudentem  et  ra- 
pacem  ostendunt  et  si  in  talibus  demonstrationibus  sint 
digiti  valde  macri,  ethycam  passionem  et  soliditatem  de- 
moDstrant.     Ungues  valde  breves  malevolum   et   discordem 


1)  Montanus,  Deutsche  Volksfeste  I,   92. 

2)  Adamantii,  Phisiognom.  lib.  II.  cap.  III.  ap.  Franz,  Scriptt.  physiogn. 
Graec.  377. 

3)  Physiogn.  I,  XXIII. 

4)  Die  auch  aus  jenen  griechischen  Quellen  her\'orgegangenen  Physio- 
gnomiken des  16ten  und  17ten  Jahrhunderts  wissen  davon  gröfstenteils  nichts 
z.  B.  Decisiones  physionomiae  Petri  de  Albano,  scriptae  1535.  Venetiis  1548. 
8".  —  Liber  physionomiae  raagistri  Michaelis  Scoti  Venetiis  per  Melchiorem 
Sessa  1508.  —  Joh.  Bap.  Portae  Neap.  de  humana  physiognomia  1.  1.  VI. 
Neap.  1602  f.  —  Praecepta  chiromantica  Nicolai  Pompei.  Hamburgi  1680. 
kl.   8  0. 


619 

indicant.  Pallidi  vero,  vel  nigri  ac  asperi  ac  quasi  rotundi, 
luxuriosum  et  in  venerem  promptum  ostendunt:  Et  dicunt 
quidam,  quod  si  quaedam  punctura  alba  reperiatur  in 
unguibus,  amicos  et  benedictiones  ostendit;  si  nigra  inimi- 
cos,  persecutiones,  maledictiones,  et  nova  damna  demonstret, 
in  quibus  fuerit  reperta  ^)."  Vergl.  Antioch.  Tibertus -): 
„üngues  longi  et  rubidi  bonam  naturam  et  ingenium,  longi 
et  ex  albo  maculati  amicitiam,  benignitatem,  et  bonitatem, 
ex  nigro  aliove  maculati  colore  persecutiones  et  damna, 
parvi  et  nigri  cum  puncturis  invidiam  et  malitiam  demon- 
strant."  Erst  die  späteren  Chiromantiken  bilden  die  Lehre 
von  den  Nägelflecken  mehr  ins  Einzelne  aus. 

Ich  hebe  einige  Stellen  aus:  „Die  glücklichen  Zeichen 
auf  den  Nägeln  sein  allezeit  weifs,  die  unglücklichen  ent- 
weder rot,  schwarz,  gelb,  oder  nur  tiefe  Punkte  als  wenn 
solche  mit  der  Nadel  in  die  Nägel  eingegraben  wären  ^)." 
„Zum  öfteren  lassen  sich  an  den  Nägeln  sehen  Pünkt- 
chen: als  weifse,  schwärzliche,  rötliche  und  braune,  zu  Zei- 
ten Grübchen  oder  Striemen.  Weifse  bedeuten  insgemein 
Gesundheit,  ein  fröhliches  Gemüte,  und  Glück  nach  dem 
Gemüt  desselben  Fingers.  Schwarze  Flecke  oder  Grüb- 
chen Ungesundheit,  prae  ceteris  paribus  den  Tod, 
darneben  Traurio;keit  oder  Unglück.  Rote  und  braune 
Krankheiten.  Ein  unglückliches  Zeichen  durch  ein  anderes 
vermehrt,  bedeutet  auch  Vermehrung  des  übelen  Zustandes. 
Sind  sie  zerteilt  oder  zerbrochen,  bestehend  gleichsam  aus 
kleinen  verworfenen  Pünktchen,  oder  gehen  sie  auf  die 
Seite  des  Nagels  hinauf,  so  haben  sie  nicht  absonderliche 
Wirkung.  Ein  weifser  Punkt,  oder  andere  glückliche  Signa- 
tur auf  dem  Nagel  des  Daumens  bedeutet  glücklich  und 
martialisch  sein  vmd  auch  Liebesperson  sonderlich  in  rebus 


1)  Vergl.  Phisionomei,  complexion  vnd  art  eines  ieden  menschen.  Zwi- 
ckaw  1530.  kl.  4".  fol.  9a  „weifs  tröpflein  auff  den  negeln  zeigt  an  gute 
freund  vnd  zuwurfF  guter  ding,  alles  gut  nachreden ;  so  aber  die  mit  schwartz. 
deut  gar  das  widerspicl." 

2)  Antiochi  Tiljerti  D.  de  chiromantia  1.  1.  III.  denuo  recogn.  per  Joa. 
Dryandrum  medicum  Marpurgensem.     Moguntiae  MDXLl.   II,    109. 

3)  Institutiones  chiromanticae.     Jenae  ap.  Sam.   Krebs   1673  c.  XXV. 


620 

juridicis  et  medicis;  ein  glückliches  Zeichen  an  dem  Nagel 
des  Zeigefingers  Glück  von  jovialischen  oder  geistlichen 
Sachen;  auf  dem  Mittelfinger  Glück  von  Eltern,  Verwand- 
ten und  Hausleuten;  auf  dem  Sonnenfinger  Gnade  bei  Bö- 
sen und  Ehre  bei  Guten;  auf  dem  kleinen  Finger  Gunst 
der  Schreiber,  Gelehrten  und  Kaufleute  ')."  —  „Weifse 
Pünktchen,  Kreuze,  halbe  und  ganze  Zirkel  auf  den  Nä- 
geln bedeuten  Glück  und  Gesundheit,  nicht  allein  demje- 
nigen Menschen,  bei  dem  sie  gefunden  werden,  sondern 
auch  Anverwandten  und  Patronen.  Sie  bedeuten  ferner 
ein  fröhliches  Gemüt  und  schwangern  Weibern  Glück  im 
Gebären  und  gesunde  6  Wochen.  Schwarze  Punkte, 
Zeichen  oder  Grübchen  dagegen  bedeuten  Krankheiten  oder 
Tod,  den  Schwangern  Gefahren.  Gelbe  Flecken  auf  den 
Näo-eln  bedeuten  in  Pestzeiten  Pest,  sonst  friftisce  Krank- 
heit,  Gift  und  Schlägerei.  Gelbe  Flecke  an  den  Fingern 
oder  auf  dem  Rücken  der  Hand  sagen  Glück  vorher. 
Die  Zeichen  oder  Punkte  müssen  in  einer  graden  Linie  in 
der  Mitte  hinaufgehen,  eine  Abweichung  nach  der  Seite 
hin  bedeutet  eine  Verminderung  des  Glücks  oder  Unglücks. 
Jeder  Nagel  teilt  sich  .in  drei  Teile.  Flecken  an  der  Wur- 
zel des  Nagels  bedeuten,  dass  man  in  den  letztvergangenen 
4  Wochen  ein  noch  unbekanntes  Glück  und  Unglück  ge- 
habt, Zeichen  in  der  Mitte,  dass  ein  solches  Geschick  in 
der  Gegenwart,  d,  h.  in  den  nächsten  4  Wochen  eintreffen 
werde,  Zeichen  an  der  Spitze  des  Nagels  endhch,  dass  in 
dem  auf  die  4  wöchentliche  Gegenwart  folgenden  Monat 
eine  Wendung  des  Geschicks  bevorstehe  -).  Aus  derarti- 
gen Chiromantiken  ist  wol  Brown's  Angabe  geschöpft,  dass 
die  weifsen  Flecke  auf  den  Nägeln  Glück,  blaue  Misge- 
schick,  auf  dem  Daumen  Ehre,  auf  dem  Zeigefinger  (Fore- 
finger)  Reichtum  vorbedeuten;  ferner  „that  spots  in  the  top 
of  the  nails  signify  things  past,  in  the  middle  things  pre- 

1)  CoUegium    curiosum    privatissimum    physiognom.-chirom.    nietroscop.- 
chirom.  Francof  et  Lips.   ap.   Guill.  Stock.    1704.  p.  78. 

2)  Philipp  Mayen,   Chiromantia  et  phisiognomia  niedica,    wie  auch  Chi- 
romantia  curiosa.     Drei5den  und  Leipzig   1712.  p.  92  — 101. 


621 

sent,  in  the  bottom  events  to  come  ')."  Ebendaher  stammt 
wahrscheinlich  auch  Griesbachs '-)  Aussage,  dass  weifse 
Blumen  auf  dem  Nagel  des  Daumens  Glück  im  Spiel, 
weifse  Punkte  auf  dem  Gold-  und  Zeigefinger  Ehre  bedeu- 
ten. Die  Zusätze,  welche  in  den  späteren  Chiromantiken 
sich  finden,  scheinen  gröfstenteils  aus  den  beiden  Büchern 
des  Melampus  tibol  naluwv  jnavrixij  und  nsoi  Ü.cciiov  tov 
ocüuarog  ^lavnxi]  misverständlich  in  der  Weise  zusammen- 
getragen, dass  Zeichen,  welche  jener  auf  andere  Körper- 
teile bezieht  auf  die  Nägel  übertragen  werden.  In  jedem 
Fall  steht  fest,  dass  der  oben  dargelegte  Volksglaube  nicht 
aus  den  Chiromantiken  stammt  und  wahrscheinlich  ist,  dass 
diese  die  Volkstradition  aufgrifien,  und  aus  ihr  von  Zeit 
zu  Zeit  einzelnes  entlehnten,  um  ihr  Material  zu  erweitern  ^}. 


1)  Brand,  Populär  antiquities  III,   351. 

2)  Griesbach,  Abhandlung  von  den  Fingern  und  deren  Verrichtungen 
und  symbolischer  Bedeutung,  insoferne  sie  der  deutschen  Sprache  Zusätze 
geliefert  aus  aller  Art  Altertümer  erwogen.  Leipzig.  Eisenach  1757  S. 
270.  271. 

3)  Gar  keinen  Zusammenhang  mit  unserer  Divination  aus  den  Nägelflecken 
hat  die  schon  von  den  Alten  gekannte  und  geübte  (vgl.  Pauly,  Realencypl.  s.  v. 
magia)  Ony  chomautie  oder  Onymantie,  welche  mit  dem  Ivristallsehen  aufs 
Engste  verwandt  ist.  Im  Mittelalter,  das  die  ganze  Superstition  der  alten 
Welt  «als  Erbteil  übernahm,  wurde  sie  oft  angewendet.  Gervasius  von  Til- 
bury  schreibt  1211  in  seineu  Otia  imperialia  cap.  XVII  ed.  Liebr.  p.  6:  Sunt 
et  quidam,  qui  a  virginibus  tantum  videntur ;  caro  enim  incorrupta  magis  spi- 
ritualiter  habet  intuitus,  unde  asserunt  nigromantici  in  experimentis  gladii, 
vel  speculi,  vel  unguis  solos  oculos  virgineos  praevalere.  —  Johann  von 
Salisbury  (f  1182)  erwähnt  im  Polycr.  II,  38  das  Wahrsagen  aus  Krystallen, 
Spiegeln,  Becken  und  den  mit  Oel  bestrichenen  Nägeln.  Im  löten  Jahrhun- 
dert sagt  Dr.  Hartlieb,  der  Leibarzt  Herzog  Albrechts  von  Baiern,  in  seinem 
„buch  aller  verbotten  kunst"  1455  c.  83:  ,,Die  kunst  pyromancia  treibt  man 
gar  mit  mangerley  weis  und  form.  Etlich  meister  der  kunst  nemen  eins  rain 
chind  und  setzen  das  in  ir  schofs  und  heben  dann  sein  band  uff  und  lassen 
das  in  seinen  nagel  sehen,  vind  beschweren  das  chind  und  den  nagel  mit 
einer  grofsen  beschwerunge  und  sprechen  dann  dem  chind  in  ain  ore  driu 
unchunde  wort;  der  ist  ains  Oriel,  der  andern  beschwaig  ich  von  ergrung  we- 
gen. Darnach,  so  fragen  sie  das  chind,  umb  was  sie  wollen  und  mainen,  das 
chind  Süll  das  sehen  in  dem  nagel.  Das  ist  alles  ain  rechter  ungelaub  und 
du  Christenmensch  solt  dich  hütten  darvor."  —  Bodin,  de  daemonomania  ma- 
gorum  vom  ausgelassenen  wütigen  teufelsheer,  übersetzt  von  Fischart.  Strafs- 
burg 1651,  232:  Disz,  so  man  onvmantiam  nennet,  geschieht,  wan  man 
die  fingernägel  oder  chrystall  mit  sonderlichen  gewissen  conjeetionen,  oder 
zubereytungen  reibet  und  darauff  ctliciio  wort,  die  ich  zu  wissen  nicht  boger, 
richtet  und  folgend  eyn  jung  kind,  das  nie  corrumpirt  worden,  darein  sehen 
lässt,    dass    es   von   dem    so  es  gefraget  wird  besche\-d  geb.      S.   458  erzählt 


622 

Wir  besitzen  im  Gegenteil  Zeugnisse,  welche  jenen  Volks- 
glauben in  die  einheimische  heidnische  Vorzeit  hinaufrücken. 
Auf  den  Fasroeer  nennt  man  nämlich  die  weifsen  Flecke  auf 
den  Nägeln  Nörnaspör  (Nörnenspuren)  und  sagt„N6r- 
naspor  boSa  manns  eySnu/'     „Die  Nörnenspuren  ver- 
kündigen der  Menschen  Schicksale  vorher  ^)."    Wir  haben 
sogar  in  einem  Liede  der  poetischen  Edda  ein  Zeugnis  für 
den    erwähnten    Volksglauben.     Im   Sigrdrifumäl    nämlich 
werden  die  verschiedenen  Arten  der  Runen  aufgeführt: 
Älrunen  sollst  du  kennen, 
dass  des  andern  Frau 
dich  nicht  trüge^  wenn  du  traust. 
Auf  das  Hörn  ritze  man  sie 
und  den  Rücken  der  Hand 
und  merke  den  Nagel  mit  N.  ^). 
Die  Rune  N  lautet  im  nordischen  NauSr  (ags.  neäS  oder 
nyS,  goth.  nau|)s)  ^)  Not^  und  ist  unzweifelhaft  Symbol  der 
Nornen  *),  von  denen  es  im  Skäldskaparm.  heifst  ^)  „nor- 
nir  heita]?aer,  es  nauö  skapa,"  Völundarqu.  3  tritt  NauSr 


derselbe  Bodin  ein  Beispiel  solcher  Vorschaii.  „Zu  Tolose  ist  im  1553  jar 
ein  sehr  erfahrner  medicus  gewesen,  Ogier  Ferrier  genannt,  der  ein  sehr  wol 
erbauenes  und  wolgelegenes  haufs  bei  der  bursch  bestanden  und  dasselb  bei- 
nahe umb  nichts ,  dieweil  es  von  gespenst  und  ungeheuer  nicht  sicher  noch 
geheym  war.  Aber  er  belvümmert  sich  wenig  darum.  Als  nun  dieser  arzet 
solch  ding  hört,  die  ihm  gar  fremd  fürliämen,  auch  vermerclit,  dass  man  nit 
sicher  in  den  keller  gehen,  noch  bisweilen  unangefochten  schlafen  konnte,  da 
fühl  ihm  ein,  wie  damals  eyn  junger  Student  aus  Portugal  da  studirte,  der 
an  eyns  jungen  kinds  nageln  absehen  könnt,  was  in  eyn  haus  und 
ort  verborgen  were.  Den  beschickt  er,  der  braucht  sein  kunst.  Da  sagt  das 
töchterlein  als  es  gefragt  ward,  es  sehe  eyn  weib  ganz  herlich  und  reich- 
lich mit  gülden  ketten  geschmeyden  und  kleinoden  geschmückt,  M'elchs  bey 
einem  pfeiler  eine  kertz  in  der  band  hielte.  Der  Student  sagt  alsbald  zum 
doctor,  dass  er  bei  einem  pfeiler  im  keller  graben  liese ,  so  werd  er  eynen 
schätz  finden.  —  Hiemit  in  Verbindung  steht  der  aargauische  Glaube ,  ein 
Kind  könne  sich  im  linlien  Händchen  sehen,  so  lange  es  noch  in  keinen  Spie- 
gel geschaut  hat.     Rocholz,  Alemann.   Kinderlied   318,   776. 

1)  Antiquarisk  tidskr.    1849  —  51    305,   4. 

2 )  Sigdrifum  7 :  Ölrünar  skaltu  kunna,  ef  jjü  vill  aunars  kvaen  velit  ]jik 
i  trygg,  ef  jju  trüir;  ä  horni  skal  [aer  rista  ok  ä  handar  baki,  ok  merkja 
ä  nagli  N  auö- 

3)  S.  Kirchhoff,  Das  gothische  Runenalphabet  S.  25.  Zacher,  Das  go- 
thische  Alphabet  S.  15. 

4)  Vergl.  Liljencron,  Zur  Runenlehre  S.  23. 

5)  Cap.  75.   SnE.   Arnam.   I,  557. 


623 

sogar  persönlich  als  Schicksal  auf  „Nauör  um  skilgi. " 
NauSr  war  mithin  ein  Zeichen  des  Geschicks,  zunächst 
des  Todes.  Das  ags.  Runenlied  legt  Neäg  jedoch  auch 
heilsame  Schicksalswirkung  bei. 

Not  ist  in  der  Brust 

den  Menschenkindern, 

doch  gereicht  sie  zu  Hilfe 

und  zum  Heile  beides, 

wenn  sie  darauf 

hören  zuvor '). 
Einige  Strophen  weiterhin  sagt  Brynhildr  ausdrücklich,  dass 
auf  dem  Nagel  der  Norm  selbst  eine  Rune  stehe.    Es 
ist  von  Hugrunen   die  Rede,  welche  Oöinn  zuerst  aus- 
erdacht : 

Auf  dem  Schilde  stünden  sie  vor  dem  scheinenden  Gott 
Auf  Arvakrs  Ohr  und  Alsvigrs  Huf, 

Auf  dem  Rad,  das  da  rollt  unter  Rögnirs  (OSins)  Wagen, 
Auf  des  Rosses  Zähnen,  auf  des  Schlittens  Bändern, 

Auf  des  Bären  Tatze,  auf  des  Dichters  Zunge, 
Auf  den  Klauen  des  Wolfs,  auf  des  Adlers  Schnabel 
Und  blutigen  Schwingen,  auf  der  Brücke  Kopf, 
Auf  des  Lösenden  Hand,  auf  des  Lindernden  Ferse, 

Auf  Gold  und  Glas,   auf  der  Menschen  Heilmitteln 

(ominibus) 
In  Wein  und  Würze,  auf  der  Völe  Sitz, 
Auf  Speeres  Spitze  und  Rosses  Brust, 
Auf  dem  Nagel  der  Norn   (a  nornar  nagli),  und 

der  Nachteule  Schnabel  '^). 

Wie  bereits  Müllenhoflf  dargetan  hat  ^),  bezeichnen  die 

Hugrunen   „die   wesentliche   eigentümliche   Kraft,    die    den 

Dingen  einwohnt,  tugent  würde  man  mhd.  sagen,  was  im 


1)  W.  Grimm,  Deutsche  Runen  219.  227:  nyö  ^yö  nearu  on  breostum 
niöa  bearnum,  weoröeS  heo  swä  ]?eäh  to  helpe  oftost,  and  to  haele  gehwäöre, 
gif  hi  bis  hlystaö  cerör. 

2)  Sigrdrifum.  15.  16.  17.  Für  den  Dichter  und  das  Ross  sind  hier 
die  poetischen  Ausdrücke  Bragi,  Sleipnir  und  Grani  gebraucht. 

3)  Zur  Runenlehre  S.  47. 


Nordischen  hier  im  höheren  Styl  hugr  Geist,  oder  Seele 
der  Dinge  heilst."  Wer  diese  kennt,  sieht  kommende  Er- 
eignisse voraus  und  vermag  sie  zu  berechnen,  während  sie 
Uneingeweihten  verborgen  bleiben.  Nach  Tacitus  Bericht  •) 
entnahm  man  aus  dem  Wiehern -)  und  Schnauben  schnee- 
weifser  vom  Priester  umgeführter,  in  heiligen  Hainen  von 
Gemeindewegen  gehaltener  Rosse  weifsagende  und  mah- 
nende Zeichen.  Dass  solche  Rosse  auch  im  Norden  gehal- 
ten wurden,  wissen  wir,  wenngleich  keine  Stelle  über  ihre 
Anwendung  in  der  Mantik  berichtet  ^).  Daher  erklärt 
sich  die  Rune  auf  des  Rosses  Zähnen.  Die  weifse  Farbe 
lässt  vermuten,  dass  sie  dem  Sonnengott  geweiht  waren. 
Im  Norden  weideten  heilige  Rosse  beim  Tempel  des  Son- 
nengottes Freyr.  Vermute  ich  recht,  so  wurde  die  W^ei- 
fsagung  nicht  allein  aus  dem  Wiehern  der  Rosse  genom- 
men, sondern  auch  die  Gegend  wohin  sie  horchend  die 
Ohren  spitzten,  die  Art  ihres  Ganges*)  wurde  in  Be- 
tracht gezogen.  Hieraus  würde  sich  erklären,  warum  auf 
Arvakrs  und  Alsviörs,  der  beiden  himmlischen  Sonnenrosse 
Ohr  und  Huf°)  Runen   stehen.     Sie   sind   Vorbilder  der 


1)  Germ.   10. 

2)  Am  24sten  December  gehen  die  Mädchen  in  der  Lausitz  an  die  Türe 
des  Pferdestalles  und  horchen,  ob  eins  wiehert.  Geschieht  dies,  so  verhei- 
raten sie  sich  im  nächsten  Jahre.  Haupt  und  Schmaler,  Wendische  Volksl. 
II,  260.  Nach  der  Chemnitzer  Eockenphilosophie  Myth.'  LXXVI,  239  soll 
fleifsig  zuhören,  wer  Pferdegewieher  vernimmt,  denn  sie  deuten  gut  Glück  an. 
Vergl.  Myth.2    604. 

3)  Myth.2    022. 

4)  Aus  deutschen  Gegenden  ist  mir  nichts  Hierherdeutendes  bekannt. 
Unter  Slaven  aber  herscht  der  Glaube,  dass  sich  etwas  Ungewöhnliches  be- 
geben werde,  wenn  Jemand  ausreitet  und  das  Eoss  scharrt.  Schwenck, 
Slavische  Mythologie  S.  41.  In  den  slavischeu  Volksliedern  gilt  das  Stol- 
pern des  Eosses  für  ein  übles  Anzeichen.  Jahrbücher  f.  slav.  Liter.  1853 
1.  H.  S.  24.  Ueber  den  Gebrauch  heiliger  Eosse  zur  Wahrsagung  bei  den 
Slaven  vergl.  Hanus,  Zur  slavischen  Eunenfrage  1856  S.  41  (a.  Archiv  f.  k. 
östr.   Geschichtsqu.  B.  XVIII.) 

5)  J.  Grimm  erinnert  Mvth.^  621  an  einen  Zug  der  Tiersage.  Die  be- 
reits bei  Aesop  bekannte  (Eeinhard  Fuchs  CCLIII)  im  neugriechischan  Epos 
Paddooi'  Xi'y.oi-  y.a.1  dlovnov^  öii'jvrjaK;  woaict  wiederkehrende  (J.  Grimm, 
Sendschreiben  über  Eeinhard  Fuchs  7,  3)  Fabel  vom  Esel,  der  durch  den 
Wolf  sich  einen  Dorn  aus  dem  Fufs  ziehen  lässt  und  ihn  darauf  durch  einen 
Schlag  ins  Gesicht  betäubt,  wird  in  der  germanischen  Ueberliefenmg  auf  den 
Maulesel  oder    die   Stute    übertragen.      Ersterer   heifst    den  Wolf  unter   sei- 


625 

zur  Weifsasjuno;  gebrauchten  irdischen  Sonnenrosse.  Ein 
gewöhnliches  Zaubermittel  des  Nordens  die  Neidstange, 
welche  meistenteils  aus  einem  auf  einen  Stab  aufgerichte- 
ten Rosshaupt  bestand,  wurde  auch  in  der  Art  verfertigt, 
dass  man  eine  Stange,  die  ein  aus  Holz  geschnitztes  Men- 
schenhaupt trug,  in  die  Brust  eines  geschlachteten  Rosses 
steckte  ').  Erklärt  sich  daraus  die  Rune  auf  des  Rosses 
(Sleipnirs)  Brust?  Des  Wolfes  An  gang  ist  gut  s.  oben 
S.  561  ^).  Deshalb  ist  auf  seiner  Klaue  eine  Rune  geschrie- 
ben, ebenso  auf  dem  Schnabel  der  Eule,  da  deren  Ruf  Tod 
vorhersagt.  Der  Adler  ist  Symbol  des  Windes,  wenn  er 
die  Klauen  senkt,  entsteht  Sturm  ^).  In  Heubuden  bei 
Danzig  hielt  eine  alte  Frau  neben  andern  Zaubermitteln 
ein  buntes  Stück  Glas  in  Ehren.  Sie  nannte  es  Glücks- 
glas. Finden  wir  mithin,  dass  die  Hugrune  auf  denjenigen 
Gliedern  geschrieben  steht,  durch  welche  die  höhere  Natur, 
die  Zaubermacht  heiliger  Tiere  oder  Persönlichkeiten  sich  am 
meisten  kund  giebt,  so  wird  auch  die  Rune  auf  dem  Na- 
gel der  Nörn  vermuten  lassen,  dass  durch  den  Nagel 
die  Kraft  oder  das  eigentliche  Wesen  der  Schicksalsgöttin 
sich  am  lebendigsten  äufsert.  Es  ist  dies  in  der  Tat  der  Fall. 
Denn  man  stellte  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  in  älterer 
Zeit  die  Nörne  vor  als  selbst  in  die  Schlacht,  oder  an  das 
Bett  des  Menschen  herantretend  und  mit  grausamer  Hand 
ihr  Opfer  ergreifend.  Man  wird  nicht  verfehlt  haben,  ihr 
scharfe  Nägel,  furchtbare  Krallen  beizulegen,  wie  sie  den 
Gestalten  der  Unterwelt  zugeschrieben  zu  werden  pflegen*). 


nem  Huf  den  Namen  seines  Vaters  lesen  (Extravag.  423),  letztere  giebt  ihm 
darunter  das  Alter  ihres  Füllens  (Haltrich,  Tiersage  27,  XII)  oder  den  Preis, 
Tim  den  sie  dasselbe  verkaufen  will  (IJeinaert  und  Reinke)  zu  lesen.  Bei  den 
Slaven  in  der  Lausitz  (Haupt  und  Schmaler  II,  161)  lässt  die  Stute  wie- 
derum den  Wolf  einen  Dorn  aus  dem  Fufse  ziehn.  Gab  es  eine  deutsche 
Ueberlieferung,  wonach  Schrift  unter  dem  Huf  des  Rosses  zu  lesen  war  und 
ist  diese  in  die  fremde  Tierfabel  hineingetragen?  und  wenn  dem  so  war,  ist 
es  erlaubt,   diese  Schrift  mit  der  Rune  auf  Alsvißrs  Huf  7,usammenzuhalten? 

1)  Myth.'    625. 

2)  Vergl.  Myth.'^    1079  fgg. 

3)  Myth.2    600.      Vergl.   oben  S.  186. 

4)  In  Hesiods  scut.  Herc.  erscheinen  die  Keren    und  Moiren  mit  Kral- 
len V.   248-267: 

40 


626 

Es  lieo-t  auf  der  Hand,  wie  die  grausame  tötende  Schick- 
salso-öttin  mit  den  leichenbungrigen  mordlustigen  Riesinnen 
sich  berührt;  wir  sahen  bereits  oben  S.  198,  dass  eine  Rie- 
sin wie  die  todverküudende  Eule  heilst.  Unter  den  Na- 
men der  Trollvveiber  finde  ich  auch  HarSgreip  (bei  Saxo 
Harthgrepa)  die  Hartgreifende  und  Loöinfingra  (villosa 
dio"itis)  aufgeführt').  Die  schatzhütende  weifse  Frau  von 
hohem  Wuchs,  welche  auf  dem  Schlosse  zu  Thurmberg  mit 
dem  Schlüsselbunde  an  der  Seite  erscheint,  trägt  lange 
Fino-ernägeP).  Sie  wird  dadurch  als  getötet,  als  Seele 
oder  als  tötende  Göttin  =  Holda  s.  oben  S.  263  bezeich- 
net. Es  wird  hiernach  deutlich  sein,  weswegen  auf  dem 
Nao-el  der  tötenden  Schicksalsgöttin  eine  Rune 
steht;  und  weshalb  die  Rune  NauSr,  das  Zeichen  der  Nör- 
nen,  auf  den  Nagel  geritzt,  heilsame  Schicksalswendung 
hervorbringen  soll.    Der  Nagel,  ursprünglich  das  Symbol 


at  (5J  fiiT     avToi't; 
Krnf^  y.väi'taij   '/.ivy.ovq  a^ußmaai  odoviaq, 
Seu'o>-:iol  ßloavooi  t«   datpoivoi  r     unXrixol  ts 
8i]ot.v  ty_ov  niol  7H--xx6i'tuiv.     ■jiäaai'  8    äo     i'evro 
alticc  f^iilav   Tiiiiiiv'   ov   dl   tiomtov  (.K/xanouv 
y.itinrov  fj  -nlntovxa  vtovzutov,   aaq)l  ftfv  avXM 
ßn).}.'    ow/aq  f^t  iyäXovi;,  ipf/r;   d'  A'idoade   xaTilcv 
Taoraoov  iq  y.ov6ev&  ,   «t  dh  q^Qii'uq  ivx     auiaO-i'XO 
aiuaxoq  arJ^OjMtoi»,  x6%'  fxiv  q inxtxa y.ov  07i(aao>, 
ailJ  ö'    ouaäov  y.ccl  /xöjlov  i&vvfov  avitq  iovaat,. 
K).o)&(i}  y.ccl  Aa/jaCq  ffq.ir  i(pi(Txaaav'  ^  fth'  vqttjaifmv 
"jixooTtoq   ovTi  nü.iv   /iiycci.fi   O-foq,   aD.     rioa,  ijyt 
xöyv  ys   ufi'  nD.atuv  7iooq>fu}';q  x     t'jv  ri qkt ßvx  ax t]  rs. 
Tiäaaiy  d'  üuqt     hl  (puxl  /tta/rjv  doiftdctv  i&ivxo. 
deivd.  d^   iq  dilXijXnq  doaxov  ö//,a«crt  &VftrjVaacn. 
iv   &'    6vv/_aq  yiiQaq  ts   \)-na(Tfiaq  iawauixn. 
Ttceo   i3'  'AyJ.vq  ftcTTfjxfi  iniauvyf^rj  xa   y.ul  atit], 
^).WQy],   ävaxalirj,  ).ifio)   xaxaTZfnx7]vlft^ 
yovvoTia/7]:,  fiay.Qol  ä     ovvxfq  yiC otaffiv  iTtijaav. 
Vergl.  Hör.  epod.   5,   91  —  95: 

Quin,  ubi  perire  jussus  exspiravero, 

nocturnus  occurram  Furor, 

petamque  vultus  Umbra  curvis  unguibus 

(quae  vis  deorum  est  Manium) 

et  inquietis  assidens  praecordiis 

pavore  somnos  auferam. 

1)  Skäldskaparm.  k.  75. 

2)  Baader,  Badische  Volkssag.  S.  198,  No.  215,  Auch  die  seelenraubenden 
Nixe  haben  Krallen.  Sommer,  Sagen  No.  34  S.  38.  Nach  Sommer  a.  a.  0.  172 
sollen  auch  die  nordischen  Skogsrä  (vgl.  oben  S.  53)  Krallen  an  den  Fin- 
gern haben.    Riesen  mit  eisernen  Fingernägeln  s.  Rocholz,  Aargaus.  II,  223. 


627 

der  tötenden  Nor n,  war  ein  den  Nornen  überhaupt  ge- 
heiligtes Glied  geworden  ').  Wie  der  feroeische  Glaube  uns 
lehrt,  galten  die  weifsen  Punkte  auf  den  Nägeln  als 
Zeichen ,  welche  die  Nornen  selbst  auf  das  ihnen  heilige 
Glied  vorbedeutsam  gemerkt.  Wir  sahen,  dass  auch  in 
Deutschland  jene  Zeichen  schicksalverkündende  Kraft  hat- 
ten. Werden  sie  nicht  auch  hier  als  Zeichen  der  Schick- 
salsgöttinnen gegolten  haben?  Mit  Sicherheit  wird  erst 
weitere  Forschung  hierüber  urteilen  lassen.  Es  fragt  sich 
nämlich,  ob  die  Nägelflecke  nicht  etwa  von  uralter  vorger- 
manischer Zeit  her  als  Schicksalszeichen  galten,  die  nur 
im  Norden  zu  den  Nornen  in  Beziehung  gesetzt  wurden, 
bei  Südgermanen  aber  nicht.  In  Lausanne,  wo  burgun- 
dische  Uoberlieferung  nachwirkt,  sagt  man  ebenfalls,  „les 
taches  oder  des  points  blancs  apportent  du  bonheur;"  in 
Krakau:  „kwitnie  szczentcie  za  posnochcziem ,  das  Glück 
blüht  unter  den  Nägeln;"  in  Böhmen:  roste  nin  stesti  es 
wächst  ihm  Glück  ^);"  in  der  Lombardei:  „jeder  Nagel- 
flecken bedeutet  eine  Lüge  '^j."  Hier  überall  dürfte  ger- 
manischer Einfluss  angenommen  werden.  Aber  auch  die 
Südslaven  meinen,  soviel  Flecke  einer  auf  den  Nägeln  hat, 
soviel  Eier  hat  er  der  Grofsmutter  gestohlen  '^).  Eine  nicht 
unwichtige  Stütze  für  die  Deutschheit  der  Snperstition  und 
ihre  Beziehung  auf  die  Schicksalsgöttinnen  bietet  jedoch 
der  schwäbische  Glaube:  „Wenn  ein  Nagel  am  Finger  blüht, 
hat  man  Glück.  Andere  sagen,  soviel  weifse  Flecke 
man  habe,  soviel  Jahre  lebe  man  noch"^). 

Dass  die  Rune  der  Nörn  vom  Nagel  und  dem  Fin- 
ger schon  in  heidnischer  Zeit  auf  die  Hand  übertragen 
w^urde,  geht  aus  der  oben  S.  622  angeführten  Str.  7  des 
Sigrdrifumfil  hervor,  wonach  die  Älrune  auf  den  Rücken 
der  Hand  (ä  handar  baki)    geritzt   werden   soll.     Hiemit 


1)  Vergleiche    Wodans    geheiligtes    Glied,    die    Woedenspanne,    Woenlct. 
Myth.'-*  145. 

2)  Mitteilung  von  Prof.  Hanns   in  Prag. 

3)  Mitteilung  des  Dr.   Bossi  aus  Mailand. 

4)  Mitteilung  des  Kaplan  Matkovi(5  aus  Agraiii. 

5)  Meier,   Schwab.   Sagen   503,   361. 

40* 


628 

häno-en  nun  unzweifelhaft  die  Döduingsknib  sowie  die  an- 
deren  oben  angemerkten  schicksalverkündenden  Flecke  zu- 
sammen, da  diese,  wie  deutlich  verfolgt  werden  kann,  von 
der  Hand  aus  auf  den  übrigen  Körper  übertragen  sind. 
Der  heutige  Aberglaube  unter  Dänen  schreibt  sie  gespen- 
stischen Wesen,  den  Doedningern  zu,  „diese  sollen  sich  (wie 
Oldenburg  „om  gjenfaerd'-  berichtet)  auf  Kirchhöfen  auf- 
halten, die  Leute  erschrecken  und  nach  ihnen  greifen. 
Sie  verursachen  damit  teils  das  innere  Leiden,  welches 
Grep  genannt  wird,  teils  die  blauen  oder  gelben  Flecke, 
welche  sich  auf  den  Händen  befinden,  und  doedninge-plet- 
ter  heifsen."  Sei  es  nun,  dass  jene  Geister  eine  Abschwä- 
chung  der  älteren  Nomen  sind,  sei  es,  dass  anderen  Un- 
terweltswesen, Nachtgeistern  ')  dieselbe  Verrichtung  zuge- 
schrieben wird,  wie  den  Schicksalsgöttinen,  immerhin  be- 
zeuo-t  unsere  Stelle  in  Verbindung  mit  dem  deutschen  Glau- 
ben oben  S.  618  Anm.  1,  dass  man  persönliche  mythische 
Gestalten,  tötende  Schicksalswesen  als  Ursache  derselben 
dachte. 

Mit  der  nachgewiesenen  Heiligkeit  des  Nagels  im 
Dienste  der  Schicksalsgöttinnen  hängt  mannigfacher  an- 
derer Aberglaube  zusammen.  Auf  Island  sagt  man  „Naer- 
skornar  nöglur  foer  mörgum  öfeigum  i  hei  komiö;  auf  den 
Fseroeer  Kväldskorin  naglur  verSur  ofta  öfeigum  manni  at 
bana"  (am  Abend  geschorene  Nägel  werden  oft  eines  ge- 
sunden Mannes  Tod-);  in  Deutschland;  „es  seind  auch 
viele  abero-läubische  Kranke,  welche  sich  nicht  getrauen  die 
Näo-el  abzuschneiden,  wie  sie  ich  weifs  nicht  was  für  eine 
Gefahr  dadurch  sich  zuziehen  sollen '').  Ebendahin  zielt 
auch  der  rheinische  Glaube,  mit  den  Nägeln  etwas  Geseg- 
netes berühren  sei  Todsünde.  Da  die  Nomen  mit  Freyja- 
Fria  —  wie  wir  sehen  werden  —  in  enger  Verbindung  stehn, 


1)  Zum  Teil  den  Toten  selbst.  S.  Myth.i  CXLVIII,  LV  den  Segen 
gegen  den  Grep  (GrifF):  Jeg  gjör  at  dette  menneske  for  berggrep,  for  söegrep, 
for  dödmansgrep,  for  alle  de  grep,  som  falde  imellem  himmel  ochjord. 

2)  Antiquarisk  tidskr.    1849  —  51. 

3)  Eines  Weimarschen  Medici  muthmafsliche  Gedanken  von  denen  Vam- 
p^Ten.     Leipzig  1732   S.  69. 


629 

erklärt  sich  daraus  vielleicht  der  Glaube,  dass  man  Frei- 
tags die  Nägel  schneiden  müsse  '). 

Mit  dem  Abschneiden  der  Nägel  war  von  alters  her 
mannigfache  Superstition  verbunden.  Schon  Hesiod  lehrt 
(op.  et.  d.  742): 

ftijö'  ccTid  Trevrö'Qoio  ■d'eMV  h'l  öuiri  t9a?.eüj 
ccvov  änd  y'AojQov  ra^ivsiv  äi&wvi  ütö/jOG). 

Plin.  bist,  natur.  XXVIII,  c.  s.  sect.  5:  Unguis  rese- 
cari  nundinis  Romanis  a  digito  indice  raultorum  pecuniae 
religiosum  est,  capiUum  vero  contra  difluvia  ac  dolores  ca- 
pitis XVII  luna  atque  XXIX  ^).  Petron  satyr.  cap.  104: 
Audio  enim  non  licere  cuiquam  mortalium  in  nave  neque 
ungues,  neque  capillos  deponere  nisi  quum  pelago  ventus 
irascitur.  Merkwürdig  ist  die  mehrfach  vorkommende  Sitte, 
die  abgeschnittenen  Nägel  aufzubewahren.  Zarathushtra 
gebot,  die  abgeschnittenen  Nägel  und  Haare  in  einem  Loch 
unterhalb  des  Hauses,  so  grofs  wie  des  Fingers  unterstes 
Glied,  10  Schritte  fort  von  reinen  Männern,  10  vom  Feuer, 
30  vom  Wasser  zu  vergraben  und  dem  Ahuna-vairya  oder 
Vogel  Ashözusta  zu  weihen  als  Schwert,  Bogen,  raschflie- 
gende Pfeile  und  Schleudern  gegen  die  Daevas.  Unterbleibt 
dies,  so  fällt  man  den  bösen  Geistern  selbst  anheim '').  In 
einem  ostpreufsischen  Heidengrabe  am  Fufs  des  Aplenker 
Schlossberges  fand  Gisevius  einen  5  Ellen  langen  Gürtel, 
mit  einer  viereckigen  Kapsel  am  Hakenende  versehen,  die 
an  einer  kurzen  Kette  hing.  Die  Kapsel  war  vernietet; 
man  öffnete  sie  und  fand  Menschennägel,  wie  es  schien  iu 
Spinngewebe  eingewickelt.    Offenbar  ein  Amulet.    Ein  ähn- 


1)  Myth.'  CXIV,  138.  Dänemark  —  Wer  Freitags  die  Nägel  schneidet 
hat  Geld.  Panzer,  Beitrag  I,  157,  4.  On  ne  doit  pas  se  couper  les  ongles 
un  des  jours  de  la  semaine  ou  il  taut  une  K  pour  ecrire  le  nom  de  ce  jour. 
De  Nore,  Mythcs  coutumes  etc.  p.  99).  (Montagne  noire).  Man  würde  sich 
dadurch  Nagelwurzeln  zuziehen,  Wolf,  Beitr.  I,  251,  623.  In  England  ver- 
bietet man  die  Nägel  am  Christfest  zu  schneiden  Wolf,  Beitr.  I,  246,  530. 
Die  Nägel  am  Freitag  abschneiden  liilft  vor  Zahnweh.  Tettau  und  Temme, 
Preufs.  Sagen  283.  Es  bringt  Glück.  Wolf,  Beitr.  I,  238,  455.  Dagegen  soll 
mau  die  Nägel  nie  Sonntags  schneiden,  sonst  hat  man  die  Woche  hindurch 
Unglück.  Wolf,  Beiträge  I.  217,  179.  Mündl.  Wulkow  bei  Ncuruppin  d. 
Kantor  Amthor. 

2)  Spiegel  Avesta,  Fargard  XVII,  S.  225. 

3)  Atque  digito  indice  moveri  pecuniam  religiosum  est.     Gronov. 


630 

lieber  Gürtel  mit  der  Kapsel  ist  bei  Tilsit  gefunden  wor- 
den ').  Hiermit  stimmt  nabe  der  Braucb  alter  Weiber  bei 
Danzig  überein,  die  abgeschnittenen  Nägel  sorgfältig  in 
einem  Säcklein  verwahrt  unter  die  Schwelle  zu  legen.  Das 
bringt  dem  Hause  Glück.  Beschneidet  man  (in  Oldenburg) 
Nägel  an  Händen  und  Füfsen  und  tut  sie  sammt  den  Haa- 
ren in  ein  Tuch,  das  man  3  Tage  vor  dem  Neumond  in 
das  Loch  eines  Hollunderbaums  steckt,  und  darin  mit  einem 
Pflock  verkeilt,  so  wird  man  der  Unfruchtbarkeit  ledig  ^). 
Auch  gegen  die  Epilepsie  hilft  es,  Nägel  von  Händen  und 
Füfsen  in  einen  Eichbaum  zu  verkeilen  ^).  Gegen  das  Fie- 
ber soll  gut  sein,  dem  Patienten  an  Händen  und  Füfsen 
die  Nägel  abzuschneiden,  in  ein  Tuch  zu  legen  und  einem 
lebendigen  Bachkrebs  auf  den  Rücken  zu  binden,  der  wie- 
der ins  Wasser  geworfen  wird  ■•).  Die  Aerzte  des  gemei- 
nen Volks  unter  den  Russen  beschneiden  den  Kranken 
dann  und  wann  die  Nägel  an  Händen  und  Füfsen,  nehmen 
ein  Ei,  machen  mit  Geschick  einen  Riss,  tun  die  Nägel 
hinein  und  verkleben  die  Oeffnung,  worauf  sie  das  Ei  in 
den  Wald  legen,  damit  ein  Vogel  es  wegtrage  und  die 
Krankheit  dazu^). 

Unter  den  Kassuben  zu  Ruzau  bei  Putzig  lehren  die 
alten  Frauen  noch  heute,  man  müsse  sorgfältig  die  Nägel 
abschneiden  und  in  einem  Säckchen  auf  der  Brust  tragen, 
sonst  habe  man  sie  nach  dem  Tode  wieder  zu  su- 
chen. Dieser  slavische  Glaube  erinnert  an  das  Gebot  der 
Eddenlehre,  dem  Toten  ja  die  Nägel  zu  schneiden,  um  den 


1)  Gisevius,  Neue  preufs.  Provincialbl.  VI.   1848   S.  334.   Anm.  3. 

2)  Most,  Die  sympathetischen  Mittel  und  Kurniethoden,  gesammelt  und 
zum  Teil  selbst  geprüft,  historisch  kritisch  beleuchtet  und  naturwissenschaft- 
lich gedeutet,  Rostocic  1842   S.  63. 

3)  Most  a.  a.  0.   62. 

4)  Enthüllte   Geheimnisse  der  S^inpathie.      Schwäbisch  Hall  s.  a.  S.  15. 

5)  Ermann,  Archiv  f.  wissenschaftl.  Kunde  Russlands  I.  1841  S.  627. 
Sogar  bei  den  Peruanern  wurden  dem  Kind,  wenn  es  in  der  Zeit  vom  lOten 
bis  12ten  Jahre  einen  neuen  Namen  erhielt,  die  Haare  und  Nägel  abgeschnit- 
ten und  aufbewahrt ;  oder  der  Sonne ,  mitunter  den  Schutzgeistem  geopfert. 
Müller,  American.  Urreligion  S.  389  nach  Cieza,  Cronica,  del  Peru.  Sevilla 
cap.  66. 


631 

Bau  des  aus  den  Nägeln  der  Gestorbenen  zusammengesetz- 
ten Totenschiffes  Naglfari  zu  verhindern,  und  das  damit  in 
Verbindung  stehende  Hereinbrechen  des  Weltuntergangs 
in  die  Länge  zu  schieben  ^).  Die  sinnreiche  Deutung,  wel- 
che Simrock  davon  gab^),  dürfte  sich  dahin  modificieren, 
dass  die  symbolische  Bedeutung  der  Nägel  im 
Mythus  der  tötenden  Schicksalsgöttinnen  min- 
destens mitgewirkt,  das  letzte  Verhängnis  über 
die  Welt  durch  ein  aus  Nägeln  erbautes  Schiff 
herbeiführen  zu  lassen. 

Wie  wir  demnach  die  südgermanischen  Schicksalsgöt- 
tinnen als  eigenhändig  tötende  Wesen  nachweisen  können, 
lehren  uns  ältere  Zeugnisse  dieselben  auch  als  Vorsteherin- 
nen der  Geburten  kennen. 

Nicht  mit  Sicherheit  auf  o-ermanischen  Glauben  zu  be- 
ziehen  ist,  was  der  h.  Eligius  (Bischof  von  Vermanton, 
■\-  um  681)  in  seinem  „Sermo  ad  omnem  plebem  de  recti- 
tudine  catholicae  conversationis"  verbietet:  Nullus  sibi  pro- 
ponat  fatum  vel  fortunam  aut  genesin,  quod  vulgo  na- 
scentia  dicitur  ut  dicat  „qualem  nascentia  attulit, 
taliter  erit"^).  Hiermit  aber  stimmt  ein  augenscheinlich 
deutscher  Ueberlieferung  entnommenes  Zeugnis  bei  Burk- 
hard von  Worms  überein:  ed.  Colon.  1548  p.  198c.  Cre- 
didisti,  quod  quidam  credere  solent,  ut  illae  quae  a  vulgo 
Parcae  vocantur,  ipsae  vel  sint  vel  possint  hoc  facere 
quod  creduntur  id  est  dum  aliquis  homo  nascitur  et 
tunc  valeant  illum  designare  ad  hoc  quod  velint,  ut  quan- 
docunque  homo  ille  voluerit  in  lupum  transformari  possit, 
quod  vulgaris  stultitia  werwolf  vocat,  aut  in  aliam  ali- 
quam  figuram  p.  198d.  fecisti  ut  quaedam  mulieres  in 
quibusdam  temporibus  anni  facere  solent,  ut  in  domo  tua 
niensam   praeparares   et  tuos   cibos   et  potura   cum 


1)  Nach  Thom.  Bartholin,  histor.  anatom.  rar.  cent.  III.  hist.  78  ver- 
fertigen die  Engel  ihre  Posaunen  aus  den  mit  ins  Grab  gcuommeneu  Nägeln 
der  Toten. 

2)  Ilandb.   d.  D.  ]Mvth.   149  fgg. 

3)  Mytb.'    XXX. 


632 

tribus  cultellis  supra  mensam  poneres,  ut  si  venissent 
tres  illae  sorores,  quas  antiqua  posteritas  et  antiqua  stul- 
titiaParcas  nominavit,  ibi  reficerentur  et  tulisti  divi- 
nae  pietati  potestatem  suam  et  noraen  suum  et  diabolo  tra- 
didisti,  ita  dico,  ut  crederes  illas  quas  tu  dicis  esse  sorores 
tibi  posse  aut  hie  aut  in  futuro  prodesse. 

Wir  entnehmen  aus  diesen  Stellen  zunächst  die  Ge- 
wissheit, dass  die  deutschen  Schicksalsgöttinnen  bei 
der  Geburt  der  Kinder  zugegen  waren  und  bestimmend 
auf  das  zukünftige  Leben  derselben  einwirkten.  Ihnen 
stellte  man  auf  einem  besonderen  Tische  Speisen  hin. 
Diese  Nachricht  stimmt  einerseits  mit  der  nordischen  Nör- 
nengrütze  (nörnagreytur)  s.  oben  S.  588,  anderseits  mit 
den  goldenen  Tellern,  welche  im  Märchen  von  Dorn- 
röschen s.  oben  S.  611  den  weisen  Frauen  vorgesetzt  wer- 
den. Die  Stelle  bei  Burkhard  erweist,  dass  wir  mit  Recht 
in  den  weisen  Frauen  des  Märchens  die  Schicksalsgöttin- 
nen erkannten.  Dass  wir  dort  die  Spindel  ebenfalls  rich- 
tig als  Schicksalsnagel  auffassten,  geht  aus  einem  italiäni- 
schen  Märchen  im  Pentamerone  hervor.  Eine  edele  Jung- 
frau Cilla  springt  über  ein  Rosenblatt  und  wird  davon  in 
3  Tagen  schwanger.  Sie  flieht  zu  befreundeten  Feen  und 
kommt  heimlich  mit  einem  hübschen  Töchterchen  nieder. 
Jede  der  Feen  verleiht  dem  Mägdelein  —  das  Lisa  ge- 
nannt wird  —  einen  Zaubersegen;  die  letzte  von  ihnen  je- 
doch, welche  rasch  herbeieilen  wollte  um  das  Kind  zu  se- 
hen, verrenkte  sich  unglücklicherweise  den  Fufs  und  stiefs 
aus  Schmerz  darüber  die  Verwünschung  aus,  dass  wenn 
Lisa  einst  im  Alter  von  ?  Jahren  von  der  Mutter  ge- 
kämmt würde,  diese  ihr  aus  Vergesslichkeit  den  Kamm 
im  Haar  stecken  lassen  und  Lisa  dadurch  sterben  sollte. 
Lisa  stirbt  auf  diese  Weise,  die  Mutter  schliefst  ihren 
Leichnam  in  7  Krystallsärge.  Nach  Jahren  wird  Lisa 
durch  ihre  eifersüchtige  Muhme  aus  den  Särgen  herausge- 
rissen, der  Kamm  springt  heraus  und  sie  erwacht ').    Hier 


1)  Pentamerone  übers,  von  Liebrecht  I,   S.  218   Die  Küchenmagd. 


633 

entspricht  der  Kamm  genau  dem  Werkzeug,  durch  wel- 
ches Snewittken  getötet  wird.  Wir  erkannten  darin  eine 
andere  Gestalt  des  Schicksalsnagels.  Der  Tod  durch  ihn 
wird  der  Lisa  wie  Dornröschen  schon  bei  der  Geburt  durch 
eine  böse  Schicksalsmacht  zuerkannt. 

Was  Burkhard  bezüglich  der  Verwandlung  in  den 
Werwolf  sa2;t,  findet  Analo2;ien  in  norddeutschen  Sa<2;en. 
In  Pommerellen  erzählt  man,  dass  durch  einen  während 
der  Taufe  gemurmelten  Spruch,  Kinder  dazu  verwünscht 
werden  können,  Maren  zu  sein.  Dieses  Unheil  kann  nur 
durch  eine  zweite  Taufe  abgenommen  werden  ^).  Eine 
Wirtstochter  war  zur  Verwunderunsj  ihrer  Ano;ehörio;en  an 
jedem  Morgen  todmüde.  Ein  alter  Bettler,  der  einst  im 
Krug  übernachtete,  hörte  wie  sie  in  der  Nacht  sich  bitter 
beklagte  ausfliegen  und  Menschen  und  Tiere  drücken  zu 
müssen.  Da  riet  er  dem  Vater,  sie  noch  einmal  taufen  zu 
lassen.  Als  dies  geschehen  war,  wurde  das  Mädchen  ge- 
sund. Von  einem  Deutschen  in  ganz  kassubischer  Gegend 
(in  Grofsendorf  am  Fufse  der  Halbinsel  Heia)  hörte  ich  die 
folgende  Sage,  Eine  grofse  Gesellschaft  fuhr  zur  Kirche, 
um  ein  Kind  taufen  zu  lassen.     Im  letzten  Wagen   safsen 


1)  Der  gleiche  Glaube  hat  auf  der  Insel  Rügen  statt,  s.  Zs.  f.  D.  Myth. 
II,  139.  Auch  Kuhn,  Nordd.  Sagen  91,  102  bringt  bei,  dass  die  Märte  ein 
von  den  Paten  verwünschter  Mensch  ist.  Die  vollständige  Uebereinstimmung 
dieses  Glaubens  mit  dem  von  Burkhard  von  Worms  erwähnten  geht  aus  fol- 
gender Parallele  deutlich  hervor.  In  Ostfriesland  sagt  man,  von  7  Mädchen 
aus  einer  Ehe  unmittelbar  aufeinander  geboren,  ist  eins  ein  Werwolf.  Myth.' 
CLIX,  1121.  In  Moorhausmoor:  Wenn  7  Knaben  oder  7  Mädchen  in  einer 
Familie  sind,  so  ist  eins  davon  ein  Nachtmahr,  weifs  aber  nichts  davon. 
Kuhn,  Nordd.  Sagen  420,  198.  Höchst  merkwürdig  ist  der  Myth.»  CXVI, 
167  beigebrachte  dänische  Aberglaube,  wonach  eine  Braut  vermittelst  eines 
gewissen  Zaubers  sieh  eine  schmerzlose  Geburt  verschaffen  kann,  aber  alle 
ihre  Söhne  werden  Werwölfe,  alle  Töchter  Mären  ,,naar  en  pige  ved  mid- 
nat  udspänder  mellem  fire  kjeppe  den  binde,  i  hvilken  föllet  er,  naar 
det  nastes,  og  derpaa  nögen  kryber  derigjennem  da  vil  hun  kanne  föde  bjöm 
uden  smerte,  men  alle  de  drenge  hun  undfanger,  blive  värulve  og  alle  de 
piger  blive  marer.  Vergl.  Westerdabi,  Om  svenska  seder  p.  28:  Oni  bruden 
kryper  genom  en  sela,  fär  hou  barn  utan  möda,  hvilka  dock  skola  blifva 
muror.  —  Myth.^  1050  ist  aus  Thiele,  Danske  folkesagn  I,  133  beigebracht, 
dass  der  Werwolf  bei  Tage  in  Menschengestalt  erscheine,  aber  an  den  über 
der  Nase  zusammengewachsenen  Augenbraunen  zu  erkennen  sei. 
Gerade  daran  erkennt  man  auch  die  Maren,  s.  z.  B.  Kuhn,  Nordd.  Sagen 
721,  193.  Grimm,  D.  Sagen  No.  80.  —  Vergl.  noch  Wierus  de  präcstigiis 
daemonum   174.    MüUenhoff,  Sag.  No.  322  S.  242.    Wolf.  Beitr.  II.  264.  65. 


634 

drei  alte  Weiber.  Sie  berieten  unter  einander,  was  sie 
dem  Kinde  anwünschen  sollten.  Die  eine  sprach,  es  soll 
eine  Mahrt  werden  und  die  Baumspitzen  drücken.  Die 
zweite  stimmte  ein,  meinte  aber,  es  solle  den  Dornstrauch 
drücken.  Die  dritte  aber  sagte  „nein,  Wasser  und  Eis 
sollte  es  billig  martern  (d.  h.  mährten)."  Diese  Reden 
hörte  ein  Mann,  der  hinter  einem  Baume  stand,  der  lief 
zum  Vater  des  Kindes  und  sagte  es  ihm.  Die  drei  Ge- 
vatterinnen wurden  eiligst  vom  Taufzuge  ausgeschlossen 
und  so  das  Kind  gerettet.  • —  Ob  hier,  wie  Wolf)  an- 
nimmt, die  Schicksalsgüttinnen  einst  an  Stelle  der  drei  al- 
ten Weiber  standen,  wird  sich  schwerlich  erweisen  lassen. 
Die  Gegenwart  der  Schicksalsgöttinnen  bei  der  Taufe  dürfte 
übrigens  durch  folgenden  Aberglauben  bezeugt  werden. 
AVenn  ein  Kind  hundert  Jahre  alt  werden  soll,  muss  man 
aus  drei  Kirchspielen  Gevatter  dazu  bitten  -).  Hiezu  halte 
man  noch,  wer  zu  Gevatter  stehen  soll  und  sich  schon  zur 
Kirche  angezogen  hat,  darf  nicht  sein  Wasser  abschlagen, 
sonst  wird  das  Kind  unreinlich  ^).  Wenn  die  Paten  wäh- 
rend der  Taufhandlung  an  die  Mondsucht  oder  ein  ähnli- 
ches üebel  denken,  stöfst  dies  späterhin  dem  Patchen  zu  *). 
Wenn  das  Kind  zur  Taufe  getragen  wird,  soll  die  Mutter 
währenddess  zehnerlei  Arbeit  tun,  dann  wird  das  Kind  recht 
fleifsig  und  lernt  viel.  Während  der  Tanfe  darf  man  das 
Kind  nicht  schütteln,  sonst  reifst  es  nachher  viel  Kleider 
entzwei^).  Im  Emmental  (Kanton  Bern)  heifst  es:  wenn 
man  dem  Täufling  vor  dem  Gange  zur  Kirche  ein  Stück- 
chen Käse  und  Brod  einbindet,  so  leidet  er  in  seinem 
Leben  keinen  Mangel.  Im  Emmental  und  Oberaargau: 
wird  auf  dem  Wege  zur  Kirche  oder  zurück  mit  dem  Täuf- 
lins:  rreruht,  so  wird  er  immer  einen  beschwerlichen  Kirch- 


1)  Beiträge  II,   200. 

2)  Rockenphilos.  I,  29. 

3)  Rockenphilos.  I,   58. 

4)  Tettau  und  Temme,  Preufs.  Sagen  279. 

5)  Kuhn,  Xordd.   Sagen  432,   271. 


635 

gang  haben')  oder  er  bekommt  einen  schweren  Tritt ^). 
Wenn  die  Gote  das  Kind  aufnimmt,  um  es  zur  Taufe  zu 
tragen,  muss  sie  es  küssen.  Dann  bekommt  es  Grübchen 
beim  Lachen^).  Legt  man  in  des  Kindes  erstes  Bad 
drei  Pfennige,  so  hat  es  immer  Geld;  eine  Schreibfeder, 
so  lernt  es  leicht;  einen  Rosenkranz,  so  wird  es  fromm; 
ein  Ei,  so  bekommt  es  eine  klare  Stimme  ■*).  In  der  Mark 
wird  das  neugeborne  Kind  in  ein  Laken  gebunden,  still- 
schweigend unter  den  Tisch  gelegt  und  erst  hervorge- 
nommen, wenn  die  Mutter  ins  Bett  gebracht  ist,  sonst  ist 
das  Kind  nicht  ruhis;.  Vor  dem  darauf  folgenden  ersten 
Bade  wird  der  Knabe  auf  ein  Pferd  gesetzt,  das  zu  dem 
Ende  in  die  Stube  gebracht  wird,  das  Mädchen  muss  but- 
tern. "Während  des  Badens  wirft  der  Vater  häufig  ei- 
nen Gulden  in  die  Wanne,  damit  das  Kind  reich  werde  *). 
Wird  beim  Kochen  des  ersten  Breis  oder  der  Tauf- 
mahlzeit gesungen,  so  lernt  das  Kind  gut  singen"). 

Aus  den  beigebrachten  Zeugnissen  geht  hervor,  dass 
man  Wünschen  und  Vorbedeutungen  während  der  Taufe 
Erfüllung  im  künftigen  Leben  des  Kindes  verhiefs.  Da 
an  Stelle  der  Taufe  auch  das  erste  Bad  des  Kindes  tritt, 
steht  zu  vermuten,  dass  diese  Superstitionen  ursprünglich 
von  der  heidnischen  Wasserbesprengung  galten ").     Obige 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV.  2,  23.   3,   25. 

2)  Kocholz,  Alemannisches  Kinderlied  295,   661. 

3)  Rocholz  a.  a.  0.   295,   657. 

4)  Aus  dem  Lande   ob   der  Eus.     Myth.'    XCVII,   735. 

5)  Kuhn,  Mark.  Sagen  364. 

6)  Canton  Bern  (Oberaargau,  Eniniental),  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV.  2, 
18.  Vergl.  noch  Wolf,  Beiträge  I,  206,  3.  4.  14.  207,  22.  24.  Kuhn, 
Mark.   Sagen  364  fgg. 

7)  Darf  für  das  Dasein  der  heidnischnn  Wasserbegiefsung  in  Deutsch- 
land die  folgende  Stelle  aus  einem  Briefe  Gregors  an  Bonifaz  a.  732  nam- 
haft gemacht  werden:  Quos  a  paganis  baptizatos  esse  assreuisti,  si  ita 
habetur  ut  denuo  baptizes  in  nomine  sanctae  trinitatis  mandamus. 
(?)  Ep.  Bonifac.  ed.  Giles  ep.  XXV.  p.  68.  Teber  diese  Frage  bei  anderer 
Gelegenheit  etwas  Ausführlicheres.  Man  vergl.  übrigens  zu  S.  313  noch:  Um 
demütig  zu  werden  wird  ein  neugcbornes  Mädchen  unter  den  Tisch  ge- 
legt und  in  die  Tatschen  werden  ihm  Brod  und  Käse  eingewickelt,  damit  es 
nie  Mangel  leide  ,,bi  bube  isch  das  öppe  nit  sollt  nötig."    Jer.  Gotthelf,  W^ie 


636 

Stelle  aus  Burkhards  Decretensammlung  macht  mehr  als 
wahrscheinlich,  dass  die  gute  oder  böse  Schicksalseinwir- 
kung während  der  Taufe  ursprünglich  von  den  Kornea  aus- 
gehend gedacht  wurde.  Untersuchen  wir  nun  Avelcher  Art 
dieselbe  war,  so  bezog  sie  sich,  wie  im  Norden  s.  oben 
S.  588  einerseits  auf  gewisse  Eigenschaften,  andererseits 
finden  wir  weiteren  Halt  für  das  was  wir  oben  S.  311  fgg. 
zu  erkennen  glaubten,  dass  nämlich  mit  der  Wasserbegie- 
isung  erst  die  Körperlichkeit  des  jungen  Menschen  als  ge- 
festigt betrachtet  wurde.  Nichts  anderes  scheint  nämlich 
die  Analyse  des  Zuges  zu  ergeben,  dass  die  Schicksalsgöt- 
tinnen bestimmen,  ob  das  Kind  Werwolf,  Mär  u.  s.  w. 
werden,  d.  h.  seelische  Natur  behalten,  oder  zu  wirklicher 
Menschheit  gedeihen  soll.  Ich  führe  noch  die  folgenden 
Züge  an.  Wenn  während  der  Taufe  die  Uhr  schlägt, 
stirbt  das  Kind;  wenn  die  Uhr  vor  der  Taufe  schlägt  und 
das  Kind  stirbt,  wird  es  ein  Lichtmann').  Wenn  ein 
Kind  zwei  Freitage  ohne  Taufe  lieo-t,  wird  es  geister- 
sichtig  (kann  schichtern)-).  Man  muss  das  Kind  tief 
überdeckt  zur  Kirche  tragen,  sonst  fressen  es  Sonne 
und  Luft  3). 

Dass  die  deutschen  Schicksalsgöttinnen  aber  auch  des 
Lebens  Anfang  selbst,  das  Eintreten  der  Seele  in  mensch- 
lichen Körper  bestimmten,  lässt  sich  mit  grofser  Wahr- 
scheinlichkeit aus  der  Formel  sächs.  aldarlagu,  aldar- 
gilagu,  dies  vitae,  vita  Helj.  118,  23.  125,  15  ags.  aldor- 


Anne  Bäbi  Jowäger  haushaltet.  Solothurn  1843  II,  137.  —  Evangiles  des 
quenouUles  V,  87:  (daraus  aufgenommen  in  der  alten  Weiber  Philosophey. 
Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  316,  83.  84.  Eockenphilosophie  Xo.  132—133): 
Quant  un  enfant  est  nouveau  ne,  se  c'est  un  filz,  il  le  convient  porter  au 
pere,  et  lui  bouter  des  pieds  contre  la  poitrine  et  pour  certain, 
jamais  ne  fera  l'enfant  male  fin.  Glose :  Fremine  Fauvelle  dist  k  ee  poins 
que ,  quant  une  femme  est  acouchie  d'une  fiUe ,  il  conviens  l'asseoir  sur  la 
poitrine  de  la  mere,  en  disant:  Dieu  te  face  preude  femme  et  jamais  eile 
n'aura  honte  de  son  corps. 

1)  Das  Buch  vom  Aberglauben.     Leipzig  Scbwickert  1790   S.  261. 

2)  Woeste,  Volksüberlieferuugen  56,   20. 

3)  Kocholz,  Alemannisches  Kinderlied  295,   662. 


_637_ 

lege  fatum  schliefsen.   Diese  Formel  stimmt  genau  mit  dem 
altnord.  aldr  um  sköpu.     Völuspä  20,  s.  oben  S.  587  *). 

Für  das  Auftreten  der  Schicksalsgöttinnen  bei  der 
Heirat  sparen  wir  uns  ein  schlagendes  Beispiel  auf.  Hier 
sei  erwähnt,  dass  in  Warthe  bei  Templin  um  Mitternacht 
des  ersten  Hochzeittages  drei  als  Frauen  verkleidete 
Männer  mit  geschwärztem  Gesicht  erscheinen,  „de  masch- 
kers"  genannt.  Die  Braut  musste  mit  ihnen  tanzen.  Auch 
in  Golze  bei  Neustadt- Eberswalde  treten  gewöhnlich  am 
zweiten  Hochzeittage  solche  verkleidete  Männer,  doch  nicht 
in  bestimmter  Anzahl  auf-).  In  der  ehemaligen  Grafschaft 
Ruppin  heifsen  diese  Gestalten  „Feien".  Sie  erscheinen, 
während  der  Hochzeitzug  sich  nach  der  Kirche  bewegt 
und  suchen  durch  allerhand  Possen  den  feierlichen  Zug  zu 
stören  und  seinen  Ernst  in  Lachen  zu  wandeln  ^).  Bereits 
Kuhn  **)  und  Weinhold  *)  haben  die  Vermutung  ausgespro- 
chen, dass  diese  Feien  die  Schicksalsgöttinuen  darstellen 
sollten,  welche  das  Geschick  der  Ehe  bestimmend,  weihend 
erschienen. 

D.     Die  Schicksalsgöttinuen  als  Wasserfrauen. 

Wie  die  nordischen  Nornen  muss  auch  den  südgerma- 
nischen Göttinnen  Drehen  des  Schicksalsseils  zugeschrieben 
gewesen  sein.  Auf  die  Befestigung  des  Fadens  lässt  die 
Formel  zurückschliefsen:  „So  man  mir  at  burc  senigeru  ba- 
nun  ni  gifasta.  Hildebrandsl.  Wackern.  LB.  66,  13. 
Dass  das  Gespinst  dieser  Göttinnen  vorzugsweise  als  gan- 
zes Gewebe  gedacht  wurde,  versichern  uns  die  ags.  Aus- 
drücke; Me  l^ät  Wyrd  gewäf;  Me  Wyrd  gewäf  and  for- 
geaf.  Cod.  exon.  355.     Ac   him  dryhten  forgeaf  wigspeda 


1)  Ags.    aldor    streift    häufig   in    den    Begriff   von    Seele    über.      Vergl. 
Cädm.  Gen.  ed.  Gr.   1071.  120S.  2790. 

2)  Kuhn,  Nordd.  Sagen  433,  280. 

3)  Kuhn,  Mark.   Sagen  362. 

4)  Mark.   Sagen  V. 

5)  Weihnachtspiele. 


638 

gewiofu.  Beöw.  1386  ^).  Die  letztere  Stelle  zeigt  die  oben 
S.  563  behauptete  Identität  des  Nornen-  und  Valkyreoge- 
spinnstes,  so  wie  die  enge  Verwandschaft  der  Göttinnen 
unter  einander.  Das  Spinnen  und  Weben  der  Schicksals- 
göttinnen bestätigt  auch  ein  angelsächsisches  Rätsel,  worin 
es  heifst: 

Wyrmas  mec  ne  äwagfon  "VVyrda  cräftum 
])ä  l>e  geolo  godwebb  geatwum  frätwaÖ  -). 
Ags.  godwebb,  sächs.  goduwebbo,  godowebbi,  fries.  god- 
wob,  ahd.  cotaweppi  drückt  Seide,  oder  anderes  kostbares 
Gewebe^),  vorzüglich  aber  Purpur  Stoffe  aus.  Etymo- 
logisch ist  es  „ G Otter ge webe"  zu  erklären;  die  altnor- 
dische Form  güövefr  Kampfgewebe  scheint  eine  blofse 
volksetymologische  Umdeutung  aus  Gudvefr.  Wenn  nun 
unser  Ilätsel  auch  keineswegs  ausdrücklich  sagt,  dass 
die  Wyrden  das  Godwebb  weben,  sondern  ihnen  nur 
wunderbares  Gewebe  überhaupt  beilegt,  so  macht  diese 
Stelle  es  doch  wahrscheinlich,  dass  man  das  Purpurge- 
wand als  Abbild  eines  kostbaren  von  den  Schicksalsgöt- 
tinnen gefertigten  Gewandes  betrachtete  und  deshalb  Göt- 
tergewebe benannte*).  Zauberhafte  Nothemde,  die  gegen 
Hieb  und  Stofs  sicherten,  waren  purpurn.  Vergl.  Saxo 
VI,  293:  Purpureum  quoque,  quo  nuper  ab  Helga  do- 
natus  fuerat,  sentibus  amiculum  injecit,  ne  contra  saevien- 
tia  grandinis  tela  indutamentorum  umbracula  mutuatus  vi- 
deretur.     Wir  kommen  auf  die  Sache  zurück. 

Ein  angelsächsischer  Name  der  Schicksalsgöttin  war 
Meten,  die  Abmessende.  Boeth.  35,  6  heifsen  die  Par- 
zen: jjä  gram  an  mettena,  ]>e  folcisce  men  hätaS.  Dieser 
Ausdruck  stimmt  mit  den  schon   oben  S.  595  namhaft  o-e- 


1)  Vergl.  Myth.-    377.   387. 

2)  EttmüUer,  Angelsächs.  Lesebuch  298,  XVIII,  9.  10.  Wurme  mich 
nicht  webten  mit  der  Wyrde  Kräften,  diejenigen  welche  das  goldgelbe  Got- 
tesgespinst mit  Zurüstungen  bereiten. 

3)  Es  wird  mit  Gold  alliterierend  zusammengestellt:  gold  ende  godwebb. 
Cädm.  218,  28.  Mit  goldu  endi  mit  godowebbiu  Helj.  102,  14.  goedda  ek 
gulli  ok  güö^efium   Gügrunarhv.    16. 

4)  Vergl.   auch  Rocholz,  Alemann.  Kindcrlied  S.  143. 


machten  Formeln  mjötudr  und  metod  überein.  In  Nie- 
dersachsen nennt  man  die  am  Beginn  des  Frühlings,  be- 
sonders aber  des  Herbstes  meist  an  nebligen  Morgen  auf 
Zäunen  oder  Gräsern  hängenden  oder  schwebenden  Fäden 
das  Gewebe  kleiner  Spinnen  der  aranea  obtectrix,  lycosa 
saccata  und  tetragnatha  extensa')  Mettjes  oder  Metten^), 
Slämetj  es ''),  Sommermetj  es,  Metjen,  Mettken- 
sommer.  Im  Ditmarschen  sagt  man,  wenn  Felder  und 
Sträucher  oft  ganz  voll  davon  hängen:  „de  Metten  hebt 
spunnen.'-^  Man  würde  irren,  wollte  man  in  Dialekten^  die 
deutlich  davon  maedjen,  mredken  unterscheiden,  das  Wort 
auf  Mädchen  deuten.  Wir  dürfen  es  unbedenklich  für  je- 
nes ags.  meten  erklären  ^).  Das  herumfliegende  Gewebe 
wurde  also  als  Arbeit  der  kunstreich  spinnenden  und  we- 
benden Schicksalsgöttinnen  betrachtet  und  darum  bringt 
es  auch  Glück,  wenn  ein  solcher  Faden  an  den  Kleidern 
hängen  bleibt  ^).  Auf  dieselbe  Vorstellung  weisen  die  Aus- 
drücke Mädchensommer,  Alte weibersommer.  Im 
Englischen  heilst  das  Gespinst  gossamer  d.  h.  gods-samar 
Gottes  Schleppkleid.  Da  letzteres  Wort  auch  im  Nieder- 
sächsischen fortlebte,  so  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  je- 
nes -so  mm  er  nur  eine  volksetymologisehe  Umdeutung  ^) 
von  saraar  Schleppkleid  und  das  polnische  babie  lato,  böh- 
misch babske  lato  ^)  eine  Uebersetzung  der  Umdeutung  ist. 
Die  nahe  Verwandschaft  der  Schicksalsgöttinnen  mit  Holda 
(Frikka  u.  s.  w.)  und  den  Eiben  zeigt  sich  darin,  dass  an- 
dere Landschaften  von  diesen  das  Gespinsel  ableiten.  Es 
heifst  Mariengarn,  Marienfaden  ®),  westphähsch  unser  laiwe 


1)  Nach    Blumenbach    soll    auch    der   Tau    als    Pflanzenausdunstung   sich 
verdichtend  zur  Bildung  dieser  Gewebe  beitragen. 

2)  Bremer  WB.   I,   799. 

3)  Schleswigholst.  idioticon  III,   87.     Wol  durch  Assimilation    aus    slap- 
metjes  =  Schleppmetten. 

4)  S.  MüUeuhofT,  Nordalbing.   Studien  I,  218.    Höchstens  wäre  an  Meta, 
Metje  Diminutiv  von  Margareta  zu  denken. 

5)  Wolf,  Beiträge  I,   237,   436. 

6)  Vergl.  die  Ausdrücke:  fliegender  Sommer,  Sommerflug,   Sommerseidc. 

7)  Myth.2    744. 

8)  Myth.2   440. 


640 

früen  suemer  ').  Es  soll  ein  üeberbleibsel  des  Grabge- 
wandes der  Mutter  Gottes  sein,  welches  sie  gen  Himmel 
fahrend  fallen  lassen  -).  Im  bairischen  Altraühltale  zieht  in 
Herbstnächten  die  Mutter  Gottes  mit  den  11000  Jungfrauen^), 
bei  Passau  die  Madonna  mit  den  Eiben*),  im  Donautale 
Mutter  Gnut  mit  den  11000  Jungfrauen  ^)  um  und  über- 
webt das  Land  mit  der  Seide  der  Grasweben.  In  der 
Altmark  bei  Salzwedel  glaubt  man,  dass  die  Marienfäden 
von  der  Spinnerin  im  Monde  herrühren  '^).  Spinneweben 
heifsen  schwed.  dvärcfsnet  Zwerofnetz. 

AVenn  dieser  Volksglaube  uns  belehrt,  dass  man  in 
späterer  Zeit  wenigstens  die  grauen  Sommerfäden  land- 
schaftlich als  wirkliches  Gespinst  der  Schicksalsgöttinnen 
ansah,  so  zeigen  uns  andere,  namentlich  oberdeutsche  Sa- 
gen, zu  deren  Betrachtung  wir  nunmehr  übergehen,  was 
ursprünglich  unter  dem  Gewebe  derselben  zu  verstehen 
sei.  Von  den  verschiedensten  Seiten  bereits  hat  man  sich 
dahin  geeinigt,  die  von  Panzer  in  Baiern  so  zahlreich  auf- 
gefundenen Sagen  von  drei  Jungfrauen  auf  die  deutschen 
Schicksalsgöttinnen  zu  deuten.  Im  ganzen  Umfange  ist  das 
jedoch  keineswegs  zuzugeben.  Ich  knüpfe  die  Betrachtung 
an  folgende  Ueberlieferungen  an.  Bei  Unterigling  in  Nie- 
derbaiern  giebt  es  grofse  Waldungen,  welche  den  Gemein- 
den Iglino;  und  Kizio-hofen  in  Folge  einer  uralten  Stiftung 
gehören  sollen.  Diese  Stiftung  soll  von  drei  Jungfrauen 
herrühren,  für  welche  noch  in  neuerer  Zeit  Vigilien  abge- 
halten wurden.  In  älterer  Tradition  hiefsen  sie  Hayl rä- 
tinnen, in  der  heutigen  Sage  die  drei  Jungfrauen. 
Sie  wohnten  auf  einem  Hügel,  bei  dem  Umentrümmer  das 


1)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  U,   97. 

2)  Yergl.  die  filamenta  Divae  Yirginis  oben  S.  367,  die  nichts  anders  als 
Mariengam  sind.  —  Auch  französisch  heifsen  die  Fäden  cheveux  de  la  St. 
Yierge. 

3)  Schöppner,   Bair.   Sagenbuch  III.    163,    1127. 

4)  Pangkofer,  Altbair.  Gedichte  1854  II.  327.  Bei  Rocholz,  Alemann. 
Kinderlied  142. 

h)  Schöppner  a.  a.  O.   III,    162   Vorbemerkung  zu  Xo.  1127. 
6)  Temme,   Sagen  der  Altmark.     Berlin   1839  S.  41. 


641 

einstige  Dasein  heidnischen  Anbaus  bezeugen.  Neben  dem 
Hügel  liegt  ein  Weiher.  Jener  heilst  der  Jungfern- 
büchl  und  der  dazu  gehörige  Wald  der  Frauenwald. 
In  den  Jungfernbüchl  ist  das  Schloss  der  drei  Jungfrauen 
versunken.  Sie  wohnen  darin  noch  jetzt,  man  hört  biswei- 
len aus  der  Tiefe  den  Hahn  krähen  und  die  Fräulein  sin- 
gen. Sie  erscheinen  bisweilen  noch  jetzt.  Die  eine  ist 
kreideweifs,  die  andere  hat  ein  rot  und  weifses  Kleid,  die 
dritte  trägt  mitunter  ein  weifses  Kleid  und  schwarzen 
Schleier;  mitunter  ist  sie  ganz  schwarz;  sie  hat  ein 
grimmiges  Antlitz  mit  feurigen  Augen,  und  wird 
sehr  gefürchtet.  Ein  schwarzer  Hund  folgt  ihnen.  Die 
zwei  lichten  sind  selig,  aber  die  dritte  ist  verdammt.  Die 
zwei  weifsen  haben  zwei  Köpfe  und  einen  Sinn, 
die  dritte  will  sich  aber  niemals  in  den  Willen 
der  andern  fügen.  Kinder  schreckte  man  mit  der  Dro- 
hung: „seid  ruhig  Kinder,  sonst  kommt  die  böse  und 
bindet  euch  an  das  Seil  und  die  guten  ziehen." 
Diese  dritte  nannte  man  die  Held,  sie  und  ihr  Seil  wur- 
den sehr  gefürchtet.  Wollte  man  ein  Mädchen  zu- 
rechtweisen, so  rief  man  ihr  zu  „du  wirst  gerade  so  wie 
die  Held  weifs  und  schwarz  und  gehst  ganz  verloren."  Die 
Sage  weifs  auch  davon  zu  berichten,  dass  die  drei  Jung- 
frauen vom  Staufersberg  bis  zum  Jungfernbüchl  ein  Seil 
spannten.  Bis  ins  vorige  Jahrhundert  wurde  ein  Stück 
Leinwand  aufbewahrt,  welches  angeblich  von  den  bei- 
den guten  Jungfrauen  gesponnen  war,  Wöchnerin- 
nen erhielten  davon  ein  handgrofses  Stück;  darauf  legten 
sie  sich,  um  leichter  zu  gebären.  Den  drei  Jung- 
frauen wurden  bei  der  Aernte  drei  Kornähren  als  Opfer 
auf  das  Feld  hingelegt  ^). 

In  Staufen  bei  Reichenhall  befindet  sich  eine  Hole,  die 
das  Frauenloch  heifst.  Unter  dieser  Hole  liegt  der  Fal- 
kensee. Hierin  wohnen  drei  Frauen,  die  wilden 
Frauen  genannt.     Eine  dieser   wilden   Frauen  war   halb 


1)  Panzer,  Beitrag  I,  No.  G6  S.  53  —  60. 

41 


642 

weifs  und  halb  schwarz,  die  anderen  beiden  weiCs. 
Wurde  in  den  nächst  umliegenden  Dörfern  ein  Kind  ge- 
boren, so  kamen  die  wilden  Frauen  ins  Haus  und  san- 
gen, solchen  Kindern  prophezeite  man  Glück. 
Bei  Hochzeiten  wurde  der  Gesang  der  wilden 
Frauen  gehört,  wenn  die  Braut  aus  dem  Hause  der  El- 
tern schritt.  Oft  war  am  Frauenloch  schöne  Wäsche 
aufgehängt.  Die  Leute  sagten  dann  „die  wilden  Frauen 
haben  ihre  Wäsche  aufgehängt.  Jetzt  wird  es  schö- 
nes Wetter."  Im  Fraueuloch  liegt  ein  Schatz  vergra- 
ben, den  ein  schwarzer  Hund  mit  glühenden  Augen  be- 
wacht ^). 

Bei  Grafenau  in  Niederbaiern  liegt  der  Rachel  see. 
Im  Rachelsee  sollen  drei  verwunschene  Fräulein  ge- 
haust haben,  von  welchen  eine  die  böse  war.  Sie  soll 
eine  Magd  mit  Pantoffeln  erschlagen  haben.  Ihr  oberer 
Körper  war  weifs,  der  untere  schwarz.  In  der  Tiefe  des 
Rachelsees  liegt  ein  Schatz-). 

Auf  dem  Schlossberg  bei  Grünwald  nächst  München 
wohnten  drei  Jungfrauen.  Die  eine  war  ganz  weifs,  die 
zweite  von  der  Lende  an  weifs,  unten  schwarz,  die  dritte 
bis  zum  Hals  weifs,  abwärts  ganz  schwarz.  Die  weifse 
ging  voran,  die  halbvveifse  folgte,  die  schwarze  ging  zu- 
letzt. Ein  schwarzer  Hund  begleitete  sie.  Jede  der 
Jungfrauen  hatte  einen  Rocken  an  der  Seite  hängen  und 
sie  spunnen  Flachs  mit  der  SpindeP). 

Auf  der  Burg  Botenlaube  in  Unterfranken  wohnten 
drei  Schwestern,  welche  aber  in  die  Tiefe  versun- 
ken sind.  Zuweilen  lassen  sie  sich  sehen.  Zwei  waren 
kreideweifs,  die  dritte  halb  schwarz  und  halb  weifs 
mit  einem  Geifsfufs.  Nur  die  zwei  weifsen  waren  gut 
christlich,  die  dritte  war  die  böse.  Bei  Kindtaufen 
war  diese  dem  Kinde  immer  eutgeffen.      Sie  wohn- 


1)  Panzer  a.  a.  O.  No.  14.  S.  11. 

2)  Panzer  a.  a.  0.  No.  105  S.  83. 

3)  Panzer  a.  a.  O.  No.  50  S.  38. 


_643 

ten  auch  Hochzeiten  und  Begräbnissen  bei,  ja  selbst  in  den 
Krieg  zogen  sie  mit,  ritten  auf  Pferden  und  wirk- 
ten mehr,  als  die  Ritter  selbst'). 

In  einem  jetzt  versunkenen  Schloss  in  der  März- 
burg bei  Kaufbeuren  wohnten  drei  Jungfrauen;  zwei 
waren  weifs,  eine  schwarz.  Sie  erscheinen  noch  jetzt 
in  den  heiligen  Nächten  und  wandeln  bis  zu  den  3  Kreu- 
zen, wo  allen,  die  eines  schnellen  Todes  verstorben 
sind,  Kreuze  gesetzt  werden  ^). 

Auf  dem  Karlstein  liegt  ein  Schloss,  da  wohnten  vor 
undenklichen  Zeiten  drei  Frauen,  die  man  vor  grofsen 
Ereignissen  singen  oder  jammern  hörte.  Sie  spann- 
ten von  einem  Berge  zum  andern  eine  lederne  Brücke^). 

Betrachten  wir  die  in  diesen  Sagen  erhaltenen  Züge, 
so  ergiebt  sich  in  der  Tat  das  einstige  Dasein  eines  Kul- 
tus''),  der  drei  göttlichen  Jungfrauen  dargebracht  war,  in 
welchen  sich  die  Gestalten  der  Schicksalsgöttinnen  in  einer 
dem  nordischen  Mythus  ganz  analog  ausgebildeten  Weise 
unmöglich  verkennen  lassen.  Sie  erscheinen  begabend  oder 
Unheil  spendend  bei  der  Geburt,  bei  der  Heirat  und 
dem  Tode  der  Menschen,  so  wie  bei  allen  grofsen  Er- 
eignissen. Sie  singen  dabei,  durch  die  Gewalt  ihrer  Zau- 
berlieder erfolgt  die  Schicksals wirkung.  Sie  spinnen. 
Ihr  Gespinst  ist  Wöchnerinnen  hilfreich  (vgl.  S.  555.  588), 
es  wird  aber  auch  mit  ihrem  Seile  gedroht,  es  bringt  den 
Tod.  Von  den  drei  Schwestern  ist  die  eine  böse,  sie 
handelt  stäts  gegen  den  Willen  der  anderen  (s.  oben  S. 
604).  Sie  vorzugsweise  führt  das  tötende  Seil,  sie  tötet 
auch  mit  eigner  Hand.  Der  Name  Heilrätinnen,  eu- 
phemistisch  wie   Eumeniden,    ist    ein   durchaus    passender 


1)  ranzor  a.  a.  0.  No.  201,   S.  180. 

2)  Panzer,  ßeitr.   11,    139.  No.  213. 

3)  Panzer  I,    13.  S.  10. 

4)  Wie  den  Heilrätinnen  wird  in  Norddeutsohland  dem  Wodan,  im  Oden- 
wald den  Engeln  (Eiben)  eine  Korngabe  als  Opfer  dargebracht.  Zu  Ehren 
dreier  Jungfrauen,  über  deren  Sage  aber  nichts  Näheres  beigebracht  ist,  wur- 
den nach  Panzer  I,  176.  S.  154  in  der  Kirche  zu  Lehrberg  bei  Ansb.ich  je- 
den Sonntag  nach  Pfingsten  an  die  Kinder  Rretzeln  verteilt. 

41  * 


644 

Name  für  die  Scliicksalsgöttinnen.  Die  dritte  böse,  tö- 
tende heifst  Held.  Panzer,  Simrock  und  Wolf  haben 
diesen  Namen  schlechthin  für  Hella  genommen:  da  aber 
im  bairischen  Dialekt  unorganisches  euphonisches  d  nach 
1  nur  bei  Verlängerung  der  Stammsylbe  eintritt,  z.  B.  kol 
(carbo),  Plur.  kölder ;  all  (oranis)  alder,  schmal  (angustus) 
Comper.  schmalder,  so  muss  das  Wort  anders  erklärt  wer- 
den. Es  ist  deutlich  eine  Ableitung  von  helan  celare  durch 
das  Suffix  goth.  ij?,  ahd.  id,  das  vorzugsweise  zur  Bildung 
abstracter  starker  Feminina  verwandt  wurde  (Gram.  II, 
242  fgg-)'  Heiida  musste  „die  Umhüllung,  Verhüllung" 
bedeuten');  ein  zutreffender  Name  für  die  tötende  Schick- 
salsgöttin. Der  abstracte  Name  für  die  concrete  Gestalt 
darf  nicht  befremden,  da  UrSr,  VerSandi,  Skuld,  Wyrd 
u.  s.  w.  eine  vollständige  Analogie  gewähren  '). 

In  einigen  Orten  und  zwar  weit  durch  die  deutschen 
Südlande  in  Tirol  und  Strafsburg,  in  Ober-  und  Nieder- 
baiern  haben  sich  Einzelnamen  dieser  drei  Jungfrauen  er- 
halten.    Sie  heifsen: 

Fürpet  Gwerpet  Ainpet 

Wilbetta  Warbetta  Einbetta 

Wilbett  Walbett  Ainbett. 

Das  Wort  betta,  welches  in  diesen  Namen  den  zwei- 
ten Teil  der  Composition  bildet,  ergiebt  sich  deutlich  als 
ahd.  peta,  ein  von  pitjan  bitten  abgeleitetes  Wort,  das  in 
der  gewöhnlichen  Rede  neben  pita  nur  in  der  Bedeutung 
preces  vorkommt.  Wie  aber  im  zweiten  Compositions- 
teil  '^j   von  Namen  Abstracta  überhaupt  active  Bedeutung 


1)  Bei  Graff  IV,  844  findet  sich  freilich  nur  helid  tugurium,  und  die 
Glossen:  helitin  tegumine;   inpi-lielida  velamina  angegeben. 

2)  Vergl.  MüUenhofFs  sinnreiclie  und  gewiss  zutreffende  Erlclärung  des 
Namens  Velleda  aus  ahd.  Willida. 

3 )  Freilich  finde  ich  bei  Foerstemann  den  Stamm  pitjan  nur  anlautend 
im  Pittheri  (Namenb.  S.  440).  Ob  Bitto  hiehergehört,  oder  Hypocoristicum 
ist,  -wage  ich  nicht  zu  entscheiden;  ebensowenig  ob  die  Formen  Pito  und 
Bita  unserm  Vcrbura  oder  pitan  zufallen.  Die  Formen  Peto,  Peta,  Betta  ge- 
ben keine  Entscheidung,  da  sie  auch  Verkürzungen  aus  Patufrit,  Patuhilt 
U.  s.  w.  sein  können.  Dagegen  weist,  so  viel  ich  sehe,  Petuni,  Bcttuni  (bei 
Foerstemann  S.  198  unter  badu)  ein  sicheres  Beispiel  für  unsern  Stamm  auf. 


645 

anzunehmen  lieben  und  z.  B.  ahd.  kepa,  kipa,  alts.  gifa, 
gibha,  gebha;  ags.  gifu,  geofu  donum  in  solchem  Falle  die 
Bedeutung  donatrix  hat^),  so  muss  peta  Bitte  in  unsern 
Namen  als  „die  Bittende"  oder  vielmehr  die  An  wün- 
sch ende  gefasst  werden.  Unter  den  Bedeutungen  von 
pitjan,  bidjan  zählt  der  Gebrauch  im  Sinne  von  „anwün- 
schen"  durchaus  nicht  zu  den  seltenen.  Ubiles  pitent 
maledicunt  Notk.  36,  22.  Sie  mo  batin  ubiles  Otfr.  III. 
20,  140.  Kuotes  piten  benedicere  N.  10a,  3.  Die  imo 
guotes  pitent  —  die  imo  aber  ubeles  pitent  N.  36,  22^). 
Desselben  Ausdrucks  bedient  sich  das  eddische  Hclgilied, 
um  die  Schicksalbestimmung  der  Nomen  zu  bezeichnen: 

]?ann  bä'Su  fylki, 

frsegstan  veröa 

ok  buölünga 

beztan  ikkja  ^). 
"Wir  erhalten  hiernach  für  die  Namen  der  drei  Schwe- 
stern folgenden  Sinn.  Will-bett  bedeutet  precatrix  grata, 
exoptata  oder  bona;  quae  ex  voto  bene  precatur  homini- 
bus  ^).  Dasselbe  sagt  das  spätere  Fürpet  aus,  d.  h.  die 
Fürbitterin  ^).  Der  Name  der  dritten  Jungfrau  Ainpet, 
Einbett  bedeutet  terroris  precatrix,  Gwerpet  und  Wal- 
bett sind  aus  ahd.  wer,  werra  bellum,  scandalum;  gawer 
seditio   ags.  war,   werre    bellum    und    ahd.  wal    strages  als 


1)  S.  Willigip  fem.  saec.  9.  St.  Feter.  Thiadgif  Lacombl.  Niederrh. 
Urk.  No.  95.  a.  855.  Ags.  Eädgifa,  alts.  Odgifa.  Vergl.  ags.  gifa  donator, 
beähgifa  torquium  donator,   sincgifa  thesauri  donator. 

2)  S.   GrafF  III,   52.    53. 

3)  Holgaq.  Ilundingsb.  I,  2.  Vgl.  Str.  4  von  der  dritten  Xorn:  ey  baö 
hon  halda. 

4)  Vergl.  alid.  willi-köson  blandire  (kosön  loqui ,  lind-koson  blandire, 
argkosön  maligna  loqui,  distrahere,  trugikoson  doluni  loqui),  wil-niaht  vale- 
tudo;  wille-waltig  liberalis;  willi-komo  benedietus;  sächs.  wil-spell  bonus  nun- 
tius;  ags.  wil-boda  gratus  nuntius;  wil-euma  benedietus,  qui  gratus  advenit, 
wilgest  hospes  acceptus ;  wil-däg  dies  exoptatus;  wil-fägo.n  voti  coinpos;  Tvil- 
gifa  voti  largitor,  donator  exoptatus;  wil-gestealla  socius  gratus;  wil-ge- 
sweostor  sorores  quae  ex  intimo  aninio  germanarum  aniore  inter  se  conjunctae 
sunt.  Wil-helm  qui  libenter  comites  populumcpie  tutatur.  Vergl.  W.  Mann- 
hardt,  De  nominibus  Gernianorum  propriis,  quae  ad  regnum  referuntur  S.  16. 

5)  Vergl.  schon  ahd.  ih  furi  sie  bittu,  ualles  furi  weralt  bittu,  nibi 
furi  thie.  —  T.  178,   1.     Graff  III,  54. 


646 

bellorum  precatrix  deutbar.  Wir  finden  mithin  auch  in 
den  Namen  die  Charakterverschiedenheit  unter  den  drei 
Schwestern  angedeutet,  welche  in  der  Sage  hervortritt. 
Der  freundlichen  Schwester  steht  eine  schreckende  zur 
Seite.  Wir  dürfen  vermuten,  dass  auch  hier  der  Begriff 
der  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  sich  einmischt. 
Die  Göttin  der  Vergangenheit  (Wurt)  ist  die  milde,  freund- 
lich begabeude;  sie  ist  es,  die  vorzugsweise  des  Kindes 
Wiege,  seinen  ersten  Morgen  zulächelnd  begrüfst;  der  Ge- 
genwart, dem  Leben  des  Menschen  gehört  der  Kampf  in 
dem  des  Mannes  Tatkraft  zur  Geltung  kommt,  sie  ist  die 
Erregerin  der  Kriege;  Schrecken  in  sich  tragend  steht 
selbst  dem  todverachtenden  Germanen  die  dunkele  Zukunft 
vor  Augen. 

Die  drei  Jungfrauen  Wilbett,  Warbett,  Einbett  sind 
von  der  Legende  in  ihr  Bereich  gezogen  worden,  die  sich 
ihrer  bemächtigte,  sie  zu  christlichen  Heiligen  stempelte 
und  sie  der  grol'sen  für  jede  Einschaltung  offenen  Gesell- 
schaft der  heiligen  Ursula  einverleibte,  ohne  dass  die  Häup- 
ter der  Kirche,  Pabst  und  Concilien  (so  viel  ich  weifs)  je 
davon  Kunde  nahmen  und  den  frommen  Volksglauben  au- 
torisierten. So  konnte  sich  ihr  Kult  auch  in  Gegenden 
verbreiten,  wo  er  ursprünglich  nicht  gewesen  sein  mag. 
Ihre  Legende  hat  aber  noch  die  heidnische  Sage  vollstän- 
dig, nur  um  ein  Weniges  gemildert  bewahrt.  Sie  wohnen 
in  einem  Kloster  auf  einem  Hügel,  der  ganz  von  Wasser 
umgeben  ist,  oder  neben  einem  Heilbrunnen  liegt. 
Zwei  von  ihnen  sind  schneeweifs,  die  dritte  ist 
schwarz,  trägt  aber  weifse  Schleier.  Im  Berge  besitzen 
sie  eine  Goldader.  Sie  spannen  von  einem  Felsen 
zum  andern  ein  Seil.  Sie  verleihen  unfruchtbaren 
Eheleuten  erwünschte  und  gesunde  Kinder,  und 
den  gebärenden  Frauen  eine  glückliche  Entbin- 
dung, lu  einer  ihrer  Kapellen,  zu  Schildturn  in  Kieder- 
baiern  bewahrt  man  eine  hölzerne  Wiege,  welche  von 
unfruchtbaren  Frauen  zur  Erlangung  von  Frucht- 
barkeit in  Bewegung  gesetzt  wird,  ehemals  soll  eine  sil- 


647 

berne  Wiege  dagewesen  sein.  Sie  haben  sich  ina  Leben 
der  Heilung  und  Pflege  von  Kranken  gewidmet. 
Sie  sind  Pestpatroninnen.  Während  der  Pest  ange- 
fleht verleihen  sie  Sicherheit  des  Lebens.  Zu  Pestzelten 
stellte  man  daher  Fackelprocessionen  zu  ihren  Kapellen  bei 
nächtlicher  Weile  an'). 

Ebenso  deutlich  wie  die  ethische  Seite,  welche  in  die- 
sen Sagen  und  Legenden  von  den  Schicksalsjungfrauen  her- 
vortritt, ist  nun  aber  auch  noch  die  Naturgrundlage  ge- 
blieben, aus  welcher  diese  Theologeme  sich  hervorgebildet 
haben.  Wir  können  deutlicher  als  im  Norden  beobachten, 
dass  die  Wasserfrauen  auch  der  deutschen  Nornen  Ahn- 
mütter gewesen  sind. 

Unsere  drei  Jungfrauen  wohnen  entweder  im  Berge 
oder  im  See.  In  beiden  aber  erkannten  wir  längst  ein 
Bild  der  Wolke  (s.  S.  182.  255).  Zum  mindesten  ist 
der  Hügel  auf  dem  sie  wohnen  von  Wasser  umgeben. 
Sie  sind  sammt  ihrem  Schlosse  und  einem  grofsen  Schatze 
in  den  Berg  verwünscht,  versunken'-)  und  dies  lässt 
sie  als  ursprünglich  mit  den  im  Berge  eingeschlossenen 
schatzhütenden  oder  verwünschten  weifsen  Frauen 
identisch  erscheinen,  die  ja  Wasserfrauen  sind^).  Ihr  Schatz 
ist  das  Sonnengold.  Dies  geht  einerseits  daraus  hervor, 
dass  der  Schatz  in  diesen  bairisclien  Sagen  entweder  im 
Berge  oder  im  See  oder  Brunnen"),  d.h.  hinter  dem 
himmlischen  Gewässer  liegt;  oder  von  Drachen  gehütet 
wird  ^). 


1)  S.  Panzer,  Beitrag  I.   23,   29  No.  87  S.  69. 

2)  Panzer  I,   58   S.  46.      114  S.  99.     47,   36.      54,  43. 

3)  Vergl.  z.  B.  Panzer  I,  No.  47.  Ein  Mann  holte  sicli  Schätze  aus 
dem  verwunschenen  Schlossberg  bei  Wolfratliausen.  Vor  der  Berghöle 
lag  ein  schwarzer  Hund  mit  glühenden  Augen.  Im  Zimmer  lagen  drei 
Jungfrauen  iu  Betten.  Eine  davon  war  oben  weifs,  unten  schwär;-.,  die 
andern  schliefen.  Auf  der  Geldkiste  lag  eine  Schlange  mit  einen  goldenen 
Schlüssel  im  Mund,  er  nahm  ihn  heraus  und  schloss  die  Geldkiste  auf. 

4)  Panzer  I.  No.  22.  94.  105.  183.  208.  215.  Vergl.  Panzer  a.  a.  0. 
S.  294. 

5)  Vergl.  oben  S.  149  fgg.  Hinter  der  Simnen^-pitze  im  Säven  (Tirol) 
liegt  der  Drachettsee ,  hierin  haust  ein  Drache,  der  sich  oft  am  Ufer  sonnt. 
Ebendaselbst  sonnen  sich  Schätze.    Panzer  I.  No.  2.     Bei  AVolfrathauseu,  wo 


^648  _ 

Auf  dieselbe  Vorstellung  führt  uns  auch  die  mehrfach 
vorkommende  Angabe,  dass  unsere  drei  Jungfrauen  der 
Erlösung  bedürftig  sind.  Auf  dem  Jungfernberg  bei 
St.  Georgen  haben  dreiJungfrauen  ein  Kloster  gehabt, 
eine  davon  war  halb  weils,  halb  schwarz.  Sie  safs  auf 
einer  Kiste  und  machte  einen  Spruch,  was  man  tun  müsse, 
um  sie  zu  erlösen.  Da  keiner  die  Erlösung  vollbringen 
konnte,  versank  sie  mit  der  Kiste  und  sprach  den  Wunsch 
aus,  dass  die  Gegend  zu  Wasser  werde.  Hierauf  ent- 
sprangen dem  Jungfernberg  mehrere  Quellen,  deren 
Zusammenfluss  jetzt  den  Ammersee  bildet^).  Im  Schnel- 
lertschloss  sind  drei  Schwestern  verwunschen;  eine  ist 
halb  weifs,  halb  schwarz,  die  andern  weifs.  Sie  erschie- 
nen einem  Manne,  und  baten  sie  zu  erlösen.  Eine  sagte, 
sie  werde  als  Schlange  kommen  und  ihn  dreimal  küssen; 
reicher  Lohn  erwarte  ihn,  wenn  er  sich  unerschrocken  zeige. 
Als  aber  die  Schlange  kam,  rief  er  „Herr  Jesus"  und  alles 
war  verschwunden^). 

Zu  den  erlösungsbedürftigen  weifsen  Frauen  stellt 
unsere  Schwestern  der  Zug,  dass  die  zwei  weifsen  und  die 
dritte  Frau  zu  gewissen  heiligen  Zeiten  (in  der  Christ- 
nacht, zu  Advent  und  an  den  hohen  Festen,  Sonnwendtag 
u.  s.  w. )  erscheinen  oder  ihren  Gesang  hören  lassen. 
Vergl.  oben  S.  520 '). 

In  den  gewöhnlichen  Erlösungssagen  ist  die  verwünschte 
Frau  häufig  ganz  schwarz ,  im  Verfolg  der  Erlösung  wird 
sie  weifser  und   zuletzt  ganz   weifs.     Bereits  Kuhn ")   hat 


drei  Jungfrauen,  zwei  weifse  und  eine  schwarze  erscheinen,  liegt  der  Dra- 
chenfels, wo  oft  nach  Schätzen  gegraben  wurde.  Von  da  aus  ziehen 
drei  unterirdische  Gänge.  Panzer  I.  No.  47.  Im  Drachen fels  bei  Pirraa- 
senz  wohnt  ein  Drache,  der  mit  Gewalt  durch  ein  Locli  im  Felsen  heraus- 
fuhr. Davon  heifst  dieses  Loch  das  Drachenloch.  Auf  diesem  Felsen  be- 
findet sich  ein  Brunnen  in  welchem  ein  silbernes  Kegelspiel  liegt.  Da- 
selbst erscheinen  drei  Schwestern  in  weifsen  Gewändern.  Panzer  I. 
No.  215. 

1)  Panzer  I.  S.  .TS,  No.  45. 

2)  Panzer  I.    195,  No.  212.     Vergl.  No.  138,  40.   47. 

3)  Panzer  40.   77.   93.    136   u.  s.  w. 

4)  Zeitschr.  f.   D.  Myth.  III,   382. 


649 

für  diesen  Zug  das  Verständnis  geöffnet  „schwarz  ist  der 
Wetterwolke  (der  verwünschten  Wasserfrau)  natürliches 
Kleid;  je  mehr  sie  aber  ihren  Regen  über  die  Erde  ergiefst, 
oder  symbolisch  ausgedrückt,  je  mehr  die  Erlösung  der 
Wasserfrau  aus  den  Händen  des  finsteren  Dämons,  der  sie 
gefangen  hält,  gelingt,  um  so  lichter  wird  ihre  Hülle,  bis 
sie  endlich  seinen  schwarzen  Krallen  entrissen,  als  weil'se 
Wolke  von  den  Strahlen  der  wiederhervorbrechenden  Sonne 
umsäumt,  von  dannen  zieht  und  dem  kühnen  Helden  (dem 
Donnergotte),  der  den  Dämon  besiegte,  ihren  Schatz  den 
reichen  Wassersegen  und  das  Sonnenlicht  zurücklässt. " 
Hieraus  ergiebt  sich  nun  auch  die  zutreffende  Deutung 
für  die  zwei  weifsen  und  die  dritte  schwarze  Schwe- 
ster unserer  Sagen.  Jene  waren  ursprünglich  Göttinnen 
der  lichten  Wolke,  diese  waltete  in  der  schwarzen  verder- 
benschwaugeren  Gewitterwolke.    (Vergl.  oben  S.  577.  593.) 

Eine  spätere  Zeit,  welche  diesen  Ursprung  der  gött- 
lichen Frauen  nicht  mehr  verstand,  sah  in  den  Farben  of- 
fenbar Symbole  ethischer  Begriffe;  und  fasste  die  weifse 
Farbe  als  Ausdruck  guter  Gesinnung  bei  den  beiden  ersten 
Schwestern,  und  die  schwarze  bei  der  dritten  als  Abbild 
ihrer  inneren  Tücke  ').  Dies  geht  mit  Sicherheit  daraus 
hervor,  dass  eine  Ueberlieferung  die  dritte  Jungfrau  halb 
schwarz,  halb  menschenfarbig  nennt '^).  Ebenso  ist 
die  nordische  Totengöttin  Hei  halb  schwarz,  halb  men- 
schen färb  ig.  Der  gleiche  Gegensatz  von  schwarz  und 
weifs  als  der  guten  und  bösen  zeigt  sich  in  der  ver- 
wandten Sage  von  Thidrandr  s.  oben  S.  573.  Auch  hier 
wird  dieselbe  Naturbeziehung,  wie  in  unserem  Falle  die 
Grundlage  bilden. 

Eine  grofse  Anzahl  von  uns  noch  nicht  berührter  Sa- 
gen erzählt,  dass  die  beiden  guten  oder  weifsen  Jungfrauen 
mit  der  schwarzen  oder  bösen  gemeinschaftlich  einen  Schatz 
besafsen.    Eine  der  guten  stirbt,  die  andere  erblindet.    Die 


1)  lieber  diese  Farbensymbolik  s.   Siinrock,   Handbuch  S.  350. 

2)  Panzer  a.  a.  ü.  No.  65. 


650 

üeberlebenden  teilen  sich  in  den  Schatz,  aber  die  böse 
schwarze  betrügt  ihre  blinde  Schwester  um  ihren  An- 
teil ^).  Nach  anderer  Ueberlieferung  sind  beide  guten  Jung- 
frauen blind,  und  werden  von  der  bösen  nächtlichen  betro- 
gen, noch  andere  variieren  dahin,  dass  nur  eine  blinde 
Schwester  von  den  zwei  andern  einer  ganz  schwarzen  und 
einer  halb  schwarzen  um  ihr  Erbteil  verkürzt  werden.  Da 
wir  gesehen  haben  wie  die  Beojriffe  der  dunkeln  Nacht 
und  der  schwarzen  Gewitterwolke  ineinander  über- 
gehen, s.  oben  S.  578.  586,  so  dürfte  die  folgende  Deutung 
dieser  Sage  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben.  Die  Göt- 
tin der  dunkeln  Wolke,  wie  der  dunkeln  Nacht  raubt  den 
Frauen  des  Tages  ihren  Schatz,  das  Sonnengold  ^^j.  Die 
Drei  zahl  der  Schwestern  sowol,  als  die  aus  der  Natur- 
grundlage nicht  erklärliche  Blindheit  der  weifsen  sowie 
der  Tod  der  ältesten  Jungfrau  sagt  uns,  dass  auch  in 
diese  Sage  schon  ethische  Gedanken  hineingetragen  sind. 
Vermute  ich  recht,  so  deutete  man  in  jüngerer  Zeit  die 
alte  physische  Mythe  etwa  in  folgender  Weise.  Die  Zu- 
kunft  betriin;t    Gegenwart   und  Verganorenheit  ihre  Schwe- 


1)  Panzer  a.  a.  0.   I.  No.  4.    IG.   34.  47.  49.   77.   110   u.  s.  w. 

2)  Kuhn  giebt  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  III,  452  eine  andere  Erklä- 
rung „die  Kacht  verliert  ihr  Erbe,  das  Licht  des  folgenden  Tages  an  den 
kommenden."  Seiner  Deutung  steht  aber  entgegen,  dass  nur  einmal  unter 
sehr  vielen  Varianten  die  Betrügerin  ein  weifses  Gewand  trägt.  Ue- 
berhaupt  geht  er  von  der  unrichtigen  Voraussetzung  aus,  dass  die  Schick- 
salsgöttinnen von  der  Morgenröte  ausgegangen  seien.  Er  stützt  sich  dabei 
auf  einige  Sagen  in  Panzers  Sammlung,  welche  die  enge  Verbindung  der  drei 
Schicksalsschwestern  mit  der  Göttin  Ustara  zeigen  sollen.  Selbst,  wenn  wirk- 
lich Spuren  von  Ostaraglauben  darin  enthalten  sein  möchten  —  was  über- 
aus unsicher  aber  an  sich  nicht  unwahrscheinlich  ist,  da  die  Gottheiten  der 
Wolke  mit  der  des  Lichtes  sich  beiühren  s.  S.  37  fgg.  564,  so  ist  das  doch 
noch  ganz  etwas  anderes,  als  wenn  Ostara  die  Grundgestalt  der  drei  Schwe- 
stern wäre.  Von  den  von  Panzer  S.  280  §.10  als  Beleg  beigebrachten  sechs 
Sagen  sind  Xo.  53  und  145  als  mythisch  ganz  beziehungslos  zu  streichen. 
Aus  den  Angaben  der  übrigen,  dass  in  der  Asterstube  Wichtein  wohnten  Xo. 
139;  dass  in  der  Osterharde  ein  Schloss  Namens  Frauenberg  versunken 
sei  No.  70;  dass  auf  der  Spitze  des  Heslasberges ,  auf  dem  drei  Jungfrauen 
eine  schwarze  und  zwei  weifse  erscheinen,  eine  Osterwiese  liegt  No.  162; 
dass  endlich  auf  der  Osterburg  drei  Jungfrauen  gesehen  werden,  von  denen 
die  Sage  sonst  nichts  zu  melden  weifs,  lässt  sich  Kuhns  Folgerung  keines- 
wegs rechtfertigen. 


651 

Stern  um  den  Schatz  (ihrer  Leistungen,  Satzungen,  Erfin- 
dungen). Diese  sind  blind  über  sich  selbst.  Die  Gegen- 
wart wähnt  noch  zu  sein,  siehe  da  steht  schon  die  dunkele 
Zukunft,  um  sie  zu  verkürzen.  Nach  mehreren  Varianten 
ist  die  Vergangenheit  schon  tot,  und  die  böse  beraubt  nur 
noch  die  übrige  Schwester  die  Gegenwart.  Bei  meiner 
Deutung  ist  freilich  vorausgesetzt,  was  erst  strenger  als 
oben  S.  646  zu  beweisen  wäre,  dass  auch  bei  den  bairi- 
schen  drei  Schicksalsjungfrauen  schon  der  allgemeingerma- 
nische Gedanke  an  die  dreigeteilte  Zeit  Platz  gegriffen 
habe  %\ 

Wir  kehren  zu  anderen  Aeufserungen  der  physischen 
Natur  unserer  Schwesterdreiheit  zurück. 

Der  sicherste  Beweis  dafür,  dass  unsere  drei  Schicksals- 
schwestern Wasserfrauen  sind,  liegt  in  ihrem  Gespinnst.  Die 
drei  verwunschenen  Fräuleins  auf  dem  Hargenstein  spann- 
ten ein  Seil  vom  Hargenstein  bis  zu  dem  etwa  eine 
halbe  Stunde  entfernten  Ehrenberg.  Auf  dem  Seile  hin- 
gen sie  weifse  Tücher  auf.  Sahen  die  Leute  das 
Seil  mit  den  weifsen  Tüchern,  so  sagten  sie,  es 
icird  gutes  Wetter^  die  Fräulein  hängen  die  Wäsche  auf-). 
Vergl.  oben  S.  642  Anm.  L  Zwei  weifse  und  eine  halb 
schwarze  Jungfrau  wohnten  auf  dem  Rachelberg.  Bei  der 
Nacht  sahen  die  Leute  daselbst  oft  die  von  ihnen  in  der 
Laube  auf  Seilen  aufgehängte  Wäsche'').  Auf  den 
Ehrenberg  bei  Porchheim  hatten  drei  schöne  Fräulein  ihr 
Schloss  und  die  Gabe  ihre  Wäsche   nur  in  die  Höhe 


1)  In  der  Zeitschr.  des  Yereins  f.  hess.  Landeskunde  1850  B.  V.  S.  369 
— 375  findet  sich  ein  Aufsatz  von  Rulil  „Saba,  Trenta  und  Thesa,  die  drei 
altnordischen  Nomen,"  worin  aus  der  Sage,  dasis  Saba,  Trenta  und  Thesa, 
drei  Riesenjungfrauen  einsam  für  sich  jede  einen  Berg  bewohnten  und  Grün- 
derinnen der  Sababurg,  Desenburg  und  Trcndelburg  wurden,  ein  Mythus  von 
den  Schicksalsgöttinncn  leichtsinnig  gefolgert  wird.  Kach  den  später  von 
Lyncker,  Hessische  Sagen  No.  53  — 59.  209.  250.  251.  211.212  beigebrach- 
ten weiteren  Sagen,  in  denen  namentlich  eine  der  Jungfrauen  als  blind  er- 
scheint, scheint  indessen  allerdings  ein  Rest  unserer  Mythen  von  den  3  Jung- 
frauen hier  vorzuliegen.     Die  Sache  wäre  weiterer  Untersuchnng  wert. 

2)  Panzer  I.  No.  1. 

3)  Panzer  I.  No.  21.  S.  18.  Vgl.  Zs.  f.  D.  Myth.  II.  345,  33  eine  über- 
einstimmende Sage  aus  Tirol;  a.  d.  Schweiz Rocholz,Aaigaus.  I. S.  151.No.  128.5. 


652 

zu  werfen,  so  blieb  sie  in  der  Luft  hängen.  Eine 
war  schade}ifroh.     Da  verloren  sie  die  Gabe  '). 

Derselbe  Zug  findet  sich  nun  auch  in  der  Sage  der 
anderen  aus  den  Wasserfranen  hervorgegangenen  Göttinnen 
deutscher  Mythologie,  z.  B.  bei  den  schatzhütenden  Frauen, 
Berge  und  den  Nixen.  Im  verwünschten  Schloss  zu  Göt- 
zintren  finden  sich  neben  anderen  Schätzen  auch  Kisten 
und  Kasten  mit  o;esticktem  Weifszeusr.  Ein  Handwerks- 
bursch  sah  weifsgekleidete  Frauen,  die  goldgewirkte 
Wäsche  zum  Trocknen  aufhingen  ^).  Die  Nixen  trocknen 
auf  den  Saal  weiden  bei  heiterem  Wetter  ihre  Wäsche^). 
Ebenso  breitet  die  schwedische  Meerfrau  ihre  Gewänder 
über  die  Büsche  *).  In  mehreren  Sagen  und  Legenden  ^) 
ist  dieses  Aufhängen  der  Wäsche  so  ausgedrückt,  dass  gei- 
sterhafte Wesen  oder  Heilige  Zeuge  und  Kleider  nur 
in  die  Luft  zu  werfen  brauchen,  so  bleiben  sie  an 
den  Sonnenstrahlen  hängen. 

Das  goldgewirkte  Gewebe^  welches  frei  in  der  Luft 
schwebt,  an  Sonnenstrahlen  hängt  und  gutes  Wetter  ver- 
kündigt, kann  nichts  anderes  als  die  sonnendurchleuch- 
tete, oder  lichtumsäumte  Wolke  bedeuten.  Es  steht 
allen  ehemaligen  Wasserfrauen  und  Wolkengeistern  zu,  bei 
den  Schicksalsgöttinnen  sind  nur  ethische  Ideen  daran  ge- 
knüpft, die  bei  den  andern  Wesen  unserer  Mythologie  nicht 
daran  haften. 

Statt  der  aufgehängten  Wäsche  tritt  in  unsern  Sagen 
häufig  ein  Seil  ein,  das  die  drei  Schwestern  von  ei- 
nem Felsen  zum  andern  spannen.  In  mehreren  Va- 
rianten  wird   für  dieses    Seil   eine  lederne  Brücke  ge- 


il Panzer  I.  Xo.  157.  S.  129. 

2)  Baader,  Badiscbe  Sagen  Xo.  225,   218. 

3)  Sommer,  Sagen  aus  Sachsen  und  Thüringen  No.  34  S.  39.  Gleicher- 
weise waschen  und  trocknen  die  vom  wilden  Jäger  gejagten  wilden  Weiber 
ihr  Zeug.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  33.  Vergl.  Rocholz,  Aargausagen  I.  Xo. 
115.  128,  wo  der  Zug  sich  wiederholt,  dass  die  Wäsche  geschieht,  so  oft 
schlechtes  Wetter  kommt. 

4)  Püttmann,  Xordische  Elfenmärchen  S.  147. 

5)  z.  B.  Wolf,  Xiederländische  Sagen  Ko.  336.  Wolf,  Deutsche  Sagen 
Xo.   278. 


653  __ 

nannt,  welche  zwei  Berge  miteinander  verbindet.  Augen- 
scheinlich liegt  auch  hier  die  Vorstellung  eines  Wolken- 
zuges zu  Grunde,  der  zwischen  zwei  Bergkuppen  zu  hängen 
scheint.  Wir  sehen  hier  deutlich  die  Entstehung  des  Glau- 
bens, dass  die  Schicksalsgöttinnen  am  Himmel  ein  Seil 
ausspannen,  an  welches  das  Geschick  des  Menschenlebens 
geknüpft  ist.     Vergl.  oben  S.  554,  5. 

Einige  Male  wird  erwähnt,  dass  die  drei  Frauen  ihre 
Wäsche  im  Brunnen  waschen^).  Hiezu  vergl.  fol- 
gende  Sage.  Den  Wäscherinnen  im  Waschbach  zu  Ober- 
bronn gesellte  sich  Abends  eine  weifsgekleidete  Frau  zu, 
die  Niemanden  anblickt  noch  anredet,  sich  still  an  einer 
entfernten  Stelle  niederlässt,  und  Plemden  wäscht.  Es 
ist  der  Glaube  verbreitet,  dass  dies  Totenhemden  seien  und 
jedesmal  ein  Glied  aus  der  Familie  der  anwesenden  Wä- 
scherinnen sterben  müsse-). 

Da  auch  dieser  Zug,  insoweit  ihm  keine  ethische  Be- 
deutung beigelegt  wird,  den  drei  Schicksalsfrauen  mit  den 
andern  Wasserfrauen  gemein  ist,  so  ist  nicht  auszumachen, 
ob  auf  jene  oder  diese  in  ihrer  Gesammtheit  die  folgenden 
Superstitionen  zu  beziehen  sind.  Wenn  die  (sc.  himmli- 
schen) Weiber  oder  Mägde  Säcke  waschen,  regnets  bald  ^). 
Kegnets  Vormittag,  so  wird  Nachmittag  noch  besser  Wet- 
ter, wenn  die  Spitalweiber  sich  ausgeräuspert  *).  Wenn  die 
Spitalweiber  aufstehn,  wirds  gut  Wetter  ^).    Hieher  gehört 


1)  z.  B.  Panzer  I.  No.  52,  S.  40. 

2)  Stöber,  Sagen  des  Elsasses  No.  261,  S.  331.  Vergl.  oben  S.  250, 
Anm.  5,  dass  der  Jlarienkäfer  =  Mär  1  anders  d.  i.  landress,  franz.  lavan- 
diere  Wäscherin  heifst. 

3)  Mytb.»   LXXV,   185.     Pommerellen  mündl. 

4)  Myth. '  C'I,  826.  Ilicmit  hängt  auch  zusammen,  dass  nacli  dem 
Aberglauben  Maria  beim  Regen  ihren  Schleier,  St.  Verena  (Rocholz,  Aar- 
gausag.  I.  S.  14)  ihren  Rock  wäscht,  worauf  gutes  Wetter  in  Aussicht  steht. 
Sie  müssen,  heilst  es,  am  Sonnabend  oder  am  Nachmittag  Schleier  und  Rock 
trocknen. 

5 )  Pommerellen  mündlich.  Auf  blofsem  Vergleicli  freundlichen  Gesichts 
mit  heiterem  Wetter  beruht  der  Glaube:  Wemi  die  Weiber  Wäsche  wasclien 
wollen,  muss  alles  im  Hause  freundlich  aussehen,  so  bekommt  man  gut  AVet- 
ter. Myth.'  CLVIII,  1092.  Wenn  alle  Weiber  mit  freundlichem  Gesicht 
aufstehen,  haben  die  Leute  gut  Waschen.     Ponnnerellen. 


_  654 

denn  auch  der  Volksglaube,  wenn  es  schneit  und  die  Flok- 
ken  herunterfliegen  „schüddet  de  aule  wiwer  den  pels  ut"  '). 
Besonders  gilt  dies  vom  Februarschnee  „de  allen  wywer 
schüt  de  schüärten"  oder  bedden,"-)  geradeso  wie 
sonst  von  Frau  Holle,  den  Engeln  (Eiben)  oder  St,  Peter 
sacrt,  dass  sie  als  Wolkenwesen  beim  Schneefall  Federn  und 
Dunen  pflücken,  das  Bett  auswettern  ^).  Daher  heilst  der 
Februar  wywermont  oder  alle  wywerraont.  Durch 
diese  abergläubischen  Meinungen  wird  der  Sinn  der  Wä- 
sche klar.  Die  Wasserfrauen,  zu  denen  unsere  Schick- 
salsjungfrauen zählen,  sind  als  Wolkengöttinnen  auch  des 
Befrens  und  darnach  des  Schnees  gewaltig.  Wenn  es  reg- 
net, waschen  sie  ihr  Zeug,  die  dunkle  Gewitterwolke,  wie- 
der weifs  *). 

Nehmen  wir  hinzu,  dass  der  Volksglaube  dieser  Sym- 
bole sich  teilweise  noch  bewusst  ist  (so  sagt  man  in  Süd- 
deutschland ,,  so  Avollte  ich  ja  lieber  mit  den  Hexen  auf 
dem  Schwarzwald  Nebel  spinnen^),  so  wird  gegen  un- 
sere Auffassung  nichts  zu  erinnern  sein.  Ein  wichtiger 
Beweis  liegt  in  der  folgenden  Sage:  Zwei  Schwestern  (die 
dritte  ist  hier  nur  ausgelassen)  besitzen  einen  grofsen  Schatz. 
Eine  ist  blind  und  wird  von  der  andern   um    den  Schatz 


1)  Strodtmann  Osnabrück.     Idiotie.   336. 

2)  Woeste,  Zeitschr.  f.  D.  Myth.   I,   388. 

3)  MüUenhoff,   Sagen  Xo.  601   S.  583. 

4)  Vergl.  oben  S.  431,  Anm.  1.  Ganz  anders  ist  die  Wäsche  in  folgen- 
der Sage.  Ein  gottloser  Müller  bei  Eutin  war  gestorben.  Nachts  ritt  der 
Baueruvogt  bei  der  Aue  (dem  Bach)  vorbei,  da  hörte  er  noch  Zeug  klopfen, 
konnte  aber  wegen  der  Dunkelheit  2siemand  sehen.  Er  rief  „was  wascht 
ihr  hier  noch  so  spät?"  Da  antwortete  es  ihm  „wir  waschen  dem  Müller 
den  Staub  aus  der  Seele.''  Das  ist  recht  schön,  sagte  der  Bauemvogt, 
wenn  die  Lauge  nur  gut  ist.  „Willst  du  sie  mal  proben?"  rief  es  und  man 
goss  ihm  etwas  aufs  Pferd.  Am  andern  Morgen  war  diesem  Haut  und  Haar 
abgebrannt.  S.  Müllenhoff,  Sagen  No.  207  S.  152.  Finnen.  I,  44.  Zu  ver- 
gleichen steht  vielleicht  die  von  Wolf,  Beiträge  II,  186  unrichtig  beurteilte 
Stelle  aus  Gotfrieds  Tristan  (vergl.  Myth.-  387.  Simrock,  Handbuch  385), 
-wo  von  Blicker  von  Steinachs  reinem  Sinn  gesagt  wird,  dass  ihn  Feen  ge- 
sponnen und  in  ihrem  Brunnen  geläutert  und  gereinigt  haben.  Gehen  diese 
TJeberlieferungen  auf  alte  mythische  Vorstellungen  zurück,  so  liegt  in  ihnen 
ein  Zeugnis  für  die  Erneuerung  der  Seele  im  Jungbrunnen  s.  oben 
S.   273. 

5)  Wolf,  Beiträge  II,   31). 


655 

betrogen.  Die  blinde  kommt  in  den  Himmel,  die  böse 
wohnt  in  einer  Hole  zn  Waldkircben  in  Niederbaiern. 
Dort  sitzt  Liicifer  mit  einer  Kette  angebunden  und  be- 
wacht den  Schatz;  so  lange  dieser  nicht  gehoben  ist  hat 
Lucifer  die  Jungfrau  in  seiner  Gewalt^).  Wir  se- 
hen hier  deuthch,  die  betrügende  Schwester  ist  die  dun- 
kele nächtige  Gewitterwolke,  die  vom  Dämon  (Ahi- 
Agi)  sammt  dem  Schatze  bewacht  wird;  wenn  der  Schatz, 
das  Sonnengold,  einst  gehoben,  befreit  ist,  ist  auch  die 
schwarze  Jungfrau  aus  des  Bösen  Gewalt.  Bei  Grimm, 
D.  Sagen  No.  9  kehrt  diese  Sage  wieder.  In  der  schatz- 
bergenden Hole  ist  der  Teufel  bei  drei  Jungfrauen  unter 
den  Tisch  festgebunden. 

Wir  dürfen  uns  nach  den  vorausgehenden  Untersu- 
chungen durchaus  nicht  wundern,  wenn  wir  die  drei  Schwe- 
stern, von  denen  eine  schwarz  ist  neben  zwei  weifsen,  auch 
in  solchen  Sagen  auftreten  sehen,  welche  ganz  den  Cha- 
rakter der  Nixen  tragen.  Nach  Panzer  No.  208  tanzen 
sie  auf  Hochzeiten;  einmal  bleiben  sie  zu  lange  aus,  und 
als  sie  in  den  See  zurückkehren,  quillt  alsbald  ein  Blut- 
strahl aus  der  Tiefe  herauf  Die  Nixen  sind  eben  auch  nur 
aus  dem  himmlischen  Gewässer  in  das  irdische  herabge- 
sunkene Wolkenwesen;  die  Sage  von  unsern  drei  Schick- 
salsjungfrauen musste  mithin  (wegen  der  physischen  Grund- 
lage) unmerklich  in  die  verwandte  Nixensage  übergehen, 
und  aus  demselben  Grunde  finden  wir  sie  ebenfalls  mehr- 
fach mit  andern  Eiben,  zumal  den  Wichtein  verwechselt. 

Zu  einem  neuen  Zeugnis,  dass  ihrer  Grundnatur  nach 
die  drei  Schicksalsjimgfrauen  mit  den  andern  Wasserfrauen 
identisch  waren  und  aus  diesen  durch  Differenzierung  her- 
vorgegangen sind,  dienen  folgende  Lieder: 


1)  Panzer,  Beitr.  II.  No.  79  S.  56.  s.  oben  S.  87.  Bemerkenswert  ist, 
dass  der  christliche  Name  Lucifer  fiir  den  heidnischen  Dämon  hier  einge- 
drungen. Der  Teufel  heifst  Lucifer  als  gcfuUner  Engel,  indem  man  auf  ihn 
das  biblische  Wort  bezog  „Wie  bist  du  doch  vom  Himmel  gefallen  du  schö- 
ner Morgenstern." 


_^    656 

1. 

Nimm  hiu  das. 

Was  ist  das? 

Ein  schöner  Einer. 

Was  steht  darin  o-eschrieben? 

Drei  schöne  Jungfrauen. 

Die  erste  heifst  Pinka, 

Die  zweite  Knoblapinka, 

Die  dritte  Sesiknikknakknoblapinka. 

Da  nahm  Pinka  einen  Stein 

Und  warf  Sesiknikknakknoblapinka  an  das  Bein; 

Da  fing  Sesiknikknakknoblapinka  an  zu  Schrein  '). 

2. 

Hier  hast  du  den  Schlüssel  zum  Garten, 

Worin  drei  Jungfrauen  warten. 

Die  erste  heifst  Binka, 

Die  zweite  heifst  Bibiabinka, 

Die  dritte  heifst  S in gkningknangknabiab ab ia bibia- 
binka. 

Da  nahm  Binka  einen  Stein 

Und  warf  Bibiabinka  ans  rechte  Bein, 

So  dass  Singkningknangknabiababiabibiabinka  fing  ent- 
setzlich an  zu  Schrein  ^). 

3. 
Hier  ist  der  Schlüssel  zum  Garten, 
Worin  die  drei  Jungfrauen  warten. 
Die  erste  heifst  Benka, 
Die  zweite  Bibiabenka, 

Die  dritte  Zezeknikknakknabiababiabibiabenka. 
Da  nahm  Benka  den  Stein 


1)  Pommerellen.  Zeitschr.  f.  D.  Mrth.  I,  110  von  Wolf  nach  meinen 
CoUectaneen  mitgeteilt.  Hier  ist  aber  irrtümlich  Schicknicknacknoblapinka 
gelesen.  Daraus  in  der  verderbten  Lesung  übergegangen  in  Simrocks  KB.^ 
282,   990. 

2)  Bredebroe  in  Xordschleswig.     Mündl. 


657 

Und  warf  Bibiabenka  ans  Bein, 

Da  sprach  Zezeknikknakknabiababiabibiabenka  „lass  das 

sein!"^. 

4. 
Tag  detta! 
Hvad  er  det? 

Den  första  Jungfrun  hette  Bibeli-binke 
Den  andre  Viger  i  Vinke. 
Jungfru  Vinke  tog  up  eu  sten, 
slosc  tili  Bibelibinkes  ben. 
Fru  Sole  satt  pä  bara  sten 
och  spann  pä  sin  forgyllande  ten, 
tre  timmar  förran  solen  rann  upp  ^). 

5. 
Es  schwammen  drei  Enten  über  den  Rhein, 
Die  hatten  drei  goldene  Schnäbelein. 
Die  eine  hiefs  Klira, 
Die  andere  Klara, 
Die  dritte  hiefs  Klunk. 
Da  nahm  Klira  einen  Stein 
Und  warf  Klara  an  das  Bein. 
Da  weinte  Klira  Klara  Klunk 
Sieben  Tag'  und  eine  Stund '). 

6. 
Det  var  tre  stenar  i  en  ask 
Den  ene  heter  Lunta, 
Den  andra  heter  Klunta, 
Den  tredje  heter  Kafveli'Liunta. 

1)  Oldenburg,  Thöle  und  Strakerjan,  Kinderleben  S.  67. 

2)  Dieses  Lied  wird  bei  Gelegenheit  eines  Spiels  gesungen,  das  „fru 
Soletopp"  heifst.  Der  Spielordner  geht  im  Kreise  umher  und  stellt  sich 
an,  als  gebe  er  einem  der  Mitspielenden  etwas  in  die  Hand.  Aas  Smäland 
und  Oeland.  Arvidson,  Svenska  fornsängor  III,  389.  Nimm  hin  das?  Was 
ist  das?  Die  eine  Jungfrau  heifst  Bibelibinke,  die  andre  Viger  i  Vinke. 
Jungfrau  Vinke  nahm  'nen  Stein  und  warf  ihn  nach  Bibelibinkes  Bein.  Frau 
Sonne  safs  auf  kahlem  Fels  und  spann  auf  ihrem  vergoldenden  Rocken,  drei 
Stunden  bevor  die  Sonne  aufging. 

3)  Gönningen  auf  der  Schwäbischen  Alb  unweit  Reutlingen  mlindl. 

42 


658 

Lunta  Klunta  tog  en  sten, 

Slog  pä  Kafveli-Luntas  ben. 

Star  Lunta, 

Star  Klunta, 

Star  Kafveli-Luntas  ben^). 

7. 
Det  kom  en  jungfru  tili  en  fru  med  en  ask 
sä  sa'  hon  „Hari  ligga  tre  jungfrur. " 
Den  ene  heter  Skral, 
den  andra  heter  Skaleral, 
den  tredje  heter  Skaleraldiskral  ^). 


Karen  er  Mären  jat  tög  om  en  röp; 

Karen  wild  en  bridman  ha,  en  Maren  wild  6k; 

Karen  nöm  en  stin 

en  smet  Mären  aur  bin: 

„uha  min  bin,  hud  blef  de  stin?" 

de  stin,  de  set  ön  Maren  hör  bin '). 

9. 
Karen  an  Mären 
lep  trinj  a  särn, 
an  trinj  am  a  runk. 
Karen  wul  a  man  ha 
an  Maren  uk 
do  näm  Karen  an  stian 
an  smed  Mären  üüb-t  bian 
an  do  hed  Karen  a  man  allian  *). 


1)  Upland  aus  der  ungedruckten  Sammlung  von  Hylten- Cavallius  und 
Stephens.  Hier  ist  ask  in  der  Bedeutung  Gefäfs  genommen,  offenbar  aber 
ist  in  No.  6  und   7  ursprünglich  ask  Esche  gemeint. 

2)  Södermannland ;  ebendaher. 

3)  Nordfriesland.     MüllenhofF,  Schleswigholst.  Sagen  501,  4. 

4)  Friesisch.     Mecklenburg  bei  Haupt,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VIII,  372. 


659 

10. 
Ich  ging  einmal  nach  Buschlabe 
Da  kam  ich  an  ein  Mühlenhaus, 
Da  schauten  drei  alte  Hexen  heraus. 
Die  erste  sprach:  komm  iss  mit  mir, 
Die  zweite  sprach:  komm  trink  mit  mir. 
Die  dritte  nahm  nen  Mühlenstein 
Und  warf  ihn  an  mein  linkes  Bein. 
Da  schrie  ich  laut:  „o  weh,  o  weh! 
Ich  geh'  nicht  mehr  nach  Buschlabe!  ')." 

11. 

1,2,3, 

Bicke  backe  bei, 

Bicke  backe  Haberstroh. 

Es  wurden  einmal  drei  Kinder  geborn; 

Die  safsen  an  einem  Tische. 

Eine  liefs  mich  mitessen. 

Die  andre  schluff  mir  auf  die  Fresse. 

Die  dritte  nahm  nen  Ziegelstein 

Und  warf  ihn  an  mein  Hinterbein. 

Da  nahm  ich  meine  Lampe 

Und  lief  die  Treppe  runter. 

Als  ich  dann  nach  Hause  kam, 

Legt  ich  mich  auf  die  Ofenbank  u.  s.  w.  ^). 

12. 

Petrus  schloss  den  Himmel  auf. 
Warf  'nen  Korb  mit  Semmeln  raus. 
Sagt'  ich:  gieb  mir  eine. 
Gab  er  mir  gar  keine. 
Sagt'  ich:  gieb  mir  zweie. 
Gab  er  mir  nur  eine  u.  s.  w. 
Sagt'  ich:  gieb  mir  zebne. 

1)  Bergstrafse.     Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,   110.     Ingenheini  mündl. 

2)  Leipzig  d.   Dr.   Hildebrand. 

42* 


660 

Führt  er  mich  nach  Jene. 

Kam  ich  an  ein  grofses  Haus, 

Da  guckten  drei  alte  Hexen  heraus. 

Die  erste  sprach:  iss  mit  mir, 

Die  zweite  sprach:  trink  mit  mir, 

Die  dritte  nahm  'nen  Mühlenstein, 

Warf  ihn  wieder  mein  böses  Bein. 

O  weh!  o  weh!  o  weh! 

Mag  nicht  wieder  nach  Jene  gehn  '). 

13. 

Hinter  meiner  Mutter  Stubentür 

Steht  ein  alter  Birnbaum  (Var. :  Kirschbaum) 

Darauf  sitzen  drei  alte  Jungfern  (Var.:  Weiber). 

Die  erste  hiefs  Jungfer  Perlalinz  (Var.:  Perlaminz), 

Die  zweite  Jungfer  Perlapliuz, 

Die  dritte  Jungfer  Perlapuff. 

Da  fiel  Jungfer  PerlapufF 

Von  dem  Baum  und  stiefs  sich  die  Hüft. 

Da  sprach  Jungfer  Perlalinz 

Zu  Jungfer  Perlaplinz: 

„Komm  lass  uns  gehn  und  holen 

Bast  von  der  Lindeu, 

Dass  wir  Jungfer  Perlapuff 

Das  linke  Bein  verbinden^)." 
Betrachten  wir  diese  Lieder  näher,  so  zeigt  sich,  dass 
]s^o.  10 — 12  auf  Wesen  von  der  Art  der  witten  wiwer 
sich  beziehen,  zu  deren  Charakteristik  ich  die  folgende 
Sage  mitteile.  Bei  den  Hünebetten  in  der  Gegend  von 
Vfapservaen  in  Drenthe  safsen  alte  Weibchen  mit  Platt- 
füfsen  bei  goldenen  Spinnrädern,  sie  zu  beleidigen 
war  gefährlich.  Ein  Knecht  neckte  sie  dennoch.  Er  ritt 
zu  Pferde  an  ihren  Hügel  und  rief: 

Old  wiQen  plattfoet 
komstoe  mar  oet, 
as  't  kwaad  dut! 


1)  Weimar  d.  Reinhold  Köhler. 

2)  Pommerellen  müDcil. 


661 

Die  Weibchen  warfen  ihm  mit  grünen  Knochen 
nach.  Ein  Knochen  traf  des  Pferdes  Fufs,  da  lahmte  es 
zeitlebens ').  Andere  weifse  Frauen  die  geneckt  wurden, 
warfen  dem  Friedensstörer  ihr  Handbeil  nach-). 
Knochen  und  Beil  sind  Gestalten  des  Blitzes,  den  die  wei- 
fsen  Frauen  als  Gemahlinnen  des  Dämons  (Däsapatnis) 
auf  den  in  den  Wolkenberg  eindringenden  Befreier  schleu- 
dern ^),  den  sie  am  Fufs  verwunden  ^).  Die  Einladung  zum 
Essen  und  Trinken  ist  ein  sehr  gewöhnlicher  Zug  in  den 
Sagen  von  den  weifsen  Frauen  und  Eiben,  meist  so  ge- 
wandt, dass  eine  weifse  Jungfrau,  die  Elfentochter  u.  s.  w. 
aus  dem  Berge  hervortretend  dem  vorbeireitenden  Helden 
ein  Hörn  mit  Met  reicht  ^) ;  die  Wasserfrau  spendet  ihrem 
Befreier  den  Trank  des  Himmelsgewässers ''). 

Dieselben  Wesen  könnten  nun  auch  in  No.  1 — 7  ge- 
meint sein,  nur  mit  anderer  Wendung  des  Mythus.  Die 
Wasserfrau  der  einen  Wolke  schleudert  gegen  die  der  an- 
deren den  Blitz,  wie  die  Sage  Riesen  kennt,  welche  sich 
gegenseitig  ihre  Beile  in  den  Fufs  werfen  ').  Diese  Stufe 
der  Mythenentwickelung  stellen  No.  8.  9  dar.  Allein  in 
jenen  Liedern  lässt  die  Aufführung  bestimmter  Namen  schon 
erkennen,  dass  drei  aus  der  Schar  der  Wasserfrauen  nam- 
haft und  j)ersönlich  hervorgetretene  Gestalten  gemeint  sind. 
Ich  stehe  nicht  an,  die  Schicksalsgöttinnen  darin  wieder- 
zufinden. In  den  angegebenen  Namen  tritt  uns  zunächst 
Pinka,  Binka,  Benka,  Binke  oder  Vinke  bedeutsam 
entgegen.  Dieses  Wort  stammt  von  einem  verlorenen  Ver- 
bum,  das  J,  Grimm  WB.  I,  1471  aufstellt,  BINGA,  BANG, 
BUNGUN,  wovon  altn.  bänga,  engl,  bang,  Schweiz,  ban- 


1)  Wolf,  D.  Märchen  und  Sagen  No.  472,  S.  581. 

2)  Wolf  a.  a.  0.  221  S.  326. 

3)  S.  oben  S.  179.    180,  vorzüglich  Zeitschr.   f.  D.  Myth.  III,  105.  106. 

4)  Vergl.  den  hinkenden  Hephästos,  den  am  Fufs  getroftenen  Erlöser  des 
Schatzes  oben  S.  153.     Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,   384.  387. 

5)  S.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  471,  Anm.   33. 
G)  Vergl.  oben  S.  565. 

7J  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,   105.   106. 


662 

gen  ^),  tundere,  pulsare,  percutere,  sich  herleiten.  In  man- 
chen Formen  dieses  Stammes  tritt  im  Anlaut  p,  im  Inlaut 
k  ein,  z.  B.  in  dän.  banke  pulsare,  =  altn.  bänga;  bair. 
punken  stofsen,  dreschen-),  neben  Schweiz,  punggen  mit 
Füfsen  stofsen  ^),  ferner  in  pinkeln  mingere  (eigentlich  hu- 
mum aqua  ferire  •*)  neben  binken,  bingeln,  binkeln  ^)  — 
bangein ,  pangeln  und  bankein  pertractare ,  contrectare "). 
Pentschen  oder  pinken  heifst  ein  Spiel,  in  welchem  Blech- 
stückchen gegen  die  Mauer  geworfen,  geschlagen  werden, 
wobei  die  Weite  des  Abspringens  den  Mafsstab  des  Sie- 
ges abgiebt '').  Binkebank  oder  Pinkepank  ist  ein  Schall- 
wort, den  Stofs  vorzüglich  des  Hammers  auf  den  Ambofs 
nachahmend.  Hiezu  stellt  Grimm  bingeln  mit  kleinen 
Glocken  läuten,  mit  dem  Klöpfel  gegen  das  Erz  schla- 
gen und  verbindet  damit  Bunge  Trommel,  bair.  punken, 
pauken.  Mhd.  nhd.  Bunkel  Schlag  ^),  Stofs;  bair.  PünkeP) 
hervorragender  Teil,  bauschige  Masse,  wol  ursprünglich 
durch  Schlagen  entstandene  Beule,  wie  bair.  Pinken  die 
Blatternarbe.  Aus  dem  angeführten  Wortvorrat  ")  erhellt, 
dass  Binka,  Pinka  die  Schlagende,  Stofsende  bedeuten 
rauss;  es  kann  schwerlich  zweifelhaft  sein,  dass  hier  sto- 
fsen in  der  abgeleiteten  Bedeutuno;  von  töten  zu  nehmen 
ist.  J.  Grimm  vermutet  WB.  I,  1104  Verwandschaft  un- 
seres BINGEN  mit  Wurzel  BAN  ferire,  pulsare,  percu- 
tere, woraus  goth.  banja  vulnus,  ags.  benn,  altn.  ben  vul- 
nus,  ahd.  pano  percussor,  interfector,  altn.  bani,  ags.  bana, 

1)  Stalder  I,   130.     Dazu  gehört  Bengel  fustis. 
2}   Schmeller,  Bair.  WB.  I,   287. 

3)  Stalder  I,   242. 

4)  Hennig,   Preufsisches  "WB.   187. 

5)  S.   Grimm,  DWB.   II,   35   s.  v.  benken. 

6)  Grimm  a.  a.  0.  I,  1104.  S.  noch  mhd.  pinken  Funken  schlagen, 
ndd.   ,,für  anpinken"'  vergl.   Grimm  a.  a.  0.  I,   420. 

7)  Ob  damit  ein  gewisses  Glücksspiel  Pinkewink,  Binklebank,  Pinke- 
bank, das  Weigand,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  VI,  485  erwähnt,  weifs  ich  nicht. 
Im  Allgäuer  Passionsspiel  heifst  ein  Teufel  Binkenbank.     Myth.^    1017. 

8)  Neidhart,  Beneke  Beitr.   S.  402.     DWB.   II.   525. 

9)  Schm.  I,   387. 

10)  Schwerlich  darf  zur  Erklärung  unseres  Namens  der  Pinea  optima« 
regis  in  den  Urkunden  Aethelberhts  von  Kent  a.  605  (Kemble  I.  S.  4.  6 
u.  s.  w.)  angezogen  werden. 


663 

fries.  bona,  altn.  bani  occisor  entspringen.  Die  deutsche 
Wurzel  BAN  stimmt  zu  griech.  (pLN  in  cpovog  und  die- 
ses wird  entweder  zu  skr.  van  aus  bhan  ferire  gezogen^) 
oder  mit  han,  dhan  occidere  griech.  ß-svelv  ferire,  pulsare  -) 
zusammengestellt.  B  i  n  k  a  die  Tötende  entspricht  dem  Sinne 
nach  genau  dem  Worte  nörn. 

Das  Wort  Babia,  Bibia  widersteht  jeder  anderen  Deu- 
tung als  aus  mhd.  habe,  nhd.  habe  (slav.  baba,  litt,  boba) 
anus,  avia,  mater  ^) ,  einem  Worte  das  möglicherweise  aus 
slavischer  Sprache  herübergeholt,  sehr  früh  in  Deutschland 
aufgenommen  und  namentlich  in  den  oberdeutschen  Dia- 
lecten  weit  verbreitet  ist.  Babiabinka  oder  das  abgfelautete 
Bibiabinka  sagt  also  „Moera  avia"  aus  und  „Sesikuikknak- 
babiabibiabinka  scheint  diesen  Begriff  noch  in  verstärktem 
Mafse  ausdrücken  zu  sollen  „parca  vetustissima,"  Zu  be- 
merken ist,  dass  wir  oben  S.  464  bereits  ein  Wesen 
Biebe  Biebele  kennen  lernten,  dass  dem  von  Baba, 
Biba  abgeleiteten  Bib-eli  in  No.  4  genau  zur  Seite  tritt. 

Wir  hätten  somit  in  unserm  Lied  —  um  Binka  durch 
Nörn  zu  übersetzen  —  eine  (tötende)  Nörn  zar'  t|o;//;V, 
und  eine  alte  und  uralte  Nörn,  ein  Beweis,  dass  wir 
uns  hier  auf  dem  Boden  der  Sage  von  den  drei  Schick- 
salsgöttinnen und  zwar  in  der  Stufe  ihrer  Eutwickelung  be- 
finden, welche  die  Idee  der  dreigeteilten  Zeit  mit  ihnen 
verbindet.  Die  Zukunft  (die  tötende  Göttin)  schädigt  Ge- 
genwart und  Vero;ano;enbeit:  die  Verwundun<]j  der  Vergan- 
genheit  steht  der  Beeinträchtigung  durch  den  Schatzbetrug 
in  den  bairischen  Sagen  ganz  gleich  *). 

Wie  in  No.  5.  6  Lunta,  Klunta;  Klira  Klara  Klunk 
zu  erklären  sind,  weifs  ich  nicht  zu  sagen.  Klara,  wovon 
Klira  nur   ablautende  Form  ist,   erinnert  an   die  Sonnen- 


1)  Bopp,   Gloss.  Sanscr.   308a.     DWB.  I,    107G. 

2)  Zeitschr.  f.  vergl.  Spracht".  IV,   438. 

3)  DWB.  I,    1058.     Benuke-Müllor  I,   75. 

4)  Wäre  es  erlaubt  in  Kiiob  la-pinka  nur  eine  Verstärkung  des  einfa- 
chen Pinka  zu  sehen?  Knobla  könnte  aus  kliuban  spalten  (wovon  Klul't 
forceps  klobo  aucipiila)  sich  herleiten,  wie  unser  Knoblauch,  ahcl.  chnobe- 
louch  aus  ehlovolouch,  clilowloch  entspringt. 


664 

heilige  St.  Clara  und  Lucia  s.  oben  S.  395  und  422,  um 
so  mehr  da  No.  4  Frau  Sonne  in  Verbindung  mit  unsern 
Jungfrauen  kennt.  St,  Clara  mag  in  einer  älteren  Form 
von  5  die  Stelle  der  Fru  Sole  in  4  eingenommen  haben 
und  daher  ihr  Name  in  die  Stelle  der  vergessenen  ersten 
beiden  Namen  geraten  sein;  Klunk  und  Klunta  scheinen  eines 
Ursprungs.  In  Kafveli-Lunta  steckt  das  S.  600  besprochene 
kafli,  schw.  kafle,  das  hier  in  der  archaistischen  Bedeutung 
Lofszweig,  Lols  erhalten  ist.  Kafveli-Lunta  „Lofszweig- 
Lunta"  ein  passender  Name  der  lofsenden  Vergangenheit. 
Nach  No.  6.  7  sitzen  die  schwedischen  Nornen,  wie 
die  eddischen  auf  einer  Esche  (denn  in  No.  6  ist  für  ßte- 
nar  ein  anderes  Wort  in  der  Bedeutung  Jungfrauen  zu 
lesen^).  Sollte  auch  der  Ring  in  No.  1,  welcher  nur  mis- 
verständlich  eine  Inschrift  zu  enthalten  scheint,  den  Ge- 
richtsring, den  Umstand  (corona)  bedeuten?  Vergl.  die 
Redensart  „zu  Ding  und  Ring  gehen."  RA.  747.  Wich- 
tig ist  das  abermalige  Auftreten  der  schon  oben  S.  283. 
287.  293  fgg.  der  Holda  identisch  befundenen  Göttin,  Frau 
Sole  und  zwar  in  Verbindung  mit  den  Nornen^).  Diese 
sitzen  während  der  Nacht  bei  ihr,  der  Sonne,  die  schon 
3  Stunden  vor  Tagesaufgang  auf  ihrem  vergoldenden  Rok- 
ken  spinnt'').  Wo  anders  als  in  Engelland  dem  himmli- 
schen Lichtland  =  ags.  GliS,  wo  die  Sonne  Nachts  weilt 
s.  oben  S.  365,  von  wo  die  Gestirne  ihr  Licht  empfangen 
s.  oben  S.  378.  Der  vergoldende  Spinnrocken  der  Frau 
Sonne  =  Freyja  deutsch  Frikka,  Holda  stimmt  genau  zu 


1)  „Stenar"  ist  wie  in  No.  7  „ligga"  für  „sitta"  durch  Misverständnis 
von  „ask  Esche"  in  „ask  Gefäfs"  in  den  Text  gekommen.  Stand  etwa 
„quinnor"   da? 

2)  Beachtenswert  ist,  dass  die  Kune  S61  angewandt  wurde  ,,at  stinga 
sömu  thorn"  Jemanden  einzuschläfern,  den  Schlafdorn  zu  stechen.  Liljegren, 
Pvunlära  S.  10.     Vergl.   oben  S.  611  fgg. 

3)  So  sitzt  nach  Sturlaugssaga  hins  Strafsama  ( Fornaldarsög.  III,  592 
fgg.)  Ve freyja  (d.h.  Freyja  sacrosancta,  domina  templij  auf  einem  Stuhl 
unter  dem  Tonveg  spinnend.  Wir  erkannten  bereits  oben  S.  287  fgg.  Iden- 
tität von  Freyja  und  Sole.  Frau  Wulle  sitzt  ebenso  spinnend  im  Felsen,  der 
Frau  WuUenloch  heif&t.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  217  No.  246.  Aehnlich 
Holda  s.  oben  S.  505.  Vergl.  Myth.'  XLIV.  Basler  Fhs.  saec.  XV:  Unam 
vetulam  novi,  que  credidit  Solem  esse  deam,  vocans  eam  sanctam  do- 
minam. 


665 

den  BeuennuDgen  der  den  Orionsgürtel  bildenden  Sterne 
„Friggerok  *),  Frejerock,  schwed.  Mariärok,  dän.  Marirok-), 
deutsch  Jacobsspindel ''). 

Mit  No.  6  stimmt  No.  13  darin  überein,  dass  der  in 
diesem  Liede  dargestellte  Mythus  zu  einem  Zaubersegen 
verwandt  wird,  ähnlich  wie  im  Schluss  der  zweiten  Mer- 
seburger Formel.  Der  Mythus  ist  oiFenbar  mit  anderer 
Wendung  derselbe,  wie  in  No.  1—6.  Die  eine  der  drei 
Schwestern  wird  am  Fufs  verwundet  ••).  Sie  sitzt  auf  dem 
Baume  und  sinkt  von  diesem  herab,  wie  die  Nörne  der 
Vergangenheit,  Urör  im  ISorden  s.  oben  S.  544.  545.  Was 
geschehen  ist,  verlässt  das  Leben  imd  gesellt  sich  den  To- 
ten zu.  Wir  dürfen  vermuten,  dass  alle  drei  Schicksals- 
jungfrauen auf  dem  Baume  sitzend  gedacht  wurden. 

In  den  Legenden  von  den  heiligen  Schwestern  Wil- 
betta,  Guerbetta,  Ainbetta,  siehe  oben  S.  644,  tritt  ein 
Kirschbaum  oder  Birnbaum  bedeutsam  hervor.  Auf 
der  Mitte  des  steilen  Wegs  von  Michelbach  nach  Meran 
ist  auf  ihr  Gebet  ein  Kirschbaum  aufgewachsen  und  ein 


1)  Ihre   Gloss.  Sueog.  s.  v.  p.  663. 

2)  Finn  Magnussen,  Lex.  Myth.   361a.   376. 
3J  Myth.^   279.     Vergl.  Myth.^   248.   689. 

4)  Darf  man  etwa  in  den  Namen  Perla-linz  ein  älteres  Pera  diu  (der?) 
lint  (d.  i.  Bera  die  Schlange);  in  Perla-plinz  ein  älteres  Pera  diu  plintä 
(die  blinde  Bera)  vermuten,  welches  späterhin  misverständlich  als  Eigen- 
name componiert  wäre  (vergl.  den  Namen  Bcrilind,  Perelind,  Peralind,  För 
stemann,  Namenb.  226)?  Der  Auslaut  in  -linz  wäre  dann  unorganische  Ver- 
schiebung wie  in  nhd.  zwerg  =  mhd.  twerc,  oberd.  linz  (Icnis)  =  mhd. 
lint,  nicht  hypocoristisch  wie  in  Linzo  (Förstemann  846)  und  den  Femininis 
Roza,  Liuza,  Muoza,  Reinza  u.  s.  w.  Des  Reimes  wegen  ist  dann  pliuz  der 
Analogie  von  linz  gefolgt.  Pe'ra,  Bera  (von  heran)  die  Gebärende,  die  Ahn- 
mutter wäre  ein  passender  Name  der  Schiclcsalsgöttinnen.  Die  mythische  Be- 
deutsamkeit desselben  habe  ich  bereits  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IH,  145.  146 
auseinandergesetzt.  Pera  die  Schlange  wäre  die  dritte,  böse  Jungfrau,  die  in 
der  Gewalt  des  Dämons  (s.  oben  S.  655)  und  selbst  Drache  (s.  oben  S.  153 
Anm.  2i  ist.  Die  zweite  Scliwester  wäre  die  eine  blinde  der  oberdeutschea 
Sagen.  Perla-puff  (an  Stelle  eines  älteren  Namens  getreten)  ist  blofses 
Reim  wort  zu  Hüft,  ahd.  mhd.  Huf  (Hüfte).  Doch  dürfte  sie  etwa  schon  der 
Ablautsvocal  des  Plur.  praet.  der  zur  Bezeichnung  entfernter  Vergangenheit 
verwandt  wird  (vergl.  Binde,  Band,  Bund;  Trank,  Trunk;  ubarwint,"  ubar- 
want,  ubarwunt;  Grab,  Grube,  Gruft)  als  Göttin  der  Vergangenheit  charak- 
terisieren. Aus  Pera  bildete  sich  entweder  die  abgeleitete  Form  Perila  (s. 
Berila  Pol.  Irm.  S.  224)  oder  bei  der  Composition  trat  die  Silbe  al  eupho- 
nisch ein,  vergl.  z.  B.  Kund-1-olt,  Hilde-n-olt.  Ich  gebe  dies  alles  für  nichts 
weiter  als  einstweilige  Vermutungen. 


666 

Quell  entsprungen;  diese  mit  einem  Bilde  der  h.  Jung- 
frau versehene  Stelle  heifst  noch  jetzt  Jungfernrast  ^). 
Zu  Langenaltheim  in  Mittelfranken  wurde  eine  Kirche  an 
der  Stelle  gegründet,  wo  drei  Schwestern  einen  Birn- 
baum und  eine  klare  frische  Quelle  fanden^).  Der 
Baum  tritt  in  den  meisten  Sagen  von  unsern  drei  Jung- 
frauen nicht  auf,  nur  in  der  Legende  —  den  Grund  da- 
von scheint  mir  Wolf,  Beitr.  II,  177.  178  zutreffend  dar- 
gelegt zu  haben.  Dagegen  ist  der  Wohnort  der  drei  Schwe- 
stern fast  überall  von  Wasser  umgeben,  bei  einem  Brun- 
nen oder  See  gelegen*^).  Ich  stehe  nicht  an  in  diesem 
den  im  Norden  Uröarbrunnen  benannten  Quell,  das  Wol- 
kengewässer, in  jenem  Baum  aber  den  Baum  zu  erkennen, 
der  uns  in  Skandinavien  als  Yffg-drasill  ento;eo;entritt.  Wir 
sahen  oben  S.  543.  544  —  549,  dass  sich  der  Baum  Ygg- 
drasill  über  dem  Seelenreich  erhebt;  seine  eine  Wurzel 
geht  zu  Hei  oder  Niflheimr  hinab.  Hiermit  vergl.  man 
die  fol2;enden  Saofen.  Vor  Rendsburcr  lieget  der  Nobis- 
krug.  Da  ist  ein  Schloss  versunken.  Aus  diesem  steigt 
in  gewissen  Nächten  eine  Prinzessin  hervor,  setzt  sich 
in  einen  wilden  Apfelbaum  am  Wege  und  weint 
und  jammert.  Mehrmals  nahm  die  Prinzessin  Leute  mit 
sich  ins  Schloss,  sie  sind  aber  nie  wiedergekommen.  Man 
warnt  daher  jeden  zum  Nobiskrug  hinauszugehen  „die  Prin- 
zessin möchte  ihn  einschliefsen  *)." 

Bei  Tönningen  ist  ein  Schloss  versunken,  worin  drei 
verwünschte  Jungfrauen  wohnen.  Ueber  dem  ver- 
wünschten Schloss  erhob  sich  ein  grofserBaum, 
dessen  Stamm  sich  eben  über  der  Erde  in  zwei 
starke  auseinandergehende  Wurzeln  teilte.  Un- 
ter diesen  Wurzeln  ging  ein  gemauerter  Gang  in  die  Erde. 
Da  stieg  einer,  der  Schloss  und  Jungfrauen  erlösen  wollte, 
hinab  und  kam   an    eine   eiserne   Tür.      Da  tötete   er  ein 


1)  Panzer,   Sagen  No.  7. 

2)  Panzer  a.  a.  0.  I.  No.  163.   S.  143. 

3)  z.  B.  Panzer  a.  a.  0.  I.  No.  9.  21.  31.  40.  45.  105.  203.  205  u.  s.  w. 

4)  Müllenhoff,   Sagen  S.  346,  No.  463. 


_667_ 

Kalb  wie  es  zur  Erlösung  erforderlich  war;  an  einer  zwei- 
ten Tür  ein  anderes  Tier.  Vor  der  dritten  Tür  aber  stan- 
den seine  eigenen  verstorbenen  Eltern;  die  konnte 
er  nicht  töten  und  kehrte  unverrichteter  Sache  wieder 
heim  ^). 

Der  Nobiskrug  ist  Seelenaufenthalt  ^),  die  in  ihm  woh- 
nende Prinzessin  Todesgottheit,  oder  Seelenherscherin,  wer 
zu  ihr  gelangt  kehrt  nie  wieder.  Im  versunkenen  Schloss 
von  Tönningen  weilen  die  Verstorbenen.  Ueber  beiden 
aber  erhebt  sich  ein  (Apfel-) Baum,  /m  Baume  sitzt 
die  Jungfrau  des  Nobiskruges. 

Hiermit  hängt  nun  auf  das  Engste  zusammen,  dass 
die  Elbe  (d.  i.  Seelen)  in  oder  unter  einem  Baume 
wohnen.  Im  Norden  wohnen  die  Elbe  meist  unter  dem 
Hollunderbaum;  in  Deutschland  liegt  der  Eingang  zu  den 
Wohnungen  der  Unterirdischen  unter  einem  Apfelbaum^), 
einer  Rüster  *) ,  in  der  Ellernkuhle  ^)  u.  s.  w.  In  Schwe- 
den wohnen  sie  w^  einem  beim  Hofe  stehenden  Baum 
(boträ)  *').  Ein  Baum,  in  welchem  Bilwisse  wohnen,  heifst 
Pilbisbaum '').  Aus  dem  Astloch  solcher  Bäume  schauen 
die  Elbe  heraus.  Die  Astlöcher  in  den  Bäumen  heifsen 
daher  in  Schottland  Elfbore,  in  Jütland  Ausbor  ^). 
Auf  dem  Hügel,  wo  Elbe  hausen,  wird  folgender  Reim 
15mal  gesprochen: 

Ällkuon,  ällkuon,  est  du  her  iun 
saa  ska  du  herud  paa  15  iege  pinn  '■*). 
Wer  in  ein    solches  Astloch   schaut,    erlangt    verborgene 


1)  Müllenhoff,   Saaten  S.  350,  No.  466,   2. 

2)  S.  Myth.2    954.      Kuhn,    Nordd.    Sagen    S.  131,    No.   152;    S.  484. 
Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  4,  4.     IV,  2,  20. 

3)  Kuhn,  NÖrdd.  Sagen  S.  262,  No.  292. 

4)  Kuhn,  Nordd.   Sagen  S.  105,  No.  120,   1. 

5)  Kuhn,   Nordd.   Sagen  S.  166,  No.  189,   6. 

6)  Myth.'    CXII,    110.      Auch    in  Deutschland  vergl.  Kocholz,    Aargau- 
sagen I,  S.  89.     Henne,   Schweiz.  Bl.    1833,   186. 

7)  Myth.'^    442. 

8)  Thiele,  Dansko  Sagu  II,  18.    Molbeeh,   Dansk  Dialectlex.   S.  22.  94. 

9)  Eibfrau  bist  du  hier  innen,    so    sollst    du  heraus  durch   15  Ellenast- 
löcher.    Molbeeh,  Dialectle.x.  99.     Myth.^   430. 


668 

Dinge  zu  sebeu,  wird  geistersichtig^  oder  erblindet.  Da 
der  gewöhnliche  Seelenaufenthalt  das  himmlische  Gewässer 
oder  das  hinter  diesem  liegende  Lichtland  ist,  so  darf  man 
nicht  anstehen  in  dem  Baume  den  Wolkenhimmel,  in 
dem  Astloch  aber,  aus  welchem  die  Eiben  hervorschauen, 
dasselbe  wie  die  Tür  o.  S.  389  fgg.  zu  erkennen,  aus  wel- 
cher die  Engel  hervorblicken  s.  oben  S.  379.  Es  ist  die 
den  Wolkenflor  durchbrechende  Sonne.  Wir  sind  nach 
und  nach  bereits  auf  verschiedene  Spuren  davon  getroffen, 
dass  die  Wolke  als  Baum  aufgefasst  wurde.  Das  Wald- 
haus der  Riesen  o.  S.  177.  178;  so  wie  der  Holda  o.  S.  268; 
der  Wald  Myrkviör  s.  oben  S.  384,  der  Busch  wohin  der 
Marienkäfer  fliegt  oben  S.  250,  Anm.  2.  354,  wohin  der  Gott 
beim  Regen  fährt  o.  S.  375.  76  erschien  uns  nicht  weniger, 
wie  Yggdrasill  s.  S.  552.  569  als  Bild  der  Wolke.  Wir 
dürfen  hinzufügen,  dass  die  Dornhecke,  von  welcher 
Dornröschen  umschlossen  wird,  s.  oben  S.  611  fgg.  das 
Gehege  ist,  womit  der  Dämon  das  Himmelsgewässer,  Mond 
und  Sonne  einschliefst,  folglich  die  Wolke  bedeuten  muss  '). 
AVir  können  diese  Vorstellung  jedoch  noch  weiter  ver- 
folgen. Die  Kinder(seelen)  kommen  nach  S.  255  fgg.  aus 
dem  Brunnen  d.  i.  der  Wolke.  Für  den  Brunnen  tritt 
nun  mitunter  in  ein  und  denselben  Gegenden,  welche  jenen 
kennen,  ein  holer  Baum  ein.  Im  Westphähschen  kom- 
men die  Kinder  gemeinhin  aus  Brunnen  oder  Teichen;  in 
Gummershausen  aber  holt  man  sie  aus  einer  holen  Linde; 

1)  Hierher  -wäre  auch  die  von  Wolf,  Beitr.  II,  177  bereits  mitgeteilte 
Saoe  von  Zoppot  bei  Danzig  (Wolf  schreibt  fälschlich  Joppos)  von  im  Wald 
verwachseneu  Jungfrauen  zu  zielien,  wenn  nicht  Bötticher  (Der  Seebadeort 
Zoppot  Danzig  1842  S.  165)  die  glaubhaftere  Variante  lieferte:  Die  Fischer 
erzählen,  ihre  Grofsmütter  hätten  noch  gehört,  dass  zwei  verwünschte  Fräu- 
lein im  Schloss  gewohnt  hätten,  welche  einst  früh  am  Morgen  einen  Fischer, 
der  eben  nach  dem  Walde  ging  um  Holz  zu  holen  zu  Hilfe  gerufen  und  ihn 
gebeten  hätten,  sie  doch  aus  dem  Schloss  zu  retten.  Der  Fischer  reichte  ih- 
nen durchs  Fenster  sein  Beil,  welches  zum  Abhauen  der  Baumäste  einen 
langen  Stiel  hatte,  um  sie  vermittelst  dessen  herauszuziehen.  Unglücklicher- 
weise brach  das  Beil  vom  Stiele  los,  als  die  eine  Jungfrau  es  bereits  erfasst 
hatte  und  das  Schloss  versank.  Hier  haben  -wir  ganz  deutlich  den  die  ver- 
wünschte Wasserfrau  befreienden  Gewittergott.  Meine  bei  Wolf  mitgeteilte 
Fassung  der  Sage  stammt  aus  einer  Quelle,  deren  Treue  sich  mir  bei  neuer 
Nachforschung  an  Ort  und  Stelle  etwas  verdächtigt  hat. 


669 

in  Halver  aus  einer  alten  holen  Buche.  In  Kückelhausen 
ist  es  eine  hole  dicke  Eiche;  ebenso  in  Gevelsberg  und  im 
Bergischen  •).  In  Tirol  werden  die  Kinder  ebenso  bald 
aus  dem  Brunnen,  bald  aus  Bäumen  geholt.  Zu  Bruneck 
bringt  man  sie  aus  dem  grofsen  holen  Eschenbaum,  der  bei 
dem  Schiefsstande  steht,  oder  sie  rinnen  auf  dem  Wasser 
daher.  In  Meran  wachsen  sie  auf  der  Mut  (einem  Berge) 
an  den  Bäumen  ^).  Im  Aargau  heifst  ein  solcher  Baum 
geradezu  der  Kindlibirnbaum '').  Mitunter  sind  Baum 
und  Brunnen  zu  einer  Scenerie  verbunden.  Im  Ziller- 
tal  holt  man  die  Kinder  aus  der  Mariarastkapelle  auf  dem 
Hainzenberge.  Hinter  dieser  Kapelle  liegt  ein  Brunnen 
und  oberhalb  ein  Baum,  in  welchem  die  Mutter  Gottes  ge- 
wesen sein  soll '').  Zu  Nierstein  in  Rheinhessen  steht  eine 
grofse  Linde.  Daher  holt  man  in  der  ganzen  Gegend  die 
Kinder.  Unter  der  Erde  fliefst  hier  ein  Brunnen,  den  hört 
man  rauschen  und  unter  der  Erde  die  kleinen  Kinder  ju- 
beln und  schreien,  wenn  man  das  Ohr  auf  die  Erde  legt  ^). 
Bronner  erzählt  in  seinem  Leben '') :  „Da  fragte  ich  mei- 
nen Vater  einst  bei  Tisch:  wo  ist  denn  unser  Brüderlein 
hergekommen?  Die  Hebamme  safs  auch  dabei.  Diese 
Frau  da,  sagte  er,  hat  es  aus  dem  Krautgarten  herbeige- 
bracht, du  kannst  noch  heute  den  holen  Baum  sehen, 
aus  dem  die  kleinen  Kinder  immer  herausschauen, 
die  man  abholen  lässt,  sobald  man  ihrer  verlangt."  Es 
war  eine  hole  Weide  an  einem  Teich.  Bronner 
schaute  hinein  und  sah  den  Knaben  im  AVasser.  Sein 
Vater  hiefs  ihn  rufen:  „Buben  wo  seid  ihr?"  und  er  zwei- 
felte nicht  mehr. 

Vergleichen  wir  hiermit  die  folgende  Sage:   Bei  Nau- 
ders  in  Tirol   steht   ein   uralter  Lärchbaum,   der  heilige 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  11,   92. 

2)  a.  a.  0.  II,   345.     Weitere  Beispiele  s.  bei  Zingerle,  Sitten,  Bräuche 
und  Meinungen  des  Tiroler  Volkes  S.  1  fgg. 

3)  Rocholz,   Sagen  des  Aargaus  I,   S.  87,  No.  7G. 

4)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.   II,   344. 

5)  Wolf,  Hess.  Sagen   13,    15. 

(!)  Zürch   1795   I, ''23.   24.      Grimm  KIIM.   TI.^    1819   LXT.  LXII. 


670 

Baum  genannt,  aus  dessen  Nähe  Niemand  Bauholz  oder 
Brennholz  zu  nehmen  wagt,  bei  dem  zu  schreien  oder  zu 
lärmen  bis  in  die  letzten  Jahre  für  himmelschreienden 
Frevel  galt.  Er  soll  bluten,  wenn  man  hineinhackt,  und 
der  Hieb  dringt  zugleich  ebensoweit  in  den  Leib  des  Frev- 
lers, wie  in  den  Baum.  Vom  heiligen  Baume  holt  man 
die  Kinder,  besonders  die  Knaben.  In  unmittelbarer 
Nähe  werden  die  Ruinen  des  „heiligen  Baumschlos- 
ses'* gezeigt,  das  mit  unermesslichen  Schätzen  in  die 
Tiefe  verwünscht  ist.  Hier  hausen  drei  Jungfrauen, 
wovon  eine  halb  weifs,  halb  schwarz  ist.  Sie  seh- 
nen sich  nach  Hebung  des  Schatzes  und  Erlösung  ihrer 
selbst  •). 

Die  angeführten  Sagen  lehren  zunächst,  was  wir  u.  a. 
auch  schon  S.  297,  Anm.  4  wahrnahmen,  dass  die  Elbe 
(=  Seelen)  und  die  Seelen  der  Neugebornen  eins  sind  und 
denselben  Aufenthalt  haben,  den  Wolkenbaum,  der  sich 
über  dem  Wolkengewässer  erhebt.  Dieser  ist  einerseits 
mit  Yggdrasill  und  dem  Uröarbrunnen  (vergl.  oben  S.  547. 
548),  andererseits  mit  Holdas  Kinderborn  und  Kinderbaum 
identisch.  Das  Tarforster  Weistum  von  1592  erwähnt  ge- 
radesweges  einen  „frauw  Hollen  baum"^).  In  einem 
gerichtlichen  Protocoll  von  1749  wird  in  der  Nähe  von 
Wertheim  ein  ^frauen  Hüllen  bäum"  genannt^). 

Ergiebt  sich  hiemit  die  mythische  Echtheit  des  Zuges, 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  lY,   36.   37.     Panzer,  Beitrag  II,  S.  154. 

2)  Chart.  Max.  XIII,  No.  417.  Hocker,  Die  Stammsagen  der  Hohen- 
zollem  und  Weifen  S.  115. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV,  19,  1.  Vergl.  zu  oben  S.  326,  Anm.  1. 
394^.  die  Variante  aus  Müller  und  Weitz,  Die  Aachener  Mundart  Leipzig 
und  Aachen  1836  S.  278: 

Op  Zent- Zellester  berg 

do  schingt  de  sonn  esu  -wärm 

do  steht  e  gölde  böumche, 

do  steht  e  gölde  stöulche. 

We  setzt  dorop?  Maria. 

Do  kaucht  Maria  'nen  appelbrei, 

do  kommen  alle  herrgottskenger  bei, 

do  kommen  alle  de  engelcher 

kleng  en  grüfs,  nacks  en  blüfs, 

Jeses  in  Maria  schüfs. 


671 

dass  die  drei  Jungfrauen  Perlalinz,  Perlaplinz  und  Perla- 
puff  auf  dem  Baume  sitzen  '),  von  dem  die  eine  =  Urör 
(in  die  Unterwelt,  zu  den  Toten  in  der  Wolke)  hinabsinkt; 
so  scheint  es  andererseits  auch  nicht  schwer  zu  erkennen, 
weshalb  die  Beschädigung  der  dritten  Schicksalsjungfrau 
durch  Lähmung  des  Fufses  ausgedrückt  wird.  Als  Was- 
serfrauen wurden  die  drei  Schwestern  mit  einem  Platsch- 
fufs,  Schwanfufs  oder  Geifsfufs  gedacht.  Auf  dieses  nach 
physischer  Sage  hervorstechende  ungestaltete  Glied  wandte 
sich  die  Symbolik,  als  hinzugetretene  ethische  Beziehungen 
eine  Verwundung  in  den  Mythus  brachten.  Die  Misge- 
stalt  wurde  als  Folge  der  Verwundung  aufgefasst -).  Wir 
sahen  schon  oben  S.  642  dass  die  dritte  Jungfrau  einen 
Geifsfufs  trägt;  sie  wird  —  nebst  ihren  Schwestern  — 
einst  ganz  geifsgestaltig  gedacht  sein;  die  Geifs  ist  ein 
Symbol  der  Wolke  s.  oben  S.  63.  Ebenso  vermutete  schon 
Weinhold '^),  dass  die  Nörnen  Schwangestalt  führten. 
Die  Witten  wiwer,  mit  denen  die  alten  Hexen  in  unserer 
No.  10.  11.  12  zusammenstimmen,  tragen  Plattfüfse, 
wie  sonst  die  Zwerge  Geifsfüfse,  Gansfüfse,  Plattfüfse  als 
Abzeichen  ihrer  ehemaligen  Geifs-  und  Gansgestalt,  als 
alte  Wolkenwesen  besitzen.  Nun  haben  wir  bereits  oben 
S.  539  auf  die  folgenden  Sagen  aufmerksam  gemacht.  Ein 
Mädchen  soll  Stroh  zu  Gold  und  Silber;  Werg  zu  Seide; 
Moos  zu  Golde  oder  ganze  Fuder  Flachs  auf  einmal  zu 
Garn  spinnen,  zu  Zeug  weben  und  zu  Hemden  nähen  und 
wenn  sie  dies  vermag  den  König  heiraten.  Drei  alte 
Frauen,  die  unvermerkt  hinzukommen,  verrichten  für  sie 
die  Arbeit  und  bedingen  sich  nur  aus,  zur  Hochzeit  ein- 
geladen zu  werden  und  als  ihre  Muhmen  zu  gelten. 
Diese  drei  sind  am  Körper  verunstaltet.  Sie  haben  näm- 
lich: 


1)  Vergl.  Myth.'  XCII,  621.  Wer  auf  einen  Baum  sieht,  auf  dem  eine 
Weibsperson  sitzt,  wird  blind.  —  Mehrfach  treten  in  Sagen  spinnende  Zau- 
berweiber, auf  Bäumen  sitzend  auf. 

2)  Vergl.  oben  S.  305  die  hinkende,  blinde  Alte. 

3)  Die  Deutschen  Frauen  S.  38.     Vergl.   oben  S.  6.57.  No.  .5. 


Breitfufs 
Plaitfufs 
Breiten  Ftifs 


breiten  Daumen 
breiten  Daumen 
grofsen  Daumen 
breiten  Daumen 
grofse  Nase 
Triefnase 
lange  Nase 


672 

breite  Lippe  ') 
herunterhängende  Lippe  '') 


breites  Gesäfs  ^  ) 
breites  Gesäfs  *) 
dickes  Gesäfs  ^) 
dickes  Gesäfs  ®  j 
dickes  Gesäfs  ') 


grofse  Nase 
dicke  Lippen 
grofsen  Mund 
tellergrofse  Augen 

In  der  zuletzt  angeführten  litauischen  Sage  treten  drei 
Laumes  ^),  in  deutschen  Varianten  ein  Zwerg,  Frü  Freen'') 
oder  eine  elbische  Frau^"),  im  Pentamerone  Feen '^)  ein. 
Frü  Free  hat  ebenfalls  einen  grofsen  Daumen,  Die 
voraustehenden  Märchen  deuten  die  Unförmlichkeiten  der 
Gestalt  aus  allzu  eifrigem  Treten  und  Handhaben  des 
Spinnrads.  Da  dieses  aber  erst  1530  von  Jürgens  erfun- 
den wurde  (in  älterer  Zeit  hielt  man  den  Kocken  zwischen 
den  Knieen,  die  Spindel  in  der  Hand),  so  ist  es  klar,  dass 
diese  Motivierung  der  Gebrechen  erst  neu  in  das  Märchen 
hineingetragen  ist.  Der  Plattfufs  erklärt  sich  nunmehr  nach 
allbekannten  Analogien  als  Schwanfufs,  der  breite  Daumen 
durch  die  Kralle  der  Norn  s.  oben  S.  626  die  herabhän- 
gende Lippe  steht  bereits  einem  altnordischen  Trollweibe 
zu,   die   Hengikjapta  heifst '-).      Für  das   dicke  Gesäfs 


1)  Müllenhoif ,  Sehleswigholst.  Sagen  und  Märchen  No.  8.  S.  409  fgg. 
Die  drei  Frauen  heifsen  danach.  Bretföt,  Brctdüm,  Bretlipp. 

2)  KHM.  No.  14. 

3)  Hylten-Cavallius  und  Stephens,  Schwed.  Märchen  übersetzt  von  Ober- 
leitner  8.214  fgg.  No.  XI.  Die  drei  Frauen  heifsen  danach:  Storfötamor, 
Stortummamor,   Störgurapamor. 

4)  Praetorius,   Glückstopf  S.  404—406. 

5)  Büsching,  Wöchentl.  Nachrichten  I,   355 — 360. 

6)  Asbjörnsen  und  Moe,  Nor\-egische  Märchen  übersetzt  von  Bresemann 
No.  13.   S.  80. 

7)  Schleicher,  Litauische  Märchen  S.  12. 

8J  Die  Laumes  sind  teils  unsern  Mären,  teils  andern  Eiben  identisch. 
S.  oben  S.  79.  Schleicher  a.  a.  0.  S.  91  fgg.  Offenbar  ist  aber  erst  nach 
saec.  XVI.  unser  Märchen  zu  den  Litauern  von  aufsen  her  eingewandert  und 
die  Laume  hineingetragen. 

9)  S.  oben  S.  539.  540.  Auch  in  einer  Yar.  bei  de  Baecker,  Religion 
du  Nord  de  la  France   S.  284  ist  es  ein  Kobold  ,,myn  haentje"  genannt. 

10)  Pröhle,  Märchen  für  die  Jugend  No.  20.   585. 

11)  Pentamerone   4,   4  übers,  von  Liebrecht  II,   44. 

12)  Skäldskap.  k.  77.  Eddubrot  Arnamagn.  557.  SnE.  Havn.  II,  554: 
Hengikiapta ;  Eddubr.  Arnam.  le,5.  SnE.  II,  615:  Heingikiapta;  SnE.  I, 
551:  Hengikepta.  Vergl.  hengiklettr  Niederhangende  Klippe  hengiläs  Hänge- 
Rchloss.     Kjaptr  Rüssel,  Rachen,  Kinnbacke. 


673 

(über  welches  Wolf,  Beiträge  II,  224  zu  vergleichen  ist) 
möchte  ich  nach  S.  260,  Anin.  6  eine  Analogie  in  dem 
holen  muldenförmigen  Rücken  Holdas  und  der  Elbe  (s.  o. 
S.  259)  suchen  '). 

Unsere  drei  alten  Frauen  gehören  ihrem  Grund- 
wesen nach  zu  der  Schar  der  kinderraubenden  Elbe  und 
Göttinnen,  sie  selbst  werden  mit  Grimm  ^)  und  Wolf  ^)  für 
die  Schicksalsgöttinnen  mit  Wahrscheinlichkeit  zu  halten 
sein.  Wie  sie  das  Glück  der  Ehe  gewähren,  sind  sie 
Todesgöttinnen  in  prägnanter  Weise.  Nach  Müllenhoff 
wohnen  sie  auf  dem  Kirchhof  und  um  sie  zu  rufen, 
muss  das  Mädchen  auf  einen  Grabstein  treten. 

Die  Unterscheidung,  wo  in  unsern  Sagen  die  Schick- 
salsjungfrauen anzunehmen  sind,  ist  schwer,  da  sich  in  je- 
der Art  zeigt,  wie  sie  aus  der  Schar  der  übrigen  Wolken- 
wesen nur  als  DiflPerenzierungen  heraustraten.  Auch  die 
weifsen  Frauen  und  die  Nixen  spinnen,  singen  und 
weifsajren  *)  und  erscheinen  vorbedeutend  bei  grofsen  Fa- 
milienereignissen;  nicht  minder  die  Zwerge^).  Alle  diese 
Wesen  sind  menschenraubende  d.  h.  tötende  seelenempfan- 
gende Geister.  Wenn  wir  in  jenen  Frauen  die  rohen  volks- 
tümlichen Originale  der  nordischen  Valkyren  und  Völen, 
der  slavischen  Wilen  s.  oben  S.  563  fgg.  568  fgg.  erken- 
nen, so  lehrt  uns  ein  angelsächsischer  Zaubersegen,  wie 
sie  in  weiterer  Fortbildung  genau  den  Valkyren  entspre- 
chend als  schicksalwaltende  Wesen  über  das  Glück  des 
Menschen  bestimmten: 

Sitte  ge  sigewif,  sigaö  tö  eorSau, 

naefre  ge  wilde  (1.  wille)  tö  wuda  fleogan! 


1)  Auch  die  vom  wilden  Jäger  in  Steiermark  gejagten  Wildfrauen  sind 
im  Rücken  holil  oder  muldenförmig  gestaltet.  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  II,  32. 
Schon  ein  Trollweib  Skäldskaparm.  k.  75  hcifst  Bakrauf  von  bak  n.  Rücken 
imd  rauf  f.  Loch,  Kluft. 

2)  Myth.2    387.    1287.     Pentamerone  übers,  von  Liebrecht  I,  XVL 

3)  Beitr.  II,   201. 

4)  S.  Wolf,  Beitr.  II,   227.   251.   254.   285.   286. 

5)  Vergl.  Pröhle,  „Die  Zwerge  in  Familiensaffen."  Unterharz.  Sagen 
S.  182  fgg. 

43 


674 

beo  ge  swä  gemyndige  mines  godes 
swä  bis  mannagehwylc  metes  and  eSeles  ^). 
Hier  überall  sehen  wir  mithin  schon  ethische  Motive 
aus  den  Natursymbolen  herausentwickelt,  überall  Ansätze 
zu  den  Gestalten  der  bestimmt  umgrenzten  Schicksalsfrauen, 
die  wir  über  die  Geburt,  die  Heirat  und  den  Tod  zu- 
gleich gebietend  in  den  Bairischen  Sagen  von  den  drei 
Schwestern  und  verwandten  Mythen  wiederfinden.  Wie 
sich  hieraus  später  auf  dem  von  uns  S.  605  angegebenen 
Wege  die  Auffassung  als  Göttinnen  der  dreigeteilten  Zeit 
durch  naturgemäfse  Gedankenfolge  ergab,  ist  aus  den  Myth.^ 
377,  Anm.*  386  beigebrachten  Analogien,  aus  dem  classi- 
schen  Altertum  ersichtlich. 

§.  8.     Das  Noraenseil. 

Von  den  bei  Helgis  Geburt  das  goldene  Schicks  als  seil 
spannenden  Nörnen  heifst  es,  dass  sie  goldene  Fäden 
am  Himmel  befestigten  und  zwar  dieselben  um  das  Ge- 
biet spa?inten,  welches  der  junge  Held  künftig  besitzen 
sollte: 

Östlich  und  westlich 

Die  Enden  bargen  sie 

—  In  der  Mitte  lag  das  Land  des  Fürsten  — 

Einen  Faden  nordwärts 

Warf  Neris  Verwandte 

Ewis:  halten  hiefs  sie  das  Band  ^). 
Nach  Siguröarqu.  H,  5  umdonnert  alle  Lande  das  Schick- 
sal mit  dem  Seile,  j^rymr  um  öll  lönd  örlög  simu.  Dem 
Geschick  entrinnen  heifst  „of  sköp  gänga"  d.  i.  über  das 
Geschick  hinausgehen.  Es  folgt  hieraus,  dass  man  das 
Abmessen   des   Schicksals,  wovon   die  Wyrd   den  Namen 


1)  Setzt  euch  Siegweiber,  steigt  zur  Erde  nieder,  -wollet  nicht  zu 
Walde  (in  den  Wolkenwald,  Myrkvigr)  fliegen.  Seid  so  eingedenk  mei- 
nes Glückes,  wie  jeder  Mensch  der  Speise  und  der  Heimat. 

2)  Helgaqu.  Hundingsbana  I,  3  Jjser  austr  ok  vestr  enda  fälu,  [lar  ätti 
loföüngr  land  ä  milli;    brä  nipt  Nera  ä  norÖrvega,    einni  festi,    ey  bag  hon 


halda. 


675 

Meten  (vergl.  oben  S.  639)  hat,  nicht  blofs  figürlich,  son- 
dern in  ganz  eigentlichem  Sinne  verstand  und  glaubte,  dass 
durch  das  von  den  Nornen  gesponnene  Seil  eine  Grenze 
gesetzt  werde,  innerhalb  der  das  Leben,  das  Glück,  der 
Besitz  u.  s.  w.  des  Menschen  sich  zu  bewegen  habe,  und 
über  welche  er  nicht  hinaus  kann  ^).  Bei  Helgi  scheint  die 
ümspannung  seines  Erbguts  mit  dem  Schicksalsseil  das- 
selbe gegen  Zersplitterung  schützen,  es  festigen  zu  sollen. 
Wenn  uns  nun  Adam  von  Bremen  in  den  von  ihm  selbst 
später  hinzugefügten  Glossen  zu  seinem  Geschichtswerk  mit- 
teilt, dass  eine  Goldkette  den  Tempel  von  Upsala 
umgab  ^),  so  werden  wir  vermuten  dürfen,  dass  diese  den- 
selben Zweck  erfüllen  sollte,  dass  sie  ein  Abbild  des  golde- 
nen schützenden  Nörncnseiles  war.  Neben  dem  Tempel 
stand  ein  immergrüner  Baum  neben  einer  heiligen 
Quelle''),  bei  der  Gericht  gehalten  wurde:  prope  illud 
templum  est  arbor  maxima,  late  ramos  extendens 
aestate  et  hieme  semper  virens,  cujus  illa  generis 
sit,  nemo  seit.  Ibi  etiam  est  fons,  ubi  sacrificia  solent 
exerceri  et  homo  vivus  immergi,  qui  dum  imraergitur,  ra- 
tum  erit  votum  populi.  Schon  Grimm  vermutete  KA. 
798,  dass  dieser  Baum  und  diese  Quelle  Abbilder  von 
Yggdrasill  und  dem  Uröarbrunnen  sein  sollten.  König  Oere 
von  Dänemark  liegt  in  einem  Hügel  im  Walde  von  Odds- 
herred  bestattet.  Um  den  Hügel  (die  Wohnung  des 
Verstorbenen)  soll  eine  Goldkette  (zum  Schutz  gegen 
Ruhestörer?)  vergraben  liegen  "*). 


1)  Das  Helgaqu.  Hundingsb.  I,  2.  Siguröarqu.  II,  5  zum  Ausdruck  für  das 
Schicksalsscil  verwandte  altnord.  Fem.  sim,  Plur.  simar,  dän.  sime,  alid.  sinio, 
niederd.  erhalten  in  leige-simen  (Leine  womit  die  Pferde  beim  Ptlügcn  ge- 
lenkt werden),  doncnsim  (Schlinge  von  Pferdehaar  zum  Drosselfang) ,  griech. 
iKct;  hat  schon  an  und  für  sich  ursprünglicli  die  Bedeutung  Grenze.  Vergl. 
skr.  siman  und  sim.ä  Grenze  und  simä  Linie,  Grenzlinie.  S.  Zcitschr.  f.  vgl, 
Sprachf.  I,  .S74.  IV,  41. 

2)  Catcna  aurca  templum  circumdat,  pendcns  supra  domus  fastigia  la- 
teque  rutilans  advcnantibus  eo  quod  ipsum  delubrum  in  plauitie  situra  mon- 
tes  in  circuitu  habeat  positos  ad  instar  theatri. 

3)  Vergl.  vom  heiligen  Gerichtsbaum  Yggdrasill:  Stcndr  a;  yfir  ;;roenn 
UrSar  brunni.     Er  steht  immergrün  über  llri5s  Brunnen. 

4)  Thiele,  Danske  folkesagn   1813,  S.  10. 

43* 


676 

Das  goldene  Seil,  welches  Haus  oder  Land  schützend 
umschliefst,  kehrt  nun  auch  in  vielen  südgermanischen  Ue- 
berlieferuugen  wieder.  Um  den  Nagelberg  bei  Mittelfran- 
ken, der  einst  von  drei  Jungfrauen  bewohnt  wurde,  ist 
eine  goldene  Kette  gezogen.  Andere  sagen  die  Kette 
sei  solang,  dass  sie  zweimal  um  den  Berg  geschlun- 
gen werden  könnte,  sie  liege  in  der  versunkenen  Heiden- 
burg ^).  Den  Urschelberg  bei  Pfullingen  in  Schwaben,  auf 
welchem  ein  heidnisches  göttliches  Wesen  (=  Holda)  die 
Urschel  mit  drei  Nachtfräulein  haust,  umschliefst 
eine  goldene  Kette '^).  Eine  goldene  Kette  umgiebt 
auch  den  anmutigen  Kegelberg  der  Achalm  ^).  Krempe 
besafs  eine  Glocke,  welche  sehr  schön  tönte.  Die  Ham- 
buro-er  wünschten  sie  zu  haben  und  boten  dafür  eine  gol- 
dene  Kette,  die  um  ganz  Krempe  herumreichen 
sollte  *).  Ein  Stiftsfräulein  von  Schännis  erbot  sich  der 
Stadt  Aarau  eine  goldene  Kette  machen  zu  lassen,  die 
rings  um  die  Mauern  ginge  ^).  Die  Friesen  nannten 
ihren  Damm  einen  goldenen  Reif  (geldenne  höp),  der 
um  ganz  Friesland  liege  ^).  Ein  Vater  schickt  seine 
drei  Söhne  aus.  Wer  von  ihnen  die  feinste  Kette  mit 
nach  Hause  bringt,  die  gerade  um  das  Haus  herumpasst, 
soll  den  Hof  erben.  Der  jüngste  erhält  von  einer  verwun- 
schenen Maus,  die  sich  schliefslich  zu  einer  schönen  Kö- 
nigstochter entzaubert,  eine  feine  Kette,  die  so  klein  ist, 
dass  sie  in  der  Westentasche  getragen  werden  kann,  aber 
um  das  ganze  Haus  herumpasst'').  In  einer  pom- 
merellischen  Variante  dieses  Märchens  erhält  Hans  von  ei- 
ner Katze,  die  später  erlöst  die  lieblichste  Jungfrau  wird, 
eine    goldene    Kette,    die    dreimal   um    des    Vaters 


1)  Panzer,  Beitrag  I.  No.  178,  S.  155. 

2)  Meier,  Schwab.   Sagen  No.  3,   S.  5. 

3)  Meier  a.  a.  0.  No.  378,   3.  S.  344. 

4)  Bechstein,  Deutsches  Sagenbuch  No.  199.  S.  182. 

5)  Rocholz,  Sagen  des  Aargaus  I,  20. 

6)  Grimm,  G.  d.  d.  S.  673. 

7)  Schambach  und  Müller,  Niedersächs.  Sagen  M.  No.  7.  S.  269. 


677 

Haus  und  Hof  herumreicht.  Ob  damit  auch  die  fol- 
gende slavische  Sitte  zusammenhängt?  Der  Prager  Müu- 
zer  (trapezita)  musste  jährlich  am  Gallifeste  einen  Gold- 
faden an  das  Kladrauer  Kloster  liefern.  An  einer  andern 
Stelle  wird  diese  Leistung  genauer  dahin  angegeben:  Tra- 
pezita filum  aureum  circa  altare,  et  argenteum  circa 
ecclesiam  annuatim  solvere  debet '). 

Unsere  Kette  tritt  wiederum   in  einer  grofsen  Anzahl 
von  Liedern,  die  an  Jahresfesten  gesungen  wurden,  zu  Tage. 

1. 

De  sidenschnur  geit  um  dat  hüs, 

de  herr  de  guckt  tom  fenster  herüt. 

Nüges  jär  schon  es  wolgedän. 

Wat  dreit  de  herr  an  siner  band? 

'N  schrifbok  was  von  gold  so  blank. 

Nüges  jär  es  wolgedän. 

Nu  willt  wi  den  herren  laten  stän, 

un  willt  nä  siner  früen  gän. 

Wat  dreit  de  frü  an  erer  band? 

En  rosenkranz,  was  von  gold  so  blank. 

Nüges  jär  es  wolgedän. 

Schwarte  strümp  und  schwarte  schö, 

dämet  tritt  se  de  kerken  hinto.     Nüges  u.  s.  w. 

De  schwarten  siden  bänner, 

schnewitt  sin  ere  bänner.     Nüges  u.  s.  w. 

Nu  willt  wi  de  fruwe  laten  stän, 

un  willt  nä  eren  j  unker  gän. 

Wat  dreit  de  soen  an  siner  band? 

'Ne  flinte  was  von  gold  so  blank.     Nüges  u.  s.  w. 

He  hängt  sin  kränzlin  an  dat  schwert, 

he  es  'ne  schöne  frölen  wert.     Nüges  u.  s.  w. 

1)  Kladauer  Stiftungsurkunden  ex.  orig.  sublato  archiv.  c.  r.  aul.  Vindob. 
cop.  in  mus.  boh.  ap.  Erben  regcsta  Bohem.  et  Morav.  1855  p.  177,  178. 
Hanns,  Ueber  die  altertüml.  Sitte  der  Angebinde  S.  27.  Oder  bedeutet  hier, 
wie  oft  im  Latein  des  MA.,  circa  nur  anV  ,, circa  altare,  circa  ecclesiam  sol- 
vere" an  den  Altar  an  das  Kloster  liefern?  —  In  einer  Klechde  ist  ein  glä- 
sernes verzaubertes  Schloss  von  einer  tönenden  Saite  umhegt.  S.  Woy- 
cicki,  Polnische  Volkssagen  übers,  von  Lewestam  S.  141  No.  11. 


678 

Wat  dreit  de  dochter  an  ere  band? 

'Ne  lüg',  de  was  von  gold  so  blank. 

De  perlen  sin  in  gold  beschlagen, 

de  jumfer  soll  dat  von  golde  drägen.   Nüges  u.  s.  w. 

Wie  schön  steit  er  de  kragen  ? 

Se  is  von  allen  adel.     Nügcs  u.  s.  w. 

Nu  gewe  de  lewe  got  glück  im  heil 

un  gewe  se  uns  ne  gawe 

in  dissem  nügen  järe  ^). 

2. 

Herr  Geschworner  ist  er  drinne? 

Wir  wollen  ihm  eins  singen, 

Zu  diesem  neuen  Jahre. 

Appel  rot  und  weifs  Geblüt 

Zu  diesem  neuen  Jahre. 

Herr  Geschworner  hat  ein  frisch  Gemüt; 

Die  Goldschnur  geht  ums  Haus, 

Herr  Geschworner  schmeifst  'nen  blanken  Taler  'raus  ^). 

3. 
Wir  treten  her  und  ohne  Spott. 
Einen  schönen  guten  Abend,  den  geh'  uns  Gott. 
Wir  ziehen  eine  Goldschnur  über  das  Haus; 
Wir  ziehen  ein  schwarzbraunes  Mädel  heraus. 
Das  Mädel,  das  sprach  mit  falschem  Wort: 
Warum  hat  sich  der  Engel  so  schwarz  gemacht? 
Der  Schwarze  der  ist  uns  wol  bekannt, 
Das  ist  der  König  von  Mohrenland  u.  s.  w.  ^). 

4. 
Dei  golne  schnör  geit  ümme  dat  hous, 
dei  häre  kuket  taun  fenster  herout. 


1)  Leysers  hdschr.  Nachlass. 

2J  Lautental  im  Harz.     Kuhn.   Nordd.   Sagen  408,   147. 
3)  Aus  einem  Stemdreherlied  im  Samland  N.  Pr.  Provinclalbl.  VI.   1848 
S.  209.     Vergl.  in  einem  Liede  aus  Insterburg: 

Wir  ziehen  die  Goldschnur  wol  um  das  Haus, 

Herodes  der  schaut  zum  Fenster  heraus. 


679 

neues  jähr  schöne  wolln  wir  saan, 

ach  herr  geh  er  uns  eine  gäbe  u.  s.  w.  "). 

5. 
Sträufschen  ob  dem  ster(n)chen 
lecht  meinem  herrchen! 
göllem  fodem  um  det  haus! 
geft  de  fosigteier  raus! 
stellt  de  leider  ohn  de  wand, 
schneidt  de  speck  drei  ehlen  lang, 
oder  mer  Schecken  euch  de  wolf  ant  haus  ^). 

6. 
Beim  Herumführen  der  Maibraut  singt  man    in    der 
Mark :  , 

Maibrüt,  Maibrüt! 
wat  gebet  ju  de  kleine  Maibrüt? 
gebet  ju  wat,  so  hett  se  wat, 
so  hett  set  ganze  jär  wat! 
gebet  ju  nist,  so  hett  se  nist, 
so  hett  se't  ganze  jar  nist. 
Klopfe  klopfe  ringelken, 
wi  sinn  'n  par  arme  kinnerken. 
Teit  (zieht)  en  snaur  um  dat  hüs, 
tritt  'ne  kleine  junfer  rüt! 
Tram  tram  tricken 
uf  mein  mitken,  uf  mein  blut  ^). 

7. 
Am  ersten  Mai  geht  in  Tamm  im  Elsass  das  Maire- 
sele  (Mairöschen)  um  und  sammelt  Gaben.     Dabei  singen 
die  begleitenden  Kinder: 

S'  isch  e  gähler  fade  um  das  hüfs 
der  herr  spazeert  dreimal  dri  un  drufs. 


1)  Lerbach  im  Harz.     Prölilc,  llarzbilder  S.  50. 

2)  Fastnachtslied    aus   Manderschcidt.      Solimiti! ,    Sitten    und    Sagen    des 
Eifler  Volkes  S.  16. 

3J  Kuhn,  Märkische  Sagen  S.  322. 


680 

so  fahre  mir  vo  maie  in  die  rose. 

Mir  hawe  gemacht 

da  kränz  in  einer  nacht, 

so  fahre  mir  vo  maie  in  die  rose  u.  s.  w. 

Mairesele  kehr  di  dreimal  um, 

loss  di  b'schoie  'rum  un'n  um. 

So  fahre  u.  s.  w.  ') 

8. 
Das  Sechseläuten  und  das  ist  da 
Es  grünet  hür  alles  in  Laub  und  Gras, 
In  Laub  und  Gras  der  Blüten  so  vil, 
Drum  tanzet  's  Mareieli  im  Saitenspil. 
Tanz'  nu,  tanz'  Mareieli,  tanz'. 
Du  hast  gewunne  den  Rosenkranz. 
Neig'  di,  o  neig'  di  Mareieli,  neig'  di. 
Neig'  du  di  vor  des  Herren  Hüs, 
Es  schauen  vil  schöne  Damen  drüs. 
Ein  roter  Apfel,  ein  bruner  Kern, 
Die  Frau  ist  hübsch,  sie  lachet  gern, 
Ein  goldenen  Faden  zieht  er  um  si's  Hüs, 
Ade,  nu  ist  das  Maienlied  üs  '). 

9. 
Der  Meye-n-isch  chome,  nu  das  isch  ja  wahr: 
Es  grüenet  jitz  alles  i  Laub  u-n-i  Gras. 
I  Laub  u-n-i  Gras  sy  der  Bluestli  so  viel, 
Drum  tanzet  's  Mareyeli  im  Saitespiel. 
Nu  tanz,  nu  tanz,  Mareyeli  tanz! 
Du  hesch  es  gewunne:  ne  Rosechranz. 
Mir  haue  der  Meye,  mir  tüe-ne  i  d's  Tau; 


1)  Stöber,  Elsäss.  Volksbüclilein  58,  127.  Daraus  Firra.  II,  515.  Zu 
Mulhausen   Stöber  53,   117   singt  man: 

Sydefade  um  das  hüs 

s'  lüäge  scheeni  jumfere  drüs. 

Sydefade  um   das  hüs 

s'  lüäge  scheeni  herre  drüs. 

2)  Beim  Frühlings  um  gang  (Sechseläuten)  der  Knaben  und  Mädchen 
(Mareielisj  mit  einem  Maibäumchen  zu  Zürch.  s.  Vernaleken,  Alpensagen  1858. 
S.    362. 


681 

Mir  singe's  dem  Bure  sy'r  fründliche  Frau. 

Der  fründliche  Frau  und  dem  ehrliche  Ma, 

Der  üs  e  so  richlich  belohne  cha. 

Die  Büüri  isch  Laub,  u  si  git  is  so  gern 

Schön  Öpfel  und  Birre  mit  brunem  Chern. 

Get  use,  get  use  viel  Eier  und  Geld, 

So  chönne  mer  wyters,  und  zieh  über  Feld. 

Get  use-n-ihr  Lüt,  get  is  Anken  u  Mehl! 

Die  Chuechli  sy  hür  no  bas  als  fern. 

E  chetti  voll  Gold  wol  z'  rings  um  das  Hüsl 

U  jitzen  isch  uses  schön  Meyelied  üs  '). 

10. 
Zu  Biringen,  Schöntal  und  anderen  Orten   in  Schwa- 
ben singen  die  in  der  Weihnachtszeit  umziehenden  Knaben: 
Heut  ist  die  heilige  Nacht, 
Wo  Jesus  Christus  geboren  ward. 
Schenkt  ei  klare  Wei! 
I  wünsch  dir  Glück  ins  Haus  nei! 
Das  Haus,  das  ist  gefangen 
Mit  drei  silbernen  Stangen. 
Es  sitzt  ein  Engel  hinter  der  Tür, 
Der  wirft  Aepfel  und  Bire  für. 
Gebt  mir  au  baldera  (bald  herab?) 
Liebe  Jungfrau  Maria!  "). 


1)  Bei  gleicher  Gelegenheit  aus  andern  Kantonen.     Vernaleken  a.  a.  0. 

2)  Meier,  Schwäbische  Sag.  458,  193.  Vgl.  zu  den  silbernen  Stangen: 
Holstein.  MüUeuhoif,  Sagen  487,  8:  All  min  schäp  to  hüs!  ,,Ik  dörf  nicli." 
Wo  fajr  nich?  „Foer  de  grote  Roggenwulf."  Wo  sitt  he  denn?  ,, Achtern 
tun."  Wat  mäkt  he  dar?  ,,Hc  slipt  sin  ta;n."  W^at  will  he  denn?  ,,A11 
de  schäp  de  käl  afbiten."  De  bösen  wülfe  sunt  gefangen  twisclien 
twen  isern  Stangen!  All  min  schäp  kämt  to  hus !  —  In  Belgien  Wolf, 
Wodana  I,  XVIII.:  Herderke  laet  u  schaepkes  gaen!  ,,Ik  en  darf  niet." 
Van  wie?  ,,Van  mynheer  de  wolf."  Mynheer  de  wolf  zit  gevangen 
tuschen  twee  yzerne  stangen,  tuschen  de  zon  en  tuschen  de  maen. 
Herderke  laet  u  schaepkes  gaen!  —  Variante  mitgeteilt  von  Dykstra.  Wolfs 
Papiere:  Herder  herder  laet  jou  schaapkes  gaan !  ,,Ik  durf  niet."  Waaroom 
niet!  ,,0m  de  rüge,  rüge  wolf  niet."  De  rüge,  rüge  wolf  zit  gevan- 
gen tussen  twee  yzeren  kniip  stangen,  tussen  de  zon  en  de  mann. 
Herder  herder  laet  jou  schaapkes  gaan!  Vergl.  das  Fangspiel  (Stöber,  El- 
säss.  Volksbüchl.  37,  60):  Dreimol  yseri  Stange!  Wer  nidd  lauft  wurd 
gfange;  dreimol  yseri  schnitz,   wer  nidd  lauft  wurd  gfitzt ;    dreimol  iwwer  de 


682 

Die  letzten  Varianten  müssen,  wie  mir  scheint,  den  zu- 
nächstliegenden Gedanken  zurückdrängen,  die  um  das  Haus 
gezogene  Schnur  solle  nur  andeuten,  dass  die  Bewohner 
des  Hauses  so  lange  in  Haft  sind,  bis  sie  den  bettelnden 
Kindern  etwas  gegeben  haben.  Vielmehr  drückte  das  Be- 
fangensein des  Hofes  mit  dem  goldenen  Seile  ursprünglich 
günstige  Vorbedeutung  für  das  Schicksal  der  kommenden 
Zeit  aus  ').  Meine  Ansicht  unterstützen  mehrere  Zauber- 
segen zur  Verhütung  und  Abwehr  des  Feuers,  und  jedes 
anderen  Unglücks: 

a. 
Mein  Haus,  das  sei  mir  umbeschwaifen 
Mit  engelischen  Raifen, 
Mein  Haus  sei  mit  bedeckt 
Mit  einer  englischen  Deck^). 

b. 

Umb  mein  Haus   vnd  Hoffreyt  gehen  drey  Bandt, 

Die  segnet  Gott  vnd  Sanct  Johann, 

Mit  seiner  gebenedeyten  Handt; 

Vnd  die  vier  Evangelisten 

Begeren  Jesu  Christi. 

Wo  die  Wort  werden  genennt. 

Da  würdt  keine  Jungfraw  geschendt. 

So  würdt  auch  kein  Haus  vnd  kein  Hoffreytt  abgebrendt  ^). 

c. 

Umb  mein  Haus  vnd  Hoff  gehen  drey  Schloss 

Und  umb  mein  Haus  und  Hoff  gehen  drey  Bandt, 

Die  leget  Gott  vnd '). 


Rhyn,    -wer   nidd   lauft   isch   itiati.     Vergl.   oben  S.  422:  Die  kroon  die  staet 
gespannen  met  vier  yzere  bannen. 

1)  Ganz  in  Abrede  zu  stellen  ist  Wolfs  Vermutung  Beitr.   I,    104. 

2)  Myth.»   CXL,  XXV. 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Mytli.  III,   319.    „Ein  segen,   das  deinem  hause  noch 
deiner  hofireyt  kein  vnglück  wiederfahren  noch  begegnen  kann. 

4)  Ebendas. 


683 

Wie  hier  die  drei  Bande,  die  von  Engeln  gewobe- 
nen Reifen  das  Haus  vor  Unglück  bewahren,  ist  ein 
andermal  üble  Schicksalswirkuug  damit  verbunden.  Der 
König  von  England  hatte  den  schönsten  Obstgarten  im 
ganzen  Lande;  aber  er  trug  keinen  Apfel.  Das  kam  da- 
her, weil  eine  schwere  goldeneKette  dreimal  rundum 
den  Garten  vergraben  war.  Als  man  diese  ausgrub, 
wurde  der  ganze  Garten  wieder  fruchtbar'). 

Statt  der  Goldschnur  tritt  o.  S.  677.  79.  No.  1.  7 
eine  seidene  Schnur  ein.  Wir  werden  danach  verste- 
hen, weshalb  den  Kosengarten  Luarins  und  Krimhilts  ein 
seidener  Faden  umhegt: 

daz  diu  raüre  solde  sin 
daz  was  ein  vadem  sidin. 

Dieser  Faden  war  symbolisch.  Zum  Schutz  konnte 
er  an  und  für  sich  nicht  dienen,  wol  aber  als  Abbild  des 
von  den  Schicksalsgöttinnen  oder  anderen  Gottheiten  ge- 
sponnenen Seiles,  dessen  Zerreifsung  Tod  oder  Unglück 
bringen  musste.  Auch  sonst  kommt  derartige  Umhegung 
bei  Bannforsten  vor.  Der  Bannforst  zu  Thomm  im  Hoch- 
walde bei  Trier  war  durch  einen  Seiden  faden  gehegt. 
Niemand  vom  gemeinen  Volke  durfte  ihn  betreten,  oder  in 
der  Nähe  Holz  fällen-).  Nach  dem  Selterser  Weistum: 
Item  dieser  Bann  stöfst  an  zweier  Herren  Land,  nämlich 
an  die  Grafschaft  von  Wied,  an  die  Herschaft  von  Ysen- 
burg  und  an  die  Grafschaft  von  Diez  und  in  welcher  der 
dreyer  Herren  Land  der  Bann  stöfst  aisfern  als  es  gienge 
ein  seiden  Faden  darumb  und  soll  als  frei  sein^  dass 
ihn  der  Bannherr  nicht  zubrechen  soll  ^). 

Wie   die   goldene  Kette,   der  Seideufaden  die  umfrie- 


1)  Asbjörnscn  und  Moe  übersetzt  von  Bresemann  II,  S.  171.  Vergl. 
noch :  Zu  EmbUren  bei  Rendsburg  steht  ein  Mädchen  auf  der  Hausdiele.  Ein 
wunderlieblicher  Vogel  weist  sie  unter  die  Wurzel  eines  holen  Baumes 
(vergl.  oben  S.  G68)  wo  eine  Schachtel  mit  einer  zwei  Ellen  langen  silber- 
nen Kette  findet,  die  noch  Familienkleinod  ist.  MüUcnhoff,  Sagen  S. 
353,  No.  468. 

2)  Hocker,  Des  Mosollandes  Sagen,   Geschichten  u.  Legenden  362.  413. 

3)  RA.   183. 


684 

digte  Gemarkung  oder  das  Haus  gegen  Angriffe  von  au- 
fsen  schützen  soll,  dient  letzterer  auch  dazu,  Jemand  im 
Innern  des  umhegten  Raumes  festzuhalten.  Er  darf  die 
gesteckte  Grenze  nicht  überschreiten.  Nach  dem  Cölner 
Hofrecht  (saec.  XH. )  wurde  ein  gefangener  Dienstmann 
durch  blofsen  Fadenzug  eingesperrt.  „Sic  autem  reclude- 
tur;  filum  stammeum  (1.  stammineum)  de  poste  ad  po- 
stem  per  medium  ostii  tendetur  et  in  utroque  fine 
sigillum  cereum  appendetur  et  cum  sol  in  mane  ortus  fue- 
rit,  camerae  ostium  aperietur  et  usque  ad  occasum  solis 
apertum  stabit."  Nachts  wird  von  innen  geschlossen.  Be- 
suchende sind  zulässig:  „ita  tarnen  ut  ingredientes  et  egre- 
dientes  filum  et  sigilla  nee  rumpant,  neque  laedant." 
Aehnliches  enthält  das  Hildesheimer  Stiftsrecht:  were  ok 
dat  en  denestman  des  biscopes  hulde  verlöre . .  he  scol  an 
sine  kemenaden  komen,  de  scol  men  beslütenmet  eneme 
sidenem  vademe,  dar  ne  scal  he  nicht  üt  komen,  he 
untrede  sek  der  scult  mit  minnen  eder  mit  rechte  -). 

Es  wäre  recht  wol  möglich,  dass  den  angeführten 
Rechts  Symbolen  kein  anderer  Gedanke  zu  Grunde  liegt, 
als  der  der  Festigung  überhaupt.  Doch  kann  ich  mich 
des  Glaubens  nicht  entschlagen,  dass  ihnen  ursprünglich 
eine  religiöse  Idee  zu  Grunde  lag.  Sie  lassen  sich  doch 
wol  schwerlich  von  der  in  reichlichen  Beispielen  aufgewie- 
senen Goldkette  trennen,  die  noch  tief  in  unsere  Mytholo- 
gie verflochten  erscheint,  und  einerseits  mit  Nörnen,  Eiben 
und  weifsen  Frauen  eng  verbunden  ist,  andererseits  Glück 
oder  Unglück  bringt  und  abwendet  ^).  Was  namentlich 
die  zuletzt  angeführte  Haftung  durch  vor  die  Türe  ge- 
spannten Faden  betrifft,   so   stellt  sich  ein  abergläubischer 


1)  RA.  182. 

2)  RA.  a.  a.  0. 

3)  Ihre  Entstehung  erklärt  sich,  soweit  sie  auf  physischem  Grande  be- 
ruht, aus  dem  oben  S.  G52  erläuterten  zwischen  den  Bergen  schwebenden 
Nornenseil.  Vielleicht  nicht  mit  Uniecht  macht  Rocholz,  Alemann.  Kinderl. 
I,  141  auf  den  Eingang  des  oben  S.  526  mitgeteilten  Liedes  aufmerksam, 
wonach  ein  Seidenfaden  von  Baden  nach  Zürich,  von  Zürich  bis  zum 
Hauenstein  (einem  badischen  Grenzstädtchen  im  Schwarzwald),  von  Hauen- 
stein bis  wiederum  heim  gezogen  ist. 


685 

Gebrauch  daneben,  welcher  beweist,  dass  auch  von  dieser 
symbolischen  Handlung  Einwirkung  auf  das  Schicksal  er- 
wartet wurde:  „Fille,  qui  veult  savoir  le  nom  de  son  mari 
ä  venir  doit  tendre  devant  son  huis  le  premier  fil, 
qu'elle  filera  cellui  jour  et  de  tout  le  premier  homme 
qui  par  illec  passera  savoir  son  nom.  Sache  pour  certain 
que  tel  nom  aura  son  mari^)." 

Hiemit  nun  scheinen  die  folgenden  Sitten  zusammen- 
zuhäno;en.  Wenn  im  Elsass  der  Bräutioram  dem  Dorfe 
der  Braut  sich  naht,  ist  eine  Kette  queer  über  den 
Weg  gespannt.  Ein  in  Stroh  gehüllter  Bursche,  der 
den  Bräutigam  begleitet,  sucht  die  Kette  mit  seinem  Pferde 
zu  sprengen,  aber  vergebens,  das  weifs  man  schon.  „Qui 
vive,  ruft  er  dann,  Antwort  oder  — ."  Auf  der  Stelle  er- 
scheinen dann  einige  weifs  gekleidete  Mädchen  und 
überreichen  einen  Straufs.  „Frieden!"  heifst  es  dann! 
„Ja  wir  wollen  auf  die  Gesundheit  des  Bräutigams  trinken, 
wir  wollen  ihn  betrachten  und  darum  spannten  wir  die 
Kette."  Inzwischen  wird  leise  unterhandelt,  der  Bräuti- 
gam bewilligt  gewöhnlich  30 — 40  Francs,  die  vertrunken 
werden.  „  Laissez  passer !  "  Ein  dickstämmiger  Bursch 
springt  wütend  mit  einer  schweren  Keule  aus  dem  Hause: 
„Glück  und  Segen!"  ertönt  es  nun,  „wir  haben  den 
Teufel  auf  den  Kopf  geschlagen.  Lebe  wol!" 
Der  Zug  rückt  weiter  ^).  Aehnliche  Sitte  gilt  in  Mähren  ^). 
In  Niederösterreich  werden  Nachts  vor  der  Hochzeit  zwei 
Bäume  vor  dem  künftigen  Wohnhaus  der  Brautleute  errichtet 
und  mit  einem  roten  Bande  so  verbunden,  dass  Niemand 
ohne  dasselbe  wegzunehmen  ins  Haus  kann.  Nach  der  Hoch- 
zeit wird  es  von  den  Vermählten  im  Beisein  der  Eltern  gelöst*). 

Als  äufseres  Zeichen  des  neugeschlossenen  Ehebundes 

1)  Les  evangiles  des  quenouilles  (Bruges  1475)  I,  G  nouvelle  cdition 
Paris  MDCCCLV  p.  18.  Hieraus  aufgenommen  in  „der  alten  weiber  philo- 
sophey."  Zcitschr.  f.  I).  Myth.  III,  329,  1.  Chemnitzer  Rockenphilosopliie 
bei  Grimm  Myth.'    LXXH,    110. 

2)  Alexander  Weil,   Sittengemälde  aus  dem  elsäss.  Volksleben  bei  Pröhle 
Hausbüchlein  f.   das  Volk   und  s.  Freunde  II,   109. 

3)  Mitteilung  von  J.  Feifalik. 

4)  Vernaleken,  Alpcnsageu  39G,   59. 


686 

wurde  statt  des  Ringes,  wie  es  scheint  in  älterer  Zeit  ein 
Band,  vorzüglich  ein  Goldband  angewendet').  In  ei- 
nem schwedischen  Spieltanze  aus  der  Landschaft  Nerike, 
welcher  eine  Verlobung  darstellt,  heifst  es: 

Komm  komm  Maria  lieb  und  reich  mir  deine  Hand 
Hier   hast   du   das   Ringlein  und  um   den  Arm  das 

Band  2). 
Und  Alle  in  dem  Kreis  hier  bezeugen  mir  es  laut, 
Maria  hat  gelobet  hier  zu  werden  meine  Braut  ^). 
In  einem  upländischen  Reihen  wird  gesagt: 

Hier  hast  du  Ring  und  Verlobungsband*), 
Du  sollst  mich  nicht  betrügen  ^). 
In  einem  dänischen  Volkslied^): 

Der  Herr  zieht  heraus  sein  goldnes,  goldnes  Band, 
Er  bindet  es  um  seiner  Liebsten  Hand'). 
In  einem  anderen: 

Das  rote  goldne  Band  um  ihren  Hals  er  wand, 
„Das  geb  ich  dir,  da  ich  dich  treu  erkannt  ^).'' 
Dass   auch  hier  nicht   das   blofse  Festmachen,   der 
Ehe -Bund   durch    das   Band   ausgedrückt  werden    sollte, 
glaube  ich  aus  folgenden  Gebräuchen  und  Liedern  folgern 
zu  können.      Zur   ersten  Windel  muss   das  Brautband 
der   Mutter   genommen   werden  ^).      In    einem    fränkischen 
Hochzeitlied  (im  Dorfe  Buch  bei  Röttingen  ^")  wird  gesagt: 
Die  Braut,  die  hat  ein  schönes  Band, 
Giebt  übers  Jahr  ein  "VVickelband. 


1)  S.  Weinhold,  Die  Deutschen  Frauen  S.  226  fgg. 
2J   Här  bar  du  ringen,   silfband  om  din  arm. 

3)  Dybeck,   Runa   1842   IV,    70. 

4)  Ocli  här  har  du  ringen  och  fastningeband. 

5)  Dybeck,  Runa  IV,   75. 

6)  Fünen  durch  Frau  Dr.  Biernatzki. 

7)  Den  herre  drager  ud  sit  guUe,  gulle  baand,    han    binder  det  om  sin 
allerkjserestes  haand. 

8)  Sv.   Grundtvig,   Gamle  Danske  minder  II,  279:   Han  slog  roeden  guld- 
baand  omkring  hendes  hals.     ,,det  giver  jeg  dig,  for  du  ikke  er  falsk." 

9)  Kuhn,  Mark.  Sagen  364. 

10)  Mitgeteilt  von  Alexander  Kaufmann,  Bremer  Sonntagsblatt  1855  No. 
23.  S.  182. 


687 

Durch  die  Doren  reifst  der  Schnee. 
Heut  ein  Mädchen  und  nimmermeh! 
Es  tritt  unser  Wickel-  oder  Wiegenband  auch  sonst 
bedeutsam  hervor  und  zeigt  sich  mit  mythischen  Begriffen 
verflochten.  Dieses  und  somit  auch  das  mit  ihm  zusam- 
menhängende Brautband  ist  nämhch  nur  irdisches  Abbild 
eines  göttlichen  Bandes.  In  einem  beim  Frühlingsumgang 
gesungenen  Liede '),  begegnen  die  Worte  : 

Wir  wünschen  der  Frau  'ne  goldne  Wiege, 
Damit  soll  sie  ihr  Kindlein  wiegen; 
Wir  wünschen  der  Frau  ein  goldnes  Band, 
Damit  bind'  sie  ihr  Kindlein  zu. 
Nach  anderen  Liedern  stammt   aber  dieses  Band  aus 
dem  himmlischen  Lande  der  Engel: 

1. 
Ikke  Brikke  von  Engelland 
Bring  mi  doch  e  sidne  Band. 
„Sidelband  dat  bring  ek  nich, 
Engelland  dat  kenn  ek  nich"  ^). 

2. 

Moder  för  nä  Schack, 

brocht  e  weg  on  e  lak; 

väder  för  nä  Engelland, 

brocht  e  blanke  windelband, 

windelband  dat  wer  so  blank, 

dat  dat  kind  in  de  wege  sprang  ^). 


1)  Wunderhom  III.   1808  Anhang  37.      Daraus  Erlach  IV,  412.      Sim- 
rock  KB. 2   221,   892. 

2)  Wiegenlied.     PommeroUen  miindl. 

3)  Halbinsel  Ilela    bei  Danzig,    mündl.      Vergl.  N.  Preufs.  Provincialbl. 
XXVII.   1842.     Aus   dem  Samland  aufgez.  von  Reusch: 

Wie  de  brüt  tor  triong  för, 

"WSBT  se  blank  geilochte: 

as  se  wedder  nä  hüse  ka;m, 

fond  sik  e  junge  dochter. 

Motter  för  nä  Schnake, 

väder  for  nä  Engelland 

brocht  e  weg  6k  e  windelband, 


688 

3. 
Schocke,  schocke  brom 
Vater  reist  nach  Rom  '), 
Mutter  reist  nach  Engelland, 
Und  bringt  den  Kindern  goldnes  Band  ^). 

4. 
Suse  kinneken  süse! 
dat  kind  leg  in  de  groupe, 
vader  un  mouder  sünd  wit  von  hüs, 
de  kön  wi  uich  roupen! 
Us  vader  is  int  Heenland, 
de  hält  US  kind  en  leehband 
mit  twe  sülwerne  knöpken, 
dann  lert  üs  kind  löpken  ^). 

5. 
In  einer  Fortsetzung  des  bekannten  Kinderliedes  „Hans 
de  sat  im  schösten  un  flikde  sine  scho": 
As  de  brüt  to  kark  ging, 
dö  har  se  nix  to  dön; 
as  se  wedder  rüt  kem, 
har  se'n  jungen  son. 
Hans  reit  nä  Engelland 
hal  sin  kind  'n  windelband 
(Engelland  dat  wer  versläten, 
slötel  wer  im  loch  afbräken)  *). 


windelband  w£er  altoblank, 
vader  niBm't  to  bökseband. 
Schnaaken  ist  ein  Dorf  unweit  Königsberg  am  Kurischen  HafF. 

1)  Ist  dieses  rom  auch  aus  Roan  entstanden? 

2)  Aus  den  russischen  Ostseeprovinzen  d.  Cand.  J.  v.  d.  Smissen.  —  An 
die  4te  Zeile  schliefst  sich  die  Fortsetzung:  Die  Kinder  wolln  es  essen,  da 
falln  sie  in  den  Kessel.  Die  Kinder  wolln  es  trinken,  da  falln  sie  in  den 
Winkel.  Da  kommt  der  grofse  Trippetrapp  und  steckt  die  Kinder  in  den 
Sack.  Da  schreien  die  Kinder  ei!  ei!  ei!  O  lass  mich  los.  Ich  geb  dir 
Butterbrod,  ich  geb   dir  Tabacksdos',   ich  geb   dir  Apfelmofs. 

3)  Bauerschaft  Dersum  in  der  Herschaft  Campe -Dincklage  in  Hannover 
D.  Fräulein  E.  Freiin  von  Dincklage- Campe.  Leehband,  Gängelband.  Heen- 
land ein  Ort  an  der  holländischen  Grenze  bei  Bunde. 

4)  Holstein  mündlich.     Vergl.  Berlin  aufgez.  von  H.  Reinicke: 


689 

Hiemit  nun  vergl.  man: 

Storch,  Storch,  Steine 
Mit  de  lange  Beine, 
Mit  de  korze  Knie. 
Jungfrau  Marie 
Hat  e  Kindche  funne, 
Isch  mit  Gold  umbunne. 
Wer  Solls  hewwe? 
Der  Pätter  oder  die  Got. 
Wer  soll  die  Winnie  wasche? 
Die  Mäd  mit  der  Lapperdäsche  '). 
Eine   Danziger  Variante    hierzu   (s.  oben  S.  529,    11 
Anm.  1)  bietet  „Hat'n  Kind  gefunden,  war  in  Gold  ge- 
bunden" und  eine  Aargau  er  Recension  s.  oben  S.  534,  d 
liest:   Hat   es   Chindli   funde,  häts  in  Plunder  bunde." 
Zu  erwähnen  ist   noch  ein  tirolisches,  obwol  sehr  verderb- 
tes Lied: 

Storch,  Storch,  trauni, 
Storch,  Storch,  brauni 
Füfs  und  lan<Te  Finjrer, 
Sollst  mir  eine  bringen. 


Als  die  Braut  zur  Kirche  ging. 

War  sie  bunt  geflochten: 

Als  sie  wieder  raufser  kam, 

Hatt'  sie  ne  junge  Tochter. 

Reist  der  Vater  nach  Engelland, 

Holt  dem  Kind  ein  Wickel  band. 

Als  der  Vater  wiederkam. 

War  das  Kind  gestorben. 

Hab'  ich  dirs  nicht  gleich  gesagt; 

Bleib  bei  deiner  Wiegen, 

Nimm  den  Fuchsschwanz  in  die  Hand 

Und  kehr  dem  Kind  die  Fliegen. 
Die  Lesart  Engelland  kehrt  wieder  in  Aufzeichnungen  aus  Berlin  d.  H. 
Runge  und  d.  H.  Bunk  und  aus  Oranienburg  bei  Berlin  d.  H.  Dupr(<,  dage- 
gen tritt  Pommerland  (s.  oben  S.  347)  ein,  Alttöi>litz  bei  Potsdam  und 
Treuenbrictzen  d.  H.  Sasse.  —  Oranienburg:  Gii  ngelband  =  Wickelband.  — 
Alttöplitz:  Und  als  er  wieder  zu  Hause  kam,  war  das  Kind  begraben  mit 
Schippen  (S(!haufeln)  und  mit  Spaten.  —  Trcucnbrietzcn ;  Oranienburg;  Ber- 
lin (Bunk)  schalten  nach  ,, Wickelband"  ein:  Die  Mutter  ging  nach  Dresen,  holt 
dem  Kind  'n  Besen. 

1)  Dietzenbach  bei  Oft'enbach  d.  H.  Rosenstiel. 

44 


690 

Leg  mir  eine  hin 

Mit  einer  goldenen  Krün 

Storch,  Storch,  trauni, 

Mit  den  langen  brauni, 

Komm,  klappr'  ja!  '). 
Krün   kann  kaum  etwas  anderes  sein,  als  „die  Kring" 
d.  h.  der  Ring,  da  Kroan  Krone  absteht. 

Das  Ergebnis,  welches  wir  aus  diesen  Liedern  zu  zie- 
hen haben,  kann  zunächst  kein  anderes  sein,  als  dass  zum 
Gedeihen  des  neugebornen  Kindes  ein  goldenes  Band 
nötig  erachtet  wurde,  das  aus  Enge  Hand,  dem  himmli- 
schen Lichtreich,  dem  Sitz  der  Ungebornen  s.  oben  S.  373 
ffifsr.,  stammt,  auch  mit  dem  Kinderbrunnen  der  Holda  in 
Verbindung  steht,  und  sich  dadurch  mit  Wahrscheinlich- 
keit als  heidnischer  Vorstellung  angehörig  zu  erkennen  giebt. 
Vermute  ich  recht,  so  diente  dieses  Seil  die  Körperlichkeit 
des  Neugebornen  zu  festigen,  die  Verbindung  zwischen  Kör- 
per und  Seele  herzustellen  ^).  Ich  stütze  mich  dabei  auf 
folgende  Gründe. 

Der  Körper  galt  unserm  Altertum  als  ein  blofses  Ge- 
wand der  Seele.  Der  Ausdruck  dafür  ist  altn.  hamr  und 
hams,  ags.  hama,  homa,  sächs.  hämo,  ahd.  hämo,  altfr. 
homa,  hama,  wozu  goth.  gahamon,  ufar-hamon,  ana-hamon, 
ivÖveö&ai,  iTiEvSvsoß'ai;  and-hamon,  af-hamon,  anexdvsiv, 
ixövsa&at  und  ahd.  hemidi,  nhd.  Hemde  gehören.  Danach 
heifst  der  Leib  altn.  lik-amr,  lik-ami  (aus  lik-hamr),  ahd. 
lih-hamo,  nhd.  Leich-nam,  alts.  lik-hamo,  ags.  lic-hama, 
flaesc-hama  d.  i.  Körpergewand,  Fleischgewand.  Ebenso 
heifst  der  Vogelkörper  altn.  fjaör-hamr,  ags. feöerhoma, 
alts.  fetherhamo,  Federgewand;  der  Wolfskörper  altn. 
ülfshamr,  der  Seehundskörper  faer.  köpahamr  und  nicht 
minder  ist  von  einem  trölls-hamr  Riesenkleid  d.  h.  Rie- 


1)  Zingerle,  Sitten,  Bräuche  und  Meinungen  des  Tiroler  Volkes  S.  161. 
No.  72. 

2)  Es  scheint  nach  S.  689   Anm.,   dass   das   Kind   stirbt,    da   das    Seil 
zu  lange  ausbleibt. 


691 

senkörper  die  Rede  ').  Unter  gewissen  Umständen  ist  es 
der  Seele  möglich  dies  Körpergewand  zu  verlassen  und  be- 
liebig in  ein  anderes  zu  schlüpfen.  Da  nannte  man  ha- 
maz  das  Gewand  umziehen,  die  Verwandlung  hiefs  hama- 
skipti.  Eine  Hexe,  die  in  fremder  Menschen-  oder  Tier- 
gestalt Umfahrten  (ham-farir)  hielt,  wurde  ham-hleypa 
genannt,  ein  Wort,  das  auch  Männern  zusteht  '^) ;  ein  sol- 
cher hiefs  ham-ramr  gewandmächtig.  Die  Verwandlung 
in  andere  Gestalt  geschieht  rein  äufserlich  durch  Anziehen 
des  anderen  Körpergewandes.  Als  Loki  die  geraubte  löunn 
wiederholen  soll,  bittet  er  Freyja  um  ihr  Palkengewand 
(vals-hamr),  er  fährt  hinein  und  fliegt  als  Falke  nach 
Thrymheirar.  Thiassi  verfolgt  ihn,  als  er  mit  löunn  da- 
vonflieht,  indem  er  Adlergewand  nimmt  (tekr  ar-ha- 
minn)  als  Adler  ^).  Um  Thors  Hammer  wiederzusuchen 
erbittet  sich  Loki  von  Freyja  ihr  Federgewand  (Qaör- 
hamr"*);  er  fliegt  damit  und  das  Federkleid  (d.  h.  der  Vo- 
gelkörper) rauschte  (fjaör-harar  dunSi  ^).  Valkyren  fliegen 
als  Schwäne  durch  die  Luft.  In  Seen  sich  badend  le- 
gen sie  die  Schwankörper  (älptar-hamir)  ab  und  tragen 
menschliche  Gestalt ").  Eine  Valkyre  nimmt  zum  Fluge 
Völsüngas.  cap.  2  auch  Krähengewand  an  (hun  brä  ä  sik 
kräku-ham  ok  flygr).  Sigmundr  und  Sinfjötli  fanden  im 
Walde  ein  Haus,  darin  lagen  zwei  schlafende  Männer.  Ihre 
Wolfskörper  (ülfa-hamir)  hingen  über  ihnen,  denn  sie 
waren  verwünschte  Königssöhne,  und  konnten  nur  jeden 
zehnten  Tao;  aus  ihren  Wolfs2;ewanden  fahren.  Sisfmundr 
und  Sinfjötli  fuhren  in  die  Wolfskleider  und  nahmen  Wolfs- 
geberden und  Stimme  an;  so  verwandelt  stifteten  sie  gro- 
fses  Unheil  in  ihrer  Feinde  Land').      Die   Seehunde  (ko- 


1)  Völuspä  32. 

2)  Fornaldarsög  II,   390. 

3)  BraKilricöur  k.  56. 

4)  Muiitü  iner,  Freyja,  fjaörhanis  Ijä! 

5)  ThrymsquiSa  3.   5. 

6)  Völiinöarqu.  Vorr.   ed.  Muncli  S.  72.    IlcIrciS  Bryiih.   6.     Fornaldar- 
II,   375.   37G. 

7)  Völsüngas.  k.  8.     Ycigl.  Petersen,  Nordisk  mythologi  p.  149  fgg. 

44  * 


692 

par,  selir)  sind  nach  feroeischem  Glauben  Nachkommen 
ertrunkener  Menschen,  welche  am  heiligen  Dreikönigsabend 
jährlich  einmal  ihr  Seehundskleid,  ihre  Haut  (kopahamar, 
hüS,  bjalvi  ')  ablegen  und  anderen  Menschen  gleichend  (li- 
kir  öörum  menneskjum)  am  Ufer  tanzen  und  spielen.  Ein 
Bursch  belauschte  diesen  Tanz  und  sah  das  schönste  Mäd- 
chen aus  einem  Seehundsbalge  fahren  (koma  üt  ür  einum 
köpa-hami).  Er  raubte  das  Seehundsgewand  und  gab  es 
ihr  trotz  ihrer  Bitten  „geva  sär  hamin  aftur "  nicht  zu- 
rück. Sie  heiratete  ihn  und  gebar  ihm  mehrere  Kinder. 
Einmal  aber  vergafs  er  deu  Schlüssel  seines  Kastens  zu 
Hause.  Die  Frau  fand  das  Seehundskleid  (sä  hamin  liggja 
]ja)  konnte  ihrer  Sehnsucht  nicht  widerstehen,  schlüpfte  hin- 
ein (og  för  i  hann)  und  verschwand  im  Meer  '^). 

Dass  dieselbe  Auffassung  auch  den  Südgermanen  eigen 
war,  bezeugen  aufser  dem  Worte  lih-ham  folgende  For- 
meln. Von  einem  bösen  Geist  heifst  es:  j^ät  he  mid  feöer- 
homon  fleögan  meahte,  windau  on  wolkne.  Cädm.  Gen. 
ed.  Gr.  417.  Von  einem  Engel:  thuo  thar  suogan  quam 
engil  thes  alowaldon  obhana  fan  radure  faran  an  fether- 
hamon.  Helj.  171,  23.  Von  den  Vögeln:  farad  an  fe- 
Sarhamun.  Helj.  50,  11.  In  deutschen  Sagen  kehrt  häufig 
der  Zug  wieder,  dass  elbische  Jungfrauen  durch  üeber- 
werfung  eines  Gewandes,  eines  Hemdes  oder  Schleiers 
sich  in  Schwäne  verwandeln.  An  stillen  Weihern  legen 
sie  dieses  Hemd  ab  und  haben  nun  wieder  menschliche 
Gestalt  ^).  Umgekehrt  sind  sieben  Knaben  in  Raben  ver- 
wünscht und  fliegen  in  dieser  Gestalt  herum,  d.  h.  sie  sind 
getötet,  sind  Seelen").  Die  Rückkehr  in  menschliche  Ge- 
stalt erfolgt,  als  ihre  Schwester  sieben  Hemden  spinnt, 
webt  und  näht^).    Höchst  merkwürdig  ist  die  Erzählung 


1)  Vor"-!,   altn.  bjälfi  vestis  ampla,   informis,  pellicea. 

2)  Andquarisk  tidskrift  1849—1851  S.  192  fgg.  Vergl.  Wolf,  Beitr.  II, 
308.  Grimm,  Ir.  Elfenm.  XL VII  fgg.  Myth.^  1049,  Aum.*.  Thiele,  Daaske 
SagQ  III,   51.     Liebrecht  Gervasius  S.  134. 

3)  S.  die  Beispiele  gesammelt  bei  Wolf, -Beitr.  II,  211  —  219;  von  der 
Hagen,   Schwanensage:  Reiffenberg,   Le  Chevalier  au  cygne  Brüssel  1846. 

4)  Vergl.  darüber  AV.  l^Iüller  in  Pfeiffers  Germania  I,   425. 

5)  KlIM.   III,^    81.     Kuhn,  Märkische  Sagen  S.  286. 


693 

KHM.  No.  49.  Eine  Stiefmutter  wirft  6  Knaben  weifs 
seidene  Hemdchen  über  den  Kopf,  worauf  sie  sogleich 
als  6  Schwäne  davonfliegen.  Sie  werden  wieder  zu  Men- 
schen, als  ihre  Schwester  schweigend  6  andere  Hemden 
aus  Sternblumen  (vergl.  o.  S.  383  fgg.)  spinnt  und  den  6 
Schwänen  überwirft.  Am  einen  Hemde  fehlte  noch  der 
linke  Aermel.  Deshalb  brach  dem  jüngsten  Bruder  der 
linke  Arm  und  er  hatte  dafür  einen  Schwanflügel.  Das 
Hemd,  welches  die  Rückkehr  und  Verwandlung  in  mensch- 
liche Gestalt  bewirkt,  ist  mithin  der  menschliche  Körper 
(lih-hamo  ^).  Nimmt  Jemand  dem  im  Walde  herumlau- 
fenden Werwolf  die  bei  Seite  gelegten  menschlichen 
Kleider  weg,  so  muss  er  Werwolf  bleiben '). 

Schon  W.  Grimm  äufsert  '^) :  Ich  vermute  die  geheime 
Kraft,  wodurch  eine  solche  Haut  sich  dem  menschlichen 
Leib  anschloss  und  selbst  eine  Umgestaltung  desselben  be- 
wirkte, lag  in  einem  Ring,  oder  einer  goldenen  Kette. 
So  verwandelt  sich  eine  Frau  in  einen  Werwolf,  indem  sie 
einen  Ring  über  sich  wirft  ^),  Nach  dem  franz.  Lais  de 
Mehon  p.  49.  50  verwandelt  sich  der  entkleidete  Mensch, 
mit  einem  Zauberring  berührt,  alsbald  in  einen  Wolf.  Nach 
dem  Glauben  der  Inselschweden  erkennt  man  in  Werwölfc 
verwandelte  Brautleute  an  weifs en  Ringen  um  den 
Hals^).  Gewöhnliche  Annahme  des  Volksglaubens  ist, 
die  Verwandlung  werde  durch  einen  um  den  Leib  ge- 
bundenen Riemen  bewirkt.  Dieser  Gürtel  sei  nur 
drei  Finder  breit  und  aus  der  Haut  eines  Menschen  ge- 
schnitten  ^).  Nach  polnischer  Sage  legte  eine  Hexe  ihren 
Gürtel  auf  die  Schwelle  eines  Hochzeithauses,  Braut  und 
Bräutigam  und  sechs  Brautfühi-er  darüber  tretend,  wurden 


1)  Aus  dieser  Auffassung  dos  Körpers  als  Gewand  wird  es  auch  erklär- 
lich, wie  nach  nordischer  Sage  Sigurör  und  Gunnar  die  Gestalt  tauschen  kön- 
nen.    Der  Grund  dieses  Tausches  ist  freilich  cia  tieferer,  mythisciicr. 

2)  Myth.^    1050. 

3)  Heldensage  388. 

4)  Myth.'*    1049. 

5)  Russwurm,  Eibofulke  II.   §.  300.    10   S.  203. 
G)  Myth.-    1050. 


694 

in  Werwölfe  verwandelt.  Nach  drei  Jalaren  bedeckte  die 
Hexe  jeden  Werwolf  mit  einem  Pelz  (dem  menschlichen, 
lihhamo),  dessen  Har  nach  aufsen  gewandt  war.  Sogleich 
wurde  derselbe  wieder  Mensch.  Nur  dem  Bräutigam  reichte 
die  Decke  wol  über  den  Leib,  nicht  über  den  Schwanz 
und  er  behielt  bei  sonst  menschlicher  Gestalt  den  Wolfs- 
zagel ').  Nach  einem  dänischen  Volksliede  kämpft  ein  von 
seiner  Stiefmutter  in  einen  Bären  verwandelter  Held  (mann- 
biönn,  Mannbar,  wie  man  in  Norwegen  sagt,  altu.  biarn- 
heöinn  s.  oben  S.  290,  Anm.  2)  mit  einem  Ritter: 

Denn  sie  ists,  die  mich  bezaubert  hat; 

Sie  tats  mir  an  so  falsch. 

Und  band  mir  dies  Eisenband  um  den  Hals. 

Kannst  du  dies  Eisen  zerbrechen  nicht. 

So  blas  ich  dir  aus  dein  Lebenslicht. 


Der  Hofmann  macht  ein  Kreuz  über  ihn. 

Das  Band  zerbrach,  der  Bär  ging  hin. 

Und  war  ein  Ritter  hold  und  fein. 

Des  Vaters  Reich  ward  wieder  sein  ^). 
Als  ein  alter  Bär  in  Ofodens  praestegjeld,  der  6  Menschen 
und  60  Pferde  getötet  hatte,  endlich  selbst  getötet  wurde, 
fand  man  bei  ihm  einen  GürteP).  Nach  der  Uebertra- 
gung  der  7  weisen  Meister  jagt  ein  Ritter  vergeblich  eine 
schneeweifse  Hindin,  er  findet  am  Fluss  eine  nackte  schnee- 
weifse  Jungfrau  mit  goldener  Kette  in  der  Hand,  die 
er  ihr  fortnimmt.  Sie  ist  nun  in  seiner  Gewalt,  er  trägt 
sie  in  sein  Zelt,  ehelicht  sie  und  sie  wird  die  Mutter  der 
7  Schwankiuder  *).  Das  in  ein  Rehkälbchen  verwandelte 
Brüderchen  KHM.  No.  41  trägt  ein  goldenes  Strumpf- 
band als  Halskette.  Eine  in  Hirschgestalt  umgehende 
Seele  hat  eine  Goidkette  um  den  Hals^).   Ebenda  trägt 


1)  S.  Woycicki,   Klechdy   101  —  113.    152  —  158. 

2)  Kjitmpeviser  S.  147.     Danske  Viser  I,   184. 

3)  Sommerfeldt,   Saltdalens  prgestegjeld  p.  84. 

4)  Vergl.  AD.  Blätter  I,  128  fgg. 

5)  Thiele,  Danske  folkesagn  1843  S.  8. 


605 

König  Frodes  Hirsch  eine  Goldkette').  Nach  Mu- 
säus  ^)  geschieht  die  Verwandhmg  in  einen  Schwan  durch 
einen  Schleier  mit  goldener  Krone,  die  darunter  ge- 
setzt wird.  Ein  Wirt  ist  durch  Zauberei  einer  Frau  län- 
ger als  ein  Jahr  Gans  gewesen  und  mit  den  Gänsen  um- 
geflogen, bis  ihm  einmal  eine  andere  Gans  das  Tuch  lein, 
worin  der  Zauber  lag,  vom  Hals  abgerissen^).  Notker 
kennt  einen  Schwan  ring.  Er  übersetzt  die  Worte  Ps. 
79,  14  „singularis  ferus  depastus  est  eam":  „der  einluzzo 
wildeber,  der  mit  demo  suaneringe  ne  gät,  habet  in  sus 
frezzen."  Er  setzt  den  wilden  Waldeber  dem  zahmen,  der 
seine  Natur  geändert  hat,  entgegen.  Das  scheint  ein  Ring 
zu  sein,  der  Verwandlung  in  Schwangestalt  und  an- 
dere Tiergestalt  mit  Beibehaltung  menschlicher,  men- 
schenfreundlicher Gesinnung  bewii'kte  ■*). 

Andererseits  hängt  aber  von  Goldring  oder  Gold- 
kette die  Rückkehr  in  menschliche  Gestalt  ab.  Die  Wolfs- 
häute, in  welche  Sigmuudr  und  SinQötli  fahren,  hängen 
neben  den  Männern,  die  jeden  lOten  Tag  davon  befreit 
wurden.  Von  diesen  Männern  wird  gesagt,  sie  hätten  da 
im  Gebüsch  gesessen  mit  dicken  Goldringen.  Da 
nachher  die  Völsünge,  welche  nicht  im  Besitz  der  Ringe 


1)  Thiele  a.  a.  0.  S.  16. 

2)  Volksmärchen  „Der  geraubte  Schleier.'' 

3)  Niclas  von  AVyl,  in  s.  Uebersetzung  des  Apulejus.    Mj'th.'*  1048. 

4)  W.  Grimm,  Heldens.  S.  30.  "Wie  hier  (wegen  Häufigkeit  der  Schwan- 
verwandlung) der  Eber  den  Schwanring  trägt,  hat  in  einem  pommerelli- 
schen  Märchen  ein  König  seine  Tocliter  demjenigen  versprochen,  welcher  einen 
wilden  Eber  zu  erlegen  vermag.  Ein  graues  Männchen  schenkt  dem  dum- 
men Hans  eine  Gold  kette.  Diese  wird  über  den  Eber  geworfen  und  das 
Tier  ist  gefangen  und  zahm,  Ist  hier  der  Eber  wie  oben  S.  317.  318  Vo- 
gel und  Wild  als  spuckender  Geist  in  Wildschweingewand  gedacht,  welcher 
erst  durch  die  Goldkette  Körperlichkeit  erhält,  greifbar  wird?  —  In  Eh- 
ningen  geht  in  den  Adventsnächten  eine  kleine  weif  sc  Sau  um,  welche 
eine  Kette  um  den  Hals  trägt.  Zu  derselben  Zeit  zeigt  sich  eine  weifso 
Gans  im  Flecken.  Meier,  Schwab.  Sagen  S.  225,  No.  255,  2.  Auch  andere 
Gespenstertiere  z.B.  der  Hund  im  Schatzberge  bei  der  weifscn  Frau  tragen 
goldenes  Halsband,  z.B.  Baader  299,  323.  Wenn  KlIM.  No.  76  ein 
verräterischer  Kocli  verwünscht  wird  ,,du  sollst  ein  schwarzer  Pudelhund  wer- 
den und  eine  goldene  Kette  um  den  Hals  liabcn,"  so  scheint  diese 
Kette  wieder  das  die  Tiergestalt  festigende  Seil  zu  sein. 


sind,  die  Wolfshaut  nicht  verlassen  können,  sondern  Gei- 
ster bitten  müssen,  sie  ihnen  abzunehmen,  war,  wie  es 
scheint,  die  Verwandlung  in  Menschengestalt  durch  diese 
Ringe  bedingt  ^).  Ein  Königssohn  ist  zu  Zeiten  in  einen 
Baum,  zu  Zeiten  in  eine  Taube  verwandelt.  Seine  Rück- 
kehr in  menschliche  Gestalt  hängt  von  einem  Ringe  ab, 
der  in  Gewalt  einer  bösen  Hexe  ist  -).  Beatrix  gebiert  7 
Söhne  mit  Silberketten  um  den  Hals.  Als  man  ihnen 
die  Ketten  abnimmt,  werden  sie  in  Schwäne  verwan- 
delt. Als  später  diese  Ketten  wieder  über  die 
Schwäne  geworfen  werden,  kehren  sie  dauernd  in 
menschliche  Gestalt  zurück^). 

Die  Seele  konnte  jeden  Leib  wie  ein  Gewand  anzie- 
hen oder  ausziehen;  die  Verbindung  zwischen  Geist  und 
Körper  wurde  erst  durch  ein  goldenes  Seil,  eine  gol- 
dene Kette,  einen  goldenen  Ring,  mit  einem  Worte 
ein  Band  gefestigt,  welches  dem  neugebornen  Menschen 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  Schicksalsgöttinnen  wäh- 
rend  der  mit  der  Namengebung  verbundenen  Wasserbe- 
sprenguug  spunnen.  Durch  dieses  Seil  wurden  zu  gleicher 
Zeit  gewisse  Eio-enschafteu  dem  Charakter  des  nun  voil- 
ständig  zur  Menschlichkeit  durchdringenden  Kindes  mitge- 
teilt. Wir  fanden  oben  S.  611  fgg.  wahrscheinlich,  dass 
während  der  Wassertaufe  die  Schicksalsgöttinnen 
bestimmen,  ob  das  Kind  zur  vollen  Körperlichkeit  durch- 
drincren  oder  seelische  Natur  d.  h.  die  Fähigkeit  der  Seele 
den  Körper  nach  Gefallen  zu  verlassen  und  zu  wandeln, 
behalten  soll,  vergl.  oben  S.  310 — SIS'').  Wir  sahen  fer- 
ner, dass  von  den  Schicksalsjungfrauen  in  diesem  Mo- 
ment dem  jungen  Erdenbürger  Eigenschaften  oder  dauernde 


1)  S.  Völsungas.  cap.  XII.      W.  Grimm,  Heldensag.   388. 

2)  KHM.  No.  123. 

3)  Grimm,  D.   Sagen  II,  S.  201.  No.  534  fgg. 

4)  Hierfür  spricht  nun  auch  die  Bestimmung  der  lex  Salica,  dass  vor 
der  Namengabe  ein  Kind  nur  mit  halbem  Wergeid  gebüfst  und  dem  Fötus 
gleichgestellt  wird. 


697 

Glücksgüter  beigelegt  werden,  s.  S.  588.  589.  634  fgg.  *). 
Diese  Eigenschaften  oder  Glücksgüter  werden  aber  durch 
ein  Band  mitgeteilt,  das  um  den  Neugebornen  geschlungen 
wird.  Unter  den  Inselschweden  an  Russlands  Küste  bin- 
det man  bei  der  Taufe  einige  Silbermünzen  in  die  Win- 
deln und  Salz  in  einen  Zipfel  des  Tuches,  welches  bei 
dieser  heiligen  Handlung  dem  Kinde  über  die  Augen  ge- 
legt wird  '^K  Auch  in  Schweden  ist  neben  dem  Glauben 
an  Zauberkraft  des  Taufwassers  die  Sitte  verbreitet,  dem 
Täufling  einen  Pfennig  oder  ein  Stück  Brod  ins  Taufzeug 
einzunähen,  wodurch  er  Reichtümer  erlangen  solP).  Bei 
Gernsbach  im  Speierschen  windelt  man  beim  Wickeln  des 
Kindes  etwas  Brod  und  Salz  mit  ein").  Ebenso  bindet 
man  dem  Taufkinde  Brod  und  Käse  beim  Kirchgang  ein  ^). 
Das  Patengeschenk  wird  bei  den  Inselschweden  dem 
Täufling  in  die  Windeln  (oder  die  Wiege)  gesteckt ''). 
Nicht  anders  muss  der  Pate  in  Tirol  vor  der  Taufe  das 
Taufgeld  in  die  Fatsche  (Windel)  legen "').  Vergl.  oben 
S.  591,  Anm.  Dieselben  Sitten  haben  nun  auch  bei  Sla- 
ven  statt.  Christus  und  Petrus  bereisen  in  Bettlergestalt 
die  Welt,  werden  von  einem  armen  Manne  zu  Paten  ge- 
beten und  beraten  nun  unter  einander  („co  mu  budou  va- 
zat")  was  sie  dem  Knaben  binden  wollten.  Der  heilige 
Petrus  bindet  ihm,  dass  es  ihm  auf  der  Welt  wolergehe, 
Gott  der  Herr  bindet  ihm,  dass  es  ihm  nach  dem  Tode 


1)  Die  Stelle  Hävam.  159  ist  gegen  meine  oben  S.  590  ausgesproclieue 
Ansicht  doch  wol  auf  die  Wasserbesprengung  zu  beziehen.  Die  Con- 
struction  ist  nämlich,  wie  ich  nunmehr  einsehe:  ef  ek  skal  vatui  verpa  ä 
jjegn  üngan.  „Wenn  ich  soll  mit  Wasser  sprengen  auf  einen  jungen 
Helden." 

2)  Russwurm,  Eibofolke  II,   S.  66,   §.  271.   S.  221,   §.  365,    1. 

3)  Afzelius  übers,  von  Ungewitter  III,   162. 

4)  Myth.»   XC,  564. 

5)  Zeitschr.   f.  D.  Myth.   IV,   2,   23. 

6)  Russwurm,  Eibofolke  II,  S.  67,   §.  271. 

7)  J.  G.  V.  Zingcrlc,  Sitten,  Bräuche  und  Meinungen  des  Tiroler  Volkes. 
Insbruck  1857  S.  139,  973.  Auch  im  Aargau  geben  Gottc  und  Götti  ihrem 
Taufkinde  zur  fäsclien  (ins  Wickclband  auch  zur  hülsen  genannt  s.  ilavon 
unten  S.  700  )  als  Angebinde  einen  grofsen  Drabantertalcr  und  einen  kleinen 
Angster,  dann  wirds  später  für  Grofs  und  Klein  sorgen.  Rocholz,  Alemann. 
Kinderl.  296,  665. 


698 

wol  ergehe  *).  Einem  Kinde  etwas  bei  der  Taufe  schen- 
ken heifst  böhm.  diteti  pH  kftu  zaväzati^  einem  Kinde 
etwas  bei  der  Taufe  zubinden  oder  einbinden.  Man  braucht 
für  das  Patengeschenk  auch  die  Ausdrücke  naloziti,  za- 
loziti  anlegen,  einlegen,  und  zakläditi  einlegen. 
Bei  einem  armen  Manne  will  die  reiche  Nachbarin  nicht 
Gevatter  stehen.  „Solchen  Bettlern  wie  ihr  —  sagt  sie  — 
muss  man  viel  einlegen  (za-loziti)."  Ein  zauberhaftes 
Weib  übernimmt  nun  die  Patenstelle  und  sagt  „aus  dem 
Dukaten,  den  sie  dem  Kinde  einlege  (z  toho  dukatu  co 
diteti  zaklädäm)  sollten  mehrere  werden.  Als  der  Mann 
heimkehrt,  heifst  er  seine  Frau  das  Eingewundene  (Ge- 
schenk) herausnehmen,  damit  sie  sehe,  was  für  eine  seltene 
Patin  das  Kind  hatte  (vyndej  zävinek,  abj'S  videla  jak 
vzacnou  kmotru  melo").  Das  Weib  griff  unter  die 
Windeln  und  zog  eine  Hand  voll  Dukaten  heraus  (zena 
sahla  za  plenu  a  vytähla  hrst  dukatu '-).  Auch  pflegt  man 
in  Böhmen  zu  sagen  „  kmotfi  dävaji  na  povijan"  d.  i.  die 
Paten  geben  an  das  Wiegen  band.  Ofi'enbar  stehen 
diese  Sitten  und  Redensarten  mit  den  folgenden  in  engem 
Zusammenhang.  In  mehreren  deutschen  Gegenden  heifst 
das  Patengeschenk  Eingebinde.  Besold  erklärt  Ein- 
bindgeld: munusculum,  quod  recens  baptizato  infanti  da- 
tur,  fasciis  quasi  indere,  numum  charta  involutum  muneri 
dare.  In  Luzern  sagt  man  dafür  Einbund,  in  Schlesien 
Gebindnis^).  Im  Lesachtal  in  Kärnten  legt  der  Pate 
dem  lünde  sein  Patengeschenk  in  das  Taufkleid  (kresem- 
pfat.).  Dieses  Taufgeschenk  wird  Bind  band,  Täf- Bind- 
band genannt  *).  In  Oesterreich  Tirol  und  Kärnten  heifst 
das   Patengeschenk  Bindband,   bei  Höfer  I,  85  Bund- 


1)  Kulda  mor,  povesti  I,  178.  Hauus,  Die  altertümliche  Sitte  der  An- 
gebinde S.  7. 

2)  B.  Nemcovä  bäcliorsky.  Mariska  IV,  4 — 10.  Aufl.  2.  Prag  1855. 
Hanns  a.  a.  O.  8. 

3)  S.  J.  Grimm,  Ueber  Schenken  und  Geben.  Abhandl.  d.  Berl.  Aka- 
demie  1848   S.  134. 

4)  Ein  solches  Geschenk  Bindband  genannt  ivird  auch  bei  der  Fir- 
melung von  den  Paten  gegeben.  Vergl.  Geiler  von  Keisersberg,  Seelenpara- 
dies Bl.  128:  Vatter  vnd  muotter,  die  ein  kind  houd,  das  jnen  lieb  ist,  spre- 
chend:  „wir  wollen  unsserem  kind  das  gold  in  den  buossen  legen." 


699 

band.  Hieraus  geht  hervor,  dass  man  ursprünglich  das 
Patengeschenk  mit  einem  Bande,  Seil,  Strick  an  den 
Leib  zu  binden  pflegte.  Noch  lange  war  und  teilweise 
noch  ist  es  Sitte  an  Namens-,  Geburtstagen,  den 
jährlichen  Wiederholungen  des  Tauftages  Jemanden  mit 
einem  Bande  zu  binden  oder  ihm  ein  Geschenk  an  den 
Körper  zu  binden.  Im  Lesachtal  bindet  man  das  Kind 
am  Namenstage  mit  einem  Bande  und  schenkt  ihm  etwas. 
Dieses  Geschenk  heifst  Bindband.  Im  17ten  Jahrhun- 
hundert  liefsen  die  schlesischen  Dichter  (namentlich  Opitz, 
Gryphius  und  Fleming)  keinen  Namenstag  vorüber,  ohne 
in  damals  zierlichen  Gelegenheitsgedichten  zu  binden, 
anzubinden  oder  ein  Band  zu  knüpfen.  Abwesen- 
den wurden  Bänder  mit  dem  Reim  übersandt.  „Wir 
pflegen  unsere  G  eburtstage  festlich  zu  begehen,  schicken 
einander  in  gutem  Anwunsche  „Bindebrieflein,  ge- 
schenkte Bändlein"').  Hieraus  entspriefst  der  Aus- 
druck Angebinde  für  Geschenk  bei  der  Taufe,  Firme- 
lung, am  Geburts-  und  Namenstage,  ein  Wort,  das  erst 
späterhin  und  keineswegs  allgemein  für  Geschenk  bei  fest- 
lichen Gelegenheiten  überhaupt  verwandt  wurde  ^).  Noch 
deutlicher  weisen  auf  das  Einschnüren  des  Leibes  mit 
einem  Bande  die  schweiz-schwäbischen  Namen  des  Ge- 
burtsgeschenks,   Patengeschenks,    Hochzeitsgeschenks    die 


1)  Butschky,    Patmos.     Leipzig   1677    S.  50.      Grimm,   DWB.  II,    31. 
Opitz  singt  (Poet.  Wald.  Amster.   1645   S.  48): 

Doch  mein  williges   Gemüte, 
Darmit  ich  euch  zugetan, 
Uebertrifft  des  Bandes   Güte, 
Welches  ich  jetzt  knöpfen  kann. 
Weil  der  Sinn  nun  nicht  gebricht. 
So  verschmäht  das  Band  auch  nicht. 
Fleming,  Geist-  und  weltl.   Poemata.     Jena   1651,  42. 
So  soll  er,  aller  Blumen  Schein, 
IMit  Blumen  angebunden  sein? 
Nicht  mit  Blumen  nur  allcine. 
Dieses  Band  soll  auch  sein  seine, 
Das  wir  haben  aufgewunden, 
Darmit  sei  er  angebunden. 

2)  S.  Grimm,   DWB.  I,   '295.   338.   II,    32    s.  \v.      Angebinde,    binden, 
Bindeband,  Bindebrief.     Ucber  Schenken  und  Geben  S.  135   fgg. 


helseta  oder  wörgeta  (gleichsam  ahd.  halsida,  worgida) 
von  helsen,  würgen,  ein  Band  um  den  Hals  drehen^). 
Im  Aargau  heifst  würget e  der  Geburtstag^),  in  Appen- 
zell wörgeta  das  Geschenk  am  Namenstage.  Die  Per- 
son, deren  Tag  gefeiert  wird,  wird  gewürgt,  zugleich  aber 
mit  etwas  beschenkt^).  In  Schwaben  heifst  halsen  am 
Geburtstage  würgen,  Subst.  das  Geburtstagsgeschenk,  Ge- 
schenk der  Paten  am  St.  Niclastage  *),  halse  ist  Hoch- 
zeitsgeschenk. In  der  Schweiz  dagegen  ist  helsete  das 
Geschenk  an  Kleidern  (Hemden,  Strümpfen  u.  s.  w.),  wel- 
ches die  Kinder  am  Neujahrstage  von  ihren  Paten  empfan- 
gen^). Schliefshch  heifst  das  Patengeschenk  im  Elsass 
auch  Strick,  in  Schwaben  Strecke*^).  In  der  Schweiz 
einstrickete  von  einstricken  mit  dem  Seil  festbinden. 

Dieses  Band  nun,  der  Strick,  das  Halsband  (wor- 
getli),  womit  bei  der  Taufe  oder  der  jährlichen  Wieder- 
kehr des  Namenstages  und  Geburtsfestes  der  Mensch  um- 
schnürt, mit  welchem  an  seinen  Körper  die  glückvorbe- 
deutende  Gabe  der  Paten  festgebunden  wurde "),  ist  ofi'en- 
bar  eine  symbolische  Nachbildung  des  Schicksalsseils,  wo- 
mit die  Körperlichkeit  des  Neugebornen  während  der 
Wasserbesprengung  gefestigt  und  in  welches  Glücksgüter 
und  Eigenschaften  für  den  von  nun  an  sich  bildenden  Cha- 
rakter  des  jungen  Menschen  eingewunden  wurden  ^).  Wir 
erkennen    es  in  dem  o;oldeuen  Wiegenseil  aus  Engelland  ^) 


1)  Vergl.  worgetli  Halsband,  Stalder  II,  457;  mhd.  helsinc  laqueus, 
coUare  Bou.  57,  92. 

2)  Rocholz,  Alemann.  Kinderl.  II,   321,   809. 

3)  Tobler,  Appenzell.   Sprachschatz   451. 

4)  Schmidt,   Schwab.  Idiotikon  259. 

5)  Stalder  II,   37. 

6)  Schmidt,   Idiotik.   510. 

7)  Von  dieser  symbolischen  Sitte  ist  wol  der  Gebrauch  des  17ten  Jahr- 
hunderts ein  Eest,  Geldgeschenke,  bei  welchem  Anlass  sie  auch  erfolgten, 
auf  den  Aermel,  um  den  Arm  zu  binden.  Grimm,  Schenken  und  Ge- 
ben  135.     DWB.  II,   32. 

8)  Sollte  nicht  hieraus  auch  die  Formel,  wynnum  bewunden,  mid 
welan  be wunden  mit  Glück  (Wohlstand,  Macht,  Kraft)  umwunden  von 
Menschen;  gold  welan  wunden  im  Gegensatz  zu  gold  galdre  bewun- 
den (s.  Gram.  IV,  752.  Myth.*  122G.  Nordalbing.  Studien  I,  19.  23)  er- 
klärlich werden? 

9)  Bei    den   sogenannten    wilden    Iloclizeiten    in  Tirol   wird   ein  langes 


701 

oben  S.  687,  sowie  in  dem  goldenen  Band  wieder,  welches 
um  das  Kind  im  Brunnen  geschlungen  ist  s.  oben  S.  689. 
Höchst  merkwürdig  wird  in  einem  westphälischen  Liede, 
das  oben  S.  249  mitgeteilt  ist,  der  Marienkäfer,  der  die 
Kinderseelen  bringt  (s.  oben  S.  255)  aufgefordert,  eine  gol- 
dene Kette  vom  Himmel  herabzubringen  (brenk  ne 
güllue  kie  mit).  Ist  dieser  Zug  echt  und  ist  das  unsere 
Schicksalskette? 

Nach  der  Ynglingasaga  erhenkt  Skjälf  ihren  Gemahl 
A^ni  mit  einer  goldenen  Halskette.  Diese  Halskette 
ist  ein  Erbkleinod  im  Geschlechte  der  \nglinge  und  an 
sie  schon  seit  mehreren  Generationen  böser  Fluch  geknüpft. 
Skjälf  ist  aber  ein  Beiname  der  Freyja'),  deren  vorzüg- 
lichstes in  der  Mythe  stark  hervortretendes  Attribut  eine 
goldene  Halskette  (Brisingamen)  ist.  Mithin  ist  die 
Halskette  bei  Skjälf  am  richtigen  Platz,  bei  den  früheren 
Gliedern  der  Genealogie  späterer  Zusatz,  der  Fluch  (in 
Geschlechtssagen,  insoweit  er  sich  auf  mehrere  Generatio- 
nen bezieht,  stets  ein  Product  jüngerer  Zeit,  vergl.  Pelo- 
piden  und  Labdakiden),  bezieht  sich  nur  auf  die  innere 
Kraft  der  Kette,  ist  nicht  von  aufsen  an  dieselbe  geheftet. 
Freyja,  die  Geburtsgöttin,  führt  zugleich  die  tötende  Schick- 
salskette, an  welche  der  Fluch  der  Vernichtung  geknüpft 
ist.  Als  eine  besonders  altertümliche,  auszeichnende  Art 
der  Tötung  lässt  sich  die  Erdrosselung  mit  goldener  Hals- 
kette mehrfach  in  deutscher  Sage  und  Geschichte  beob- 
achten, Walthari  tötet  den  Trogus^  indem  er  ihm  die  Gold- 
spauge  um  den  Hals  drückt: 

Exin 
Alpharides  „morere",  inquit,  „et  haec  sub  tartara  transfer, 
enarrans  sociis,  quod  tu  sis  ultus  eosdem." 
His  dictis  torquem  collo  circumdedit  aureum-). 


Seil  als  Wiegenband  zum  Angebinde  dargebracht.  Zingerle,  Sitten,  Bräuche 
und  Meinungen  S.  142  No.  992.  Vergl.  S.  139.  No.  980.  S.  a.  Rocholz, 
Alem.  Kinilerl.   S.  290   „Wiogenscil,   Dcisclsoil." 

1)  Skäldskaparm.   k.   75.     SnE.  Arn.  I,   557. 

2)  Waltharius    manufortis   1056.    59.      Grimm    und    Schmeller.    I-at.   Gu- 
dichte    S.  39.      Ebenso    soll    Isern    Hiunerk    den    König   von    Böhmen    in  der 


702 

König  Konrat  wollte  den  jungen  Herzog  Heinrich  von 
Sachsen  aus  dem  Wege  räumen.  Erzbischof  Hatho  von 
Mainz  übernahm  die  Ausführung  des  Unternehmens  und 
liefs  eine  goldene  Kette  mit  wunderbarer  Kunst  formen. 
Damit  sollte  Heinrich  erdrosselt  werden.  Der  Goldschmied 
verriet  aber  dem  Herzog  den  Anschlag  ^).  Nach  Kirch- 
hof') wurde  noch  1499  zu  Venedig  ein  Candiot,  der  einen 
Schatz  gestohlen  hatte,  mit  einem  vergüldten  Strick 
gehenkt. 

Das  Wort  sanskr.  mani  (gemma,  margarita,  monile), 
pers.  minu,  griech.  ^ävvog,  /növvog,  ficcvur/.r/g,  lat.  monile, 
ahd.  Plur.  menni  (monilia),  (cf.  manili  lunula,  i.  quam  mu- 
lieres  portant  in  pectore),  alts.  ags.  men,  Plur.  menas;  altn. 
men,  welches  im  altn.  Brisinga-men,  ags.  Brösinga-mene 
dem  Namen  des  Freyj aschmuckes  verwandt  ist,  ward  ge- 
wönlich  von  kostbarem,  aus  Metall  geschmiedetem 
Halsschmuck  gebraucht;  in  älterer  Zeit  galt  ein  gerra. 
mani,  das  Grimm  ^)  in  den  Eigennamen  Manikolt,  nhd. 
Mangold  wiedererkennt.  Nun  heifst  der  Henker  span. 
manigoldo,  worin  Diez  *)  das  deutsche  Wort  Manigold, 
Manogald  oder  Maniwalt,  d.  i.  „der  mit  dem  Hals- 
bande", „der  der  Halskette  waltet"  nachgewiesen  hat. 
Wie  leicht  auch  die  beigebrachten  Zeugnisse  wiegen,  es 
scheint  mir  zwischen  der  goldenen  Halskette  der  Freyj  a- 
Skiälf  und  dem  Henken  noch  ein  anderer  tiefer  greifender 
Gedankenzusammenhang  zu  sein,  als  die  einfache  Auffas- 
sung des  Galgenstrickes  als  Halsband.  Ich  vermute,  dass 
man  in    dem    tötenden    Galecenband    ein   Abbild    des    von 


der  Schlacht  bei  Cressy  mit  der  goldenen  Kette,   die  er  am  Halse  trug,  zu 
sich  gezogen  haben.     Miillenlioff,   Sagen  S.  25  No.  XXIV. 

1)  Dietmar  von  Merseburg  I,  kap.  11. 

2)  Wendunmat  III,  257.  Philipp  der  Grofsmütige  von  Hessen  sollte 
auf  des  Kaisers  Geheifs,  Heinz  von  Lüder,  den  treuen  Verteidiger  von  Zie- 
genhavn  in  Ketten  aufhängen  lassen.  Er  nahm  seine  goldene  Kette  vom 
Halse,  liefs  seinen  Obersten,  ohne  ihm  wehe  zu  tun,  aufhängen,  gleich  wieder 
abnehmen  und  verehrte  ihm  dieselbe  unter  grofsen  Lobsprüchen  seiner  Tapfer- 
keit.    Hormayr,  Taschenbuch  f.  D.  vaterl.  Gesch.   1842   S.  246. 

3)  Gram.  III,  453.     Myth.^   498. 

4)  Wörterb.  d.  Roman.  Sprachen  416. 


703  _ 

Freyja-Holda  oder  den  Schicksalsgöttinnen  gesponnenen, 
geflochtenen  Seiles  erschaute  und  darum  der  goldene 
Halsschmuck  symbolische  Bedeutung  hatte.  Er  ge- 
mahnte seine  Träger  und  Trägerinnen  sowol  an  das  Ge- 
burtsseil, wie  an  den  Todesstrick.  So  ist  erklärlich,  wes- 
halb in  Heljand  52,  6,  wo  davon  die  Rede  ist,  dass  man 
die  Perlen  nicht  vor  die  Säue  werfen  soll  (Math.  7,  6) 
das  Halsband  heilig  genannt  wird:  Ne  sculun  gi  suinum 
teforan  iuwa  meregriton  macon,  ettho  medmo  gestriuni, 
helag  halsmeni.  Mit  dem  Galgenstrick  wurde  mannig- 
facher Zauber  getrieben.  Ein  Seil,  woran  Jemand  erhenkt 
ist,  um  den  Kopf  gebunden,  heilt  Kopfweh'),  Zahnschmerz'^) 
u.  s.  w.  Beachtung  verdient  die  Sitte  in  Ulten,  wenn  die 
Leiche  auf  dem  Totenbette  liegt,  einen  Nähfaden  in  Kreuz- 
form über  sie  zu  ziehn  ^). 

§.  9.     Noch  einmal  die  Nornenlieder. 

Nunmehr  sind  wir  ausgerüstet,  um  auf  die  Lieder  §.  5 
oben  S.  524  zurückkommen  zu  können.  Seit  der  obige 
Abschnitt  gedruckt  ist ,  hat  Vernaleken  *)  noch  mehrere 
Varianten  bekannt  gemacht,  wovon  drei  (aus  Zürch,  dem 
Thurgau  und  Appenzell)  zu  unserer  No.  18  oben  S.  531 
in  blofs  mundartlicher  Verschiedenheit  stimmen,  doch  ge- 
währen sie  sämmtlich  „spinnt  haberstrau"  für  „schnidt 
haberstrau."  Nur  eine  Aufzeichnung  aus  Glarus  verdient 
Erwähnung  (vergl.  oben  S.  526,  No.  5): 

Rite,  rite  rösseli 

det  obe  stät  es  schlösseli, 

det  obe  stät  es  guldig  hüs! 

luged  dri  jungfraue  drüs. 

Die  erst  spinnt  side, 

die  ander  goldwieden, 

1)  Has^ens  Germania  VII,   43G.     Wolf,  Beiträge  I,   2-17,   5G1. 

2)  Wolf  a.  a.  O.   247,   562. 

3)  Sitten,  Bräuclie  und  Meinungen  des  Tiroler  Volkes.      lusbruclc   1857 
S.  25,  204. 

4)  Alpensagen.  Wien  1858  S.  119  No.  97. 


704 

die  dritt  gät  is  sunnenhüs 

und  lät  die  guldig  sunne  üs. 
Ebenso  ist  noch  eine  Basler  Aufzeichnung  zu  bemerken  r 

Rite,  rite  rössh 

z'  Basel  stoht  e  schlössli, 

z'  Liestel  stoht  e  herehüs, 

luegi  schöni  maiteli  drus: 

eis  spinnt  side 

's  ander  schnitzlet  kride, 

's  dritt  machts  d'  türe'u  uf 

und  lofst  der  rege-n-iue '). 
Nach  den  von  uns   gepflogenen  Untersuchungen  kann 
es  kaum  mehr  zweifelhaft  sein,  dass  in  jenen  Liedern  wirk- 
lich von  den  Schicksalsgöttinnen  die  Rede  ist,  welche  dem 
neugebornen  Menschen  das  Schicksalsseil  spinnen. 

Der  heidnische  Inhalt  der  Lieder  wird  vorzüglich  durch 
ihre  Berührung  mit  den  oben  S.  389  fgg.  erläuterten  Ueber- 
lieferungen  gewährleistet.  Die  Form  aber,  das  muss  auf 
den  ersten  Blick  auffallen,  reicht  keineswegs  in  so  hohe 
Zeit  hinauf;  so  dass  wir  notgedrungen  annehmen  müssen, 
dass  wir  hier  Umdichtungen  eines  oder  mehrerer  älterer, 
wahrscheinlich  alliterierender  Lieder  vor  uns  haben,  wel- 
che bei  Verwandlung  des  Textes  um  der  Reime  willen  den 
Sinn  mit  ziemlicher  Sicherheit  festhielten.  Dies  dürfen  wir 
bei  der  Beurteiluno;  der  einzelnen  Lesarten  nicht  aus  den 
Augen  lassen. 

Side  ahd.  sida  (sericum)  kann  an  die  Stelle  eines  Gold- 
seils getreten  sein,  wie  in  den  oben  S.  677.  679  (vergl.  S. 
682)  angeführten  Liedern,  möglicherweise  aber  ist  es  Um- 
deutung  eines  ahd.  vielleicht  nur  zufällig  nicht  erhaltenen 
SIDA  (laqueus)  vom  Stamme  SEI}>A  (SEIDA?),  SAIJ^, 
SI1>UM,  ahd.  SIDü  (SITü),  SEID,  SIDUMES  (Gram. 
II,  46  No.  507b),  das  aus  ahd.  seid,  said  (laqueus),  bi- 


1)  Basler  Kinderreime  S.  10.  Zu  No.  8  oben  S.  527  ist  ebendaher 
S.  9  nachzutragen:  Eite  rite  rössli,  z'  Basel  stoht  e  schlössli,  z'  Basel  stoht 
e  glockehüs,  luege  schöni  maiteli  drüs.  Eis  spinnt  side,  's  ander  wickelt 
Wide;  's  dritt  spinnt  klorigold,  das  isch  de  liebe  maiteli  hold. 


705 

seidon  inlaqueare,  ags.  säd  (säö?)  laqueus  neben  ahd. 
seito  (laqueus,  funis),  seita  (chorda)  gefolgert  werden  darf. 
In  jedem  Fall  kommt  das  Seidespinnen  mit  dem  Spinnen 
des  Goldseils  bei  Helgis  Geburt  überein,  das  Weidespin- 
nen s.  oben  S.  538  stimmt  zu  dem  Seil,  an  welches  die 
dritte  der  bairischen  Jungfrauen,  die  Held,  bindet  s.  oben 
S.  641,  sowie  zu  der  tötenden  Halskette  oben  S.  701  fgg. 
Im  Namen  Warbette,  Gwerpet  oben  S.  645  fanden  wir 
denselben  Gedanken  ausgedrückt,  den  die  von  uns  S.  538 
vermutete  Formel  „die  dritte  ruft  kreiden"  gewährt. 
Vgl.  die  Sage  von  der  Burg  Botenlaube  oben  S.  642.  43. 
In  unsern  Liedern  werden  die  drei  Jungfrauen  auch 
als  „die  drei  Mareien",  „drei  schöne  Nonnen"  be- 
zeichnet s.  oben  S.  532.  In  den  Bairischen  Sagen  treten 
die  drei  Schwestern  häufig  als  drei  Nonnen  auf)  und  die 
verwandten  Nixen  ^)  und  witten  wiwer  ^)  sind  in  Sagen  und 
Liedern  ebenso  häufig  zu  Nonnen  geworden,  wie  Zwerge 
zu  Mönchen.  Ebenso  zeigt  sich  in  den  bairischen  Ue- 
berlieferungen  bereits  die  Neigung,  die  drei  Schwestern  in 
die  drei  Marien  ( Molen J  übergehen  zu  lassen*).  St. 
Wilbett,  Warbett  und  Ainbett  bewohnen  für  sich  ein  klei- 
nes Kloster;  auf  dem  Jungfernberg  bei  St.  Georgen  ha- 
ben zwei  weifse  und  eine  halbschwarze  Jungfrau  ein  Klo- 
ster gehabt^)  und  Fridlev  in  der  Absicht  „parcarum 
oracula  consultare,  deorum  aedes  precabundus  accedit,  ubi 
introspecto  sacello  ternas  sedes  totidem  nymphis 
occupari  cognoscit  (s.  oben  S.  591)."  Nach  Völ.  19  woh- 
nen die  Nörnen  in  einem  Saal  beim  Uröarbrunnen  unter 
der  Esche  Yggdrasill.  Mit  dieser  Scenerie  stimmt  das 
goldene  Haus,  Sonnenhaus  (Puppenhaus,  Hinterhaus, 
Glockenhaus,  Hühnerhaus,  Bäckerhaus,  Herrenhaus)  über- 


1)  S.   Panzer  I,   S.  376.     Wolf,  Beitr.  II,    178. 

2)  Wolf,   Beitr.  II,   275.  277. 

3)  Zeitschr.   f.   D.  Myth.  II,    145,  4,    1. 

4)  S.  Panzer  I,   S.  66.   67.   68.    106.   114. 

5)  S.  weitere  Beispiele  Panzer  I,   S.  374,  §.  38. 

45 


706 

ein,  aus  welchem  unsere  Lieder  die  drei  Jungfrauen  her- 
vorschauen lassen.  Doch  ist  das  kein  wesentlicher  Punkt. 
Viel  wichtiger  ist  die  Wahrnehmung,  dass  der,  wie  ich 
hoffen  möchte,  augenscheinlich  geführte  Nachweis,  dass  die 
nordischen  Nörnen  und  deutschen  Schicksalsgöttinnen  ihrer 
Grundnatur  nach  Wolkenfrauen  waren,  die  den  Schatz 
des  Sonneugoldes  verschlossen  halten,  mit  dem  Ausgang  ei- 
nes Teiles  unserer  Lieder  in  Uebereinstimmung  steht,  wonach 
zu  zwei  schicksalspiunenden  Jungfrauen  eine  dritte  sich  ge- 
sellt, welche  das  Tor  des  Himmels  aufschliefst,  die 
Sonne  heraus  und  den  Regen  hineinlässt.  Dieses 
Herauslassen  der  Sonne  kehrt  auch  anders  gewendet  in 
dem  schwedischen  Liede  oben  S.  657  No.  4  wieder,  wel- 
chem zufolge  Frau  Sole,  drei  Stunden  bevor  die  Sonne 
aufgeht,  bei  den  Schicksalsjungfrauen  auf  vergoldendem 
Rocken  spinnt  (vergl.  oben  S.  664}. 

Auch  dass  der  Kinderbaum  und  Kinderbrunnen  Frau 
Holdas  mit  dem  Brunnen  und  Baum  der  Schicksalsgöttin- 
nen identisch  war,  glauben  wir  oben  S.  670  erwiesen  zu 
haben,  und  daraus  ergiebt  sich,  dass  kein  innerlicher  Grund 
die  Echtheit  der  Variante  zu  bezweifeln  nötigt,  welche  aus- 
saort,  dass  die  dritte  Schwester  an  den  Brunnen  geht  und 
darin  ein  goldenes  Kindchen  findet  s.  oben  S.  536  fgg.  Die- 
ser Zug  kehrt  auch  noch  bei  Panzer  H,  596  in  zwei  Lie- 
dern') wieder,  welche  wiederum  mit  dem  S.  533  fgg.  aufge- 
führten Kinderreim  ^)  näher  verwandt  sind.  Ich  vermag 
daher  um  so  weniger  die  oben  S.  536.  37  aufgestellten, 
aus  dem  Zustande  des  überlieferten  Textes  geschöpften  Be- 


1)  Das  eine  vom  Rhein  stimmt  fast  wörtlich  zu  unserer  No.  10  oben 
S.  528,  das  andere  aus  München:  Am  Glockenbach  sind  drei  Poppe- 
len drinnen,  die  eine  spinnet  Seide,  die  andere  -wickelt  Weide,  die  dritte  sitzt 
am  Brunnen,  hat  ein  Kindlein  gfunnen.  Wie  soll  das  Kindlein  heifsen?  La- 
perdon  und  Dida.  Wer  soll  das  Kiudlein  waschen?  Der  mit  seiner  Klapper- 
daschen. Hängt  ein  Engelein  an  der  Wand,  hat  ein  Eielein  in  der  Hand. 
Wenn  das  Eielein  herunter  fand,   hätt  die  Sonn  ein  End. 

2)  Zu  a  bringt  Vernaleken,  AJpensagen  121  ebenfalls  eine  Variante: 
Hopps  hopps  Eserlmo,  d'  katz'  reit'  d'  stieferl  o';  reit  damit  nach  Hollabrunn, 
sitzt  a  biawarl  auf  da  sunn.  Wia  muifs  's  hoafsen?  böckl  oder  goafsl. 
Wer  muifs  d'  windel  waschn?  rt  ahnl  (Grofsmutter)  mit  da  pludataschn. 


707 

denken,  dass  hier  zwei  ursprünglich  nicht  zusammengehö- 
rige Lieder  vermengt  sind,  zu  beseitigen  und  stelle  diesen 
Punkt  weiterer  Untersuchung  anheim.  Ebensowenig  wage 
ich  zu  entscheiden,  wieweit  der  rote  E,ock,  das  Hemd 
No.  3  S.  525.  No.  13  S.  530.  16.  17  S.  531  Glauben  ver- 
dient. Nach  No.  3  könnte  es  scheinen,  als  sei  damit  ein 
himmlisches  Gewebe  gemeint.  Die  Legende  legt  dem  Pro- 
pheten Elias  feurige  Windeln  bei.  Nach  finnischer 
Mythologie  trägt  Ukko  der  Gewittergott  ein  feuriges 
Hemd'),  offenbar  die  rotschimmernde  Wolke,  in  welche 
sich  das  Gewitter  einhüllt.  Obgleich  nun  nach  S.  652  eine 
derartige  Vorstellung  hier  nicht  befremden  könnte,  scheint 
hier  eine  andere  Anschauung  zu  walten.  Wie  Wolf,  Beitr. 
H,  S.  184.  193  vermutet,  wurde  dem  Kinde  von  den  Schick- 
salsjungfrauen ein  Gewand  gesponnen;  aber  nicht  ein  über 
den  Körper  geworfenes  Schicksalshemd,  sondern  den  lih- 
ham  selbst  möchte  ich  von  den  Göttlichen  orewebt  und  are- 
fertigt  glauben,  die  das  Eintreten  der  Seele  in  die  Mensch- 
lichkeit bestimmten.  Doch  hierüber  lässt  sich  noch  nicht 
näher  urteilen,  ehe  nicht  Echtheit  und  Alter  der  in  Rede 
stehenden  Angabe  der  Lieder  entschieden  sind. 

Ueberhaupt  bleibt  der  Kritik  in  Bezug  auf  unsere  Lie- 
der nicht  geringe  Arbeit  übrig.  Zufrieden  ihre  Einstim- 
mung mit  sicher  mythischen  und  in  das  vaterländische  Hei- 
dentum hinaufreichenden  Sagen  von  Holda  und  den  Was- 
serfrauen, nordischen  und  deutschen  Schicksalswesen  nach- 
gewiesen zu  haben  ^),  entsage  ich  vorläufig  dem  Vortrage 
von  weiteren  Vermutungen  über  ihre  ursprüngliche  Form 
und  Anordnung,  die  ich  noch  nicht  tiefer  begründen  kann, 
und  überliefere  nur  das  Material,  soweit  es  mir  erreichbar 
war,  zur  gewissenhaften  Nachprüfung  meiner  Darstellung 
und   zu   eindringenderen   Studien.      Nur   auf  einen  Gegen- 


1)  Schiefner,  Finnische  Mythologie  S.  43.  Kalevala  R.  43  v.  197  fgsr. 
rimarinen  erbittet  sich  dieses  Gewand,  um  sich  gegen  die  Pohjolawirtin  im 
Kampfe  zu  schützen. 

2)  Die  Oestr.   Blätter  f.  Literatur    und  Kunst   1857  No.  47.  48    enthal- 

45* 


JOS 

stand  wünschte  ich   noch   schliefslich   die  Aufmerksamkeit 
zu  lenken.    Es  ist  ein  sehr  verderbtes  Lied  aus  Bremen^): 

In  der  Buchtstraten,  in  der  Buchtstraten  -), 

da  steit  en  glad  hüs, 

da  kiekt  alle  awend 

dre  j umfern  herüt. 

De  mänd  de  schint  wol  up  dat  swin, 

dat  swin  dat  sprung  up  Metje  ern  schöt, 

Metje  kreg  en  schewen  fot. 

Maria  de  kam  de  treppen  herdal, 

se  harn  bunten  rock  an, 

dar  hungen  wol  hundert  klokken  an, 

de  klokken  fungen  to  klingen, 

Maria  fung  an  to  singen: 

kling  klang  klorian! 

Kind  will  uä  der  schöle  gän  u.  s.  w. 
Der  Eingang  stimmt  zu  den  Liedern  von  den  drei 
Mareien  oben  S.  524  fgg. ,  aber  auch  zu  vielen  durchaus 
nicht  mythischen  deutschen  und  romanischen  Volksliedern, 
Metje  kann  das  oben  S.  639  besprochene  Metje  =  Metten 
Schicksalsjungfrau  sein,  aber  ebenso  gut  die  Abkürzung 
von  Meta  =  Margaretha.  Auffallend  aber  gesellt  sich  Met- 
jes  schiefer  Fufs  zu  der  Beinverwundung  und  dem  Hin- 
ken der  drei  Jungfrauen  oben  S.  671.  Ein  goldener  Eber 
(Gullinbursti)  spielt  im  Mythus  der  nordischen  Freyja  (die 
unserer  Holda  gleichsteht)  und  ihres  Bruders  Freyr  eine 
Hauptrolle,  ein  solches  heiliges  Schwein  ist  auch  für  die 
deutsche  Ueberlieferung  vielfach  bezeugt,  wenngleich  die 
südgermanische  Mythologie  von  einer  Göttin  Namens  Frouwa 


ten  einen  schönen  Aufsatz  von  Dr.  Klun  über  die  Rojenice  (Sujenice)  die 
Schicksalsgöttinnen  der  Slovenen,  welche  dem  Menschen  bei  der  Geburt  be- 
stimmen, welches  Todes  er  sterben  soll.  Aus  den  reichlich  beigebrachten  Sa- 
gen geht  hervor,  dass  auch  die  Rojenice  den  gröfsten  Teil  ihres  Mythus  mit 
den  zelek  zene  Wunschweibern  und  bele  zene  weifsen  Weibern  gemein  haben. 
Auch  sie  sind  aus  der  Schar  der  alten  Wasserfrauen  differenzierte  Gestalten. 

1)  Schmidt,  Bremenser  Kinder-  und  Ammenreime  S.  7,   V,  1. 

2)  Eine  Strafse  in  Bremen. 


nichts   weifs.      Liegt  mithin   in  unserem  Liede  sagenhafte, 
alte  Ueberheferung  zu  Tage?    Ich  entscheide  noch  nicht. 

§.   10.     Schluss. 

Die  Ergebnisse  unserer  Untersuchungen  lassen  sich  in 
folgende  Hauptpunkte  zusammenfassen. 

1)  Die  Seele  des  Menschen  galt  unserem  Altertum  als 
Lufthauch  S.  269.  270.  ^  300  fgg.  301  Anra.  3.  404. 
405.  Feuer  s.  oben  S.  310"). 

2)  Bei  dem  Tode  den  Körper  verlassend  gesellt  sich 
die  Seele  dem  ihr  naturgemäfsen  Elemente  zu.  Als  Luft- 
hauch zur  Höhe  emporsteigend  vereinigt  sie  sich  mit  dem 
Wind  und  fährt  im  Mäitenden  Heer  um  oder  sie  weilt  in 
der  Wolke,  oder  dem  himmlischen  Gewässer  überhaupt,  oder 
sie  waltet  im  Licht  der  Sonnenstrahlen.  Ja  in  fast  jeder 
hervorragenden  Aeufserung  schädlicher  oder  segensreicher 
Naturkräfte  wurde  die  Tätigkeit  abgeschiedener  Menschen- 
seelen erkannt.  Als  solche  Elementargeister  heifsen  die 
Seelen  Elbe.  Wir  stellen  darüber  noch  einige  wenige  Züge 
zusammen. 

Die  Elbe  sind  sämmtlich  Seeleu  und  zugleich  Ele- 
mentargeister. Vom  wilden  oder  wütenden  Heer 
ist  es  bekannt,  dass  es  aus  den  Seelen  der  Verstorbenen 
besteht,  die  im  Sturme  umfahren.  In  einem  Teile  von 
Süddeutschland  heilst  es  das  Nachtvolk  oder  das  Nacht- 
gejäge.  In  einigen  Gegenden  der  Schweiz  ist  die  Vor- 
stellung des  Sturmes  fast  ganz  zurückgetreten^  dieselbe 
tritt  jedoch  neben  anderen  Zügen  darin  hervor,  dass  von 
dem  Nachtvolk  leise  Musik  (das  Sturmlied)  ausgeht. 
Im  Berner  Oberlande    stellt   man  sich  unter  Nachtvolk, 

1)  Vergl.  Meier,  Schwäbische  Sagen  257,  287.  Rocholz,  Aargausagen 
II,  S.  185.  Weht  der  Wind  mehrere  Tage  anhaltend,  so  bat  sich  einer  er- 
henkt. —  Wolf,  Niederländ.  Sagen  616.  No.  51'J.  Wenn  sich  ein  Wirbel- 
wind erhebt,  ist  nahebei  eine  Frau  im  Kindbett  ohne  Beichte  verstorben. 
Zingerle,  Sitten,  Bräuche  und  Meinungen  S.  25,  200:  Wenn  ein  Tugendhafter 
stirbt,   geht  die  Seele  als  weilses  Wölklein  aus  dem  Munde. 

2)  Vergl.  Zingerle,   Sitten  S.  26.  No.  215;  28,   226. 


710 

in  Graubünclten  unter  Toteuvolk,  in  Wallis  unter  To- 
te nschar  einen  Geisterzug  vor,  der  durch  sein  Erschei- 
nen einen  nahen  Todesfall  verkündioft.  Es  trägt  mit  lei- 
sem  Gerede  Leichname  um,  der  knöcherne  Tod  mit  der 
Geige  geht  ihm  vorauf.  Das  Nachtvolk  klopft  an  die  Tü- 
ren. Wer  ihm  antwortet  muss  mit  ihm  ziehen  und  stirbt 
bald.  Zwei  Kinder  lagen  eins  schlafend,  eins  wachend  auf 
dem  Kreuzwege.  Das  letztere  hörte  bald  ein  Geräusch 
zusammenschlotternder  Gebeine  und  mehrere  betende  Stim- 
men. Es  war  das  Nachtvolk.  Bald  rief  eine  Stimme  „Sol- 
len wir  die  Kinder  aufwecken?"  „Nein"  antwortete  eine 
zweite  Stimme,  „eins  wird  uns  bald  nachfolgen."  Das  Kind 
hatte  nichts  gesehen  und  starb  bald.  Dass  aber  das  Schwei- 
zer Nachtvolk  mit  dem  wilden  Heer  wirklich  eins  ist, 
geht  daraus  hervor,  dass  auch  von  ihm  die  Sage  von  der 
getöteten  und  wiederbelebten  Kuh   erzählt   wird  ')   s.  oben 

S.  77    f(r<r. 

Das  wilde  Heer  zieht,  wenns  anderes  Wetter  ge- 
ben soll '^j  mit  Musik  (dem  Sturmgebraus)  daher.  So 
oft  die  Töne  ansetzen,  neigt  sich  das  Gras  der  Matten 
und  das  Laub  der  Buchenwälder  wogt  ^).  So  oft  diese 
Musik  gehört  wird,  giebt  es  ein  fruchtbares  Jahr'*). 
Das  wilde  Heer  giebt  der  Kuh  Milch  s.  oben  S.  50.  Es 
führt  aber  auch  Kühe  (die  Wolken)  mit  sich,  jagt  sie  und 
melkt  sie  aus  s.  oben  S.  50  fg-ff.  Nur  eine  andere  Form 
dieser  Vorstellung  ist  es,  wenn  es  heifst,  dass  wo  das 
wilde  Heer  durchzieht,  die  Kühe  auf  unsichtbare  Weise 
gequält  und  gepeinigt  würden,  so  dass  sie  laut  brüllten, 
und  am  nächstfolgenden  Morgen  nur  wenige  und  schlechte 
Milch  geben  ^).  Die  W^olkenkühe  sind  eine  andere  Form 
der  Wolkenfrauen  oben  S.  78  fgg.  Wir  lernen  demnach 
verstehen,  was  es  mit  folgender  Mythe  auf  sich  hat.     Die 


1)  Vernaleken,   Alpensagen   407  fgg.  No.  107 — 111. 

2)  Vernaleken  a.  a.  0.   S.  89. 

3)  Rocholz,  Aargausagen  I,   S.  71.  No.  80. 

4)  Rocholz  a.  a.  O. 

5)  Vernaleken  S.  87.   No.  72. 


711 

wilden  Jäger  (das  wilde  Gjaid)  jageü  in  Steiermark  die 
hinten  muldenförmig  gestalteten  Wildfrauen,  die  bei 
Bächen  wohnen  und  darin  ihre  Wäsche  besorgen  (Was- 
serfrauen). Es  heifst  daselbst  aber  auch,  dass  den 
Schlitten  der  wilden  Jäger  Mägde  ziehen,  die  ein 
Schmied  alljährlich  mit  Hufeisen  neu  beschlagen  muss^). 
Hiemit  steht  nun  einerseits  in  Verbindung,  dass  der  wilde 
Jäger  und  sein  Gefolge  die  Saligen  Fräulein,  die  Lohjung- 
fern, Moosweibchen,  Pfaffenköchinnen,  Meerfrauen  u.  s.  w. 
jagt^),  andererseits  dass  der  Teufel  auf  Hexen,  die  zeit- 
weilig in  Pferdegestalt  verwandelt  sind,  durch  die  Luft 
reitet  und  ihnen  Hände  und  Füfse  mit  Hufeisen 
beschlagen  lässt^).  Auch  werden  geradezu  die  Pfaffen- 
köchinneu  als  des  Teufels  Pferde  genannt  •*)  Der  Sinn  die- 
ser Sagen  ist  ganz  deutlich  dieser.  Die  Sturmgeister  ja- 
gen, reiten  die  Wolke,  die  sie  bald  als  Kuh  melken,  ihren 
Kegen  zu  ergiefsen  zwingen,  bald  als  rossgestaltete  Was- 
serfrau ^)  zu  eilig  dahinbrausendem  Ritte  besteigen. 

Wenn  mit  anderer  Wendung  dieser  Mythus  auch  so 
ausgedrückt  wird,  dass  die  Wasserfrauen  (Freyja,  Holda, 
Frikka,  Berhta,  Gode)  an  der  Spitze  des  wilden  Heeres  ein- 
herfahren s.  S.  261.  284.  290,  so  gehen  dieselben  andererseits 
mitunter  selbst  in  den  Begriff  des  Windes  über,  gerade  so, 
wie  die  Indische  Saranyus ")  die  Bedeutung  des  Regens, 
der  Wolke  und  des  Sturmes  in  sich  vereinigt '';.  So  sagt 
man  in  Belgien,  wenn  Wirbelwinde  wüten  und  alles  mit 
sich  fortreifsen,   das   sei   die  fahrende  Mutter,   die 


1)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.   II,   32.   33. 

•2)  S.  Wolf,  Beitr.   II,    142  fgs-     Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  481. 

3)  Stöbcr,  Sagen  des  Elsass  281,  218.  Baader,  Bad.  Sagen  275,  294. 
Tettau  und  Temnie ,  Preufs.  Volkssageu  193,  198.  Venialeken,  Alpensagen 
283,  203.    Müllenhoff,   Sagen  S.  226.  No.  309.   310. 

4)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  314,  60.  Wolf,  Niederländ.  Sagen  S.  690, 
Anm.  258. 

5)  S.   Kuhn,  Zeitschr.   f.  vergl.   Spraehf.  430  fgg. ,   oben  S.  38. 
G)   Zeitschr.   f.  vcrgl.   Spnichf.   I,  446. 

7)  Darum  nehmen  die  Göttinnen  auch  mitunter  Uundegestalt  an,  s.  oben 
S.  508,  Anm.  2.  Frau  Holle  bellt  wie  ein  Hund,  lierrlciu.  Sagen  des 
Spessarts  S.  89. 


712 

ihren  Umzug  hält  ').  In  Westflandern  heilst  es,  wenn  der 
Wind  recht  pfeift,  „hör'  Alvinna  weint."  Das  ist  eine 
Frau,  welche  wegen  einer  Heirat")  verwünscht  ewig  um- 
fahren muss  ^).  Als  solche  Windgottheiten  reiten  die  Was- 
serfrauen die  Wolke;  so  jagt  Frau  Holda  auf  weifsem 
Rosse  dem  Rollegaul.     S.  oben  S.  262. 

Trat  in  dem  Namen  Alvinna  =  Eibin  schon  elbische 
Natur  der  Geister  des  wütenden  Heers  hervor,  so  bezeugt 
dies  auch  der  Name  Elbel,  den  der  wilde  Jäger  bei  Mihla 
führt  *).  Wie  schon  oben  S.  44  fgg.  behauptet  wurde,  sind 
die  drückenden  Mären  oder  Märten,  in  Baiern  Drüten 
dem  wütenden  Heere  identisch.  Dass  sie  Seelen  sind  ist 
hinlänglich  bekannt  ^).  Als  Windhauch  kommen  sie  durchs 
Schlüsselloch  ins  Zimmer,  geradeso  wie  das  wilde  Heer  (To- 
tenschar)  durch  eine  Oeffnung  in  der  Mauer,  die  nie  zu- 
gemauert werden  kann  (d.  h.  durch  welche  fortwährender 
Zugwind  fährt)  dahin  braust*^).  Die  Mären,  welche  bald 
männlich,  bald  weiblich  sind,  drücken  aufser  Menschen  auch 
Steine,  Wasser,  Eis,  Bäume  und  andere  leblose  Ge- 
genstände. Ein  Baum,  den  ein  Mär  drückt,  zittert  be- 
ständig, wenns  auch  noch  so  stilles  Wetter  ist 
und  allmählich  verkümmert  und  vertrocknet  er ').  Wo  die 
Mär  in  ihrem  Fluge  auf  Kornhalmen  ausruht^  entsteht 
schwarzer  Raden,  wo  sie  auf  den  Hopfenstengeln  ruhen 
will,   wird   der  Hopfen  schwarz.     Alle  Unformen   an  den 


1)  Wolf,  Niederländ.  Sagen   616,   518. 

2)  Wie  Freyja  s.   oben  S.  295,  Anm.  5. 

3)  Wolf  a   a.  0.   669,   584. 

4)  Bechstein,  Deutsches  Sagenbuch  S.  382,   450. 

5)  Merbitz,  De  infantibus  suppositüs  vulgo  Weehselbälgen  II,  §.8  er- 
zählt von  einem  edeln  Baiern,  cujus  uxor  defuncta,  quum  mortem  ejus  im- 
patienter  fcrret  non  tantum  rediit  se  resuscitantem  dicens,  sed  marito  etiam 
convixit  et  liberos  peperit.  Quae  tarnen  postniodum ,  quum  convitiis  et 
blasphemiis  ut  prinio  promiserat  non  abstineret,  veste  muliebri  super  arcam 
e  qua  quidpiam  deproniere  volebat  derelicta  iterum  evanuit.  —  Ganz  das 
nämliche  erzählt  Kirchhoff  im  Wendunmut  von  einer  Frau  von  Lustnau  bei 
Tübingen.  Hier  haben  wir  Marensagen  mit  dem  vollen  Bewusstsein  der  See- 
lennatur. 

6)  Vernaleken  a.  a.  0.   409,   110. 

7)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  II,  140.  III.  und  oben  S.  634.  Vergl.  Panzer 
I,  No.  109.  S.  89,  wo  die  Drüte  Muss  an  einem  Schindelbaum  sich  zu  Tode  drückt. 


713 

Bäumen  und  die  sogenannten  Märentakken  (gewisse  Schma- 
rotzergewächse) sind  Spuren  davon,  dass  die  Mär  auf  ih- 
rem Fhige  dort  ruhte').  Auch  in  Tirol  sagt  man,  dass 
die  Truden  und  Hexen,  wenn  sie  keine  Menschen  plagen 
können,  die  Eschen,  Fichten  und  Lärchenbäume  drücken 
und  daher  die  verkrüppelten  Bildungen  und  knolhgen  Aus- 
wüchse an  diesen  Bäumen  entstehen  -).  Ist  am  Baum  ein 
frischer  Ast  verdorrt,  so  sagt  man  „die  Drüt  sei 
drauf  gesessen  "  und  nennt  ihn  Drütenpflätschn  ^).  Wir- 
belwind heifst  Drütenwind  *).  Halten  wir  diese  An- 
gaben mit  den  oben  S.  45.  46  besprochenen  Segen  zusam- 
men, so  lässt  sich  die  Bedeutung  der  Maren  als  Sturm- 
geister durchaus  nicht  mehr  anfechten.  Wenn  es  nun 
weiter  von  den  Mären  heifst,  dass  sie  nächtlich  Menschen 
sowie  Kühe  und  Pferde  drücken  oder  reiten,  die 
man  dann  Morgens  zitternd  und  schweifstriefend  mit  ver- 
filzten Haaren  Morgens  im  Stall  findet^),  so  steht  auch 
dieser  Zug  den  Mythen  vom  wilden  Jäger  völlig  gleich. 
„Wenn  die  Kühe  schwitzen  und  zittern,  werden  sie  nach 
der  Milch  geritten."  In  hessischen  Hexenprocessacten 
wird  von  einem  Hexenmann  (der  hier  nur  an  die  Stelle 
des  Mär  tritt)  gesagt,  dass  er  auf  einer  kuhe  reitte  und 
im  land  zu  Hessen  milch  hole  *"').  Die  von  den  Mären  ge- 
rittene Kuh  ist  ursprünglich  die  Wolke,  welche  ihre  Milch, 
den  Regen  zu  ergiefsen  gezwungen  wird,  das  von  ihnen 
gerittene  Ross  gleichfalls  das  Wolkenross,  und  diese  my- 
thische Vorstellung  erst  späterhin  auf  die  warklichen  Tiere 
übertragen.  Ebenso  entsprang  der  Glaube  an  menschen- 
drückende Mären  aus  dem  Glauben  an  die  von  den  Sturm- 
geistern gejagten,  gerittenen  Wasserfrauen,  der  älteste  Mär 
ist  incubus.     Da  aber  die  Windgeister  selbst  oft  auch  als 


1)  Wolf,  Beitr.  II,   271. 

2)  Zingerle,   Sitten  und  Bräuche  S.  62,  No.  504.   506. 

3)  Panzer,  Beitr.  11,   298,   7. 

4)  Panzer  a.  a.  0.  II,    164,   267. 

5)  S.  Wolf  a.  a.  O.  II,  272  fgg. 

6)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  I,  277. 


714 

weiblich  gefasst  wurden,  so  lag  es  nahe,  aus  der  gedrück- 
ten (Wasser-)Frau  =z  (Wolken-)Ross  einen  Mann  zu  ma- 
chen. So  erzählt  Asbjörnsen  '),  dass  eine  Hexe  (=  Märe) 
auf  ihrem  Mann  zur  Hexenversammlung  ritt.  Durch  den 
Rat  eines  Fremden  belehrt  wie  ers  anstellen  sollte,  kehrte 
der  Mann  aber  das  Stück  um  und  ritt  auf  dem  Rücken 
seiner  Frau  durch  die  Luft  zu  Hause.  Ein  entschiedenes 
Kennzeichen  des  von  uns  behaupteten  Ursprungs  tragen 
die  Märensagen  darin  an  sich,  dass  die  echte  Volksüber- 
lieferung keine  succubae  kennt,  so  viel  sie  auch  von  weib- 
lichen Mären  zu  berichten  weifs,  welche  sich  ihrem  Lieb- 
sten über  die  Brust  legen  und  drücken.  Auch  der  Aus- 
druck „dich  hat  geriten  der  Mar",  „der  Alp  zoumet 
dich"  weist  deutlich  darauf  hin,  dass  in  der  alten  Sage 
von  einem  Ritt  auf  der  (rossgestalteten)  Wasserfrau  die 
Rede  war. 

Wie  Frau  Holda^,  Frikka,  Gode  teils  als  Wolkenfrauen, 
teils  als  Windpersönlichkeiten  auftreten,  wie  das  wilde  Heer 
oft  im  (himmlischen)  Brunnen  seinen  Aufenthalt  hat,  oder 
im  Wolkenberge  sich  birgt,  stellen  die  Mären  sich  aber 
andererseits  als  vollkommene  Wasserfrauen,  als  AYolken- 
kühe  u.  s.  w.  selbst  dar,  s.  oben  S.  78  fgg.  Auch  in  an- 
derer Hinsicht  zeigt  sich  in  den  Märensagen  ein  durch- 
stehender Dualismus.  Die  Mären  sind  von  wunderlieblicher 
Menschengestalt  und  dies  zeigt,  dass  man  sie  sich  als  se- 
lige Geister  dachte.  Nach  einigen  Sagen  kommen  sie 
durch  ein  Astloch  in  der  Wand  mit  den  Sonnenstrah- 
len ins  Haus  ^).  Andererseits  aber  erscheinen  sie  bei 
Nacht,  die  Sonne  und  allerlei  Amulete,  z.  B.  der  Don- 
nerkeil, vertreiben  sie  (die  Wolkendämonen).  Dieselben 
Wesen  sind  mithin  als  feindliche  Dämonen  aufgefasst,  ein 
Verhältnis,  worüber  oben  S.  167  zu  vergleichen  ist.  Dass 
nun  wirklich  die  Seelen  böser  Menschen  als  drük- 
kende  Mären  gedacht  wurden,  geht  mit  Sicherheit  aus 


1)  Iluldreeventyr   177.    178.     Vcrgl.  MüUenhoff,  Sagen  No.  310. 

2)  Myth."'*    1217  zu  S.  430. 


715 

der  Eyrbyggjasaga  hervor.  Ein  gewisser  Thorolfr  Baegi- 
fötr  war  im  Zorn  und  Aerger  gestorben.  Schon  am  Abend 
seines  Begräbnistages  liefs  er  sich  wieder  sehen,  belästigte 
alle  Hausgenossen;  die  Ochsen,  welche  ihn  zu  Grabe  ge- 
fahren hatten,  wurden  von  der  Mär  geritten  (tröllriöa) 
und  alles  Vieh,  welches  Thorolfs  Grabhügel  zu  nahe  kam, 
wurde  wild,  unsinnig  (ajr)?iz  |)at  ok  »pti  til  bana),  geradeso 
wie  Menschen  welche  dem  Huldufolk  im  Norden,  in  Deutsch- 
land allerlei  Eiben  zu  nahe  kommen  wahnsinnig,  oder  blöd- 
sinnig (ellevild,  elbertrötsch)  werden.  Später  gesellen  sich 
dem  Thorolfr  viele  Tote  zu,  die  er  ins  Grab  nachholt  „enn 
allir  menn,  |?eir  er  letuz,  voru  senir  i  ferb  meö  honum." 
Da  hörte  man  oft  Nachts  lauten  Donnerhall  und  von 
häufigem  Alpdrücken  (voru  menn  J>ess  varir,  at  opt 
var  ri]?it  skälanum ').     Vergl.  oben  S.  190.   191. 

Die  drückenden  Mären  heifsen  auch  Alp,  Nachtmenn- 
lin,  Nachtweibchen,  Nachtmutter,  Schrätlein,  Truden, 
Nachtogojeli,  Doarseli,  Bolworn.  Als  Seelen  erscheinen  sie 
in  der  Gestalt  von  Insecten,  besonders  Schmetterlingen  und 
deshalb  werden  die  Schmetterlinge  Toggeli,  Schrät- 
teli  und  Schratta  genannt.  Nun  heilst  ein  Schmetter- 
ling im  Aargau  auch  Donnerkeil").  Der  Donnerkeil 
wiederum  wird  Maresten,  Ylfagescot,  Elfarrow,  Elflint, 
Elfbolt,  Märenzitze,  nord.  vcettelys  d.  h.  Wichtellicht,  Mä- 
renfoet,  und  die  verfilzte  Mähne  der  Pferde,  das  verwirrte 
Haar  der  Menschen  Mürklatt,  dän.  Marelock,  Alpzopf, 
Drutenzopf,  Wichtelzopf,  Schretelzopf  genannt.  Hieraus 
geht  hervor,  dass  Schretel,  Wichtel  und  Mären  im  Wesen 
eins  sind,  oben  S.  296  ist  gezeigt,  dass  sich  ihnen  als  gleich- 
bedeutend auch  die  Heimchen  =  Seelen  im  Gefolge  der 
Perahta  gesellen.  Diese  Göttin  führt  aber  auch  das  wü- 
tende Heer  an:  „Was  anders  als  alle  Folter-  und  Rumpel- 
geister, unnatürliche  Irrwische,  Frau  Herodias  oder  Frau 
Hulde,  die  alteBerchte  mit  ihrem  wütenden  Heer, 


1)  Zeitschr.   f.   D.  Myth.  IV. 

2)  Rocholz,  Aargaus.  II,  S.  202. 


716 

Schretel,  Wichtel,  Trollen  und  Bergmännel,  dann  lauter 
Teufel?"').  So  tritt  auch  von  dieser  Seite  Einheit  jener 
Wesen  mit  dem  wütenden  Heer  zu  Tage.  Die  Heimchen 
der  Perahta  machen  (mit  dem  himmlischen  Gewässer)  als 
Wolkeugeister  den  Boden  fruchtbar;  als  Gewitterwesen 
werden  sie  und  die  anderen  Elbe  in  gleicher  Richtung  ge- 
wirkt haben.  Wenn  es  nur  ein  wenig  stark  donnert 
(tönderla),  so  glaubt  man  in  Appenzell,  dass  es  nur  ein 
Jauchzen  zu  Belebung  der  ganzen  Pflanzenwelt 
sei^). 

Die  ursprüngliche  Identität  der  Mären  und  weifsen 
Frauen  liegt  auf  der  Hand ''),  aber  auch  die  Zwerge  sind 
von  Hause  aus  nichts  anderes  als  die  in  den  Elementen 
waltenden  Seelen  der  guten  oder  bösen  Verstorbenen,  der 
Voreltern  s.  oben  S.  207.  208.  Sie  heifsen  deswegen  ge- 
radezu Öllerkes,  ÜUerken,  Ülleken,  Ölken,  Aulken, 
Ölkers  d.  h.  die  Aeltern,  die  Alten ").  Hiemit  stimmt  denn 
auch,  dass  die  letzte  Zwergenfrau,  welche  im  Berner  Has- 
litale  gelebt  hat,  „die  gute  Frau  t/fe"  d.  h.  Ahnmutter 
hiefs  ^).  Sie  wohnen  in  Grabhügeln;  bei  ihnen  lebt  man 
ewig,  jeder  Zeitunterschied  verschwindet  in  ihrer  Gesell- 
schaft ").  Als  Tote  holen  und  rauben  sie  auch  Kinder, 
zumal  ungetaufte  in  ihre  Löcher.  Als  Seelen  bezeichnet 
sie  auch  die  Mythe  dass  sie  älter  sind  als  der  älteste  Wald, 
dass  sie  vor  den  Menschen  und  Riesen  erschaffen  wurden 
u.  s.  w. ").  Sie  sind  aber  auch  Windgeister  und  stehen 
dem  wilden  Heere  gleich.  Die  Erdmännle  in  Schwaben 
ziehen  als  ein  grofses  Heer  mit  Getrappel  und  Gebraus 
durch  die  Luft  ^).    Dicht  bei  Stolberg  wohnten  im  Walde 


1)  Mathesius,  Auslegung  der  Festevaiigelien  S.  22. 

2)  Vcrnalekeu,  Alpensagen  S.  420,    151. 

3)  Vergl.  noch  besonders  Grimm,  D.   Sagen  I,  No.  122. 

4)  S.  Kuhn,  Nordd.   Sagen 

5)  Alpenrosen  1823,   212. 

6)  S.  Pröhle,  Unterharz.  Sagen  S.  50.  No.  120.      Kocholz,  Aargausagen 
I,  No.  194,   18   S.  281. 

7)  S.  ^Volf,  Beitr.   II,   323.   326.  327. 

8)  Meier,  Schwab.  Sagen  S.  65,  No.  75. 


717 

die  Zwerge.  Sie  zogen  zu  ganzen  Scharen  über  die  Stadt 
weg  in  der  Luft  mit  einer  wundervollen  Musik 
(dem  Sturmlied  ').  Der  Schneider  Nepomuk  von  Contay 
wird  von  einem  ziegenfüfsigen  Zwerg  durch  die  Luft 
getragen  '^).  Wie  das  wilde  Heer  oben  S.  50  ziehen  die 
Zwerge  Kühe  in  die  Luft  und  schicken  sie  aus  den  Wol- 
ken  ausgemolken  zurück  s.  oben  S.  481.  Wie  das  wilde 
Heer  setzen  sie  über  das  (Wolken-)Gewässer,  zahlen  dem 
Fergen  zum  Lohn  einen  Pferdeschinken  s.  o.  S.  364.  Der 
Wechselbalg  der  Zwerge  ist  gleich  dem  Hunde  des  wilden 
Jägers  s.  oben  S.  303.  304  Anm.  1  ^).  Die  Zwerge  leiden 
keinen  Kümmel  im  Brod,  geradeso  kann  der  wilde  Jäger 
keinen  Kümmel  und  Salz  zur  Pferdelende  geben  *).  Als 
Winde,  den  Geistern  des  wilden  Heers  identisch  zeigen 
sich  die  Zwerge  auch  darin,  dass  sie  die  Kühe  und  Men- 
schen reiten  und  drücken  ^) ,  und  die  Mähne  der  Pferde 
vei'filzen ''),  so  wie  dass  sie  auf  Ziegen  (==  Wolken  s.  oben 
S.  63)  reiten  ').  Wie  das  wilde  Heer  das  Geleit  der  in 
den  (Wolken-)Berg  verwünschten  Kaiser  bildet,  ziehen  die 
Zwerge  zum  Kaiser  Otto  in  den  Rammeisberg  **).  Unter 
den  nordischen  Zwergnamen  findet  sich  Vindr  (der  Wind), 
Gustr  (Hauch),  Vindälfr.  Im  Emmental  wohnen  kleine 
Leute  schön  von  Angesicht  und  Gestalt  in  golde- 


1)  Pröhle,  Unterharz.   Sagen  S.  171,  No.  453. 

2)  Reithard,   Sagen  aus  der  Schweiz  S.  487. 

3)  Dieser  Hund  ist  der  Wind.  Weil  zwischen  zwei  geöffneten  Türen 
starker  Zugwind  ist,  glaubt  man  dass  der  wilde  Jäger  durch  Scheunen,  Häu- 
ser u.  s.  w.  bei  geöffneten  Türen  ziehe;  und  dass  auf  dem  Herde  durch  den 
Schornstein  her  beständiger  Luftzug  herscht,  drückt  die  Sage  dadurcli  aus, 
dass  sie  den  Hund  der  wilden  Jagd  auf  dem  Herde  liegen  und  Asche  fres- 
sen lässt. 

4)  Pröhle,  Harzsagen  S.  126. 

5)  Zeitschr.  f.   D.  Myth.  I,   192,   12. 

6)  Woeste,  Volksüberlief.  4  No.  4.  Kuhn,  Nordd.  Sagen  S.  224,  XVII, 
No.  228;   S.  313,  No.  3G3. 

7)  Luarin  reitet  avif  einem  Ross,  „sam  ein  geiz."  Ein  Zwerg  reitet  auf 
einer  Ziege  Pröhle,  Unterliarz.  Sagen  No.  375.  Vergl.  Wolf,  Beitr.  H,  276. 
Die  Maruts  reiten  auf  Rehen  und  Hirschen  durch  die  Luft,  vergl.  Kuhn, 
Zeitschr.  f.  vergl.  Sjjrachf.  I  mit  Goldketten  geschmückt.  Ebenso  tragen  die 
Zwerge  Goldketten,  Müllenhoff,   Sagen   S.  280. 

S)  Pröhle,  Unterliarz.   Sagen  S.  51. 


718^ 

nen  und  krystallenen  (s.  oben  S.  455)  Wohnungen  im 
Schois  der  Berge.  Sie  heil'sen  Nachtvölklein,  Nachtleut- 
lein  oder  Zwerge.  Sie  singen  auf  steilem  unzugänglichen 
Berggipfel  sitzend  so  schön  von  ihrer  luftigen  Höhe  herab, 
dass  die  Leute  die  Engel  des  Himmels  zu  hören  glauben. 
Einem  Bauer  schlachten  sie  einst  ein  schönes  Kalb  und 
geben  ihm  davon  zu  essen.  Am  anderen  Tage  ist  das 
Kalb  wieder  lebendig;  nur  das  Stück  Fleisch,  welches  der 
Bauer  gegessen,  fehlt '}.     Vergl.  oben  S.  57  fgg. 

Andererseits  geben  sich  die  Zwerge  aber  auch  als  Ge- 
witter-  und  AVolkenwesen  kund.  Als  Gewitterwesen  cha- 
rakterisieren sie  die  oben  S.  48.  49  angeführten  Züge,  ihre 
Vorliebe  für  Erbsen  und  die  von  Wolf,  Beitr.  II,  324. 
325  zusammengestellten  Sagen,  sowie  dass  sie  fast  sämmt- 
lich  kunstreiche  Schmiede  sind.  Als  Wolkengeister  end- 
lich geben  die  mannigfachsten  Sagenzüge  das  Zwergenvolk 
zu  erkennen.  Sie  wohnen  im  (Wolken-) BergC;,  der  durch 
die  rote  Blume  (den  Blitz,  wie  die  Schatzhöle  der  weifsen 
Frau)  geöflEhet  wird-),  oder  im  (himmlischen)  Brunnen. 
Die  Querxe  auf  dem  breiten  Berge  in  der  Oberlausitz  ver- 
danken ihren  Ursprung  dem  Querxborne,  aus  dem  be- 
ständig welche  hervorquellen  ^) ,  mit  ihrer  Wohnung  ist 
meistens  ein  Gewässer  (Quell,  See  u.  s.  w.)  verbunden*). 
Das  Schloss  der  Zwerge  (==  Grummeltörn)  verschwindet, 
wenn  Feuerfunken  darauf  fallen  '").  Als  Wolkenwesen  tra- 
gen die  Zwerge  Geifsfüfse  oder  Gansfüfse,  Abzeichen  ih- 
rer einst  völligen  Gans-  und  Ziegengestalt.  Sie  treten  in 
engster  Verbindung  mit  den  weifsen  Frauen  auf '^).    Gleich 


1)  Vemaleken,  Alpensagen  No.  134.   S.  179  fgg. 

2)  Hanys  I,  S.  20,  No.  6.  Schambach  und  Müller,  Niedersächs.  Sa- 
gen S.  133.  ' 

3)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  IV,   312. 

4)  S.  Rocholz,  Aargausag.  I,  S.  330,  1.  Pröhle,  Unterharz.  Sagen  S. 
29,  No.  71.  Schambach  und  Müller  S.  115.  No.  9.  Schöppner  I,  No.  89. 
"Wasser  des  Lebens  im  Lande  der  Zwerge  s.  Haltrich ,  Siebenbirgische  Mär- 
chen  S.  8. 

5)  Schöppner.  Bair.  Sagenbuch  II,  No.  570. 

6)  Stöber,  Sagen  des  Elsasses  S.  28,  No.  20.  Schöppner  II,  S.  291, 
No.  776.   S.  334,   No.  810.  IIL   8.  128,   No.  1078. 


719 

diesen  werden  sie  auch  vom  wilden  Jäger  gejagt  ^),  gleich 
diesen  breiten  sie  weifse  Laken  (das  Wolkengewebe)  aus-); 
und  ihr  stäts  sich  ergänzendes  Tischchen  deck  dich  ist 
gleichfalls  die  stäts  wieder  neu  sich  erzeugende  Wolke. 
Wie  in  den  Märensa2;en  tritt  auch  bei  den  Zwergfen  eine 
doppelte  Seite  hervor.  Teils  sind  sie  hässlich,  unförmlich 
und  schädlich  ^),  teils  von  lichter,  schöner  Gestalt  und  wol- 
wollend.  Die  Zwerge  im  Elsass  geniefsen  seit  undenklichen 
Zeiten  ewige  Jugend,  sie  haben  zierliche  Gestalt  und  ihre 
Augen,  die  wie  Sterne  glitzern,  einen  eigentümlichen 
Schein*);  meistens  dagegen  sind  die  Zwerge  alt,  dun- 
kel und  böse,  häufig  ist  gute  und  schlimme  Natur  in  ein 
und  derselben  Sage  gemischt.  Wir  gewahren  hier  deutlich 
das  oben  S.  167  geschilderte  Verhältnis.  Die  Zwerge  sind 
gleich  den  andern  Eiben  in  den  Elementen  waltende  See- 
len abgeschiedener  Menschen;  sie  gelten  als  schön  und  gut, 
insofern  sie  dieselben  in  ihrer  woltätigen  Wirkung  vertre- 
ten und  wahrscheinlich  glaubte  man  (wenigstens  ursprüng- 
lich), dass  die  Seelen  guter  Menschen  in  lichte,  gutmütige 
Zwerge  übergingen,  die  Seelen  der  Bösen  als  schädliche 
Dämonen  wirkten.  So  wird  auf  dem  Schenkenturm  bei 
Würzburg  ein  Schatz  von  einem  Drachen  und  einem 
Zwerg  bewacht,  sie  sind  Seelen  von  Raubrittern^). 

Die  Kobolde  und  Hausgeister  sind  nicht  weniger  See- 
len ''').  Von  den  Seelen  ungetaufter  Kinder  sagt  Cyriac. 
Spangenberg:  Etliche  sprechen,  es  werden  kobolt  draufs, 
die  inn  den  heuseren  jrre  gehen  vnd  deme  gesinde  jhre 
arbeyt  fürthun  ').  Kobold  =  Wirbelwind  s.  Myth.  ^ 
LXXXVIII,   522.      In  Benzigerrode    flog-   ein   Hund  mit 

1)  Müllenhoff,    Sagen    No.  D.    S.  372.      Vergl.  jedoch    MüUenhoffs   An- 
merkung. 

2)  Müllenhoff  S.  280.  No.  380. 

3)  S.  Wolf,   Beitr.  II,   309. 

4)  Stöber,   Sagen  des  Elsasses  S.  4,   No.  2. 

5)  Schöppner,  Sagcnb.   II,  No.  705. 

6)  S.  Simrock,    Haiulbuch    d.  D.  Myth.  S.  484.      Vergl.   Rocliolz,    Aar- 
gausag.  I,   S.  302,  No.  215,   94.  " 

7)  Ehespiegel.     Strafsburg   1576,   387b.     Kocholz,  Alemann.   Kiiulerliod 
S.  346. 


720 

gluhem  Schwanz  durch  die  Luft.  Dieser  soll  zum  wilden 
Jäger  gehört  haben,  aber  auch  der  Uhlius  (der  Teufel)  ge- 
wesen sein  und  den  Leuten  etwas  zugetragen  haben.  In 
einem  Hause  zu  Benzingerrode  hielt  sich  der  Uhlius  auf  ^). 
Das  wilde  Heer  (schwäre  Wagen)  in  der  Pressburger  Sage 
oben  S.  50,  Anm.  2  tritt  ganz  wie  der  Kobold  oder  Korn- 
Milch -Gelddrache  auf.  Wie  die  anderen  Elbe  der  Alb- 
leich,  welcher  Bäume  und  Häuser  zum  Tanze  zwingt, 
als  Sturmgeister  bewährt  (der  Albleich  ist  das  Sturmlied) 
giebt  sich  auch  der  Hausgeist  dadurch  als  Windwesen  zu 
erkennen.  Eine  Magd  soll  dem  Nissen  am  Julabend 
Rahmo-rütze  brino-en.  Sie  setzt  ihm  aber  Hafero-rütze  mit 
saurer  Milch  vor.  Da  schiefst  der  Nisse  auf  sie  zu  und 
beginnt  mit  ihr  einen  Tanz,  der  bis  zum  Morgen  währt, 
wobei  er  singt: 

aa  du  har'  iti  op  grauten  for  tomten  du 
aa  du  skal  faae  dandse  med  tomten  du; 
aa  har  du  iti  op  grauten  for  tomten  du 
saa  skal  du  faae  dandse  med  tomten  du!  -). 
Für  ein  graues  Schaf  unterrichtet  der  Nissen  die  Leute 
im  Geigenspiel  ^).    Auch  dass  die  Hausgeister  vorzugs- 
weise die  Pferde  striegeln,  ihre  Mähnen  kämmen  und  Lieb- 
linofstiere  warten,  weist  auf  wolkenreitende  Sturmsreister. 

Durch  die  reiche  Sagenmasse,  wonach  der  Hausgeist 
als  feuriger  Drache*)  in  Gestalt  eines  glühenden 
Baumstamms  oder  als  roter  Hahn  durch  den  Schorn- 
stein in  die  Häuser  fliegt,  um  seinen  Lieblingen  oder  Her- 
ren Geld  ^),  Korn,  Milch  u,  s.  w.  zuzutragen  •"•) ,  ergiebt  es 


1)  Pröhle,   Unterharz.   Sagen  S.  39,  No.  108. 

2)  Asbjörnsen,  Huldreeventyr  S.  117. 

3)  J.  N.  Wilse,  Beskrivelse  öfver  Spyde  bergs  prsestegjeld.  Christiania 
1779.   p.  419. 

4)  Dieser  Drache  =  Blitz  ist  somit  verschieden  vom  Wolkendrachen 
Agi,   d.   i.  Regenschlange. 

5)  Vergl.  dass  Thunar  Schätze  spendet.  Zu  S.  151,  Anm.  5  ist  nach- 
zutragen was  Zingerle,  Sitten  u.  s.  w.  S.  73,  607  aus  Tirol  beibringt:  ,,Wenn 
man  beim  Donnerwetter  Geld  findet,  soll  man  es  anhängen,  denn  es  ist 
vom  Himmel  gefallen. 

6)  S.  Wolf,  Beitr.   II,   338-.!?42. 


721 

sich,  dass  auch  hier  die  Auffassang  als  Gewitterwesen 
geltend  war.  Erwägen  wir,  dass  der  Hund  des  wilden  Jä- 
gers, der  nach  S.  720  sich  mit  dem  Kobold  auf  das 
engste  berührt,  auf  dem  Herde  weilt  oben  S.  717  Anm.  3, 
sowie  dass  das  Herdfeuer  dem  heiligen  Blitzfeuer  ent- 
stammen sollte  (s.  o.  S.  131  fgg.)?  so  liegt  der  Grund  vor 
Augen,  weshalb  die  in  den  Elementen  des  Windes,  sowie 
des  Blitzes  und  des  (diesem  entstammenden)  irdischen 
Feuers  waltenden  Seelen  der  abgeschiedenen  Vorfahren, 
vorzüglich  unter  oder  neben  dem  Herde,  von  dem  aller 
Segen  des  Hauses  ausgeht,  als  Wolstand  verleihende,  zu- 
trauende Hausgeister  wohnen. 

Dass  auch  die  Wasserelbe  diesem  Vorstellungskreise 
angehören,  bedarf  kaum  noch  der  Erörterung.  Dass  ihr 
Aufenthalt  das  aus  sehr  natürlicher  Ursache  irdisch  loca- 
lisierte  himmlische  Seelenreich  ist,  geht  nicht  sowol  daraus 
hervor,  dass  sie  die  Seelen  der  Ertrunkenen  aufnehmen, 
sondern  hauptsächlich  daraus,  dass  sie  gleich  den  Zwergen 
Menschenkinder  mit  ihren  Wechselbälgen  =  Seelen  ver- 
tauschen ')  und  dass  die  Kinderseelen  bei  der  Wasserjung- 
fer, dem  Wassermann  u.  s.  w.  weilen  -).  Wie  der  Albleich, 
Liuflingslag,  Huldreslät,  Wihtelschal,  der  Älfdands  Myth.^ 
438  beweist,  dass  Huldre,  Wichtel  und  Elbe  aller  Art 
Sturmgeister  sind,  geht  dasselbe  für  die  Wasserelbe  aus 
dem  wunderbaren  schönen  Spiel  oder  Gesang  und  der  Tanz- 
lust des  Strömkarl,  der  Nixen  u.  s.  w.  Myth.^  460.  461 
hervor.  Was  aber  vollends  die  Wolkennatur  der  Nixe 
dartut,  ist  die  Sage  bei  Gervasius  von  Tilbury  IH,  85  ed. 
Liebrecht  S.  38,  dass  in  den  Holen  der  Flnssbctte  Dra- 
chen hausen,  welche  von  Zeit  zu  Zeit  menschliche  Gestalt 
annehmen,  badende  Kinder  zu  sich  ins  Wasser  ziehen,  Men- 
schen fress(>n  imd  Frauen  (die  Dcvapatnis)  rauben  und 
sieben   Jahre    (die  7  Wintermonatc )   bei   sich  behal- 

1)  S.  Wolf,  Beitr.  II,    303  fgg. 

2)  Schambacli    und    Müller   No.  81.      Pröhlc ,    Unterharz.  Sagen   S.  149, 
No.  374. 

46 


722 

ten,  um  ihre  Brut  zu  säugen.  Eine  Frau,  die  sich  mit 
Drachensalbe  die  Augen  bestreicht,  kann  die  Geister  se- 
hen, später  (nach  7  Jahren  aus  der  Haft  entlassen)  erkennt 
sie  einmal  den  Drachen  auf  dem  Jahrmarkt,  und  redet  ihn 
an;  er  fragt  mit  welchem  Auge  sie  ihn  sehe,  und  macht 
dasselbe  blind.  Aus  dem  Rhonefluss  rief  ein  solcher  Dra- 
che, der  auf  ein  ertrinkendes  Menschenkind  wartete  „hora 
praeteriit  et  homo  non  vcnit."  Dies  sind  Züge,  die  in  den 
gewöhnlichen  Eiben-  und  Nixensagen  häufig  sich  wieder- 
holen ').  Unwidersprechlich  sind  diese  schädlichen  Nixe 
in  Drachengestalt  irdische  Localisierungen  des  Wolkendä- 
mons Agi  =  ind.  Ahi,  Vritra.  Sie  beweisen,  was  wir  be- 
reits S.  207  aussprachen,  dass  die  bösen  Elbe  den  himm- 
lischen Dämonen  (Riesen)  wesensgleich  sind. 

Wie  in  den  grofsen  Phänomenen  des  Himmels,  in 
Sonnenschein,  Sternenlicht,  Wind,  Regen,  Gewitter,  walten 
weben  und  wirken  die  Seelen  =  Elbe  aber  auch  sonst  in 
allem  Leben  und  Wachstum  der  Natur.  Wir  sahen  sie 
S.  474  fgg.  Pflanzenleib  ausfüllen,  in  vielen  Tieren  glaubte 
man  verkappte  Seelen  oder  Elbe  zu  gewahren.  Mit  die- 
ser Auffassung  der  Elbe  stimmt  die  Grundbedeutung  die- 
ses Wortes  s.  oben  S.  46  Anm.  4  genau  überein. 

3)  Die  persönliche  Fortdauer  der  Seelen  spricht  sich 
auch  in  dem  Glauben  an  die  Notwendigkeit  von  Toten- 
opfern aus.  Im  Jahre  739  schrieb  Pabst  Gregor  „Universis 
optimatibus  Germaniae" :  „Divinos  vel  sortilegos  vel  sa- 
■crificia  mortuorum,  seu  lucorum,  seu  fontium  auguria 
vel  phylacteria  et  incantatores  et  maleficos  et  observatio- 
nes  varias  quae  in  vestris  finibus  fieri  solebant,  omnino 
respuentes  atque  abjicientes  tota  mentis  intentione  ad  Deum 


1)  Der  Nix  ist  Menschenfresser  Wolf,  Beiträge  II,  292.  —  Sie  stelilen 
Frauen  Myth.^  460.  D.  Sagen  No.  49.  58.  60.  69.  304.  —  Die  Stunde  ist 
da,  der  Mensch  nicht:  Wolf,  Beitr.  II,  301.  Liebrecht,  Gervasius  von  Til- 
bury  S.  13G.  —  Dass  das  menschliche  Ange  mit  Elbensalbe  bestrichen  gei- 
stersichtig wird,  kehrt  in  vielen  Sagen  von  den  Huldre  in  Norwegen,  den 
Fairies  in  Schottland,  den  Zwergen  in  Deutschland  wieder  s.  Liebrecht  a.  a.  O. 
MiülenhofF,  Sagen  No.  408. 


723 

convertimim."  Drei  Jahre  darauf  (1742)  erliefs  Chlldcrich 
III  der  letzte  Merwing  das  Gebot:  „Decrevinus  quoque, 
ut  secundum  canones  unusquisque  episcopus  in  sua  paro- 
chia  sollicitudinem  gerat  adjuvante  graphione  qui  defensor 
ecclesiae  est,  nt  populus  Dei  paganias  non  faciat,  sed  ut 
omnes  spurcitias  gentilitatis  abjiciat  et  respuat,  sive  pro- 
fana  sacrißcia  mortuorum,  sive  sortilegos  u.  s.  w.  Bis  auf 
imsern  Tag  sind  Totenopfer  Volkssitte  geblieben.  Am  Al- 
lerseelentage und  zu  Sylvester  haben  die  armen  Seelen  Er- 
laubnis zur  Erde  zu  kommen,  man  darf  dann  keine  Frö- 
sche und  Kröten  töten,  weil  Seelen  darin  sind").  Man 
heizt  in  diesen  Nächten  den  Ofen,  damit  die  armen  Seelen 
sich  wärmen  können.  Stellt  man  eine  Bank  vor  den  Ofen 
und  bestreut  sie  mit  Asche,  so  findet  man  am  andern  Mor- 
gen die  Spuren  der  Toten,  die  sich  gewärmt  haben  '-).  Man 
backt  eigentümliche  Kuchen,  die  im  Lechrain  Seelzöpfe 
heifsen,  zum  Nachtmahl  und  lässt  sie  für  die  armen  See- 
len auf  dem  Tische  stehen  ^).  Die  kommen  dann  Nachts, 
setzen  sich  um  den  Tisch  herum  und  essen  "*).  Auf  den 
Altären  der  Kirche  werden  im  Lechrain  den  Verstorbenen 
Teller  mit  Muefsmehl,  Haber  und  Kern  und  auf  Seitenal- 
tären jene  Kuchen  (Seelzöpfe)  geopfert.  Im  Lesachtal  ge- 
bietet man  sogar  bei  jedem  Kochen  etwas  für  die  armen 
Seelen  ins  Feuer  zu  werfen  ^).  Die  Ehsten  richten  am 
Allerseelentage  Abends  in  geheizter  Badstube  ein  Gastmahl 
an,  der  Hauswirt  ruft  die  Verstorbenen  (seine  Eltern,  Ver- 


1)  Zingerle,  Gebräuche  S.  114,  829.  Die  I-'rösclio  und  Kröten  sind  auch 
Gestalten  der  Zwerge,   Unterirdischen,  wcifsen  Frauen  u.  s.  w.   als  Seelen. 

2)  Zingerle  a.a.O.  113,  824.  N.  Prcufs.  Provinzialbl.  1850  X,  116, 
159.  Wolf,  Beitr.  I,  253,  648.  Geradeso  findet  man  die  Gans-  oder  Zie- 
genfüfse  der  Zwerge  in  der  vor  ihrer  Hole  ausgestreuten  Asche.  Während 
dieser  Nacht  kann  man  von  den  armen  Seelen,  wie  von  den  Zwergen  auch 
eine  unsichtbar  machende  Nebelkappe  erlangrn.     Zingerle  a.  a.  O.  113,  825. 

3)  Zingerle  a.a.O.  113,  822.  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  342.  Leo- 
prechting,  Aus  dem  Lechrain   199. 

4)  Panzer,  Beitr.  II,    103,    156. 

5)  Zeitschr.  f.  D.  Myth.  III,  31,  25.  Wenn  in  der  Nacht  Löffel  hin- 
und  herfallen,  sagt  man  in  Tirol  ,,die  armen  Seelen  haben  Hunger."  Zin- 
gerle, Sitten  und  Gebräuche   1.   28,   230. 

4G* 


724 

wandten,  Kinder  und  Angehörigen)  bei  Namen  und  bittet, 
dass  sie  kommen  und  essen  möchten.  Haben  sie  nach  sei- 
ner Meinung  genug  gespeist,  so  befiehlt  er  ihnen  wiederum, 
sich  an  ihren  Ort  zu  begeben  ').  In  Perigord  wird  am 
Allerseelenabend  ein  Familienmahl  gehalten;  man  trinkt  auf 
das  Wohl  der  abgeschiedenen  Verwandten  und  Voreltern 
und  lässt  von  jedem  Gericht  einen  liest  die  Nacht  über 
auf  dem  Tische  stehen,  ja  man  bringt  noch  Fleisch  und 
"Wein  herbei').  In  der  Dauphine  werden  den  ausziehen- 
den Toten  Speisen  hingesetzt,  um  sie  zur  Weiterreise  zu 
stärken'^).  Im  Odenwald  kochen  viele  Leute  Tags  vor 
Fastnachtsonntag  für  die  lieben  Engelein  das  Beste 
und  Leckerste,  was  sie  nur  haben,  setzen  es  auf  den 
Tisch,  öffnen  den  Engeln  die  Fenster  und  legen 
sich  dann  schlafen  *).  In  derselben  Landschaft  wird  von 
der  zuerst  heimgefahrenen  Frucht  Nachts  um  12  eine  Garbe 
„den  Engeln  im  Himmel  zur  Zehrung"  vor  die  Scheune 
geworfen.  Diese  Gebräuche  stehen  nun  offenbar  den  Ei- 
benopfern gleich.  Der  erste  Ansiedler  auf  den  Faeroeer 
Grim  Kamban  erhielt  nach  seinem  Tode  Opferverehrung  ^). 
Als  Olafr  Gudrödsson  König  von  Vestfold,  der  zu  Geir- 
stad  wohnte,  starb,  wurde  auf  seinem  Grabhügel  geopfert, 
er  hiefs  mm  Olafr  Geirstaöa-Alfr  (d.  h.  Alf  oder  Schutz- 
geist von  GeirstaÖ  ^). 

Wir  haben  hier  somit  ein  bestimmtes  Zeugnis  dafür, 
dass  die  Seelen  Verstorbener  in  Elbe  übergingen.  —  Thör- 
dis  rät  dem  Isländer  Thorvarör  Eysteiusson  einen  Hügel, 
in  welchem  Elbe  (Alfar)  wohnten,  mit  dem  Blut  eines  Stie- 
res  zu   besprengen  und  ihnen  von  dem  Fleische  desselben 


1)  Kreutzwald-Boecler  S.  89.      Verhandl.    der   gel.  Esthn.  Gesell&ch.  II, 
H.  3,  S.  44  fgg. 

2)  De  Nore,  Mythes  coutumes  S.  147. 

3)  Miclielet,  Histoire  de  France  II,   235.     Menzel,   Odin  S.  222. 

4)  Myth.i    CV,   896. 

5)  Landnämab.  I,    14. 

6)  ])ättr   af  Ölafi  GeirstaÖa-Älfi. 


'         725 

eine  Mahlzeit  zu  bereiten  (göra  alfum  veizlu  ').  Julnacht 
und  Neujahrsabend  sind  in  Skandinavien  die  Fahrtage  der 
Alfen.  In  jedem  Winkel  des  Hauses  brennt  dann  Licht, 
alles  ist  gekehrt  und  <2;ereinio;t  und  alle  Türen  stehen  ofien 
für  die  etwa  einkehrenden  Alfen-).  Die  Speise  wird  nicht 
vom  Tisch  genommen,  sondern  bleibt  die  ganze  Nacht  ste- 
llen, auch  eine  Oese  mit  Bier  wird  auf  die  Tafel  gestellt  ^). 
Geradeso  stellt  man  in  der  Perchtuacht  der  Perahta  und 
den  Schretlein  Speise  hin  s.  oben  S.  296;  nicht  minder 
wurde  für  die  Bergmännlein  ein  Tischchen  gedeckt,  Milch 
und  Honig  darauf  gesetzt  und  in  diese  Speise  das  Blut  ei- 
ner schwarzen  Henne  getropft '').  Von  den  Frauen  im  Ge- 
folge der  Abundia  sagt  Guillielmus  Alvernus:  „Dicunt  has 
dominas  edere  et  bibere  de  escis  et  potibus,  quos  in  domi- 
bus  inveniunt"  ^).  In  der  Normandie  wird  am  30.  Decem- 
ber  oder  1.  Januar  der  Tisch  für  die  Feen  gedeckt '').  Bei 
deu  Walachen   ladet   man    am   Namenstaofe    des  Hausheili- 


1)  Kormakssaga  S.  216.  Olafs  des  Heiligen  Skalde  Siglivat  bat  auf  der 
Keise  uaeh  Gotland  in  einem  Hause  um  Nachtherberge,  aber  die  Hausfrau 
vertrat  ihm  den  Weg  und  verwehrte  ihm  den  Eintritt,  da  sie  ein  Elfenopfer 
'Älfablöt)   vorhabe.      Heimskr.  Olafs  Helgas,  kap.  92. 

2)  Islensk  aefintyri  S.  113.     Zeitschr.  f.  D.  Myth.  HI,   123. 

3)  Ove  Thomsen,  Nordens  Julefest  S.  25.  26.  Auch  die  Ehsteu  glau- 
ben, dass  um  Weihnachten  die  maa-alused,  d.  h.  die  Unterirdischen,  auf  der 
Erde  wandern,  und  selbst  in  menschlicher  Gestalt  sichtbar  werden.  Daher 
deckt  mau  am  Weihnachtsabend  die  Brunnen  vorsichtig  zu,  damit  kein  Un- 
terirdischer hineinfalle,  und  nimmt  in  der  Neujahrs  und  Weilniachtsnacht  je- 
den Unbekannten  gastlich  auf.  Der  Tisch  bleibt  mit  Speisen  bedeckt  und 
die  Wirtin  verschliefst  ihre  Speisekammer  nicht,  damit  ein  solcher  Gast  an 
nichts  Mangel  habe,  wenn  er  etwa  noch  spät,  sichtbar  oder  imsichtbar  ein- 
treffe.    Kreutzwald-Boecler  S.  94.     Myth.»    CXXH,  42. 

4)  Grimm.  D.  Sagen  I,  S.  48.  No.  38.  Bedeutsam  scheint,  dass  zu  die- 
sem Mahl  für  die  Bergmännchen  neun  Messer  aufgelegt  werden.  Geradeso 
setzt  man  in  Perigord  am  Allerscelentage  neunerlei  Speisen  für  die  Seelen 
auf  den  Tisch.     De  Nore  S.  148. 

5)  Myth. 2  264.  Vergl.  Wolf,  Beitr.  H,  273.  In  einer  Lebensbeschrei- 
bung des  h.  Germanus  Myth.^  1011:  Hospitatus  sanetus  Germanus  in  (pio- 
dam  loco,  quum  post  coenam  iterum  mensa  praepararetur,  admiratus  interro- 
gat,  cui  denuo  praepararcntV  Cui  quum  dicerent,  quod  bonis  illis  mulieribus, 
quae  de  nocte  incedunt,  praepararetur,  illa  nocte  statuit  S.  Germanus  vi- 
gilare. 

e)  Amclic  Bosquet,   La  Normandie  romanesquc  et  merveilleusc  S.  93. 


gen  die  verstorbenen  Ahnen  zu  Gast  und  lässt  ihnen  bei 
Tische  Plätze  leer  ^).  Das  übereinstimmende  Verfahren  der 
für  die  armen  Seelen  und  der  für  die  Eiben  bereiteten 
Mahlzeiten  beweist,  dass  wir  hier  Reste  heidnischer  Opfer 
für  die  Manen  übrig  haben. 

4)  Für  gewöhnlich  ruhen  die  Seelen,  wenn  sie  nicht 
im  Sturm  (wilden  Heer,  Eibenzug ^)  umfahren,  in  Regen, 
Blitz  und  Donner  tätig  sind,  oder  auf  Erden  als  Lebens- 
geister walten,  im  himmlischen  Gewässer  überhaupt, 
oder  in  der  Wolke,  die  als  Brunnen,  Berg,  Burg  oder 
Baum  bildlich  angeschaut  wird.  Man  stellte  sich  die  Wolke 
auch  als  Frau  vor  und  hieraus  entstand  der  Glaube  an  eine 
Schar  von  Wasserfrauen  (Valkyren,  Völen,  weifse  Frauen, 
witte  wiwer  u.  s.  w,),  aus  denen  durch  Differenzierung  ein- 
zelnene  Göttinnen  hervortraten,  welche  aber  im  Grund- 
wesen nur  eine  sind,  Holda  (Perahta,  Fria-Frikka-Frigg, 
Freyja,  Rose;  ISunn,  Hei,  die  Nörnen  u.  s.  w.).  Sie  stan- 
den als  Wolkenpersonificationen  den  Eiben  gleich  und  grei- 
fen deshalb  auch  gleich  diesen  in  die  andern  Naturgewal- 
ten des  Sonnenscheins,  Windes  und  Gewitters  über.  Auch 
entfalten  sie  gleich  den  Eiben  doppelte  Natur.  Als  gütige 
Wesen  sind  sie  von  den  woltätigen  Eiben  kaum  zu  unter- 
scheiden und  treten  dann  den  bösen  Eiben  feindlich  gegen- 
über.    Man  vergl.  z.  B.  die  Segen  gegen  böse  Mären. 

1. 

Schlaf  Büble,  schlaf. 
Die  Mutter  giebt  Acht, 
Dass  die  Trud  dich  nit  drückt. 
Und  der  Alb  nit  erstickt. 
Schlaf!   —  Holde  kumm! 
Alb  dreh  dich  um !  ^) 


1)  Schott,  Walacbische  Märchen  S.  300.   301. 

2)  S.   oben  S.  3G3  fgg.  und  Grimm,  Ir.  Elfenmärchen  S.  LXXXIV. 

o)  Zingerle,   Sitten,  Bräuche  u.  Meinungen  des  Tiroler  Volks  S.  148,  18. 


727 

2. 

Trudi,  Trudi,  druck  mi  net, 

Ana,  Ana,  schluck  mi  net, 

Rose  Mutter  (1.  Mutter  Rose)  komm  zum  Bett, 

Trudi,  Trudi,  druck  mi  net!  '). 
Vorzüglich  äufsert  sich  dieser  Gegensatz  darin,  dass 
man  die  in  den  Elementen  schädlich  wirkenden  bösen  See- 
len als  Riesen,  Zwerge,  Drachen  u.  s.  w.,  die  Göttinnen 
und  guten  Elbe  (Sonne  und  Wolke)  mit  dem  Dunkel  das 
dem  Wetter  voraufgeht,  mit  den  Schatten  der  Nacht  und 
mit  Kälte  und  Frost  während  der  sieben  Wintermo- 
nate  gefangen  genommen,  geraubt  glaubte,  eine 
Vorstellung,  welche  in  sehr  verschiedene  mythische  For- 
men sich  kleidete. 

Als  Naturwesen  können  die  Göttinnen  aber  auch  auf 
die  schädliche  Seite  sich  neigen  und  dann  fallen  sie  oft 
ganz  mit  den  Dämonen  zusammen  ").  So  sagt  man  in  Hen- 
neberg „am  obersten  werde  die  Hollefrau  verbrannt"^) 
geradeso  wie  die  Dämonen  von  Thunar  verbrannt  werden, 
sie  erscheint  hier  als  Wintergottheit.  Wie  die  Göttinnen 
^.er  Hauptsache  nach  nur  difi'erenzierte  Wasserfrauen  wa- 
.•en  —  daneben  erscheint  nur  die  Sonne  als  selbständige 
göttliche  Persönlichkeit  —  geben  sich  die  Hauptgötter  der 
Germanen  Wodan  und  Thunar  als  ursprünglich  wesens- 
gleich mit  den  im  Sturm  und  Gewitter  waltenden  Seelen 
zu  erkennen.  Der  Unterschied  zwischen  Gottheiten  und 
Eiben  bestellt  nur  darin,  dass  an  ersteren  im  Laufe  der 
Zeit  immer  lebendiger  ethische  Ideen  sich  herausbilde- 
ten, welche  weiterhin  wieder  zur  Sonderung  einzelner  Göt- 
terpersönlichkeiten  von  einander  dienten.  Wir  haben  die 
stufenweise  Entwickelung  eines  solchen  Göttermythus  ein- 


1)  Zingerle  a.  a.  O.    166,   1)5.    Ist  Ana  clio  Aliiie,   die  verstorbene  Ahu- 
mutter? 

2)  Einseitig  hat  diesen  Tunkt  Liebrcelit   iu    seinem  Aufsatz  „La  mesnie 
furieuse"  (Gervasius  v.  Tilbury  ed.  Liebrecht  S.  172  fgg.)  hervorgehoben. 

3)  Myth.'^    1212. 


728 

gehender  bei  den  Schicksalsgöttinnen  beobachtet,  die  von 
der  Wolkenfrau  *)  ausgehend  Todesgöttinnen  ^),  Schicksals- 
göttinnen im  Allgemeinen,  Urteilerinnen  am  Göttergericht, 
und  Personificationen  der  Zeit  nach  einander  wurden. 

Aus  dem  angedeuteten  Verhältnis  der  Gottheiten  zu 
den  Seelen  (Eiben)  ergab  sich  die  geläufige  Vorstellung, 
dass  die  Seelen  bei  einem  Gott  oder  einer  Göttin  in  Brun- 
nen, Berg  oder  Burg  (d.  h.  der  Wolke)  weilen,  zumal 
(während  der  7  Wintermonate)  im  Zustand  der  Verzau- 
berung:. 

5)  Hinter  dem  seelenbergenden  (Wolken-)Brunnen, 
(Wolken-) Berge  liegt  ein  lichter  Freudenaufenthalt  s.  o. 
S.  331.  368.  424  fgg.  455,  das  hellblaue,  glanzreiche  Him- 
melsgewölbe, in  den  Volksüberlieferungen  oft  als  Glasberg 
S.  330  fgg.  455  bezeichnet,  wo  die  Sonne  und  die  andern 
Gestirne  ihre  Heimatstätte  haben.  Der  christliche  Volks- 
glaube verlegt  hieher  den  Wohnort  der  Engel  und  der  se- 
ligen Menschen.  Mit  dem  Namen  und  Begriffe  Ensrel- 
land  hat  sich  in  Niedersachsen  aber  eine  Keihe  von  Vor- 
stellungen verbunden,  welche  höchst  wahrscheinlich  machen, 
dass  man  schon  im  Heidentum  im  lichten  Himmelsraum 
über  dem  Wolkengewässer  den  letzten  und  eigentlichen 
Ruheort  der  frommen  Vorväter,  der  guten  Seelen  (Mä- 
ren u,  s.  w.)  annahm,  wo  sie  die  höchste  Function  ausüben, 
welche  ihnen  im  Haushalt  der  Natur  zugeteilt  werden  kann. 
Sie  teilen  den  Gestirnen  ihr  Licht  mit,  stellen  Sonnen-  und 


3)  Wir  sahen  oben  S.  307  Anm.  4  die  Lämraenvölkchen  (von  denen 
man  in  der  Mark  sagt  „Frau  Holle  treibe  ihre  Heer  de  aus."  Kuhn,  Mär- 
kische Sagen  S.  372,  vergl.  oben  S.  8  Anm.  4;  oder  sonst  ,,der  liebe  Gott 
füttert  seine  Schäfclien  mit  Rosenblättern"  Grimm,  KHM.  H,  1819  S.  LXV) 
in  des  Kindes  Geburts stunde  Gluck  verheifsen;  in  Zürich  heifst  es:  wenn 
am  unschuldigen  Kindertag  Federgewölk  (gsehöflet)  am  Himmel  ist,  so  haben 
die  Wöchnerinnen  ein  unglückliches  Jahr,  insbesondere  sterben  viele  Buben. 
Vernaleken,  Alpensagen  395,  56. 

4)  Zu  den  Dödnigskneb  verdient  noch  nachgetragen  zu  werden,  dass  im 
Etschland  gelbe  Flecken  auf  den  Fingern  Totenmail  er  heifsen  und  eine 
baldige  Leiche  vorhersagen.  Zingerle,  Sitten  23,  185.  Zu  S.  628  vergl.  den 
Nachtgriff  Myth.-^    1147   und  Liebrecht,   Gervasius  v.  Tilbury  S.  142. 


729 

Sternenschein  her  S.  377.  378  fgg.  438  fgg.  oder  strahlen 
selbst  als  glänzende  Gestirne  ihr  Licht  zur  Erde  nie- 
der *).  Die  Edda  kennt  dieses  Lichtreich  unter  dem  Na- 
men Liosalfaheimr  (Viöblainn)  und  unterscheidet  drei  Him- 
mel: den  Wolkenhimmel,  einen  zweiten  Andlangr  darüber, 
und  hoch  oben  erst  das  glanzdurchleuchtete  blaue  Him- 
melsgewölbe Viöblainn. 

6)  Um  hierhin  zu  gelangen  müssen  Seelen  das  himm- 
lische Gewässer,  das  als  Toten  ström  gedacht  ist, 
überschreiten  s.  oben  S.  357  fgg-,  oder  den  Seelenweg  der 
Milchstrafse -)  oder  des  Regenbogens  wandeln.  Nach  dem 
Volksglauben  werden  die  Seelen  der  Gerechten  von  ihren 
Schutzengeln  über  den  Kegenbogen  in  den  Himmel  ge- 
führt ■'). 

7)  Die  bei  den  Göttern  in  der  Wolke  oder  im  himm- 
lischen Lichtreich  weilenden  Seelen  verstorbener  Menschen 
sind  bestimmt  (durch  das  himmlische  Gewässer  erneuert? 
s.  S.  273.  654  Anm.  4)  zu  neuem  Dasein  auf  der  Erde  ge- 
boren zu  werden.  Die  Edda  kennt  den  Glauben  an  die 
Wiedergeburt  noch.  SigurSarqu.  IH,  44  wird  Bryuhildr 
verwünscht,  sie  möge  niemals  wiedergeboren  werden  (l'ars 
hon  aptrborin  aldri  veröi),  im  13ten  Jahrh,  hiefs  dieser 
Glaube  nur  noch  „alter  Weiber  Wahn"  s.  S.  2ü2.  Zunächst 
nur  auf  den  Glauben  an  Präeexistenz  der  in  die  Mensch- 
heit eintretenden  Seelen  und  ihre  Wesensgleichheit  mit  den 
Geistern  Verstorbener  deuten  folgende  Punkte.  Insecten, 
zumal  Schmetterlinge,  sind  Seelen  Verstorbener.  Wie 
man  nun  in  Tirol  für  „ich  war  noch  nicht  geboren"  sagt; 
„ich  flog  noch   den  Mücken   nach"    s.  oben  S.  370, 


1)  Die  Sterne  am  Himmel  sind  Schutzgeister  der  Lebenden.  AVeuu 
ein  Mensch  geboren  wird,  zündet  Gott  ein  neues  Licht  am  Himmel  an  und 
wenn  einer  stirbt,  so  sinkt  sein  Stern  vom  Himmel  herab  und  erlisdit.  Mül- 
ler, Siebenbirg.  Sagen  S.  4.  No.  1.  Kulm,  Nordd.  Sagen  S.  457.  No.  422. 
Vernaleken,  Alpcusagen  414,  122.  Hiemit  vergl.,  was  oben  S.  SOG  fgg.  über 
die  Fylgjcn  erörtert  ist. 

2)  S.  Kuhn,  Zeitschr.  f.   vergl.  Sprachf.  H,   239. 

3)  Ziska ,  Oesterr.  Volksmärchen  8.41).  110.  Vcmalckcn,  Alpensagcn 
401,  88. 


_  730^ 

braucht  man  in  gleichem  Sinne  im  Barggrafenamt  den  her- 
kömmlichen Ausdruck  „ich  flog  noch  mit  den  Feif- 
f altern"  (Schmetterhngen) ').  Auch  Hunde  sind  häufige 
Gestalten  von  Seelen  Verstorbener  oben  S.  301  fgg. ;  als 
Hunde  aber  werden  auch  die  neugebornen  Kinder  (Wech- 
«elbälge  u.  s.  w.)  dargestellt  s.  oben  S.  274.  300.  303.  536 
2  und  nicht  ohne  Bedeutung  ist  es,  wenn  in  vielen  Märchen 
und  Sagen  (z.  B.  in  der  Stammsage  der  Weifen)  neuge- 
borne  Kinder  für  Hunde  ausgegeben  oder  mit  solchen  ver- 
tauscht werden.  Aus  dem  Mythus  der  Holda  S.  267.  272. 
Hrösa  284  fgg.  und  St.  Gerdrüt  S.  319  liefs  sich  jedoch 
der  Glaube  an  die  Wiedergeburt  auch  für  Deutschland  mit 
einiger  Wahrscheinlichkeit  folgern  und  damit  stimmt,  dass 
gewisse  Tiere  Schwan  S.  342,  Hase  409.  413.  483,  Käfer 
253.  347.  367.  397  zugleich  Seelen,  Psychopompe  und 
Kinderbringer  sind.  Auch  der  kinderbringende  Storch  war 
zugleich  Totenvogel  ^).  Ueber  das  himmlische  Gewässer 
geht  die  Seele  der  Toten  zum  Himmel  ein,  über  das  himm- 
lische Gewässer  (zu  Schiffe)  kommen  nach  niederl.  Glauben 
die  Kinder  zur  Erde  o.  S.  370.  Gütchen  und  Butzen,  d.  h. 
Seelen  Verstorbener  und  Kinderseclen  sind  identisch  s.  o. 
S.  297  Anm.  4.  Ueberraschend  ist  die  auffallende  Ueber- 
einstimmung  dieser  Vorstellungen  mit  altindischen. 

Die  vedische  Religion  macht  einen  durchgängigen  Un- 
terschied zwischen  Luftraum  und  Himmel.  Im  unendlichen 
Himmelsraum  hat  das  Licht  seine  Heimatstätte,  als  ewige 
Kraft,  die  nicht  an  das  Leuchten  der  kosmischen  Körper 
gebunden  ist.  Zwischen  dieser  Lichtwelt  und  der  Erde 
liegt  das  Reich  der  Luft,  in  welchem  Götter  walten,  wel- 
che den  Weg  des  Lichtes  und  der  himmlischen  Gewässer 
zur  Erde  bahnen  und  schirmen.  Mitunter  wird  gleich  je- 
ner Dreiteilung  „Himinn,  Andlärigr,  Viöbläinn"  ein  drei- 
facher Himmel  unterschieden:  „Von  der  Erde  Rücken  stieg 


1)  Zingerle,   Sitten,  Bräuche  S.  3. 

2)  Myth.'   XCI,  587. 


731 

ich  zur  Luft  empor,  von  der  Luft  zum  Himmel  stieg 
ich  (divam)  von  des  glänzenden  Himmels  (näkasya)  Rücken 
in  die  Lichtvvelt  (svar  jjötili)  ging  ich  ').  In  diese  Licht- 
welt nun  setzt  der  Vedenglaube  die  Adityas,  ewige,  unver- 
letzliche Göttergestalten,  welche  alles  durchdringen,  selbst 
dem  Entferntesten  nahe  sind.  Ihnen  kommt  daher  auch 
von  allen  der  Begriff  geistiger  Wesen  (Asuras)  zu.  Unter 
ihnen  tritt  vorzüglich  Varuna  hervor  „der  Allumfasser,  Ein- 
hüller" der  Herscher  des  weltumgebenden  Himmelsmeers, 
in  welchem  alles  höhere  Sein  ruht.  Er  wohnt  in  schim- 
merndem fernen,  hunderttorigen  Palaste,  der  die  Grenze 
des  Alls  bezeichnet.  Von  hier  schaut  er  die  Welt  und 
aller  Menschen  Taten  -).  Der  Sängermund  strömt  zu  sei- 
nem Preise  über: 

Wenn  in  seinen  Anblick  ich  mich  versenke, 
So  däucht  sein  Ansehn  mich  wie  Feuersgluten, 
Wo  am  Himmel,  der  Herr   des  Lichts  und  des  Dun- 
kels, 
Seinen  schönen  Leib  zum  Schauen  mir  bietet. 
Er  ordnet  Licht  und  Zeiten,  giebt  dem  Menschen  Einsicht, 
dem  Kosse  Kraft,  der  Kuh  die  Milch.    Der  Wind,  der  die 
Luft   durchrauscht   ist   sein    Atem,    die    Sonne   und    die 
Sterne  seine  Augen  ^).     Später  sank  Varuna  bekannt- 
lich zum  Meergott  herab. 

Bei  Varuna  im  Lande  des  Lichtes  versammeln  sich 
die  Seligen  zu  ewigem  Aufenthalt,  die  der  Inder  mit  dem 
Namen  der  Väter,  Vorväter  (Pitris)  belegt"*).  „Gehe  hin," 
ruft  man  dem  Sterbenden  zu,  „auf  den  Pfaden,  die  unsere 
Väter   vormals    beschritten    haben.      Die    hohen  Herscher 


1)  Atharvav.   4,   14,   3. 

2)  Er  heifst  daher  nricakslids  männerbcscliauend. 

3)  Die  Sterne  heifsen  auch  allgemein  Späher  oder  Augen  der  Götter 
(devanäm  spii^as)  Athavav.  18,  1,  9.  Vergl.  üben  S.  378.  §.  545  Anni.  '2. 
S.  547  Anm.  1.  Ich  trage  noch  aus  Vernaleken,  Alpensagen  S.  345,  10  nacli: 
Wenn  ma  is  rönnig  (rinnende  Wasser)  sacht  (harat)  so  sucht  ma  n'  is  hen- 
gotta  'n  auga. 

4)  Vergl.  unsere  ÖUcrkcs. 


732 

sollst  du  Yama  und  Varuna,  den  Gott,  schauen."  Dort 
werden,  alles  Unvollkommene  ablegend,  die  Dahingeschie- 
denen mit  ätherischem  Geisterleibe  bekleidet,  der  unsterb- 
lich ist.  Im  Innersten  des  Himmels  finden  sie  ihren  won- 
nevollen Ruheplatz: 

„Wo   ein   Glanz   ohne   Ende  scheint,  wo   die  Heimat 

des  Lichtes  ist, 
In    die  Welt   der  Unsterblichkeit,   in    die   ewige  setze 

mich. 
Wo  Yama  herscht,   Vivasvats    Sohn,  in   des  Him- 
mels geheimstem  Raum, 
Wo    die   quellenden   Wasser   sind,    o   dort   lass 

mich  unsterblich  sein. 
Wo  man  sich  regt  und  bewegt  in  Lust   in  des  drit- 

ten  Himmels  Höhe 
Wo   die   glanzvollen  Welten   sind,   o  dort  lass 

mich  unsterblich  sein. 
Wo  Freude  wohnt  und  Glück  und  Licht,  wo  Wonne 

und  Entzücken  ist, 
Wo  jeder  Wunsch  Genüge  hat,  o  dort  lass  mich  un- 
sterblich sein. 
Bei  Varuna  wohnen  als  die  eigentlichen  Herscher  der  Pi- 
tris  das  Zwillingspaar  Yama  und  Yami  und  Aryama.  „Ge- 
lange zu  den  Vätern,  zu  Yama,  bei  dem  der  Wünsche  Ge- 
nüge ist,  im  höchsten  Himmel.  Geh  ein  zur  Heimat;  alles 
Unvollkommene  wieder  ablegend,  gelange  zu  jenen  herlich 
an  Gestalt." 

Die  Pitris  sind  nun  zugleich  Elementargeister.  „Die 
Pitris  haben  den  Himmel  mit  Sternen  geschmückt, 
in  die  Nacht  Dunkel,  in  den  Tag  Licht  gesetzt.  Sie  ha- 
ben das  verborgene  Licht  aufgefunden  und  die  Morgen- 
röte ins  Leben  gerufen."  Sie  selbst  leuchten  als  Sterne 
„Des  grofsen  Asura  (Varuna)  Söhne,  die  Helden, 
des  Himmels  Stützer  leuchten  weit  um')-"     Arjuna  ge- 


1)  Atharvav.    18,    1,   2. 


733 

wahrt  auf  dem  von  Menschea  ungesehenen  Seelenpfade  die 
Vollbringer  guter  Taten  sowie  viele  im  Kampf  gefallene 
Helden,  die  in  Sternengestalt  glänzen^).  Bei  ihnen 
weilt  die  Sonne  (der  Falke  s.  oben  S.  39):  „Ueber  die 
Länder,  über  die  Wasser  drang  der  männerschauende  Falke 
nach  einem  Ruhplatz  blickend.  Durchsetzend  alle  ent- 
fernten Räume  mit  Indra  als  Freunde  komme  er  heil- 
bringend. Der  männerschauende  Falke,  der  himmlische 
Vogel  tausendfüfsig  mit  hundert  Zeugungsstellen,  der  Kraft- 
geber; er  gewähre  uns  fern  hergebrachtes  Glück;  bei 
unsern  Vätern  (den  Fitris)  sei  er  mit  Svadhä  ver- 
sehen" ^). 

Nur  die  Frommen  gelangen  in  die  Lichtwelt,  in 
welcher  nach  anderen  Liedern  kein  Schmerz,  kein 
Winter  ist.  Wie  bereits  S.  38  fgg.  besprochen  ist,  sind 
die  Maruts,  Ribhus  und  Angirasen  nur  andere  Gestalten, 
in  denen  die  Geister  der  Seligen,  der  Pitris  auftreten  und 
von  diesen  nur  durch  spätere  Dissimilation  so  geschieden, 
wie  die  germanischen  Dunkel-  und  Schwarzelbe  von  den 
Lichtelben.  Die  Maruts  fahren  im  Sturm  dahin  wie  das 
wütende  Heer  ^),  walten  aber  auch  in  den  Elementen.  Die 
Ribhus  entsprechen  mehr  unsern  schmiedenden  Eiben.  Li 
Sonnenstrahlen  und  Blitzfnnken  entfalten  sie  ihre  Tätig- 
keit. Doch  auch  sie  fahren  im  Sturm  daher  und  singen 
das  brausende  Sturmlied  *).  Auch  sie  machen  die  Erde 
fruchtbar.  „Auf  den  Höhen  schüfet  ihr  dieser  Erde  Gras 
in  den  Tiefen  Wasser,   durch  eure  Klugheit  ihr  Männer; 


1)  Indralokag.  I,   35  —  39.     Zeitschr.   f.  vergl.   Sprachf.  II,   317. 

2)  Atharvav.  7,  41,  1.  2.  Vergl.  das  Pressburger  Lied  oben  S.  379 
und  S.  378. 

3)  Wie  das  M'ilde  Heer  die  Wasserfrauen  jagt,  wie  die  Elbe  Kühe  und 
Menschen  reiten,  heifst  es  Atharvav.  4,  15,  7  (Rigv,  583)  ,, Mögen  euch  be- 
schützen die  sehönspendenden  Brunnen  und  SVolkcn  (oder  Schlangen 
ajagaräh;  dieses  Wort  hat  beide  Bedeutungen),  die  Marut  getriebenen 
Wolken  mögen  über  die  Erde  regnen."  —  Jlan  s.  in  diesen  Versen  die  Ein- 
heit von  Wolke,  Brunnen  und  Drachen. 

4)  S.  Kuhn,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  IV,    115.   116. 


734 

well  ihr  im  Hause  des  nicht  zu  Verbergenden  schliefet 
darum  kommt  ihr  heute  nicht  zu  ihr  zurück  *)."  „Als 
die  Ribhus  zwölf  Tage  schlummernd  sich  der  Gastfreund- 
schaft des  nicht  zu  Verbergenden  erfreut;  da  schufen 
sie  herliche  Fluren,  die  Ströme  führten  sie  her- 
bei, auf  dem  Lande  erstanden  die  Kräuter,  in 
den  Tiefen  die  Gewässer-). 

Um  zum  Lande  der  Pitris  zu  gelangen,  muss  die 
Seele  einen  Strom,  den  Luftstrom  oder  das  himmlische 
Gewässer  überschreiten,  damit  sie  hinüberkomme,  musste 
eine  schwarze  Kuh  geopfert  werden^).  „Am  grausen  Pfade 
zu  Yamas  Tor  ist  der  grause  Strom  Vaitarani,  ihn  zu 
überschreiten  begehr'  ich,  darum  geb'  ich  die  schwarze 
Kuh  Vaitarani"  ").  Am  zwölften  Tage  nach  dem  Abster- 
ben wird  noch  ein  anderes  Kuhgeschenk  gemacht  und  da- 
bei eine  E'ormel  recitiert,  kraft  welcher  die  Seele,  welche 
bis  dahin  noch  in  dieser  Welt  gewesen,  von  einer  Kuh 
aus  der  Götterwelt  über  den  roten  Blutfluss  Vaitarani  in 
den  Pitrilöka  gebracht  wird,  zu  welchem  Ende  er  in  sei- 
nem letzten  den  Schwanz  einer  Kuh  ergriffen  hat."  In 
einem  Liede  des  Atharvaveda  heifst  es  ^):  Steinig  f liefst 
der  Fluss,  greift  an,  ermannt  euch.  Freunde  schreitet 
hinüber!  Lasst  hier  zurück  die  schwach  zu  Fufs  sind, 
zu  unverwüstlicher  Kraft  lasst  uns  emporstei- 
gen. Erhebt  euch,  schreitet  hinüber  Freunde,  steinig  fliefst 
der  Fluss  hier.  Die  Schädlichen  lasst  hier  zurück,  zu  heil- 
samer Kraft  lasst  uns  emporsteigen.  Die  Vai^vadevi  ergreift 
zur  Kraft,  gereinigt  rein  geläutert,  überschreiten  mögen 
wir  die  ünglücksstellen  und  hundert  Winter  mit  allen  Hel- 
den uns  freuen.  —  Als  Grenze  des  (Eiben-) Landes  der 
Panis  heilst  dieser  Strom  Rasa  oben  S.  218. 


1)  Kigv.  I,   162,    11.     Kulm  a.  a.  O.    112. 

2)  Rigv.  IV,  33,  7.  Kuhn  a.  a.  0.  112.  Der  nicht  zu  Verbergende 
ist  der  Sonnengott  Savitar.  Die  zwölf  Tage  =  den  deutschen  zwölften.  S. 
oben  S.  521.  522. 

3)  Dieselbe  Sitte  hatte  bei  Germanen  statt  s.   oben  S.  51. 

4)  Aus  einer  Schrift  über  Totenopfer  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  II,  3 IG. 

5)  Atharvav.   12,  2,   25. 


735 

Kulm  beweist  weiter  Zeitschrift  für  vergl.  Sprachf. 
II,  311 — 318  dass  sowol  die  Milchstrafse  wie  der  Re- 
genbogen als  Wege  gedacht  wurden,  auf  denen  die 
Seele  zum  Pitriloka  wanderte.  Eine  der  heiligsten  Pflich- 
ten der  altarisehen  Stammgenossen  war  das  Opfer  für  die 
Pitris  „Unalternde  Speise  mache  ich  den  Pitris,  mit  lan- 
gem Leben  versehe  ich  sie"  ^).  In  späterer  Zeit  hiefs  das 
Pitriopfer  Craddha.  Es  bestand  aus  Reiskuchen  mit  Was- 
ser, oder  nur  aus  Wasser,  ferner  aus  Geschenken  an  die 
Verwandten  des  Verstorbenen.  Auch  die  Reste  der 
Speisen  wurden  den  Geistern  der  Vorfahren  dar- 
gebracht; ein  solches  Opfer  hiefs  Vighasa. 

Die  sprachliche  Identität  der  Namen  Ribhus  und  Ma- 
ruts  mit  unsern  Eiben  und  M^lren  s.  oben  S.  44.  45.  46; 
sowie  die  Uebereinstimmung  der  Bedeutung  im  Namen  und 
Begriff  der  Aulken,  Ollerken,  der  Ahne  oben  S.  426  mit 
den  Pitris  machen  höchst  wahrscheinlich,  dass  mindestens 
ein  Teil  jener  übereinstimmenden  Volksmeiuungen  auf  Rech- 
nung geschichtlicher  Urverwandtschaft  zu  schreiben  sei. 

Die  Mythologie  der  Wasser  fr  auen  ind.  Apas,  De- 
vapatnis  haben  wir  gleichfalls  den  germanischen  gleichartig 
gefunden.  Von  den  Geistern  der  Gottlosen,  die  Riesen-, 
Drachen-  oder  Zwerggestalt'")  führen,  werden  sie  sammt 
Sonne  und  Mond  im  Berg,  Burg  oder  B  r  u  n  n  e  n  =  Wolke 
eingeschlossen,  gefangen  gehalten.  Aber  noch  weiter  zeigt 
sich  eine  bemerkenswerte  Analogie  zu  unseren  Beobachtun- 
gen auf  germanischem  Boden.  Die  ältesten  Veden  kennen 
noch  keine  selbständigen  Göttinnen  aufser  Suryä  der  Sonne 
und  den  Apas  der  Wasserfrauen. 

Nur  einzelne  Götter  finden  wir  auch  weiblich  aufge- 
fasst,  auf  diese  Weise  wird  z.  B.  von  einer  Indrani,  Qaci, 
Varuni,  Yami  gesprochen.  Aber  diese  Namen  sind  hohle 
Abstractionen  ohne  wirklichen  Inhalt,   ohne   den  Rückhalt 


1)  Atharvav.  12,  2,  32. 

2)  S.  Räkshasas;  Ahi-Vritra,   Pai.ii 


736 

einer  lebendigen  Persönlichkeit,  ohne  Mythus.  Aus  Sonne, 
Mond  und  Wasserfrauen  erst  und  zwar  zumeist  aus  den 
letzteren  haben  sich  mit  Hilfe  ethischer  Gedankenentwicke- 
lung die  grofsen  wirklichen  Göttinnen  des  späteren  Inder- 
turns  wie  Qri,  Durga  u.  s.  w.  entwickelt. 

Einem  anderen  Orte  muss  es  aufbehalten  bleiben  die 
tatsächliche  Uebereinstiramung  der  besprochenen  Vorstel- 
lungen mit  dem  ältesten  Glauben  anderer  indo2:ermanischer 
Völker,  vor  allem  des  Zendvolks  und  der  Hellenen  nach- 
zuweisen. Auch  für  das,  was  wir  als  germanische  Anschauun- 
gen in  Anspruch  genommen  haben,  lassen  sich  noch  viel- 
fach zutreffendere  Beweise  aufführen,  die  aber  zum  Teil 
ganz  anderen  üeberlieferungskreisen  angehören,  als  die  in 
diesem  Buche  besprochenen.  Auch  sie  bleiben  selbständi- 
ger Untersuchimg  aufbewahrt. 


Register. 


Ä. 

Abentrot  90  fgg.    354. 

Adamsbaum  552. 

Agez  210. 

Agi  81  fgg.  90  fgg.  171.  179.  210. 
722. 

Ahn,  Ahne  191.  426.  428.  724.  727. 
In  Untersteiermark  heii'st  wie  mir 
M.  Lexer  nachträglich  mitteilt  die 
Mär  (Trade)  Nachtahndl  (Nacht- 
grofsmutter). 

ki    207. 

Ainbetta  G44  fgg.    665. 

AM  81  fgg. 

Albdonar  48. 

Alblekh  47.  191  Anm.^  263.  720, 
s.  Musik. 

klfr  172. 

klfheimr   172. 

klfhÜdr  172.   597. 

klfablüt  326.   521.   725. 

älfrö^uU  378. 

klke  801. 

Alraun  49.   409. 

aZpn  307. 

Alsvartr  211. 

^Zsd^r  38.   624. 

Alvitr  384.  559. 

^/v«s  208. 

Alvinna  712. 

Andlängr  321.   730. 

Angebinde  591.   696  fgK- 

krgjöll  189. 


krhaugr  467. 
krvakr  38.  624. 
ksaloki  190. 
ksathörr  190. 
äsmegin  126. 
Ä5(7arÖr-  228.   442.   549, 
iU-Ä;«   121. 
yls/^r  589. 
^ls<?oc/t  344.   667. 
Asche  fressen  302  fgg. 
^«^e   121.   233.   587. 
^^nt^J   123. 

yl«(S!"»6^«    41. 

Auge  =  Gestirne,  Sonne  2.  40.  130. 
142.  143  Anm.'.  378.  545  Anm.'. 
547  Anm.  '.  731.  Dem  Winter 
die  Augen  ausstechen  547  Anm.'. 
Augen  geheilt  135.   146.   319. 

St.  Augustin  395. 

Aulke  301. 

Aurore  612. 

ausbore  667. 

Austri  105. 

Axt  unter  die  Schwelle  gelegt  10. 
11.  12,  =  Thunars  Hammer  13. 
36.  109.  122,  in  den  Ständer  der 
Haustür  geschlagen  132.  Aus  dem 
Axthelm  melken  34.  Aexta  ins 
Saatfeld  werfen  138. 


B. 

Bad  erstes  des  Kindes  589.  590.  636. 
Bakrauf  673  Anm.  '. 

47 


738 


BaUr  23.  86.  210.  358.  544.  562. 
Balder  70. 

Banh.  Unter  die  Bank  legen  311 
fgg.   314.   317.   635. 

Bara,  Büra  55.  56  (vergl.  Myth.^ 
1044.    1045). 

Bäresmör  55. 

£ar<  115. 124.125.157.177.178.179. 

Bäume  u.  Gewächse.  Baum  =  Wolke 
203.  250  Anm.  2.  668.  Blumen 
und  Früchte  in  Holdas  Brunnen- 
reich,  in  den  Seelenwohnsitzen 
424  fgg.  455.  457  fgg.  466  fgg. 
5-?2.       Bäume    und    Blumen    von 


Eiben   beseelt  475  fg 


Elbe  im 


Baume  wohnend  667.  Göttinnen 
im  Baume  sitzend  644.  645.  660. 
665  fgg.  Gewächse  nach  Indra 
und  Thunar  benannt  136.  137  fgg. 
Blume  =  Kerze,  Licht  470.  — 
Apfelbaum  196.  336.  424.  426. 
449.  460.  469.  666.  Birnbaum 
224.  600.  665.  Birke  475.  Buche 
474.  Eiche  14.  23.  24.  26.  35 
Anm.  ".  132.  134.  135.  138.  273 
Anm.  '.  474.  Esche  14  s.  Ygg- 
drasill.  Hasel  19  Aura.  2.  138. 
413.  466.  475.    HoUunder  15.  64. 

474.  475.  667.   Kirsche  467.  408. 

475.  660.  665.  Nuss  196.  Tanne 
250.  354.  512.  Vogelbeerbaum  14. 
15.  17  —  20.  26.  35  Anm.  ".  55. 
101.  138.  202.  225.  553  Anm.^  — 
Alpenrose  429.  Bohne  467.  Brom- 
beere 55.  Herba  Britannica  138. 
139.  Dinkel  467.  471.  Citrone 
467.  Donnerrebe  (Gundelrebe) 
6.  138.  Donderbaard  138.  Erd- 
beere 428  fgg.  468.  Engelsüfs- 
chen  471.  Erbse  49.  135.  138. 
209.  237.  238.  475.  717.  Flachs 
467.  471.  Frig.gjargras  246.  Ha- 
fer 86.  Heidelbeere  428.  Him- 
beere 129.  Hirse  152.  464.  Ho- 
pfen 469.  712.  713.  Hüsläk  56. 
138.  Kamille  475.  Kronsbeere 
429.  Klee  25.  Kreuzkraut  24. 
KuchenblUmcheu  471.  Lauch  590. 
591.  Lilie  470.  Löwenzahn  517. 
Marie  bregne  (Syrildrod)  80.  Ma- 
riae  oientaare,  Soldug,  Sonnentau 
293.  Maiblume  470.  Meerlinse 
6.  Nessel  20,  102  fgg.  138.  Rose 
403.   470.     Sternblumen   pflücken 


383.        Stechpalme     35     Anm.  *. 
Thorhialm  90.     Walzen  467. 

Bein  und  Stein  328  fgg.  391  fgg. 
394. 

Bell  222. 

Bera   665. 

Berg  s.  Wolke;  Himmel.  —  Auf  Ber- 
gen opfern  235.  Frau  Holda  im 
Berge   263. 

Ber r/entrückung  265. 

Bergkönig  453. 

Bergmännlein   725. 

Bergdanir   181.    184. 

Berggeister  80   s.  Riesen;  Zwerge. 

Bergelmir   194. 

Bjargmigi  201. 

Frau  Biebe  464.   663. 

Bihinhinka   465.   656.   663. 

Bifröst   544. 

Bierbrauen  101  fgg.  234;  im  Ei  302 
fgg.   (s.  Ei,   Himmel,   Kessel). 

Bieresel  411.   419. 

Bilskirnir   2.   240. 

Bindband   698  fgg. 

Binka   656,   661  fgg. 

Björn  123.   238. 

Bisa  186. 

Bisaborg   186. 

Blakkr   123. 

Blitz  =  Leiter  341.  Leuchterloses 
Licht  212.  Goldene  Peitsche  120. 
177.  _  Stab  (Donnerrute)  20.  27 
Anm.  '.  35  Anm.*.  59.  62.  112 
Anm.  2.  201  fgg.  202  Anm.  «. 
274  No.  4.  278  No.  7,  8.  283. 
No.  14.  296.  395.  553  Anm.  2. 
—  Span  285.  Glühende  Eisen- 
stange 434.  Kugel  202.  209. 
Schlüssel  146.  341.  Goldenes 
Haar  das  der  Gewittergott  dem 
Dämon  auszieht  203.  304.  — 
Goldener  Kinnbacken  125.  237. 
238.  —  Goldzahn  125.  —  Bart 
124.  157.  177.  —  Ross  119  fgg. 
124.  177.  183.  212.  Drache  720. 
Hahn  341.  391  (s.  häunerm£er 
und  hoenerswark).  Blume  153. 
470.  718.  —  Blaue  Farbe  2.  — 
Blitzfeuer  mit  Milch  gelöscht  16. 
17.  Blitz  schlägt  das  Geld  zum 
Schornstein  herein  151.  720 
Anm.  ' . 
Blinde  Schicksalsjungfrau  305.  650. 
Bogen  Indras   107. 


739 


Boden.     Das    neugebome   Kind    auf 

den  Boden  setzen  312.   317. 
St.  Bonif actus  fährt  dem  wilden  Heer 

vorauf  94. 
Bragi  196. 

Brandsegen  417.   682. 
Brauthand  686. 
Brautsteine  130. 
Frau  Brigidian  464. 
Brisingamen  85.   289.   701. 
Brittannien  405. 
Brockr   110. 
Brücke  s.  Totenbrücke.    Lederne  Br. 

652. 
Brunnen  s.  Wolke.    Den  Liebsten  im 

Brunnen  sehen  522.   546. 
Brunnakr   196.   295.   335. 
Brunnmigi  201. 
BuUerkater  81. 
Bullerluchs  81. 
BullerJAn  387. 
Buschgrofsmutter  478. 
£M«e/-  5  fgg.  17  fgg.  27.  53  fgg.  389. 
Butz  213.  297.  298.  730. 


c. 

Christus  356. 

St.  Chris to2)h  154. 

Christoffelsgebet  154. 

Ä«.  C/ara,  Sonnenheilige  395.  664. 


Donnerkäfer  273. 

Dunnergät   154. 

dunnerbessem  35.   139. 

dunnerschwerk  241. 

Donnernessel  102. 

Donnerpuppe  28. 

duenermäge  341  Anm.  "■* 

Dornröschen  611    668. 

Z»rac/ie  103.  113.  119.  174.  197. 
202.  215—218.  221.  548.  Frauen- 
raubender 76  fgg.  82.  Schatzhü- 
tender 88.  148-154.  174.  647 
=  Riese,  Zwerg,  Seele  207  =  Nix 
721.  Von  ludra  und  Thunar  ge- 
tötet s.  Abi,  Oegir,  MiÖgar?is- 
wurm.  Von  St.  Servan  getötet 
61.  Dietrichs  Drachenkämpfo  91. 
Drachensalbe  722.  Jlilch-,  Korn- 
und  Gelddrache   17.   151.   720. 

Draupnir  110.   175. 

Draugar  53.   211. 

Dräutleinsäpfel  469. 

Dreibein  413. 

Drifa  205. 

Drüten,  Truden  712  fgg.  727. 

Durst  51. 

Dvalinn  555. 

Dvergspeni  52. 

Dvärgsnet  640. 

Dvürgstein  456. 


E. 


D. 

Dagr  39.   376. 
Däinn   187.   207. 
Daufäjer,  dauslöper  s.  Tau. 
Dietrich  von  Bern  89  fgg.    94.   363 

Anm.  *. 
Döckulfar  325. 
Dödninger  628. 
dödningsknib   617.    628.   728. 
dödmansgrep   628. 
döggskör   29. 
dömhringr  229. 
Donnerkeil  21.  22. 23. 34. 48.  79.101. 

105  fgg.  109fgg.  J21.  122.  138. 

151.    163.    170.    202.    213.  410. 

715   =  Sccpter  230. 
Donuerkugel  48.   202.   209.   418. 


Ecke  89  fgg.  168.  171.  210.  354. 
Ekke  Nekkepenu  208.  (Vergl. 
Hansen,  Friesische  Sagen  und  Er- 
zählungen.    Altona    1858    S.  148 

igg-)- 

Eckhart  92  fgg.    168.   265.  271. 

Ecketcart  93. 

Eg^ir  182. 

Egill  62. 

Ei.  Unter  die  Stallschwelle  gelegt 
11.  In  die  letzte  Garbe  gesteckt 
137.  Jüdel  spielt  mit  Eierscha- 
len 308.  Elbe  und  Hexen  fahren 
in  Eierschalen  316.  418.  Ei  kommt 
aus  Engelland  414  fgg.  Im  Ei 
(als  Abbild  des  Himmelsgewölbes) 
Bier  brauen  302  fgg. 

Eichoclise  28    s.  Hirschkäfer. 

Eikthyrnir  551. 

47  =■•• 


740 


Eimyrja  205. 

Einbetta  s.  Ainbetta. 

Einbinden  als  Geburtstags-  =  Paten- 
geschenk 634.   697  fgg. 

Einheri  230. 

Einheriar  228.  264.  442.  443.  563. 

Einrißt  121.   123. 

Eisenbertha  80. 

Elbe  =  Seelen  47.  297.  326.  455. 
709  s.  Seele  =  Kinderseelen  297 
Anm.  *.  Etymologie  des  Worts 
46.  Elbenglaube  bei  Kelten  und 
Germanen  identisch  320. 

Elbegast  209. 

Elbel  712. 

Elbertrötsch  jagen  31. 

Elfrinder  7  fgg.   78.   79. 

Elfengärten  433. 

Elfenmühlen  22. 

Elfentopf  49. 

Elias  706. 

^/cZm-  83. 

Elisius  Campus  360. 

Elivägar  170.   192.   548. 

£m&;rt  589. 

Engel  276.  298.  308.  309.  375.  376. 
378.  379.  423.  425.  439.  473. 
474.   654.   724. 

Englöl  326.   521. 

Engelland.    Land  der  Engel  =  Lios- 


älfaheimr    326   fg 


Der  Schwan 


zieht  dahin  328.  397.  398.  En- 
gelland =  Glasberg  330  fgg.  See- 
lenreich 398.  400  fgg.  405.  406 
fgg.  491.  Mären  sind  da  zu  Hause 
345  fgg.  Marienkäfer  =  Mär  hat 
in  Engelland  seine  Heimat  347. 
353.  397.  398.  Schmetterling 
fahrt  dahin  373.  Dahin  fahren 
die  Hexen  in  Eierschalen  418. 
Engelland  verschlossen  328  fgg. 
370.  491  fgg.  Brennendes  En- 
gelland =  flammende  Wolke  354. 
498.  398.  Engelland  =  licht- 
strahlendes Himmelsgewölbe  375. 
376.  423  Anm.  In  Engelland 
sieht  man  Himmel  und  Hölle  zu- 
gleich 421.  Blitz  schlägt  nach 
Engelland  hinein  398  Anm.  '.  Da- 
hin werden  die  Wolken  gewiesen 
400  fgg.  Dahin  -wirbelt  der  Sand 
des  Kirchhofs  404.  Dahin  eilen 
die  elbischen  Hasen  =  Seelen 
406  fgg.       Daher    kommt    das    Ei 


414  fgg.;  der  Schrittschuh  417. 
Nach  Engelland  fahren  bedeutet 
Freude  419.  Dieser  Ausdruck  in 
Frühlingsliedern  420  fgg.  Dinkel 
und  Hirse  aus  Engelland  464  fgg. 
Eose  aus  Engelland  463.  Bock 
kommt  aus  Engelland  483.  Gol- 
denes Wickelband  aus  Engelland 
687.  690.  700.  Holda  Königin 
von  Engellaud   278.  375. 

Erdmännle  710. 

Erlösimg  316  Anm.  ■'.   648.   649. 

Erpr  587. 

Eselbrunnen  267.   411  fgg. 

Esel  fest  414. 

Eselwiese  414. 

Eysa  205. 


Fafnir  87.   150.   207.  598. 

Fahrende  Mutter  711. 

Fairybiitter  54. 

Fairyland  459. 

Farbauti  84. 

Farbe.  Rote  Farbe  Thunar  hei- 
lig 13.  Roter  Weiberstrumpf  10. 
Rotes  Zeug  11.  12.  16.  17.  638. 
Roter  Rock  11.  13.  135.  Ro- 
ter Mantel  238.  Rote  Hosen  12. 
Rotes  Segeltuch  13.  Rotseidenes 
Tuch  64.  Roter  Faden  12.  14 
Anm.  ^  64.  134.  Rotes  Band 
685.  Rotes  Hemd  225.  530.  531. 
707.  Rotes  Banner  124.  Rote 
Blume  =  Blitz  153.  470.  Rote 
Beeren  des  Vogelbeerbaums  18. 
Rote  Früchte  des  Hagedorns  136. 
Rose  26.  Rotes  Gründonnerstagsei 
137.  Rote  Eichhörnchen  137. 
Rotkehlchen  13  fgg.  Roter  Hahn 
720.  Roter  Bart  125.  157.  177. 
178.  —  Blitzblau  2.  6  Anm.'. 
36  Anm.  138.  Blaue  Blume  = 
Blitz  153  fgg.  470.  Blaue  Schürze 
11.  Blauer,  roter  und  grüner 
Schrein  434.  —  Gelbe  Blume 
(Farbe  des  Blitzes)  36  Anm.  — 
Grüne  Zwerge  458.  477.  Grü- 
nes Hardmännle  456.  Grüne 
Schuhe  470.  477.  480.  Grüne 
Hände  477.    Grüne  Jungfrau  480. 


741 


—  Schwarze  Stiere  135.  Schwar- 
zer Hund  641  fgg.  649.  Schwarze 
Jungfrau  620.  Schwarze  Wolke 
576fgg.586.  650.  655.  —Weifse 
Sonnenrosse  624.  Halb  weifse,  halb- 
schwarze Jungfrau  641  fgg.  649. 

Fasolt  90  fgg. 

Feieji  637. 

Fenrir  85.   87.   198. 

Fensalir  585. 

Feuer  13.   17.   65.   82  Anm. '.    101. 

102.    Abbild  des  Blitzbrandes  13. 

Auf    Schätzen     152.        Osterfeuer 

137.   238.     Weihnachtsfeuer  238. 

Feueizange  35  Anm.  *.    Feuerstein 

110.   141.   142.   212. 
Fjörgyn  235. 
Fönn  205. 
Fold  Erdgöttin   128. 
Fulkvängr  291. 
Fornjötr  205.   220. 
Franängurfors  85. 
Frea   295.      Fru    Freen    295.       Fru 

Freen  mit  dem  groten  Düme  539. 

672,   s    Fria. 
Freyr  247  fgg.  489  fgg.  521.  —  37. 

38.   39.  41.   110.    121.   123.  188 

Anm.  2.  221.  222.  234.  245.  292. 

326.   342.  467.   624.   708. 
Freyja  247  fgg.  288.  290.  291.  508. 

—  80.  84.  85.  89.  90.  91.  110. 
179.  181.  183.  189.  197.  246. 
287.    295.    319.    326.   342.    377. 

'    567.    568.    691.    701.   708.    711. 

726,   s.  Frouwa. 
Freyjuhcena  247. 
Fria.      Fru    Frien    295.       Frija    70. 

Frikka   294  fgg.    238.    296.    471. 

539.   711.   726.     Frigg  246.   294 

fgg- 
Friggerok,   Frejerok   665. 
Frigaholda  295.   296.   509. 
Fricco  292. 

Fri^leiJ'r  39  =  Freyr  221. 
Fri^fro^i  221. 
Fro^i  221.   399. 
Frosti  Riese   205.     Zwerg  207. 
Frouwa   kein   erwiesener  Götternamc 

708. 
FuUa  246. 
Funafengr  83. 
Fylgjen  306  fgg.   310   Anm. '.    556. 

572  fgg. 


G. 


Gachschepfen  609. 

Gälgagramr  270. 

Gansfufs   718. 

Garten  blühender  im  Seelenreich  339. 
724  fgg.,    s.  Wiese. 

Frau  Gauden  282.  284.  300.  302 
fgg.,  s.    Gode. 

Gehurt  81.  311  fgg.  318.  Geburt- 
fördernde Gottheiten  588.  295 
Anm.  ' . 

Gei/sfufs  642.   671.   718. 

Geirdriful  566. 

Geirölul  566. 

Geirrö^r  85.  190.  199.  200.  201 
fgg.   204. 

Geisterpitsclie  617. 

8t.   George  242. 

Gerdrüt  319.    370.   730. 

Gerör   171   Anm.  K   175.   222. 

Gewebe  der  Valkyren  558  fgg.  Der 
Nörnen  038.    640. 

Gjallarhorn  115  fgg.  119.  189.  550. 
551. 

Gjälp  200. 

Giniill  321  fgg.  325.  334.  342.  377. 
439.   550. 

Giimiaigagcip   548. 

Gla^sheimr  366. 

Glasherg  =  Himmel  331.   332.  455. 
Seelenaufenthalt  333.   336  =  Pa- 
radies 338.    Wohnsitz  der  Z^verge 
332.    333.    447    fgg.    454.    455. 
Sitz  des  Gübich  333.  429.     Kin- 
derseelen im  Glasberge  330  =  En- 
gelland   331   =   goldenes    Schloss 
462  Anm.  ^.    Heimat  der  Schwan- 
jungfrauen   342.   343.     Liegt  jen- 
seits   eines    Gewässers    365.     Voll 
blühender  Gewächse  447  fg::c.    Von 
wunderbarem    Lichte    erfüllt    454. 
455.   728.    Mit  Knochen  erstiegen 
330.  336.     Kuh  auf  dem  Glasberg 
332.    Etymologie  des  Wortes  334. 
335. 
Glasir  335.   336. 
Glxsisvellir  335.   347. 
Glerhiminn   335. 
G/iÖ   365.   377.  664. 
Glocken  am  Gewände  488.  489. 


742 


G7öS  205. 

Glücksglas  625. 

Glückshaube  306.  572. 

Gnut  640. 

Gode  238  281.  284.  294.  298.  471. 
711.  Frau  Gol  281.  Vgl.  Gau- 
den. 

Godgjibhen   121.   232.   391   Anm.^. 

Godwebb   638. 

Götter.  Götterstaat  594  fgg.  Göt- 
tergericht 595  fgg.  Göttinnen  aus 
Wasserfrauen  hervorgegangen  80. 
481.  726.  Die  höheren  Gotthei- 
ten fallen  mit  den  Eiben  nahe  zu- 
sammen  727. 

Goldross  175.  Goldpelz  175.  210. 
288  Anm.  '.  Goldlampe  175. 
Goldhühner  176.  Goldbock  176. 
289.   393. 

Goldtor  438,   s.   Tür. 

Goldenes  Schloss  330.  338.  340. 
341.  365.  392.  425.  462  Anm.^ 
532. 

Goldfethara   376. 

Goldkette  um  den  Tempel  zu  Upsala 
675,  um  Ländereien  676  fgg.  Tö- 
tendes Seil  701.  S.  Schicksab- 
seil. 

Frau  Gosen  294. 

Grafvitnir  150. 

Grani  333. 

Gras  ausläuten  34. 

Grep   628.  728. 

Gre< schwarze  382.  PayssenerGret383. 

Greip   200. 

Grendel   169.   211. 

GWbr  201. 

Grim  89. 

Grinttünagar^r   182. 

Grönjette  291.   477. 

Grotti   399. 

Grummeltvru   186.    718. 

Gu'Ör  561.   566. 

Gu  mundr  Herscher  von  Glaesisvellir, 
Odäinsakr  335.   357.   447. 

Gübich  s.  Hibich. 

GuUfaxi   124.    181. 

Gul'ljjö^r  39.   376. 

Guliinbursfi  64.    110.   111.   708. 

Gullintanni  125. 

Güngnir  85.   110. 

Gütchen  297  Anm.  *.   308. 

Gurrorysse  95. 


Gygjar  187. 

Gymir  175.    190.   219. 


H. 

Habundia  725. 

Haddmgr  39.   440  fgg.   470. 

Eakelberg  286.   290.  300. 

Ilälsete  700. 

Halskette  goldene   701  fgg. 

Hälogi  205. 

Humdir   587. 

hamaskipti   691. 

hamfurir   691. 

Hamingjen  306.   572. 

Hammer  16.25.  105  fgg.  118.  173. 
179.  232.  Hammerzeichen  16. 
24.  109  fgg.  Hammer  Thunars 
13.  126,  s.  Mjölnir.  Hammer  In- 
dras  105.  Personitication  108  fgg. 
112  fgg.  (Vergl.  Zeitschr.  f.  D. 
Myth.  I,  465  No.  9  Die  Keller- 
lahne zu  Passeier).  Mit  dem  Ham- 
mer befangen   122.   132. 

Eängatyr  270. 

Har^greip   626. 

Hardmännle  456.   481. 

Hasenbrod  410. 

Hati  Wolf  85.  197.  Riese  171. 
211.   233. 

Haulemänner  429. 

häunerwixr  341,   s.  hoenerswark. 

Hautkrankheiten  31  Anm.  «.  32.  33 
Aum.  '.   103.   134.   135. 

Hausgeister  47.  53.  258.  409.  477. 
719  fgg. 

He^inn  289  fgg. 

Hegung   durch  Fadeuzug   683  fgg. 

Heidemännle  58. 

Hei^riin   64.   551. 

Heiligenbrunn   146. 

heilög  vütn  182.   554. 

Heilrätinnen  640  fgg.  643  fgg, 

Heimchen  297.   363.  447.  472.  715. 

Heimdallr  85.  115  fgg.  125.  183. 
188.  189  Anm.  -.  238.  325.  544. 
545.   550.   588. 

Heinzelmännchen  81. 

Hekkenfjäld,  Hekkevelde  361. 

Hei  85.  88.  190.  292.  298.  357. 
363.   382.   544.   549.   666.   726. 


743 


Helblindi  190. 

Heikappe  210. 

Held  641.   644. 

Helgi  Hundingsbani  182.  292.  554. 
588.   674. 

Helvi  s.  AVolke. 

Hengigapta   672. 

Hercules  230. 

Herfjötiir  566. 

Herrno^r   366. 

Herodis   286. 

Herodias  59.  62.  286.  287.  294. 
296.  395.   715. 

Hexen  55.  56.  59.  81.  202  Anm.^, 
371.  409.  476.  521.  691.  711. 
714.  =  Elbe  54.  Ihr  Besen  = 
Blitz   35.     Hexensalbe  35  Anm.*. 

Hexenbutter  54.   55.   57. 

Hia^ningar  290. 

Hiarrandi   289  fgg. 

Hibich  (GUbich)   333.   429.   454. 

Hildr  80.  89.  289  fgg.  294.  319. 
566. 

Hilde  89.  294.   567. 

Hildaberta  293.   296.   509. 

Hildenschnee  294. 

Hildenrose  470. 

Hildisvini  90.   289. 

Hiltigöltr   89. 

HilÜgrini  89. 

Him  in  björg   183. 

Himmel  =  Berg  334.  340.  425.  455. 
Glasberg  332  fgg.  455.  Sonnen- 
land  327.  Eugelland  s.  E.  Ge- 
fäfs  103.  260.  Ei  s.  Ei.  Kes- 
sel s.  Kessel,  Ei.  Deckel  400. 
Nest  des  Vogels  (der  Sonne)  209. 
Himmelreich  verschenken  275.298. 
495.    504. 

Hier  84.   205. 

Hli^skjälf  545.   546. 

Hlorri^i  121.    227. 

Hlüda   286. 

Hludana  287. 

Hludena  287. 

Hoddmimir  547. 

Hö^r  561. 

Hödehen  409. 

Högbergsgubbe  183. 

Högni  289  fgg. 

Hoenersivark  422,  s.  häunerwiser. 

Hörselberg   264. 

//oWa  Gestalt  257.  258.  Hohler 
mnldenförmiger  Rücken  258.  260. 


673  Anm.  '.  =  Ran  83.  =  Hei 
85.  292.  =  Freyja  287.-  =  Ve- 
nus 205.  468.  Königin  der  Sä- 
ligen Fräulein  260.  428.  455.  471. 
Anführerin  des  wilden  Heers  94. 
261  fgg.  292.  Macht  Sclmee  259. 
260.  266.  Giebt  Sonnenscliein 
260.  379,  Wind  260,  Regen  260. 
379.  Schöpft  ein  bodenloses  Fass, 
trägt  goldene  Eimer  103.  104. 
260.  298.  Badet  265  fgg.  Weint 
um  ihren  Mann  Trähnen  288. 
Wohnt  im  himmlischen  Gewässer 
266.  Ihr  Kinderbrunnen,  Brun- 
nenreich 41.  80.  95.  177.  178. 
255  fgg.  266  fgg.  271.  295.  321. 
338.  339.  340.  424.  438.  455. 
532.  547.  554.  Bock  =  Wolke 
in  Holdas  Brunnenreich  177.  267. 
Mit  den  Seelen  in  der  Wolke 
schiffend  367.  Holdas  Brunnen 
=  Ur'öarborn  und  Mimirbrunnen 
547.  548.  Ihr  Baum  und  Brun- 
nen =  Baum  und  Brunnen  der 
Schicksalsgöttin  670.  706.  Wohnt 
im  Berge  263.  468.  505,  in  Kri- 
stallgrotten 455,  in  Engelland  385. 
Ihr  Berg  viermal  im  Jahre  geöff- 
net 468.  520.  Ihr  Brunnenreich 
und  Berg  voll  herlicher  Gewächse, 
die  Prototype  des  Pflanzenwachs 
tums  darin  vorgebildet  424.  468. 
Todesgöttin  263.  509.  Empfängt 
die  Seelen  und  lässt  sie  wieder- 
geboren werden  269  fgg.  Weilt 
mit  den  Seelen  im  Turm  505. 
Geister  bei  Holda  lachen  nicht 
309.  Mit  den  Seelen  von  den 
Dämonen  des  Winters  eingeschlos- 
sen 493.  Im  Winter  tot  509. 
Hollefrau  verbrannt  727.  Kommt 
im  Früliling  neubelebt  hervor  471. 
Fördert  die  Feldarbeit  472.  473, 
den  Flachsbau  471.  479.  480. 
Treibt  die  Wolken  als  iiire  Schafe 
aus  728,  als  Kühe  394.  Reitet 
auf  dem  Rollegaul  202.  712.  Er- 
scheint als  Hund  711.  Spinnerin 
605.  Als  Wolkenfrau  vom  wil- 
den Mann  ( wilden  Jäger)  gejagt 
479.  Holda  und  die  Schicksals- 
göttin 540  fgg.  Verwandschaft 
mit  den  Mären  261.  Bekämpft 
böse  klären   726. 


744 


Frau  Höllern  =  Holda  471  Anm.*. 

Hollenbaum  670. 

Hollezopf,  Hollerkopf  261. 

Hollepeter,  Peter  Holl  261. 

Hollen  303, 

Hollar  rvettir  295. 

Holden  47.  297.   372. 

Holzmuoja  198. 

Holzrüna   198. 

Honig  311.   424.  471.    725. 

Honigfall  542.  543  Aum.  ' .  552. 
553  Anm.  -. 

Horant  290. 

horshoiuü.ra  367. 

Hrsesrelgr   182.   186.   197. 

Hrau^i'ingr  211. 

hreggmimir  546. 

i7reSe  287.   294. 

Hrimger^r  197. 

Erlmnir  184. 

iTr»«|?M7-sar  184  fgg.  543.  548.  549. 
568,   s.  Kiesen. 

Hringliornl  358. 

firis«  566. 

HRÖDA  287.  294. 

.&rö.<:a    285.   286.   294. 

Hrossli  a  rsgran  i  597. 

Hruodgera  509. 

HruodpHraht  285.   509. 

Hufeisen.  Wasserfrauen  mit  Hufeisen 
beschlagen  710  fgg. 

Huginn   563. 

^wWa,  Huldra  =  Holda  259.  297. 
Trägt  Kuhschwanz  80.  259.  Hin- 
ten wie  ein  Backtrog  259.  Ihre 
Kühe  =  Wolken  8.  Hulldr 
drückende  Mär  261. 

Hiildre  289.   297.   456.   477.   721. 

Huldreslaat  263,   s.  Albleich. 

Huldufölk  8. 

Hundulfr  198. 

Hyldemoer,  Hyllemoer  53.   475. 

Hymir  171.  179.  190.  192  fgg.  220. 

Hyndla   198. 

Hyrr olein  358. 


I.     J. 


Jättehräh  171. 
Jarnhaus  181. 
Jarnvi^r  197. 
Jarnsaxa  181. 


lÖavöllr  443. 

I^unn    194.     196.    295.    335.    544. 

726. 
St.  Johannes  247. 

Jörmungardr  198,   s.  MiSgarSswurm 
Jötunn  168  fgg.   211,  s.  Riesen. 
Jütunheimr   170. 
Jölevxtter  521. 
Jölasveinar  521. 
»S«.  Joseph  Sonnenheiliger  395. 
Jo?<r  612. 

Irrlichter  310.   371. 
l.sa  409. 
Jildel  308. 
Judasdreck  135. 
Judasohr  15. 
Jugend  Land  der  457. 
Jidfriede  522. 
Jungbrunnen    196.    273.    297.    335 

544.   654. 
Jungfernhühel  641. 
If/gja  482. 


K. 

KälberquieJcen    19  fgg.    35    Anm.  ^ 
553  Anm.  2. 

A'^q/?i  600.   664. 

Ä'n/i-e^i-Lunta   064. 

Knmeele  =  Wolken  36. 

Kära  292. 

Käri  205.   206.  220. 

Karfunkel  447.  449.  451  fgg.  454. 
456. 

Karlsioagen  142  Anm.  *. 

Katharina  Sonnenheilige  7.  385  — 
388.   524.   540, 

Katzenbutz   81. 

Kaupat  41. 

i:er%  544.   598. 

Kessel  103  fgg.   192  fgg. 

Keule  109.  198.   230  fgg. 

Kifhäuser  263.   265.  445. 

Kinder.  Kinderbrunnen  255  fgg.  ?. 
Holda.  —  Kinderseelen  ==  Seelen 
Verstorbener  272.  =  Gütchen, 
Butzen,  Eiben  297  Anm  *.  = 
Zwerge  363  Anm.  *,  s.  Seelen. 
Sitzen  im  Hasenteich  410.  Spie- 
len im  Himmelsberge  338.  425, 
im  Wolkenberge  273.  338,  im 
Brunnen  95.   255.  267.  338.  339. 


745 


668,  bei  einer  weifsen  Frau  258, 
bei  Holda  257  fgg  —  im  Eichen- 
trog 283  Anm.  3,  im  Baum  668 
fgg.,  bei  Ilolda  im  Wolkenturm 
506  fgg.,  weilen  auf  dem  Schofs 
der  Göttin  273  fgg.,  sitzen  stufen- 
weise 304.  Ihr  Eintritt  im  mensch- 
lichen Körper,  s.  Wiedergeburt; 
fliegen  mit  IMückeu  und  Schmet- 
terlingen umher  370.  729.  730. 
Kommen  zu  Schiff  zur  Erde  370. 
Vom  Storch,  s.  Storch;  vom  Ma- 
rienkäfer gebracht  255  ,  vom 
Schmetterling  373;  von  drei 
Jungfrauen  524  fgg.  670,  706; 
von  einer  Katze  gefunden  553  fgg. 
Die  Hebamme  holt  sie  256;  die 
Mutter  305.  Kinderseelen  kaufen 
370.  373.  Kind  in  Gold  gebun- 
den 689.  Mit  goldenem  Wickel- 
band versehen  687  fgg.  Licht 
neben  dem  Kinde  brennen  lassen 
318. 

Kindssaft  311. 

Kindspecli  311. 

KinnhacTcendonner  238. 

Kirkevarsler  491. 

Klnixperboch  238.   239. 

Kiemode  der  Götter  42.   110.   111. 

KnoblajntiJca  056  fgg.  663.  So  eben  teilt 
mir  Dr.  Nöldeke  noch  eine  mit  No.  2 
S.  656  im  Uebrigen  übereinstim- 
mende Variante  aus  Harburg  mit, 
in  welcher  aber  die  Namen  Binka, 
Bibliabinka  (oder  biblische  Binka) 
und  Seseknakknakknabb  eldi- 
babbeldibibliabinka  lauten.  Das 
knabbel  (aus  knabia  in  3)  ist 
offenbar  die  Quelle  von  Knobla 
(Knoblapinka)  in  1,  woher  unsere 
S.  663  Anm.  *  geäufserte  Vermu 
tung  hinfällig  wird.  Sollte  etwa 
auch  das  kafveli  in  Kafvelilunte 
mit  diesem  knabeli  zusammenhan- 


Knochen  mit  Knochen  werfen  661. 
Bei  der  Bestattung  vom  Fleische 
lösen  72  fgg.  Fehlender  Knochen 
57.  58.  63.  74.  Ilühnerknochen 
schliefst  den  Glasberg  auf  330  fgg. 
Fährlohn  des  wilden  Heers  .T63. 

Kobold  47.  719  fgg.  Seele  719  fgg. 
Käfer  367.     Hase  409. 

Könnt  541.  598. 


Krätze,  s.  Hautkrankheiten. 
Kristall  447  fgg.  455.  459. 
Kristallsehen  621. 
Kuhstein  21. 
Kütrtin  290. 


L. 

Lachen  303.  309.  314,  der  Morgen- 
röte 438. 

Leiter  =  Blitz,  s.  Blitz  =:  Sonnen- 
strahlen  381. 

ia-«Sr  551. 

Licht  wunderbares  im  Seelenreieh 
375  fgg.  454  fgg.  459.  462  fgg., 
von  Holda  und  den  Lichtalfen  aus- 
strömend 455.  456. 

Lichfland  327.  455.  469  fgg.  728. 
730  fgg.,  s.  Engelland. 

lihhamo   690  fgg. 

Liosälfar  325  fgg.  439.   521. 

Liosälfaheimr  342.   377.   521. 

Litr  210. 

Lo^infingra  626. 

Logi  205. 

LoM  84  fgg.  110.  168.  178  Anm.'. 
194.  211.   234.  325.   400.    691. 

Lofsung  599  fgg. 

Luarin  449.  456. 

St.  Lucia  Sonnenheilige  422.  664. 
Vergl.  St.  Lucia,  Frau  Lutz  Myth.* 
1212   zu  251. 

Lucifer  86.  412.  655. 

Luna  612. 


M. 

Magni  124. 

Mänagarmr  197.   198. 

Mantel  290. 

Mär ,  Märe ,  Märt.  —  Mären  See 
len  261.  342.  712.  Gute  Seelen 
714,  böse  Seelen  715  =  Fylgjen 
306  Anm. 2.  574  =  Heimchen 
296.  715  =  Schrezlein  296.  715 
=  Valkyren  342  =  mitendcm 
Heer  44Vgg.  261.  296.  712,  ma- 
chen Wind  713,  diücken  als 
Windgeister  Eis,  Steine,  Bäume, 
Menschen  634.  712.  713,  reiten 
Pferde  (=  Wolken)  34  5.  713, 
reiten  Kühe  22,  melken  die  (Wol- 
kcn)Kühe   53.   713,    f\ihrcn    übers 


48 


746 


(Himinels)GeM'ässer  346.  364.  366, 
sind  Wolken-  und  Gewitterwesen, 
Wasserfrauen  (Maresten)  48.  79. 
171.  172.  712.  715  =  liimmli- 
sche  Kühe  78  fgg.  490.  714,  als 
drückende  Wind-  und  Wolkengei- 
ster =  schwarze  Kuh  79.  In 
Verbindung  mit  Holda  260  fgg., 
sind  in  Eugelland  zu  Hause  344 
fgg.,  erscheinen  als  Käfer  367, 
als  Marienkäfer  356.  490  =  Wer- 
wolf  634,  kommen  mit  den  Son- 
nenstrahlen ins  Haus  715,  veran- 
lassen die  Unformen  an  den  Bäu- 
men 476.  712.  713.  Von  7  Kin- 
dern eins  Mär   633. 

Marklatt  46.  261.  713.  715. 

Marenzitze  79. 

Margareta  146. 381  fgg.  423.639.708. 

Maria  80.  181.  245.  247.  269 
Anm.  •.  272  Anm.*.  276.  277. 
279.  284.  293  Anm.*.  326.  338 
—  340.  356.  366.  367.  375.  376. 
394.  428.  448.  454.  468.  488. 
540.  639.  640.  653.  670.  689. 
708. 

Drei  Mareien  552.  705. 

Marienfädclien  367.   639.   640. 

Marienland  486,   488. 

Meerfrau  291.   652. 

Megingjar^r  114. 

Mehl  218. 

Merseburger  Zauberspruch  69  fgg. 

metod  595  fgg. 

metodsceaft  607. 

Meten  638.  675.  Metten  639.  708. 
Metkensommer  639. 

Mi^gar^swurm  85.  86.  92.  99.  168. 
171.  192  fgg.  198.  207.  220. 
221.  325. 

Milch  6.  14.  17  fgg.  96.  134.  Himm- 
lische 6.  144.  145.  Opfer  für 
die  Elbe  52  fgg.,  für  den  Marien- 
käfer 355.  In  den  Hörnern  der 
Kuh  35  Anm.*.  In  Milch  wer- 
fen 316.     Milch  Marias  80. 

Milchmädchen  33  Anm.*. 

Milchmeer  97. 

Milchstraf se  293.   729. 

Miller-Maler  372  fgg. 

Mimi  543.   548. 

Mimir  543.  545.  547  fgg.  550. 
555. 

Minnetrunk  247. 


Mjölnir  63.  109  fgg.  128.  181.  201. 

398,  s.  Hammer. 
mjötu^r  595. 

Mist  563. 

Mistilteinn  112  Anm.  ^. 

Molkentöiversche  54. 

3Io7id  84.  85.  176.  185.   197.  288. 

399.  423.   438.   612.   6G8. 
Moosleute  478.  481. 
Morgenröte  140.   148.   149.   163   fs. 

besonders  Anm.*).  439.  604.  612. 
650. 

Mühle  272.   398  fgg. 

mulletje  397.   398. 

Muotasheer  94.  271. 

Musik  =  Sturm.  Musik  des  wüten- 
den Heeres  44.  47.  263.  272. 
290.  709.  710,  der  Zwerge  718, 
s.  Albleich,  Pfeife,  Tanz. 

Myrkvi^r  384.  559.  561.  562.  668. 
674. 


N. 


Nacht  griff  728,    s.   Grep,  Dödnings- 

knib,  Totenmailer. 
Nachtvolk  57.  709. 
Nagel  Flecke  auf  den  Nägeln  615 
fgg.  626  fgg.  Nägel  und  Krallen 
der  Unterweltswesen  625  fgg.  Vgl. 
dass  Tuonelas  (der  Unterwelt)  Wir- 
tin bei  Finnen  ein  altes  AVeib  mit 
Hakenfiugem  und  verzerrtem  Kinn 
ist.  Ebenso  hat  Tuonen  poika, 
ihr  Sohn  Hakenfinger.  Castren, 
Finnische  Myth.  130.  131.  Glied 
der  Nörnen  627.  Nägel  abschnei- 
den 628  fgg. 

NCiinn  207. 

Naglfari  631. 

Näl  84. 

Napfhans  53. 

Nar  207. 

Näströnd   322  fgg.    824.    439.  548. 
550. 

Nascentia  631. 

Nebel  spinnen  654. 

Nebelkappe   210.   723. 

Nebelwohnung  439. 

Neidstange  625. 

Nerthus  248.   288.   342. 

Ni^höggr  322.   343.   548. 

Ni/lheimr  548.   666. 


747 


Nikker  213. 

Njör^r  39.  222.  288.  289.  290. 
342.  489. 

Njörvi  187. 

Nissen  720. 

Nix  47.  53.  296.  477.  652.  655. 
673.   705.    721.     Nixblume  475. 

Nobiskrug  666.   667. 

Nonnen  532.   705. 

Nordri  109. 

Nörnagreytur  588.   632. 

Nornagestr  592. 

Nörnaspvr  622. 

Nörnir  ( das  Einzelne  s.  im  Inhalt 
unter  B.  §.  6  fgg.)  541  fgg.  Ety- 
mologie 586. 

Nothemd  638. 


0. 

b^r  288.   290.  295.  335. 

Öf>inn  38.   95.   110.   121.  122.  182. 

183.    224.    229.    242.    270.    290. 

—  292.  294.  442.  508.  545.  546. 

547.  558.  565.  589.  597. 
Ö^roirir  544.   563. 
Odainsakr  335.   445. 
Oegir    81    fgg.    89.    92.     103.     168. 

171.    189.    192.    193.    205.  210. 

219.   220. 
Oegishjälmr  86  fgg.  88  fgg.,    s.  hu- 

liÖshjälmr 
Ökuthorr  121.  190.  510. 
Ölken  52.  263.  301.  716. 
Ölvalldr  142. 
Öndu'^r  207. 

Örvandill   142.   169.   224.   548. 
Önnt  544.   598. 
Ofen   133.   152. 
Öfoü  211. 
St.   Olaf  113.   125.   139.   142.   185. 

186.   202.   293. 
Ölafr  Geirsta?5aalfr  293.   724. 
Onychomantie  621. 
Opfer  für  die  Seelen  (Elbe)  52  fgg. 

296.   355  Anm.'».   722  fgg.  Disen- 

opfer  23.      Thorr    Stiere    geopfert 

10.      Opfer    für   Wodan    und    die 

drei  Scliicksalsjungfrauen  641.643. 

Kuh  am  Grabe  geopfert  51.  734. 
Orentil  548. 


St.   Oviol  395. 

Ostara   650. 

Ostereier  im  Hasennest  410. 

Osten  und  Westen  252.  417. 


P. 

Palmesel  414. 

Paradies  338. 

PatengescJienke  697  fgg. 

Peitsche  goldene   120.  177,  s.  Blitz. 

Piirahta  80.  238.  285.  294.   396  fgg. 

471.   715.   725.  726. 
Perahtold  285.   296. 
Perchteln  296. 
Perlalinz,  Perlaplinz,  Perlapuff  660. 

665.   670. 
St.  Petrus  16.  65.  68.  71.  115.    152. 

181.   247.   390.  391. 
Pfaffenköchinnen  711. 
Pfeife  =  Donner  119.  =  Wind  173. 

174.  Pfeifer  von  Hameln  257.  368. 
Phol,  s.  Vol. 
Pilbishaum  667. 
Pinka,  s.  Binka. 
Pitje  von  Skotland    193. 
Plattfufs  660.   671.   708. 
Pommerland  332.    M''.   089. 
Pöpel  81. 
Posterli  412. 
Posterlijagd  48. 
Prechtülderli  296. 


B. 

Rad  =  Sonne  385.  393  fgg.  Durchs 
Wagenrad  kriechen  134  fgg.  Ka- 
der den  Berg  hinabrollen  393  fgg. 

Rain  392.   393   fgg.   532. 

Rän  83.   171.    179.   211. 

Ranzenpuffer  50. 

Regen  136.  143.  144.  375.  376. 
668.  Regen  =  Schlange  77.  439. 
440.  =  Aal  82.  =:  Kröte  439. 
440.  =  Speise  221.  =  Schatz  89. 
=  Rede  571.  =  Trähnen  288. 
=  Nase  380.  Regenlied  422.  423. 
457.  Regen  von  den  Maruts  gc 
spendet  213,  von  Holda  260.  Re- 
gen am  Hochzeitstage  152. 

48* 


748 


Regenschiff  366. 

Regenbogen  21.   107.  391.  544.   729. 

Regln    595. 

Reganogiscapu  607. 

Reginn  207. 

Rei^  47.   121. 

Rei^ar^runia  121. 

Rei^atyr   121. 

Rhein  =  Kaiu  393.  Zum  Rheine 
gehn  361. 

Riesen  verschlingen  das  (Himmels-) 
Gewässer  547.  Wasserdiebe  212. 
Esser  162.  167.  169.  210  fgg. 
Wohnen  im  (Himmels-)  Gewässer 
154  fgg.  169.  Ihr  Wohnsitz  von 
Wasser  umschlossen  162.  167.  170. 
175.  Tragen  das  Sonnenauge  am 
Körper  546  fgg.  Berggestaltig 
(Bergdanir,  Bergrisar,  Hraunbüar) 
154  fgg.  168.  183,  184.  Woh- 
nen im  (Wolken-)  Berge  154.  163. 
170.  181.  In  der  Berghöle  168. 
Decken  sich  mit  dem  Wolkenfels 
168.  190.  Rauben  Frauen  155. 
170.  183.  193.  288.  Halten  sie 
in  der  Berghöle  zurück  156.  172. 
173.  Rauben  und  besitzen  Rin- 
der  155.   156  fgg.    Haben  Schätze 

156.  162.     175.       Nachtwandler 

157.  159.  187.  206.  354.  Von 
der  Sonne  verscheucht  159.  188, 
versteinert  188.  206.  Winter- 
mächte 160.  184  fgg.  193.  354. 
505  fgg.  510.  543.  546  fgg.,  s. 
Hrim])ursar.  Baumeister  160  fgg. 
185  fgg.  Riesenmauern  186.  354. 
Riesenbett  306.  Kämpfen  mit 
dem  Gewittergott  Blitz  gegen  Blitz 
164.  170.  179.  180.  199.  200. 
434.  Ihre  WatTe  bricht  bei  der 
Begegnung  mit  der  Waffe  des 
Donnergottes  77.  163.  168.  182. 
194  Anra.  '.  Steiuwerfende  Rie- 
sen 180,  tragen  Eisenstangen  355. 
434,  werfen  sich  gegenseitig  ihre 
Beile  in  den  Fufs  661.  Schlafend 
getötet  162.  202  fgg.  Ihre  Schul- 
tern zerbrochen  77.  89.  163.  Der 
Hände  und  Füfse  beraubt  164. 
211.  212.  Gefesselt  165.  168. 
190.  Macheu  Blendwerk  163.  165. 
168.  189.  —  Riese  =  Zwerg  207 
=  Drache  174.  197.  203.  207. 
325.  Hähne  160.  Adler  und  Geier 


160.  174.  203Anm.  5.  195.197. 
271.  Eulen  160.  198.  205  Anm.^. 
626.  Hunde  160.  Katzen  197. 
Luchse  197.  271.  Wölfe  160. 
197.  Zigeuner  und  Türken  353. 
354.     —     Riesen    Menschenfresser 

157.  158.  177.  191.  Furchtbar- 
blickend 160.  192.  Vielgliederig 
212.  Sehlau  160.  194.  Seelen 
167.    190  fgg.    325.      Riesenweib 

158.  164.  191.  438. 
Rivdr  41. 

Röds  286.   301. 

Roggenmuhme  80. 

Rollegaul   262.    712. 

Frau  (Mutter)  Rose  21 Z  fgg.  285. 
298.   727. 

Rosengarten  449  fgg.  452. 

Rosenlachen  439. 

Rossmucken  31.  Rossmucken  ja- 
gen 31. 

Röskva  224. 

Rata  561. 

Rwnpelstilz  539. 

Rune  auf  dem  Nagel  der  Norn  622. 
Hugrunen  623  fgg.  Unter  dem 
Huf  des  Rosses  624.  Rune  Tyr 
16  Anm.«.     Rune  Sei  664. 


Saha  651. 

Säcke  waschen  653. 

Sxhrtmnir  64.   212. 

Sälige  Fräulein  52.  260.  289.  428. 
455.  471.   473.   479.   480. 

Salgofnir  443. 

Sah  6.  7.   57  Anm.'.   317.   318. 

scephenta  607. 

Schatz  151  fgg.  154.  198.  208.  260, 
269.  642.  646.  650  fgg.  655.  719, 
s.  Sonne,  Regen.  —  Rücken  der 
Schatze  193. 

Schiff  =  Wolke  37.  38.  366.  466. 
Indras  und  Thunars  147.  234. 
Auf  goldenem  Schiff  nach  Vall- 
höll  fahi-en  357.  Auf  dem  Schiffe 
bestatten  356  fgg.  Aus  Engel- 
land 370.  419.  464.  Zu  Schiffe 
kommen  die  Kinder  370. 

Schicksalsjungfrauen  524  fgg.  537 
fgg.,  wohnen  bei  Holda  540. 


749 


SchicJcsalsnagel  611 — 615. 

Schicksalsseil    310.    637.    641.    643. 
651  fgg.   674  fgg. 

Schlaf  dorn  613  fgg.   664. 

Schlüssel  146.   153.   204.  330.  340. 
341.   368.   647. 

Schnee   259.    260.    266.    398.    474. 
654. 

Schrätfeli  372.  715. 

Schretel  398. 

Schretzlein  296.   725. 

Schrittschuh  All. 

Schwanjungfrauen  341.   544  =  Nör- 
neii^671,  s.  Valkyren,   Schwäne. 

Schwanhemd    443.    379.    559.    562. 
691. 

Schwanring  310.   69  fgg. 

Seekühe  8. 

Seele  Luftliauch  80,  81.  269.  270. 
301  Anm.3.  665.  709  Anm. '  = 
Feuer  80.  310.  311.  456.709  = 
Sternschnuppen  474.  729  =  Son- 
neustralilen  438  =  In-lichter  371 
=  Valkyren,  Wasserfrauen  574 
Anm.  2.  ■■  Wilde  Jagd  218.  261. 
272.  297.  Fylgjen  s.  Fylgjen  = 
Elbe  670.  709."  Lichtalfen  326. 
724.  Zwerge  207.  491.  710. 
Kobolde  719  =  Mären  261.  296. 
490.  712  =  Wechselbälge  313. 
Riesen,  Dämonen  167.  190.  715. 
Engel  284.  298.  309.  326.  Teu- 
fel 309.  Tiere  318.  483  =  Hunde 
300  fgg.  370.  490.  730.  Schafe, 
Lämmer  284.  298.  307.  490.  491. 
Kälber  490.  Kühe  490.  Hirsche 
694.  Hasen  410.  426.  729.  Ka- 
ninchen 425.  Mäuse  79.  5  06. 
Vögel  298.  301.  Schwäne  342 
fgg.  370.  729.  Hühner  284.  298. 
299.  307.  341.  Taubon  614. 
Kröten  723.  Schmetterlinge  372 
fgg.  729  =  Blumen  284.  298. 
315.  403.  474.  —  Seelen  lachen 
nicht  309,  taub  304.  508,  unge- 
kämmt 509.  —  Seelen  bei  Thu- 
nar  240,  bei  Rän  83,  bei  Perahta 
297,  bei  Ilolda  s.  Holda,  bei 
Freyja  292,  bei  Gerdrut  319,  im 
himmlischen  Gewässer  84.  255. 
207.  709.,  bei  0'(Sinn,  Wodan 
264.  270.  564  fgg.,  im  Berg  = 
Wolke  93.  240.  264.  273,  im 
Lichtland  327,  Engelland  400  fgg. 


Glasberg  333  fgg.  336,  hinter 
dem  Brunnen  321,  weilen  auf  dem 
Schofs  der  Göttin  273  fgg.  304. 
Mimi  Herscher  der  Seelen  548. 
Kiuderseelen  297  Anm.".  670,  s. 
Kinder.  Im  Wind  umherfahrend 
326.  362.  404  fgg.  Seelen  Ele- 
mentargeister 709  fgg-,  sind  in 
Hervorbringung  des  Pflanzenwachs- 
tums wirksam  472,  spenden  Re- 
gen und  Schnee ,  Wind  und  Son- 
nenschein 474.  —  Seelen  von  den 
Valkyren  565,  von  den  Wilen  em- 
pfangen 571,  erneuert  s.  Jung- 
brunnen, Wiedergeburt,  Seelen- 
wäsche. Seelen  sträuben  sich  ge- 
gen die  Geburt  314  fgg.  Kampf 
der  Seelen  318.  319.  340.  Kör- 
nen bestimmen  den  Eintritt  der 
Seele  in  den  Körper  587.  632 
fgg.  Seele  zieht  den  Körper  wie 
ein  Gewand  an  691  fgg.  Durch 
ein  Seil  die  Verbindung  zwischen 
Seele  imd  Körper  gefestigt  696. 
Diese  Verbindung  hängt  von  der 
Taufe  (Wasserbesprengung)  ab  310. 
633.   696. 

Seelenilherfahrt  36,  des  Todes  363, 
der  Zwerge  304,  Perahtas  und  der 
Heimchen  363,  des  wilden  Heeres 
95.   362. 

Seelenwäsche  654. 

Seelenweg  der  Milchstrafse  293.  729, 
des  Regenbogens  729.   735. 

Seelzopf  723. 

Seidenfaden  677.   679.   681.   683. 

Sessrümnir   291. 

Sgönawiken  304. 

Sieben  Jahre  =  sieben  Wintermo- 
nate   95.    160.    161   Anm.'.   172. 


177.   390.  446.   517  fg 


Sieben 


Wolkenkühe  7.  388.  394.  Sie- 
ben Geifse  390.  Sieben  Zwerge 
333.  Sieben  Raben  330.  Sieben 
Kinder  496.  506.  507.  Sieben 
Söhne  Hakelbergs  300.  Sieben 
Dänavas  213.  Sieben  Mäuse  498. 
506.  Sieben  Schlüssel  136.  Sie- 
Flüsse  164.  Sieben  Berge  der 
Zwerge  209.  430.  Sieben  Bur- 
gen des  Herbstes  (Winters)  160. 
Meer  in  7  Jahren  durchscliiin  175. 
Weifse  Frau  erscheint  alle  7  Jahr 
1  80.      Ist   7  Jahre  vom  Meerweib, 


750 


Riesen  oder  Zwergen  gefangen  177. 
180.  Weilt  7  Jahre  bei  den  Xixen 
721.  Spinnt  7  Jahre  496.  498. 
506.  513  fgg.  Sieben  Hemden 
spinnen  692.  Sieben  Jahr  jagt 
Grönjätte  die  Meerfrau  291.  Cilla 
(Snewitken)  stirbt  in  7  Jahren  632. 
Donnerkeil  rückt  alle  7  Jahre  151. 
180,  ist  7  (8)  Rasten  unter  der 
Erde  verborgen  179.  Alle  7  Jahre 
ziehen  die  Elfen  zur  Hölle  316. 
Siebenköpfiger  Drache  216.  221. 
Siebenschwäuzige  Schlange  215. 
Sieben  Ellen  langes  Schwert  113. 
Jeden  siebenten  Tag  ist  AVunsch- 
stunde  519.  Von  7  Kindern  eins 
Märe  638. 

Siebrand  345. 

Siegweiber  673. 

Sif  85.   110.   132.  183.  232.  234. 

Sigfrit,  Sigurgr  139.   333.   587. 

Sigrän  292.  443.   563. 

Sigmund  149.  358.   691.   695. 

Sigijn  86. 

Sivdri  64.   110.  324. 

Sinfjötli  358.   691.   695. 

Sinthgunt   70. 

Skalli  185. 

Skiälf  37. 

Skild  357. 

Skjälf  701. 

Ski'^blu^nir  37.   110.   234. 

Sköll  85.    197. 

Skogsra.  53. 

S kratz  53. 

Skrikia  198. 

SkrvnisU  86. 

Skuld  542.   560.   600.   603.   644 

Sleipnir  38.   86.   184.   625. 

Sli^r  443. 

Smörbörrer  53. 

Smördubbar  21. 

Snmr,  Snio  84. 

Snapdragon   242. 

Sncwittken  333.   614. 

Sörli  587. 

Sol  39.   376. 

Fi-u  Sole  283.  657  fgg.  287.  293. 
326.   385.   664.   706. 

Sole  ital.   613. 

Fnt  Soleiopp   657. 

Sonne.  Sunna  70.  Frau  Sonne  283. 
375.    664.      Sonne   =  Vogel   38 


fgg.  209.  Schwan  38.  39  =  Rose 
38.  39.  Hirsch  41.  551.  552. 
Rind  40.  41.  Schiff  37.  Gold- 
becher 37.  Fenster  546.  Auge 
40.  545.  546,  s.  Auge  =  Rad 
385  =  Schatz  87  fgg.  148  —  154. 
198.  208.  399.  647^  650.  Hy- 
postasen der  Sonne  Goldfeder  und 
Goldstrahl  375.  376.  380  fgg. 
385.  Sonnenstrahlen  =  Leiter 
381  =  Goldkliimpchen ,  Ringen 
und  Perlen  439.  —  Sonne,  !Mond 
und  Sterne  in  der  verbotenen  Kam- 
mer 438  Anm.  ^.  Sonne  heraus- 
lassen 392.  438.  524  fgg.  533. 
705.  706.  Sonne  von  Maruts  und 
Ribhus  heraufgeführt  107.  213, 
von  Indra  141.  163,  von  Thunar 
143.  Von  Zwergen  geschmiedet 
378  Anm.  '.  472.  473.  Lichtal- 
fen  und  ViSbläiun  glänzender  als 
die  Sonne  322.  377.  Die  Sonne 
geraubt  84.  85.  110.  111.  185. 
194.  219.  288.  399.  547.  613. 
668.  Sonnenlieder  375  fgg.  422 
fgg.  473. 

Sonnenland  326. 

Sonnentau  293. 

Sunnenwirbel   519. 

Späkonur  568. 

Späma^r  54. 

(Speer  106.   111. 

Speisegenu^s  im  Seelenreich  309  fgg. 
Speise  dem  Kinde  in  den  Mund 
tun  318. 

Spillaholla  267. 

Spinnen.  Gold  spinnen  704.  Stioh 
spinnen  524  fgg.  539  fgg.  553 
fgg.  701  fgg.  Weiden  spiimeu 
524  fgg.   533.   538.   671. 

spirits    271. 

Stab,   s.  Blitz. 

Starka'&r  172.   212.   226.   597. 

Stern  310,  im  Brunnen  546.  Stern- 
schnuppen 474.     Seelen  729. 

Strömkarl  721. 

Sudri  105. 

Sutti'mgr   563. 

Sva^ilfari  86 

Svanr  hiun  rauöi  39. 

Svanhilldr  GuUljögr  39.  376. 

Svartr  211. 

Symbole   577.     Licht-  und  Wolken- 


751 


Symbole  übereinstimmend    37  fgg. 
Änm.   551  fgg.   564. 
Syr   80. 


T. 

Txrscke  273.   284. 

Tage  und  Zeiten.  Sonntag  260.  629. 
Mittwocli  15  fgg.  Donnerstag  15 
fgg.  (Vergl.  Philo  Magiologia  p. 
133.  Man  soll  am  Donnerstag 
feyem  und  soll  kein  Stall  ge- 
mistet werden)  23.  48.  49.  52. 
53.  88.  130.  133.  135.  147.  151. 
173  Anm.  3.  234.  238.  Freitag 
260.  629.  Sonnabend  260.  519. 
653.  Neujahrsnacht  88.  270.  520. 
725.  Fastnacht  152.  412.  Fron- 
fasten 468.  520.  Palmsonntag 
152.  414.  Gründonnerstag  27. 
101.  184.  137.  138.  152.  154. 
367.  412.  Charfreitag  31.  Ostein 
88.  Himmelfahrt  13.  18.  151. 
Maitag  (Walpiirgis)  5.  13.  17.  18 
Anm.  24.  25.  28.  30-34.  35 
Aum.  ^  133  Anm.  =.  135.  457. 
Pfingsten  35  Anm.*.  420.  Peter 
und  Paul  419.  Peterstag  420. 
Johannistag  32.  33.  57.  Anm.  '. 
101.  134.  419.  420.  512.  520. 
Jacobi  187.  Michaelistag  520. 
Nicolas  520.  Advent  648.  An- 
dreastag 520.  Christabend  49. 
79.  412.  440  fgg.  467.  469.  520 
fgg.  629.  648.  Zwölften  79 
Anm.  «.   521.   522.   744. 

Tamlane  315. 

Tanhäuser  265.   344. 

Tanz  =  Sturm.  Der  Riesen  158. 
191.  Der  Hunde  172.  173.  Der 
Seelen  308  fgg.  312  Anm.*.  Des 
Nissen   720.     Der  Wichtel   720. 

Tarnkappe  210. 

Tau  =  himmlische  IMilch  4  fgg. 
Tau  in  Linnenlaken  auffangen  5. 
6.  Anm.  '.  32.  Tauschlepper  5. 
Tau  abstreifen  5  fgg.  26.  Tau 
sammeln  28.  29.  30.  135.  Mit 
Tau  wasclien  31  fgg.  Tau  von 
Yggdrasill  tröpfelnd  542.  Trieft 
von  den  Rossen  der  Valkyren  564. 

Tautragil  29. 


Taubheit  304.  508. 

Tatife  131  fgg.  316  Anm.  2.  538 
fgg.  589.  590.  633  fgg.  642.  696. 
697  Anm.  '. 

Teppersche,  Tepperken  282.  284. 
298  Anm.  '. 

Teufel  186.  187.  364.  454.   711. 

Teufelsgraben  145. 

Thesa  661. 

Thiälfi  225. 

Thiassi  142.   182.    194.   691. 

Thiv^vitnir  442. 

St.    Thomasland  484.   488. 

Thürr,  s.  Thunar. 

Thöra   104. 

Thurälfr  48. 

Thorkill  190.   200. 

Thorsteinn  101.   200. 

Thrivaldi  212. 

Thrü'^r  48.   127. 

Thrü^hamarr  126. 

Thrü^vdngr   127. 

Thrijmr  99.    119.   175.   179.   209. 

Th  njmheimr   195. 

Thunar.  S.  den  Inhalt  zu  Abhand- 
lung A. 

Tliund  442. 

Thurs  198  fgg.  s.  Riesen. 

Tiere.  Rinder  Thorr  geopfert  10. 
Freyr  heilig  247.  viugnir  10. 
reginn  81.  Finnische  Namen  aus 
dem  Germanischen  entlehnt  10. 
Kühe  vom  wilden  Heer  49.  50. 
710,  von  Zwergen  in  die  Luft 
fortgeführt  481,  am  Grabe  ge- 
opfert 51.  734.  Stier  =  Fluss 
415.  Stier  =  Indra,  Thunar  36. 
37.  108.  113=Freyr  221  Anm.^ 
Kühe  goldgehömt  156.  171.  209. 
Kuh  Gestalt  der  Fylgje  306. 
Kühe  der  Riesen  und  Zwerge,  s. 
Riesen,  Zwerge  =  Wolke,  s.  Wolke, 
Dj'aus.  Rote  Kuh,  s.  Blitz.  'W'unsch- 
kuh,  s.  Kamadhenu,  Cavala  — 
Ross  61.  177.  462,  "der  Holda 
262,  blindes  124.  Weifsagung 
aus  Wiehern  und  Gang  der  Rosse 
624.  S.  Wolke  —  Esel  406 
fgg.  411  fgg.  =  Hase  413.  624. 
—  Ziege  und  Bock  14.  15.  47. 
48.  63.  74.  85.  121  fgg.  137  fgg. 
176  fgg.  232.  237  fgg.  243.  289. 
390  fgg.  483.  533.  671.  Gestalt 
der  Fylgje  307.    Freunde  der  El- 


752 


fen    483.    —    Widder   G3.   237. 

—  Schaf  51.  173.  245.  307. 
448,  s.  Wolke.  —  Hirsch  60 
Anm.  '.  694.  —  Hase  elbisches 
Tier  409  fgg.  ==  Hund  der  ^ril- 
den  Jagd  48T3.  Seele  729  =  Esel 
413.414.  Gestalt  der  Fylgje  306. 
_  Hund  =  Wind  172.  214. 
217  fgg.  301  fgg.  330.  717,  der 
wilden  .Jagd  50.  95.  96.  172.  218. 
271.  295.  300.  302.  370.  717. 
Seele  300  fgg  725,  des  Gewitter- 
gottes =  Wind  216— 221  =  Wolf 
198  =  Hase  483.  Schatzhüten- 
der 198.  642.  Hund  im  (Wol- 
ken-)Bcrg  304,  im  Glasberg  331. 
Blutiger  Hund  508.  Ögimi  Freyja 
508.  509,  Holda  711  in  Hunde- 
gestalt. —  Hunde  =  Kinder  ge- 
.säugt  300.  304.  —  Katze  81. 
92.  197.  271.  288.  338.  Gestalt 
der  Fylgje  306,  bringt  Kinder 
533  fgg.  —  Schwein  61.  64. 
344.  460.  708.  —  Bär  238.  306. 
336.  398.  69.  —  Wolf  197  fgg. 
227.  561.  624.    —    Fuchs  306. 

—  Luchs  81.  197  Anm.3.  271. 
336.  —  Eichhörnchen  137. 
238.  —  Maus  79,  s.  Seele.  — 
Fledermaus  488.  —  Seehund 
690  fgg.  —  Schwan  38.  39.  328. 
329.  342.  368.  370.  396.  483. 
543.  729.  —  Storch  81.  257. 
305.  317.  319.  426  fgg.  428.  522 
fgg.   529  fgg.   536  fgg.   690.    729. 

—  Kranich  328  fgg.  —  Adler 
182.  194  fgg.  197.  554.  558.  625. 

—  Gans  61.  259.  671.  —  Ente 
341.  368.  —  Eotkehlchen, 
Rotschwänzchen  13  fgg.  26. 
61.  —  Hahn  und  Huhn  13. 
51.  61.  101.  173.   189.  298.  299. 

—  Donnerziege  48.  —  Ku- 
kuk  32.  39.  237.    —   Rabe  227, 

558.— Krähe  691 Geier  271 

Anm.  '.  —  Falke  39.  336.  691. 

—  Sperling  39.  Sperlinge  am 
Bande  flattern  lassen  369.  — 
Kröte  204.  316.  439.  723.  — 
Schlange  82.  316.  439.  647. 
648.  —  Fisch  wiederbelebt  61. 
Loki  86 ,  fliegt  dem  wilden  Heer 
voran  95.  —  Aal  82.  316.-  — 
Hering  152.  —  Insecten   vor 


Gericht  geladen  368.  —  Mücke 
370.  729.  —  Fliege  110.  135. 
484  fgg.  371.  —  Ameise  135.— 
Bremse484.  — Schmetterling 
369.  371.  730,  s.  Toggeli,  Schrät- 
teli.  —  Biene  253  Anm.  '.   371. 

—  Käfer  ^  Märe, Elbe,  Seele367, 
findet  den  Schlüssel  zum  kiuder- 
bergenden  Berg  368.  Verwünschter 
Prinz367fgg.  —  Hirschkäfer  28 
Anm.'.  243.  —  Rosskäfer  152. 
243.  —  Goldkäfer  243  fgg.  268. 

—  Maikäfer  243  fgg.  368  fgg. 
am  Bande  fliegen  lassen  369, 
bringt  Friichte  426.  —  Marien- 
käfer 243  fgg.  347  fgg.  417, 
nach  andern  Tieren  benannt  244, 
steht  mit  Sonne  und  Mond  in 
Verbindung  245  fgg.  386.  388, 
wohnt  im  Wolkenbrunnen  254  fgg. 
fliegt  zum  Busch  =  Wolke  668. 
Hütet  (melkt)  die  Wolkenkühe 
246.  251.  356.  490.  Setzt  übers 
Wasser  356.  In  Engelland  347. 
Fliegt  dahin  347  fgg.  397.  Fliegt 
in  den  Herrgottsgarten  351.  425. 
Macht  Sonnenschein  und  gutes 
Wetter  248  —  250.  287.  Spendet 
Erutesegen  252.  Ist  elbisch,  Mär, 
Seele  246.  353.  355  fgg.  367. 
490.  FrevT  und  Freyja  heilig  247 
fgg.  Holda  heilig  254  fgg.  Holda 
heilig  254  fgg.  268.  Bringt  Kin- 
der 255.  272.  In  Liebesangele- 
genheiten angerufen  252.  Nach 
der  Lebensdauer  befragt  253.  Mau 
opfert  ihm  Milch  und  Brocken  355. 
Bringt  Goldkette  250.   701. 

Tih  264. 

Tius  104,  s.  Tyr. 

Tod  wohnt  eine  Treppe  höher  305. 
Fährt  dem  wilden  Heer  vorauf 
710.  Fähi-t  über  den  Fluss  363. 
Erscheint  als  Schmetterling  372. 
Tod  der  Götter  während  des  Win- 
ters 509. 

Toftevadttr  49. 

Toggeli  372.   715. 

Tomtegubbe  48. 

Toril  187. 

Totenbrücke  363.   364.  370. 

Totenfährgeld  360. 

Totenhemd  653. 

Totenmailer  728,  s.  döningsknib  ;  Gei- 
sterpitsche. 


753 


Totmopfer  51.  722  fgg.  735. 
Totenstrom  203.   309.   356  fgg.    362 

fgg.   365.   729.   734. 
Traalbulter  54. 
Trenta  651. 
Trilpetritsch  31. 
Tripstrill  398.' 
Troll     172.    186,    187.    205.    207. 

219  fgg.    234.    434.       Den    Troll 

aufwecken  191. 
Trollekile   170. 
trullfjälda  367. 
trullsmer  54. 
tröUri^r  715. 
Tür   der  Wolke   geöffnet   255.   266. 

267.   287.   389  fgg.   394  fgg.   400 

fgg.  438.  524  fgg.   533.  703.  705. 

706.       Tür    verbotene    177.    392. 

438.     Goldtor   266.  438.      Pech- 
tor 438. 
Tärsäule  16  Anm.  ''.    24  Anm.  *.  ®. 

25  Anm.  3.    34.    36.     132.     236. 

237. 
Türken  =  Riesen  353. 
Tusmörke  187. 
Tusseldands   191. 
Tyr  16.  85.  104.   192.  229. 


u. 

Uald  143. 

Ungekämmt  sein  509. 

Unibos   115  fgg. 

Unterberg  265.   446.  480. 

Ur^r  382  fgg.   542.   544.  560.  563. 

586.   600.    602  fgg.    606   Anm.  '. 

644.   665.     UrSir  587.   603. 
Ur^arbrunnen    504   fgg.    544.    547 

fgg.    553.    563.    574.    606.    666. 

670.   675.   705. 
Ur^arlokur  602. 
Ur^annäni  555.   586.   603. 
Ur^arvatu  602. 
Urschel  467.  480. 
Uoki  81  fgg. 
Ute  716. 
Ütgar^r   154. 
IJ  Ignr^aloki     100.     170.     189.     191. 

192.   202. 


V. 

Vala,   Völva    205.    568.    569     592. 

673.   726. 
Valfreyja    567. 
Valfo^r  550. 
Valglaumir  442. 
Valgrind  442. 
Valköll    64.    242.    294,    335.    357. 

442.  443.  551.  565. 
Valkyren    38.    80.    288.    342.    357. 

544.  557  fgg.  562  fgg.  572.  673. 

691.    726. 
Vefreyja  664. 
Venus  264.   265.   344, 
Venusberg  93.   264  fgg.   468. 
Ver   andi  542.   600  fgg.   603.  644. 
St.    Verejia  653. 
Verjüngung   70. 
Vestri   105. 
Vi^arr  201. 
V'i^bläinn    321  fgg.    325.   326.    333 

fgg.   342.   357.   377.   729  fgg. 
FiJSoZ/V  509. 
Viggiö^   197. 

Vimur  21.   126.    170.   201. 
Vindr  Riese   183.     Zwerg  207.  717. 
Vindsvalr  185. 
Vingnir  10. 
Vingölf  335. 
Vol  70. 
Volla  70. 
Vroneldenstrmt  294. 


w. 

Waberlohe  180.   333. 

Wäsche  434.  642  fgg.  651.  654, 
der  Seelen  654. 

Wagen  der  Götter  119  fgg.  121  fgg. 
s.  Gode,  Holda.  Mit  Böcken  123 
Anm.'.  177.  231.  Der  wilden 
Jagd  262.  297.  Verkeilen  284. 
297.  479. 

Waldhaus  177.    178.   203.   668. 

Waldminchen  273.   321.   424. 

Waldteufel  521. 

Waldweibchen  478. 

Wnhermännle  53. 


49 


754 


Fru   W-Asen  294. 

Wasserelhe  721. 

Wasserfrau.  s.  Frau  unter  Wolke. 

WasserhöUe  167.  190.  207.  324. 
325.   439.   548. 

Wato  147. 

■u-aferbull  7. 

Wechselbalg  49.  267.  297.  301  fgg. 
304.   313.   721. 

Weifse  Frau  79.  104.  119.  255. 
151.  153  fgg.  180  Anm.  '.  255 
fgg.  260.  273  Anm.  ^  298.  316 
Anm.  3.  367.  425.  428.  455.  467. 
470.  477  fgg.  520.  626.  661. 
673.   716. 

Weltuntergang  324.    353. 

Werbetta  644  fgg.   665. 

WencolfßSl.  633.  693  fgg.,   s.  Mär. 

Wichte,  Wichtel,  vasttir  295.  302. 
715  fgg.   721. 

Wickelband  686  fgg.   697  fgg. 

Wiederbelebung  der  Kuh  42.  57  —  62. 
111.  710.  718.  (Vergl.  des  Scha- 
fes. Haltrich,  Siebenbirg.  Märclien 
No.  14.  S.  69:  Lohn  und  Strafe), 
des  Bocks  62.  63,  des  Hirsches 
60  Anm.',  des  Schweins  61,  der 
Gans  60  Anm.  '  ,  des  Hahns  61. 
414,  von  Menschen  64  fgg.  — 
Den  Troll  aufwecken  191. 

Wiedergeburt  272.  292.  320.  337 
Anm.  '.   729. 

Wiese  unter  dem  Brunnen,  hinter 
dem  Berge  u.  s.  w.  im  Seelenreich 
83.  257.  321.  338.  339.  424 
fgg.  434.  438.  444  fgg.  449. 
458. 
Wilbetta  624  fgg. 
Wilde  Frau  641.      Wilde  Weibchen 

260.  480.  652.  711. 
Wilder  Mann  177.  260.  479. 
Wind  von  Thunar  143,  von  Holda 
eiTegt  260,  vertreibt  den  Nebel 
218  =  Hund  172.  198.  217.  218. 
301.  330.  717.  fV'ergl.  wi«t  (ven- 
tus)  mit  -n-int  (veiter)  Windspiel. 
„Den  Winden  Brot  geben"  im 
Schneegestöber,  was  schon  Rume- 
lant  Ambg.  11  fälschlich  auf 
Hunde  anwendet,  heifst  ursprüng- 
lich den  Sturmwind  füttern.  Myth.^ 
602.  Haupt  IV,  373,  376.' Hö- 
fer, Zeitschr.  f.  W.  d.  Spr.  I,  52] 
=   Adler   182    =    Wolf  198    = 


Hase  483  =  Lied,    s.  Musik  = 

Seele  269.  270  u.  s.  w.,  s.  Seele, 

Wütendes  Heer. 
Windsbraut   290. 
Wintersolstiz   520  fgg. 
Witte  wiiuer  660.   671.   705.   726. 
W6dan    1.    47.    70.    217    fgg.    223. 

238.    242.    265.    269.    270.   284. 

290.    300.    301.    368.    376.    479. 

727. 
Woedensjianne  627. 
Wolfsgürtel,    Wolfsring  694  fgg. 
Wolke  =  Zottenfell  43  =  Kuhhaut 

43.   75   =  Gewebe  566.  642  fgg. 

652.      Wäsche    654,    s.    Wäsche. 

=  Hemd   707   =  Mantel  290  == 

Wolle  434  =  Brüste  76.    163  = 

Euter  188  Anm.  =  =  Helm  88  = 

=  Schiff  37.   366  fgg.   371.  466. 

552    =    Brunnen    9.    80.    177. 

255.    256  fgg.    265  fgg.    268  fgg. 

379.    424.    445.    668.    719.     See 

9.   647  =  Berg    9.    80.   82.   93. 

119.    127.    140.    148.    153    fgg. 

220.    235.    240.    263    fgg.    325. 

341.    368.    445.    457.    647.    661. 

717.      S.   vornehmlich    155.     182 

=  Stein,  Fels   155.   182.   563. 

Wolkenberg     =    Wolkenbrunnen 

269    Anm.'    =   Burg    80.    124. 

153.    155.    160.    183.    185.   186. 

203.       Turm    186.    249    Anm.  *. 

505  fgg.  =  Baum    oder  Wald 

203.   250  Anm.  2.    268  fgg.    354. 

375  fgg.    384  fgg.    552  fgg.    668. 

670  =  Huhn  423.  Schwan 
38  fgg.  564  =  Schwein  64  = 
Katze  81.  197  Anm.  3.  271 
Anm.  '.  288.  448.  Luchs  81. 
197  Anm.  3.  271  Anm. ».  Ka- 
meel  36.  Boss  37.  86.  121. 
563  fgg.  710.  711.  Schaf  8 
Anm.*.  294.  307  Anm.*.  448. 
728  =  Widder  63.  176  fgg. 
Bock  68.   122.  390.  391  Anm.'. 

671  =  Kuh  2  fgg.  4  fgg.  8 
Anm.  ■*.  Von  Indra  gemelkt  3. 
8.  Von  den  Maruts  gemelkt  42. 
Von  den  Ribhus  verfertigt  43. 
Von  Vritra  geraubt  75.  148.  149. 
154  fgg.  Die  7  Kühe  des  Win- 
ters gemolken  7.  388.  Vom 
wilden  Heer  u.  s.  w.  gemol- 
ken,   geritten    49    fgg.    711.      Von 


755 


Eiben,  Zwergen  u.  s.  \v.  gemolken 
52  fgg.  481.  Von  den  Säligeu 
Fräulein  gemolken  52.  Ihren  Lauf 
kann  Niemand  aufhalten  3.  7.  Im 
Besitz  der  Riesen  und  Zwerge,  s. 
Riesen,  Zwerge.  Vom  Marienkä- 
fer gehütet  251.  Wolkenkuh  = 
Wasserfrau  74.  76.  154  fgg.  710 
=  Bock,  Ziege,  Widder  63.  64 
Anm. '.  551  =  Bunte  Kuh  332 
=  Mär  s.  Mär.  =  Frau  75  fgg. 
78   fgg.    91   fgg.    564. 

Wütendes  Heer  und  wilde-  Jcujd  = 
Seelen  262.  270.  709,  s.  Seelen 
=  Eiuheriar  565  =  Hiaöuingar 
290  =  Heimchen  297  =  Kin- 
derseelen 297  =  Elbe  712  = 
Mären  44  fgg.  713  =  Maruts  44. 
242.  —  Jagt  Frauen  90.  260. 
290.  291.  478.  479.  652.  711. 
Jagt  Moosleute  478.  Wirft  eine 
Menschenlende  herab  478.  Melkt, 
jagt,  reitet  Kühe  49  fgg.  57.  59. 
71  Anm.  3.  710.  Reitet  Wasser- 
frauen =  Wolkenrosse  710.  711. 
Weilt  im  Wolkenbrunnen  95  fgg. 
240.  268.  271,  im  Berge  264  fgg. 
304.  552.  Setzt  übers  himmli- 
sche Gewässer  362  fgg.  Fährt  in 
einer  Kutsche  362.  298.  362. 
Fährt  mit  Katzen  271  Anm.  '. 
Singt  das  Sturmlied,  s.  Musik. 
Empfängt  die  Seelen  270.  362. 
565.  —  Feurig  311.  Grüngeklei 
det  477.  Von  Thunar  angeführt 
47.  48,  von  Wödan  270.  565, 
von  Dietrich  94,  von  Frikka  295, 
von  Gode  284.  300,  von  Pöralita 
296.  715,  von  Ilolda  94.  261  fgg. 
Arthurs  Chace  460.  Der  treue 
Eckart  93,  St.  Bonifacius  94,  ein 
Fisch   94  fliegt  voran. 

Frau    Wulle  664. 

Wunschstunde  519  (vrgl.  Wolf,  Beitr. 
I,   237,   431). 

Wuothas  57. 

Wurth  382  fgg.   606  fgg. 

Wyrd  606  fgg.   644. 


Y. 

Ygyr   228.   552. 

Yggdrasill  150.   188.   482.   540  fgg. 

544  fgg.   547.   549.  552  fgg.  562. 

598.    666.   668.   670.   675.   705. 
Ymir  192.  549. 


z. 

Zaunhase  414. 

Ziehtage  der  Alfen  521. 

Zigeuner  =  Riesen  353. 

Zwerge  48.  58.  61.  79.  211.  301. 
Wolkendämonen  472.  481.  718. 
Gewitterweseu  718  =  wildem  Heer 
717.  Mären  717  =  Lichtelben 
717  fgg.  In  Verbindung  mit  der 
weifsen  Frau  718  =  Drachen, 
Riesen  207.  Windgeister  716. 
Seelen  207.  333.  472.  716  = 
Kinderseelen  ziehen  über  den  Strom 
363.  370.  Kühe  der  Zwerge  209. 
Führen  Kühe  durch  die  Luft  481. 
717.  Beleben  die  Kuh  58.  717. 
Rauben  Frauen  208.  344.  450. 
Diebische  Natur  209.  Wohnen  im 
(Wolken-)Berg  481.  718.  Im 
Glasberg  332  fgg.  447  fgg.  454 
fgg.  Im  goldenen  Schloss  338. 
Schmieden  die  Sonne  378.  472. 
Tragen  das  Sonnenauge  am  Kör- 
per 547.  Besitzen  den  Schatz 
(des  Sonnengoldes)  208.  Bewa- 
chen den  Schatz  719.  Haben 
Gans  und  Zicgengestalt  481.718 
=  Kröten  723  =  Schmetterlin- 
gen 372.  Schmieden  Getreide  472. 
Machen  die  Erde  fruchtbar  472. 
Stehen  den  Menschen  bei  der  Acrnte 
bei  473.  Aernteu  im  Winter  auf 
dem  Eise  469.  473.  Zwerg  Pur- 
zenigeli  476.  Tragen  rote  Hüte 
481.  Zwergemnütze  448  fgg. ,  s. 
Tarnkappe.  Erscheinen  vorbedeu- 
tend 673.  Menschenfresser  208. 
Singen  das  Sturmlied  7 1 8,  s.  Musik. 


756 


Letten  und  Slaven. 

Anafielas  336.  Plön   151. 

Baba  246.  Rojenice  708. 

babie  lato  639.  ScJnvente  146. 

bele  zene  708.  Sujenice  708. 

Dangus  244.  Twardowshj   66. 

^awÄ;  79.  T'i/a  570  fgg. 

iüMme  79.   672.  Fi/r«  569. 

Pei-un  132.  swji;    151. 

Perkunas   143  Anm. '.    238.      Pehr-  ielek  zene  708. 

kon  6.     Perkuno  ozys  244.    Per- 

kuno  kulka  202. 


Kelten. 


Avallach  =  Avallon  459  fgg. 
Ärtur  460  fgg. 
Magonia  466. 
Morgane  460  fgg. 
Osschin  (OssianJ  462. 


shian  463. 
Taliesin  460. 
Tir  na  Oige  462. 
Ynisvitrin  459.  460. 


Graeco  -  Eomanen. 


Aharis  74. 

J<Äewe 37. 63.196.366.  A.Erganel76. 

Aison  74. 

Amaltheia  64. 

Apollon  37.  38.   A.  Musagetes  196. 

.4r£ros  130. 

Artemis  583. 

Athamas  63. 

Atropos  582. 

Geryones  37.    198. 

Graien  581. 

Gorgonen  581. 

Damarmenos  74. 

Decuma  585. 

Deimos  581. 

Demeter  73.     D.  Erynis  38.  553. 

Despoina  196. 

Diespiter  2. 

Dioskuren  37.   564. 

f|f;f*   cS  (fi'A.  ?jAt*   395. 

Hermes  63. 

Erynnien  581. 

Europe  40.   41. 

Echidna  198. 

Ze?M  41.  85.   581.      Z.  Aktaios  63. 


^eZjos  40. 

Hephaistos  131. 

I^ere  41.     H.  teleia  583. 

Jason  74. 

Jo  41. 

Kentauren  196.   211. 

Kerberos  198. 

JTerere  577  fgg. 

Ä:/of7io  73.  582. 

Lampetie  40. 

Lachesis  582. 

Lepreas   100. 

LM?!a  40. 

Meleagros  583.   592. 

Medeia  73  fgg. 

i¥i>a   582. 

Moiren  579  fgg. 

Musen   196. 

J/orto  585. 

Xci jaden  37.   366. 

Neaira  40. 

iS'^orea  585. 

Okeanos  145. 

Or^Äros   198. 

Orpheus   198. 


757 


Palladimn  74. 
Pelops  73. 
Perseplwne  196. 
Pegasos  124. 
Pelias  74. 
Poseidon  38.  83. 
Risiko  582. 


145. 


Tautalos  73. 
Tj/cÄe  582. 
Phaethusa  40. 
Phaiaken  38. 
Fa<«7e  583. 
Philoktet  74. 
PAoios   581. 


Ostarier. 


.45f?!i  38.   42.    Goldzahnig   125.  287. 

Stamnigottheit  131.    Heilgott  196. 

Enkel  der  Fluten  214—226.239. 

Verbirgt     sich    im    A^vatthabaum 

553. 
Angirasas  43.   155.   165.   210. 
Atri  134.    161. 
at7-in  210. 
Anu  161. 
Anhu  149. 
JpdW   134.    136. 

Ajisarasen  76.   83.   97.  239.   575- 
Amarävati  239. 
Amiita  97.  98.  220.  239. 
Ayu  147. 
^j^HK«   106.    114.    120.    159.    220. 

224. 
Arjnni  224. 
aqman  99. 
Aqvatthahaxim  Kälberqiiieken  mit  der 

Rute  desselben   553. 
Aqvinen  37.  38.  42.  564. 
Asuren  anfangs  die  höchsten   Götter, 

später  Name  der  götterfeindlichen 

Dämonen  107.   730. 
AsraiHts  157. 
Ahahjä  130. 
AU  77.  81.  82  Anm.  '.   84..  88.  89. 

162  fgg. 
Aliirhudhniah.  155. 
Ahiquva  233. 
Ä/^as   196. 
Ä;j<2/a  213.   215. 
ksanga  129. 
Indra,  vergl.   den  Inhalt   zu  Ablumd- 

lung  A. 
Indragopa  244. 
Indracäpa   107. 
Indrndhamis    107. 
Indrapraharäaa   1 05. 
Indraißidha  107. 


/?!  drasurasa  134. 

Indrahasta   134. 

Indrägni  214. 

Indräni  153.   735. 

7/pa  553. 

C'rana  212. 

Uslias  605. 

Uqana  224. 

"Ribhus  38  fgg.  machen  aus  der  Haut 
eine  Kuh  42.  Teilen  die  himm- 
lische Somaschale  in  4  Teile  98. 
105.  Schmieden  den  Donnerkeil 
107. 

Aurnavabha  233. 

Aurva  38. 

KaksJiivän  129, 

Kalpavriksha  239. 

Kavaca  161. 

Kämadhenu  41.   76. 

Kämaduh   41. 

Kämada  41. 

A«<6-a  223.   224. 

Kunti  157. 

Kuyava   161. 

Kuvera   156. 

Ktishna  211. 

Kraryudas   157.   197. 

Gatötkaca  106. 

Gandharva  76.   211.   259.  564. 

Gangä  145  Anm. '. 

Garudha  38.   575. 

G«nd(V«  107. 

Götama  130. 

Grimbikü   78. 

Candra  97. 

Ciimuri  155. 

Tiirkya  38. 

Turväqa  224. 

Turviti  146. 

ttishtubh  236. 

'iVe/rt  87.   215.   241.  242. 

Trnitana   87. 


758 


Tvashtri  41.   78.   98.    107.   154. 

Dänus   164. 

Dänavas  155.   209.   213. 

Däsai)atni  76.  77.  83.  85.  153.  171. 
179.    192.   193.   220. 

Devas  97.  241. 

Devadatta  114.   115. 

Devapatni  162.   192.    220. 

Daityas  134.   136. 

Dyaus  1.  104.  193,  raubt  die  Kuh 
des  Ueberflusses  41. 

Di-uhyus  155.   156.   161.    210.    224. 

Dhuni  155.   224. 

Nandana  239. 

Nandini  41. 

Namuci   155.    156.    161. 

Naraka  121. 

Nahusha  214. 

Fants   155.    161.   209.   210.  218. 

Fändavas    157. 

Färijätaka  97.   239, 

Pifacas   155.   156.   197.   211. 

Fipru  155.   161. 

Purandara  161. 

Purukutsa  224. 

Pi7m  43.   209.    731  fgg. 

Frahläda   121. 

Friqni  38. 

PaZa,  s-  Vala. 

Brihaspati  161.   214. 

Brakmanaspati  269  Anm. '. 

JSAma  158.   159. 

Bhrigus  224. 

Bhnmyaqva   108. 

Manhavän  120.    129. 

Mandara  97. 

Mandära  232. 

jj/arwte  38  fgg.  77.  127.  143.  162. 
172.  213.  214.  219.  221.  238. 
242.  269.  Melken  die  Wolken- 
kühe 42.  Bringen  mit  ludra  die 
Kühe  zurück  162.  Führen  das 
Sonnenlicht  herauf  213. 

Mätali  120. 

Mitra   142. 

mudgala  105. 

Mudgala  108.   113.    114. 

Yadu  224. 

Yama  199.   218.   239.   732  fgg. 

Yami  732.   735. 

yüpa  236. 


Pasa  218.   734. 

Räkshasas  155.  157.  160.  174.  193. 

194.  225.  575  Aum.  3. 
Rätricaras  157. 
Rävaiia  41.  212. 
Rudra  38.   47. 
Rauhina  155.   178. 
Rauhinä  178.   210. 
Lahshml  575. 
Ffljra   105  fgg.   162.   224. 
Vajratunga  =  Garudha  38  =  Mus- 

quitolliege   135. 
Vajrajit   38. 
Varuna  38.   97.   98.    130.  141.  142. 

237.   731. 
Vala  85.   121.    135.    140.    155  fgg. 

162,   s.   Vritra. 
Vuyu  3.   143.   195,  218. 
Väruai  97.   735. 
Vislniu     38.     85.     141.     135.     212. 

575. 
Vijaya   107. 
Viqvakarman  108. 
Vaijayanta   120. 

Vritra    36.    75.    88.    39.    108.   121. 
'l26.     127.    141    fgg.    144,     145. 

148.    154.    161.    181.    198.   211. 

225. 
Vritras  in  der  Mehrzahl   155.    220. 
Viicaya  129. 
(Jakra   126. 
ipaci   126.   214.   735. 
Qacipati  126. 
(^atakratu  120. 
gamhara  155  fgg.   199.  271. 
Qushna  155  fgg.   195. 
Qräd'dha  735. 
Qri  38.   575.   736. 
(Jvasana   195. 
Santc'ma  239. 
Sahhya  131, 
Äarawä  75.   148.   214. 
Savitar  83.   159. 
Scibheyishta   131. 
Sudäsa  147. 
Surabhi  97. 
Äom«  96.   174. 
svarga  239. 
Haricandana  239. 
Hidimba  157  fgg.   178.    193. 
Hidimba  158  fgg. 


(OB 


Westarier. 


Agramainyus  215. 
äthwi/a  215. 
Amiran   88. 
Gandareva  211. 
Kerecü.ipa  199.   211. 
Tliraetano  215. 


Dahuka  86. 
Feredun  86. 
t'ere  trazan  22 G. 
(Jravara  199.  211. 
Qruvara  199.  211. 
Zo/ja/j  86.  87. 


Finnische  Völker. 


210. 


■07. 


Aderjungfrau  68. 
jl^ro   179. 
^H-a  8.3.   179. 
Ahto,  Ahti   90.   91. 
Eisenlaci  66.   74. 
Ilmarinen  20.   473. 
JmZ/o?/j   96. 

Lemminkainen  39.   68.  69. 
ioMÄi  399. 
Maa-alused  725. 
«0  2«  wof(Z  56. 
Para  56. 


Faranwoita  56. 
Fihlajatar   20. 
Fohjola  40.   707. 
ÄaMwi  83.   179. 
Ärtm/jo  399. 
Suwetar  20. 
jTjirsfl.«!  Turso   169. 
Tuoras    10. 
Tuonela  39.   68. 
Tuonißuss  39.   68. 
Z7Mo"  68.   83.    179. 
Wainämoinen  40. 


707. 


Gedruckt  hei  A.  W.  Scliadc   in   Berlin.   Grünstr.  1«. 


Berichtigungen. 


Seite  8  Zeile  5  lies  Fseroeer  für  Foeroeer,  Z.  13  Fceroeische  f.  Foeroeische. 

—  S.  14  Z.  20  1.  Thorr  f.  Thors.  —  S.  18  Anm.  Z.  13  lies:  Nullus  diem 
Jovis  absque  festivitatibus  sanctis  nee  in  majo,  nee  iillo  tempore  in  otio  ob- 
servet.  Vergl.  M.vth.'  XXX.  _  S.  21  Z.  11  1.  iwe  f.  twe.  —  S.  28  Z.  20 
1.  to  gather  f.  to  together.  —  S.  60  Anm.  '  Z.  4  1.  soeiis  f.  socius.  —  S. 
65  Anm.  2  Z.  5  1.  quam  f.  quum.  —  S.  74  Z.  19  I.  der  f.  dem.  —  S.  79 
Z.  22  1.  spenys  f.  spengs.  —  S.  176  Anm.''  1.  63  f.  43.  S.  199  Anm.*  Z. 
6  gataS  f.  getag.  —  S.  199  Anm.  *  Z.  7  rag  fyrir  ser  f.  räöy  rir.  —  S.  199 
Anm.  ^  Z.  3  1.  Gu^rfmarson  f.  GuSrünarsonr.  —  S.  206  Anm.  '  Z.  10  hefur 
f.  heur;  Z.  11  korriro  f.  ka  korriro.  —  S.  207  Anm.  Z.  5  1.  aö  meini  f. 
agraeini;    Z.  21    og    korriro  f.   ag  koriiro.   —    S.  208  Anm."   1.   188  f.   000. 

—  S.  228  Z.  22  1.  Cereris  f.  Ceveris.  —  S.  233  Z.  6.  7  1.  Godgubbe  f. 
Goldgubbe.  —  S.  238  Z.  7  1.  Wiutersolstiz  f.  Wiutersolstig.  —  S.  242  Anm.' 
Z.  7  1.  unserm  f.  imsern.  —  S.  250  Z.  9  1.  Maikatt  f.  Maikatt  weg.  —  S. 
250  Z.  12  1.  med  f.  ned.  —  S.  264  Anm.^  1.  Kornmann  f.  Hornmann.  — 
S.  281  Z.  30  1.  best  nich  f.  hest  nig  uich.  —  S.  285  Z.  21  1.  „Eotze  oder 
Eutze  lauten  müsste,  da  das  hypocoristiscbe  z  in  unserer  Spraebe  dureb  tz 
ersetzt  wird"  f.  „Rosse  lauten  müsste,  wie  uns  läzen  zu  lassen  wird."  — 
S.  305   Z.  21   1.  slimmen  f.  summen.    —   S.  314  Z.  26  1.  eine  Elle  f.   ein  Aal. 

—  S.  325  Z.  9  1.  Heimdalls  f.  Heimöalls.  —  S.  327  Z.  3  1.  des  Wunscbes 
Vaterland  f.  "Wunscbes  edel.  —  S.  328  Anm. '  Z,  26  1.  swickelswene  f. 
swickelswwene.  —  S.  345  Z.  18  1.  nä  EngeUand  f.  nacb  E.  —  S.  387  Z.  4 
1.  dem  sünnke  f.  de  sünuke.  —  S.  398  Anm.  ^  Z.  9  füge  zu  moln  nocb  in- 
selscbwed.  muli,  mulle ,  mörne  Wolke,  raälna  wolkig  werden.  Russwurm, 
Eibofolke  II,   §.  410   S.  342.    —    S.  490  Anm.  '    Z.  14  1.  unselige  f.  urselige. 

—  S.  508  Z.  4  füge  hinzu:  Auch  bei  Rocholz,  Alemann.  Kinderlied  II,  411 
wird  der  blutige  Mann  ei"n'äbnt;  hier  aber  beifst  so  das  herumgebende,  er- 
lösende Kind,  dem  die  den  Turm  bildenden  Mitspieler  zurufen:  „Bombam, 
blutiger  ma,  läng  mi  net  a."  —  S.  537  Z.  7  1.  Weck  f.  Weak.  —  S.  542 
Z.  8  1.  \)xr  lif  kuru  alda  böruum,  für  piev  lif  kuru,  alda  börnum.  —  S.  542 
Anm.-'  Z.  2  1.  koren  das  Leben  den  Zeiteukindem,  bestimmen  das  Schicksal 
f.  koren  das  Leben,  bestimmen  den  Zeitenkiudern  das  Schicksal.  —  S.  548 
Z.  27  1.  Elivägar  für  Elivägur.  —  S.  598  Anm.  '  Z.  9  1.  Runenritzung  f. 
Runensitzung.  —  S.  608  Z.  19  streiche  die  Stelle  Helj.  15,  17.  —  S.  610 
Z.  38  1.  wie  furnam  f.  wie  furmam.  —  S.  613  Z.  5  1.  bis  f.  bei.  —  S.  618 
Z.  21  1.  incerti  f.  in  certi ;  Z.  22  l.  Ronsseus  f.  Rousseus.  —  S.  622  Z.  19 
L  er  nauS  skapa  f.  es  nauS  skapa.  —    S.  319  Anm.  ^   Z.  1   l.  annars  f.  au- 

nars.     S.  635    Anm.'    Z.  3    1    asseruisti    f.   assreuisti.    —    S.  637   Z.  2  1. 

skopu  f.  sköpu.  _  S.  645  Z.  10  L  ]?ikkja  f.  ikkja.  —  S.  664  Anm.  *  1. 
sömntorn  f.  sömu  torn.  —  S.  704  Z.  10  1.  macht  f.  machts.  —  S.  710  Z. 
15   1.   57  f.   77. 


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